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Islam und Europa - Robert Bosch Stiftung

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<strong>Europa</strong> bauen, den Wandel gestalten<strong>Islam</strong> <strong>und</strong> <strong>Europa</strong> –ohne Dialog keine ZukunftMahmoud Hamdi ZakzoukEinführung: Heiner Gutberlet


<strong>Europa</strong> bauen, den Wandel gestaltenProfessor Dr. Mahmoud Hamdi Zakzouk, Minister für religiöseAngelegenheiten (Awkaf) der Arabischen RepublikÄgypten, setzte am 11. Juni 2002 in der Alten Reithalle inStuttgart die Vortragsreihe der <strong>Robert</strong> <strong>Bosch</strong> <strong>Stiftung</strong>„<strong>Europa</strong> bauen, den Wandel gestalten“ fort mit dem Thema„<strong>Islam</strong> <strong>und</strong> <strong>Europa</strong> – ohne Dialog keine Zukunft“. DerPräsident des Höchsten <strong>Islam</strong>ischen Rats in Ägypten wiesauf die Dialogbereitschaft seiner Religion hin: „Der <strong>Islam</strong>fordert ausdrücklich zu einem vernünftigen Dialog auf. DieGr<strong>und</strong>werte aller Religionen sind die gleichen.“ Weiter sagteZakzouk, daß der Koran die Religionen zu „einem fruchtbarenWettbewerb um das Gute“ auffordere. Gegen alle Feindbilder,gegen Ignoranz, gegen „müde Gleichgültigkeit“ warbZakzouk für das Miteinander.Heiner Gutberlet, Vorsitzender des Kuratoriums, wies inseiner Einführung darauf hin, daß „Dialog <strong>und</strong> produktiveAuseinandersetzung gerade auch mit dem <strong>Islam</strong> in all seinenErscheinungsformen <strong>und</strong> Ausprägungen“ nach den Ereignissendes 11. September wichtiger denn je seien.


Dr. Heiner GutberletEinführungIm Namen der <strong>Robert</strong> <strong>Bosch</strong> <strong>Stiftung</strong> begrüße ich Sie zueinem weiteren Vortrag in unserer Reihe „<strong>Europa</strong> bauen,den Wandel gestalten“.Besonders freue ich mich, Seine Exzellenz Herrn ProfessorDr. Mahmoud Hamdi Zakzouk, Minister für religiöseAngelegenheiten der Arabischen Republik Ägypten, begrüßenzu können, der heute zu uns sprechen wird über dasThema „Der <strong>Islam</strong> <strong>und</strong> <strong>Europa</strong> – ohne Dialog keine Zukunft“.Ferner begrüße ich Seine Exzellenz Herrn MohamedAl-Orabi, den Botschafter der Arabischen Republik Ägyptenin Deutschland. Seien Sie uns herzlich willkommen.Wie aktuell unser heutiges Thema ist <strong>und</strong> wie groß dasInteresse an Informationen aus erster Hand hierzu ist, zeigtdie außerordentlich große Resonanz auf unsere Einladung.Nachdem über 800 Anmeldungen eingegangen waren, entschlossenwir uns, die Veranstaltung vom Neuen Schloß indie Alte Reithalle zu verlegen, um allen Interessierten dieGelegenheit zu geben, den Vortrag mitzuerleben.Meine Damen <strong>und</strong> Herren, unsere Vortragsreihe „<strong>Europa</strong>bauen, den Wandel gestalten“ verfolgt das Ziel, den europäischenStandort <strong>und</strong> die Identität <strong>Europa</strong>s im Dialog mitden Staaten <strong>und</strong> Wertordnungen Asiens, Afrikas <strong>und</strong> Amerikaszu erörtern <strong>und</strong> zu einer neuen Positionierung <strong>Europa</strong>sbeizutragen.Der <strong>Stiftung</strong>svortrag von Professor Hamilton im Dezembervergangenen Jahres hat uns aus amerikanischer Sichtsehr eindringlich vermittelt, wie sich die Verhältnisse veränderthaben <strong>und</strong> wie wichtig neue Ansätze sind für ein7


friedliches Miteinander der Kulturen, oder, wie er es formulierte,„Die Zukunft ist nicht mehr, was sie war“. Ich glaube,daß dies ganz besonders auch für unsere Beziehungen zurislamisch geprägten Welt gilt.Die Ereignisse des 11. September <strong>und</strong> die weltpolitischeEntwicklung im Gefolge dieser Anschläge haben uns auf dramatischeWeise den Blick dafür geschärft, daß Dialog <strong>und</strong>produktive Auseinandersetzung gerade auch mit dem <strong>Islam</strong>in all seinen Erscheinungsformen <strong>und</strong> Ausprägungen heutewichtiger denn je sind.Es war nie hilfreich, von einem „Kampf der Kulturen“ zusprechen. Gefragt sind differenzierte Sichtweisen <strong>und</strong> dieFähigkeit zum Zuhören. Auch die europäischen Nationen erhebenmit gutem Gr<strong>und</strong> den Anspruch, im fortschreitendenProzeß der europäischen Einigung weiter in ihrer Individualität,in ihrer regionalen <strong>und</strong> kulturellen Vielfalt wahrgenommen<strong>und</strong> respektiert zu werden. „<strong>Europa</strong> bauen“ –dies kann ja nicht heißen, daß die Menschen sich in demgemeinsamen Haus <strong>Europa</strong> am Ende selbst nicht mehrwiedererkennen können. Wir sind gut beraten, diese Einsichtin die Notwendigkeit der Vielfalt <strong>und</strong> den Respekt vor Traditionenauch auf unser Verhältnis mit benachbarten Zivilisationenzu übertragen. Nur so kann es uns gelingen, auch mitden Nachbarn <strong>Europa</strong>s in der islamischen Welt einenzukunftsfähigen Dialog zu pflegen.Der <strong>Islam</strong> ist eine der großen monotheistischen Religionender Erde. <strong>Europa</strong> verdankt dem <strong>Islam</strong> von seinen Anfängenbis heute viele Impulse. Bedeutende Zentren islamischerGelehrsamkeit vermittelten die geistige Überlieferungder griechischen Antike an das christliche <strong>Europa</strong>. MuslimischeGelehrte entwickelten das algebraische System, <strong>und</strong>ihnen verdanken wir die Erkenntnisse über die elliptischenUmlaufbahnen in der Astronomie. Wörter arabischen Ursprungsfinden wir noch heute in den europäischen Sprachen.Literatur, Kunst <strong>und</strong> Architektur aus der islamischgeprägten Welt haben die Kultur der europäischen Nationenvielfältig bereichert. Das Christentum teilt mit dem <strong>Islam</strong>viele Normen <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>werte, die menschliches Zusammenlebenüberhaupt erst ermöglichen.In <strong>Europa</strong> leben heute 13 Millionen Muslime, ihre aktuelleZahl in Deutschland liegt bei 3,2 Millionen. Damit bildendie Muslime heute die zweitgrößte Religionsgemeinschaft inDeutschland. Dies ist eine besondere Herausforderung, mitder wir uns weiter positiv auseinandersetzen müssen. Eingedeihliches Miteinander wird sich nur weiterentwickelnkönnen, wenn wir im eigenen Land unsere Normen <strong>und</strong>Werte, unsere Sprache <strong>und</strong> unsere Traditionen kennen <strong>und</strong>ernst nehmen <strong>und</strong> wenn wir zugleich mit Neugier, mitAufgeschlossenheit <strong>und</strong> mit Toleranz unseren muslimischenMitbürgern begegnen.Es ist uns eine besondere Freude, daß wir Sie, verehrterHerr Minister Zakzouk, gewinnen konnten, zu uns zu sprechen.Sie sind ein Fre<strong>und</strong> <strong>und</strong> Kenner unseres Landes. Siesprechen, wie Sie in einem Interview mit deutschen Journalistensagten, „die Sprache Goethes <strong>und</strong> Lessings“.Herr Minister Professor Zakzouk hat an der berühmtestenUniversität der islamischen Welt, der Azhar-Universitätin Kairo studiert <strong>und</strong> dann in München an der Ludwig-Maximilians-Universität, wo er auch zum Doktor der Philosophiepromovierte. Professor Zakzouk wirkte fast dreiJahrzehnte als akademischer Lehrer, Dekan <strong>und</strong> als Vizepräsidentder Azhar-Universität, ferner auch als Gastprofessorin Libyen <strong>und</strong> in Katar. Seit 1996 ist er Minister für religiöseAngelegenheiten der Arabischen Republik Ägypten.Damit unterstehen ihm alle etwa 40 000 Moscheen desLandes.89


