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b - Didaktische Analyse von Musik

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Hubert Wißkirchen 26.02.2012Wie sehr diese Botschaft des Songs provozierte, zeigte sich an den vielen damals erhobenen Vorwürfen aus dem linken Spektrum.John Lennons Text unterscheidet sich eklatant vom mainstream seiner Generation. Er argumentiert nicht ideologisch. Er verurteiltblinden Hass, der die bestehenden Strukturen bis hin zur Verfassung radikal zerstören will, ebenso wie den gleichmacherischenHerdentrieb, der alle mit der Mao-Bibel unterwegs sein lässt. Dabei findet auch er sich nicht mit den gegebenen Verhältnissen ab.Auch er will die Welt verändern, aber nicht mit Gewalt, sondern mit Vertrauen auf das Gute und mit moralischer Überzeugung.Nicht die Institutionen gilt es in erster Linie zu ändern, sondern die Hirne.Das galt als ein unakzeptabel abgewogener bürgerlicher Standpunkt. Und da nicht sein konnte, was nicht sein durfte, hat manzumindest für die <strong>Musik</strong> einen radikal-revolutionären Gestus reklamiert. Ganz überzeugend scheint das aber auch nicht.John Lennons Song ist im Kern eine Blues-Nummer. Das sieht vor man an den ternären Shuffle-Rhythmen und der Bluesharmonik:Die 'normale' 12taktige Bluesformel lautet in A-Dur:A A A A / D D A A / E E A Adaraus macht Lennon im 1. Teil der Strophe (T. 5-18) eine zweiteilige Form:A A A D D A A / A A A D D E ENicht nur die Akkordfolge wird abgewandelt, sondern auch die Taktordnung wird gestört.Im 2. Teil der Strophe tritt gelegentlich an die Stelle der Subdominante D die Subdominantparallele h, und es kommt in T 22/23 zueinem harmonischen Ausbruch aus den engen Grenzen der Bluesformel. Ist das eine witzige Anspielung auf das "count me out"?Lennon geht also sehr kreativ und originell mit den benutzten Modellen um.Aber rebellisch ist das nicht.Die melodische Kontur ist eher leicht und schwebend, vor allem wegen der vielen pentatonischen (spannungslosen) Passagen (T. 5-8,12-15, 19-20, 24-30).Immer wieder hat man versucht, auch den Text zu 'retten'. Ein besonders bezeichnendes Beispiel dafür ist der oben abgedruckte Text<strong>von</strong> Dörte Hartwich-Wiechell.John Lennon sah in seiner <strong>Musik</strong> nicht eine agitatorische Waffe für einen ideologischen Feldzug, sondern ein Ferment, dass dieHerzen und Hirne der Menschen öffnen und so zu Veränderungen führen könne. Deshalb hat er in "Revolution 9" noch einmal aufspektakuläre Weise - ästhetisch revolutionär - auf die <strong>von</strong> Rebell (s. o.) beschriebenen schlimmen Verhältnisse reagiert. Wie schonin "A Day in the Life" (1967) - aber noch viel intensiver - orientiert er sich hier an der musikalischen Avantgarde, indem er eineKlangcollage schreibt. Vorbilder waren:- die musique concrète eines Pierre Schäffer, der seit den 1940er Jahren die neuen technischen Möglichkeiten des Tonbandesnutzte, um völlig neuartige Klangexperimente mit Natur- und Alltagsgeräuschen, aber auch mit <strong>Musik</strong>ausschnitten zu machen,die ästhetisch vergleichbar sind mit der Collagentechnik der Malerei,- die elektronischen Kompositionen Karlheinz Stockhausens, der 1966-67 seine "Hymnen" schrieb, in denen er Verfahren dermusique concréte und der elektronischen <strong>Musik</strong> vereinigte.In "Revolution 9" versucht Lennon (zusammen mit seiner Freundin Yoko Ono) wie Stockhausen in seinen Hymnen eine disparatePluralität zur Einheit zu binden und eine nonverbale Botschaft für ein neues multipolares Welt-Bewusstsein zu formulieren. Alleinschon die Ausmaße des Werks - mit 8`22 Minuten ist das längste Stück der Beatles - verdeutlichen den Anspruch.Das Stück beginnt mit zwei männlichen Sprech-Stimmen. Darauf (T. 2-19) hört man John Lennon am Klavier. Er spielt einenlangsamen, zart- elegischen Walzer. Dazu repetiert eine männliche Stimme "Number 9" (T. 2-11). Dieses kurze Sample ist um eineAchtel kürzer als die 3/4-Takt-Muster des Klaviers, verschiebt sich also metrisch dauernd gegenüber dem Klavier. Nach dem relativkonventionellen Klavierwalzer treten (T. 12 ff.) andere (synthetische) Instrumente mit unkonventionelleren Motiven auf: zunächstdie Klarinetten, dann Streicher. Neben der chromatischen Aufwärtsleiter /T. 14/15 gibt es auch Glissandi und verschiedene andereEffekte. Alle genannten Motive treten im Laufe des Stückes in veränderten Konstellationen immer wieder auf und garantieren damiteinen strukturellen Zusammenhang. Auch kleine, zunächst nebensächlich erscheinende Figuren wie die <strong>von</strong> T. 16 erhalten dabei eine'thematische" Funktion.Die Fülle der verwendeten Materialien ist schier endlos: Ausschnitte aus <strong>Musik</strong>stücken unterschiedlichster Art (z. B. Chorklänge ausklassischer Kirchenmusik, ein jüdisches Lied, Zitate aus eigenen Songs, z. B. aus "Revolution" und "While My Guitar GentlyWeeps"), Umweltgeräusche (z. B. Maschinen, Schlachtenlärm aus einem Kriegsfilm, Flughafendurchsage, Gekicher, Applaus,gesprochene Worte usw.).Um eine Vorstellung <strong>von</strong> den damaligen technischen Grundlagen der Erstellung solcher Klanglandschaften zu bekommen, lohnt sichdie Lektüre des Wikipedia-Artikels über das Mellotron. 20Die banale Frage "Was hat John Lennon sich dabei gedacht" und "Welche konkrete politische Botschaft enthält das Stück" geht <strong>von</strong>der falschen Voraussetzung aus, dass die <strong>Musik</strong> die Eins-zu-eins-Übersetzung einer politischen Argumentation ist. So unterkomplexist der Schaffensprozess eines Künstlers nicht. Die Botschaft besteht nicht in mit Worten formulierbaren konkreten Statements,sondern in einer vielschichtigen, vor allem nonverbaler Bedeutungsgenerierung, in der es in erster Linie um ästhetische Imaginationgeht, die allerdings beim Hörer Reaktionen auslöst, die auch zur Modifikation und Erweiterung politischer Vorstellungen führenkönnen. John Lennons 'Spielereien' mit den neuen technischen Möglichkeiten und avantgardistischen musikalischen Ideen hängtnatürlich auch zusammen mit einer neuen Sicht auf den Menschen und die Gesellschaft.Robert Schumann (1839, in einem Brief an Heinrich Dorn): 21"Ungeschickteres und Bornierteres ist mir aber nicht leicht vorgekommen, als es Rellstab über meine Kinderszenengeschrieben. Der meint wohl, ich stelle mir ein schreiendes Kind hin und suche die Töne danach. Umgekehrt ist es -: dieÜberschriften entstanden natürlich später und sind eigentlich nichts als feinere Fingerzeige für Vortrag undAuffassung."20 http://de.wikipedia.org/wiki/Mellotron21 Zit. nach Rudolf Steglich: Robert Schumanns Kinderszenen, Kassel 1949, S. 549

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