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Kom 3-09:start 15.4.2007

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72<br />

<strong>Kom</strong>munal: Freizeit & Tourismus<br />

Wo Hilfe für Tourismus- und Freizeitwirtschaft ansetzen muss<br />

Gemeinden, stille Erhalter<br />

der österreichischen<br />

Identität


Nicht alle werden hoffentlich direkt<br />

betroffen sein, manche vielleicht<br />

sogar zu Krisengewinnern<br />

werden. So zu tun als wäre im<br />

Tourismus alles im Griff, weil<br />

die Menschen auf die Urlaubsreise<br />

zuletzt verzichten wollen,<br />

ist aber schlichtweg falsch.<br />

Erstens haben wir es im Urlauberverhalten<br />

mit einem interessanten<br />

Phänomen zu tun. Fragt<br />

man die Menschen wofür sie<br />

mehr Geld ausgeben wollen,<br />

wenn sie mehr Mittel, etwa ein<br />

höheres Einkommen zur Verfügung<br />

hätten, antworten sie mit<br />

den Lebensbereichen „Wohnen,<br />

Haus, Garten“<br />

und eben „Urlaubsreisen“.<br />

Auf die Gegenfrage:<br />

„Wenn<br />

das Geld knapp<br />

wird, wo fallen<br />

ihnen Einsparungen<br />

am<br />

leichtesten?“, erhalten wir an<br />

ers ter Stelle die überraschende<br />

Antwort: „Bei Urlaubsreisen“.<br />

Nur das Wohnen hat auch in Krisenzeiten<br />

oberste Priorität als<br />

Ausdruck von subjektiv empfundener<br />

Lebensqualität.<br />

Der Urlaub, als emotional wichtigste<br />

Zeit im Jahresverlauf, ist<br />

also kein Reiseselbstläufer. Was<br />

einen großen Vorteil für die<br />

<strong>Kom</strong>munal: Freizeit & Tourismus 73<br />

Alle reden von der Krise. Manchen ist es schon zuviel,<br />

manchen noch zu wenig. Faktum ist, dass die Probleme<br />

der Weltwirtschaft im Laufe des vor uns liegenden Jah-<br />

res die Realwirtschaft erreichen werden. KOMMUNAL<br />

zeigt auf, dass die Krise damit in unserem Alltag wahr-<br />

nehmbar wird.<br />

Prof. Mag. Peter Zellmann<br />

Freizeitwirtschaft ergeben kann.<br />

Der ausnahmsweise Verzicht auf<br />

die Urlaubsreise kann für Freizeit-<br />

und Ausflugsangebote der<br />

näheren Umgebung einen tollen<br />

wirtschaftlichen Impuls darstellen.<br />

Urlaub daheim bedeutet ja<br />

nicht „keinen“ Urlaub.<br />

Zweitens ist selbst die Erfolgsgeschichte<br />

der letzten Jahre in der<br />

heimischen Tourismuswirtschaft<br />

von Gegensätzen und Widersprüchen<br />

gekennzeichnet. Vor<br />

dem Gleichsetzen von Qualität<br />

und Hochpreisangeboten (etwa<br />

Vierstern plus, bzw. Fünfsternhotellerie)<br />

habe ich immer wieder<br />

gewarnt. Es ist kein Zufall,<br />

dass in den letzten Monaten die<br />

So zu tun, als wäre im Tourismus alles im<br />

Griff, weil die Menschen auf die Urlaubsreise<br />

zuletzt verzichten wollen, ist aber<br />

schlichtweg falsch.<br />

Vier- und Fünfsternkategorie<br />

der Wiener Stadthotellerie über<br />

Rückgange klagt, während sich<br />

die Zwei- und Dreisternbetriebe<br />

bzw. einfachere „Herbergen“<br />

erstmals seit langem wieder<br />

über Zuwächse freuen dürfen.<br />

Qualität heißt in erster Linie Erwartungshaltungen<br />

zu erfüllen.<br />

Das ist auch eine Frage des Preises,<br />

weniger aber der Hardware


74<br />

<strong>Kom</strong>munal: Freizeit & Tourismus<br />

(Infrastruktur) als mehr der<br />

Software (Betreuung, Gastfreundschaft,<br />

Service).<br />

An der Angebotsentwicklung<br />

müssen daher möglichst viele<br />

Bewohner einer Gemeinde,<br />

noch besser einer Region, beteiligt<br />

sein. Gastgeber sind wir in<br />

Österreich letztlich alle. Unsere<br />

Volksschulkinder müssen Gastgebergesinnung<br />

lernen: Grüßen,<br />

auf Fremde zugehen, Gäste nach<br />

Wünschen fragen, Fremd-, noch<br />

besser die Nachbarsprachen (ein<br />

wenig) können.<br />

Wiederum sind zwei<br />

Grundvoraussetzungen zu<br />

beachten<br />

Zum einen ist die Freizeit- und<br />

Tourismuswirtschaft neben der<br />

Sachgüterproduktion der wichtigste<br />

Wirtschaftszweig in Öster-<br />

An der Angebotsentwicklung müssen<br />

möglichst viele Bewohner einer Gemeinde,<br />

noch besser einer Region, beteiligt sein.<br />

Gastgeber sind wir in Österreich letztlich alle.<br />

87 Prozent der Befragten in der Modellregion meinen, dass in „ihrer Region“ fast jeder vom Tourismus<br />

wirtschaftlich abhängig ist. Österreichweit sind immerhin 71 Prozent dieser Meinung.<br />

