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Aberkennungen der Doktorwürde im "Dritten Reich"

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<strong>Aberkennungen</strong> <strong>der</strong> <strong>Doktorwürde</strong> <strong>im</strong> "<strong>Dritten</strong> Reich"


ERLANGERFORSCHUNGEN<br />

Son<strong>der</strong>reihe Band 12<br />

ABERKENNUNGEN DER DOKTORWÜRDE IM "DRITTEN REICH"<br />

DEPROMOTIONEN AN DER MEDIZINISCHEN FAKULTÄT DER<br />

FRIEDRICH- ALEXANDER- UNIVERSITÄT ERLANGEN<br />

von<br />

RENATE WITTERN und ANDREAS FREWER<br />

unter Mitarbeit von<br />

BETTINA SCHOTTNERund AN NA THIEL<br />

Erlangen 2008


Die wissenschaftliche Buchreihe <strong>der</strong> ERLANGERFORSCHUNGENwurde<br />

gegründet mit Mitteln <strong>der</strong> Jubiläumsspende <strong>der</strong> Siemens AG Erlangen<br />

Das Projekt zur Aberkennung <strong>der</strong> <strong>Doktorwürde</strong><br />

wurde freundlicher Weise geför<strong>der</strong>t durch die Hochschulleitung<br />

<strong>der</strong> Friedrich-Alexan<strong>der</strong>-Universität Erlangen-Nürnberg<br />

und das Dekanat <strong>der</strong> Medizinischen Fakultät<br />

Bibliografische Informationen <strong>der</strong> Deutschen Bibliothek<br />

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in <strong>der</strong><br />

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten<br />

sind <strong>im</strong> Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.<br />

NE:<br />

Verlag:<br />

Universitätsbund Erlangen-Nümberg e. V.<br />

Kochstraße 4, 91054 Erlangen<br />

Auslieferung:<br />

Universitätsbibliothek Erlangen<br />

Universitätsstraße 4,91054 Erlangen<br />

Lasersatz: Institut für Geschichte und Ethik <strong>der</strong> Medizin, FAU Erlangen-Nümberg<br />

Druck: Verlagsdruckerei Schmidt, Neustadt/Aisch<br />

ISBN: 978-3-930357-85-7<br />

ISSN: 0940-4694


INHALT<br />

GELEITWORT DES REKTORS 5<br />

GELEITWORT DES DEKANS DER MEDIZINISCHEN FAKULTÄT 7<br />

1. EINLEITUNG 9<br />

2. DIE ABERKENNUNG DER DOKTORWÜRDE IM "DRITTEN REICH" 17<br />

3. NATIONALSOZIALISMUS IN ERLANGEN 37<br />

4. EINZELB10GRAPHIEN DER BETROFFENEN 47<br />

4.1 ABERKENNUNG WEGEN AUSBÜRGERUNG 47<br />

4.2 ABERKENNUNG AUF GRUND VON GERICHTSURTEILEN 135<br />

4.3 VERFAHREN OHNE ABERKENNUNG 205<br />

5. DIE ABERKENNUNGSPRAXIS AN DER MEDIZINISCHEN FAKULTÄT 235<br />

6. DER UMGANG MIT DEN DEPROMOTIONEN AN DER ERLANGER<br />

MEDIZINISCHEN FAKULTÄT IN DER NACHKRIEGSZEIT 243<br />

7. VERZEICHNIS DER BIOGRAPHISCH DARGESTELLTEN PERSONEN 269<br />

8. ABBILDUNGSVERZEICHNIS 271<br />

9. VERZEICHNIS DER UNGEDRUCKTEN QUELLEN UND DER ARCHIVE 275<br />

10. LITERATURVERZEICHNIS ZUR ENTZIEHUNG DER DOKTORWÜRDE 279


GELEITWORT DES REKTORS<br />

An den deutschen Hochschulen wurde in <strong>der</strong> Zeit des "<strong>Dritten</strong> Reichs"<br />

unter dem Schein <strong>der</strong> Legalität eine große Zahl rechtmäßig erworbener<br />

Doktortitel wie<strong>der</strong> entzogen, ohne dass die universitären Gremien diesem<br />

Einbruch <strong>der</strong> Politik in die Wissenschaft Wi<strong>der</strong>stand entgegen gesetzt<br />

haben. Auch die Friedrich-Alexan<strong>der</strong>-Universität hat Doktorinnen und<br />

Doktoren, die unter <strong>der</strong> Ägide ihrer Fakultäten aufgrund wissenschaftlicher<br />

Leistungen graduiert worden waren, aus politischen und ideologischen<br />

Gründen aus <strong>der</strong> akademischen Gemeinschaft ausgestoßen.<br />

Nach dem Krieg wurde über die Doktorgradentzüge zumeist ein Mantel<br />

des Schweigens und Vergessens gebreitet. Viel zu spät haben wir begonnen,<br />

uns an die beson<strong>der</strong>e Schuld zu erinnern, die Universitäten durch<br />

solche Vorgänge auf sich geladen haben. Abgesehen von einigen prominenten<br />

Einzelfällen wurden diese menschenrechtsverletzenden Maßnahmen<br />

erst seit den 1990er Jahren verstärkt ins Bewusstsein gehoben.<br />

In Erlangen haben sich die beiden Philosophischen Fakultäten aus<br />

Anlass eines aktuellen Falles Ende <strong>der</strong> neunziger Jahre mit den Hintergründen<br />

<strong>der</strong> Aberkennungspraxis ihrer Vorgängerinstitution beschäftigt<br />

und die Betroffenen in ihrer Promotionsfeier <strong>im</strong> Jahre 1999 gewürdigt.<br />

Darüber hinaus halten sie die Erinnerung an die Opfer und das ihnen zugefügte<br />

Unrecht durch den jährlich verliehenen Lilly-Bechmann-Rahn-<br />

Preis wach. Nachdem in den letzten Jahren grundlegende Studien zur Problematik<br />

<strong>der</strong> <strong>Aberkennungen</strong> <strong>der</strong> <strong>Doktorwürde</strong> erschienen sind und<br />

mehrere Universitäten sich öffentlich zu ihrer Verantwortung bekannt<br />

haben, hat die Hochschulleitung <strong>der</strong> Universität Erlangen-Nürnberg ihre<br />

an<strong>der</strong>en Fakultäten gebeten, sich ebenfalls dieses beson<strong>der</strong>en Kapitels<br />

ihrer Geschichte anzunehmen.<br />

Ich danke <strong>der</strong> Medizinischen Fakultät, dass sie diese Anregung unmittelbar<br />

aufgegriffen hat und <strong>im</strong> Rahmen <strong>der</strong> diesjährigen Promotionsfeier<br />

ihrer Absolventinnen und Absolventen, die vor vielen Jahrzehnten Opfer<br />

<strong>der</strong> nationalsozialistischen Politik geworden sind, gedenken wird. Und ich<br />

5


GELEITWORT DES REKTORS<br />

danke <strong>der</strong> Arbeitsgruppe des Instituts für Geschichte und Ethik <strong>der</strong> Medizin,<br />

dass sie mit <strong>der</strong> vorliegenden Studie die Schicksale <strong>der</strong> Betroffenen<br />

aufzuklären versucht und damit einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung<br />

<strong>der</strong> Geschichte unserer Universität während des Nationalsozialismus<br />

geleistet hat.<br />

Als Rektor <strong>der</strong> Friedrich-Alexan<strong>der</strong>-Universität Erlangen-Nürnberg<br />

stehe ich in <strong>der</strong> Rechtsnachfolge <strong>der</strong> Rektoren, unter <strong>der</strong>en Führung die<br />

<strong>Aberkennungen</strong> vorgenommen worden sind. Ich kann das Unrecht nicht<br />

ungeschehen machen, ich kann es nur <strong>im</strong> Namen <strong>der</strong> Universität zutiefst<br />

bedauern und die Nachkommen <strong>der</strong> betroffenen Wissenschaftlerinnen<br />

und Wissenschaftler um Verzeihung bitten. Trotz <strong>der</strong> langen Zeit, die inzwischen<br />

vergangen ist, hat die Universität das Bedürfnis, sich zu <strong>der</strong><br />

Mitverantwortung, die uns unsere Geschichte aufgebürdet hat, zu bekennen<br />

und damit zugleich an die historische Schuld <strong>der</strong> deutschen Hochschulen<br />

zu erinnern.<br />

Prof. Dr. Karl-Dieter Grüske<br />

Rektor <strong>der</strong> Friedrich-Alexan<strong>der</strong>-Universität Erlangen-Nürnberg<br />

6


GELEITWORT DES DEKANS DER MEDIZINISCHEN FAKULTÄT<br />

Während <strong>der</strong> Zeit des Nationalsozialismus sind in Deutschland ungeheuerliche<br />

Verbrechen verübt worden. Gerade die Medizin hat über die Entwicklung<br />

von Eugenik und "Euthanasie" in beson<strong>der</strong>em Ausmaß zu<br />

einer Wissenschaft ohne Menschlichkeit beigetragen, die ein schweres<br />

Erbe <strong>der</strong> deutschen Universitäten ist. Ärztinnen und Ärzte waren an<br />

vielen unmenschlichen Taten beteiligt o<strong>der</strong> haben sich instrumentalisieren<br />

lassen.<br />

Auch an <strong>der</strong> Erlanger Medizinischen Fakultät haben Universitätsangehörige<br />

an <strong>der</strong> Umsetzung von Menschen verachtenden und Menschen<br />

vernichtenden Aktionen mitgewirkt, beispielsweise durch die Umsetzung<br />

<strong>der</strong> Rassenhygiene bei Zwangssterilisierungen in <strong>der</strong> Frauenklinik, erzwungene<br />

Abtreibungen bei "Ostarbeiterinnen" o<strong>der</strong> durch die Auslieferung<br />

von Kin<strong>der</strong>n und Erwachsenen an den so genannten "Gnadentod"<br />

durch Pädiatrie und Psychiatrie. Dieser nationalsozialistischer Ideologie<br />

geschuldete Verrat <strong>der</strong> deutschen Medizin an ihrem ureigenen Auftrag<br />

des Heilens und Helfens stand nach dem Zweiten Weltkrieg, wenn auch<br />

mit großer Verzögerung, zunächst <strong>im</strong> Schwerpunkt <strong>der</strong> medizinhistorischen<br />

Aufarbeitung.<br />

Eine an<strong>der</strong>e Form des Unrechts und <strong>der</strong> Verletzung von Menschenrechten<br />

war die Aberkennung von Doktorgraden aus politischen und<br />

ideologischen Gründen. Auch hieran hat sich die Erlanger Medizinische<br />

Fakultät beteiligt, in dem sie willfährig die NS-Vorgaben gegenüber jüdischen<br />

und politisch an<strong>der</strong>s denkenden Ärztinnen und Ärzten umgesetzt<br />

hat. Dieser Thematik hat sich die historische Forschung in den letzten<br />

Jahren verstärkt gewidmet. In <strong>der</strong> hier vorgelegten Studie hat die Arbeitsgruppe<br />

aus dem Institut für Geschichte und Ethik <strong>der</strong> Medizin dankenswerterweise<br />

trotz <strong>der</strong> schwierigen Quellenlage alle Verfahren <strong>der</strong> Aberkennung<br />

<strong>der</strong> Doktorgrade auf Fakultätsebene untersucht. Durch die Würdigung<br />

<strong>der</strong> Lebenswege und vielfach schweren Schicksale <strong>der</strong> Personen,<br />

die von <strong>der</strong> Erlanger Medizinischen Fakultät aufgrund ihrer wissenschaft-<br />

7


GELEITWORT DES DEKANS DER MEDIZINISCHEN FAKULTÄT<br />

lichen Leistungen die <strong>Doktorwürde</strong> erhalten hatten und diese dann in<br />

einem mit bürokratischer Routine und Kälte vorgenommenen Willkürakt<br />

wie<strong>der</strong> verloren, soll die Erinnerung an die Opfer - wenn auch sehr spät -<br />

erneuert und wach gehalten werden.<br />

Die Medizinische Fakultät bekennt sich mit Betroffenheit und Scham<br />

zur Mitverantwortung für die Diskr<strong>im</strong>inierung und Ausgrenzung ihrer<br />

Angehörigen, die <strong>im</strong> Namen ihrer Vorgängerinstitution während des NS-<br />

Reg<strong>im</strong>es vorgenommen worden sind. Eine Wie<strong>der</strong>gutmachung ist nicht<br />

möglich. Als Dekan kann ich nur mein Bedauern über das Unrecht und<br />

die Verletzung <strong>der</strong> Menschenwürde an unseren einstigen Promovenden<br />

ausdrücken und die Nachkommen um Verzeihung bitten. Zugleich soll<br />

uns die intensive Erforschung dieses dunklen Kapitels <strong>der</strong> deutschen Universitäten<br />

eine Mahnung für die Zukunft sein. Die Medizinische Fakultät<br />

wird sich auch in Zukunft ihrer historischen und ethischen Verantwortung<br />

stellen.<br />

Prof. Dr. med. Bernhard Fleckenstein<br />

Dekan <strong>der</strong> Medizinischen Fakultät<br />

<strong>der</strong> Friedrich- Alexan<strong>der</strong>- Universität Erlangen-Nürnberg<br />

8


1. EINLEITUNG<br />

An <strong>der</strong> Friedrich-Alexan<strong>der</strong>-Universität Erlangen l sind in <strong>der</strong> Zeit des<br />

Nationalsozialismus über 160 rechtmäßig erworbene Doktortitel wie<strong>der</strong><br />

entzogen worden. 2 Ausgelöst wurden diese Verfahren nicht durch den<br />

Tatbestand <strong>der</strong> Täuschung o<strong>der</strong> des Plagiats, durch Gründe also, die <strong>im</strong><br />

Promotionsverfahren selbst gelegen hätten, son<strong>der</strong>n durch Vorgaben und<br />

Gesetze <strong>der</strong> NS-Politik. Mit diesen Verfahren reihte sich die Erlanger Universität<br />

ein in den Kreis <strong>der</strong> deutschen Hochschulen, an denen nach neuesten<br />

Schätzungen während des "<strong>Dritten</strong> Reichs" deutlich über 2.000<br />

