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<strong>Zweiter</strong> <strong>Aufzug</strong><br />
Tobobo schwebte nahe an den Kopf des M’baganianers<br />
heran und ließ einen aufdringlichen Ton in extremer<br />
Frequenz erklingen.<br />
Fau Holl schreckte hoch und stieß mit der Stirn heftig<br />
gegen den Rumpf des Thronarios. »Du sollst mich nicht<br />
mit diesem schrecklichen Pfeifen wecken!«, wetterte er<br />
sogleich.<br />
»Entschuldige bitte, doch mir fehlen leider die mechanischen<br />
Möglichkeiten, dich sanft berühren zu können. – Sie<br />
sind auf Seido angelangt. Amabo schickt sich an, auf den<br />
Planeten transportiert zu werden.«<br />
Sogleich sprang der Schmuggler auf und lief zur Navigationskontrolle.<br />
»Wann kommen wir dort an?«<br />
»In zehn Stunden. Amabos Schiff ist ungleich moderner,<br />
als unsere FUGBUG.«<br />
Vorsichtig drehte sich Fau Holl um. »Hm ...«, summte er<br />
zunächst. »Wie viele Menschen sind an Bord seines<br />
Schiffes?«<br />
»Einhundertsiebenundachtzig. Und etliche Kampfthronarios.<br />
Du solltest nicht einmal daran denken, die Schiffe<br />
zu tauschen.«<br />
Der M’baganianer wandte sich wieder ab. »War nur eine<br />
Idee ... – Können wir seinen Ankunftsort ermitteln?«<br />
Tobobo ließ eines seiner Segmente rotieren. Ein Monitor<br />
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im vorderen ovalen Teil der FUGBUG flackerte auf und<br />
blendete einen grauen Planeten ein. An einer bestimmten<br />
Stelle bildeten sich aus einem Punkt Kreise. »Nach den<br />
IMT-Signalen lässt er sich genau dorthin transportieren.«<br />
Fau Holl trommelte auf der Abdeckung einer Konsole<br />
mit vierzehn Fingerkuppen einen unmusikalischen<br />
Rhythmus. Schließlich zeigte er auf den Ankunftspunkt.<br />
»Was ist dort? Wen besucht er da?«<br />
Während Tobobo Informationen aus den Speichern<br />
zusammensuchte, flog er mehrmals um den Kopf des<br />
M’baganianers. »Weder Universus noch der Rat der<br />
Planeten haben offizielle Beziehungen zum Planeten Seido.<br />
Seido besitzt eine höchst ungastliche Atmosphäre. Er<br />
wurde von den Ikoniern vor 87 ikonischen Jahren erobert,<br />
hält große Bodenschätze bereit. Der Planet brachte nie<br />
eigenes Leben hervor, auf ihm leben lediglich die Familien<br />
der Arbeiter. Zwar wird Seido laut offiziellen Eintragungen<br />
von der Republik Ikonia verwaltet, doch der Planet gehört,<br />
nach getroffenen Vereinbarungen, einer industriellen<br />
Gruppe.«<br />
Einige Momente musste Fau Holl warten, denn Tobobo<br />
suchte nach weiteren Informationen. »Und? Welcher<br />
Gruppe?«<br />
»Entschuldigung«, plärrte das Thronario monoton, »ich<br />
bediene mich gerade an streng geheimen ikonischen<br />
Datenbänken. Ich bin ein Thronario und kein Sternenkreuzer.<br />
– Die industrielle Gruppe nennt sich ZECK. Die<br />
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Abkürzungen ließen sich in: Organisation zur Erschaffung<br />
hochwertiger Verteidigungsmechanismen übersetzen. Chef der<br />
Firma ist der Ikonier Cropania, ein kaum in der Öffentlichkeit<br />
auftretender Sprössling einer extrem reichen<br />
Familie von Industriellen, die geschlossen auf Ikonia lebt.<br />
Cropania lässt die Produktion auf Seido von einem<br />
kybernetischen Objekt verwalten, das unter der Bezeichnung<br />
Xulk bekannt ist. Die Firmen von Cropania setzen<br />
pro Ikonierjahr etwa 5 Milliarden Kram um, einen gewaltigen<br />
Teil durch Aufträge, die die ikonische Regierung<br />
bezahlt. Allerdings existiert auf Seido noch ein kleines<br />
unscheinbares Handelsunternehmen mit dem universen<br />
Namen: Allgemeinnützliche Kooperation Für Interdistriktialen<br />
Handel – kurz AKFIH, das einem Bruder Cropanias<br />
zu gehören scheint.«<br />
»Und?«<br />
Das Thronario zögerte, als suche es noch. »In dieses<br />
Handelsunternehmen flossen Mittel des Rates der Planeten.<br />
Aber ...«<br />
»Aber?«<br />
»Es existieren keine Handelsvereinbarungen.«<br />
»Und das heißt?«<br />
»Der Rat bezahlte mehrere Milliarden Kram an die<br />
AFIH. Ohne eine Gegenleistung zu erhalten.«<br />
»Die Transportrouten ... von Seido ... Wohin führen<br />
sie?«, fragte Fau Holl flüsternd, als würde er die Antwort<br />
bereits ahnen.<br />
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»Es sind einige Kleine und zwei Bedeutsame eingetragen.«<br />
»Beschränke dich auf die Bedeutsamen, Tobobo!«<br />
»Eine führt von Seido direkt zum Planeten Ikonia«,<br />
antwortete das Thronario.<br />
»Das habe ich mir gedacht. Und die andere?«<br />
»Sie führt von Seido zum Planeten Lunanova.«<br />
»Lunanova? Zum früheren Ausflugplaneten der Ikonier?«<br />
»Es gibt kein früher mehr«, berichtigte das Thronario.<br />
»Lunanova wird wieder von unzähligen Ikoniern und sogar<br />
von Menschen besucht. Die Ikonische Regierung ließ dort<br />
ein riesiges Mahnmal bauen, das ohne optische Hilfsmittel<br />
vom Weltraum aus zu sehen ist. Außerdem wachsen dort<br />
Wohnsiedlungen in die Breite, ebenso Vergnügungsparks<br />
und unglaubliche Fahrattraktionen.«<br />
»Wird Lunanova auch von Universen besucht?«, fragte<br />
Fau Holl nach kurzer Bedenkzeit.<br />
Erneut schwebte Tobobo eine Runde um den Kopf des<br />
