12.07.2015 Aufrufe

Reinhard Saal, Rehabilitation in der beruflichen Alltagswelt

Reinhard Saal, Rehabilitation in der beruflichen Alltagswelt

Reinhard Saal, Rehabilitation in der beruflichen Alltagswelt

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

<strong>Re<strong>in</strong>hard</strong> <strong>Saal</strong>, <strong>Rehabilitation</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>beruflichen</strong> <strong>Alltagswelt</strong>Vortrag zur WfbM:Messe, Nürnberg im März 2013AusgangspunktMe<strong>in</strong>e Damen und Herren! Nach den Daten <strong>der</strong> BAG:WfbM waren Anfang 2012ca. 57.000 psychisch kranke Menschen <strong>in</strong> den Werkstätten gemeldet. 1 Wenn esmöglich wäre, den För<strong>der</strong>ansatz, den ich Ihnen vorstellen möchte, auf diesen Personenkreiszu übertragen, dann müssten ca. 34.000 Menschen nicht <strong>in</strong> konventionellenWerkstätten betreut werden. Nicht <strong>in</strong> – aber durchaus von Werkstätten, dieüber die besten Ressourcen verfügen, um e<strong>in</strong>e effektive und bedarfsgerechte <strong>Rehabilitation</strong>auch für "schwächere" Klienten anzubieten.VorstellungMe<strong>in</strong> Name ist <strong>Re<strong>in</strong>hard</strong> <strong>Saal</strong>. Ich b<strong>in</strong> Soziologe, habe 25 Jahre, von 1987bis 2011 für die Reha-Werkstatt Dieburg gearbeitet, als Leiter, als Sozialdienst,als Gruppenleiter, als "Mädchen für alles".In unserer Werkstatt betreuen wir seit 1987 chronisch psychisch krankeMenschen nach dem Grundsatz "erst platzieren, dann tra<strong>in</strong>ieren". Ichmöchte me<strong>in</strong>e Erfahrungen und E<strong>in</strong>schätzungen zu den Prozessen <strong>der</strong><strong>Rehabilitation</strong> referieren und die organisatorischen Fragen nur kurz ansprechen.Externe Arbeitsgruppen s<strong>in</strong>d <strong>der</strong> KönigswegWir konnten im Laufe <strong>der</strong> Jahre mehrere Betriebe dafür gew<strong>in</strong>nen, jeweils e<strong>in</strong>eganze Gruppe von Rehabilitanden mitsamt Gruppenleitung aufzunehmen. Das istdie Grundlage für unsere Arbeit.Ausgelagerte Arbeitsgruppen <strong>der</strong> Werkstatt s<strong>in</strong>d die am meisten unterschätzte Organisationsform<strong>in</strong> <strong>der</strong> E<strong>in</strong>glie<strong>der</strong>ungshilfe für psychisch kranke Menschen.Für die För<strong>der</strong>ung s<strong>in</strong>d folgende Punkte entscheidend:• Ausgelagerte Arbeitsgruppen stellen den Betreuer <strong>in</strong> die reale Arbeitswelt.Se<strong>in</strong>e Rolle wird grundlegend verän<strong>der</strong>t. Die Betreuungsaufgaben ergeben sichaus den alltäglichen Anfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Arbeit. Das Coach<strong>in</strong>g gew<strong>in</strong>nt se<strong>in</strong>enS<strong>in</strong>nbezug aus dem Geschehen im Betrieb.• Ausgelagerte Arbeitsgruppen erreichen e<strong>in</strong>en wesentlich breiteren Personenkreisals alle Angebote, die sich an E<strong>in</strong>zelpersonen richten.• Ausgelagerte Arbeitsgruppen ermöglichen e<strong>in</strong>en frühen Zugang zur Arbeitswelt,nach dem Grundsatz "erst platzieren, dann tra<strong>in</strong>ieren" - das Pr<strong>in</strong>zip desSupported Employment.1Quelle: http://www.bagwfbm.de/category/34, Download am 31.01.2013


Zum Supported Employment liegen mittlerweile auch im deutschsprachigenRaum wissenschaftliche Untersuchungen vor. Sie bestätigen, dass die UnterstützteBeschäftigung für psychisch kranke Menschen den traditionellen Reha-Angebotenüberlegen ist. 2 Die Werkstätten hängen weiter am traditionellen Ansatz: "erst tra<strong>in</strong>ieren,dann platzieren". Warum ist das weniger effektiv? 3Die RehabilitandenMe<strong>in</strong> Vortrag bezieht sich auf die Klientel <strong>der</strong> Werkstatt und auch nur auf Menschenmit Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis. Diese zweite E<strong>in</strong>schränkunghat drei Gründe: (1.) Wesentliche Prozesse <strong>der</strong> <strong>Rehabilitation</strong> verlaufenerkrankungsspezifisch. Und ich möchte e<strong>in</strong>en Beitrag zum Verständnis dieserProzesse leisten. (2.) Schizophrene s<strong>in</strong>d die Kernklientel <strong>der</strong> Reha-Werkstätten 4 .(Und 3.) Die Fallzahlen bei den an<strong>der</strong>en Erkrankungen (Zwangsneurosen, Bor<strong>der</strong>l<strong>in</strong>e,organische Psychosen usw.), die ich kennengelernt habe, s<strong>in</strong>d zu kle<strong>in</strong> für e<strong>in</strong>eAuswertung.Bil<strong>der</strong>Die Bil<strong>der</strong>, die Sie hier sehen, zeigen Beispiele fürArbeitsplätze, die unsere Klienten <strong>in</strong> externen Arbeitsgruppenbesetzen konnten. Sie sehen die Vielfalt<strong>der</strong> Tätigkeiten <strong>in</strong> wenigen Betrieben. Das Wesentlichezeigen die Bil<strong>der</strong> lei<strong>der</strong> nicht: die alltäglicheZusammenarbeit.Zum Schutz vor Identifizierung und Stigmatisierung habe ich alle Gesichter verpixelt- unabhängig von <strong>der</strong> Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung <strong>der</strong> abgebildeten Mitarbeiter.Ich möchte mit e<strong>in</strong>em Fallbeispiel fortfahren. (Der Name ist erfunden, wie bei allenFallbeispielen.)Fallbeispiel 1, PaulPaul kam Anfang <strong>der</strong> 90er Jahre im Alter von 33 Jahren zu uns, mit <strong>der</strong> Diagnosee<strong>in</strong>er schizo-affektiven Psychose. Der Erkrankungsbeg<strong>in</strong>n lag 14 Jahre zurück. Indiesen 14 Jahren war es zu mehreren stationären Psychiatrieaufenthalten gekom-234Zusammenfassend: http://www.supportedemployment-schweiz.ch, Download am 31.01.2013- Rüst und Debrunner (2004), Zusammenfassung des Schlussberichts Supported Employment.http://upload.sitesystem.ch/B2DBB48B7E/684C6E7C52/754F5FBD53.pdf- Hoffmann und Jäckel (2007), Nachhaltige Re<strong>in</strong>tegration psychisch Kranker <strong>in</strong> die freieWirtschaft. http://upload.sitesystem.ch/B2DBB48B7E/684C6E7C52/6B452742B4.pdf,- Rössler und Bärtsch (2008), Supported Employment - e<strong>in</strong> neuer berufs<strong>in</strong>tegrieren<strong>der</strong> Ansatz.http://upload.sitesystem.ch/B2DBB48B7E/684C6E7C52/19F855ACD1.pdfIn Deutschland vertritt u.a. die Aktion psychisch Kranke das Supported Employment auch <strong>in</strong>Bezug auf die Werkstatt-Klientel: "Der Ernstfall <strong>der</strong> betrieblichen Erprobung und Qualifizierungund die dort verlangten Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse können für die genanntePersonengruppen nicht simuliert werden." APK 2007, S. 105siehe im statistischen Anhang: Die Handicaps aller aufgenommenen Klienten, S. 27- 2 -


men. 4 Jahre vor <strong>der</strong> Aufnahme hatte Paul e<strong>in</strong>en schweren Suizidversuch unternommen.Ab dem Zeitpunkt <strong>der</strong> Aufnahme haben wir ke<strong>in</strong>e Akutsymptomatik beiihm mehr wahrgenommen. Paul war gut auf Haldol Decanoat e<strong>in</strong>gestellt. E<strong>in</strong> Depot-Medikament.Paul hatte die Mittlere Reife erreicht und e<strong>in</strong>e Ausbildung zum Anwaltsgehilfenabgeschlossen, trotz se<strong>in</strong>er Erkrankung. Er hatte jedoch ke<strong>in</strong>e Berufserfahrung. 5Paul errang trotz se<strong>in</strong>er Erkrankung über e<strong>in</strong>en Zeitraum von 15 Jahren und nochwährend <strong>der</strong> Teilnahme an <strong>der</strong> Reha-Maßnahme mehrere Meistertitel (deutsche,europäische und Weltmeistertitel) – und zwar mit e<strong>in</strong>er umfangreichen Kle<strong>in</strong>tierzucht.Paul hatte sich für diese Zucht Kenntnisse angeeignet <strong>in</strong> <strong>der</strong> Pflege, Behandlung,Ernährung, Vererbung und Beurteilung dieser Tiere. Und er hat vor allemsehr viel A r b e it <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Hobby gesteckt.Offenbar unterschied sich diese Arbeitsleistung von<strong>der</strong> Leistung e<strong>in</strong>es erwerbstätigen Menschen. Arbeitist nicht gleich Arbeit. Das Fallbeispiel deutet daraufh<strong>in</strong>, dass es spezielle Anfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> erwerbsförmigen,abhängigen, kooperativen Arbeitgibt, an denen schizophren erkrankte Menschen typischerweisescheitern können.Dieses Fallbeispiel wirft die Frage auf, welche Qualifizierungo<strong>der</strong> welche För<strong>der</strong>ung e<strong>in</strong> psychisch erkrankterMensch benötigt, <strong>der</strong> schon e<strong>in</strong>e überdurchschnittliche Leistungsfähigkeitmitbr<strong>in</strong>gt und <strong>der</strong> möglicherweise auf se<strong>in</strong>em Gebiet allen GruppenleiterInnenüberlegen ist. Offenbar ist <strong>der</strong> Erwerb beruflicher Kenntnisse (im S<strong>in</strong>nevon <strong>in</strong>strumentellem Wissen) nicht das Problem. 6 Und da, wo berufliche Qualifikationfehlt, ist sie möglicherweise nur e<strong>in</strong> zusätzliches Defizit und nicht primärmit <strong>der</strong> Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung verbunden. 7 Mit an<strong>der</strong>en Worten: E<strong>in</strong>e Berufsausbildungwird möglicherweise vor ähnlichen Problemen stehen wie e<strong>in</strong>e Berufstätigkeit.Ich halte zwei Punkte fest:• Bei Menschen mit Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis ist dieAusführung von Arbeitsschritten o<strong>der</strong> von komplexen Arbeitsprozessen typischerweisenur <strong>in</strong> <strong>der</strong> Akutphase bee<strong>in</strong>trächtigt.• Das Problemfeld, das von e<strong>in</strong>er wirksamen Reha-Maßnahme erschlossen werdenmuss, ist nicht die Arbeit son<strong>der</strong>n die Arbeitswelt.567Anwälte und Notare im Dieburger Raum nehmen ke<strong>in</strong>e psychisch kranken Praktikanten.Mit <strong>der</strong> Vermittlung von Kenntnissen (vertiefte E<strong>in</strong>arbeitung und Schulung, Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g im öffentlichenNahverkehr), dem E<strong>in</strong>satz von Hilfsmitteln und <strong>der</strong> beh<strong>in</strong><strong>der</strong>tengerechte Gestaltungvon Abläufen (z.B. E<strong>in</strong>satz von Symbole) - also durch technisch-kognitive Problemlösungen -ist für geistig, körperlich o<strong>der</strong> sensorisch beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ten Menschen oft schon <strong>der</strong> größte Teil <strong>der</strong>Arbeit getan.siehe Statistik zur Qualifikation im Anhang S. 28- 3 -