Depromotionen unter dem Schein <strong>der</strong> Legalität in einem Akt <strong>der</strong> staatlich<br />

verordneten Routine vorgenommen worden sind. 3 Die Fakultäten und<br />

Universitäten haben sich dieser Einflussnahme <strong>der</strong> Politik in ihren Zuständigkeitsbereich<br />

nicht wi<strong>der</strong>setzt, son<strong>der</strong>n wurden zu willfährigen Vollzugsorganen<br />

des Staates und schlossen auf diese Weise Doktorinnen und<br />

Doktoren, die einst unter ihrer Ägide aufgrund wissenschaftlicher Leistungen<br />

graduiert worden waren, nachträglich aus <strong>der</strong> akademischen<br />

Gemeinschaft aus.<br />

Obwohl unmittelbar nach dem Krieg in Einzelfällen und zumeist nur<br />

auf Anfrage einige dieser Depromotionen wi<strong>der</strong>rufen wurden, geriet das<br />

Problem bald in den Hintergrund. Erst seit den neunziger Jahren und<br />

verstärkt seit <strong>der</strong> Jahrtausendwende haben sich mehrere Universitäten<br />

und Fakultäten <strong>der</strong> Opfer dieser nationalsozialistischen Verfolgungspo-<br />

1 Diesen Namen trug die Universität bis zum Jahre 1960. Erst seit <strong>der</strong> Einglie<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> Hochschule für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in Nürnberg zum 1. Januar<br />

1961heißt sie "Friedrich-Alexan<strong>der</strong>-Universität Erlangen-Nürnberg".<br />

2 Die genaue Zahl für die Erlanger Universität ist noch nicht bekannt.<br />

3 Vgl. hierzu zuletzt Stefanie Harrecker: Degradierte Doktoren. Die Aberkennung <strong>der</strong><br />

<strong>Doktorwürde</strong> an <strong>der</strong> Ludwig-Max<strong>im</strong>ilians-Universität München während <strong>der</strong> Zeit<br />

des Nationalsozialismus. München 2007, S. 10. - Der Terminus "Depromotion" ist<br />

kein zeitgenössischer Begriff, son<strong>der</strong>n wird in <strong>der</strong> historischen Forschung für den<br />

Vorgang <strong>der</strong> Entziehung <strong>der</strong> Promotions titel verwendet.<br />

9


EINLEITUNG<br />

litik erinnert, durch verschiedene Initiativen und Forschungsprojekte die<br />

Namen und Schicksale <strong>der</strong> Betroffenen in das kollektive Gedächtnis zurückgerufen<br />

und sich zu ihrer Mitverantwortung an diesen Akten <strong>der</strong><br />

Willkür und Menschenrechtsverletzung bekannt. 4<br />

An <strong>der</strong> Universität Erlangen-Nürnberg wurde dieses Problem zunächst<br />

<strong>im</strong> Bereich <strong>der</strong> Philosophischen Fakultäten bearbeitet. Ausgelöst<br />

durch den 1995 in <strong>der</strong> Öffentlichkeit breit diskutierten so genannten Fall<br />

Schnei<strong>der</strong>/Schwerte, in dem es um die kontroverse Frage ging, ob dem<br />

Germanisten Hans Schwerte sein 1947 erworbener Doktortitel wegen<br />

seiner SS-Vergangenheit nachträglich aberkannt werden sollte,5hatten die<br />

beiden Fakultäten einen Arbeitskreis "Geschichte <strong>der</strong> Philosophischen<br />

Fakultät während des Nationalsozialismus und danach" gegründet, <strong>der</strong><br />

die Hintergründe <strong>der</strong> in ihrem Bereich vollzogenen Doktorgradentziehungen<br />

untersuchen sollte. Das Ergebnis ihrer Recherchen wurde in einem<br />

eigenen Gedenkakt <strong>im</strong> Rahmen <strong>der</strong> Promotionsfeier <strong>der</strong> Fakultäten <strong>im</strong><br />

Februar 1999 vorgestellt, auf <strong>der</strong> zugleich ein Promotionspreis für die jahrgangsbeste<br />

Dissertation aus dem von ihnen vertretenen Bereich begründet<br />

wurde. Dieser Preis erhielt seinen Namen nach Frau Dr. Ulli Bechmann-<br />

4 Vgl. zuletzt dazu Peter Chroust: Ärzte ohne Titel, Doktorgradentziehungen an <strong>der</strong><br />

Medizinischen Fakultät <strong>der</strong> Universität Giessen. In: Die Medizinische Fakultät <strong>der</strong><br />

Universität Gießen <strong>im</strong> Nationalsozialismus und in <strong>der</strong> Nachkriegszeit: Personen und<br />

Institutionen, Umbrüche und Kontinuitäten, hrsg. von Sigrid Oehler-Klein. Stuttgart<br />

2007, S. 133-161;Thomas Henne (Hrsg.): Die Aberkennung von Doktorgraden an <strong>der</strong><br />

Juristenfakultät <strong>der</strong> Universität Leipzig 1933-1945. Leipzig 2007; ferner Harrecker<br />

(Anm. 3). - Am Ende des vorliegenden Bandes ist eine Liste <strong>der</strong> neueren Publikationen<br />

zusammengestellt, in denen die Titelaberkennungen an deutschen Universitäten<br />

untersucht worden sind.<br />

5 Zum Fall Schnei<strong>der</strong>/Schwerte vgl.: Ein Germanist und seine Wissenschaft. Der Fall<br />

Schnei<strong>der</strong>/Schwerte. Einführung, Vorträge zum Symposium vom 15. Februar 1996,<br />

Dokumente, hrsg. vom Rektor <strong>der</strong> Friedrich-Alexan<strong>der</strong>-Universität Erlangen-Nümberg.<br />

Erlanger Universitätsreden 3, 53. Erlangen 1996. Der Promotionsausschuss <strong>der</strong><br />

Philosophischen Fakultäten I und 11 <strong>der</strong> Friedrich-Alexan<strong>der</strong>-Universität Erlangen-<br />

Nümberg beschloss am 11. Juli 1996einst<strong>im</strong>mig, Hans Schnei<strong>der</strong> alias Hans Schwerte<br />

den Doktorgrad nicht zu entziehen. Ebd., S. 120.<br />

10


EINLEITUNG<br />

Rahn, die <strong>im</strong> Jahre 1934als letzte Doktorandin jüdischen Bekenntnisses an<br />

<strong>der</strong> Friedrich-Alexan<strong>der</strong>-Universität während des "<strong>Dritten</strong> Reichs" promoviert<br />

und <strong>der</strong> dieser Titel sechs Jahre später aufgrund ihrer zwangsweisen<br />

Ausbürgerung wie<strong>der</strong> entzogen worden war. 6<br />

Nachdem die Philosophischen Fakultäten das Problem <strong>der</strong> Depromotionen<br />

für ihren Bereich in dieser Weise aufgearbeitet hatten, regte die<br />

Hochschulleitung <strong>der</strong> Universität Erlangen-Nürnberg <strong>im</strong> Herbst 2006 die<br />

an<strong>der</strong>en Fakultäten an, sich ihrerseits mit diesem Kapitel ihrer Geschichte<br />

zu beschäftigen. Der Dekan <strong>der</strong> Medizinischen Fakultät nahm diese Anregung<br />

sogleich auf und bat das Institut für Geschichte und Ethik <strong>der</strong> Medizin,<br />

die <strong>Aberkennungen</strong> <strong>der</strong> medizinischen Doktorgrade während des<br />

"<strong>Dritten</strong> Reichs" zu untersuchen. Eine daraufhin gebildete Arbeitsgruppe,<br />

<strong>der</strong> neben den beiden Autoren <strong>der</strong> vorliegenden Untersuchung die beiden<br />

Studentinnen <strong>der</strong> Geschichtswissenschaft Bettina Schottner und Anna<br />

Thiel angehörten, hat in knapp 20 Monaten durch intensives Literaturund<br />

Quellenstudium versucht, sämtliche Verfahren zu Depromotionen an<br />

<strong>der</strong> Medizinischen Fakultät so weit wie möglich aufzuklären. Das Ergebnis<br />

unserer Recherchen und Analysen legen wir mit diesem Band vor.<br />

Im Vor<strong>der</strong>grund <strong>der</strong> Arbeit stand zunächst das Bemühen, die Biographien<br />

aller <strong>der</strong>jenigen Personen, denen <strong>im</strong> NS-Staat ihre medizinische<br />

<strong>Doktorwürde</strong> aberkannt worden ist, detailliert nachzuzeichnen und auf<br />

diese Weise den Opfern ihre Individualität und Würde wie<strong>der</strong>zugeben.<br />

Um aber das Phänomen <strong>der</strong> Doktorgradentziehungen an <strong>der</strong> Erlanger<br />

Medizinischen Fakultät möglichst umfassend zu dokumentieren, haben<br />

wir auch diejenigen Verfahren aufgenommen, in denen zwar Gerichtsurteile<br />

gegen Ärzte vorlagen, <strong>der</strong> Dekan und die Universität jedoch nach<br />

Akteneinsicht von einem Titelentzug abgesehen haben. Die Präsentation<br />

auch dieser Vorgänge gibt den Blick auf den Ermessensspielraum <strong>der</strong> Fa-<br />

6 Die Promotionsfeier mit <strong>der</strong> Verleihung des Preises wurde als Band 19 <strong>der</strong> Akademischen<br />

Reden und Kolloquien <strong>der</strong> Friedrich-Alexan<strong>der</strong>-Universität Erlangen-<br />

Nümberg veröffentlicht, Hartmut Kugler (Hrsg.): Ulli Bechmann-Rahn-Preis. Erlangen<br />

2000.<br />

11


EINLEITUNG<br />

kultät frei und kann damit, so hoffen wir, auch einen Beitrag für zukünftige<br />

vergleichende Studien leisten.<br />

Der biographische Teil, <strong>der</strong> das Zentrum <strong>der</strong> Untersuchung bildet, ist<br />

in drei Abschnitte unterteilt: Im ersten und umfangreichsten sind die<br />

Lebensläufe <strong>der</strong>jenigen dargestellt, denen ihr Doktortitel aufgrund ihrer<br />

Ausbürgerung aberkannt worden ist. Darauf folgen diejenigen Personen,<br />

bei denen ein Gerichtsurteil die Grundlage für die Entziehung war. Da die<br />

Beurteilung dieser Fälle aus heutiger Sicht schwierig und nicht <strong>im</strong>mer eindeutig<br />

ist, haben wir in dieser Gruppe aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes<br />

diejenigen Personen anonymisiert, <strong>der</strong>en gerichtliche Verurteilung<br />

vermutlich auch nach dem Ende des "<strong>Dritten</strong> Reichs" nicht in Frage<br />

gestellt worden wäre. Die an<strong>der</strong>en Personen dieser Gruppe sind demgegenüber,<br />

nach unserer Auffassung eindeutig auch als Opfer <strong>der</strong> Nationalsozialisten<br />

zu sehen und deshalb namentlich zu würdigen? In <strong>der</strong> dritten<br />

Gruppe schließlich sind, wie<strong>der</strong>um anonymisiert, diejenigen Lebensläufe<br />

von Ärzten in aller Kürze geschil<strong>der</strong>t, die trotz einer Verurteilung<br />

ihren Doktortitel weiterführen durften. 8 Innerhalb <strong>der</strong> drei Abschnitte<br />

folgt die Reihenfolge jeweils <strong>der</strong> Chronologie <strong>der</strong> Geburtsdaten <strong>der</strong><br />

Betreffenden.<br />

Die Darstellungen <strong>der</strong> Lebensläufe sind aufgrund <strong>der</strong> schwierigen<br />

und außerordentlich unterschiedlichen Quellenlage durchaus heterogen.<br />

Dies betrifft vor allem die Emigrantenschicksale, über die wir aber nicht<br />

nur manche unvermutete Informationen in <strong>der</strong> Sekundärliteratur gefunden<br />

haben, son<strong>der</strong>n für die wir in einigen Fällen auch durch die Entschädigungsverfahren<br />

Genaueres - und vielfach Erschütterndes - in Erfahrung<br />

bringen konnten. Um einen Eindruck von <strong>der</strong> Art dieser beson<strong>der</strong>en<br />

Quelle zu vermitteln, ist diese in <strong>der</strong> ersten Biographie ausführlicher und<br />

mit einer größeren Zahl an wörtlichen Zitationen vorgestellt. Alle Lebensläufe<br />

sind jeweils von zwei Mitglie<strong>der</strong>n unserer Arbeitsgruppe verfasst<br />

7 Zur Problematik <strong>der</strong> Beurteilung dieser Fälle vgl. unten S. 33-36.<br />

8 Für die beiden letzten Gruppen ist zu berücksichtigen, dass möglicherweise nicht<br />

alle Fälle aktenrnäßig belegt sind.<br />

12


EINLEITUNG<br />

worden, <strong>der</strong>en Namenskürzel am Ende genannt sind; auch hieraus ergibt<br />

sich eine gewisse stilistische Heterogenität und Verschiedenartigkeit <strong>der</strong><br />

Darstellung, die wir jedoch bewusst in Kauf genommen haben.<br />

Um die Aberkennungsverfahren <strong>der</strong> Erlanger Medizinischen Fakultät<br />

in ihrem Kontext verstehen zu können, sind dem biographischen Teil zwei<br />

Kapitel vorgeschaltet. Im ersten einführenden Abschnitt werden die politischen<br />

Vorgaben und die normativen Grundlagen sowie <strong>der</strong> Ablauf <strong>der</strong><br />

Verfahren an den deutschen Universitäten während des "<strong>Dritten</strong> Reichs"<br />

beschrieben. Daran anschließend werden in einem kurzen Überblick die<br />

Anfänge des Nationalsozialismus in Erlangen, seine Ausbreitung innerhalb<br />

<strong>der</strong> Universität und <strong>der</strong>en Entscheidungsträger dargestellt.<br />

Nach den 31 Einzelbiographien wird dann in einem weiteren Kapitel<br />

die Praxis <strong>der</strong> Titelaberkennungen <strong>im</strong> Bereich <strong>der</strong> Erlanger Medizinischen<br />

Fakultät auf <strong>der</strong> Basis einiger statistischer Daten und allgemeiner Anmerkungen<br />

zu den Verfahren zusammenfassend ausgewertet.<br />

Den Abschluss bildet ein längeres Kapitel über den Umgang <strong>der</strong><br />

Medizinischen Fakultät und <strong>der</strong> Universität mit dem Problem <strong>der</strong> Titelaberkennungen<br />

<strong>im</strong> Nationalsozialismus in <strong>der</strong> frühen Nachkriegszeit. Mit<br />