Sie haben sich, verehrter Herr Minister Zakzouk, in Ihremwissenschaftlichen Werk immer wieder mit der Rolle des<strong>Islam</strong>s in der Entwicklung des philosophischen Denkens auseinandergesetzt.Sie sind verwurzelt in der islamischen Kultur<strong>und</strong> im islamischen Glauben. Und zugleich haben Siegeistige Brücken gebaut zum Erbe der europäischen Philosophie.Ihr Buch „Fragen zum Thema <strong>Islam</strong>“ weist Sie alseinen Denker aus, der sich dem Frieden, der Freiheit, derMenschenwürde <strong>und</strong> der Toleranz verpflichtet weiß <strong>und</strong>der danach Ausschau hält, was Menschen jenseits der Unterschiededes Glaubens miteinander verbindet <strong>und</strong> zumDialog befähigt. Sie schreiben: „Der <strong>Islam</strong> verlangt vomMenschen, daß er seinen Verstand benutzt <strong>und</strong> über dieSchöpfung nachdenkt.“Wir begrüßen in Ihnen, sehr verehrter Herr Minister,aber auch den Staatsmann eines Landes, mit dem wirDeutsche fre<strong>und</strong>schaftlich verb<strong>und</strong>en sind. Ägypten ist dasbei weitem bedeutendste Land der arabischen Welt. UnsereLänder verbindet der politische Wille, zu einer friedlichenLösung des schmerzlichen Konflikts im Nahen Osten nachKräften beizutragen.Die bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland <strong>und</strong>Ägypten sind eng <strong>und</strong> vertrauensvoll <strong>und</strong> haben eine langeTradition. Zwischen unseren Staaten gibt es auch auf derEbene der Länder <strong>und</strong> Kommunen regen Kontakt, einschönes Beispiel hierfür ist die Partnerschaft zwischen denStädten Kairo <strong>und</strong> Stuttgart.Herr Minister, wir sind Ihnen dankbar, daß Sie trotz derBeanspruchung durch die Pflichten Ihres hohen Amtes heutenach Stuttgart gekommen sind. Wir freuen uns auf IhrenVortrag!10


Mahmoud Hamdi Zakzouk13


<strong>Islam</strong> <strong>und</strong> <strong>Europa</strong> – ohne Dialog keine ZukunftMahmoud Hamdi ZakzoukWenn wir heute von der Notwendigkeit eines Dialogeszwischen <strong>Europa</strong> <strong>und</strong> <strong>Islam</strong> sprechen, stellt sich uns dieFrage, ob dieses Verlangen nach einem Dialog neu ist oderob man hierbei an frühere Bemühungen anknüpfen kann.Ich behaupte, daß der Dialog zwischen diesen beidenKulturen so alt ist wie der <strong>Islam</strong> selber, <strong>und</strong> daß er trotzaller Auseinandersetzungen im Laufe der Geschichteimmer wieder gesucht wurde, so wie er auch heute gesuchtwird.Wie die islamische Geschichte zeigt, führte bereits derProphet Mohammed in seiner Moschee in Medina einenDialog mit den Christen von Nagran. Er baute Medina alseine multikulturelle Stadt auf, in der alle Mitbürger, egal welcherReligion sie angehörten, die gleichen Rechte hatten.Der <strong>Islam</strong> verlangt von den Muslimen ausdrücklich die Anerkennungaller geoffenbarten Religionen. Die Muslime dürfenkeine Unterschiede machen zwischen den Propheten wiezum Beispiel Moses, Jesus <strong>und</strong> Mohammed. Der Koranfordert die verschiedenen Religionen zu einem fruchtbarenWettbewerb um das Gute auf (Sure 5,48).Von Anfang an fühlten die Muslime sich solidarisch mitden Christen, die wie sie selber Angehörige einer Offenbarungsreligionwaren. So berichtet zum Beispiel der Koran(Sure 30,2–6), wie traurig sie waren, als die christlichenOströmer von den heidnischen Persern besiegt wurden.Daraufhin tröstete sie der Koran <strong>und</strong> sagte ihnen, daß dieRömer im nächsten Kampf die Perser besiegen würden. Dasgeschah auch. Der Koran spricht davon, daß die Christen,15