M’baganianers. »Es existiert eine regelmäßige Flugverbindung<br />
zwischen Universus und Lunanova. Für Passagiere<br />
als auch für Waren«, antwortete er.<br />
Vierzehn Finger kratzten erregt an Fau Holls Wangen.<br />
»Der Punkt ...«, sagte er schließlich und zeigte erneut auf<br />
den Monitor. »Wo will Amabo hin?«<br />
»Er lässt sich direkt in das Geschäftsgebäude der Firma<br />
ZECK transportieren. Wahrscheinlich ist, dass er den<br />
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Niederlassungschef Xulk besuchen will. Genau genommen<br />
ist er bereits dort.«<br />
Aufgeregt stand Fau Holl vor dem Bildschirm. »Warum<br />
sehe ich nichts davon?«<br />
»Wahrscheinlich ist, dass Amabo den Sender entdeckt<br />
hat. Möglich ist auch, dass die Gebäude der Firma ZECK<br />
abgeschirmt sind.«<br />
»Kannst du ...«, fragte Fau Holl.<br />
Doch Tobobo unterbrach ihn sofort: »Während der<br />
Sicherheitskontrolle beim Transport hinunter, wurde der<br />
Sender vernichtet. Wir konnten es leider nicht sehen, weil<br />
die aufgelösten Molekularteilchen für unsere Sinne nicht<br />
wahrnehmbar sind. Amabo ist ab sofort unsichtbar für<br />
uns.« Das Thronario schwebte ein wenig herab und setzte<br />
hinzu: »Leider.«<br />
Die drei Sicheln der Monde Proy Eins bis Drei machten<br />
die Nacht auf dem Planeten Speelz fast zum Tag. Sie<br />
bewegten sich seit Jahrtausenden in einer Reihe um die<br />
Heimat der Menschen, die auf zwei Kontinenten ihr<br />
Dasein fristeten. Speelz bot ausreichend Wasser und<br />
Natur, so dass sich seine Bewohner gut entwickeln<br />
konnten. Es gab viele Tierarten auf dem Planeten und<br />
kaum ein Bedrohung, denn die Industrie war nur mäßig<br />
entwickelt und Kriege kannten die Menschen nicht.<br />
Auf dem Nordkontinent lebten die hellhäutigen Yaos,<br />
auf dem südlichen die dunkelhäutigen Hynas. Beide<br />
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Volksgruppen standen im regen Handel miteinander, denn<br />
im Norden gab es reichliche Bodenschätze, im Süden<br />
hingegen gedieh das Korn. Außerdem lebten die Menschen<br />
auf Speelz vor allem vom Fischfang im weltumspannenden<br />
Ozean. Yaos und Hynas verehrten den Eisernen Gott, der<br />
ihnen einst den Bau der Wohnpyramiden und die Nutzung<br />
des Wassers zur Energiegewinnung beibrachte. Muutaapa,<br />
dem Eisernen Gott, der eines Tages auftauchte und nach<br />
langer Zeit der Gegenwart im Nichts verschwand, sind<br />
viele Rituale gewidmet. Die Ansiedlungen der Yaos im<br />
Norden waren weitläufig, die pyramidenförmigen Hütten<br />
standen auf den Hochebenen meist unter großen Bäumen<br />
und in der Nähe eines fließenden Gewässers. Am Tag<br />
wärmte die Sonne, in den Nächten leuchteten die Monde.<br />
Es regnete fast nie, denn Niederschläge fielen fast ausschließlich<br />
als Schnee an den Polen, tauten oberflächlich<br />
und flossen dann über die Kontinente ins Meer.<br />
Eine der Ansiedlungen im Norden trug den kurzen<br />
Namen Zyu, hier lebte das intelligente Mädchen Reese<br />
gemeinsam mit ihrer Mutter in einer der Pyramiden. Reese<br />
war sechs Speelz-Jahre alt (etwa zwölf Erdenjahre) und<br />
besuchte eine Schule im Zentrum von Zyu, in der Nähe<br />
des großen Wasserfalls, der den Ort mit Energie und<br />
Trinkwasser versorgte.<br />
Reese war ein ganz besonderes Mädchen. Es waren nicht<br />
nur ihre roten, schillernden und langen Haare, auch nicht<br />
die besonders filigranen Nasenflügel, die diese Besonder-<br />
67
heit ausmachten. Nein! Sie hatte in der Schule von Dingen<br />
erzählt, die kaum ein Yaos glauben wollte. Sie redete von<br />
Distrikten und Menschen auf anderen Planeten, von<br />
seltsamen Wesen, die sie Ikonier nannte, von Kriegen und<br />
Feindschaft und von schlichtweg übermenschlichen<br />
Wesen, denen sie den Namen Synusier gab. Von wem sie<br />
diese Informationen erhalten hatte, wollte Reese nicht<br />
preisgeben. Die meisten Yaos schoben es auf Reeses<br />
ausgeprägte Phantasie. Doch dann und wann wusste das<br />
Mädchen auch von Dingen, die niemand ausgesprochen<br />
hatte.<br />
Keinem fiel es auf, dass sich Reese stets freiwillig zum<br />
Sammeln der Kyosbeeren meldete. An den Abenden<br />
arbeiteten die meisten Kinder gruppenweise für die<br />
Allgemeinheit und lernten so die praktischen Arbeiten<br />
kennen, die eines Tages ihren Lebensinhalt bestimmen<br />
würden.<br />
Die Kyosbäume standen paarweise an den Hängen der<br />
Berge und ragten weit hinauf in den Himmel. Es erforderte<br />
viel Geschick, mit speziellen Schuhen hinaufzuklettern, um<br />
die Beeren zu pflücken. Obendrein war das nur in den<br />
Nächten möglich, denn die Früchte wurden nachts hart<br />
und waren am Tag so weich, dass man sie unmöglich<br />
pflücken konnte.<br />
Falius, der Lehrer, brachte die Freiwilligen am Abend zu<br />
jener Stelle jenseits der steinernen Brücke. »Seid achtsam,<br />
dass euch nichts passiert!«, rief er in die Runde. »In zwei<br />
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Stunden trefft ihr an dieser Stelle ein.« Reese wartete nicht<br />
lang. Sie rückte den Korb zurecht, den sie an Riemen auf<br />
dem Rücken trug, und entfernte sich schnell von der<br />
Gruppe. Mehrmals schaute sie sich um, ob ihr auch keines<br />