Hilfe <strong>der</strong> einschlägigen Akten aus <strong>der</strong> Fakultät und dem Rektorat werden<br />

die Überlegungen, aber auch Unschlüssigkeiten bezüglich <strong>der</strong> rechtlichen<br />

und moralischen Bewertung <strong>der</strong> Geschichte ausführlich dargelegt und<br />

damit ein weiterer Baustein zu <strong>der</strong> gerade für die Hochschulen so wichtigen<br />

Thematik von Kontinuität und Wandel nach 1945beigesteuert.<br />

Verzeichnisse <strong>der</strong> biographisch dargestellten Personen, <strong>der</strong> Abbildungen,<br />

<strong>der</strong> ungedruckten Quellen und <strong>der</strong> Archive sowie eine Übersicht <strong>der</strong><br />

rezenten Literatur speziell zu den Doktorgradentziehungen beschließen<br />

den Band.<br />

Alle Einzelkapitel sind so konzipiert, dass die für sie relevante Sekundärliteratur<br />

bei ihrer ersten Erwähnung stets - trotz daraus resultieren<strong>der</strong><br />

Mehrfachnennungen <strong>der</strong>selben Titel <strong>im</strong> Buch - mit <strong>der</strong> vollen bibliographischen<br />

Angabe erscheint. Mit diesem Verfahren sollte erreicht werden,<br />

dass jedes Kapitel jeweils aus sich heraus, ohne Rückgriff auf ein umfängliches<br />

Literaturverzeichnis am Ende des Buches, benutzt werden kann.<br />

13


EINLEITUNG<br />

Die wichtigste archivalische Quellengrundlage für die vorliegende<br />

Untersuchung bildeten die einschlägigen Aktenbestände des Erlanger<br />

Universitätsarchivs, wobei hier insbeson<strong>der</strong>e die Depromotionsakten, die<br />

Promotionsakten und <strong>der</strong> Akt IIGeneralia/Promotionswesen" <strong>im</strong> Zentrum<br />

standen. 9 Das Protokollbuch <strong>der</strong> Medizinischen Fakultät für die Zeit des<br />

Nationalsozialismus erwies sich als nicht beson<strong>der</strong>s ergiebig. Akten über<br />

die Sitzungen des für die <strong>Aberkennungen</strong> zuständigen Ausschusses sind<br />

<strong>im</strong> Universitätsarchiv nicht vorhanden. Für die Möglichkeit, die für unser<br />

Thema einschlägigen Akten einsehen und auswerten zu können, für das<br />

Aufspüren weiterer Dokumente, für wichtige Hinweise zu Einzelaspekten<br />

und für die kritische Durchsicht des Rohmanuskripts danken wir dem<br />

Leiter des Universitätsarchivs, Herrn Dr. Clemens Wachter, sehr herzlich.<br />

Ohne seine nie ermüdende Hilfsbereitschaft hätten wir dieses Projekt<br />

nicht in <strong>der</strong> relativ kurzen Zeit zum Abschluss bringen können. Unser<br />

Dank gilt ebenso Frau Sigrid Kohlmann und Herrn Günther Baumüller<br />

von <strong>der</strong> Handschriftenabteilung <strong>der</strong> Universitätsbibliothek für ihre vielfältige<br />

Unterstützung sowie Frau Dr. Annette Pfeiffer und Frau Dr. Esther<br />

Schnetz vom Dekanat <strong>der</strong> Medizinischen Fakultät.<br />

Daneben schulden wir einer Reihe von Personen an<strong>der</strong>er Archive und<br />

Institutionen für ihre wertvolle Hilfe bei <strong>der</strong> Auffindung und Bearbeitung<br />

von Akten Dank. Es sind dies Michaela Fröhlich vom Archiv des Jüdischen<br />

Museums in Fürth, Christof Neidiger vom Stadtarchiv Nürnberg,<br />

Annemarie Müller vom Landeskirchlichen Archiv, Nürnberg, Archivrat<br />

Gerhard Fürmetz und Renate Herget vom Bayerischen Hauptstaatsarchiv<br />

München sowie Herr Krause von dessen Außenstelle Lichtenau, Dr. Petra<br />

Ostenrie<strong>der</strong> vom He<strong>im</strong>atmuseum Oettingen in Bayern und Archivdirektor<br />

Wolfgang Kramer vom Kreisarchiv Konstanz. Ferner danken wir den<br />

Damen und Herren folgen<strong>der</strong> Institutionen für hilfreiche Informationen:<br />

Wolfgang Schnei<strong>der</strong>banger (Stadtarchiv Bamberg), Thomas Lampe (Hochschulrektorenkonferenz),<br />

Frau Trautwein und Herrn Schäferling (Bayerisches<br />

Landesentschädigungsamt München), Herrn Dr. Roland E. Hofer<br />

9 Vgl. das Quellenverzeichnis am Ende des Bandes.<br />

14


EINLEITUNG<br />

(Staatsarchiv Schaffhausen) sowie den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen<br />

des Nie<strong>der</strong>sächsischen Hauptstaatsarchivs und des Nie<strong>der</strong>sächsischen<br />

Landesamts für Bezüge und Versorgung, Hannover, des Landesamts für<br />

Besoldung und Versorgung, Wie<strong>der</strong>gutmachungsstelle in Fellbach, und<br />

des Stadtarchivs Coburg.<br />

Ganz beson<strong>der</strong>en Dank schulden wir den Nachkommen von Dr. Qtto<br />

Grosse-Wietfeld, Frau Astrid und Herrn Carl Michael Grosse-Wietfeld,<br />

sowie von Dr. Ernst Alfred Seckendorf, Herrn Ernst Seckendorf jun., die<br />

uns noch manche interessante Details aus dem Leben ihres Großvaters<br />

bzw. Vaters mitgeteilt und wichtige Dokumente aus dem Familienarchiv<br />

zur Verfügung gestellt haben.<br />

Der Hochschulleitung und <strong>der</strong> Medizinischen Fakultät danken wir für<br />

die finanzielle Unterstützung des Projekts, dem Rektor für die Übernahme<br />

<strong>der</strong> Druckkosten. Herrn Dr. Keunecke, dem Direktor <strong>der</strong> Universitätsbibliothek<br />

Erlangen-Nürnberg, danken wir sehr herzlich für seine bereitwillige<br />

Unterstützung und seinen wertvollen Rat bei <strong>der</strong> Gestaltung des<br />

Bandes sowie für die Betreuung <strong>der</strong> Herstellung. Schließlich gilt unser<br />

Dank <strong>der</strong> Kommission <strong>der</strong> Erlanger Forschungen für die Aufnahme des<br />

Bandes in die Son<strong>der</strong>reihe.<br />

Auf <strong>der</strong> Basis <strong>der</strong> Ergebnisse des vorliegenden Bandes werden am 12.<br />

Juli 2008 <strong>im</strong> Rahmen <strong>der</strong> Promotionsfeier <strong>der</strong> Medizinischen Fakultät <strong>der</strong><br />

Friedrich-Alexan<strong>der</strong>-Universität Erlangen-Nürnberg die von <strong>der</strong> Aberkennung<br />

ihrer <strong>Doktorwürde</strong> Betroffenen in einem Gedenkakt gewürdigt.<br />

Erlangen, <strong>im</strong><br />

Frühjahr 2008<br />

Renate Wittern<br />

Andreas Frewer<br />

15


2. DIE ABERKENNUNG DER DOKTORWÜRDE IM "DRITTEN REICH"<br />

Gesetzliche Grundlagen <strong>der</strong> Aberkennung<br />

Die Aberkennung des Doktorgrades war auch schon vor 1933 möglich. Es<br />

war aber ein eher seltenes Ereignis und auch nur in wenigen Promotionsordnungen<br />

an den deutschen Universitäten vorgesehen. Als Grund für<br />

eine Entziehung galt in diesen Fällen zumeist <strong>der</strong> Tatbestand <strong>der</strong> Täuschung<br />

o<strong>der</strong> des Plagiats. l Das Kriterium <strong>der</strong> "Unwürdigkeit" wurde nur<br />

ausnahmsweise berücksichtigt. Ein beson<strong>der</strong>s frühes Beispiel stellt hier die<br />

Universität München dar, wo sich die Medizinische Fakultät anlässlich<br />

eines mit Zuchthausstrafe geahndeten Verstoßes gegen den Abtreibungsparagraphen<br />

(218 RStGB) durch einen in München promovierten Allgemeinarzt<br />

bereits <strong>im</strong> Jahre 1912 einst<strong>im</strong>mig dafür aussprach, dass ein in<br />

dieser Weise bestraftes Vergehen "zur Führung des Doktortitels unwürdig<br />

mache".2 Die For<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Fakultät, dem Betreffenden den Doktortitel<br />

abzuerkennen, zog eine längere Diskussion innerhalb <strong>der</strong> Universität nach<br />

sich, die schließlich drei Jahre später zur Formulierung eines neuen<br />

Abschnitts in <strong>der</strong> Promotionsordnung <strong>der</strong> Medizinischen Fakultät führte,<br />

1 Zur Entziehung von Doktorgraden vor 1933und insbeson<strong>der</strong>e in <strong>der</strong> We<strong>im</strong>arer Zeit<br />

vgl. Stefanie Harrecker: Degradierte Doktoren. Die Aberkennung <strong>der</strong> <strong>Doktorwürde</strong><br />

an <strong>der</strong> Ludwig-Max<strong>im</strong>ilians-Universität München während <strong>der</strong> Zeit des Nationalsozialismus.<br />

München 2007, S. 19-31;Thomas Brix: Die normativen Grundlagen <strong>der</strong><br />

Depromotionen und das Verfahren. In: Die Aberkennung von Doktorgraden an <strong>der</strong><br />

Juristenfakultät <strong>der</strong> Universität Leipzig 1933-1945,hrsg. von Thomas Henne. Leipzig<br />

2007, S. 51; Margit Szöllösi-Janze/Andreas Freitäger: "Doktorgrad entzogen!" <strong>Aberkennungen</strong><br />

akademischer Titel an <strong>der</strong> Universität Köln 1933 bis 1945. Nümbrecht<br />

2005, S. 17-19;Werner Moritz: Die Aberkennung des Doktortitels an <strong>der</strong> Universität<br />

Heidelberg während <strong>der</strong> NS-Zeit. In: Zwischen Wissenschaft und Politik. Studien<br />

zur deutschen Universitätsgeschichte, hrsg. von Armin Kohnle/Frank Engehausen.<br />

Stuttgart 2001, S. 540-562,hier: S. 540f.<br />

2 Zit. nach Harrecker (Anm. 1), S. 24.<br />

17


DIE ABERKENNUNGDERDOKTORWÜRDEIM "DRmEN REICH"<br />

durch den diese sich das Recht für künftige Fälle vorbehielt, diesen Titel<br />

nach rechtskräftiger Verurteilung eines von ihr Promovierten wie<strong>der</strong> zu<br />

entziehen. 3<br />

In Erlangen wies die Promotionsordnung für die Humanmedizin von<br />

1901bzw. 1917keinen entsprechenden Passus auf, 4 dagegen enthielten die<br />

"Bedingungen für die Erteilung <strong>der</strong> Würde eines Doktors <strong>der</strong> Zahnheilkunde"<br />

von 1920 <strong>im</strong> Paragraphen 10 Best<strong>im</strong>mungen über die Entziehung<br />

des Doktortitels, die sowohl Täuschung und Plagiat als auch den Aspekt<br />

<strong>der</strong> Unwürdigkeit in <strong>der</strong> weniger eindeutigen Terminologie <strong>der</strong> "ehrenrührigen<br />

Handlung"5 enthielten:<br />

"Die erworbene <strong>Doktorwürde</strong> kann durch Fakultätsbeschluß entzogen werden,<br />

1. wenn sich herausstellt, dass die Bewerbung sich auf unwahre Angaben gestützt<br />

hat, insbeson<strong>der</strong>e dass die Dissertation auf Plagiat beruht, 2. wenn <strong>der</strong> Promovierte<br />

wegen einer ehrenrührigen Handlung rechtskräftig verurteilt wird. Der Promovierte<br />

soll vor <strong>der</strong> Entziehung gehört werden."6<br />

Die Gesetzeslage än<strong>der</strong>te sich grundlegend 1933 mit dem am 14. Juli 1933<br />

erlassenen "Gesetz über den Wi<strong>der</strong>ruf von Einbürgerungen und die Aberkennung<br />

<strong>der</strong> deutschen Staatsangehörigkeit". Dessen zweiter Paragraph<br />

besagte:<br />

3 Zu Einzelheiten dieser Diskussion, in <strong>der</strong> die For<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Medizinischen Fakultät<br />

letztlich vom Senat zurückgewiesen wurde, und zu den Stellungnahmen <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Münchener Fakultäten hierzu vgl. Harrecker (Anm. I), S. 24-29.<br />

4 Die "Bedingungen für die Erteilung des Doktorgrades von Seiten <strong>der</strong> Medizinischen<br />

Fakultät zu Erlangen" mit Ergänzungen vom 28. Juni 1917galten bis zum November<br />

1933.<br />

5 Diese Formulierung hatte auch die Münchener Juristische Fakultät 1917 nach dem<br />

Vorstoß <strong>der</strong> Mediziner gewählt. Brix (Anm. I), S. 51 und 66, nennt weitere Promotionsordnungen<br />

Juristischer Fakultäten aus <strong>der</strong> We<strong>im</strong>arer Zeit, in denen jeweils<br />

die Verurteilung wegen ehrenrühriger Handlungen als möglicher Entzugsgrund genannt<br />

ist.<br />

6 Die Bedingungen für die Erteilung <strong>der</strong> Würde eines Doktors <strong>der</strong> Zahnheilkunde<br />

(Doctor medicinae dentariae) von Seiten <strong>der</strong> medizinischen Fakultät zu Erlangen,<br />

Februar 1920.Erlangen 1920,S. 4.<br />

18


DIE ABERKENNUNGDERDOKTORWÜRDEIM "DRITTEN REICH"<br />

"Reichsangehörige, die sich <strong>im</strong> Ausland aufhalten, können <strong>der</strong> deutschen Staatsangehörigkeit<br />

für verlustig erklärt werden, sofern sie durch ein Verhalten, das gegen<br />

die Pflicht zur Treue gegen Reich und Volk verstößt, die deutschen Belange geschädigt<br />

haben. [...] Die Aberkennung <strong>der</strong> Staatsangehörigkeit wird mit <strong>der</strong> Verkündung<br />

<strong>der</strong> Entscheidung <strong>im</strong> Reichsanzeiger wirksam."7<br />