wie er es ausdrückt (Sure 5,82), den Muslimen „in Liebe amnächsten stehen“.Bei näherer Betrachtung der Geschichte können wir entdecken,daß die europäische wie auch die islamische Kulturihrer Entstehung <strong>und</strong> ihrer Entwicklung nach keine durchsich selbst existierenden Monolithen sind. Sie bauten sich aufdem Dialog auf <strong>und</strong> blieben durch ihn lebendig <strong>und</strong> damitgr<strong>und</strong>sätzlich trotz aller Kriege befähigt, den Frieden zusuchen wie auch eine wirksame Selbstverteidigung.Notwendigkeit der SolidaritätDie ganze Welt befindet sich heute, wie man sagt, in einemglobalen Dorf <strong>und</strong> steht vor der Aufgabe, einen Friedendurch eine universale Solidarität zu schaffen. Dieses Bild vondem globalen Dorf ist zutreffend, aber erfaßt zu wenig dieDringlichkeit der Situation. Besser versteht sich die heutigeMenschheit als eine Gemeinschaft auf einem globalen Schiff,das durch das Weltall segelt <strong>und</strong> einen Schiffbruch um jedenPreis vermeiden muß.Bereits der Prophet Mohammed benutzt in einer seinerReden diese symbolische Beschreibung der Situation, um dieNotwendigkeit einer universalen Solidarität unter den Menschenzu betonen. Er war der Auffassung, daß dann, wennder privilegierte Teil dieser Schiffsgemeinschaft sich nichtgenügend um den anderen Teil kümmert, dieser irgendwanneinen Schiffbruch verursachen wird. Wir nennen diesenKonflikt heute den Nord-Süd-Konflikt. Tatsächlich bedarf dieWelt heute wie nie zuvor einer solchen umfassenden Solidaritätfür die Herstellung einer Weltfriedensordnung. Siebraucht eine globale politische Ordnung, welche anstrebt,die Rechte aller Menschen, auch der armen, zu berücksichti-gen. Sonst wird sie die Probleme, die sie bedrängen, nichtlösen können. Besonders die islamische Welt ist sehr interessiertan allen Versuchen einer Stabilisierung der Weltpolitik.Diese Stabilisierung kann letztlich nur durch die partnerschaftlichenBemühungen aller Völker im Dialog <strong>und</strong> in derZusammenarbeit geschehen. Denn eine Hegemonie einzelnerVölker führt, wie wir wissen, ob gewollt oder nicht, notwendigerweisezu einer Diktatur, da die ungebremste Machtallzuoft zu ihrem Mißbrauch führt.Die technokratische Weltzivilisation hat für die ganze Weltein Beziehungsnetz in Fragen der Wirtschaft, der Kommunikation<strong>und</strong> der Information entwickelt. Doch diese Globalisierungführte zu gefährlichen Problemen der Sozialordnung,der Natur <strong>und</strong> der Identität (Anm. 1). Diese Problemebedrohen die Existenz der Menschheit. Sie müssen daher ineinem interreligiösen <strong>und</strong> interkulturellen Dialog behandeltwerden. Ein solcher Dialog kann die Gemeinsamkeit allerwichtigen Werte herausstellen. Er kann darüber hinausherausarbeiten, wie diese Werte im jeweiligen Kontext derKulturen verwirklicht werden. Auf diese Weise wird eineZusammenarbeit für die Lösung dieser wichtigen Problememöglich. Vor allem ein Dialog zwischen <strong>Islam</strong> <strong>und</strong> <strong>Europa</strong>ist nötig. Hierfür braucht <strong>Europa</strong> weitaus mehr Wissen überden <strong>Islam</strong>, <strong>und</strong> die Muslime benötigen dafür gründlicheKenntnisse der europäischen Kultur <strong>und</strong> Geschichte.Hindernisse der VerständigungHindernisse für den Dialog zwischen <strong>Islam</strong> <strong>und</strong> <strong>Europa</strong> sindvor allem die gegenseitigen, geschichtlich entwickeltenFeindbilder. Und zwar besonders deswegen, weil sie jetztvon bestimmten Interessengruppen auf beiden Seiten für1617


politische Zwecke auch noch ausdrücklich propagiert werden(Anm. 2).Die zahlreichen bereits bestehenden Dialogbemühungensind in dieser Situation wie Oasen in der Wüste. Sie stehenaber anscheinend machtlos vor der Tatsache, daß sich inunserer Welt sinnlose Gewalttätigkeiten immer mehr durchsetzen.Diese dokumentierten sich vor allem in der letztenZeit in zahlreichen Kriegsverbrechen in vielen Ländern unsererWelt. Die davon Betroffenen sind meistens Muslime.Die Hindernisse für die Verständigung in einem Dialogzwischen <strong>Islam</strong> <strong>und</strong> dem Westen bestehen vorwiegend inIgnoranz. Diese Ignoranz betrifft das, was in unserer Welttatsächlich passiert, warum es passiert <strong>und</strong> was dagegenunternommen werden muß. Die Folgen dieser Ignoranz sindFehleinschätzungen <strong>und</strong> Mißverständnisse in unserer „schönenneuen Welt“, die aber im Gr<strong>und</strong>e so schrecklich ist,jedenfalls für ihre Opfer.Diese verkehrten Einstellungen <strong>und</strong> Mißverständnisseführen auf beiden Seiten allzu leicht entweder zu einem engstirnigenFanatismus oder auch zu einer müden Gleichgültigkeit<strong>und</strong> Hoffnungslosigkeit. Die Übersicht über das,was in unserer Welt geschieht <strong>und</strong> was zu geschehen hat,wird für die meisten Menschen immer schwieriger, soweit siesich überhaupt noch darum bemühen, denn die nötige globalePerspektive fehlt. An ihre Stelle treten die Bemühungenvor allem der meisten Massenmedien um eine täglicheGehirnwäsche. Hierbei wird oft in ungerechter Weise dasIdealbild von der eigenen Kultur – deren Werte man dadurchschützen will – mit dem verzerrten Bild der anderenKultur verglichen.Die Kultur der anderen – mit der wir jetzt doch oft tagtäglichkonfrontiert werden, denn sie ist nicht mehr weit wegwie früher – erscheint infolgedessen als fremd <strong>und</strong> unver-ständlich, ja, geradezu feindlich. Bestimmte Interessengruppenbenutzen offensichtlich unter anderem in den Massenmediendie Tatsache, daß in Situationen allgemeiner Unsicherheit<strong>und</strong> Ratlosigkeit das Gruppen-Ich ein Feindbildbraucht (Anm. 3).Nach dem Ende des Kalten Krieges zwischen demWesten <strong>und</strong> dem kommunistischen Osten tritt jetzt eigentlichder Nord-Süd-Konflikt zwischen den reichen <strong>und</strong> armenLändern, der sich verschlimmert, mehr in den Vordergr<strong>und</strong>des Geschehens. Aber man hat die Aufmerksamkeit von diesenkatastrophalen Entwicklungen abgelenkt, indem man einneues Feindbild im <strong>Islam</strong> schuf. Damit konnte man in derletzten Zeit <strong>und</strong> noch heute viele Gewalttätigkeiten gegenverschiedene Völker in eine künstlich geschaffene Perspektivestellen. Daß de facto – wenn auch nicht immer mit Worten– auf diese Weise eine ganze Kultur zum Feind erklärtwird, beweist die Geschicklichkeit <strong>und</strong> Rücksichtslosigkeitder oben bereits erwähnten Interessengruppen, die das veranlassen.Aber es beweist vor allem auch die Ignoranz <strong>und</strong>Rückständigkeit unserer einseitig technisch hochentwickeltenWelt, die sich – im Gr<strong>und</strong>e gegen ihr eigenes Interesse – soleicht in diese schwierige Situation hineinmanipulieren läßt.Dabei zeigt doch bereits ein kurzer Blick auf die Geschichte,daß in sich betrachtet Kulturen niemals unsereFeinde sind, sondern im Gegenteil eher Retter. Die Menschheithat doch schon immer um ihr Überleben durch dieEntwicklung von Kultur gekämpft, <strong>und</strong> darüber hinauswurde ihre Existenz durch die Fülle der nebeneinander existierendenKulturen ermöglicht. Vielfalt ermöglicht die Einheitder Welt. Alle Kulturen gehören daher in diesem Sinnezu den größten Schätzen in unserer Welt, ohne derenSpiritualität sie untergehen würde.1819