Konzeption und Standardverlauf <strong>der</strong> <strong>Rehabilitation</strong>Als wir 1987 starteten, wollten wir das Pr<strong>in</strong>zip <strong>der</strong> <strong>beruflichen</strong> "Normalisierung"auf unsere Zielgruppe anwenden. Ich denke heute noch, dass das Normalisierungspr<strong>in</strong>zipe<strong>in</strong>en guten <strong>in</strong>tuitiven Zugang zum Problemfeld gewährt.Die Menschen, die wir aufnehmen, durchlaufen nur e<strong>in</strong>e kurze Vorbereitung, undzwar im <strong>in</strong>ternen Bereich, so nennen wir unsere konventionelle Werkstatt (hier rotdargestellt). Die Vorbereitungsphase bieten wir auch dann an, wenn ke<strong>in</strong> E<strong>in</strong>gangsverfahren(EV) bewilligt wurde – also bei Quere<strong>in</strong>steigern. 8 Der Rehabilitandsoll das Umfeld und die <strong>in</strong>stitutionellen Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> <strong>Rehabilitation</strong> kennenlernen.Und wir müssen uns e<strong>in</strong> Bild davon machen, welcher För<strong>der</strong>bedarf bestehtund welche Risiken wir e<strong>in</strong>gehen, wenn wir diesen Menschen mitnehmen <strong>in</strong>e<strong>in</strong>e Firma.Rehabilitanden, die wir <strong>in</strong> ausgelagerte Arbeitsgruppen aufnehmen, müssen korrektarbeiten, also Qualität abliefern. Der Leistungsdruck, d.h. die Anfor<strong>der</strong>ung andie Arbeitsmenge, wird ansonsten zunächst auf e<strong>in</strong> M<strong>in</strong>imalniveau abgesenkt, undzwar <strong>in</strong>dem wir die Arbeitszeit 9 reduzieren, zusätzliche Pausen ermöglichen, Arbeitsdruckvermeidenden und den Verantwortungsbereich e<strong>in</strong>schränken. Die Rehabilitandenhaben die Möglichkeit, langsam <strong>in</strong> den Arbeitsalltag h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>zuwachsen.10 Sie s<strong>in</strong>d (zunächst) zusätzliche Kräfte <strong>in</strong> den Firmen, die ke<strong>in</strong> bezahltes Personalersetzen.In e<strong>in</strong>er psychischen Krise können die Rehabilitanden <strong>in</strong> den <strong>in</strong>ternen Bereich(Auffanggruppe) zurückkehren, um bei Stabilisierung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Firma neu zu starten.Praktika bieten wir an, aus den ausgelagerten Gruppen heraus. Sie helfen bei <strong>der</strong>Loslösung von <strong>der</strong> Firma, auf dem Weg zu e<strong>in</strong>em Arbeits- o<strong>der</strong> Beschäftigungsvertrag.8910Die För<strong>der</strong>ung orientiert sich am Bedarf, möglichst unabhängig vom för<strong>der</strong>rechtlichen Status<strong>der</strong> Klienten.Im Berufsbildungsbereich werden die Möglichkeiten zur Reduzierung <strong>der</strong> Arbeitszeit durch dieKostenträger stark e<strong>in</strong>geschränkt. Nur befristete Zeitreduzierungen werden bewilligt. DieAgentur für Arbeit und die Rentenversicherung f<strong>in</strong>anzieren ausschließlich Vollzeit-Reha-Maßnahmen. Diese Position müsste überdacht werden.Die Firmen for<strong>der</strong>n von ihrem Personal e<strong>in</strong>e deutlich längere Arbeitszeit. An<strong>der</strong>s als die Werkstättenrechnen sie die Pausen nicht zur Arbeitszeit. Auf die höhere Nettoarbeitszeit (Arbeitszeitohne Pausen) bezieht sich unsere Zeitreduzierung.Zur Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gsphase gehören (zum<strong>in</strong>dest anfangs) auch Angebote <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Arbeitszeit, dieauf Qualifizierung, Ertüchtigung und Persönlichkeitsbildung gerichtet s<strong>in</strong>d: also Kurse, Sport,kulturelle Aktivitäten und Ausflüge. In den letzten Jahren haben unsere externen Klienten dieseAngebote eher weniger genutzt.- 4 -


Der <strong>in</strong>tensiv betreute Berufsbildungsbereich muss nicht direkt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Arbeitsvertragmünden. Die Klienten können weiterh<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> ausgelagerten Gruppeverbleiben o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>en Beschäftigungsvertrag anstreben.Die tatsächlichen Reha-VerläufeDie Grafik zeigt die tatsächlichen Reha-Verläufe über 4 Jahre für alle schizophrenerkrankten Rehabilitanden, die zwischen 1987 und 2011 aufgenommen wurden(94 Personen). Ich fasse die Ergebnisse zusammen:• Der Übertritt <strong>in</strong> die Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gsfirma erfolgt <strong>in</strong>dividuell, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel früh.• Fast alle Klienten machen Arbeitsversuche <strong>in</strong> ausgelagerten Arbeitsgruppen.• Die Fluktuation ist erstaunlich hoch. Das ist für diesen Personenkreis typisch. 11• Nach Maßnahmenunterbrechungen o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>em Aufenthalt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>ternenAuffanggruppe wird auch die Rückkehr <strong>in</strong> die Firma praktiziert, ggf. mehrfach.• Auch <strong>der</strong> <strong>in</strong>terne Bereich wird langfristig besetzt.• Die Übertritte auf den ersten Arbeitsmarkt s<strong>in</strong>d überdurchschnittlich. 12Unsere Arbeitsplätze <strong>in</strong> Firmen werden besetzt, wie <strong>in</strong>terne Gruppen, d.h. ohneZugangsbeschränkung. Die i n t e r n e Betreuung ist die Ausnahme, die zu begründenist. Formelle Assessments (Melba, Hamet, Metzler, ICF usw.) haben wirdafür bislang nicht verwendet.1112Die hohe Fluktuation über alle Formen <strong>der</strong> Beschäftigung o<strong>der</strong> Nicht-Beschäftigung h<strong>in</strong>weg(d.h. auch <strong>der</strong> hohe Anteil von Abbrechern) ist <strong>in</strong> Fachliteratur gut belegt (z.B.: Gerhard Längle,Die berufliche Entwicklung schizophrener Patienten im Jahr nach Entlassung aus <strong>der</strong> Kl<strong>in</strong>ik,<strong>in</strong>: APK 2002, S. 96). Das gehört zu den Kernproblemen, auf die das System <strong>der</strong> Reha-Angebote e<strong>in</strong>gestellt werden muss. Die Qualität dieses Systems bemisst sich nicht nur an <strong>der</strong>Erfolgsquote son<strong>der</strong>n auch an <strong>der</strong> Frage, was mit den Abbrechern geschieht.siehe "Fluktuation..." im statistischen Anhang, S. 26siehe "Übertritte auf den ersten Arbeitsmarkt" im statistischen Anhang, S. 24- 5 -


Die ArbeitsplätzeDie Grafik zeigt e<strong>in</strong> Strukturmodell <strong>der</strong> Reha-Werkstatt Dieburg mit Belegungszahlen vom31.12.2011 (unabhängig von <strong>der</strong> Erkrankung). Die Belegung + 2 <strong>in</strong> den Gruppen bedeutet, dassjeweils 2 Beschäftigte aus <strong>der</strong> Werkstatt für geistig Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>te mitarbeiten. (Hierzu die Statistiküber die Klientenverteilung auf S. 20)Zum 31.12.2011 hatten wir 63 Klienten auf folgende Plätze verteilt:• Im <strong>in</strong>ternen Bereich unterhalten wir Montagegruppen. In diese Gruppen kommenauch Neuaufnahmen (E<strong>in</strong>gangsverfahren) und Rückkehrer aus den Firmen(Auffanggruppe). Arbeitsangebote: • Montage von Kehrbesen, • Abfüllen vonFiltermaterial für Aquarien, • Verpacken von Matratzenhüllen, • Produktion fürunseren Werkstattladen (Grußkarten, Malbuch, u.a.).Für den Berufsbildungsbereich stehen 4 Betriebe zur Auswahl:• Im Vertriebszentrum <strong>der</strong> Volkswagen Orig<strong>in</strong>alteile Logistik (VW OTLG) habenwir 20 Plätze (unter ca. 500 Betriebsmitarbeitern). Die VW OTLG trägt dieErsatzteil- und Zubehörlogistik für die VW-Gruppe. Arbeitsangebote: • E<strong>in</strong>zelaufträge(Prospektversand), • Leere Lagerbehälter sammeln und stapeln, • Zuschnittvon Pappen als Transportschutz, • Kehren, • Abfälle sammeln, Fasspresse,Paletten entsorgen, • Fahren e<strong>in</strong>er Kehrmasch<strong>in</strong>e, • Pflege <strong>der</strong> Außenanlage(Heckenschnitt, Mähtraktor), • Poststelle (<strong>in</strong>terne Postverteilung, Etikettieren,Kuvertieren), • Drucken von Etiketten, • Lagerarbeiten, E<strong>in</strong>lagern undGreifen, • Zuarbeiten zur Reifenmontage, • Zuarbeiten zur Reklamation.Wir treten im Vertriebszentrum nicht als Gruppe auf. Unsere Klienten s<strong>in</strong>düberwiegend <strong>in</strong> die Abteilungen (Kle<strong>in</strong>teile, Reklamation, Recycl<strong>in</strong>g, Druckerei,Poststelle usw.) e<strong>in</strong>gebaut. Die Erfüllung des Arbeitspensums gewährleistet- 6 -


<strong>der</strong> Betrieb. Unsere Klienten treten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Firma nicht als Angehörige e<strong>in</strong>es externenDienstleisters auf. Sie haben e<strong>in</strong>en modifizierten Arbeitnehmerstatus.Der Gruppenleiter hat e<strong>in</strong> eigenes Büro und e<strong>in</strong>en Arbeitsraum für E<strong>in</strong>zelaufträge.Er wird bei Urlaub und Krankheit zu 100% vertreten.• In <strong>der</strong> Mensa <strong>der</strong> FH Dieburg decken wir mit maximal 7 Personen alle Arbeiten<strong>in</strong> <strong>der</strong> Spülküche ab. Wir müssen e<strong>in</strong> täglich vorgegebenes Arbeitsvolumen bewältigenund alle Leistungsausfälle kompensieren. Die Gruppe arbeitet nurhalbtags und sie wird nur stundenweise aufgesucht von e<strong>in</strong>er Gruppenleiter<strong>in</strong>,die unsere "mobile Betreuung" macht.• Bei COSNOVA Logistics (CNL) haben wir e<strong>in</strong>e Gruppe mit offener Platzzahl.Die Firma arbeitet weltweit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Logistik von Kosmetikartikel. Unser Statusbei CNL ähnelt dem <strong>der</strong> Zeitarbeitsfirmen, die auch <strong>in</strong> dem Betrieb arbeiten.Unser Gruppenleiter führt mit se<strong>in</strong>er Gruppe Etikettierungsaufträge aus. Er istselbst für die Arbeitsorganisation zuständig. Wir können die Arbeitsvolumenzum Teil steuern.• Seit 2009 betreiben wir e<strong>in</strong>en Werkstattladen: dasUNIKAT. Er liegt im Zentrum <strong>der</strong> DieburgerFußgängerzone. Für das Projekt konnten wir 15ehrenamtliche Helfer gew<strong>in</strong>nen. Für die Ladenleitungsteht e<strong>in</strong>e Halbtags-Gruppenleiter<strong>in</strong> zur Verfügung,die zudem 3 Klienten im Berufsbildungsbereichbetreuen soll. Auf 70 qm Verkaufsflächebieten wir Eigenprodukte, Artikel regionalerKunsthandwerker und hochwertige Produkte ausWerkstätten im ganzen Bundesgebiet an.Unsere E<strong>in</strong>zelarbeitsplätze werden besetzt von Klienten, die schon länger bei unss<strong>in</strong>d und die den Übertritt auf den ersten Arbeitsmarkt nicht geschafft haben.• Wir hatten zum 31.12.2011 folgende E<strong>in</strong>zelverträge, die nur punktuell betreutwerden und die wir nur im Arbeitsbereich besetzen, nicht im Berufsbildungsbereich:• Debitorenbuchhaltung und • Aktentransport im Kreiskrankenhaus,• Mensa <strong>der</strong> Uni Darmstadt, • Hauswirtschaft <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Dieburger K<strong>in</strong><strong>der</strong>garten,• Kle<strong>in</strong>teil-Montage für Transportbän<strong>der</strong> bei Habasit, • Datene<strong>in</strong>gabe undSchlosserei bei Messer Cutt<strong>in</strong>g & Weld<strong>in</strong>g. 13E<strong>in</strong>zelverträge s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> beruflicher Endpunkt. Sie vermitteln den Klienten e<strong>in</strong>wichtiges Sicherheitsgefühl. Und sie s<strong>in</strong>d bequem für die Firmen.Praktika s<strong>in</strong>d <strong>der</strong> wichtigste Weg auf den ersten Arbeitsmarkt, außerhalb <strong>der</strong> Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gsfirmen.13Die drei Plätze bei Messer Cutt<strong>in</strong>g & Weld<strong>in</strong>g gehörten früher auch zu e<strong>in</strong>er ausgelagerten Arbeitsgruppe,die bei entsprechen<strong>der</strong> Klientennachfrage evtl. wie<strong>der</strong>belebt werden könnte.- 7 -


