Kom 3-09:start 15.4.2007
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<strong>Kom</strong>munal: Freizeit & Tourismus<br />
Wo Hilfe für Tourismus- und Freizeitwirtschaft ansetzen muss<br />
Gemeinden, stille Erhalter<br />
der österreichischen<br />
Identität
Nicht alle werden hoffentlich direkt<br />
betroffen sein, manche vielleicht<br />
sogar zu Krisengewinnern<br />
werden. So zu tun als wäre im<br />
Tourismus alles im Griff, weil<br />
die Menschen auf die Urlaubsreise<br />
zuletzt verzichten wollen,<br />
ist aber schlichtweg falsch.<br />
Erstens haben wir es im Urlauberverhalten<br />
mit einem interessanten<br />
Phänomen zu tun. Fragt<br />
man die Menschen wofür sie<br />
mehr Geld ausgeben wollen,<br />
wenn sie mehr Mittel, etwa ein<br />
höheres Einkommen zur Verfügung<br />
hätten, antworten sie mit<br />
den Lebensbereichen „Wohnen,<br />
Haus, Garten“<br />
und eben „Urlaubsreisen“.<br />
Auf die Gegenfrage:<br />
„Wenn<br />
das Geld knapp<br />
wird, wo fallen<br />
ihnen Einsparungen<br />
am<br />
leichtesten?“, erhalten wir an<br />
ers ter Stelle die überraschende<br />
Antwort: „Bei Urlaubsreisen“.<br />
Nur das Wohnen hat auch in Krisenzeiten<br />
oberste Priorität als<br />
Ausdruck von subjektiv empfundener<br />
Lebensqualität.<br />
Der Urlaub, als emotional wichtigste<br />
Zeit im Jahresverlauf, ist<br />
also kein Reiseselbstläufer. Was<br />
einen großen Vorteil für die<br />
<strong>Kom</strong>munal: Freizeit & Tourismus 73<br />
Alle reden von der Krise. Manchen ist es schon zuviel,<br />
manchen noch zu wenig. Faktum ist, dass die Probleme<br />
der Weltwirtschaft im Laufe des vor uns liegenden Jah-<br />
res die Realwirtschaft erreichen werden. KOMMUNAL<br />
zeigt auf, dass die Krise damit in unserem Alltag wahr-<br />
nehmbar wird.<br />
Prof. Mag. Peter Zellmann<br />
Freizeitwirtschaft ergeben kann.<br />
Der ausnahmsweise Verzicht auf<br />
die Urlaubsreise kann für Freizeit-<br />
und Ausflugsangebote der<br />
näheren Umgebung einen tollen<br />
wirtschaftlichen Impuls darstellen.<br />
Urlaub daheim bedeutet ja<br />
nicht „keinen“ Urlaub.<br />
Zweitens ist selbst die Erfolgsgeschichte<br />
der letzten Jahre in der<br />
heimischen Tourismuswirtschaft<br />
von Gegensätzen und Widersprüchen<br />
gekennzeichnet. Vor<br />
dem Gleichsetzen von Qualität<br />
und Hochpreisangeboten (etwa<br />
Vierstern plus, bzw. Fünfsternhotellerie)<br />
habe ich immer wieder<br />
gewarnt. Es ist kein Zufall,<br />
dass in den letzten Monaten die<br />
So zu tun, als wäre im Tourismus alles im<br />
Griff, weil die Menschen auf die Urlaubsreise<br />
zuletzt verzichten wollen, ist aber<br />
schlichtweg falsch.<br />
Vier- und Fünfsternkategorie<br />
der Wiener Stadthotellerie über<br />
Rückgange klagt, während sich<br />
die Zwei- und Dreisternbetriebe<br />
bzw. einfachere „Herbergen“<br />
erstmals seit langem wieder<br />
über Zuwächse freuen dürfen.<br />
Qualität heißt in erster Linie Erwartungshaltungen<br />
zu erfüllen.<br />
Das ist auch eine Frage des Preises,<br />
weniger aber der Hardware
74<br />
<strong>Kom</strong>munal: Freizeit & Tourismus<br />
(Infrastruktur) als mehr der<br />
Software (Betreuung, Gastfreundschaft,<br />
Service).<br />
An der Angebotsentwicklung<br />
müssen daher möglichst viele<br />
Bewohner einer Gemeinde,<br />