Notwendigkeit des DialogsDoch gehen wir wieder zurück zur Situation unserer Zeit <strong>und</strong>zur Frage der Notwendigkeit des Dialogs.Zweifellos ist die jetzige Weltlage beängstigend infolge derimmer mehr ansteigenden Weltüberbevölkerung, der einseitigenwirtschaftlichen Globalisierung <strong>und</strong> der zunehmendzerstörten Umwelt. Aber nach wie vor sind es meines Erachtensdie Kulturen <strong>und</strong> der Dialog zwischen ihnen imumfassenden Sinne, auf allen Lebensgebieten, welche einÜberleben versprechen können. Man sagte daher mit Recht,daß nichts gefährlicher sei, als sich für eine angeblicheKonfrontation zwischen <strong>Islam</strong> <strong>und</strong> Christentum vorzubereiten(Anm. 4).Diese Dinge können letzten Endes mit allen ihren Implikationennur in einem vernünftigen Dialog klar werden,wenn man sich aufrichtig darüber ausspricht. Hierfür ist vorallem der Dialog zwischen <strong>Islam</strong> <strong>und</strong> <strong>Europa</strong> nötig. Ein solcherDialog kann – wenn es gelingt, ein Klima des Vertrauenszu schaffen – ein starres Festhalten an Vorurteilen <strong>und</strong> einseitigen,schädlichen Positionen auflockern. Damit wird schließlichein ungehinderter Blick auf die Tatsachen möglich <strong>und</strong>auf das, was der jeweiligen Situation entsprechend zu tun ist.Gefordert ist von uns allen ein Umdenken. Wir habenetwas ganz Neues zu schaffen. Weder ein bloß konservativesDenken noch ein alle Traditionen als wertlos abschüttelndesDenken können hierbei helfen. Helfen kann hier nur ein vernünftigerDialog, der die Dinge in die richtige Perspektivestellt <strong>und</strong> dadurch ein verantwortungsvolles, auf die Zukunftgerichtetes Handeln ermöglicht.Versuche einer bewußten kulturellen Selbstbehauptungmüssen in einem solchen Dialog Hand in Hand gehen mitder Bemühung um eine Erweiterung unseres geistigen Hori-zonts. Dieser wird durch die Begegnung mit dem anderennicht wirklich bedroht, sondern wird im Gegenteil dadurcherweitert. Wir leben doch jetzt bereits manchmal Tür an Türmit diesen anderen oder teilen mit ihnen den Arbeitsplatz.Der Dialog in allen Lebenslagen ist insofern schon ein Mußgeworden. Er ist aber auch eine Chance für uns, nämlichdann, wenn er uns zu einer echten Selbstbesinnung führt<strong>und</strong> unsere Aufmerksamkeit erweckt für das, was in der Welteigentlich vor sich geht.Auch die Kritik hat selbstverständlich einen wichtigenPlatz im Dialog. Aber die Kritik an den Fehlern der anderenKultur führt leicht zur Überheblichkeit, wenn sie nicht Handin Hand geht mit dem Bewußtsein für die Fehler <strong>und</strong> Fehleinschätzungeninnerhalb der eigenen Kultur. Wir könnenletzten Endes nur durch Vorbildlichkeit unsere Auffassungenvermitteln. Aber erst das positive Verständnis der lebendigenEigenheit <strong>und</strong> Besonderheit der anderen kann auch zueinem positiven Selbstverständnis, zu einem Verständnis derEinmaligkeit des eigenen Standpunktes führen. Wir brauchenden anderen, so wie er uns braucht.Erst die durch einen solchen vernünftigen Dialog erschlossenenHorizonte machen es möglich, sich von einembeschränkten Höhlendenken zu befreien. Damit wird man indie Lage gesetzt, dem überall wie Unkraut hochschießendenf<strong>und</strong>amentalistischen bzw. rechtsradikalen Denken gegenüberzutreten<strong>und</strong> es in der richtigen Perspektive zu sehen.Gefordert ist heute wie nie zuvor ein verantwortlichesDenken, das den Glauben an eine sinnvolle Zukunft möglichmacht <strong>und</strong> sie dadurch schaffen kann. Wo ein Wille ist, wieeine deutsche Redewendung sagt, ist ein Weg. Der Weg istda, sagt der <strong>Islam</strong>, wo der Friede ist <strong>und</strong> wo er angezieltwird. Wir alle wollen jedenfalls im Gr<strong>und</strong>e Frieden <strong>und</strong> sinderst wirklich glücklich, wenn wir ihn gef<strong>und</strong>en haben.2021