der Kinder folgte. Und da dem so war, kroch sie einen<br />
steilen Hang hinauf und lief eilig zwischen hohen, immergrünen<br />
Büschen hindurch, bis sie weit oben am Horizont<br />
die drei Kyosbäume erblickte, deren gewaltige Kronen in<br />
vierzig Metern Höhe im Licht der Monde glänzten. Ihre<br />
Schritte wurden nun noch schneller, trotzdem es steil<br />
bergauf ging. Reese schaute sich nicht noch einmal um.<br />
Am Stamm des mittleren Kyosbaumes kauerte das<br />
Mädchen nieder, ließ aus dem Korb die Kletterschuhe<br />
fallen, ohne ihn abzusetzen, zog die Lederpantinen von<br />
den Füßen, schlüpfte in die Kletterschuhe und band sie<br />
fest. Dann kontrollierte sie den Sitz des Kleides, das aus<br />
einem langen hellblauen Stoffband um ihren Körper<br />
gewickelt war, erfasst die erste Kletterknolle, die wie eine<br />
Stufe aus dem Baumstamm ragte und begann den kraftzehrenden<br />
Weg hinauf.<br />
Minuten waren vergangen, als das Mädchen den ersten<br />
Ast erfassen konnte, sich hinaufschwang und einen<br />
Moment lang darauf ausruhte. Noch einmal schweiften<br />
ihre Blicke hinab, von hier aus konnte Reese große Teile<br />
der Ansiedlung überblicken, dann kletterte sie weiter<br />
hinauf, sammelte die Beerentrauben ein, die sie erreichen<br />
konnte, und schaute immer wieder hoch in die Krone.<br />
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Endlich entdeckte sie das blaue Leuchten, das sich dort<br />
oben versteckt hatte, wo die Krone des Baumes am<br />
dichtesten war.<br />
»Ich bin froh, dass du hier bist«, flüsterte Reese und<br />
streckte ihre rechte Hand aus, während sie sich mit der<br />
linken an einem Ast festhielt, bis die Fingerkuppen das<br />
fremde Wesen berührten, mit dem sich Reese Nacht für<br />
Nacht traf.<br />
»Ich kann nicht mit ansehen, was du tust«, sagte das<br />
Wesen in Reeses Sprache. »Es ist unverantwortlich, dass<br />
ihr Kinder solch einer Tätigkeit nachgehen müsst.«<br />
Reese lächelte. »Du musst dich nicht um mich fürchten,<br />
Faarii, mir wird nichts mehr passieren. Jetzt pass ich besser<br />
auf.« Das Mädchen hielt inne, lauschte und flüsterte:<br />
»Schnell, versteck dich! Lunken kommt!«<br />
Amabo durchschritt die vierte Sicherheitskontrolle. Er<br />
befand sich weit im Inneren des Planeten Seido und bekam<br />
von den riesigen Industrieanlagen wahrlich nichts zu<br />
sehen.<br />
»Passieren!«, befahl eine automatische Stimme. Selbst<br />
dem Berater war es jedes Mal unheimlich, wenn er das<br />
Büro von Xulk betrat. Der Chef der Hauptniederlassung<br />
der Firma ZECK war die perfekte und perfide Nachahmung<br />
eines Ikoniers, maß jedoch die doppelte Höhe und<br />
bestand in seinem äußeren Mantel ausschließlich aus<br />
Edelmetallen. Seine Tentakel waren gleichzeitig höchst<br />
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effiziente Waffen. Das weitläufige und bis in die letzte<br />
Nische ausgeleuchtete Büro war ein Sicherheitstrakt, den<br />
man ohne fremde Hilfe weder betreten noch verlassen<br />
konnte. Die Anlage selbst bewegte sich in einem Höhlenschlauch<br />
unter der Oberfläche Seidos jederzeit vorwärts<br />
oder zurück, so dass sich der Standort der Anlage unablässig<br />
änderte.<br />
Winzig fühlte sich Amabo, als Xulk auf ihn zukam,<br />
dessen Augen extrem leuchteten, auf dessen Außenhaut<br />
sich der Berater der Präsidentin unzählige Male widerspiegelte.<br />
»Du kommst unangemeldet, Berater Amabo von Universus!«,<br />
brüllte Xulks tiefe Stimme.<br />
»Verzeih mir, Xulk! Es besteht eine dringende Notwendigkeit.«<br />
Knirschend beugte sich der Gigant ein wenig nach vorn.<br />
Ölgeruch stieg in Amabos Nase. »Dringende Notwendigkeit?<br />
In welcher Beziehung?« Während Xulk mit Amabo<br />
sprach, regelte er unzählige Dinge, organisierte die Produktion,<br />
logistische Aufgabe wurden bewältigt, Landeplattformen<br />
freigegeben, IMT-Transporte versendet und<br />
Kommunikationen durchgeführt.<br />
Amabo wusste zu gut, wie er den kybernetischen Ikonier<br />
überzeugen konnte. »Es besteht die dringende Notwendigkeit,<br />
den engen Beirat einzuberufen. Ich werde Lösungswege<br />
vorlegen, wie wir die Krise beenden können.« Auch<br />
er versuchte, laut zu reden.<br />
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Xulk nahm wieder eine aufrechte Haltung an. »In welchem<br />
Zeitrahmen könnten wir die Krise beenden?«<br />
»In einem kurzen Zeitraum.«<br />
»Benötigen wir den engen Beirat tatsächlich?«<br />
Darüber hatte der Berater bereits nachgedacht. Selbstverständlich<br />
hätte er die Maßnahmen auch im Alleingang<br />
mit Xulk angehen können, doch mussten in diesem Fall<br />
alle Beteiligten an einem Strang ziehen. »Ja. Ohne das<br />
einstimmige Votum kann die gegenwärtige Krise nicht<br />
beendet werden«, sagte er.<br />
Xulk sorgte dafür, dass sich eine Schleuse öffnete. Eine<br />
runde Plattform schwebte nur wenige Millimeter über dem<br />
Boden herein und hielt im Zentrum des Raumes. Auf der<br />
Plattform gab es weitere, kleinere runde Plattformen. Auf<br />
einer befand sich ein Sessel.<br />
»Die Mitglieder des engen Beirates sind verfügbar und<br />
werden in wenigen Minuten zugeschaltet. – Du kannst<br />