noch besser einer Region, beteiligt<br />
sein. Gastgeber sind wir in<br />
Österreich letztlich alle. Unsere<br />
Volksschulkinder müssen Gastgebergesinnung<br />
lernen: Grüßen,<br />
auf Fremde zugehen, Gäste nach<br />
Wünschen fragen, Fremd-, noch<br />
besser die Nachbarsprachen (ein<br />
wenig) können.<br />
Wiederum sind zwei<br />
Grundvoraussetzungen zu<br />
beachten<br />
Zum einen ist die Freizeit- und<br />
Tourismuswirtschaft neben der<br />
Sachgüterproduktion der wichtigste<br />
Wirtschaftszweig in Öster-<br />
An der Angebotsentwicklung müssen<br />
möglichst viele Bewohner einer Gemeinde,<br />
noch besser einer Region, beteiligt sein.<br />
Gastgeber sind wir in Österreich letztlich alle.<br />
87 Prozent der Befragten in der Modellregion meinen, dass in „ihrer Region“ fast jeder vom Tourismus<br />
wirtschaftlich abhängig ist. Österreichweit sind immerhin 71 Prozent dieser Meinung.<br />
reich. Nach Umsätzen (BIP) wie<br />
nach Arbeitsplätzen. Man kann<br />
es drehen und wenden<br />
wie man will: Jeder<br />
dritte Arbeitsplatz<br />
hängt direkt, zumindest<br />
aber indirekt mit dieser<br />
Sparte zusammen. Nur<br />
in der Tourismuswirtschaft<br />
können die Ar-<br />
beitsplätze nicht ausgelagert<br />
werden. Weil das Angebot, also<br />
die Produktionsstätten, ortsfest<br />
sind!<br />
Zum zweiten ist Freizeit- und<br />
Tourismuspolitik in erster Linie<br />
<strong>Kom</strong>munalpolitik. Hier wird die<br />
Grundlage für das Freizeitangebot<br />
der einheimischen Bevölkerung,<br />
wie auch das Ausflugsan-
gebot naher Bewohner geschaffen,<br />
das dann die beste Basis für<br />
ein gutes touristisches Angebot<br />
ist. Das nennen wir in der Fachsprache<br />
Authentizität. Dazu<br />
zählen Infrastruktur wie Angebotsinhalte.<br />
Die Gäste wollen<br />
Einheimische auf Zeit sein. Sie<br />
schätzen eher „high touch“ als<br />
„high tech“, möchten gerne in<br />
kurzer Zeit möglichst viel erleben.<br />
Das bedeutet notwendige<br />
Zusammenarbeit auf allen Ebenen<br />
der Wertschöpfungskette:<br />
Täglich im Urlaubsalltag gelebt,<br />
nicht nur als allgemeine Forderung<br />
in Strategiepapieren festgehalten.<br />
Basis und Muster für<br />
diese immer notwendiger werdenden<br />
Kooperationen sind nur<br />
auf der lokalen, betrieblichen<br />
Ebene herstellbar. Sie müssen<br />
aber durch entsprechende Maßnahmen<br />
auf politischen und gesamtwirtschaftlichen,regionalen<br />
und Landesebenen ermöglicht,<br />
gefördert und begleitet<br />
werden. Dies gilt vor allem für<br />
die Interessensvertretungen, insbesondere<br />
aber für das Einbinden<br />
der Landwirtschaft. Das<br />
Grundmuster für dieses Netz ist<br />
Prof. Mag. Peter<br />
Zellmann ist Leiter<br />
des Instituts für<br />
Freizeit- und Tourismusforschung<br />
IFT<br />
in Wien<br />
zunächst zwar nur auf der Gemeindeebene<br />
herstellbar, muss<br />
dann aber auf die Region als<br />
übergeordnete Programmangebots-<br />
und Markengemeinschaft<br />
ausgedehnt werden. Wenn wir<br />
im europäischen Tourismuskonzert<br />
wirklich und unverwechselbar<br />
wahrgenommen werden<br />
wollen, dann hat es in Österreich<br />
Platz für etwa 40 solcher<br />
Marken. Und diese werden in<br />
vielen Fällen bundesländerübergreifend<br />
gebildet werden müssen.<br />
Wien ist anders, das Zillertal<br />