Die entsprechende Durchführungsverordnung, die nur wenige Tage später<br />

erlassen wurde, konkretisierte den Verstoß gegen die Treuepflicht<br />

gegen Reich und Volk durch "feindselige Propaganda" und Herabwürdigung<br />

des deutschen Ansehens o<strong>der</strong> <strong>der</strong> nationalen Regierung. 8<br />

Gesetz und Durchführungsverordnung wurden danach zur Grundlage<br />

weit reichen<strong>der</strong> Aktionen gegen alle diejenigen, die <strong>der</strong> Verfolgung<br />

durch die Nationalsozialisten durch Flucht o<strong>der</strong> Emigration ins Ausland<br />

zu entkommen versuchten. 9 Das Gesetz traf also in erster Linie die Juden<br />

und die politischen Gegner. Eine seiner so genannten Nebenfolgen war<br />

die Entziehung <strong>der</strong> akademischen Titel. Ausgelöst wurde das fortan gültige<br />

Junkt<strong>im</strong> von Aberkennung <strong>der</strong> Staatsbürgerschaft und Aberkennung<br />

<strong>der</strong> <strong>Doktorwürde</strong> durch ein Schreiben von Karl Gengenbach,1° des Leiters<br />

des Kreises Bayern <strong>der</strong> Deutschen Studentenschaft, mit dem dieser sich<br />

7 Das Gesetz wurde am 15. Juli 1933 <strong>im</strong> Reichsgesetzblatt (RGBl.) 1933, Teil I, S. 480<br />

veröffentlicht.<br />

8 Durchführungsverordnung vom 26.Juli 1933. RGBl.Teil I, S. 538.<br />

9 Für die Emigranten war die mit <strong>der</strong> Aberkennung <strong>der</strong> Staatsangehörigkeit einhergehende<br />

Beschlagnahme des Vermögens eine <strong>der</strong> schwersten Folgen, weil sie zumeist<br />

- jedenfalls galt dies für die emigrierten Ärztinnen und Ärzte - erst nach<br />

erneutem Studium und <strong>der</strong> Ablegung des landesüblichen Examens wie<strong>der</strong> in ihrem<br />

Beruf arbeiten konnten. Vgl. z.B. unten S. 106 (Biographie Josef Schreiner).<br />

10 Zu Karl Gengenbach, seinen nationalsozialistischen Aktivitäten in München und<br />

seiner weiteren Karriere <strong>im</strong> NS-Herrschaftsapparat vgl. Harrecker (Anm. I), S. 35-40.<br />

- Zur Rolle <strong>der</strong> Deutschen Studentenschaft, die bereits seit 1931 von den Nationalsozialisten<br />

beherrscht wurde, für die "Umgestaltung <strong>der</strong> Universität" vgl. Paul<br />

Egon Hübinger: Thomas Mann, die Universität Bonn und die Zeitgeschichte. Drei<br />

Kapitel deutscher Vergangenheit aus dem Leben des Dichters 1905-1955. München,<br />

Wien 1974, S. 108-110; Michael Grüttner: Studenten <strong>im</strong> <strong>Dritten</strong> Reich. Pa<strong>der</strong>born<br />

1995.<br />

19


DIE ABERKENNUNGDERDOKTORWÜRDEIM "DRITTEN REICH"<br />

am 18. September 1933 an den Bayerischen Kultusminister Hans Schemm<br />

wandte. ll Gengenbach for<strong>der</strong>te hierin den Minister <strong>im</strong> Namen <strong>der</strong> Studentenschaft<br />

auf, den bayerischen Hochschulen Weisung zu erteilen, "bei den<br />

<strong>der</strong> deutschen Staatsangehörigkeit verlustig erklärten Verrätern" von <strong>der</strong><br />

Möglichkeit <strong>der</strong> Entziehung <strong>der</strong> <strong>Doktorwürde</strong> Gebrauch zu machen, und<br />

bat um Mitteilung dieser Anweisung an die Hochschulen <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Län<strong>der</strong>, damit diese ebenfalls die entsprechenden Maßnahmen einleiten<br />

könnten. 12<br />

Der Bayerische Minister für Unterricht und Kultus reagierte auf diesen<br />

Brief am 3. Oktober 1933 mit dem folgenden Schreiben, das sowohl an die<br />

Rektoren <strong>der</strong> bayerischen Landesuniversitäten als auch, <strong>der</strong> Anregung<br />

Gengenbachs folgend, zugleich an die an<strong>der</strong>en deutschen Universitäten<br />

ging:<br />

,,(...] Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass Personen, denen unter diesen Voraussetzungen<br />

ihre Reichsangehörigkeit aberkannt worden ist, auch nicht würdig<br />

sind, den Doktortitel einer deutschen Hochschule zu führen. Nach <strong>der</strong> gegenwärtigen<br />

Fassung <strong>der</strong> meisten Promotionsordnungen besteht jedoch nicht die Möglichkeit,<br />

die <strong>Doktorwürde</strong> in diesen Fällen zu entziehen.<br />

Die Promotionsordnungen werden daher durch eine Best<strong>im</strong>mung des Inhalts zu<br />

ergänzen sein, dass die <strong>Doktorwürde</strong> auch entzogen werden kann, wenn <strong>der</strong><br />

Promovierte nach dem Gesetz über den Wi<strong>der</strong>ruf von Einbürgerungen und die<br />

Aberkennung <strong>der</strong> deutschen Staatsangehörigkeit vom 14.7.1933 (RGB1.I S. 480) <strong>der</strong><br />

deutschen Staatsangehörigkeit für verlustig erklärt wurde. Die hiernach beschlossenen<br />

Än<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> einzelnen Promotionsordnungen wollen hierher mitgeteilt<br />

werden."13<br />

11 Zu Hans Schemm siehe Winfried Müller: Gauleiter als Minister. Die Gauleiter Hans<br />

Schemm, Adolf Wagner, Paul Giesler und das Bayerische Staatsministerium für<br />

Unterricht und Kultus 1933-1945. Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 60<br />

(1997), S. 973-1021.<br />

12 Schreiben von Karl Gengenbach an Minister Schemm, 18. September 1933. Bayerisches<br />

Hauptstaatsarchiv (BayHStA):MK 70708, siehe Abb. 1 und Schutzumschlag.<br />

13 Schemm an die Rektorate <strong>der</strong> drei Landesuniversitäten, 3. Oktober 1933: Universitätsarchiv<br />

Erlangen (UAE): Dek. Med. Fak. Nr. 18/1, BI. 28. Vg1.auch Ralf Forsbach:<br />

20


DIE ABERKENNUNG DER DOKTORWÜRDE IM "DRITTEN REICH"<br />

Abbildung 1: Schreiben von Karl Gengenbach ("Die Deutsche Studentenschaft,<br />

Kreis Bayern") vom 18.09.1933 an Kultusminister Hans Schemm. BayHStA: MK 70708.<br />

Die Medizinische Fakultät <strong>der</strong> Universität Bonn <strong>im</strong> "<strong>Dritten</strong> Reich". München 2006,<br />

S. 412-437, hier: S. 412f.<br />

21


DIE ABERKENNUNGDERDOKTORWÜRDEIM "DRITTEN REICH"<br />

Der bayerische Vorstoß machte tatsächlich Schule, und so for<strong>der</strong>ten die<br />

an<strong>der</strong>en Kultusministerien in den folgenden Wochen die Universitäten<br />

ihres Zuständigkeitsbereichs auf, ihre Promotionsordnungen nach <strong>der</strong><br />

Empfehlung Schemms zu än<strong>der</strong>n. 14 Die Medizinische Fakultät <strong>der</strong> Erlanger<br />

Universität folgte <strong>der</strong> Auffor<strong>der</strong>ung Schemms sehr rasch. Schon am 9.<br />

November 1933 teilte ihr Dekan Friedrich Jamin dem Rektor mit, dass die<br />

Fakultät ihre Promotionsordnungen für die Zahn- und Humanmedizin <strong>im</strong><br />

Sinne <strong>der</strong> Ministerialentschliessung vom 3. Oktober ergänzt habe, und bat<br />

ihn, die Än<strong>der</strong>ungen dem Ministerium mitzuteilen. 15 Auch die Münchener<br />

14 Der entsprechende Erlass vom Hessischen Staatsministerium mit <strong>der</strong> For<strong>der</strong>ung<br />

nach Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Promotionsordnung stammte vom 18. Oktober 1933 (vgI.<br />

Margret Lemberg: " ... eines deutschen akademischen Grades unwürdig". Die Entziehung<br />

des Doktortitels an <strong>der</strong> Philipps-Universität Marburg 1933-1945. Marburg<br />

2002, S. 16); <strong>der</strong> Preußische Kultusminister übernahm die For<strong>der</strong>ung aus Schemms<br />

Rundschreiben am 2. November 1933;<strong>der</strong> Badische Minister des Kultus, Unterrichts<br />

und <strong>der</strong> Justiz stellte am 9. November 1933 die Unvereinbarkeit <strong>der</strong> Aberkennung<br />

<strong>der</strong> Staatsbürgerschaft mit dem Führen des Doktortitels einer deutschen Hochschule<br />

fest (vgI. Volker Schupp: Zur Aberkennung <strong>der</strong> akademischen Grade an <strong>der</strong> Universität<br />

Freiburg. Bericht aus den Akten. Freiburger Universitätsblätter 23, 1984,<br />

S. 9); das Sächsische Ministerium for<strong>der</strong>te die Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Promotionsordnungen<br />

am 7. Dezember 1933 (vgI. Brix, Anm. I, S. 55).<br />

15 Schreiben von Jamin an das Rektorat vom 9. November 1933. UAE: Dek. Med. Fak.<br />

Nr. 18/1, BI. 31. Die für die Humanmedizin beschlossene Ergänzung lautete folgen<strong>der</strong>maßen:<br />

,,§ 17. Die erworbene <strong>Doktorwürde</strong> kann durch Fakultätsbeschluss entzogen<br />

werden, 1. wenn sich herausstellt, dass die Bewerbung sich auf unwahre Angaben<br />

gestützt hat, insbeson<strong>der</strong>e dass die Dissertation auf Plagiat beruht; 2. wenn<br />

<strong>der</strong> Promovierte wegen einer ehrenrührigen Handlung rechtskräftig verurteilt ist;<br />

3. wenn <strong>der</strong> Promovierte nach dem Gesetz über den Wi<strong>der</strong>ruf von Einbürgerungen<br />

und die Aberkennung <strong>der</strong> deutschen Staatsangehörigkeit vom 14.7.33 (RGBI.I. S.<br />

480) <strong>der</strong> deutschen Staatsangehörigkeit für verlustig erklärt wurde." - In <strong>der</strong> Ordnung<br />

für die Zahnmedizin sollte künftig <strong>der</strong> abschließende Satz des Paragraphen 10,<br />

mit dem das Recht des Promovierten zur Anhörung eingeräumt worden war, ersatzlos<br />

gestrichen werden. - Mit Ausnahme <strong>der</strong> Philosophischen hatten alle Erlanger<br />

Fakultäten ihre Promotionsordnungen bis zum 27. November 1933 geän<strong>der</strong>t, vgI.<br />

das Schreiben des Bayerischen Kultusministeriums an den Rektor vom 29. Januar<br />

22


DIE ABERKENNUNG DERDOKTORWÜRDEIM "DRITTEN REICH"<br />

Fakultäten kamen, teilweise sogar noch <strong>im</strong> Oktober, <strong>der</strong> Auffor<strong>der</strong>ung des<br />

Ministers nach. 16<br />

Parallel zu den Depromotionsaktivitäten <strong>im</strong> Zusammenhang mit dem<br />

Gesetz über die Aberkennung <strong>der</strong> Staatsbürgerschaft gab es Anfang Oktober<br />

1933 eine Initiative des Preußischen Ministers für Wissenschaft, Erziehung<br />

und Volksbildung, mit <strong>der</strong> er den preußischen Hochschulen nahe<br />

legte, auch allen denjenigen Doktoren, die "wegen einer ehrenrührigen<br />

Handlung rechtskräftig verurteilt"17 werden, ihren akademischen Titel zu<br />

entziehen. Da es bis zu diesem Zeitpunkt noch keine routinemäßige Information<br />

zwischen den Gerichten und Hochschulen über Straftaten und<br />

<strong>der</strong>en Ahndung von Promovierten gab, die Justizbehörden aber nach Ansicht<br />

des Ministeriums bereits durch unterschiedlichste Mitteilungspflichten<br />

überlastet waren, for<strong>der</strong>te <strong>der</strong> Minister die Hochschulen auf, zukünftig<br />

jede erfolgte Promotion <strong>der</strong> jeweils für den Promovierten zuständigen<br />

Polizeibehörde zu melden. l8 Schon <strong>im</strong> Laufe des ersten Jahres nach <strong>der</strong><br />

Machtübernahme wurde also auf verschiedenen Wegen versucht, auch<br />

über das Mittel <strong>der</strong> Promotionsordnungen die Autonomie <strong>der</strong> Universitäten<br />

und Fakultäten zu beschneiden.<br />

Die meisten Universitäten hatten allerdings keine beson<strong>der</strong>e Eile, ihre<br />

Statuten für die Promotionen zu verän<strong>der</strong>n. Deshalb ergingen in den folgenden<br />

Jahren etliche Erlasse des Preußischen Kultusministers Bernhard<br />

1934, mit dem die Ergänzungen genehmigt wurden. UAE: Dek. Med. Fak. Nr. 18/1,<br />

BI. 36. Zur einschlägigen Promotionsordnung <strong>der</strong> Philosophischen Fakultät vg1.<br />

Hartrnut Kugler (Hrsg.): Ulli Bechmann-Rahn-Preis. Akademische Reden und Kolloquien,<br />

Friedrich-Alexan<strong>der</strong>-Universität Erlangen-Nümberg, 19. Erlangen 2000, S. 12.<br />

16 Vg1.Harrecker (Anm. 1), S. 42f.<br />

17 Zit. nach Brix (Anm. 1), S. 53.<br />

18 Diese Verfügung wurde mit Erlass vorn 17. November 1941 wegen des unangemessenen<br />

bürokratischen Aufwandes wie<strong>der</strong> aufgehoben. BayHStA: MK 70708. Vg1.zu<br />

diesem Vorgang auch Jens Blecher: Vorn Promotionsprivileg zum Promotionsrecht:<br />

Das Leipziger Promotionsrecht zwischen 1409 und 1945 als konstitutives und prägendes<br />

Element <strong>der</strong> akademischen Selbstverwaltung. Diss. phi1. Halle-Wittenberg<br />