dich setzen, Berater Amabo von Universus!«<br />
Der Berater ließ sich nieder und legte abwartend die<br />
Beine bequem übereinander.<br />
Erschrocken schlug Anna die Augen auf. Gladiola schwebte<br />
vor ihr, bewegte sich sanft und grazil wie eine Qualle im<br />
Ozean.<br />
›Mama!‹ Annas Herz bebte. ›Warum bist du hier?‹<br />
Gladiola war ohne jede Mimik, seit sie zum Synus gehörte.<br />
Ihre Gedanken langten ohne Betonung und ohne<br />
72
Gefühl bei Anna an. ›Nicht ich bin zu dir, sondern du bist<br />
zu mir gekommen.‹<br />
Das Mädchen war erstaunt. In der Ruhe der Nacht fand<br />
sie den weiten Weg zum Synus?<br />
›Was ist mit dir, mein Kind?‹, fragte Gladiola. ›Du wirkst<br />
verstört.‹<br />
Obwohl sie nicht körperlich zugegen war, ruderte Anna<br />
mit den Armen, als versuchte sie ihr Gleichgewicht zu<br />
finden. ›Ich bin beunruhigt. Jemand war auf der Erde. Aus<br />
dem Zweiten oder Dritten Distrikt.‹<br />
›Wir wissen das, mein Kind.‹<br />
›Ihr wisst das? Und trotzdem habt ihr uns nicht informiert?‹<br />
›Dieser jemand ist keine Gefahr für euch‹, erwiderte<br />
Gladiola auf den Vorwurf.<br />
›Woher wollt ihr das wissen, Mama? Wie konnte der<br />
jemand ...‹<br />
›Gefahren drohen aus anderen Richtungen‹, empfing<br />
Anna andere Gedanken.<br />
Das Mädchen drehte sich auf der Stelle und erschrak ein<br />
wenig. ›Alyta!‹ Anna konnte diesem Mann noch immer<br />
nicht vertrauen. Auch wenn er ihr leiblicher Urgroßvater<br />
sein sollte. Sie hatte ihn umgebracht, getötet unter bestialischen<br />
Schmerzen. Und noch immer war es ihr, als würde<br />
er sich eines Tages rächen.<br />
Doch schien Alyta heute etwas zu wissen.<br />
›Was sind das für Gefahren?‹<br />
73
Alyta schwebte ein wenig davon. Gladiola hatte ihm zu<br />
verstehen gegeben, dass er dem Kind keine Angst machen<br />
sollte.<br />
›Es droht keine Gefahr‹, beruhigte sie. ›Ein einzelner<br />
Mensch entdeckte eine Schmauchspur der Heiden. Er<br />
nutzte sie und gelangte in den Ersten Distrikt. Die Spur ist<br />
unberechenbar, eines Tages wird sie verweht sein. Er<br />
wurde in andere Zeiten verschlagen.‹<br />
›Zeiten? Heiden? Schmauchspur? – Wer? Wer war es?‹<br />
Anna suchte den Blickkontakt zu Alyta, doch an dessen<br />
Stelle erschien die Gestalt von Adam. »Papa ... Alyta ... Wo<br />
... wo ist ...«, stotterte das Mädchen.<br />
›Wir sind eins, meine liebe Tochter‹, erklärte Adam. ›Ich<br />
will dir einige Dinge näher erläutern.‹<br />
Umfangreiche Informationen strömten nun in Annas<br />
Gehirn. Sie war kaum in der Lage, alles auf einmal zu<br />
erfassen. – Erschrocken schlug sie die Augen auf. Die<br />
Gestalten des Synus’ waren verschwunden. Stattdessen<br />
starrte Malte, der in Unterhosen vor dem Bett der Schwester<br />
stand, das Mädchen an. »Papa? Alyta? Wer ist wo?«<br />
Benommen rieb sich Anna die Augen. »Was ... was fragst<br />
du so blöd?«<br />
Malte setzte sich auf die Bettkante. »Du hast im Schlaf<br />
gesprochen.« Er gähnte. »Sehr laut hast du gesprochen.«<br />
Das Mädchen hob ein wenig den Oberkörper an und<br />
ließ sich wieder fallen. »Mein Kopf«, stöhnte es. »Was<br />
haben sie nur getan?«<br />
74
»Sie?«<br />
»Das verstehst du nicht«, flüsterte Anna.<br />
Malte kniff der Schwester in die Rippen und kitzelte sie,<br />
während die sich im Bett lachend hin und her warf.<br />
»Immer sagst du, dass ich nichts verstehe!«, schimpfte er.<br />
»Dabei versuchst du es erst gar nicht, mir irgendetwas zu<br />
erklären!«<br />
»Hör auf! Hör auf!« Anna kroch aus dem Bett und<br />
beruhigte sich nur allmählich. »Ich verstehe die ganzen<br />
Dinge ja selbst kaum.«<br />
Erneut näherte sich Malte der Schwester. Doch ging er<br />
an ihr vorüber und zog sich eine kurze Hose an. »Du warst<br />
also im Synus?«<br />
»Ja, ich war im Synus.« Anna gab Malte ein deutliches<br />
Zeichen, er sollte sich umdrehen. Blitzschnell schlüpfte sie<br />
aus dem dünnen Nachthemd und kleidete sich an. »Es war<br />
jemand da. Er heißt Fau Holl. Er ist M’baganianer. Er<br />
könnte noch existieren. Es gibt einen zweiten Übergang in<br />
diesen Distrikt. Doch der soll nicht permanent da sein. Sie<br />
sagten ... sie erklärten ...«, sprach Anna währenddessen.<br />
Als Malte sich wagte, die Schwester wieder anzusehen,<br />
stand die bereits mit einer derben Haarbürste vor dem<br />
Spiegel und kämmte sich. »Sie sagten ... was?«<br />
»Es gibt eine Lebensform, unvergleichbar mit Menschen<br />
oder Ikoniern ... Ich sah nur Umrisse, Muutaapa kennt sie,<br />
man nennt sie die Heiden. Sie leben in anderen Dimensionen.«<br />
75
»Ich kapiere überhaupt nichts«, stellte Malte fest.<br />
»Das habe ich doch gesagt. Du verstehst das nicht!«<br />
Anna warf die Haarbürste einfach auf ihr Bett.<br />
So leicht wollte Malte nicht aufgeben. Er stand plötzlich<br />
vor der Schwester, legte die Hände auf ihre Schultern und<br />
flüsterte. »Bitte, Anna! Erkläre es mir!«<br />
»Ich ...« Endlich lächelte das Mädchen, jedoch aus einem<br />
anderen Grund. »Später«, sagte es. »Baba kommt.«<br />
Im gleichen Moment klopfte es sanft.<br />
»Seid ihr munter?«, fragte Baba.<br />
»Komm rein!«, rief Anna.<br />
»Wisst ihr es schon?«, fragte Baba, kaum dass er im<br />
Zimmer stand.<br />
»Was?«, fragte Malte.<br />