Wege zum DialogJetzt stellt sich also die Frage, welche Wege wir zu einemfruchtbaren Dialog zu gehen haben. Zweifellos gibt es vieleverschiedene Möglichkeiten. Aber jeder Versuch eines Dialogskann bereits Erfolg haben, wenn die Intention dazu, dergute Wille da ist. Wir sind alle verantwortlich für die Welt imallgemeinen <strong>und</strong> für unsere eigenen Taten im besonderen. Inunserem Verantwortungsbewußtsein für die Welt <strong>und</strong> denFrieden in ihr finden wir bereits einen Weg zum Dialog.Die menschliche Verantwortung, die wir alle teilen, istletztlich nicht nur auf den eigenen Kreis oder die Mitgliederder eigenen Gesellschaft bezogen. Sie bezieht sich auch aufdie Mitglieder anderer Gesellschaften, mit denen wir inKontakt stehen. Die ganze Welt steht heute in Kontakt miteinander.Dies erfordert, daß alle Kulturen <strong>und</strong> Religionenrespektiert werden. Sie alle rufen dazu auf, die Würde derMitmenschen zu respektieren <strong>und</strong> zu versuchen, eine friedlicheKoexistenz aufzubauen. Die Achtung der Menschenwürde<strong>und</strong> der Respekt der anderen Kultur sind ein andererWeg zum Dialog. Aber diese Einstellungen müssen gegenseitigsein. Wenn ich die Würde eines Menschen, seineSelbstachtung zerstöre, kann ich von ihm keine Moral erwarten,sagte bereits Kant.Ein nicht nur oberflächliches, sondern vertieftes Wissenüber die von der anderen Kultur <strong>und</strong> Religion vertretenenWerte kann uns zu einem friedlichen Dialog führen. DieErkenntnis, daß wir viele gleiche Werte mit der anderenReligion <strong>und</strong> Kultur teilen, ermöglicht, daß man sie schließlichrespektieren lernt. Respekt in einem umfassenden Sinnefür die Menschenwürde auch der Mitglieder der anderenKultur bedeutet in erster Linie die Respektierung ihrerMenschenrechte. <strong>Islam</strong>isch betrachtet hat jeder Mensch dasRecht auf den Schutz seines Lebens, den Gebrauch seinerVernunft, der Ausübung seiner Religion, seiner Familie <strong>und</strong>seines Besitzes.Der <strong>Islam</strong> lehrt, daß die Vorbedingungen für die Erschaffungeiner gerechten Gesellschaft die Koexistenz aller Kulturen<strong>und</strong> Völker sind sowie ein Wettbewerb um das Gutezwischen ihnen. Er betont die Tatsache, daß die Vielzahl derVölker <strong>und</strong> Kulturen <strong>und</strong> ihre Einmaligkeit keine Hindernissefür das Wohlergehen der Menschheit darstellen. Siesind im Gegenteil gerade die Vorbedingung für die Einheitder Welt.Aber die Hegemonie einzelner Kulturen führt zum Unfrieden,zu einer unlebendigen Uniformität, zu der totalitärenGesellschaft schließlich, welche ja im Gr<strong>und</strong>e niemand will.Die Entstehung von KulturenBereits Betrachtungen über die Entstehung von Kultur könnendie Notwendigkeit einer multikulturellen Weltgesellschaftbeweisen. Das Abhängigkeits- <strong>und</strong> Balancesystem derKulturen wird bereits deutlich, wenn man über ihre jeweiligeEntstehung nachdenkt. Denn es gibt keine menschlicheHochkultur, die sich unbeeinflußt von anderen Kulturen entwickelte.So wurde auch die islamische Kultur Stück für Stück ineinem lebendigen Austausch mit anderen Kulturen, denensie begegnete, von den Muslimen aufgebaut. Daher lehrteauch der bekannte arabische Philosoph Averroes, daß daskritische Studium des Wissens von anderen Kulturen einereligiöse Pflicht ist. Die Muslime beschäftigten sich von Anfangan mit anderen Kulturen <strong>und</strong> studierten vor allem dieWerke der griechischen Wissenschaftler <strong>und</strong> Philosophen,2223


die sie ins Arabische übersetzten <strong>und</strong> um lange Kommentarebereicherten. Durch selbständige Untersuchungen entwickeltensie dann eigene Ideen.<strong>Europa</strong> seinerseits hat vom 11. bis zum 13. Jahrh<strong>und</strong>ertdie Bücher der arabischen Wissenschaftler <strong>und</strong> Philosophenins Lateinische übersetzt. Interessant ist in diesem Zusammenhangdie Tatsache, daß <strong>Europa</strong> die griechischen Philosophenzum ersten Male durch arabische Werke kennengelernthat. Erst viel später, in der zweiten Hälfte des 15.Jahrh<strong>und</strong>erts, haben die Europäer begonnen, die griechischenWerke direkt vom Griechischen ins Lateinische zuübersetzen.Die Dialogbereitschaft der Muslime beruht darauf, daßder <strong>Islam</strong> ausdrücklich zu einem vernünftigen Dialog auffordert.Er fordert zwar, wie wir schon sagten, daß man kritischist, wenn man sich mit anderen Kulturen beschäftigt <strong>und</strong> dasEigene bewahrt. Aber gleichzeitig verlangt er, im Dialog dieGemeinsamkeiten zu betonen <strong>und</strong> die dogmatischen Verschiedenheitenbeiseite zu lassen. Nur so wird eine friedlicheÜbereinkunft möglich.Gegenseitige BeeinflussungDer Dialog fördert den Gedanken- <strong>und</strong> Ideenaustausch unterden Kulturen, <strong>und</strong> dies fördert wiederum den Dialog.Auch <strong>Europa</strong> entwickelte sich im Kulturdialog. So hat essich bekanntlich im Mittelalter von einem zu dogmatischen,erstarrten Denken dadurch lösen können, daß es wichtigewissenschaftliche <strong>und</strong> kulturelle Impulse von der damalshochentwickelten islamischen Kultur empfing. Dadurch wurdees in die Lage versetzt, auf seine Erneuerung in der Renaissance<strong>und</strong> später in der Aufklärung zuzusteuern. Viele be-rühmte europäische Philosophen <strong>und</strong> Dichter wurden – wiewissenschaftliche Untersuchungen festgestellt haben – entwederdirekt oder indirekt durch die islamische Philosophie<strong>und</strong> Literatur beeinflußt. Heute ist es umgekehrt, <strong>und</strong> dieislamische Welt übernimmt nun ihrerseits schon seit einigerZeit viele der wissenschaftlichen <strong>und</strong> technologischen Errungenschaften<strong>Europa</strong>s.Aber gleichzeitig mit dieser Übernahme der technischenZivilisation unserer Zeit bemühen sich die Muslime um eineWiederbelebung ihrer Kultur, da sie sich davon eine sinnvolleAnpassung an die Erfordernisse der Gegenwart versprechen.Dies kann die herrschende technokratischeZivilisation für sie nicht leisten. Es gibt keinen Zweifel daran,daß die Muslime sich seit vielen Jahrzehnten – seitdem siesich von der Fremdherrschaft befreit hatten – um einemoderne Gestaltung ihrer Gesellschaften bemühen. Vieleislamische Länder haben hierbei bereits große Fortschritteerzielt. Auf diese Weise werden sie befähigt, an der Herausbildungeiner globalen Friedensordnung mitzuarbeiten.Vor allem zu diesem Zweck ist – wie ich schon andeutete –ein fruchtbarer Dialog zwischen <strong>Islam</strong> <strong>und</strong> <strong>Europa</strong> von entscheidenderBedeutung. Die vielen Gemeinsamkeiten beiderKulturen machen einen solchen Dialog möglich. Daher müssensie betont werden.GemeinsamkeitenSie eröffnen einen Weg zum Dialog.Die Wahrheit liegt im Detail, wie bereits Bismarck bemerkte.Ich möchte in den folgenden Erörterungen versuchen,mehr in die Einzelheiten zu gehen, die vielleicht einigeAufschlüsse geben können.2425