Alltägliche ZusammenarbeitDie Betriebe, <strong>in</strong> denen wir Rehabilitanden betreuen, s<strong>in</strong>d nicht nur gew<strong>in</strong>norientierteOrganisationse<strong>in</strong>heiten, die ihre Prozesse technisch und marktrational optimieren.Sie s<strong>in</strong>d auch "Lebenswelten". 14 Und unsere Gruppenleitungen nehmenmit ihren Klienten an diesen Lebenswelten teil.Exkurs: Die <strong>in</strong>formelle Organisation <strong>der</strong> Arbeitswelt wurde <strong>in</strong> den 20er Jahrenentdeckt, und zwar zufällig, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em großangelegten Forschungsprojekt zur Verwissenschaftlichung<strong>der</strong> Betriebsführung. 15 Bei diesen sogenannten Hawthorne-Experimenten 16 bemerkten die Wissenschaftler, dass die ArbeiterInnen wechselseitigihre Leistung kontrollierten und überdurchschnittlichen Arbeitse<strong>in</strong>satz vonKollegInnen sanktionierten. Sie verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t damit den Durchgriff des Managementsauf die Arbeitsleistung.Das Thema gehört heute u.a. zur Organisationssoziologie. Auch Anthropologenhaben sich dem mo<strong>der</strong>nen Betrieb zugewendet und ihn ethnografisch untersucht.Folgende Forschungsergebnisse ersche<strong>in</strong>en mir <strong>in</strong>teressant und decken sich miteigenen Alltagsbeobachtungen: 17• Formelle und <strong>in</strong>formelle Organisation s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> verwoben.• Die <strong>in</strong>formelle Organisation produziert Gruppenkonformität. Sie verfügt übereigene Regeln, Hierarchien, Belohnungs- und Bestrafungsmöglichkeiten.• Die <strong>in</strong>formelle Organisation entzieht sich zum<strong>in</strong>dest teilweise dem Zugriff <strong>der</strong>Betriebsleitung.• Die Stellung des E<strong>in</strong>zelnen <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> <strong>in</strong>formellen Organisation hängt erheblichvon persönlichen Eigenschaften ab. Wichtig s<strong>in</strong>d extern begründete Beziehungen:Bekanntschaft, Freundschaft und Verwandtschaft.• Soziale Zuordnungen prägen auch die <strong>in</strong>formelle Organisation (Sozialstatus,ethnische Zugehörigkeit, Geschlecht).• Je<strong>der</strong> Betrieb entwickelt se<strong>in</strong>e eigene <strong>in</strong>formelle Welt, die fragmentiert se<strong>in</strong>kann, sich auflösen und neu bilden kann.Ich möchte die sozial<strong>in</strong>tegrativen Kräfte im Folgenden näher betrachten:• Für die Betriebe hat <strong>der</strong> "soziale Faktor" e<strong>in</strong>e erhebliche produktive Bedeutung:Komplexere Arbeitsprozesse lassen sich nur unvollständig formalisieren. Mitan<strong>der</strong>en Worten, die Arbeit läuft nur dann "rund", wenn formelle Produktions-14151617Natürlich gibt es auch Betriebe, die nicht viel mit "Lebenswelten" zu tun haben, Sie dürftenkaum für unsere Rehabilitanden geeignet se<strong>in</strong>.Im Anschluss an Fre<strong>der</strong>ick Taylor, <strong>der</strong> das Wissen <strong>der</strong> Facharbeiter überflüssig machen wollte.http://www.wirtschaftslexikon24.com/d/hawthorne-experimente/hawthorne-experimente.htmIch habe mich bei <strong>der</strong> Darstellung eng angelehnt an Sche<strong>in</strong> und Seiser (2010), E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong>die Organisations- und Betriebsanthropologie, Institut für Kultur- und Sozialanthropologie, U-niversität Wien. Quelle: http://www.univie.ac.at/ksa/elearn<strong>in</strong>g/cp/organthro/organthrotitel.html(Download am 31.1.2013)Ich denke, dass die Methoden <strong>der</strong> Ethnologie auf die soziale Welt e<strong>in</strong>es Betriebes angewendetwerden könnten, um berufliche Integrationsprozesse von psychisch kranken Menschen zu verstehen.Unsere Arbeit be<strong>in</strong>haltet ethnologische Aufgaben.- 8 -


und Entscheidungsstrukturen durch <strong>in</strong>formelle gedeckt s<strong>in</strong>d. 18 Die <strong>in</strong>formelleHandlungskoord<strong>in</strong>ation setzt e<strong>in</strong> M<strong>in</strong>imum an sozialer Integration voraus.• Große Firmen haben <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel Erfahrungen mit psychisch kranken Mitarbeitern.Für die Firmen, bzw. für <strong>der</strong>en Personalleitung, ist das e<strong>in</strong> schwierigesThema. Die Interaktion mit chronisch schizophrenen Menschen am Arbeitsplatz(also die gelebte Zusammenarbeit) wird oft als problematisch beschrieben, auchvon unseren Rehabilitanden, die sich auf frühere Berufserfahrungen beziehen. 19Sie sche<strong>in</strong>t geprägt zu se<strong>in</strong> von Missverständnissen, Vorurteilen, Konflikten.• Für die <strong>Rehabilitation</strong> ist die Interaktionsebene die wichtigste Ressource: Integrationsproblemeunserer Klientel werden zu e<strong>in</strong>em erheblichen Teil auf <strong>der</strong> <strong>in</strong>formellenEbene abgefangen und bearbeitet. Die <strong>in</strong>formelle Interaktion im Arbeitsalltagist e<strong>in</strong> universelles Medium <strong>der</strong> Integration (nicht nur für e<strong>in</strong>e spezielleKlientel).• Ich habe den E<strong>in</strong>druck, dass die Teilnahme an <strong>der</strong> Interaktion e<strong>in</strong> Motor <strong>der</strong><strong>Rehabilitation</strong> ist. Er treibt den Reha-Prozess fortwährend an. Wirksam kanndie <strong>Rehabilitation</strong> im Betriebsalltag für jene Kranke se<strong>in</strong>, denen es gel<strong>in</strong>gt, an<strong>der</strong> <strong>in</strong>formellen Koord<strong>in</strong>ation des Handelns teilzunehmen. Rehabilitanden, dienicht e<strong>in</strong> M<strong>in</strong>imum an Beziehungsfähigkeit mitbr<strong>in</strong>gen,die fremd bleiben, die Beziehungen alltäglicham Nullpunkt neu beg<strong>in</strong>nen, scheitern. Siemachen <strong>in</strong>sgesamt ke<strong>in</strong>e Entwicklungsfortschritteund scheiden früher o<strong>der</strong> später wie<strong>der</strong> aus demBetrieb aus. <strong>Rehabilitation</strong> am Arbeitsplatz ist nurdann erfolgversprechend, wenn sich die Rehabilitanden<strong>in</strong> die kommunikative Alltagsbewältigunge<strong>in</strong>beziehen lassen. 20ProblemkomplexeDie berufliche Integration schizophrener Menschen ist natürlich nicht nur e<strong>in</strong>Problem <strong>der</strong> sozialen Interaktion. Im Arbeitsalltag hat die Problembewältigungenge Grenzen. Akute Krankheitsphasen können nicht <strong>in</strong> den Betrieben aufgefangenwerden. Sie gehören <strong>in</strong> die Zuständigkeit des mediz<strong>in</strong>isch-therapeutischenSystems. Und auch wir Betreuer arbeiten dezidiert nicht-therapeutisch.181920Arbeitsprobleme müssen erkannt, gemeldet und gelöst, Fehler korrigiert, Mitarbeiter angelernto<strong>der</strong> angeleitet werden. Der Arbeitsprozess muss angepasst werden an <strong>in</strong>dividuelle Fähigkeiten,krankheits- o<strong>der</strong> urlaubsbed<strong>in</strong>gte Ausfälle und an<strong>der</strong>e spezielle Arbeitssituationen. DerAusdruck "Dienst nach Vorschrift" bedeutet die Aussetzung <strong>in</strong>formeller Kooperation und iste<strong>in</strong>e Umschreibung für die Störung des Arbeitsablaufes.Schon den Smalltalk am Arbeitsplatz empf<strong>in</strong>den e<strong>in</strong>ige Rehabilitanden als unangenehm.Manchmal gel<strong>in</strong>gt das auch für Rehabilitanden <strong>der</strong>en Kommunikationsfähigkeit nicht für e<strong>in</strong>eTherapie ausreicht.In e<strong>in</strong>em Betriebe betreuten wir über mehrere Jahre e<strong>in</strong>e Rehabilitand<strong>in</strong>, die irgendwie ohneKrankheitsbewusstse<strong>in</strong> zurechtkam, die aber e<strong>in</strong>e gute Kommunikationsfähigkeit mitbrachte.Manche Klienten machen Fehler, weil sie starke Angst vorm Nachfragen (Mutismus) haben.- 9 -


Drei Problemkomplexe möchte ich im Folgenden näher betrachten: Leistungsdefizite,Regelverstöße und Stigmatisierung. Dabei <strong>in</strong>teressieren mich jeweils 5 Fragen(vor allem im organisatorischen Rahmen ausgelagerter Arbeitsgruppen):(1.) Was ist das Problem? (2.) Welche Problemlösungen kann man mit den Geschäftsführungenvere<strong>in</strong>baren? (3.) Welche Rückkopplungen gibt es <strong>in</strong> <strong>der</strong> alltäglichenZusammenarbeit? (4.) Welche Rolle kommt den Betreuern zu? (5.) WelcheWirkung hat <strong>der</strong> Arbeitsalltag für die <strong>Rehabilitation</strong>? Ich kann Ihnen nur Alltagsbeobachtungenund praktische Zugänge zu diesen Punkten vortragen, ke<strong>in</strong>e fertigeTheorie. Das wäre Sache <strong>der</strong> Forschung.Heterogene AusgangslageDie Ausgangslage variiert <strong>in</strong>dividuell extrem. 21 Die Krankheitsbil<strong>der</strong> unsererchronisch schizophrenen Klienten reichen von Residualstörungen über produktiveErkrankungen bis zu ausgeprägten M<strong>in</strong>ussymptomatiken.Ca. e<strong>in</strong> Drittel unserer Klienten br<strong>in</strong>gt Zusatzhandicapsmit: geistige o<strong>der</strong> körperliche Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungeno<strong>der</strong> Suchtprobleme. H<strong>in</strong>zu kommen sozialeUnterschiede: Die Zusammensetzung unsererKlientel reicht vom Son<strong>der</strong>schüler bis zum Akademiker,vom 18- bis zum 55-jährigen 22 , von <strong>der</strong>Heimbewohner<strong>in</strong> bis zum Familienvater, vom Berufse<strong>in</strong>steigerbis zum ehemaligen Filialleiter e<strong>in</strong>erBank. Ebenso vielfältig ist <strong>der</strong> För<strong>der</strong>bedarf. Zweifellos decken die Qualifizierungsangebote,wie sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em konventionellen Berufsbildungsbereich <strong>der</strong>Werkstatt organisiert werden, e<strong>in</strong>en wichtigen Teil des För<strong>der</strong>bedarfs ab. Für e<strong>in</strong>eexterne Gruppe könnten entsprechende Angebote als separate Module organisiertwerden.Leistung und Ausfälle1. Das Problem: Ich habe <strong>in</strong> ca. 200 Informations- und Aufnahmegesprächen nachden <strong>beruflichen</strong> Handicaps gefragt, die aus <strong>der</strong> psychischen Erkrankung resultieren.Von den Schizophrenen wird e<strong>in</strong>e reduzierte Belastungsfähigkeit am häufigstenals Handikap angeführt – vermutlich auch deshalb, weil das für die Betroffenenselbst am leichtesten zu fassen und zu vermitteln ist.Tatsächlich s<strong>in</strong>d Leistungsschwankungen, ger<strong>in</strong>ges Durchhaltevermögen o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>epermanente Leistungsreduzierung und <strong>der</strong> erhöhte Krankenstand typisch fürden Personenkreis.2. Die offizielle Handhabung: In <strong>der</strong> Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gsphase haben wir, wie gesagt, dieMöglichkeit, Menschen ohne Leistungsdruck <strong>in</strong> die Arbeitswelt e<strong>in</strong>zuführen.2122Dabei ist die Werkstattklientel schon vorselektiert - nach Erkrankungsschwere, vielleicht nachVerfügbarkeit von Alternativen. So ist auch die Prävalenz (nicht die Inzidenz) <strong>der</strong> Schizophrenieabhängig von <strong>der</strong> sozialen Schicht <strong>der</strong> Erkrankten.Daten zur Altersstruktur im statistischen Anhang S.26- 10 -