2006, S. 290f. Dazu auch Forsbach (Anm. 13), S. 419.<br />

23


DIE ABERKENNUNG DERDOKTORWÜRDEIM "DRITTEN REICH"<br />

Rust, in denen von den Hochschulen mit zunehmen<strong>der</strong> Dringlichkeit<br />

Vorschriften zur Entziehung des Doktortitels eingefor<strong>der</strong>t wurden. So gab<br />

Rust, <strong>der</strong> <strong>im</strong> April 1934 zum Reichsminister für Wissenschaft, Kunst und<br />

Volksbildung ernannt worden war, am 17. Juli 1934 sogar die genaue Formulierung<br />

vor, die "in sämtlichen Promotionsordnungen unter Streichung<br />

<strong>der</strong> bisher über die Entziehung des Doktortitels enthaltenen Einzelbest<strong>im</strong>mungen"19<br />

eingefügt werden sollte. Der entsprechende Vorschlag lautete<br />

folgen<strong>der</strong>maßen:<br />

"Die <strong>Doktorwürde</strong> kann wie<strong>der</strong> entzogen werden: a) Wenn sich herausstellt, dass<br />

<strong>der</strong> Inhaber des Titels die <strong>Doktorwürde</strong> unter Täuschung <strong>der</strong> Fakultät erworben hat.<br />

Als solche Täuschung kommen insbeson<strong>der</strong>e in Betracht: Fälschung <strong>der</strong> Reifezeugnisse<br />

o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Studienzeugnisse, Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung<br />

über die selbständige Anfertigung <strong>der</strong> Dissertation o<strong>der</strong> Verschweigung erheblicher<br />

Vorstrafen. b) Wenn <strong>der</strong> Inhaber des Titels sich durch sein Verhalten des Tragens<br />

einer deutschen akademischen Würde unwürdig erweist. Über die Entziehung<br />

entscheidet ein aus dem Rektor und den Dekanen zusammengesetzter Ausschuss.<br />

Soweit es tunlieh erscheint, ist dem Inhaber des Titels vor <strong>der</strong> Beschlussfassung des<br />

Ausschusses Gelegenheit zur Äusserung zu geben. Gegen die getroffene Entscheidung<br />

steht dem Betroffenen innerhalb eines Monats die Beschwerde an den Preussischen<br />

Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung ZU."20<br />

Die Entziehung des Doktortitels infolge <strong>der</strong> Aberkennung <strong>der</strong> deutschen<br />

Staatsangehörigkeit brauchte dem Erlass zufolge nicht eigens erwähnt zu<br />

werden, weil die Unwürdigkeit <strong>der</strong> Ausgebürgerten als erwiesen betrachtet<br />

werden könne und diese Fälle somit keiner beson<strong>der</strong>en Regelung<br />

bedürften. 21 Bedeutsam an diesen Vorgaben war, dass die Depromotion<br />

nach <strong>der</strong> Ausbürgerung nunmehr zwingend sein sollte, dass die "Unwürdigkeit"<br />

des Titelinhabers nicht an eine "Verurteilung wegen einer ehrenrührigen<br />

Handlung" gekoppelt war, wie es die Ergänzung in <strong>der</strong> Promo-<br />

19 Zit. nach Szöllösi-Janze/Freitäger (Anm. I), S. 22; vgl. dazu auch Forsbach (Anm. 13),<br />

S.413f.<br />

20 Zit. nach Szöllösi-Janze/Freitäger (Anm. I), S. 22f.<br />

21 Ebd., S. 23.<br />

24


DIE ABERKENNUNG DERDOKTORWÜRDEIM "DRITTEN REICH"<br />

tionsordnung <strong>der</strong> Medizinischen Fakultät vorgesehen hatte,22 und dass<br />

schließlich für die Entscheidung über die Aberkennung des Doktortitels<br />

ein Ausschuss aus dem Rektor und den Dekanen eingesetzt werden sollte.<br />

Nachdem auch <strong>der</strong> Erlass vom Juli 1934 keine durchgreifende Wirkung<br />

an den Hochschulen hatte, wie<strong>der</strong>holte <strong>der</strong> Reichsminister <strong>im</strong> Februar<br />

1936 die For<strong>der</strong>ung nach unverzüglicher Anpassung aller reichsdeutschen<br />

Promotionsordnungen an seine Vorgaben 23 und legte <strong>im</strong> Dezember<br />

1936 umfangreiche "Än<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Promotionsordnungen" vor,24in denen<br />

insbeson<strong>der</strong>e die Entziehung <strong>der</strong> <strong>Doktorwürde</strong> aufgrund <strong>der</strong> Ausbürgerung<br />

ausführlicher erörtert wurde. 25 Wie schon <strong>im</strong> Erlass vom Februar<br />

1936 wurde hier betont, dass "die Tatsache <strong>der</strong> jüdischen Abstammung<br />

allein nicht die Entziehung <strong>der</strong> <strong>Doktorwürde</strong>" rechtfertige. 26 Zugleich<br />

wurde darauf verwiesen, dass eine "gesetzliche Regelung <strong>der</strong> Frage <strong>der</strong><br />

Entziehung akademischer Grade" in Aussicht genommen sei.2 7 Dieses<br />

angekündigte "Gesetz über die Führung akademischer Grade" wurde<br />

schließlich am 7. Juni 1939 erlassen und bildete zusammen mit <strong>der</strong> Ersten<br />

Durchführungsverordnung vom 21. Juli 1939 28 die reichseinheitliche<br />

Grundlage für die Aberkennung des Doktortitels. Der wesentliche, nun<br />

verbindliche Passus des Paragraphen 4 lautete wie folgt:<br />

,,(1) Der von einer deutschen staatlichen Hochschule verliehene akademische Grad<br />

kann wie<strong>der</strong> entzogen werden, a) wenn sich nachträglich herausstellt, dass er durch<br />

Täuschung erworben worden ist, o<strong>der</strong> wenn wesentliche Voraussetzungen für die<br />

Verleihung irrigerweise als gegeben angenommen worden sind, b) wenn sich nachträglich<br />

herausstellt, dass <strong>der</strong> Inhaber <strong>der</strong> Verleihung eines akademischen Grades<br />

22 Vgl. oben S. 22 mit Anm. 15.<br />

23 Vgl. Lemberg (Anm. 14), S. 19.<br />

24 UAE: Dek. Med. Fak. Nr. 18/1, BI. 81: Der Reichs- und Preußische Minister für Wissenschaft,<br />

Erziehung und Volksbildung, 16. Dezember 1936, Betr.: Än<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong><br />

Promotions ordnungen.<br />

25 Ebd., S. 5.<br />

26 Vgl. hierzu Szöllösi-Janze/Freitäger (Anm. 1), S. 25f.<br />

27 UAE: Dek. Med. Fak. Nr. 18/1, BI.81 (Anm. 24).<br />

28 RGBl.Teil I, S. 1326.<br />

25


DIE ABERKENNUNG DERDOKTORWÜRDEIM "DRITTEN REICH"<br />

unwürdig war, c) wenn sich <strong>der</strong> Inhaber durch sein späteres Verhalten <strong>der</strong> Führung<br />

eines akademischen Grades unwürdig erwiesen hat.<br />

Über die Entziehung entscheidet diejenige Hochschule, die den akademischen Grad<br />

verliehen hat.<br />

(2) Gegen die Entscheidung <strong>der</strong> Hochschule steht dem Betroffenen innerhalb eines<br />

Monats nach Zustellung die Beschwerde an den Reichsminister für Wissenschaft,<br />

Erziehung und Volksbildung zu. Die Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung."29<br />

Die Medizinische Fakultät übernahm diese Formulierung 1940 nahezu<br />

wortgleich in ihre Promotionsordnung. 3o Die Zweite Durchführungsverordnung<br />

zum Gesetz über die Führung akademischer Grade wurde am<br />

29. März 1943 erlassen und verfügte <strong>im</strong> ersten Abschnitt, dass die Aberkennung<br />

<strong>der</strong> deutschen Staatsbürgerschaft gleichsam automatisch den<br />

Verlust des Doktorgrades nach sich zog,31womit die Arbeit <strong>der</strong> Depromotionsausschüsse<br />

in diesen Fällen überflüssig wurde. Es genügte künftig<br />

ein entsprechen<strong>der</strong> Vermerk in den Promotionsakten.<br />

29 RGBl.Teil I, S. 985.<br />

30 Bedingungen für die Erteilung des Doktorgrades von Seiten <strong>der</strong> Medizinischen Fakultät<br />

zu Erlangen. (Genehmigt durch Erlaß des Reichserziehungsministers vom 5.<br />

10. 1940, W A 2194). Erlangen 1940, S. 6.<br />

31 RGBl.Teil I, S. 168.<br />

26


•<br />

DIE ABERKENNUNG DER DOKTORWÜRDE IM "DRITTEN REICH"<br />

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DIE ABERKENNUNGDERDOKTORWÜRDEIM "DRITTEN REICH"<br />

Entziehungsgründe<br />

Innerhalb weniger Jahre hatte die nationalsozialistische Regierung durch<br />

den stufenweise verschärften Eingriff in die Promotionsordnungen die<br />

Grundlage dafür geschaffen, dass ein Vorgang, <strong>der</strong> vor 1933 an den deutschen<br />

Universitäten selten gewesen war, nunmehr einen großen Personenkreis<br />

traf, <strong>der</strong> <strong>im</strong> Deutschen Reich nach den Forschungen <strong>der</strong> letzten Jahre<br />

deutlich die Zahl 2.000 übertraf. 32 Obwohl aber die Kultusminister <strong>der</strong><br />

Län<strong>der</strong> und <strong>der</strong> Reichsminister bereits seit Herbst 1933 den Entzug <strong>der</strong><br />

Doktortitel in den Promotionsordnungen verankert wissen wollten, wurde<br />

er bis 1937 an den meisten Universitäten nur in einzelnen Fällen praktiziert.<br />

Erst 1938 stieg die Zahl an, erreichte in den Jahren 1939 bis 1941<br />

ihren Höhepunkt und ging dann bis 1944 wie<strong>der</strong> zurück. 33 Der weitaus<br />

32 In <strong>der</strong> Datenbank, die Sabine Happ <strong>im</strong> Jahre 2004 auf <strong>der</strong> Grundlage <strong>der</strong> Rundschreiben<br />

<strong>der</strong> Universitäten erstellt hat, sind 1.702 Depromotionen gelistet; siehe<br />

Sabine Happ: Politisch und nicht politisch motivierte Aberkennung von akademischen<br />

Graden. Eine Auswertung <strong>der</strong> Rundschreiben deutscher Universitäten in <strong>der</strong><br />

NS-Zeit. In: Vielfalt <strong>der</strong> Geschichte. Lernen, Lehren und Erforschen vergangener<br />

Zeiten, hrsg. von Sabine Happ/Ulrich Nonn. Berlin 2004, S. 283-296,hier: S. 284-289.<br />

Diese Zahl ist aber, wie Happ selbst betont hat, mit Sicherheit zu niedrig: Schon für<br />

die Universität Erlangen ist die von ihr angegebene Zahl von 79 (ebd., S. 287) auf<br />

mindestens 160 zu erhöhen, und allein an <strong>der</strong> Juristischen Fakultät <strong>der</strong> Universität<br />

Leipzig wurden 73 <strong>Aberkennungen</strong> des Doktortitels vorgenommen, während Happ<br />

(S. 288) für die gesamte Universität nur vier angibt, vgl. Ralf Oberndörfer: Berufsverlust<br />

und Entwürdigung - einige Anmerkungen zu 73 sehr unterschiedlichen<br />

Doktortitelträgern. In: Henne (Anm. 1), S. 73; zum Ausmaß <strong>der</strong> Degraduierungen<br />

allgemein vgl. jüngst auch Peter Chroust: Ärzte ohne Titel. Doktorgradentziehungen<br />

an <strong>der</strong> Medizinischen Fakultät <strong>der</strong> Universität Giessen 1933-1945.In: Die Medizinische<br />

Fakultät <strong>der</strong> Universität <strong>im</strong> Nationalsozialismus und in <strong>der</strong> Nachkriegszeit:<br />

Personen und Institutionen, Umbrüche und Kontinuitäten, hrsg. von Sigrid Oehler-<br />

Klein. Stuttgart 2007, S. 133-161,hier: S. 133-135.<br />

33 Die Universität Erlangen hatte die höchste Zahl an Depromotionen <strong>im</strong> Jahre 1940<br />

mit insgesamt 65, 1939und 1941 waren es 22 bzw. 21. Zur Verteilung in <strong>der</strong> Medizinischen<br />

Fakultät siehe unten KapitelS. - Zu den Zahlen von Heidelberg vgl. Moritz<br />

(Anm. 1), S. 544f; zu Göttingen vgl. Kerstin Thieler: " ... des Tragens eines deutschen<br />

28


DIE ABERKENNUNG DERDOKTORWÜRDEIM "DRITTEN REICH"<br />

größte Anteil aller Doktorgradentziehungen - reichsweit etwa zwei Drittel<br />

- entfiel auf diejenigen Personen, denen die Staatsbürgerschaft entzogen<br />

worden war. Das übrige Drittel betraf Doktorinnen und Doktoren, denen<br />

<strong>der</strong> Titel aufgrund von Gerichtsurteilen aberkannt wurde. 34 Die Entscheidung<br />

für alle <strong>Aberkennungen</strong> lag nicht bei den Fakultäten, son<strong>der</strong>n bei<br />

einern eigens zu diesem Zweck eingerichteten Ausschuss, <strong>der</strong> aus dem<br />

Rektor und allen Dekanen bestand. 35 Dieser hatte <strong>im</strong> Falle <strong>der</strong> Ausbürgerung<br />

lediglich die Funktion <strong>der</strong> Bestätigung des Tatbestands, <strong>im</strong> Falle<br />

<strong>der</strong> Titelentziehung aufgrund von Gerichtsurteilen blieb ihm jedoch ein<br />

geringer Ermessensspielraum. 36<br />

Entziehungen aufgrund von Ausbürgerung<br />

Mit dem Gesetz über die Aberkennung <strong>der</strong> deutschen Staatsangehörigkeit<br />

vorn Juli 1933 hatte die NS-Regierung ein Instrument geschaffen, das sich<br />

zunächst vornehmlich gegen ihre politischen Gegner richtete, in den späten<br />

dreißiger und den Kriegsjahren jedoch vor allem die emigrierten Juden<br />

betraf. Es war darauf ausgerichtet, die davon Betroffenen nicht nur <strong>der</strong><br />