Es gibt viel mehr Gemeinsamkeiten zwischen <strong>Europa</strong> <strong>und</strong>der Welt der Muslime, als man im heutigen Klima derKontroversen <strong>und</strong> Polemik vermuten möchte. <strong>Europa</strong> <strong>und</strong>die islamischen Länder sind nicht nur geographisch – durchdas Mittelmeer verb<strong>und</strong>en – Nachbarn <strong>und</strong> teilen dahermehr als nur ein gemeinsames Interesse an der Stabilität <strong>und</strong>Sicherheit ihrer Länder.Es gibt einen weiteren, sehr wichtigen Gr<strong>und</strong> dafür, daßdas beiden Gemeinsame das, was sie trennt, überwiegenkann <strong>und</strong> so einen Dialog gr<strong>und</strong>sätzlich möglich macht. Ichmeine damit den bereits angedeuteten kulturellen Hintergr<strong>und</strong>dieser beiden Welten, die Tatsache, daß sie eine langeGeschichte gegenseitiger kultureller Beeinflussung verbindet.Hinzu kommt eine weitere gr<strong>und</strong>legende Gemeinsamkeit.Ihre Religionen – die Gr<strong>und</strong>lagen ihrer Kulturen – stimmenin den wesentlichen Botschaften überein, vor allem inder Betonung der alle Gesetze übersteigenden BarmherzigkeitGottes. Sie betonen beide die Verantwortung des Menschenfür die Welt. Der Mensch ist Stellvertreter Gottes inder Welt. Damit herrscht er über sie, ist aber gleichzeitig verantwortlichfür sie.Religion, hat der Prophet Mohammed einmal kurz <strong>und</strong>bündig gesagt, besteht darin, daß man sich anständig, dasheißt rechtschaffen verhält.Die Gr<strong>und</strong>werte aller Religionen sind die gleichen. Aberes genügt ja nicht, daß wir erkennen, daß alle Religionen diegleichen Werte aufstellen. Denn es geht doch vor allem umihre Verwirklichung. Den Rahmen hierfür schaffen die jeweiligenKulturen. Mit Gewalt läßt sich zweifellos niemand zuder Realisierung von Werten zwingen. Aber Situationen derNot können uns darauf aufmerksam machen, daß wir dann,wenn wir Rücksicht auf unsere Mitmenschen nehmen, damitletzten Endes auch unseren eigenen Interessen dienen. Wirbefinden uns heute in einer solchen Situation. Zu ihrerBewältigung bedarf es zweifellos eines Umdenkens.Überraschenderweise hat man gerade in der Wirtschaftneuerdings gelernt umzudenken (Anm. 5). Infolgedessenkam man nach längeren Untersuchungen <strong>und</strong> vor allem mitRücksicht auf zukünftige Entwicklungen zu dem Schluß, daßdie Zukunft des Nordens, der reichen Länder, von der Entwicklungdes Südens abhängt. Die jetzige sogenannte „wildeGlobalisierung“, so sagt man, muß daher gestoppt werdenzugunsten einer zivilisierten Globalisierung (Anm. 6). Alleindiese kann die Rechte aller Weltbürger, auch der Armenunter ihnen, berücksichtigen. Die Politik muß zu diesemZweck ihre Macht, die sie an die Wirtschaft verloren hat,wieder zurückgewinnen, indem sie global wird (Anm. 7).Denn globale Probleme können nur mit globalen Mittelngelöst werden, sie erfordern eine globale Zusammenarbeit(Anm. 8). Um einen zerstörerischen Kampf der Kulturen zuverhindern, müssen vor allem auch die Vereinten Nationen<strong>und</strong> ihre Unterorganisationen bevollmächtigt werden, sichfür die Rechte aller Völker ohne Ausnahme wirksam einzusetzen(Anm. 9).Zur Entstehung einer zivilisierten Globalisierung <strong>und</strong>einer wirksamen Weltpolitik ist ein interreligiöser <strong>und</strong> interkulturellerDialog, der Frieden aufbauen kann, unbedingtnotwendig. Denn eine Welt des Kampfes der Kulturen, wiesie von Huntington propagiert wurde, hat keine Zukunft. Dievon Huntington vorhergesagten Zusammenstöße zwischenKulturen werden in Wirklichkeit nicht durch die Kulturenselber verursacht, sondern durch Extremisten <strong>und</strong> F<strong>und</strong>amentalisten,<strong>und</strong> zwar auf beiden Seiten, das heißt einemkleinen Bruchteil der Gesellschaften (Anm. 10). Aber dieThese von Huntington kann, wie wir heute sehen, wenn siedurch die Medien verbreitet wird, leicht zu einer sich selbst2627