Die hydraulischen Geräusche von M.A.M.I. näherten<br />
sich. »Guten Morgen, Kinder! Ihr solltet jetzt eure Nahrung<br />
zu euch nehmen. Ich empfehle, viel zu trinken. Die<br />
klimatischen Bedingungen des heutigen Tages entziehen<br />
euren Körpern viel Flüssigkeit.«<br />
Ganz langsam ging Anna in die Knie, während sie sich<br />
die Fäuste gegen die Schläfen drückte. Als sie endlich<br />
aufschaute, wurde Anna von Malte, Baba und M.A.M.I.<br />
angestarrt. Tränen traten aus den Augen des Mädchens,<br />
liefen langsam über ihre grünen Wangen und tropften auf<br />
den Boden. »Fau Holl ist es. Er ist auf dem Weg zu uns.<br />
Der Synus ließ ihn passieren.«<br />
Malte blinzelte aufgeregt.<br />
76
»Wie? Was?«, fragte er und blickte Baba fragend an.<br />
»Das wäre das Neue gewesen. Ein unbekanntes Schiff<br />
nähert sich der Erde und hat um Kontakt zu euch gebeten.«<br />
Keko kam mit dem Schlachtruf in den Raum gehüpft:<br />
»Ich habe großen Hunger!« Er sprang auf den Rücken von<br />
M.A.M.I., die den Jungen mit einem Arm hielt und mit<br />
dem anderen Anna aufhalf. Während der Berührung<br />
Annas ermittelte die Roboterfrau etliche Probleme und<br />
wusste sogleich, mit welchen Stoffen sie Annas Frühstück<br />
anreichern müsste.<br />
Lunken sah das blaue Licht nur für den Bruchteil einer<br />
Sekunde. Der Yaos-Junge streifte seine Kletterschuhe über<br />
und begann sogleich damit, den Kyosbaum zu erklimmen.<br />
Als er endlich oben anlangte, fand er Reese vor, die auf<br />
einem Ast saß und Kyosbeeren pflückte, gerade so, als<br />
hätte es das blaue Licht nie gegeben.<br />
»Das ist mein Baum, Lunken!«, beschwerte sich das<br />
Mädchen und baumelte mit den Beinen.<br />
Der gleichaltrige Junge stand auf demselben Ast und<br />
blickte weiter hinauf in die Krone. »Ich bin nicht zum<br />
Pflücken heraufgekommen«, flüsterte er. »Das blaue Licht<br />
hat mich gelockt.«<br />
»Du hast geträumt, Lunken«, erwiderte Reese. »Hier ist<br />
kein blaues Licht.«<br />
Behutsam ließ sich der Junge neben Reese nieder.<br />
77
»Ich habe nicht geträumt«, sprach er.<br />
Das Mädchen beobachtete Lunken ein Weilchen ganz<br />
genau. Es wusste, dass er ihm ständig hinterher schlich und<br />
gern der Freund von Reese gewesen wäre. Doch Reese war<br />
eine Eigenbrötlerin, nach Freundschaften – noch dazu mit<br />
einem Jungen – stand ihr nicht der Sinn. Was ihr jedoch<br />
unangenehm aufstieß, war, dass Lunken mehr wusste, als<br />
er zu erkennen gab. Sie fand das gespeicherte Bild des<br />
Thronarios in seinem Gehirn.<br />
»Also hast du ihn gesehen«, sagte Reese. »Du hast mich<br />
belauscht und bist mir hinterher geschlichen!«<br />
»Woher weißt du das?« Lunken war stets verwundert,<br />
dass Reese immerzu alles wusste. Sie konnte schon am<br />
Morgen sagen, was am Tag geschehen würde. »Das Ding<br />
kann fliegen und reden, nur verstehe ich es nicht. Es<br />
stammt nicht von unserem Planeten, nicht wahr?« Lunken<br />
kniff die Augen zusammen.<br />
»Du musst mir versprechen, dass du niemandem davon<br />
erzählen wirst. Sonst erzähl ich den anderen, dass du jede<br />
Nacht einmachst!«<br />
Mit offenem Mund saß der Junge da. Niemand wusste<br />
von seinem Dilemma! Niemals hätte die Mutter einem<br />
anderen davon erzählt! »Ich versprech’s«, hauchte das<br />
Kind.<br />
Reese beugte sich vor, so dass ihre Lippen Lunkens Ohr<br />
berührten. »Es ist ein fliegender Roboter. Er versteckt sich<br />
auf Proy-Drei. Sein Name ist Faarii. Er hat mir das Leben<br />
78
gerettet. Er ist mein Freund. Und eines Tages werde ich<br />
Speelz verlassen und mit ihm gehen.« Ihre Zähne bissen<br />
kurz in Lunkens Ohr. Der Junge zuckte und konnte gerade<br />
noch sein Gleichgewicht halten. »Zu niemandem ein<br />
Wort!«, forderte Reese erneut. »Und nun geh!«<br />
Wortlos begann Lunken den Abstieg. »Darf ich ihn nicht<br />
sehen?«, flüsterte er.<br />
»Später vielleicht. Aber nicht heute!«, zischte Reese ihm<br />
nach.<br />
»Nehmen wir an ...« Fau Holl hatte die Beine auf einem<br />
Aggregat abgelegt und starrte in die kugelförmige Kanzelabdeckung<br />
der Steuerzentrale der FUGBUG. »Nehmen<br />
wir an, die im Rat der Planeten vertretenen Mitglieder<br />
zahlen für ein bestimmtes Projekt – zum Beispiel für eine<br />
Reparationszahlung nach dem bestialischen Gemetzel der<br />
Lecoh-Legionäre an den Ikoniern auf Lunanova – in einen<br />
Fonds des Rates ein.«<br />
»Das müssen wir nicht annehmen, das ist so«, verbesserte<br />
Tobobo.<br />
»Nehmen wir weiter an, der Rat würde einen Teil davon<br />
für Lunanova ausgeben, für einen wesentlich größeren Teil<br />
aber würden Dinge bei der Firma ZECK eingekauft.«<br />
»Dinge?«<br />
»Ja, Dinge. Lass uns später darauf zurückkommen! –<br />
Diese Dinge bezahlt der Rat der Planeten an die Allgemeinnützliche<br />
Kooperation Für Interdistriktialen Handel.<br />
79
Der Chef der AKFIH legt die Kram in die Familienkasse,<br />
geht zu seinem Brüderchen Cropania und übergibt ihm<br />
den Wunschzettel des Bezahlenden, auf dem etliche Dinge<br />
stehen. Die Verwaltungsrechte der Finanzen des Rates<br />
liegen bei der Präsidentin und in deren Umfeld. Die<br />
wiederum hat viele politische und wirtschaftliche Probleme<br />
auf ihrem Planeten Universus. Insofern wäre es doch<br />