Darüber h<strong>in</strong>aus haben wir 3 Kooperations- und Entgelt-Modelle1. Mit <strong>der</strong> VW OTLG konnten wir Entgelte vere<strong>in</strong>baren, die sich auf die Durchschnittsleistung<strong>der</strong> Gruppe beziehen. Mittelfristig gleichen sich Leistungsdefiziteund -Überschüsse aus, auch wenn die Gruppenbesetzung wechselt.2. Mit CNL rechnen wir die erledigten Aufträge ab. Das Arbeitsvolumen könnenwir <strong>in</strong> Grenzen steuern und dadurch Ausfälle verkraften.3. In <strong>der</strong> Spülküche <strong>der</strong> Mensa müssen wir das anfallende Pensum abarbeiten.Ausfälle müssen wir jeweils unmittelbar ausgleichen, z.B. durch Mehrleistung,Überstunden, verstärkte Mitarbeit <strong>der</strong> Gruppenleitung. O<strong>der</strong> <strong>in</strong>terneKlienten können als Überbrückungshilfen angefragt werden. Notfalls setzenwir bezahlte Kräfte e<strong>in</strong>.Bei Arbeitsverträgen gibt es zwar kompensatorische Lohnkostenzuschüsse, dieman aber für den Personenkreis nur schwer quantifizieren kann und nach me<strong>in</strong>erErfahrung nur befristet bewilligt bekommt. E<strong>in</strong> gewisses Toleranzmaß ist trotzdembei Arbeitsverträgen vorhanden. Wir hatten beispielsweise für Paul (Fallbeispiel1) das Angebot e<strong>in</strong>es Arbeitsvertrages, das an die Bed<strong>in</strong>gung geknüpft war,dass se<strong>in</strong> Krankenstand unter 20% s<strong>in</strong>kt. 233. Die alltägliche Zusammenarbeit: Leistungsausfällekönnen sich an verschiedenen Arbeitsplätzen sehrunterschiedlich auf Kollegen und <strong>der</strong>en Kooperationsbereitschaftauswirken. Wesentlich ist, dass 1.unsere Klienten den Arbeitsalltag nicht zusätzlicherschweren und 2. nicht mit den Firmenmitarbeiternkonkurrieren. Logistik-Betriebe sche<strong>in</strong>en gute Bed<strong>in</strong>gungenfür unser berufliches Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g zu bieten.Nur Kollegen, die e<strong>in</strong>en Rehabilitanden länger begleiten, können se<strong>in</strong>e Leistungse<strong>in</strong>schränkungenbeurteilen. Die Leistungsdefizite und Ausfälle müssen dabe<strong>in</strong>icht immer als objektive Tatsachen verbucht werden, wenn z.B. die Grenze zwischen"krank se<strong>in</strong>" und "krank feiern" nicht so e<strong>in</strong>deutig ist. Die Betriebsmitarbeiterdef<strong>in</strong>ieren Probleme, setzen Grenzen sozialer Akzeptanz und steuern Ideen zurProblemlösung bei. Sie s<strong>in</strong>d oft auch Erf<strong>in</strong><strong>der</strong> von anfor<strong>der</strong>ungsreduzierten Arbeitsplätzen:Die Rehabilitanden können z.B. e<strong>in</strong>fache Arbeiten übernehmen, diee<strong>in</strong> höher bezahlter Betriebsmitarbeiter sonst mit abarbeitet.4. Die Gruppenleitung: beurteilen die Belastbarkeit, machen Leistungsanfor<strong>der</strong>ungengeltend o<strong>der</strong> schützen den Klienten vor (Selbst-)Überfor<strong>der</strong>ung. 24 Siemüssen passende Arbeitsplatz-Arrangements mit den beteiligten Akteuren vere<strong>in</strong>-2324Die Gruppe, die wir <strong>in</strong> dieser Firma heute betreuen, hat übrigens schon seit vielen Jahren e<strong>in</strong>endurchschnittlichen Krankenstand von ca. 7% (über alle Personenkreise).Beispiel: Der Jobcoach kann manche Probleme als vorübergehend e<strong>in</strong>ordnen: "Während <strong>der</strong>Medikamentenumstellung ist X nicht so e<strong>in</strong>satzfähig wie sonst."O<strong>der</strong>: "X hat sich positiv entwickelt. Wir denken, dass er sich von se<strong>in</strong>er psychischen Erkrankunglangsam erholt."- 11 -


aren und fortlaufend anpassen. Das ist e<strong>in</strong> Aushandlungsprozess, <strong>in</strong> den alle Beteiligteneigene Kompetenzen e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen und den alle auch blockieren können.5. Die <strong>Rehabilitation</strong>s-Mechanismen: Menschen mit schizophrenen Psychosenmüssen nicht nur ihre Belastungsfähigkeit tra<strong>in</strong>ieren. Sie müssen auch lernen, siezu beobachten und zu beurteilen, um psychisch stabil zu bleiben, aber auch umdie Leistungsfähigkeit auszuschöpfen und akzeptable Leistung zu erbr<strong>in</strong>gen.Der Kranke muss aber nicht nur lernen, se<strong>in</strong>e (variable) Belastungsgrenze selbstwahrzunehmen. Die reduzierte Belastungsfähigkeit ist für die Umwelt nicht sichtbar.Um sie angemessen darzustellen, muss er sie plausibel machen, auch ohneUnterstützung <strong>der</strong> Gruppenleitung. Das setzt nicht nur voraus, dass <strong>der</strong> Krankeglaubhaft ist, son<strong>der</strong>n auch, dass er e<strong>in</strong> Stück se<strong>in</strong>es Handicaps preisgibt (nicht alleFacetten <strong>der</strong> Erkrankung). Er muss lernen sich selbst zu vertreten.Darüber h<strong>in</strong>aus bleibt die Hoffnung, dass mit jedem Schritt <strong>der</strong> <strong>beruflichen</strong> E<strong>in</strong>glie<strong>der</strong>unge<strong>in</strong> Zuwachs an psychischer Stabilisierunge<strong>in</strong>tritt, <strong>der</strong> weitere Integrationsschritte möglichmacht. Tatsächlich ist die psychische Stabilisierung<strong>in</strong> vielen Fällen offenkundig, z.B. wenn wie<strong>der</strong>holtestationäre Behandlungen langfristig überflüssigwerden. Unsere Krankenstatistik (im AnhangS.23) zeigt, dass die psychische Stabilisierunge<strong>in</strong> langfristiger Prozess ist.Formelle Regeln und abweichendes Verhalten1. Das Problem: Der Betrieb ist als Organisationsform durch formelle Normen def<strong>in</strong>iert:also Rechtsnormen, Verwaltungsvorschriften, Arbeitsverträge, betrieblicheVere<strong>in</strong>barungen, Hausordnungen, Sicherheitsanweisungen usw.Schizophren erkrankte Rehabilitanden scheitern oft an den Verhaltensanfor<strong>der</strong>ungen,die sich daraus ergeben. Der Begriff <strong>der</strong> "Arbeitstugenden" deutet schon aufdie Ver<strong>in</strong>nerlichung <strong>der</strong> Normen h<strong>in</strong> (und damit auch auf die <strong>in</strong>formelle Dimension).Zu den Arbeitstugenden zählen: Pünktlichkeit, E<strong>in</strong>haltung <strong>der</strong> Pausen, ordentlicheKrankmeldung, Verbleib im Betrieb während <strong>der</strong> Arbeitszeit, Sauberkeitund Ordnung, Sorgfalt und Genauigkeit <strong>der</strong> Arbeit, vollständige Arbeitsausführung,Zuverlässigkeit, Bereitschaft zu fremdbestimmter Leistung, Zusammenarbeitund E<strong>in</strong>glie<strong>der</strong>ung <strong>in</strong> die Hierarchie.H<strong>in</strong>zu kommen Regeln <strong>der</strong> Alltagskommunikation: rituelle Bestätigungen (Loyalität),berufliche Orientierung (Fokus), persönliche Positionierung (Identität), dienur beschränkte Zulassung privater Inhalte (Distanz) usw.2. Die offizielle Handhabung: Die Gruppenleitungen übernehmen offizielle Funktionen<strong>der</strong> Kontrolle. Die Sanktionen <strong>der</strong> Firma, also Abmahnungen und Kündigungen,werden ersetzt durch die Sanktionen <strong>der</strong> Werkstatt, wie z.B. die Rücknahme<strong>in</strong> den <strong>in</strong>ternen Bereich.Verhaltensprobleme werden <strong>der</strong> <strong>Rehabilitation</strong> als <strong>der</strong>en Zuständigkeitsfeld zugewiesen,so wie <strong>der</strong> Krankheitstand dem mediz<strong>in</strong>isch-therapeutischen System.- 12 -


3. Die alltägliche Zusammenarbeit: Soweit Regelverletzungen nicht zum formellenAusschluss führen und auch nicht <strong>der</strong> Gruppenleitung zur "Bearbeitung" übergebenwerden können, haben sie erhebliche Auswirkungen auf die <strong>in</strong>formelle Interaktion.Das ist bei abweichendem Verhalten zu beobachten, wenn sich psychotischeSymptome aktiv auf die soziale Umwelt beziehen, wenn sie den S<strong>in</strong>n vonInteraktionssituationen betreffen. 25Psychisch kranken Menschen können reziproke Erwartungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Interaktionnicht immer angemessen <strong>in</strong>terpretieren. Darum ist typischerweise die Fähigkeitbee<strong>in</strong>trächtigt, e<strong>in</strong>e soziale Rolle zu übernehmen – hier die (modifizierte) Arbeitnehmerrolle.26Mitakteure werden oft subtil <strong>in</strong> die Welt des Kranken e<strong>in</strong>geflochten. Die Krankenverteilen unangemessene Rollen und verkennen ihreeigene. 27 Ihre Umwelt gew<strong>in</strong>nt für psychisch Krankeungerechtfertigte Bedeutungen. Sie machen unterschwelligeUnterstellungen, for<strong>der</strong>n Gefühlsreaktionenheraus, provozieren Schuldgefühle o<strong>der</strong> suchenSchuld, wo ke<strong>in</strong>e ist, for<strong>der</strong>n die Aufspaltungvon Gut und Böse, beschuldigen an<strong>der</strong>e als Verfolger,erpressen Zuwendung, bis h<strong>in</strong> zu (versteckten)Suiziddrohungen usw. Von den Kranken kann e<strong>in</strong>Beziehungs-Druck ausgehen. 28In <strong>der</strong> <strong>beruflichen</strong> <strong>Alltagswelt</strong> kann nur <strong>der</strong> Grenzbereich zwischen psychiatrischenSymptomen und "normalen" Verhaltensabweichungen bewältigt werden.E<strong>in</strong>ige <strong>der</strong> Kollegen lernen, Krisenvorboten zu erkennen und anzusprechen, mitdem Ziel, e<strong>in</strong>en frühzeitigen Facharztbesuch anzustoßen und das Risiko e<strong>in</strong>esKrankheitsschubs zu verr<strong>in</strong>gern.4. Die Gruppenleitungen: s<strong>in</strong>d offiziell die ersten Ansprechpartner für die Rehabilitandenund die Betriebsmitarbeiter. Sie fangen Probleme ab, ehe sie die Zusam-25262728"Unser Zusammenleben mit an<strong>der</strong>en Menschen beruht wesentlich darauf, dass wir die psychischeGesundheit unserer Handlungspartner – ihre 'Normalität' – geme<strong>in</strong>h<strong>in</strong> nicht <strong>in</strong> Frage stellen.Wir s<strong>in</strong>d täglich vielfältigen sozialen Situationen ausgesetzt, <strong>in</strong> denen sich an<strong>der</strong>e Menschenan<strong>der</strong>s verhalten als wir das erwarten o<strong>der</strong> wünschen. Unsere übliche Reaktion daraufkann nicht se<strong>in</strong>, die seelische Gesundheit des Gegenüber zu überprüfen son<strong>der</strong>n dessen Verhaltenungeprüft als verantwortlich und gewollt h<strong>in</strong>zunehmen und entsprechend darauf zu reagieren."Asmus F<strong>in</strong>zen, 2009, Psychiatrie und Soziologie. S. 76; Download am 9.1.2013; Quelle:http://www.f<strong>in</strong>zen.ch/F<strong>in</strong>zen/Veroffentlichungen_im_Netz_files/Pschi+Soz.Asmus%20F<strong>in</strong>zen.pdf )Den rollentheoretischen Ansatz greift auch F<strong>in</strong>zen (ebd.) auf. Die Rollentheorie bezieht sichauf die Interaktionsebene, die mir wichtig ist. Ich weiß nicht, ob die "soziale Rolle des Rehabilitandenim Firmenalltag" e<strong>in</strong> brauchbares Konzept wäre. Etabliert ist es nicht.Es kann schon mal passieren, dass e<strong>in</strong> Klient e<strong>in</strong>em Firmenmitarbeiter Anweisungen gibt. E<strong>in</strong>Klient unserer Gruppe brachte es fertig, dem zuständigen Staplerfahrer zu erklären, dass er (<strong>der</strong>Klient) wisse, wie die DB-Box vom wackligen Stapel herunterzuheben sei. Zum Glück wussteer mit dem übergebenen Staplerschlüssel nichts anzufangen.Die Verhaltansauffälligkeiten s<strong>in</strong>d vielfältig: reduzierte soziale Distanz, Missachtung von Privatbereichen,starres, ritualisiertes Verhalten, Passivität und Überanpassung.Manche Rehabilitanden überbeanspruchen die (<strong>in</strong>formelle) Kooperation am Arbeitsplatz, umke<strong>in</strong>e eigenständigen Entscheidungen treffen zu müssen.- 13 -