reich. Nach Umsätzen (BIP) wie<br />

nach Arbeitsplätzen. Man kann<br />

es drehen und wenden<br />

wie man will: Jeder<br />

dritte Arbeitsplatz<br />

hängt direkt, zumindest<br />

aber indirekt mit dieser<br />

Sparte zusammen. Nur<br />

in der Tourismuswirtschaft<br />

können die Ar-<br />

beitsplätze nicht ausgelagert<br />

werden. Weil das Angebot, also<br />

die Produktionsstätten, ortsfest<br />

sind!<br />

Zum zweiten ist Freizeit- und<br />

Tourismuspolitik in erster Linie<br />

<strong>Kom</strong>munalpolitik. Hier wird die<br />

Grundlage für das Freizeitangebot<br />

der einheimischen Bevölkerung,<br />

wie auch das Ausflugsan-


gebot naher Bewohner geschaffen,<br />

das dann die beste Basis für<br />

ein gutes touristisches Angebot<br />

ist. Das nennen wir in der Fachsprache<br />

Authentizität. Dazu<br />

zählen Infrastruktur wie Angebotsinhalte.<br />

Die Gäste wollen<br />

Einheimische auf Zeit sein. Sie<br />

schätzen eher „high touch“ als<br />

„high tech“, möchten gerne in<br />

kurzer Zeit möglichst viel erleben.<br />

Das bedeutet notwendige<br />

Zusammenarbeit auf allen Ebenen<br />

der Wertschöpfungskette:<br />

Täglich im Urlaubsalltag gelebt,<br />

nicht nur als allgemeine Forderung<br />

in Strategiepapieren festgehalten.<br />

Basis und Muster für<br />

diese immer notwendiger werdenden<br />

Kooperationen sind nur<br />

auf der lokalen, betrieblichen<br />

Ebene herstellbar. Sie müssen<br />

aber durch entsprechende Maßnahmen<br />

auf politischen und gesamtwirtschaftlichen,regionalen<br />

und Landesebenen ermöglicht,<br />

gefördert und begleitet<br />

werden. Dies gilt vor allem für<br />

die Interessensvertretungen, insbesondere<br />

aber für das Einbinden<br />

der Landwirtschaft. Das<br />

Grundmuster für dieses Netz ist<br />

Prof. Mag. Peter<br />

Zellmann ist Leiter<br />

des Instituts für<br />

Freizeit- und Tourismusforschung<br />

IFT<br />

in Wien<br />

zunächst zwar nur auf der Gemeindeebene<br />

herstellbar, muss<br />

dann aber auf die Region als<br />

übergeordnete Programmangebots-<br />

und Markengemeinschaft<br />

ausgedehnt werden. Wenn wir<br />

im europäischen Tourismuskonzert<br />

wirklich und unverwechselbar<br />

wahrgenommen werden<br />

wollen, dann hat es in Österreich<br />

Platz für etwa 40 solcher<br />

Marken. Und diese werden in<br />

vielen Fällen bundesländerübergreifend<br />

gebildet werden müssen.<br />

Wien ist anders, das Zillertal<br />

eventuell autark, aber das<br />

Salzkammergut oder der Arlberg<br />

mögen als Beispiele dafür<br />

gelten. Da und dort bietet sich<br />

eine staatenübergreifende Markengemeinschaft<br />

an wenn wir<br />

etwa an Pannonien (Burgenland)<br />

oder den Alpe Adria Raum<br />

(Kärnten) denken.<br />

Der Österreichische Ge-<br />

meindebund hat diese<br />

Überlegungen gemeinsam<br />

mit dem Wirtschatsund<br />

Sozialministerium<br />

im Projekt einer Tourismusmodellregion„Neusiedler<br />