eventuell autark, aber das<br />
Salzkammergut oder der Arlberg<br />
mögen als Beispiele dafür<br />
gelten. Da und dort bietet sich<br />
eine staatenübergreifende Markengemeinschaft<br />
an wenn wir<br />
etwa an Pannonien (Burgenland)<br />
oder den Alpe Adria Raum<br />
(Kärnten) denken.<br />
Der Österreichische Ge-<br />
meindebund hat diese<br />
Überlegungen gemeinsam<br />
mit dem Wirtschatsund<br />
Sozialministerium<br />
im Projekt einer Tourismusmodellregion„Neusiedler<br />
See“ untersucht.<br />
<strong>Kom</strong>munal: Freizeit & Tourismus 75<br />
Die ersten Ergebnisse dieses Modells<br />
der Entwicklung von Tourismusbewusstsein<br />
und Gastgebergesinnung<br />
in einer ganzen<br />
Region (28 Gemeinden!) sind<br />
verblüffend: Die Bevölkerung in<br />
ihrer jeweiligen Region steht der<br />
tourismuspolitischen und tourismuswirtschaftlichen<br />
Bedeutung<br />
ihres eigenen Alltags wesentlich<br />
näher als dies die Politik meist<br />
wahrhaben will. Die Strukturen<br />
in der Tourismuspolitik müssen<br />
demnach überarbeitet werden.<br />
Bund und Länder sind aufgerufen<br />
die <strong>Kom</strong>petenzen effizienter<br />
zu verteilen bzw. festzulegen.<br />
Ein Konjunkturpaket mit tourismuswirtschaftlicher<br />
Ausrichtung<br />
für die Gemeinden ist nicht nur<br />
gerechtfertigt, es ist auch sinnvoll.<br />
Gerade kleinere Gemeinden<br />
sind für die Tourismuswirtschaft<br />
von großer Bedeutung. Wenn die<br />
Nicht die am lautesten schreien, nicht die<br />
starken Lobbys, sondern die stillen Erhalter<br />
der österreichischen Identität, die Gemeinden,<br />
müssen mit „Paketen“ versorgt werden.
76<br />
<strong>Kom</strong>munal: Freizeit & Tourismus<br />
54 Prozent der Befragten in der Modellregion<br />
stimmen der Forderung<br />
einer Verbesserung des touristischen<br />
Angebots der Region zu. Dieser<br />
Meinung sind nur 39 Prozent in<br />
ganz Österreich.<br />
Gemeinden nicht investieren<br />
(können), dann sind in der Folge<br />
alle Tourismusanbieter, nicht nur<br />
die Hotellerie und Gastronomie<br />
in Mitleidenschaft gezogen.<br />
Wenn dann die Betriebe ihre Investitionsbereitschaftzurücknehmen,<br />
geraten die Tourismuswirtschaft<br />
und damit die Gesamtwirtschaft<br />
in große Turbulenzen.<br />
Dass Ausmaß der Rezession wird<br />
von den Maßnahmen dagegen<br />
mitbestimmt. Nicht die am lautesten<br />
schreien, nicht die starken<br />
Lobbys, sondern die stillen Erhalter<br />
der österreichischen Identität<br />
müssen mit „Paketen“ versorgt<br />
werden.<br />
Fazit<br />
Die Gemeinden müssen<br />
1. besonders jetzt von sich aus<br />
verstärkt auf die volkswirtschaftliche<br />
Bedeutung des<br />
Tourismus im eigenen wie im<br />
Gesamtinteresse hinweisen. Er<br />
stellt ein größeres Hoffnungspotential<br />
dar als oft angenommen,<br />
Wenn die Betriebe ihre Investitions -<br />
bereitschaft zurücknehmen, geraten die Tourismuswirtschaft<br />
und damit die<br />
Gesamtwirtschaft in große Turbulenzen.<br />
2. finanziell in die Lage versetzt<br />
werden das Fundament<br />
eines Freizeit- und Tourismus -<br />
angebotes zu bauen, aber<br />
3. veranlasst werden Markenbildungen<br />
über regionale Zusammenarbeit<br />
von entsprechen<br />
großen Einheiten (ca. drei bis<br />
vier Millionen Übernachtungen)<br />
sicher zu stellen.