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Geleitwort – Persönliche Erfahrung und Geschichte

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Andreas Frewer<br />

Zwar hatte bereits 1990 die Volkskammer der DDR ein Rehabilitierungsgesetz<br />

verabschiedet, das eine Anerkennung von strafrechtlich verfolgten politischen<br />

Opfern vorsah, Relevanz in der Praxis erhielt dieses Gesetz vor dem Beitritt der<br />

DDR zur BRD jedoch nicht mehr. Teile der Regelungen gingen in b<strong>und</strong>esdeutsche<br />

Gesetze ein, aber Komplexität <strong>und</strong> Unwägbarkeit der juristischen wie auch<br />

ökonomischen Konsequenzen erschwerten eine umfassende Regelung. Im Jahr<br />

1992 hat der Deutsche B<strong>und</strong>estag ein erstes SED-Unrechtsbereinigungsgesetz<br />

verabschiedet, das strafrechtliche Aspekte <strong>und</strong> Rehabilitierung beinhaltete.<br />

Seither sind diese Gesetze wiederholt modifiziert worden, erst 2007 wurden<br />

Vorschriften über Zuwendungen für Opfer einer mindestens halbjährlichen<br />

Haftphase integriert. Die zunächst nur bis Ende 1994 geplante Antragsfrist ist<br />

mittlerweile bis zum 31. Dezember 2011 verlängert worden.<br />

Politische Motive, Ursachen <strong>und</strong> Bedingungen der Haft in Anstalten der DDR<br />

waren häufig hochproblematisch, Folgen durch die Ungerechtigkeit von Verfahren<br />

<strong>und</strong> Verurteilungen wie auch durch das Verhalten der Behörden gravierend.<br />

Bis zu 300.000 Menschen sowie ihre Familien oder Fre<strong>und</strong>eskreise waren <strong>–</strong><br />

<strong>und</strong> sind <strong>–</strong> betroffen. Manche Opfer wurden während der Haft misshandelt,<br />

gefoltert oder sogar mit dem Tod bedroht. Medizin <strong>und</strong> ärztlich-psychologische<br />

Aspekte spielen zudem eine besondere Rolle, wenn bei Krankheiten <strong>und</strong><br />

schwierigen Bedingungen in der Haft adäquate Hilfe <strong>und</strong> ges<strong>und</strong>heitliche Behandlung<br />

vorenthalten wurde. Beeinträchtigungen <strong>und</strong> Folgen der Haftzeit<br />

waren in der Regel so schwerwiegend, dass der weitere Lebensweg von Betroffenen<br />

außerordentlich belastet <strong>und</strong> unwiederbringlich geprägt wurde. Die im<br />

vorliegenden Band dargestellten Biographien spiegeln diese zerstörerische<br />

staatliche <strong>und</strong> ideologisch-politische Beeinflussung. Die zugr<strong>und</strong>e liegende<br />

Studie von Kornelia Beer, Gregor Weißflog, Matthias Pfüller <strong>und</strong> den beteiligten<br />

Kollegen nimmt sich des geschehenen Unrechts auf mehreren Ebenen an: Den<br />

Opfern zuhören, ihre <strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> das Leiden aufnehmen sowie auch in<br />

übergreifender Form weitergeben <strong>–</strong> dies sind wichtige Schritte für Betroffene,<br />

Gesellschaft <strong>und</strong> Wissenschaft. Gleichzeitig werden die historisch-politischen<br />

Rahmenbedingungen hinsichtlich des strafrechtlichen Systems in der DDR rekonstruiert,<br />

um den Kontext für die individuellen Lebensgeschichten <strong>und</strong><br />

schwierigen Hafterfahrungen zu zeigen.<br />

Die Identität der betroffenen Opfer wurde gr<strong>und</strong>legend <strong>und</strong> nachhaltig angegriffen;<br />

vielleicht kann das entstandene Leid <strong>und</strong> das Zerbrechen von Persönlichkeiten<br />

annähernd im Spiegel der Kunst dargestellt werden. Das expressionistische<br />

Titelbild des Bandes von Ernst Ludwig Kirchner (1880 <strong>–</strong>1938) bietet<br />

dafür einige Ansatzpunkte. Kirchner ist zudem ein besonderes Beispiel für die<br />

Verbindung des Künstlers zur Heilkunst: Seine dramatischen <strong>Erfahrung</strong>en <strong>und</strong><br />

nicht verarbeitete Erlebnisse aus dem Ersten Weltkrieg führten zu Lebenskrisen,<br />

Nervenzusammenbrüchen <strong>und</strong> wiederholten Klinikaufenthalten.

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