Staatenlosigkeit auszuliefern, son<strong>der</strong>n sie auch nach <strong>der</strong> Ausbürgerung<br />

lebenslang zu schädigen. 37 Hierauf vor allem zielten die mit <strong>der</strong> Strafexpatriation<br />

verbundenen gravierenden Nebenfolgen, die den ausgebürger-<br />

akademischen Grades unwürdig." Die Entziehung von Doktortiteln an <strong>der</strong> Georg-<br />

August-Universität Göttingen <strong>im</strong> "<strong>Dritten</strong> Reich". 2. erw. Auflage. Göttingen 2006,<br />

S. 38; zu Leipzig vgl. Blecher (Anm. 18), S. 289.<br />

34 Vgl. Happ (Anm. 32), S. 289.<br />

35 Hübinger (Anm.10), S. 112, verweist zu Recht darauf, dass dieser Ausschuss dem<br />

Führerprinzip wi<strong>der</strong>sprach.<br />

36 Zur Situation an <strong>der</strong> Erlanger Medizinischen Fakultät siehe unten KapitelS.<br />

37 Vgl. hierzu Hans Georg Lehmann: Acht und Ächtung politischer Gegner <strong>im</strong> <strong>Dritten</strong><br />

Reich. Die Ausbürgerung deutscher Emigranten 1933-45. In: Die Ausbürgerung<br />

deutscher Staatsangehöriger 1933-45 nach den <strong>im</strong> Reichsanzeiger veröffentlichten<br />

Listen, hrsg. von Michael Hepp. 3 Bde. München u.a. 1985-1988,Bd. 1, S. IX-XXIII.<br />

29


DIE ABERKENNUNG DER DOKTORWÜRDE IM "DRITTEN REICH"<br />

ten Emigranten nicht nur durch Beschlagnahme des Vermögens und Ausschluss<br />

aus den Versicherungssystemen ihre materielle Existenzgrundlage<br />

nahmen, son<strong>der</strong>n sie darüber hinaus kr<strong>im</strong>inalisierten und ihrer persönlichen<br />

Integrität und Würde beraubten.<br />

Eine nicht unerhebliche Maßnahme dieser Entwürdigung und Diskreditierung<br />

war die Aberkennung <strong>der</strong> akademischen Titel, die nach dem<br />

verhängnisvollen Vorstoß aus <strong>der</strong> Deutschen Studentenschaft3 8 bereits <strong>im</strong><br />

Juli 1934 vom Kultusministerium mit Verweis auf die "Unwürdigkeit" <strong>der</strong><br />

Expatriierten verfügt wurde. Die näheren Best<strong>im</strong>mungen zum Verfahren<br />

wurden in dem Run<strong>der</strong>lass vom 16. Dezember 1936 festgelegt: 39 Danach<br />

hatte <strong>der</strong> Reichsinnenminister dem Reichswissenschaftsminister Mitteilung<br />

über alle Fälle vollzogener Ausbürgerung von Personen zu machen,<br />

die Inhaber eines akademischen Grades waren. Der Reichswissenschaftsminister<br />

übermittelte daraufhin <strong>der</strong> Universität die Namen <strong>der</strong> Betreffenden<br />

mit <strong>der</strong> Maßgabe, hinsichtlich <strong>der</strong> Entziehung das Weitere zu veranlassen.<br />

Eine vorherige Anhörung <strong>der</strong> Betroffenen erübrigte sich nach Auffassung<br />

des Ministers in diesen Fällen, und ebenso sollte auch von einer<br />

Zustellung des Entziehungsbescheides abgesehen werden. 40<br />

Die Aufgabe <strong>der</strong> Universität bestand in diesen Fällen lediglich in <strong>der</strong><br />

Prüfung und Bestätigung <strong>der</strong> übermittelten Daten sowie in <strong>der</strong> Herbeiführung<br />

eines Feststellungsbeschlusses <strong>der</strong> Aberkennungskommission,<br />

<strong>der</strong> in Erlangen jeweils <strong>im</strong> Umlaufverfahren erfolgte. Danach musste <strong>der</strong><br />

38 Siehe oben S. 19-22.<br />

39 Der Reichs- und Preußische Minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung,<br />

16. Dezember 1936,Betr.: Än<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Promotionsordnungen, S. 5.<br />

40 Zur Frage, ob die ausgebürgerten Doktoren von <strong>der</strong> Aberkennung ihres akademischen<br />

Grades erfahren haben, vgl. Harrecker (Anm. I), S. 103-106, die darauf verweist,<br />

dass bisher kein Fall eines Emigranten bekannt sei, bei dem die Arbeitserlaubnis<br />

<strong>im</strong> Exil mit Hinweis auf die Depromotion verweigert worden wäre.<br />

30


DIE ABERKENNUNG DER DOKTORWÜRDE IM "DRITTEN REICH"<br />

Rektor die Entziehung <strong>im</strong> Deutschen Reichsanzeiger veröffentlichen 41 und<br />

seine Amtskollegen <strong>im</strong> Reich darüber informieren. 42<br />

(65820J~ etlll1tttmlldjun,g.<br />

2u,bIDi(t ilJlvrgcntI,1l 11, ge'Doren am<br />

2.3. 9Jlät1 18'77 in ~iittmbadJ, ift auf<br />

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14. J'uH 1933 - lJHßSSL I ~. 480 -<br />

,ber l>cutid)eJl e;taat9nn~le~örirtteit für<br />

vcrluiHg erfIiin \t)orDen. (~gL }Be:<br />

Lllnntmaa)Ung <strong>im</strong> SDeuticf)en mcid)5~<br />

t1l15ciget9h:. 2;')0 vom 26. :Oftobet HJ38.)<br />

'.DCorgcntf)au ift bm;l1t1d) aud) bes strQ<<br />

\1C1I5 eines. beuticf)en atCloemiidJen ®ra~<br />

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T'cm ®enllnuten iftbaf)ctbie ifjm am<br />

11. 0'uni 1900 bonbet mebi3hdjcf)cn I<br />

i}afuftät bct llnivetfität ~t(angen 'oet~ I<br />

ficf)c.ne m.sütbe eines ;VOttOt5 het 'J)(e~<br />

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ent30gen IDOtbel1.<br />

Tic ~nt)iel}unA wirb mit ber l!3et~<br />

öffentlidJung ItJitffmn. ~in :Redjt§mitte!<br />

ift ltid)t 3u9efajfcn.<br />

G:tlllng'Clt, 1. [februar 19:39.<br />

';!'.cr ~}leftllr 'Der 1tnitler;itiit.<br />

aB in \1.<br />

Abbildung 3: Anzeigentext zu Ludwig Morgenthau (1877-1948). Ausschnitt<br />

aus <strong>der</strong> Ersten Beilage zum Deutschen Reichsanzeiger und Preußischen<br />

Staats anzeiger Nr. 38 vom 14. Februar 1939. UAE: A1/3a Nr. 946f.<br />

41 Die Formulierung des Textes für die Anzeige wurde <strong>im</strong> April 1937 vom Reichsministerium<br />

festgelegt, vgl. Blecher (Anm. 18), S. 283.<br />

42 Nach Happ (Anm. 32), S. 290, wurden trotz des bürokratischen Verfahrens offenkundig<br />

bei weitem nicht alle promovierten Emigranten für die Depromotion erfasst,<br />

vgl. zu Erlangen unten S. 226 mit Anm. 2; zu München siehe Harrecker (Anm. 1),<br />

5.78-80.<br />

31


DIE ABERKENNUNG DER DOKTORWÜRDE IM IIDRITIEN REICH"<br />

Im Promotionsbuch <strong>der</strong> jeweiligen Fakultät sollte die Aberkennung unter<br />

dem entsprechenden Namen mit roter Tinte vermerkt werden.<br />

1~ql.<br />

[;-1•/::",<br />

t.vt,CC- I<br />

h~ef l;JrC'r71t erZ;.<br />

..•.. ]~~~:::"r:::,~~~:_-:- =,?v];" .'~,<br />

Abbildung 4: UAE: Dek. Med. Fak. Promotionsbuch 1856/57-1899/00.<br />

Eintrag <strong>der</strong> Aberkennung bei Emil Fröhlich, 31. August 1940.<br />

Ergänzung "Jude [... ] Dr. Titel entzogen" [Original rot].<br />

!<br />

i' 1<br />

t (C.<br />

,~,<br />

/MF.~<br />

~<br />

Dieses Verfahren blieb bis zum Jahre 1943 gültig. Mit <strong>der</strong> Zweiten<br />

Durchführungsverordnung zum Gesetz über die Führung akademischer<br />

Grade vom 29. März 1943 trat mit <strong>der</strong> Aberkennung <strong>der</strong> Staatsbürgerschaft<br />

zugleich <strong>der</strong> Verlust <strong>der</strong> akademischen Grade ein, so dass es auch<br />

des Feststellungsbeschlusses <strong>der</strong> Hochschule nicht mehr bedurfte. Von<br />

nun an genügte ein Vermerk in den Promotionsakten. 43<br />

43 RGBl. Teil I, S. 168.<br />

32


DIE ABERKENNUNGDERDOKTORWÜRDEIM "DRITTEN REICH"<br />

Entziehungen au/grund von Gerichtsurteilen<br />

Während die Strafexpatriation als staatlich sanktionierter Rechtsbruch anzusehen<br />

ist44 und damit auch die daraus folgende Aberkennung <strong>der</strong><br />

Doktorgrade einen eindeutigen Unrechtsakt darstellte, ist <strong>der</strong> Entzug des<br />

Titels <strong>im</strong> Zusammenhang mit einem Gerichtsbeschluss schwerer zu bewerten;<br />

denn unter diese Rubrik fallen die unterschiedlichsten Delikte, bei<br />

denen jeweils <strong>im</strong> einzelnen zu fragen ist, ob nach den herkömmlichen<br />

Maßstäben <strong>der</strong> Rechtsprechung tatsächlich eine strafbare Handlung vorlag<br />

o<strong>der</strong> ob es sich um Tatbestände handelte, <strong>der</strong>en Verurteilung den NS-<br />

Machthabern zur Ausschaltung ihrer Gegner und zur "Reinigung <strong>der</strong><br />

,Volksgemeinschaft' von rassischen und sozialen ,Volksschädlingen lf<br />

'45<br />

diente. Was Letzteres angeht, so wurden etliche Depromotionen allein<br />

aufgrund spezifischer NS-Gesetze ausgesprochen; hierzu zählten beispielsweise<br />

das He<strong>im</strong>tückegesetz, die "Rassenschande" o<strong>der</strong> das Abhören<br />

von Feindsen<strong>der</strong>n. 46 Doch auch bei denjenigen Delikten, die schon vor<br />

1933 und nach 1945 strafbar waren, wie es etwa bei <strong>der</strong> Abtreibung und<br />

bei <strong>der</strong> Homosexualität <strong>der</strong> Fall war, gab es eine drastische Verschärfung<br />

<strong>der</strong> Strafen, die deutlich politische Züge trug. 47<br />

Wenn das Gerichtsurteil als Nebenfolge den Verlust <strong>der</strong> bürgerlichen<br />

Ehrenrechte vorsah, dann musste <strong>der</strong> Ausschuss bzw. die Universität -<br />

ebenso wie bei <strong>der</strong> Ausbürgerung - die Aberkennung <strong>der</strong> <strong>Doktorwürde</strong>,<br />

unabhängig von <strong>der</strong> eigenen Einschätzung <strong>der</strong> Straftat, aussprechen. 48 In<br />

44 So Lehrnann (Anm. 37), S. XII.<br />

45 Vg1. Ralph Angermund: "Recht ist, was dem Volke nutzt". Zum Nie<strong>der</strong>gang von<br />

Recht und Justiz <strong>im</strong> <strong>Dritten</strong> Reich. In: Deutschland 1933-1945. Neue Studien zur<br />

nationalsozialistischen Herrschaft, hrsg. von K,-D. Bracher et a1. 2. Auflage. Bonn<br />

1993, S. 57-75, hier: S. 58.<br />

46 Eine Liste aller Delikte, die zu Depromotionen führen konnten, findet sich bei Happ<br />

(Anm. 32), S. 291.<br />

47 Vg1.hierzu unten KapitelS; ferner Happ (Anm. 32), S. 292-294.<br />

48 Vg1.den Rundbrief des Reichswissenschaftsministeriums an die Rektoren <strong>der</strong> Universitäten<br />

vom 27. Dezember 1937. UAE: Dek. Med. Fak. Nr. 18/1, BI. 112: "Der<br />

33


DIE ABERKENNUNG DERDOKTORWÜRDEIM "DRITTEN REICH"<br />

allen an<strong>der</strong>en Fällen hatten die Universitäten <strong>im</strong>merhin einen gewissen<br />

Ermessensspielraum, <strong>der</strong> <strong>im</strong> "Gesetz über die Führung akademischer<br />

Grade" von 1939 ausdrücklich festgehalten war 49 und von ihnen offenkundig<br />

durchaus unterschiedlich genutzt wurde. 50<br />

Das Verfahren zur Aberkennung aufgrund von Gerichtsurteilen war<br />

<strong>im</strong> Run<strong>der</strong>lass vom Dezember 1936 festgelegt und <strong>im</strong> Gesetz von 1939<br />

sowie <strong>der</strong> Ersten Durchführungsordnung ergänzt worden. In ihnen wurde<br />

angeordnet, dass "die Ausfertigung des Beschlusses über die Entziehung<br />

[...] dem Betroffenen durch Postzustellungsurkunde zuzustellen"51 sei.<br />

Zugleich sollte er über seine Rechtsmittel und die Frist zur möglichen<br />

Einlegung einer Beschwerde, die einen Monat betrug, belehrt werden. In<br />

<strong>der</strong> entsprechenden Mitteilung an den Wissenschaftsminister hatte die<br />

Universität außerdem die Gründe darzulegen, die zu <strong>der</strong> Entziehung<br />

geführt hatten. Wenn die Rechtskraft des Beschlusses vom Minister bestätigt<br />

war, musste die Universität die zuständige Ortspolizeibehörde über<br />

die erfolgte Doktorgradentziehung informieren.<br />

Verlust des akademischen Grades tritt, wenn durch rechtskräftiges Strafurteil dem<br />

Inhaber die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt worden sind, gemäß § 33 StGB.<br />

kraft Gesetzes ein. In solchen Fällen bedarf es seitens <strong>der</strong> zuständigen Hochschule<br />

lediglich eines Beschlusses, <strong>der</strong> diese Tatsache feststellt. Ein Rechtsmittel dagegen ist<br />

nicht gegeben."<br />

49 Die beiden entscheidenden Sätze lauten: "Der von einer deutschen staatlichen Hochschule<br />

verliehende Grad kann wie<strong>der</strong> entzogen werden" und" Über die Entziehung<br />

entscheidet diejenige Hochschule, die den akademischen Grad verliehen hat", vgI.<br />