logisch, dass sie mit dem Geld des Rates notwendige<br />
Dinge für Universus einkauft, die auf Seido hergestellt und<br />
von der Firma ZECK nach Lunanova und anschließend<br />
nach Universus geliefert werden. Das würde bedeuten:<br />
Gewinn für ZECK, Gewinn für Universus. Nun wäre es<br />
doch höchst interessant zu wissen, was das für Dinge sind<br />
und ob es eventuell den einen oder anderen geben könnte,<br />
der mit Cropanias Familie mitverdient. – Oder?«<br />
Tobobo beobachtete Fau Holl einen Moment. »Du<br />
stellst mich auf die Probe?«, summte das Thronario<br />
schließlich. »Es ist doch einleuchtend, dass ZECK Waffen,<br />
Raumschiffe und Kriegsmaterial produziert. Ansonsten<br />
wäre der Name: Organisation zur Erschaffung hochwertiger<br />
Verteidigungsmechanismen nicht angebracht. Und falls deine<br />
andere Mutmaßung gleichbedeutend damit ist, dass ich<br />
kontrollieren soll, ob Amabo oder die Präsidentin Anteilseigner<br />
der Firma Zeck oder der AKFIH sind, so muss ich<br />
dir mitteilen, dass dies nicht der Fall ist. Alle Anteile beider<br />
Unternehmungen gehören der vornehmen ikonischen<br />
Familie Cropania.«<br />
80
»Aber?«<br />
»Ich habe nicht aber gesagt!«, erklärte Tobobo betont.<br />
»Du wolltest aber aber sagen.«<br />
Das Thronario widersprach vehement: »Nein, das wollte<br />
ich nicht.«<br />
Fau Holl beobachtete die Kontrollinstrumente über sich.<br />
Doch er blickte durch sie hindurch. Eine Pause entstand.<br />
Tobobo prüfte die Navigationsanzeigen.<br />
»Jedoch könnte es durchaus der Fall sein«, gab es<br />
schließlich eintönig von sich, »dass es universe Zuliefergesellschaften<br />
gibt, die Rohstoffe oder Bauteile an ZECK<br />
liefern, und bei denen Amabo Anteile hat, so dass er<br />
schließlich doch mitverdient.«<br />
Der M’baganianer erhob sich aus dem Sitz und baute<br />
sich direkt vor Tobobo auf, der in zwei Meter Höhe im<br />
Raum schwebte und grün schimmerte. »Nun hast du doch<br />
aber gesagt!«<br />
»Ich habe nicht aber gesagt. Ich sagte: jedoch.«<br />
Zunächst schwieg Fau Holl, als warte er auf weitere<br />
Auskünfte des Thronarios. »Was ist? Recherchierst du?«,<br />
fragte er schließlich.<br />
»Ich habe nicht aber gesagt.«<br />
»Du bist das eigensinnigste Thronario, das ich kenne!«,<br />
fluchte Fau Holl. Anschließend lachte er wiehernd auf.<br />
»Und du bist der eigensinnigste Mensch, den ich kenne«,<br />
gab Tobobo von sich und färbte seinen Korpus in ein<br />
gelbes Leuchten.<br />
81
»Wahrscheinlich passen wir deshalb so gut zusammen,<br />
weil wir so gleich sind«, stellte Fau Holl fest und ergriff das<br />
Thronario mit beiden Händen.<br />
Tobobo versuchte, sich dem kräftigen Halt zu entziehen.<br />
»Gleich?«, fragte er monoton. »Wären wir gleich, würden<br />
wir uns abstoßen. Nur weil wir sehr unterschiedlich sind,<br />
ziehen wir uns an. Ich bin ein extrem hochwertiges,<br />
äußerst intelligentes Thronario, das viele Dinge gleichzeitig<br />
erledigen kann. Du hingegen bist ein annähernd komplett<br />
aus Wasser bestehendes Etwas, dessen einziges Bestreben<br />
sein kann, weiterhin am Leben zu bleiben.«<br />
»Ich liebe die Ironie, die du versprühst, Tobobo.« Fau<br />
Holl gab das Thronario frei, das augenblicklich einen<br />
weiteren Monitor aufflackern ließ, auf dessen matter<br />
Scheibe sich sogleich eine grafische Struktur aufbaute und<br />
in deren Mittelpunkt ein Planet seine Runden drehte.<br />
»Das ist Universus«, erklärte Tobobo. »Selbst du kannst<br />
das erkennen.«<br />
Ein weiterer Planet tauchte auf.<br />
»Der vierte Planet im Universus-System ist Zarius. Einst<br />
reich an Gold, birgt der steinerne Planet – wie er auch<br />
genannt wird – unzählige Höhlen mit besonderen Edelgasen,<br />
die heute fast ausgebeutet sind. Ganz Zarius ist eine<br />
Sicherheitszone der Universen. Hier produzieren gigantische<br />
Konzerne alle möglichen Güter. Gerade eine handvoll<br />
Menschen ist zugegen, während Millionen Roboter ihr<br />
Handwerk verrichten.«<br />
82
Die universen Zeichen für BIS leuchteten auf. »Einer der<br />
auf Zarius ansässigen Konzerne nennt sich BIS. Er kam<br />
mehrmals in die Schlagzeilen, weil er während des Großen<br />
Ikonischen Krieges Waffen und Ersatzteile an die Ikonier<br />
geliefert und gleichzeitig deren Gegner – die Menschen –<br />
versorgt hatte.«<br />
»BIS?«, fragte Fau Holl. »Ist das nicht die Firma, die die<br />
Materie-Antimaterie-Waffen entwickelt hat?«<br />
»Nicht nur die, mein lieber wässriger Mensch. Fast alle<br />
modernen Vernichtungswaffen haben sie entwickelt. BIS –<br />
ausgesprochen Bellumos Industrie Services – ist hauptverantwortlich<br />
dafür, dass die Universen als die am weitesten<br />
entwickelten Menschen im Universum gehandelt werden,<br />
was ich persönlich nicht so sehe. Sie sind die Klügsten –<br />
zweifellos.« Bogenförmige Linien führten plötzlich auf<br />
dem Monitor von der Schrift BIS ins endlose Universum.<br />
»BIS unterhält Geschäftsbeziehungen zu unzähligen<br />
Planeten in beiden Distrikten. Augenscheinlich ist, dass all<br />
diese Geschäftspartner ein äußerst bedenkliches Interesse<br />
an einer gesunden Expansionspolitik hatten oder haben –<br />