menarbeit bee<strong>in</strong>trächtigen. Sie haben e<strong>in</strong>e Entlastungsfunktion, weil sie wesentlicheTeile <strong>der</strong> sozialen Kontrolle und Sanktionierung übernehmen. Ihnen kommtes auch zu, die Betriebsmitarbeiter vor ihren eigenen Helferimpulsen zu schützenund ihr emotionales Engagement zu dämpfen. Die Gruppenleitung ist auch hierwie<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Rolle des Interpreten, <strong>der</strong> Verhaltensabweichungen auf Krankheitsproblemezurückführt und um Verständnis wirbt. Die Beschäftigung mit <strong>der</strong> psychotischenProblemproduktion überlassen wir allerd<strong>in</strong>gs den Therapeuten.GruppenleiterInnen haben nicht nur e<strong>in</strong>e formelle Autorität. Sie können Vertrauenspersonund Vorbild se<strong>in</strong>. Ihre Persönlichkeit ist e<strong>in</strong>e ihrer wichtigsten Qualitäten.Was auf <strong>der</strong> breiteren Sozialebene missl<strong>in</strong>gt, kann zum Teil über die persönlicheEbene vermittelt o<strong>der</strong> aufgefangen werden. Die persönliche Beziehung erleichtertalle vertrauensabhängigen Aufgaben: beispielsweise Schutz und Beistand,die Begleitung an den Arbeitsplatz, die E<strong>in</strong>schätzung von Problemen undBelastungen, Abschirmung außerberuflicher Probleme,Hilfen zur Vermeidung beruflicher Schwächenund zur För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> <strong>beruflichen</strong> Stärken,Zuspruch von Mut und Selbstbewusstse<strong>in</strong> usw.Manchmal müssen Anfor<strong>der</strong>ungen bis <strong>in</strong> den persönlichenBereich h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> geltend gemacht werden:Kleidung, Hygiene, Auftreten, E<strong>in</strong>nahme vonMahlzeiten. Das s<strong>in</strong>d Aufgaben, die ebenso gut zurVater- o<strong>der</strong> Mutterrolle gehörten.Die Gruppenleitung kann nach Möglichkeiten suchen,die alltägliche Zusammenarbeit durch Konventionalisierung zu vere<strong>in</strong>fachen.Dabei sollen fehlende <strong>in</strong>nere mentale Strukturen durch äußere ersetzt werden.Das bedeutet, offene Verhaltenspr<strong>in</strong>zipien enger zu fassen, sie <strong>in</strong> konkreteVerhaltensanweisungen zu übersetzen und die Kontrolle zu <strong>in</strong>tensivieren. 29In <strong>der</strong> Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit den Rehabilitanden geht es regelmäßig um die Bedeutungvon formellen Verhaltensanfor<strong>der</strong>ungen und um die erfor<strong>der</strong>liche Diszipl<strong>in</strong>.An psychischen Tiefpunkten ist die relative Geltungskraft von sozialen Regelnherabgesetzt. 30 E<strong>in</strong> psychisch kranker Mensch muss für se<strong>in</strong> ganzes Lebene<strong>in</strong> wesentlich größeres Maß an Diszipl<strong>in</strong> aufbr<strong>in</strong>gen. Das hat Grenzen.5. Die <strong>Rehabilitation</strong>s-Mechanismen:Entscheidend ist, dass die Integrationsarbeit veralltäglicht wird. Der Berufsalltagwirkt als beständiger Sozialisierungsstrom. Die Kollegen im Betrieb leben fortwährenddie Arbeitnehmerrolle vor. Betreuer und Belegschaft machen alltäglicheLeistungsanfor<strong>der</strong>ungen geltend o<strong>der</strong> nehmen sie zurück. Kooperationsproblemewerden alltäglich bere<strong>in</strong>igt. Und zwar zwischen allen Mitarbeitern.2930höher Kontakthäufigkeit / Auflagen / zusätzliche Kontrollpunkte im Arbeitsprozess /Gedankenexperiment: Morgens kl<strong>in</strong>gelt <strong>der</strong> Wecker. Warum soll ich e<strong>in</strong>e "Maßnahme" besuchen,die mir mehr abverlangt als ... ? Ich b<strong>in</strong> total müde, wegen den Medikamenten ...- 14 -


Was als abweichendes Verhalten <strong>in</strong>s Bewusstse<strong>in</strong> kommt, wird so <strong>in</strong> soziale akzeptierteInteraktionsrout<strong>in</strong>e überführt. Die Arbeitswelt ist vielleicht sogar dasideale Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gsfeld für die Interaktionsfähigkeit, wenn die alltägliche Zusammenarbeitimmer wie<strong>der</strong> anschaulich auf ihre sachlicheGrundlage zurückgeführt werden kann. Siebietet nicht das "Problemmaterial", das private, familiäreBeziehungen erzw<strong>in</strong>gen. E<strong>in</strong>e sachliche,d.h. emotional entlastete Zusammenarbeit erleichtertschizophrenen Menschen die Interaktion (nachdem Pr<strong>in</strong>zip <strong>der</strong> "low expressed emotions" 31 ).Im Laufe <strong>der</strong> Teilnahme wachsen tatsächlich auchpersönliche B<strong>in</strong>dungen, mitunter Freundschaften. Ine<strong>in</strong>em Fall haben wir sogar e<strong>in</strong>e Eheschließung gefeiert.Letztlich ist die Bewältigung <strong>der</strong> Verhaltensanfor<strong>der</strong>ungen vor allem e<strong>in</strong>e Leistungdes Kranken, <strong>der</strong> Formen <strong>der</strong> Integration <strong>in</strong> den Betrieb erprobt, Erfahrungmit <strong>der</strong> Krankheit <strong>in</strong> <strong>der</strong> betrieblichen Öffentlichkeit sammelt und reflektiert,se<strong>in</strong>e <strong>in</strong>dividuelle psychische Balance f<strong>in</strong>det, sich geeignete Bewältigungsstrategienaneignet und lernt, Vorboten psychotischer Krisen zu erkennen.Identität und Stigma1. Das Problem:Die Berufstätigkeit ist e<strong>in</strong>e starke Quelle <strong>der</strong> Identität. In <strong>der</strong> <strong>beruflichen</strong> <strong>Rehabilitation</strong>geht es um Identität, um den Platz <strong>in</strong> <strong>der</strong> Welt. 32Unter den Abbrechern <strong>der</strong> <strong>Rehabilitation</strong> gibt es viele, die gar nicht erst an <strong>der</strong> <strong>beruflichen</strong>Realität scheitern, Menschen die ihre Motivation nicht aufrecht erhaltenkönnen (siehe "Gründe des Ausscheidens" und "Teilnahmedauer <strong>der</strong> ausgeschiedenen..." im statistischen Anhang S. 25)."Die sozialen Folgen <strong>der</strong> Stigmatisierung müssen als zweite Krankheit verstandenwerden.", schreibt <strong>der</strong> Psychiater Asmus F<strong>in</strong>zen. 33 Die Irrationalität <strong>der</strong> sozialen313233High-Expressed-Emotions bedeutet die emotionale Überhöhung <strong>der</strong> Interaktion <strong>in</strong> RichtungÜberengagement o<strong>der</strong> Fe<strong>in</strong>dseligkeit – mit e<strong>in</strong>em ungünstigen E<strong>in</strong>fluss auf die Rückfallquote<strong>der</strong> Schizophrenie. Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Expressed-Emotion-Konzept; 31.1.13Arbeit ist nicht nur Erwerbstätigkeit. Sie ist e<strong>in</strong> zentraler Lebens<strong>in</strong>halt und vermittelt wesentlicheAspekte <strong>der</strong> Zugehörigkeit zur Gesellschaft, zur Schicht <strong>der</strong> Hand- o<strong>der</strong> Kopfarbeiter. DieArbeit prägt: Selbstwertgefühl, sozialer Status, Fähigkeiten und Interessen des E<strong>in</strong>zelnen hängenmit von se<strong>in</strong>em Arbeitsplatz ab. Der E<strong>in</strong>zelne <strong>in</strong>vestiert neben körperlichen und geistigenEnergien auch seelische Energien <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Arbeit - sei es als Lust an se<strong>in</strong>er Tätigkeit o<strong>der</strong> zurUnterdrückung von Unlust, als Stolz am Erfolg o<strong>der</strong> als Angst vor Versagen usw. Se<strong>in</strong>e Beziehungenzu Kollegen und Vorgesetzten s<strong>in</strong>d von vielfältigen Emotionen getragen. Die B<strong>in</strong>dungendes E<strong>in</strong>zelnen an se<strong>in</strong>en Arbeitsplatz s<strong>in</strong>d also sehr umfassend, im Wesentlichen <strong>in</strong>formellund großenteils gar nicht bewusst. Der Verlust des Arbeitsplatzes hat entsprechend tiefgreifendeauch seelische Konsequenzen.A. F<strong>in</strong>zen, Die Krankheit verstecken. Stigma und Stigmabewältigung. Download am 9.1.2013http://www.f<strong>in</strong>zen.ch/F<strong>in</strong>zen/Veroffentlichungen_im_Netz_files/Stigma.f<strong>in</strong>zen.Korr.pdf,E<strong>in</strong>e umfassen<strong>der</strong>e Aufarbeitung des Themas leistet F<strong>in</strong>zens Buch: "Der Verwaltungsrat istschizophren" Die Krankheit und das Stigma. Psychiatrie-Verlag, Bonn 1996- 15 -


Ausschließung zeigt er u.a. am metaphorischen Gebrauch des Wortes Schizophrenie<strong>in</strong> <strong>der</strong> Alltagssprache und am Mythos <strong>der</strong> Unheilbarkeit, die e<strong>in</strong> nüchternesVerhältnis zur Krankheit erschweren und unberechtigte Gefühle von Scham,Schuld und Schande auslösen.Die Kranken haben die gleichen Vorurteile wie die Durchschnittsbevölkerung.Vor den Kranken können die Diagnosen und die Symptome nicht verheimlichtwerden. So entstehen neben <strong>der</strong> Abwertung von Mitrehabilitanden, die wir oft beobachten,auch massive Selbstabwertungen, beruflicheResignation und generalisierte Gefühle <strong>der</strong> Ohnmacht.Die Werkstatt ist die unterste berufliche Auffangstation,unter <strong>der</strong> es ke<strong>in</strong> Berufsleben mehr gibt. In<strong>der</strong> Öffentlichkeit ersche<strong>in</strong>t die Werkstattaufnahmeals Ausschluss vom normalen Berufsleben. Für dieAkteure <strong>der</strong> Arbeitswelt wird die psychiatrische Etikettierungdurch die <strong>der</strong> Werkstatt 34 verdeckt, zum<strong>in</strong>destteilweise. Unsere Klienten werden nicht mit psychiatrischen Diagnosen <strong>in</strong>den Firmen vorgestellt. Das Stigma <strong>der</strong> psychischen Erkrankung betrifft <strong>in</strong> größeremMaß erst den Weg aus <strong>der</strong> Werkstatt heraus. Dann f<strong>in</strong>den auch wir E<strong>in</strong>stellungsvorbehalte- zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong> normalen Bewerbungsverfahren. Es will gut überlegtse<strong>in</strong>, was man bei e<strong>in</strong>em Vorstellungsgespräch von <strong>der</strong> Erkrankung preisgibt.Die Übergänge aus e<strong>in</strong>em erfolgreichen <strong>Rehabilitation</strong>sprogramm <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Festanstellung<strong>in</strong> <strong>der</strong> g l e i c h e n Firma – auch sie sprechen für die <strong>Rehabilitation</strong> <strong>in</strong><strong>der</strong> Arbeitswelt.2. Die offizielle Handhabung: Mit <strong>der</strong> Aufnahme e<strong>in</strong>er Gruppe aus <strong>der</strong> Werkstattzeigt die Geschäftsleitungen ihrer Belegschaft, dass Mitarbeiter trotz schwererHandicaps willkommen s<strong>in</strong>d. 35 Neben dem sozialen Engagement und dem Anstoße<strong>in</strong>er offenen Betriebsatmosphäre ist auch <strong>der</strong> wirtschaftliche Nutzen für die Firmake<strong>in</strong> Geheimnis. Die Kooperation ist e<strong>in</strong>e w<strong>in</strong>-w<strong>in</strong>-Relation.Alle Betriebe, die mit uns kooperieren, leisten e<strong>in</strong>e symbolische Integration, z.B.durch die Bereitstellung von Arbeitskleidung mit Firmenemblem, durch die E<strong>in</strong>ladungzu Betriebsfeiern o<strong>der</strong> Ausflügen usw. Unsere Rehabilitanden nehmen teilan Betriebsversammlungen und ggf. auch an betrieblichen Schulungen.Das von den Firmen gezahlte Leistungsentgelt reicht nicht an Tariflöhne heran.Die externen Erlöse s<strong>in</strong>d aber deutlich höher als die <strong>in</strong>ternen. Ende 2011 lag <strong>der</strong>3435Die <strong>der</strong> E<strong>in</strong>heitswerkstatt: Zusammenfassen ließen sich die verschiedenen Gruppen nur negativ,als sozial Ausgegrenzte, die nicht aus eigener Kraft am Arbeitsmarkt bestehen können. DieZusammenführung stigmatisierter Gruppen bekräftigt die Stigmatisierung.Für unsre ausgelagerten Arbeitsgruppen gibt es auch formelle Ausschließungen, und zwar <strong>in</strong>Bezug auf die Arbeitsfel<strong>der</strong>, zu denen wir Zugang bekommen, z.B. haben wir ke<strong>in</strong>e Staplerfahrer.O<strong>der</strong> umgekehrt, die Firmen öffnen nur bestimmte Bereiche, z.B. das Lager. Angesichts<strong>der</strong> "schwächeren" Klienten, die wir <strong>in</strong> die Firmen mitnehmen, s<strong>in</strong>d solche Ausschließungenverständlich. Die Palette <strong>der</strong> übernommenen Aufgabengebiete wächst erfahrungsgemäß imLaufe <strong>der</strong> Jahre auch <strong>in</strong> höherwertige Tätigkeitsbereiche h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>.- 16 -