RGBI.Teil I, S. 985.<br />

50 VgI. z.B. Thieler (Anm. 33), S. 41-45; Robert Fuchs: Aberkennung aufgrund Verurteilung<br />

wegen Wirtschaftsvergehens. In: Szöllösi-]anze/Freitäger (Anm. 1), S. 6lf;<br />

Forsbach (Anm. 13), S. 425-432.- Zum Umgang <strong>der</strong> Münchner Medizinischen Fakultät<br />

mit <strong>der</strong> Frage <strong>der</strong> Degraduierung nach Gerichtsurteilen vgI. Harrecker (Anm. 1),<br />

S.107-115.<br />

51 UAE: Dek. Med. Fak. Nr. 18/1, BI.81: Der Reichs- und Preußische Minister für Wissenschaft,<br />

Erziehung und Volksbildung, 16. Dezember 1936, Betr.: Än<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong><br />

Promotionsordnungen, S. 5.<br />

34


DIE ABERKENNUNG DERDOKTORWÜRDEIM "DRITTEN REICH"<br />

Unter allen Depromotionen aufgrund eines Strafurteils war das Delikt<br />

<strong>der</strong> Schwangerschaftsunterbrechung an den Medizinischen Fakultäten am<br />

häufigsten. Die Abtreibung war bereits vor 1933 strafbar und hatte auch<br />

damals schon in Einzelfällen zur Aberkennung des Doktortitels geführt. 52<br />

Nach <strong>der</strong> Machtübernahme wurde sie jedoch als ein bevölkerungspolitisches<br />

Instrument eingesetzt, das in zweierlei Richtung wirken sollte:<br />

Zum einen wurden die Strafen für Abtreibung an "arischen" Kin<strong>der</strong>n<br />

drastisch erhöht, um die "Lebenskraft des deutschen Volkes"53zu schützen,<br />

zum an<strong>der</strong>n wurde sie nicht nur geför<strong>der</strong>t, son<strong>der</strong>n als eugenische<br />

Zwangsmaßnahme angeordnet und eingesetzt. Letzteres betraf vor allem<br />

die Zwangsarbeiterinnen in Deutschland, an denen <strong>im</strong> Verlaufe des Krieges<br />

eine Vielzahl von Schwangerschaftsabbrüchen durch Ärztinnen und<br />

Ärzte durchgeführt wurde. 54 Es ging den NS-Machthabern bei <strong>der</strong> Bestrafung<br />

<strong>der</strong> Abtreibung also nicht um den grundsätzlichen Schutz des<br />

ungeborenen Lebens, son<strong>der</strong>n um die Durchsetzung ihrer Rassen- und<br />

Bevölkerungspolitik. 55 Vor diesem spezifischen Hintergrund müssen demzufolge<br />

auch diejenigen <strong>Aberkennungen</strong> gesehen und bewertet werden,<br />

die aufgrund entsprechen<strong>der</strong>, teilweise drastischer Strafurteile ausgesprochen<br />

wurden, wobei sich die Situation <strong>der</strong> Angeklagten noch erheblich<br />

52 Vgl. oben S. 17; vgl. auch Jens Kullik: Der Entziehungsgrund Unwürdigkeit bei<br />

akademischen Graden und öffentlichen Ehrungen. Diss. jur. Kiel 1996.<br />

53 Vgl. Gerhard Werle: Justiz-Strafrecht und polizeiliche Verbrechensbekämpfung <strong>im</strong><br />

<strong>Dritten</strong> Reich. Berlin, New York 1989,S. 421.<br />

54 In <strong>der</strong> Erlanger Universitäts-Frauenklinik wurden in den Jahren 1943 bis 1945 mindestens<br />

136 Abtreibungen an "Ostarbeiterinnen" vorgenommen, vgl. hierzu Wolfgang<br />

Frobenius: Abtreibungen bei "Ostarbeiterinnen" in Erlangen. Hochschulmediziner<br />

als Helfershelfer des NS-Reg<strong>im</strong>es. In: Medizin und Zwangsarbeit <strong>im</strong> Nationalsozialismus.<br />

Einsatz und Behandlung von "Auslän<strong>der</strong>n" <strong>im</strong> Gesundheitswesen,<br />

hrsg. von Andreas Frewer/Günther Siedbürger. Frankfurt am Main, New York 2004,<br />

S.283-307.<br />

55 Vgl. Wilm Huygen et al.: Entziehung aufgrund "gewerbsmäßiger Abtreibung". In:<br />

Szöllösi-Janze/Freitäger (Anm. 1), S. 55-59.<br />

35


DIE ABERKENNUNG DER DOKTORWÜRDE IM "DRITTEN REICH"<br />

verschärfte, wenn es sich um einen jüdischen Arzt o<strong>der</strong> eine jüdische<br />

Ärztin handelte. 56<br />

Bevor nun die von <strong>der</strong> Aberkennung ihrer Doktortitel Betroffenen mit<br />

ihren Biographien in Erinnerung gerufen und gewürdigt werden, soll<br />

zunächst noch in einem kurzen Überblick <strong>der</strong> zeitspezifische Hintergrund<br />

in <strong>der</strong> Stadt Erlangen und an <strong>der</strong> Erlanger Universität beleuchtet werden.<br />

56 Zu den Erlanger "Fällen" von Abtreibung vgl. unten Kapitel 4.2 und Kapitel 5.<br />

36


3. NATIONALSOZIALISMUS IN ERLANGEN<br />

In <strong>der</strong> Stadt Erlangen begann die "offizielle" Geschichte des Nationalsozialismus<br />

spätestens am 31. Mai 1922 mit <strong>der</strong> Gründung einer NSDAP-<br />

Ortsgruppe als Ke<strong>im</strong>zelle <strong>der</strong> "Hitler-Bewegung".l Als ein Jahr später<br />

Adolf Hitler zu einer Kundgebung in die fränkische Universitätsstadt<br />

kam, die damals 28.000 Einwohnerinnen und Einwohner zählte, sprach er<br />

<strong>im</strong> Kolosseumssaal vor 2.000Zuhörern. 2 Die Ortsgruppe machte in diesem<br />

Krisenjahr <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> von sich reden durch Massenkundgebungen<br />

und gewaltsame Auseinan<strong>der</strong>setzungen mit den Sozialdemokraten, die<br />

1919 <strong>im</strong> Erlanger Stadtrat mit 36,9% (= 11 von 30 Sitzen) die stärkste<br />

Fraktion stellten. 3<br />

1 Vgl. hierzu und zum Folgenden: Erlangen <strong>im</strong> Nationalsozialismus. Begleitband zur<br />

Ausstellung <strong>im</strong> Stadtmuseum Erlangen vom 16.10.1983 bis 19.02.1984, hrsg. vom<br />

Stadtmuseum Erlangen. Erlangen o. J. S. 12; ferner Siegfried Ziegler: Erlangen und<br />

<strong>der</strong> Aufstieg des Nationalsozialismus. Gedenkvortrag am 27. April 1983 aus Anlaß<br />

des 50. Jahrestages <strong>der</strong> Gleichschaltung des Erlanger Stadtrats. Erlanger Materialien<br />

5. Erlangen 1984, S. 9.<br />

2 Dass diese Veranstaltung von Professoren besucht und positiv aufgenommen wurde,<br />

zeigt ein Bericht des Pädiaters und Poliklinikers Friedrich Jamin: "Ich hatte (... )<br />

noch nie einen solchen Redner gehört. Es mag die unerschütterliche Selbstsicherheit<br />

gewesen sein, die so gewinnenden Eindruck machte." Zit. nach Udo Baudler et al.<br />

(Hrsg.): Briefe und Betrachtungen eines Arztes. Erlangen 1986, S. 121; vgl. hierzu<br />

auch Manuela Zapf: Friedrich Jamins (1872-1951)Leben und Werk unter beson<strong>der</strong>er<br />

Berücksichtigung seiner Bedeutung für die Neurologie und Pädiatrie Erlangens in<br />

<strong>der</strong> ersten Hälfte des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts. Diss. med. Erlangen-Nürnberg 2003, S. 45<br />

und 48.<br />

3 Vgl. Manfred Franze: Erlangen <strong>im</strong> Umbruch von 1918/19. In: Erlangen - Von <strong>der</strong><br />

Strumpfer- zur Siemens-Stadt. Beiträge zur Geschichte Erlangens vom 18. zum 20.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t, hrsg. von Jürgen Sandweg. Erlangen 1982, S. 495-540,hier: S. 534. - Zu<br />

den frühen Aktivitäten <strong>der</strong> NSDAP und ihrer Anhänger in Franken, die maßgeblich<br />

von Julius Streicher angetrieben wurden, vgl. Rainer Hambrecht: Der Aufstieg <strong>der</strong><br />

NSDAP in Mittel- und Oberfranken (1925-1933).Nürnberger Werkstücke zur Stadtund<br />

Landesgeschichte, 17. Nürnberg 1976.<br />

37


NATIONALSOZIALISMUSIN ERLANGEN<br />

Seit 1924 verfügten die Nationalsozialisten über vier Sitze <strong>im</strong> Erlanger<br />

Stadtrat. 4 Einen von ihnen hatte Prof. Dr. Ernst Friedrich Weinland (1869-<br />

1932) inne, <strong>der</strong> seit 1913 Ordinarius für Physiologie war. 5 Er war ein<br />

typischer Vertreter des universitären Milieus, in dem die feindliche Haltung<br />

gegen die neue Staatsform <strong>der</strong> We<strong>im</strong>arer Republik wie auch an<br />

vielen an<strong>der</strong>en Universitäten des Reiches 6 dominierte? So war in Erlangen<br />

die Initiative zur Gründung <strong>der</strong> DNVP (Deutschnationale Volkspartei) <strong>im</strong><br />

Dezember 1918 ausschließlich von Universitätsprofessoren ausgegangen,<br />

drei Professoren vertraten sie sogar <strong>im</strong> Bayerischen Landtag und <strong>im</strong><br />

Reichstag, unter ihnen auch <strong>der</strong> Erlanger Ordinarius für Histologie und<br />

Entwicklungsgeschichte Amold Spuler (1869-1937).8<br />

In <strong>der</strong> Erlanger Studentenschaft waren ebenfalls eine ausgeprägte<br />

republikfeindliche Haltung und völkischer Geist verbreitet, die insbeson<strong>der</strong>e<br />

von den starken Korporationen getragen wurden. 9 Im Sommer 1920<br />

wurde eine Ortsgruppe des IIHochschulrings Deutscher Art" gegründet,<br />

4 Siehe Jürgen Sandweg: Geschichte in Schichten: 1686-1986. In: Erlangen 1686-1986.<br />

Kulturhistorisches Lesebuch, hrsg. von Inge Meidinger-Geise. Erlangen 1986, S. 5-16,<br />

hier: S. 12.<br />

5 Vgl. Renate Wittern (Hrsg.): Die Professoren und Dozenten <strong>der</strong> Friedrich-Alexan<strong>der</strong>-<br />

Universität. Erlangen 1743-1960. Teil 2: Medizinische Fakultät. Erlanger Forschungen,<br />

Son<strong>der</strong>reihe 9. Erlangen 1999, S. 212; ferner Jürgen Sandweg: "Erlangen ist eine<br />

Universität". In: Meidinger-Geise (Anm. 4), S. 17-101,hier: S. 77.<br />

6 Vgl. Hans Peter Bleuel: Deutschlands Bekenner. Professoren zwischen Kaiserreich<br />

und Diktatur. Bern, München, Wien 1968,bes. S. 100-122.<br />

7 Vgl. z.B. den Ausspruch von Johannes Reinmöller, des nachmaligen Rektors <strong>der</strong><br />

Universität aus dem Jahre 1922: "Ich war Monarchist, ich bin Monarchist, ich bleibe<br />

Monarchist!" Erlanger Tagblatt vom 17. Juni 1922, zit. nach Manfred Franze: Die<br />

Erlanger Studentenschaft 1918-1945. Würzburg 1972, S. 49, Anm. 8, <strong>der</strong> hier noch<br />

an<strong>der</strong>e einschlägige Zitate von Erlanger Professoren referiert; siehe außerdem Alfred<br />

Wendehorst: Geschichte <strong>der</strong> Friedrich-Alexan<strong>der</strong>-Universität Erlangen-Nümberg<br />

1743-1993.München 1993, S. 161-168.<br />

8 Vgl. Franze (Anm. 7), S. 55, und <strong>der</strong>s. (Anm. 3), S. 516.<br />

9 Zur Entwicklung <strong>der</strong> Erlanger studentischen Aktivitäten in <strong>der</strong> We<strong>im</strong>arer Republik<br />

und <strong>im</strong> "<strong>Dritten</strong> Reich" vgl. Franze (Anm. 7).<br />

38


NATIONALSOZIALISMUSIN ERLANGEN<br />

<strong>der</strong> sich als "völkisches Gewissen" verstand, "Internationalismus, Mehrheitsherrschaft,<br />

Pazifismus und jüdische Führung für volksschädlich"<br />

hielt lO und sich sehr rasch <strong>der</strong> parteipolitischen Linie <strong>der</strong> DNVP annäherte.<br />

ll Im Oktober 1923 konstituierte sich erstmals eine "Nationalsozialistische<br />

Studentengruppe" mit ca. 120 Mitglie<strong>der</strong>n, die zwar schon wenige<br />

Tage danach, <strong>im</strong> Anschluss an das Scheitern des "Hitlerputsches", wie<strong>der</strong><br />

aufgelöst, aber <strong>im</strong> März des folgenden Jahres erneut, unter an<strong>der</strong>em<br />

Namen, zugelassen wurde. 12<br />

Für die Erlanger Studentenschaft wurde in <strong>der</strong> Folge <strong>der</strong> 20. November<br />

1929 das vorerst wichtigste Datum, als bei den Wahlen zum AStA<br />

erstmals in Deutschland <strong>der</strong> Nationalsozialistische Deutsche Studentenverbund<br />

mit 14 von 25 Sitzen die absolute Mehrheit errang - ein Ergebnis,<br />

das in <strong>der</strong> Bayern-Ausgabe des Völkischen Beobachters als einer "<strong>der</strong><br />

glänzendsten nationalsozialistischen Siege <strong>der</strong> letzten Monate" gefeiert<br />

wurde.J3 Und es war nicht zuletzt dieser Wahlerfolg <strong>der</strong> Nationalsozialisten,<br />