sprich: Alle verfügen über einen bestens ausgestatteten<br />
Militäretat und über die entsprechende Ausrüstung.« Das<br />
Bild auf dem Monitor verschwand, nur der Textzug BIS<br />
blieb erhalten und wanderte in die Mitte des Bildes.<br />
Porträts verschiedener Menschen und Ikonier wurden<br />
eingeblendet. »Diese Leute – das kannst du nicht im weiten<br />
Netz des Universums abrufen, es kostete mich einige<br />
83
Mühe, die Daten zu erhalten – sind oder waren die<br />
Besitzer von BIS und verfügen über Anteile. Das hier ist<br />
Insaidia, dessen Anteile an seine Familie vererbt wurden,<br />
als er gerechterweise pulverisiert wurde. Das ist Amabo,<br />
Berater der Präsidentin Norana, der dich aus dem Weg<br />
räumen wollte und dem du irrsinniger Weise, gegen mein<br />
Verständnis, vom Distriktübergang erzählen musstest. Hier<br />
siehst du auch die First Lady persönlich: Norana von<br />
Universus. Doch gibt es weitere Überraschungen. Hier<br />
zum Beispiel.« Tobobo rückte ein Bild in den Vordergrund.<br />
»Ein Feese, Berater der feesischen Regierung in<br />
technologischen Fragen. Sein Name ist Faaso Rin. Wenn<br />
er wüsste, was wir wissen, er könnte nicht mehr ruhig<br />
schlafen. – Und dieser Ikonier«, das Bild vergrößerte sich,<br />
»enttäuscht mich zutiefst. Salomos von Rook, Präsident<br />
des Ikonischen Regierungsrates und Despot des Zweiten<br />
Distrikts, man sagte ihm Friedensloyalität nach. Wer hat<br />
ihn bekehrt? Schau an, selbst ein Lecoh-Legionär ist<br />
vertreten und die gesamte Regierung von Universus tritt<br />
als Anteilseigner auf, Cropania selbstverständlich auch.«<br />
Der Bildschirm erlosch. Tobobo drehte schwebend eine<br />
Runde und bremste dann direkt vor Fau Holls Augen.<br />
Seine Stimme wurde laut: »Fakt ist: BIS liefert Unmengen<br />
von militärisch nutzbaren Bauteilen über Umwege an<br />
ZECK. Fakt ist: Die Anteile von BIS haben in den letzten<br />
Monaten deutlich an Wert verloren. Fakt ist: Schuld am<br />
Wertverlust der Anteile ist der andauernde Frieden.« Und<br />
84
wesentlich leiser fragte Tobobo: »Was ist, hast du Hunger<br />
oder Durst?«<br />
Der Schmuggler gab zunächst keine Antwort, er schien<br />
in sich gekehrt.<br />
»Wir haben Seido bald erreicht«, plärrte das Thronario.<br />
Im Duplikator erschienen Speisen und Getränke.<br />
Wie ferngesteuert ging Fau Holl zum Duplikator, griff<br />
nach einem Glas und trank. Nachdem er geschluckt hatte,<br />
flüsterte er: »Was wird Amabo mit meinen Informationen<br />
tun?«<br />
»Das ist eine gute Frage.« Noch eine Runde drehte das<br />
Thronario, dann ließ es sich auf einem Aggregat nieder.<br />
»Mit ein wenig Intelligenz kannst du dir selbst eine<br />
Antwort geben. – Du solltest dich jetzt sichern.«<br />
Fau Holl nahm ein Nahrungspaket und setzte sich in den<br />
Kommandositz.<br />
Die FUGBUG wendete den Rückstoß der Triebwerke<br />
gegen die Flugrichtung und verringerte deutlich ihre<br />
Geschwindigkeit. Auf dem Hauptmonitor tauchte der<br />
Planet Seido auf. Unzählige Transportschiffe schwebten im<br />
Orbit.<br />
Norana, die Präsidentin von Universus, setzte sich<br />
erschöpft auf einen Stuhl. Am Tisch saß auch ihre Enkelin<br />
Kiwawa, die seit Stunden an einem Bild malte. Während<br />
die einfach gekleidete Frau das Kind beobachtete, näherte<br />
sich ein synthetischer Mensch, der Kybernetic Fepastel.<br />
85
»Präsidentin?«, fragte er leise.<br />
Norana schaute auf.<br />
»Die NIRAGAG auf einer sicheren Verbindung. Berater<br />
Amabo will Euch sprechen.«<br />
»Jetzt nicht«, erwiderte die Präsidentin, ohne dass sie ihre<br />
Stimme hob.<br />
Der Kybernetic verließ den Raum.<br />
Sorgfältig legte die Enkelin einen Stift ins Etui zurück.<br />
»Du hättest ruhig mit ihm reden können«, sagte das<br />
Mädchen und kuschelte sich an Norana.<br />
»Er fühlt sich in seiner Wichtigkeit bestätigt, wenn ich<br />
sofort auf Amabos Wünsche eingehe. Ich bin so selten für<br />
dich da ...«<br />
»Du kannst ihn nicht besonders leiden?«, fragte Kiwawa.<br />
Norana atmete tief durch. »Nein, ich kann ihn tatsächlich<br />
nicht besonders leiden.«<br />
Die Enkelin schaute auf. »Und warum nicht?«, fragte sie<br />
erstaunt.<br />
Lächelnd erklärte die Präsidentin: »Es gibt Menschen,<br />
mit denen muss man arbeiten, ob man es will oder nicht.<br />
Wäre das nicht der Fall, dann würde man ihnen lieber aus<br />
dem Weg gehen, mein Kind.«<br />
»Ich kenne solche Menschen auch. Mein Lehrer zum<br />
Beispiel.« Das Mädchen lächelte und hielt ihr gemaltes Bild<br />
hoch. »Erkennst du es?«<br />
Lange betrachtete Norana die Zeichnung, zwei der<br />
gewaltigen Stelzengebäude waren zu sehen, dazwischen<br />
86
eine grüne Wiese, auf der eine große und eine kleine Figur<br />
saßen. »Hilf mir, mein Schatz!«<br />
Ganz selbstverständlich erklärte das Kind: »Das rechte<br />
Gebäude ist das Sicherheitsministerium, das linke ist das<br />
Regierungsgebäude in Tafla. Dazwischen steht normalerweise<br />
das große Haus, in dem der Rat der Planeten<br />
residiert. Doch das gibt es auf meinem Bild nicht. Stattdessen<br />
die schöne Blumenwiese, auf der wir beide sitzen und<br />
uns unterhalten, denn ohne den Rat der Planeten hättest<br />
du viel mehr Zeit für mich.«<br />
Sanft streichelte die alte Frau dem Kind über den Kopf.<br />