Durchschnittserlös <strong>in</strong> den Gruppen VW OTLG und CNL bei 430,- Euro pro Kopf(<strong>in</strong>kl. <strong>der</strong> Klienten im Berufsbildungsbereich). 36 Die E<strong>in</strong>zelarbeitsplätze (ohneBBB) erwirtschafteten 520,- Euro pro Kopf. Die Erlöse werden gemäß WVO§ 12, Abs. 5 nur zum Teil ausgezahlt (ca. 70% vom 'Arbeitsergebnis').3. Die alltägliche Zusammenarbeit: Beim Start e<strong>in</strong>er neuen Gruppe wünschen sichmanche Ansprechpartner Informationen von denProfis über die Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ten, was man zu beachtenhabe. 37 Diagnosen nennen wir nicht. Es muss nichte<strong>in</strong>mal durchgängig <strong>in</strong> den Firmen bekannt se<strong>in</strong>,wer alles "zur Werkstatt gehört".Vorurteilsvolle Kollegen habe ich selten erlebt. Inden Arbeitswelten, die ich kennen gelernt habe, gibtes e<strong>in</strong> lebendiges soziales Bedürfnis, an<strong>der</strong>en Menschenzu helfen. Nach me<strong>in</strong>em E<strong>in</strong>druck werden diemeisten Rehabilitanden kollegial aufgenommen. Wir treffen auf fürsorgliche Kooperationsbereitschaft.Die ausgelagerte Arbeitsgruppe trägt zur sozialen Atmosphäredes Betriebs bei. Die Gruppen erarbeiten sich Anerkennung. SchwierigeSituationen s<strong>in</strong>d auf dieser Grundlage dann nicht gleich e<strong>in</strong> Ausschließungsgrund.38 Viele Klienten s<strong>in</strong>d im Betrieb langfristig deshalb tragbar, weil sie mit ihrenFehlern und Handicaps akzeptiert werden.4. Die Gruppenleitung: def<strong>in</strong>iert die "Werkstatt-Gruppe" als ihren Zuständigkeitsbereichund grenzen die Rehabilitandenrolle von <strong>der</strong> des Arbeitnehmers ab.Den Gruppenleitungen <strong>in</strong> den Firmen fällt es möglicherweise leichter als den <strong>in</strong>ternen,ihren Wahrnehmungsfokus auf die Zusammenarbeit zu richten, statt aufdie Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung. Mir sche<strong>in</strong>t, dass konventionelle Werkstätten gegen "Institutionalismus"ankämpfen 39 und gegen e<strong>in</strong>en negativen "Peer"-Effekt 40 . Ke<strong>in</strong>er <strong>der</strong> externenGruppenleitungen möchte <strong>in</strong> die Werkstatt zurück.36373839Die Mensa-Gruppe ist nur e<strong>in</strong>e Halbtagsgruppe und fürs UNIKAT habe ich ke<strong>in</strong>e Daten (bzw.nur zu den E<strong>in</strong>nahmen nicht aber zu den Ausgaben).Der Wunsch nach <strong>in</strong>formationsgestütztem Verhalten kann auch e<strong>in</strong>e angst<strong>in</strong>duzierte Abwehrgegen den menschlichen Kontakt se<strong>in</strong>. Wunsch nach Distanz.Die Praxis zeigt, dass tatsächlich nur wenige professionelle Informationen für die soziale Umweltwichtig s<strong>in</strong>d. Informationen s<strong>in</strong>d unverzichtbar, wenn sie Risiken betreffen. E<strong>in</strong> Epileptikerbeispielsweise wird se<strong>in</strong>en Hilfebedarf bei Anfällen kund tun wollen gegenüber den relevantenAkteuren.Zwei Beispiele hierfür: (1.) E<strong>in</strong>e Klient<strong>in</strong> wollte <strong>in</strong> <strong>der</strong> Betriebskant<strong>in</strong>e noch vor Arbeitsbeg<strong>in</strong>nmit e<strong>in</strong>em Pulverfeuerlöscher e<strong>in</strong>en Suizid begehen. Mitarbeiter <strong>der</strong> Firma halfen uns, die Kant<strong>in</strong>ezu putzen. Die Klient<strong>in</strong> war später e<strong>in</strong>e unserer Leistungsträger<strong>in</strong>nen. (2.) E<strong>in</strong>e Klient<strong>in</strong>verstopfte über Monate h<strong>in</strong>weg die Toilette mit ganzen Klopapierrollen, bis sie erwischt wurde.Auch sie blieb im Betrieb, konnte ihre Leistung durchgreifend steigern und lernte schließlichihren künftigen Ehemann <strong>in</strong> <strong>der</strong> Firma kennen.E<strong>in</strong> Beispiel ist die <strong>in</strong>terne "Aufsichtspflicht", die <strong>in</strong> externen Gruppen gar nicht realisierbarist. Goffmans Analysen <strong>der</strong> "Totalen Institution" müssten aus <strong>der</strong> Werkstattperspektive neu rezipiertwerden. E<strong>in</strong>en ausdrücklichen Bezug zu den Werkstätten hatte Peukerts Beitrag zumFachtag <strong>der</strong> Hessischen Reha-Werkstätten 2004 (unveröffentlicht). Er kritisiert u.a. den "pädagogisierendenlegitimatorischen Jargon" <strong>der</strong> Werkstätten.- 17 -


Die Haltung <strong>der</strong> Gruppenleitung gegenüber dem Rehabilitanden hat e<strong>in</strong>e entscheidendeBedeutung. Ich denke, dass die Anerkennung <strong>der</strong> modifizierten Arbeitnehmerrolledabei die eigentliche Herausfor<strong>der</strong>ung ist. Alle Tugenden <strong>der</strong> Gruppenleitung,wie "Echtheit, wertschätzen<strong>der</strong> Umgang, ... Verlässlichkeit, Berechenbarkeit,Geduld" 41 usw., müssen sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> alltäglichen Zusammenarbeit bewähren.Als Betreuer s<strong>in</strong>d wir selbst Arbeitnehmer, die diese soziale Rolle vorleben undihre Standards anwenden. Und die Rehabilitanden s<strong>in</strong>d (künftige) Kollegen. Wirs<strong>in</strong>d Teil <strong>der</strong> gleichen Welt.Für Psychiatrieerfahrene und Angehörige ist die Haltung <strong>der</strong> Profis ebenso wichtig,wie <strong>der</strong>en Fachkompetenz. 425. Die <strong>Rehabilitation</strong>s-Mechanismen: Manche Rehabilitanden reagieren auf denbloßen Wechsel <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Firma mit <strong>der</strong> Freisetzung von Fähigkeiten. Die Firmenbieten attraktivere Identifikationsmöglichkeiten alsdie Werkstatt. Das ungeschriebene Recht, für an<strong>der</strong>eMenschen nützlich zu se<strong>in</strong>, verwirklicht sich <strong>in</strong>den Firmen vielleicht deutlicher als <strong>in</strong> den Werkstätten.Der Psychiater Klaus Dörner nennt das"Teilgabe". 43Ausgelagerte Arbeitsplätze stärken das Selbstbewusstse<strong>in</strong>.Sie machen erfahrbar, was sachlich möglichist, jenseits zugeschriebener E<strong>in</strong>schränkungen.Dysfunktional s<strong>in</strong>d die strukturellen Probleme des Rehabilitandenstatus. UnsereRehabilitanden s<strong>in</strong>d• nicht mehr krank - aber auch nicht arbeitsfähig,• weniger als 3 Stunden beruflich e<strong>in</strong>setzbar - aber bekommen nur e<strong>in</strong>e Maßnahmebewilligt, wenn sie Vollzeit teilnehmen,• nicht sichtbar, nicht gleichförmig beh<strong>in</strong><strong>der</strong>t - aber formell als beh<strong>in</strong><strong>der</strong>t e<strong>in</strong>gestuft(per Gutachten bei Aufnahme u n d bei Übertritt <strong>in</strong> den Arbeitsbereich),• Sie erbr<strong>in</strong>gen Arbeitsleistung - erhalten aber ke<strong>in</strong> Lohn (son<strong>der</strong>n zunächst Ausbildungs-o<strong>der</strong> Übergangsgeld).• Später erhalten sie e<strong>in</strong>en Werkstatt-Lohn - s<strong>in</strong>d aber weiterh<strong>in</strong> abhängig vonGrundsicherung,40414243"Peers" s<strong>in</strong>d hier Menschen mit ähnlichen Lebensherausfor<strong>der</strong>ungen, die vone<strong>in</strong>an<strong>der</strong> lernen.Irmgard Plößl, Alle gleich o<strong>der</strong> je<strong>der</strong> an<strong>der</strong>s? Werkstättentag Freiburg 2012http://www.werkstaettentag.de/userfiles/vortraege/51/uploads/alle_gleich_o<strong>der</strong>_je<strong>der</strong>_an<strong>der</strong>s.pdf, Download am 31.01.2013Klaus Laupichler, <strong>Re<strong>in</strong>hard</strong> Peukert, Worauf wir Psychiatrie-Erfahrenen und wir Angehörigenuns verlassen wollen! In: APK 2006, S.56Die Fachkompetenz, <strong>der</strong> zweite Punkt, müsste sich an professionellen Standards bemessen, dielei<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Rehabilitation</strong> kaum vorhanden s<strong>in</strong>d. Ich denke, dass die Gruppenleiter an e<strong>in</strong>erForm von "Rationalisierung" <strong>der</strong> <strong>beruflichen</strong> <strong>Alltagswelt</strong> beteiligt s<strong>in</strong>d. Das wäre e<strong>in</strong> eigenesThema.Klaus Dörner Sozialpsychiatrie, Recht und Ökonomie im Diskurs. In: APK 2005, S. 93- 18 -