See“ untersucht.<br />

<strong>Kom</strong>munal: Freizeit & Tourismus 75<br />

Die ersten Ergebnisse dieses Modells<br />

der Entwicklung von Tourismusbewusstsein<br />

und Gastgebergesinnung<br />

in einer ganzen<br />

Region (28 Gemeinden!) sind<br />

verblüffend: Die Bevölkerung in<br />

ihrer jeweiligen Region steht der<br />

tourismuspolitischen und tourismuswirtschaftlichen<br />

Bedeutung<br />

ihres eigenen Alltags wesentlich<br />

näher als dies die Politik meist<br />

wahrhaben will. Die Strukturen<br />

in der Tourismuspolitik müssen<br />

demnach überarbeitet werden.<br />

Bund und Länder sind aufgerufen<br />

die <strong>Kom</strong>petenzen effizienter<br />

zu verteilen bzw. festzulegen.<br />

Ein Konjunkturpaket mit tourismuswirtschaftlicher<br />

Ausrichtung<br />

für die Gemeinden ist nicht nur<br />

gerechtfertigt, es ist auch sinnvoll.<br />

Gerade kleinere Gemeinden<br />

sind für die Tourismuswirtschaft<br />

von großer Bedeutung. Wenn die<br />

Nicht die am lautesten schreien, nicht die<br />

starken Lobbys, sondern die stillen Erhalter<br />

der österreichischen Identität, die Gemeinden,<br />

müssen mit „Paketen“ versorgt werden.


76<br />

<strong>Kom</strong>munal: Freizeit & Tourismus<br />

54 Prozent der Befragten in der Modellregion<br />

stimmen der Forderung<br />

einer Verbesserung des touristischen<br />

Angebots der Region zu. Dieser<br />

Meinung sind nur 39 Prozent in<br />

ganz Österreich.<br />

Gemeinden nicht investieren<br />

(können), dann sind in der Folge<br />

alle Tourismusanbieter, nicht nur<br />

die Hotellerie und Gastronomie<br />

in Mitleidenschaft gezogen.<br />

Wenn dann die Betriebe ihre Investitionsbereitschaftzurücknehmen,<br />

geraten die Tourismuswirtschaft<br />

und damit die Gesamtwirtschaft<br />

in große Turbulenzen.<br />

Dass Ausmaß der Rezession wird<br />

von den Maßnahmen dagegen<br />

mitbestimmt. Nicht die am lautesten<br />

schreien, nicht die starken<br />

Lobbys, sondern die stillen Erhalter<br />

der österreichischen Identität<br />

müssen mit „Paketen“ versorgt<br />

werden.<br />

Fazit<br />

Die Gemeinden müssen<br />

1. besonders jetzt von sich aus<br />

verstärkt auf die volkswirtschaftliche<br />

Bedeutung des<br />

Tourismus im eigenen wie im<br />

Gesamtinteresse hinweisen. Er<br />

stellt ein größeres Hoffnungspotential<br />

dar als oft angenommen,<br />

Wenn die Betriebe ihre Investitions -<br />

bereitschaft zurücknehmen, geraten die Tourismuswirtschaft<br />

und damit die<br />

Gesamtwirtschaft in große Turbulenzen.<br />

2. finanziell in die Lage versetzt<br />

werden das Fundament<br />

eines Freizeit- und Tourismus -<br />

angebotes zu bauen, aber<br />

3. veranlasst werden Markenbildungen<br />

über regionale Zusammenarbeit<br />

von entsprechen<br />

großen Einheiten (ca. drei bis<br />

vier Millionen Übernachtungen)<br />

sicher zu stellen.

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