»Du hast Recht, mein Kind. Ich habe lange darüber<br />
nachgedacht, wie ich es anstellen kann, mehr Zeit für dich<br />
zu erübrigen.« Sie flüsterte: »Das bleibt aber unser großes<br />
Geheimnis: Ich werde schon bald abdanken und in den<br />
Ruhestand gehen. Ich verkaufe meine Anteile, dann kann<br />
ich für uns beide sorgen und für dein weiteres Leben bleibt<br />
noch einiges übrig. Aber ... mit niemandem darüber reden.<br />
Sonst gibt es eine Katastrophe.«<br />
Kiwawa nickte lächelnd der Großmutter zu. »Von mir<br />
erfährt niemand etwas. Versprochen!«<br />
Fepastel kam in den Raum zurück. »Präsidentin, der<br />
Makler ist jetzt zu sprechen.«<br />
»Siehst du, mein Kind, ich hatte meinen Entschluss<br />
schon vor dem heutigen Tag gefasst.« Sie klappte einen<br />
Bildschirm auf und betätigte einige Sensoren der darin<br />
untergebrachten Tastatur. Das Bild eines älteren Ikoniers<br />
87
erschien auf dem Monitor. »Präsidentin Norana«, sprach<br />
dieser laut, »der Transfer kann erfolgen. Ich habe einen<br />
Ikonier gefunden, der Ihre Anteile zu einem halbwegs<br />
vernünftigen Preis kaufen wird. Allerdings erwartet er, dass<br />
er unerkannt bleibt, so wie das ja auch Ihr Wunsch als<br />
Verkäufer war. Sie können den Transfer – vorausgesetzt,<br />
Sie wollen das noch – jetzt sofort und elektronisch<br />
veranlassen. Die Erlöse werden Ihrem Konto gutgeschrieben,<br />
abzüglich meiner 15 Prozent Provision.« Dokumente<br />
wurden eingeblendet.<br />
Norana unterzeichnete, noch immer lächelnd, mit einem<br />
digitalen Print die Transferpapiere. »So«, sagte sie anschließend,<br />
»der erste Schritt wäre damit getan.«<br />
Das Bild des Ikoniers erschien erneut. »Es war mir eine<br />
Wohltat, für Sie gearbeitet zu haben.« Seine Stimme wurde<br />
etwas leiser, er schaute nach rechts und links und sabberte<br />
kurz. »Wisst Ihr eventuell von einem Menschen namens<br />
Fau Holl?«, fragte der Makler plötzlich.<br />
Norana verneinte erstaunt. »Wer ist das?«<br />
»Oh ... mein Einblick in die Transferforderungen erlaubte<br />
mir zu erfahren, dass dieser Mann gegenüber Berater<br />
Amabo eine Forderung von immerhin einer Million Kram<br />
stellt.«<br />
»Eine Million?«, fragte Norana überrascht. »Wofür?«<br />
»Ihr wisst das natürlich nicht von mir. – Fau Holl hat<br />
Amabo vertrauliche Informationen überlassen, für deren<br />
Übergabe Amabo eine Million Kram aus dem Vermögen<br />
88
des Rates der Planeten versprach. Doch ...« Der Makler<br />
zögerte.<br />
»Doch was?«<br />
»Doch ... da ich mich stets mit Informationen versorge,<br />
solltet ihr vielleicht Einblick in eine Sendung von IGS1<br />
nehmen. Die berichteten vor wenigen Stunden ohne<br />
Vorbehalt von der Hinrichtung Fau Holls durch die<br />
Truppen Amabos. Aber ...« Erneut ein Zögern.<br />
»Aber?«<br />
»Aber ... scheinbar stimmt etwas nicht. Zwar sah man<br />
Fau Holl bei IGS1 sterben, jedoch ging die Forderung erst<br />
später auf den Konten des Beraters ein. Eine Übertragungsverzögerung<br />
ist allerdings auszuschließen, soweit ich<br />
dies kontrollieren konnte. Nochmals die Bitte, dass die<br />
Präsidentin diese Informationen nicht von mir erhalten<br />
hat.«<br />
»Selbstverständlich. Ich danke für die Vermittlung.«<br />
Norana beendete den Kontakt. – »Kiwawa, bitte geh in<br />
dein Zimmer, ich komme gleich zu dir.«<br />
Das Mädchen sortierte ihre Zeichenutensilien, berührte<br />
liebevoll die rechte Schulter der Großmutter und verließ<br />
den Raum.<br />
»Fepastel«, sagte Norana zu ihrem Kybernetic. »Ich will<br />
den Beitrag von IGS1 sehen. Und anschließend eine<br />
Verbindung zu Amabo!«<br />
89
Anna lag rücklings auf einer Matratze, trieb im Zentrum<br />
des Pools und starrte in den Himmel, als erwarte sie bereits<br />
die Ankunft Fau Holls zu sehen, während Malte und Baba<br />
am Beckenrand saßen und die Beine im Wasser kühlten.<br />
Kozabim stand einige Schritte entfernt im Stand-by-<br />
Modus.<br />
Mit einem Glas in der Hand, das voller Eis und nur mit<br />
wenig Wasser gefüllt war, saß ein zivil und viel zu warm<br />
gekleideter schwarzer Mann auf dem Stuhl. »Wir wollen<br />
das Treffen auf dem Stützpunkt der NASA durchführen.<br />
Eure Sicherheit kann dort garantiert werden.«<br />
Anna bewegte den Körper ein wenig und erzeugte<br />
kleinste Wellen im Pool.<br />
»Ich will ihm zuerst allein gegenübertreten«, sagte sie,<br />
ohne den Mann anzusehen. Der räusperte sich und trank<br />
einen Schluck. Bevor er eine Antwort geben konnte, sagte<br />
Anna: »Nein, Sie müssen Ihre Vorgesetzten nicht erst<br />
fragen, denn ich habe mich bereits festgelegt. Nur mein<br />
Bruder darf mich begleiten. Sorgen Sie dafür, dass die<br />
Irdische Intergalaxiale Vereinigung im Orbit zugegen ist,<br />
damit Sie ihm folgen können, falls er flüchtet.«<br />
Noch einmal wollte der Mann etwas sagen. Doch bevor<br />
er sprechen konnte, schnitt ihm Anna das Wort ab. »Nein,<br />
ich brauche Ihre Waffen nicht. Ich habe eigene Waffen.<br />
Und mein Bruder auch.« Das Mädchen drehte den Kopf<br />
ein wenig und blickte zu jenem Offizier der amerikanischen<br />
Streitkräfte. »Sie können jetzt gehen.«<br />
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