• Der "Berufsbildungsbereich" endet nach zwei Jahren - aber nicht die <strong>Rehabilitation</strong>.Fortschritte kann es je<strong>der</strong>zeit geben. So werden Arbeitsverträge auf demersten Arbeitsmarkt im D u r c h s c h n it t erst nach 30 Monaten erreicht.Die Rehabilitandenrolle ist im Supported Employmentnichts an<strong>der</strong>es als e<strong>in</strong>e modifizierte Arbeitnehmerrolle.Beide Rollendef<strong>in</strong>itionen werden vonden Kranken selbst verwendet.Die Rehabilitanden nehmen im Betrieb durchaus e<strong>in</strong>eSon<strong>der</strong>stellung e<strong>in</strong>: Sie s<strong>in</strong>d nicht vollständige<strong>in</strong>bezogen <strong>in</strong> die Identifikation unter den Arbeitnehmern,<strong>in</strong> die gegenseitig abverlangte Diszipl<strong>in</strong>,<strong>in</strong> die geme<strong>in</strong>same Verpflichtung für den Betriebo<strong>der</strong> <strong>in</strong> die Geme<strong>in</strong>schaft e<strong>in</strong>er Tarifpartei usw.Nach außen können sie trotzdem die Zugehörigkeit zur Firma vorweisen. UnsereRehabilitanden identifizieren sich mit ihrer Firma (nicht mit <strong>der</strong> Werkstatt). Umgekehrtentb<strong>in</strong>det sie <strong>der</strong> Werkstatt-Status <strong>in</strong> <strong>der</strong> Firma vom Rechtfertigungsdruckfür ihre E<strong>in</strong>schränkungen.Die normale Arbeitswelt ist nicht <strong>der</strong> harte, rücksichtslose Kontrast zur Werkstatt.Sie ist nur stärker an e<strong>in</strong>e ökonomische Rationalität gebunden.- 19 -


SchlussDie Verlagerung von E<strong>in</strong>zelarbeitsplätzen aus <strong>der</strong> Werkstatt <strong>in</strong> Betriebe h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>wird zurzeit mit erheblichem Nachdruck gefor<strong>der</strong>t und betrieben. Warum werdennicht ganze Segmente <strong>der</strong> Werkstatt, mit den vorhandenen Betreuungsressourcen<strong>in</strong> die Betriebe verlagert? S<strong>in</strong>d unsere Erfahrungen übertragbar?• Ich denke, dass unsere Klientel repräsentativ ist. Zum<strong>in</strong>dest entspricht die Qualifikationsstruktur(S. 28) <strong>der</strong> <strong>in</strong> den südhessischen Reha-Werkstätten. Wir hatten1998 e<strong>in</strong>en statistischen Vergleich hierzu durchgeführt.• Die Verteilung unserer Klienten ist ke<strong>in</strong>e Momentaufnahme. Die überwiegendexterne Betreuung hatte über 25 Jahre Bestand, bei allen Verän<strong>der</strong>ungen, die es<strong>in</strong> unserem Angebot und <strong>in</strong> unserem Umfeld gab.Das Diagramm zeigt das Größenverhältnis <strong>der</strong> externen Bereiche im Vergleich zum <strong>in</strong>ternen(rot dargestellt). Es stützt sich auf bere<strong>in</strong>igte Daten: Nicht e<strong>in</strong>gerechnet wurden jene Klienten,die aus <strong>der</strong> Werkstatt für geistig beh<strong>in</strong><strong>der</strong>te Menschen <strong>in</strong> unseren Betreuungsbereich übernommenwurden (13 Personen <strong>in</strong> 25 Jahren). Freie Plätze <strong>in</strong> den Firmen haben wir auch unserengeistig beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ten Kollegen aus unserer großen Mutter-Werkstatt angeboten.• Firmen lassen sich vielleicht nicht <strong>in</strong> allen Regionen als Kooperationspartnergew<strong>in</strong>nen (für Gruppen im Berufsbildungsbereich). In <strong>der</strong> BRD gibt es 7 Vertriebszentren<strong>der</strong> VW OTLG, die sich me<strong>in</strong>es Wissens erfolglos nach Projekt-Partnern umgesehen haben (mit Ausnahme von Hamburg). Ich würde gerneversuchen, Ihnen den Kontakt zu vermitteln.• Mit <strong>der</strong> Dauerklientel, die mit <strong>der</strong> Institution "verwachsen" ist, ist möglicherweiseke<strong>in</strong>e vergleichbare externe Quote erreichbar. Wir haben die Erfahrunggemacht, dass <strong>in</strong>terne und externe Rehabilitanden tendenziell ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>driften.In unserem <strong>in</strong>ternen Bereich verbleiben überwiegend Menschen mit Mehrfachbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungeno<strong>der</strong> ausgeprägten Negativ-Symptomatiken.- 20 -


FragenDie letzte viertel Stunde möchte ich für Fragen zur Verfügung stellen. Ich würdegerne selbst die erste formulieren und sie vor allem an die anwesenden Vertreteraus Reha-Werkstätten richten: Warum, glauben Sie, gibt es nicht mehr Werkstätten,die e<strong>in</strong> Supported Employment für den Berufsbildungsbereich aufbauen?Kontakt:<strong>Re<strong>in</strong>hard</strong> <strong>Saal</strong>Fachkraft für berufliche IntegrationVere<strong>in</strong> für Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>tenhilfe Dieburg und Umgebung e.V.Werkstatt, Industriestraße 2-6, 64807 DieburgTel.: 06071 / 9635-16Fax: 06071 / 9635-17PrivatTel.: 0160 / 6229088E-Mail: rg.saal@web.deBitte richten Sie Anfragen ggf. an me<strong>in</strong>e private E-Mail-Adresse!- 21 -


Statistischer AnhangDie hier vorgelegten Statistiken betreffen den Stichtag 31.12.2011 o<strong>der</strong> den Zeitraumvom 01.01.1987 bis zum 31.12.2011. Sie basieren auf folgenden Quellen:• Reha-Verläufe und Belegung: basieren auf den sogenannten Laufzetteln, die füralle Rehabilitanden geführt wurden.• Schulische und berufliche Qualifikation: Angaben <strong>der</strong> Beschäftigten, Lebensläufeund Zeugnisse• Handicaps: Berichte, Gutachten und eigene Beobachtungen• Alter: Personalbogen• Krankenstand: AnwesenheitslistenDie E<strong>in</strong>zeldaten wurden codiert und anonymisiert und zu statistischen Rohdatenzusammengefasst. Alle hier vorgelegten Auswertungen basieren auf diesen Rohdaten.DatenbasisIn den ersten Jahren bezieht sich die Auswertungauf e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>ge Klientenzahl: Das Reha-Projektbegann 1987 mit 6 Teilnehmern. Bis Ende 1991 (also<strong>in</strong> den ersten 5 Jahren) wuchs die Klientenzahlauf 20.Doppelaufnahmen (alle Klienten)In 25 Jahren gab es 23 Doppelaufnahmen. Sie wurden <strong>in</strong> die Statistiken über Alter,Fluktuation, Handicaps und Qualifikationen e<strong>in</strong>gerechnet wie Neuaufnahmen.Die Wie<strong>der</strong>aufnahmen können unter an<strong>der</strong>en Vorzeichen als die Erstaufnahmenstattf<strong>in</strong>den; und die Verläufe <strong>in</strong> <strong>der</strong> Reha-Maßnahme unterscheiden sich fast immer.Verschieden s<strong>in</strong>d die Arbeitsplätze, auf die die "Wie<strong>der</strong>aufnahmen" kommen,und später ggf. auch die Austrittsgründe. Wir hatten sogar e<strong>in</strong>zelne Klienten,die mit neuen o<strong>der</strong> verän<strong>der</strong>ten Handicaps wie<strong>der</strong> aufgenommen wurden. Theoretischhätte die Möglichkeit bestanden, neue Qualifikationen zu erwerben. Dieswar bei den 23 Doppelaufnahmen jedoch nicht <strong>der</strong> Fall. Es wurde ke<strong>in</strong>er <strong>der</strong> Akademikerdoppelt aufgenommen.- 22 -


KrankenstatistikDie Krankenstatistik liefert Zahlenmaterial, das mit Vorsicht <strong>in</strong>terpretiert werdenmuss. Die Krankenstände hängen nicht nur von <strong>der</strong> Än<strong>der</strong>ung des Gesundheitszustandesab. Sie werden auch bee<strong>in</strong>flusst vom selektiven Ausscheiden jener Klienten,die hohe Krankheitszeiten haben. Und umgekehrt: Klienten, die selten kranks<strong>in</strong>d, f<strong>in</strong>den häufiger den Weg zurück auf den ersten Arbeitsmarkt.Die Entwicklung des Krankenstandes aller schizophrenen Klienten nach Teilnahmedauer, <strong>in</strong> Tagen pro Monat,über e<strong>in</strong>en Zeitraum von 84 Monaten (7 Jahre; gleitende 12-er-Durchschnitte).Beson<strong>der</strong>heiten <strong>der</strong> DatenerfassungAusgewertet wurden die Anwesenheitslisten, mit folgenden Modifikationen:• Arbeitsfreie Tage (Wochenenden und Feiertage) wurden nicht e<strong>in</strong>gerechnet.D.h. Krankheitstage am Wochenende gehen nicht <strong>in</strong> die Statistik e<strong>in</strong>.• Unterbrochene Maßnahmen wurden komplett als Krankheitszeiten gezählt,wenn sie tatsächlich krankheitsbed<strong>in</strong>gt waren.• Unterbrochene Maßnahmen wurden h<strong>in</strong>gegen nicht als Krankheitszeit gerechnet,wenn sie nur die endgültige Kündigung verzögerten (auch nicht bei Kündigungwegen Krankheit). Der Kündigungszeitpunkt ist bei unterbrochenen Maßnahmenoft völlig willkürlich. Unterbrochene Maßnahmen wurden auch dannnicht als Krankheitszeit gerechnet, wenn sie zusätzlichen Maßnahmen neben<strong>der</strong> <strong>beruflichen</strong> Reha dienten (z.B. therapeutische Kuren, die nicht durch Akuterkrankungenerzwungen waren).• Freizeitfahrten wurden <strong>in</strong>tern als A gerechnet. In den Firmen wurde z.T. Urlaubhierfür e<strong>in</strong>gesetzt.- 23 -


Übertritte auf den ersten ArbeitsmarktDie Grafik zeigt die Vermittlungen auf den ersten Arbeitsmarkt im Zeitverlauf,zwischen Jan. 1987 und Jan. 2012, für Rehabilitanden mit Schizophrenien ( ) undan<strong>der</strong>e ( ). Sie s<strong>in</strong>d ab 2002 stark zurückgegangen.Die Gründe hierfür s<strong>in</strong>d vielfältig.• Arbeitsmarkt: wachsende Konkurrenz im unteren Segment• Klientel: Sie ist "schwieriger" geworden:- mehr Klienten mit Persönlichkeitsstörungen, Bor<strong>der</strong>l<strong>in</strong>e- mehr Klienten mit Zusatzhandicaps (geistige, körperliche E<strong>in</strong>schränkungen)- mehr Klienten über 40 / über 50 / wachsende Altersspreizung- wachsende Dauerklientel, die <strong>in</strong>tern betreut werden muss• Institution: Die personellen und f<strong>in</strong>anziellen Ressourcen wurden knapper.- fortschreitende Bürokratisierung- und an<strong>der</strong>e personelle ProblemeErfolgreiche Klienten• Als erfolgreich habe ich nicht nur die Vermittlungen auf den ersten Arbeitsmarkto<strong>der</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Lehre gezählt.• Wir hatten e<strong>in</strong>e Klient<strong>in</strong>, die vom Kostenträger e<strong>in</strong>e Ablehnung <strong>der</strong> Kostenzusagefür e<strong>in</strong>e Verlängerung <strong>der</strong> Maßnahme bekam. Sie stand kurz vor <strong>der</strong> Übernahme<strong>in</strong> e<strong>in</strong> reguläres Arbeitsverhältnis. (Das g<strong>in</strong>g auch aus unseren Berichtenhervor.) Stattdessen wurde sie auf ihre EU-Rente verwiesen. Sie hat sich dannfür die Rente entschieden und bei dem Unternehmen, das sie e<strong>in</strong>stellen wollte,e<strong>in</strong>en Zuverdienst-Job angenommen. Wir haben sie als Erfolgsfall gezählt. 44• Wir hatten zwei Klienten, die nach <strong>der</strong> Reha e<strong>in</strong> Berufsför<strong>der</strong>ungswerk besuchtenund mit Erfolg durchliefen. Beide fanden danach e<strong>in</strong>e Arbeitsstelle. In unsererStatistik werden beide als Erfolgsfall geführt.• E<strong>in</strong> Klient nahm nach <strong>der</strong> Maßnahme erfolgreich e<strong>in</strong>e selbständige Tätigkeitwie<strong>der</strong> auf, die vor <strong>der</strong> Reha über mehrere Jahre geruht hatte.• E<strong>in</strong>e Klient<strong>in</strong>, die sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er unsrer Arbeitsgruppen sehr gut entwickelte undstabilisierte, fand ihren Lebenspartner <strong>in</strong> <strong>der</strong> Firma, <strong>in</strong> <strong>der</strong> sie arbeitete. Sie heiratete,bekam K<strong>in</strong><strong>der</strong> und übernahm Haushalt und Mutterpflichten. In früherenStatistiken hatte ich diesen Fall nicht zu den erfolgreichen gerechnet. In <strong>der</strong> hiervorgelegten Aufstellung wird sie als Erfolgsfall gezählt. Die Tätigkeit als Hausfrauund Mutter ist gleichwertig zur Erwerbstätigkeit.44Anm.: Es ist ke<strong>in</strong>e Seltenheit, dass Sachbearbeiter <strong>der</strong> Behörden Entscheidungen treffen, dieirgende<strong>in</strong>e sachfremde Motivierung vermuten lassen (arbeitsmarktpolitische o<strong>der</strong> humanistische).Sporadisch werden solche Motive von Sachbearbeitern geäußert.- 24 -