erfüllenden Prophezeiung, also zur Wirklichkeit werden(Anm. 11). Wie Hans Küng (Anm. 12) sagt, kann der angeblichnicht zu verhindernde globale Kampf der Kulturen sehrgut zur Erzeugung jener Furcht dienen, welche gewisseInteressenkreise gut gebrauchen können.Dazu möchte ich folgendes sagen. Unser Ziel sollte essein, die Kulturen zu schützen, aber nicht sie anzugreifen.Denn sie stellen – wie auch bereits Albert Schweitzer sagte –den materiellen <strong>und</strong> geistigen Fortschritt der Menschheit dar.Sie entwickeln sich auf der Basis von Toleranz, Aufgeschlossenheit<strong>und</strong> Lernwilligkeit. Daher sind sie die Bastionen derMenschheit gegen sinnlose, zerstörerische Konflikte, abernicht die Ursachen dafür. Denn sie bauen für Gerechtigkeitsorgende Ordnungs- <strong>und</strong> Sicherheitssysteme auf.Konflikte haben nicht, wie Huntington sagt, ihre Ursachenin den Verschiedenheiten der Kulturen. Konflikte entstehenauch innerhalb der gleichen Kultur, wie unter anderem diezwei großen Weltkriege des letzten Jahrh<strong>und</strong>erts gezeigthaben. Diese kosteten innerhalb von insgesamt zehn Jahrenüber 50 Millionen Menschenleben, während die geschichtlichenZusammenstöße zwischen der islamischen Welt <strong>und</strong><strong>Europa</strong> innerhalb von 14 Jahrh<strong>und</strong>erten im Vergleich dazunur sehr wenig Menschenleben kosteten. Wenn es daherZusammenstöße zwischen Kulturen gibt, muß man andereGründe dafür suchen als die Kulturen selber, beispielsweisepolitisches Machtstreben einzelner Gruppen, die Verfolgungmaterieller Interessen <strong>und</strong> andere.Der <strong>Islam</strong> jedenfalls verlangt keinen Kulturkampf, sondernKulturdialog. Daher heißt es in einer Sure des Koransüber die Verschiedenheiten der Völker <strong>und</strong> ihre Beziehungenzueinander: „Wir machten euch zu Völkern <strong>und</strong> Stämmen,auf daß ihr einander kennet“ (Sure 49,13).Der Koran lehrt ausdrücklich, daß die Verschiedenheit derReligionen sie nicht zu einem Machtkampf führen soll, sondernzu einem friedlichen Wettbewerb um das Gute. Er sagt,daß für alle Gruppen verschiedene Richtungen <strong>und</strong> Wegefestgelegt wurden. Aber das Ziel ist für alle das gleiche. Gotthätte, so argumentiert er, auch nur eine einzige Gemeinschafterschaffen können (Sure 5,48). Dann wäre weder einReligions- noch ein Kulturdialog notwendig gewesen nochein Wettbewerb der Gemeinschaften um das Gute. Es bliebedann wenig zu tun übrig.Der <strong>Islam</strong> ruft zum Dialog auf <strong>und</strong> zu einer universalenSolidarität aller Völker, so daß sie gemeinsam die Verantwortungfür die Welt tragen können. Aber Huntington lehrtmit seinen einseitigen Thesen, daß, wie der englische PhilosophThomas Hobbes es ausdrückte, der Mensch dem Menschenein Wolf ist, daß also alle gegen alle kämpfen.Die letzten Weltkriege haben uns die Sinnlosigkeit vonKriegen vor Augen geführt. Kriege lösen keine Probleme.Sie führen nur zu einer sinnlosen Zerstörung. Wir müssenendlich von den Lektionen der Geschichte lernen, damit wirnicht wieder die gleichen Fehler begehen. Wenn wir uns daherabsichern wollen gegen befürchtete Angriffe unsererNachbarn, dann dürfen wir auf keinen Fall zulassen, daßderen Kulturbasis durch gewissenlose <strong>und</strong> kurzsichtige Angriffezerstört wird. Denn sie ist die Chance für eine friedlicheKonfliktlösung.Damit kommen wir zu dem Problem des Terrorismus,dessen Bekämpfung unser gemeinsames Ziel ist. Wir alle teilendie Betroffenheit <strong>und</strong> Empörung über die entsetzlichenEreignisse des 11. September. Doch das darf nicht dazu führen,daß Unschuldige dafür bestraft werden. Der Zirkel dersinnlosen Gewalt wird dadurch ewig verlängert <strong>und</strong> wirdschließlich auch die Zukunft zerstören, wenn wir nicht etwas2829


dagegen unternehmen. Nur in einem echten Dialog kanndiese Frage geklärt werden.Zu diesem Zweck möchte ich jetzt näher auf die Fragedes Terrorismus aus der Sicht der Muslime eingehen. Nachden Angriffen des 11. September gibt es eine starke Tendenz,den <strong>Islam</strong> mit Terrorismus zu verbinden. Es ist so, als ob dieWelt mit einem Male wach geworden ist <strong>und</strong> vor sich eineneue, fremde Religion sieht, welche die Absicht hat, die Weltzu terrorisieren. Zu dieser Einstellung möchte ich folgendessagen.Terrorismus finden wir in allen Kulturen, <strong>und</strong> er ist einallgemeines Weltphänomen geworden. Auch <strong>Europa</strong> erlebtezum Beispiel in der zweiten Hälfte des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts eineReihe von Terrorakten gewisser Gruppen, von denen einigeweiterhin aktiv sind. Aber obwohl einige dieser Gruppensich auf ihre Religion berufen, hört man nie von einerVerbindung zwischen Terrorismus <strong>und</strong> anderen Religionenwie Christentum, Judentum, Hinduismus oder Buddhismus.Man muß sich daher fragen, warum in der letzten Zeit der<strong>Islam</strong> alleine unter allen Religionen als eine terroristischeReligion propagiert wird. Den <strong>Islam</strong> gibt es jetzt doch schonseit 14 Jahrh<strong>und</strong>erten. Und genauso wie alle anderenReligionen nicht verantwortlich sind für die terroristischenAkte einiger ihrer Anhänger, ist auch der <strong>Islam</strong> nicht verantwortlichfür die terroristischen Gruppen unter den Muslimen,auch wenn diese islamische Parolen haben.Der Terrorismus war noch nie <strong>und</strong> wird auch in Zukunftnicht eine Besonderheit des <strong>Islam</strong> sein, welche ihn von allenanderen Religionen unterscheidet. Der <strong>Islam</strong> hat seineFriedensfähigkeit nicht nur während seiner viele Jahrh<strong>und</strong>erteandauernden Blütezeit bewiesen. Die islamische Kulturin Andalusien, die etwa acht Jahrh<strong>und</strong>erte andauerte, war –im Gegensatz zu dem, was der moderne Imperialismusleistete – ein Musterbeispiel für eine positive Koexistenz zwischenden drei monotheistischen Religionen des <strong>Islam</strong>s,Christentums <strong>und</strong> Judentums. Im gesamten Verlauf der islamischenGeschichte wurden, was auch westliche Fachwissenschaftlerbestätigen, die Leute niemals mit Gewalt gezwungen,zum <strong>Islam</strong> überzutreten. Der Koran sagt zu dieser Frageeindeutig: „Es sei kein Zwang zum Glauben“ (Sure 2,256).Der <strong>Islam</strong> ist seinem Wesen nach eine tolerante Religion <strong>und</strong>daher gegen jede Art von F<strong>und</strong>amentalismus. Als ein vorbildlichtoleranter Muslim gilt mit Recht der Ihnen bekannteSultan Saladdin, welcher nach der Rückeroberung vonJerusalem die heimkehrenden Kreuzfahrer mit einer einmaligenGroßzügigkeit behandelte.SchlußwortWas ich zum Schluß noch betonen möchte, ist die Tatsache,daß Auseinandersetzungen zwischen <strong>Islam</strong> <strong>und</strong> <strong>Europa</strong> nichtdie Regel waren. Wenn man über diese Auseinandersetzungenspricht, darf man die Geschichte der positiven kulturellenBeziehungen zwischen beiden Kulturen nicht außer achtlassen. Denn sonst entsteht ein ganz verkehrtes Bild von diesenBeziehungen.Der interkulturelle Dialog kann das richtige Bild der muslimisch-europäischenBeziehungen erarbeiten. Er kann dasvor allem dadurch tun, daß er an die Stelle der Feindbilderobjektive Darstellungen der anderen Kultur setzt.Zu den Aufgaben des Dialogs gehört die richtige Informationder Öffentlichkeit in den Medien <strong>und</strong> in der Erziehungüber die andere Kultur, <strong>und</strong> zwar in allen Lebensbereichen.Der Dialog darf nicht bloß ein Dialog derIntellektuellen bleiben, welche allerdings dafür verantwort-3031