Gründe des Ausscheidens <strong>der</strong> schizophrenen Klienten 1987 – 2011Bedeutung <strong>der</strong> Rubriken:'Krankheit', 'Motivation' und'Rauswurf' s<strong>in</strong>d die erfolglosausgeschiedenen Klienten'Kosten' s<strong>in</strong>d fehlende Kostenzusagen'Wechsel' s<strong>in</strong>d Übertritte <strong>in</strong> an<strong>der</strong>eWerkstätten'Besserung' s<strong>in</strong>d Klienten, diesich durchgreifend psychischstabilisiert haben.Die restlichen Rubriken s<strong>in</strong>dselbsterklärend.Die Teilnahmedauer <strong>der</strong> ausgeschiedenen schizophrenen Klienten 1987 – 2011E<strong>in</strong> beträchtlicher Teil <strong>der</strong> Rehabilitandenbricht schon <strong>in</strong> denersten 3 Monaten ab.- 25 -


Fluktuation <strong>der</strong> schizophrenen Klienten 1987 – 2011Aufnahmen (grün) und Austritte (rot) über 25 Jahre.Die hohe Fluktuation verweist auf e<strong>in</strong> Grundproblem unsere Klientel: die fehlendeberufliche Kont<strong>in</strong>uität, das vielfach wie<strong>der</strong>holte berufliche Scheitern, das sichzum Teil auch <strong>in</strong> die Reha-Werkstatt fortsetzt.Das Aufnahmealter <strong>der</strong> schizophrenen Klienten 1987 – 2011- 26 -


Die Handicaps aller aufgenommenen Klienten 1987 – 2011Aufnahmen nach Erkrankungsgruppen <strong>in</strong> 5-Jahres-AbschnittenDie Aufnahmezahlen bei den Schizophrenen s<strong>in</strong>d erstaunlich konstant: etwas über20, jeweils <strong>in</strong> 5 Jahren.- 27 -


Qualifikation aller aufgenommenen schizophrenen Klienten 1987 – 2011Schulische Qualifikation BRD 2011Berufliche Qualifikation BRD 2011Mit dem Fachkräftemangel könnte <strong>der</strong> Druck wachsen, die Qualifikation unsererKlienten zu nutzen.Quelle <strong>der</strong> Daten zur BRD (Download am 14.10.2012):https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/BildungForschungKultur/Bildungsstand/Tabellen/Bildungsabschluss.html- 28 -


AbkürzungenABEV- Arbeitsbereich- E<strong>in</strong>gangsverfahrenBBB - BerufsbildungsbereichReha - <strong>Rehabilitation</strong>WVO - Werkstättenverordnung- http://www.gesetze-im-<strong>in</strong>ternet.de/bundesrecht/schwbwv/gesamt.pdfLiteratur-AbkürzungenAPK-Downloads unter: http://www.apk-ev.de/public/publikationen.asp?id=0APK 2002: Aktion Psychisch Kranke e.V., Schmidt-Zadel, Pörksen (Hg.).Teilhabe am Arbeitsleben, Psychiatrie-Verlag, Bonn 2002APK 2004: Aktion Psychisch Kranke e.V. (Hg.), Individuelle Wege <strong>in</strong>s Arbeitsleben,Abschlussbericht zum Projekt "Bestandsaufnahme zur <strong>Rehabilitation</strong>psychisch Kranker", Psychiatrie Verlag, Bonn 2004APK 2005: Aktion Psychisch Kranke e.V., Schmidt-Zadel, Kunze, Peukert(Hg.). Gute Praxis und Ökonomie verb<strong>in</strong>den", Psychiatrie Verlag, Bonn 2006APK 2007: Aktion Psychisch Kranke e.V. (Hg.), Teilhabe an Arbeit und Beschäftigungfür psychisch Kranke. Bonn 2007APK 2008: Aktion Psychisch Kranke e.V. (Hg.), Schmidt-Zadel, Pörksen. PersonenzentrierteHilfe zu Arbeit und Beschäftigung, Psychiatrie-Verlag, Bonn2008- 29 -


Fragen - Antworten1. Wie beurteilen Sie die Wirtschaftlichkeit ausgelagerter Arbeitsgruppen?Aus Perspektive <strong>der</strong> Werkstatt (sozialstaatliche Perspektive)• Betrieb<strong>in</strong>tegrierte Arbeitsgruppen sparen <strong>in</strong>vestive Kosten für Gebäude, Masch<strong>in</strong>enund Werkzeuge. Sie sparen die Betriebsausgaben für Heizung, Wasser,Strom.• Firmenmitarbeiter können e<strong>in</strong>e zusätzliche Personalressource se<strong>in</strong>. Sie übernehmenfür manche "Gruppen" die Vorarbeiterrolle, so dass nur noch die psycho-sozialeBetreuung von <strong>der</strong> Gruppenleitung zu leisten ist. Allerd<strong>in</strong>gs müssendie "normalen" Firmenmitarbeiter e<strong>in</strong>bezogen werden <strong>in</strong> die Arbeit des Betreuers.• E<strong>in</strong> Negativpunkt können die Personalressourcen se<strong>in</strong>, wenn man Gruppen betreibt,die zu 100% personell abgedeckt se<strong>in</strong> sollen und müssen. Das ist für dieFör<strong>der</strong>ung schwächerer Klienten erfor<strong>der</strong>lich.Nach me<strong>in</strong>er Erfahrung benötigen ausgelagerte Arbeitsgruppen mehrere Jahre,um auf e<strong>in</strong>e tragbare Größe zu wachsen. Kle<strong>in</strong>e Gruppen s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> Zuschussgeschäft.Unsere größte Gruppe umfasst 20 Plätze und war oft mit 6 bis 8 Klientenim BBB und 12 bis 14 Klienten im AB besetzt. Trotzdem hatten wir dortimmer nur e i n e n Gruppenleiter. Diese Gruppe setzt also Personalressourcenfrei: In den besten Zeiten 1,5 zusätzliche Betreuerstellen.• Vertretungen s<strong>in</strong>d bei dezentraler Organisation schwerer abzudecken.Aus Sicht <strong>der</strong> Rehabilitanden• Die Betriebe zahlen höhere Entgelte als <strong>der</strong> <strong>in</strong>terne Bereich. (In den Betriebengibt es möglicherweise weniger produktiven Leerlauf als <strong>in</strong> <strong>der</strong> Werkstatt.)Aus Perspektive <strong>der</strong> Therapie• Die Teilnahme am "normalen" Arbeitsalltag hat gute therapeutische Nebenwirkungen.(E<strong>in</strong>sparung von Therapie- und Behandlungskosten)Aus volkswirtschaftlicher Perspektive• Betrieb<strong>in</strong>tegrierte Arbeitsgruppen stärken den jeweiligen Betrieb wirtschaftlichund sozial. Bei zunehmendem Fachkräftemangel wird die Nachfrage nach qualifiziertenpsychisch kranken Arbeitskräften vermutlich wachsen.• Interne Produktionsgruppen stehen <strong>in</strong> Konkurrenz vor allem zu mittelständischenUnternehmen, die sich dann über die Subventionierung <strong>der</strong> WfbM beschweren.Das habe ich erlebt.- 30 -


2. Wo sehen Sie die Werkstatt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong> E<strong>in</strong>glie<strong>der</strong>ungshilfe?Werkstätten haben e<strong>in</strong>en Zugang zum <strong>beruflichen</strong> Problemfeld, dessen Bedeutung<strong>in</strong> <strong>der</strong> E<strong>in</strong>glie<strong>der</strong>ungshilfe unterschätzt wird. Deren Entwicklung soll nun e<strong>in</strong>empersonenzentrierten Paradigma folgen. Mit <strong>der</strong> H<strong>in</strong>wendung zum "beh<strong>in</strong><strong>der</strong>tenMenschen" verb<strong>in</strong>den sich wissenschaftliche und praktische Anstrengungen• zur Klassifikation und Diagnose von Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen, wie z.B. <strong>in</strong> <strong>der</strong> ICF 45 ,• zur Selektion geeigneter Menschen, z.B. im Rahmen <strong>der</strong> DIA-AM 46 und• zur E<strong>in</strong>zelför<strong>der</strong>ung, z.B. mit den Instrumenten "Unterstützte Beschäftigung" 47 ,"Persönliches Budget" 48 , "Budget für Arbeit" 49 , "Virtuelle Werkstatt" 50 .Die konventionelle Werkstatt ersche<strong>in</strong>t <strong>in</strong> den Diskussionen vor allem als negativesGegenmodell: bedürfnisfern, <strong>in</strong>effektiv und teuer. Restbestand e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>stitutionenzentriertenTeilhabelandschaft. Obwohl sich also die Werkstätten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Defensivef<strong>in</strong>den, befriedigen sie e<strong>in</strong>e weiter steigende Nachfrage. Alle<strong>in</strong> von 2007bis 2012 ist ihre Belegung um 25% gewachsen 51 – im Segment für psychischkranke Menschen.Tatsächlich öffnen sich auch die Werkstätten für die personenorientierte Beurteilung,Auswahl und För<strong>der</strong>ung. Mehrere Bundeslän<strong>der</strong> haben "Fachkräfte für beruflicheIntegration" <strong>in</strong> den Werkstätten implementiert, um e<strong>in</strong>zelnen, herausragendenMenschen den Weg auf den ersten Arbeitsmarkt zu ebnen. Trotz allem gel<strong>in</strong>gendiese Übertritte <strong>in</strong> <strong>der</strong> Praxis nur selten. Auch die Zahl jener Werkstatt-Beschäftigten, die außerhalb <strong>der</strong> Werkstatt e<strong>in</strong>en sog. "Beschäftigungsplatz" e<strong>in</strong>nehmen,ist ger<strong>in</strong>g. In Hessen s<strong>in</strong>d zurzeit 3% extern, d.h. 600 von 18.000 (allePersonenkreise). 52Statt <strong>der</strong> selektiven E<strong>in</strong>zel-Personenorientierung, statt immer neuer und differenziertererAssessments (Melba, Hammet und Co), sollten wir uns <strong>der</strong> Struktur <strong>der</strong>Werkstätten zuwenden und ihre fachliche Differenzierung voranbr<strong>in</strong>gen. Hiefürbleibt e<strong>in</strong> breiter Raum zwischen <strong>der</strong> konventionellen Werkstatt und den E<strong>in</strong>zelarbeitsplätzen<strong>in</strong> normalen Betrieben – e<strong>in</strong> Raum, <strong>in</strong> den die Reha-Werkstatt <strong>der</strong>Zukunft h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> gebaut werden könnte.4546474849505152International Classification of Function<strong>in</strong>g, Quelle: http://www.who.<strong>in</strong>t/classifications/icf/en/Diagnose <strong>der</strong> Arbeitsmarkfähigkeit, nach § 33 Abs. 4 SGB IXZu me<strong>in</strong>en stärksten Erfahrungen gehört die <strong>der</strong> relativen Erfolglosigkeit von Erfolgsprognosenbei unserer Klientel. E<strong>in</strong>e Erklärung hierfür ist die umweltabhängige Entstehung, Ausformungund Wahrnehmung psychischer Probleme.Die "Unterstützte Beschäftigung" wurde 2008 im §38 SGB IX verankert.Das "Persönliche Budget" wurde 2008 <strong>in</strong> §17 SGB IX verankert.Das "Budget für Arbeit" wurde 2006 zuerst <strong>in</strong> Rhe<strong>in</strong>land-Pfalz e<strong>in</strong>geführt. Ziel: "Abbau vonWerkstattplätzen" Quelle: http://msagd.rlp.de/soziales/menschen-mit-beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen/teilhabeam-arbeitsleben/,Download am 31.01.2013Die "Virtuelle Werkstatt" entstand 2004 als Modellprojekt <strong>der</strong> Saarländische Landesregierung;Quelle: http://www.saarland.de/dokumente/ressort_justiz_gesundheit_und_soziales/Abschlussbericht_Modellprojekt_VirtWerk.pdf, Download am 31.01.2013Quelle: http://www.bagwfbm.de/category/34, Download am 31.01.2013Quelle: Tagung <strong>der</strong> Fachkräfte für berufliche Integration, Nov. 2012, WfbM:LAG-Vorstand.- 31 -

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!