lich sind, daß sie möglichst allen Bevölkerungskreisen einenZugang zu diesem friedlichen Dialog öffnen. Dies kann vorallem dadurch geschehen, daß sie bekannt machen, welcheentscheidende Bedeutung für die Zukunft solche friedenschaffendenBemühungen haben.Es muß vor allem darauf hingewiesen werden, daß wiran die kommenden Generationen denken müssen, damit sienicht einer negativen Kultur der sinnlosen Gewalttätigkeitausgeliefert werden. Wenn wir – Europäer <strong>und</strong> Muslimegemeinsam – jetzt also versuchen, an die Zukunft zu denken,müssen wir – <strong>und</strong> das hilft uns bei unserer Aufgabe – vorallem an die heranwachsenden Generationen denken. Dennsie sind die Zukunft unserer Welt. Sie haben weder die bestehendennoch die vorhergehenden Konflikte verursacht. Wirschulden ihnen die Chance, daß sie mit Hoffnung in dieZukunft blicken können.Daher ist ein Dialog zwischen <strong>Islam</strong> <strong>und</strong> <strong>Europa</strong>, der dieGemeinsamkeiten beider Kulturen betont <strong>und</strong> darauf aufbaut,in erster Linie auch ein Versuch, Vorbilder für unsereJugend zu schaffen. Damit kann der jetzt bestehende Zirkelsinnloser Gewalt durchbrochen werden.Wir retten die Menschheit nicht durch pausenlose Selbstverteidigunggegen einen eingebildeten Feind, sondern durchMenschlichkeit, indem wir den Frieden suchen. Durch einenvernünftigen Dialog können wir immer größere Kreise desFriedens erschaffen.Anmerkungen1) Spiegel, Peter, Interview in „Die Welt im Umbruch“,Flensburger Hefte II/97, S. 132f2) Herzog, Roman, Preventing the Clash of Civilizations.(1999, New York), S. XII3) Ebenda S. 103: Hans Küng, „Intercultural Dialogueversus Confrontation“4) Ebenda, S. 125) Spiegel, S. 1256) Ebenda, S. 132f7) Ebenda, S. 131f8) Herzog, S. 129) Spiegel, S. 131f10) Herzog, S. VIII11) Ebenda, S. 5012) Ebenda, S. 1033233


Mahmoud Hamdi Zakzouk1933 in Dakahliyya, Ägypten, geborenStudium an der Al Azhar Universität,Kairo (B.A., M.A.)1968 Promotion zum Dr. phil. an derLudwig-Maximilians-Universität, München1968 Dozent, dann Professor für Philosophiean der Al Azhar Universität, Kairo1972-76 Gastprofessor in Libyen1980-84 Gastprofessor in Katar1995 Vizepräsident der Al Azhar Universität,KairoSeit 1996 Minister für Religiöse Angelegenheiten(Awkaf) sowie Präsident des Höchsten<strong>Islam</strong>ischen Rats in ÄgyptenAuszeichnungen1997 Ägyptischer Staatspreis für GeisteswissenschaftenVeröffentlichungen (Auswahl)On the Role of <strong>Islam</strong> in the Development of PhilosophicalThought (1989)Al Ghazalis Philosophie im Vergleich mit Descartes (1992)Fragen zum Thema <strong>Islam</strong> (1999)Einführung in den <strong>Islam</strong> (2000)


<strong>Europa</strong> bauen, den Wandel gestaltenVortragsreiheKlaus TöpferGlobalisierung – Konsequenzen für die deutsche Politik ininternationalen Organisationen, Oktober 2001Daniel S. HamiltonDie Zukunft ist nicht mehr, was sie war: <strong>Europa</strong>, Amerika<strong>und</strong> die neue weltpolitische Lage, Februar 2002Die <strong>Robert</strong> <strong>Bosch</strong> <strong>Stiftung</strong>Die <strong>Robert</strong> <strong>Bosch</strong> <strong>Stiftung</strong> verkörpert innerhalb der Verfassungdes Hauses <strong>Bosch</strong> die gemeinnützigen <strong>und</strong> sozialenBestrebungen des Firmengründers <strong>und</strong> Stifters <strong>Robert</strong> <strong>Bosch</strong>(1861-1942). Sie ist eine der großen unternehmensverb<strong>und</strong>enen<strong>Stiftung</strong>en in Deutschland <strong>und</strong> wurde 1964 gegründet.R<strong>und</strong> 92 Prozent des 1,2 Milliarden Euro betragendenStammkapitals der <strong>Robert</strong> <strong>Bosch</strong> GmbH gehören der <strong>Robert</strong><strong>Bosch</strong> <strong>Stiftung</strong> GmbH, deren Zwecke ausschließlich gemeinnützigsind. Die Dividende der <strong>Robert</strong> <strong>Bosch</strong> GmbH fließtder <strong>Robert</strong> <strong>Bosch</strong> <strong>Stiftung</strong> GmbH anteilig zu.In fünf Programmbereichen <strong>und</strong> in den stiftungseigenenEinrichtungen in Stuttgart (<strong>Robert</strong>-<strong>Bosch</strong>-Krankenhaus,Dr. Margarete Fischer-<strong>Bosch</strong>-Institut für Klinische Pharmakologie,Institut für Geschichte der Medizin) verfolgt die<strong>Stiftung</strong> Zwecke der öffentlichen Ges<strong>und</strong>heitspflege, derVölkerverständigung, der Wohlfahrtspflege, der Bildung <strong>und</strong>Erziehung, Kunst <strong>und</strong> Kultur <strong>und</strong> der Geistes-, Sozial- <strong>und</strong>Naturwissenschaften.ROBERT BOSCH STIFTUNG<strong>Robert</strong> <strong>Bosch</strong> <strong>Stiftung</strong> GmbHHeidehofstraße 3170184 StuttgartE-Mail: info@bosch-stiftung.dewww.bosch-stiftung.de


Herausgegeben von der <strong>Robert</strong> <strong>Bosch</strong> <strong>Stiftung</strong>Foto: Susanne KernJuli 2002Die Deutsche Bibliothek – CIP EinheitsaufnahmeEin Titeldatensatz für diese Publikation ist bei der Deutschen Bibliothekerhältlich© 2002 <strong>Robert</strong> <strong>Bosch</strong> <strong>Stiftung</strong> GmbH, StuttgartAlle Rechte vorbehaltenISBN 3-922934-72-2

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