<strong>der</strong> dazu führte, dass Erlangen bereits in <strong>der</strong> Selbstwahrnehmung<br />

<strong>der</strong> Zeit als "braune Universität" und als "die erste nationalsozialistische<br />

Hochschule des Reiches" bezeichnet wurde.I 4 Schon vor diesem<br />

Wahlerfolg hatte <strong>der</strong> Erlanger NSDStB auf Flugblättern bekannt, dass<br />

10 Ebd., S. 61-63. - Zur Frühgeschichte des Antisemitismus in <strong>der</strong> deutschen Studentenschaft<br />

vgl. Norbert Kampe: Studenten und "Judenfrage" <strong>im</strong> Deutschen Kaiserreich.<br />

Die Entstehung einer akademischen Trägerschicht des Antisemitismus. Kritische<br />

Studien zur Geschichtswissenschaft, 76. Göttingen 1988.<br />

11 Franze (Anm. 7), S. 76f.<br />

12 Ebd., S. 81-85; diese Gruppierung trug den Namen "Deutschvölkische Studentenbewegung".<br />

13 Zit. nach Claudia Schorcht: Philosophie an den bayerischen Universitäten 1933-1945.<br />

Erlangen 1990, S. 79.<br />

14 So Rektor Wintz in einem Schreiben an Hitler vom 12. Oktober 1943 aus Anlass des<br />

200. Jahrestages <strong>der</strong> Universität. Universitäts archiv Erlangen (UAE): Son<strong>der</strong>akte<br />

Universitätsjubiläum 1943, zit. nach Gotthard Jasper: Die Universität in <strong>der</strong> We<strong>im</strong>arer<br />

Republik und <strong>im</strong> <strong>Dritten</strong> Reich. In: 250 Jahre Friedrich-Alexan<strong>der</strong>-Universität<br />

Erlangen-Nürnberg. Festschrift, hrsg. von Henning Kössler. Erlanger Forschungen,<br />

Son<strong>der</strong>reihe 4. Erlangen 1993,S. 793-838,hier: S. 795.<br />

39


NATIONALSOZIALISMUS IN ERLANGEN<br />

seine Mitglie<strong>der</strong> fanatische Antisemiten seien, und die Einführung des<br />

Numerus clausus für Nichtdeutsche und <strong>im</strong> Beson<strong>der</strong>en für jüdische<br />

Studenten gefor<strong>der</strong>t,15Diese Initiative gewinnt noch an Schärfe, wenn man<br />

bedenkt, dass <strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> jüdischen Studenten in Erlangen während<br />

<strong>der</strong> We<strong>im</strong>arer Zeit weit unter dem Reichsdurchschnitt lag. 16 Von den<br />

Erlanger Professoren und auf Seiten <strong>der</strong> Hochschulleitung wurden die<br />

politischen Aktivitäten des NSDStB billigend bis wohlwollend begleitet,<br />

da diese in hohem Maße <strong>der</strong>en eigenen Überzeugungen entsprachen,17<br />

Die Machtübernahme <strong>der</strong> Nationalsozialisten stieß somit in Erlangen<br />

auf vorbereiteten Boden und erzeugte eine "geradezu euphorische Aufbruchst<strong>im</strong>mung"18<br />

mit pathetischen Grußadressen an den Führer und<br />

enthusiastischen Ansprachen, wie sie aus dem ganzen Reich bekannt sind.<br />

Gleichwohl unterschied sich die Erlanger Situation von <strong>der</strong> an den<br />

meisten an<strong>der</strong>en deutschen Universitäten in einer Hinsicht grundlegend:<br />

Das <strong>im</strong> April 1933 erlassene "Gesetz zur Wie<strong>der</strong>herstellung des Berufsbeamtenturns"<br />

blieb in Erlangen praktisch folgenlos. Aufgrund <strong>der</strong> antisemitischen<br />

Grundst<strong>im</strong>mung an <strong>der</strong> Universität hatte nämlich bei Berufungen<br />

"die arische Abstammung" schon in <strong>der</strong> We<strong>im</strong>arer Zeit eine Ausschlag<br />

gebende Rolle gespielt,19so dass <strong>der</strong> Lehrkörper bei <strong>der</strong> Machtübernahme<br />

durch die Nationalsozialisten bereits "judenfrei" war. Es gab also<br />

keine rassisch o<strong>der</strong> politisch begründete personelle Umstrukturierung<br />

und damit auch keine Vakanzen, in die jüngere radikale nationalsozialistische<br />

Aktivisten hätten nachrücken und die Universität zu einem ausdrücklichen<br />

"Hort des Nationalsozialismus" machen können. 2o<br />

Im Laufe des Sommers 1933 wurde <strong>im</strong> Zuge <strong>der</strong> "Gleichschaltung"<br />

auch an den deutschen Universitäten das Führerprinzip eingeführt. Für<br />

15 Vgl. Franze (Anm. 7), S. 104-111.<br />

16 Ebd., S. 58 m. Anm. 59.<br />

17 Vgl. Ziegler (Anm. 1), S. 9.<br />

18 So Jasper (Anm. 14), S. 815.<br />

19 Briefliche Äußerung von Dekan Schwemmle vom 2. Januar 1934, zit. nach Jasper<br />

(Anm. 14),S. 801.<br />

20 Vgl. Jasper (Anm. 14),S. 829 und 833;Schorcht (Anm. 13),S. 84f.<br />

40


NATIONALSOZIALISMUSIN ERLANGEN<br />

Bayern wurden zunächst die "Vorläufigen Vorschriften zur Vereinfachung<br />

<strong>der</strong> Hochschulverwaltung" maßgeblich, die <strong>der</strong> Kultusminister am<br />

28. August 1933 erließ. Danach wurde <strong>der</strong> Rektor nun aus einem entsprechenden<br />

Senatsvorsch1ag vom Staatsminister für Unterricht und Kultus<br />

ernannt und damit zum "Führer <strong>der</strong> Universität" mit weit reichenden<br />

Machtbefugnissen erhoben. Er erhielt das Recht zur Ernennung <strong>der</strong><br />

Senatsmitglie<strong>der</strong> und <strong>der</strong> Dekane, und alle bisherigen Zuständigkeiten<br />

des Senats gingen auf ihn über. 21 In Erlangen wurde die Funktion des<br />

"Führer-Rektors" von 1933 bis 1944 ohne Unterbrechung von Medizinern<br />

ausgeübt - dies unterstreicht sowohl die Bedeutung <strong>der</strong> Medizin für das<br />

nationalsozialistische Weltbild als auch die überproportional starke Unterstützung<br />

<strong>der</strong> Mediziner für den Nationalsozialismus. 22<br />

Der erste Rektor, <strong>der</strong> in Erlangen auf diese Weise ins Amt kam, war<br />

<strong>der</strong> Zahnmediziner Prof. Dr. Johannes Reinmöller (1877-1955),23 <strong>der</strong> vor<br />

seiner Berufung an die Friedrich-Alexan<strong>der</strong>-Universität, also bis 1921,<br />

Abgeordneter <strong>der</strong> Deutschnationalen Partei <strong>im</strong> Mecklenburgischen Landtag<br />

gewesen war und - obwohl kein Parteigenosse - in seiner Antrittsrede<br />

<strong>im</strong> November 1933 am Dies academicus die "Deutsche Festversammlung"<br />

darauf einschwor, "unserem Volkskanzler Adolf Hitler ohne jedes ,Wenn<br />

und Aber' in germanischer Treue Gefolgschaft" zu leisten. 24 Da Reinmöller<br />

es während seines Erlanger Rektorates verstanden hatte, "die Hochschule<br />

21 Vgl. Jasper (Anm. 14), S. 822f. - Ab 1934 wurde <strong>der</strong> Rektor vom Reichsministerium<br />

für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung ernannt, vgl. Wendehorst (Anm. 7),<br />

5.189f.<br />

22 50 waren von den sechs Erlanger Professoren, die den Aufruf, bei <strong>der</strong> Wahl am 5.<br />

März 1933 für Adolf Hitler und die NSDAP zu st<strong>im</strong>men, unterschrieben, vier Mediziner.<br />

Ebd., 5. 180f.<br />

23 Zu Reinmöller vgl. Hans Jürgen Müller: Biographie und Bibliographie von Johannes<br />

Reinmöller (1877-1955).Würzburger medizinhistorische Forschungen, 54. Würzburg<br />

1994.<br />

24 Die Rede ist abgedruckt in Wendehorst (Anm. 7), S. 190-193;das Zitat findet sich auf<br />

5. 192; vgl. auch oben 5. 38, Anm. 7. - Zu Reinmöllers Rolle als Erlanger Rektor vgl.<br />

Jasper (Anm. 14),5.820-825.<br />

41


NATIONALSOZIALISMUSIN ERLANGEN<br />

zielbewusst <strong>im</strong> Sinne des nationalsozialistischen Staates zu leitenJ/25und<br />

da es in Würzburg nach Ansicht <strong>der</strong> NS-Führung <strong>im</strong> Jahre 1935 keinen<br />

geeigneten Kandidaten für dieses Amt gab, wurde Reinmöller zum 1.<br />

April 1935 vom Reichserziehungsminister in dieser Funktion nach Würzburg<br />

versetzt. Der bayerische Kultusminister, von dem dieser Vorschlag<br />

stammte, war <strong>der</strong> Überzeugung, dass Reinmöller angesichts seines hohen<br />

Ansehens sowohl in Hochschulkreisen als auch in <strong>der</strong> Partei die unterfränkische<br />

Universität erfolgreich auf den gewünschten Kurs bringen<br />

würde. 26<br />

Reinmöllers Nachfolger wurde Prof. Dr. Fritz Specht (1890-1972), <strong>der</strong><br />

erst ein Jahr zuvor nach Erlangen gekommen war. Er vertrat hier zunächst<br />

den Lehrstuhl für Ohren-, Nasen- und Kehlkopfheilkunde, den er dann ab<br />

1. April 1935 als Ordinarius erhielt,27 Zeitgleich damit wurde er zum<br />

Rektor <strong>der</strong> Universität Erlangen ernannt. Specht war bereits 1932 in die<br />

NSDAP eingetreten, von 1933 bis 1937 war er för<strong>der</strong>ndes, ab 1938 aktives<br />

Mitglied <strong>der</strong> SS und galt als "Alter KämpferJ/.28Er war überzeugter<br />

Nationalsozialist und for<strong>der</strong>te in seiner Antrittsrede mit Nachdruck die<br />

"völkisch-politische Hochschule". In <strong>der</strong> Folgezeit scheint er dann allerdings<br />

gewisse Vorbehalte gegenüber dem uneingeschränkten Führerprin-<br />

25 Schreiben des Bayerischen Kultusministeriums an den Reichserziehungsminister,<br />

zit. nach Jasper (Anm. 14), S. 824.<br />

26 Vgl. Jasper (ebd.) und Wendehorst (Anm. 7), S. 201. - Zum Wechsel in den akademischen<br />

Ämtern nach 1933, <strong>der</strong> nunmehr ausschließlich nach politischen Motiven<br />

und ohne den vorher üblichen regelmäßigen Turnus vollzogen wurde, vgl. Paul<br />

Egon Hübinger: Thomas Mann, die Universität Bonn und die Zeitgeschichte. München,<br />

Wien 1974, S.106.<br />

27 Zu Specht vgl. Wittern (Anm. 5), S. 186.<br />

28 Wendehorst (Anm. 7), S. 195. Vor allem dieser Tatsache hatte Specht auch offenkundig<br />

seine Berufung auf das Ordinariat zu verdanken, vgl. Jasper (Anm. 14),<br />

S. 825. - Zum Rektorat Spechts vgl. auch Jürgen Sandweg: Der Verrat des Geistes:<br />

<strong>der</strong> Fall <strong>der</strong> Erlanger Universität <strong>im</strong> "<strong>Dritten</strong> Reich". In: Die Friedrich-Alexan<strong>der</strong>-<br />

Universität Erlangen-Nürnberg 1743-1993,hrsg. von Christoph Frie<strong>der</strong>ich. Veröffentlichungen<br />

des Stadtmuseums Erlangen, 43. Erlangen 1993, S. 99-126,hier: S. 110-<br />

112.<br />

42


NATIONALSOZIALISMUSIN ERLANGEN<br />

zip in <strong>der</strong> Universität entwickelt zu haben, die nicht zuletzt auch zu<br />

verschiedenen Konflikten mit <strong>der</strong> Gauleitung führten. 29<br />

Specht blieb bis 1938 <strong>im</strong> Amt. 30 Ihm folgte zum Sommersemester Prof.<br />

Dr. Hermann Wintz, <strong>der</strong> seit 1921 Direktor <strong>der</strong> Erlanger Frauenklinik war<br />

und dessen beson<strong>der</strong>e wissenschaftliche und klinische Leistungen auf<br />

dem Gebiet <strong>der</strong> Gynäkoradiologie lagen. 31 Wintz war 1935 in die Partei<br />

eingetreten und galt als eher gemäßigt, wurde aber von <strong>der</strong> Gauleitung<br />

favorisiert, während sowohl sein Vorgänger als auch das Bayerische<br />

Kultusministerium Bedenken bezüglich seiner Bereitschaft äußerten, sich<br />

uneingeschränkt für die Ziele des Nationalsozialismus einzusetzen. 32 In<br />

den ersten Jahren seiner Amtsführung gelang es Wintz auch offenkundig,<br />

sich bei seinen Bemühungen, die unterschiedlichen Interessen von Universität,<br />

Gauleitung und Ministerium auszugleichen, einen gewissen Spielraum<br />

zu bewahren, wobei er von dem Ordinarius für Systematische Philosophie,<br />

Prof. Dr. Eugen Herrigel (1884-1955), den er sich als Prorektor<br />

gewählt hatte, wirkungsvoll unterstützt wurde. 33 So wurde ihm nach dem<br />

Krieg sogar von einem Gegner <strong>der</strong> Nationalsozialisten bescheinigt, dass er<br />

durch seine Haltung "manches Unheil von <strong>der</strong> Universität abwenden<br />

konnte ll<br />

• 34 Gleichwohl wurden in <strong>der</strong> von ihm geleiteten Klinik seit 1934<br />

Zwangssterilisationen nach dem "Gesetz zur Verhütung erbkranken<br />

29 Vgl. Jasper (Anm. 14), S. 826f. - Zum Gauleiter Streicher und dessen verhängnisvoller<br />

Rolle in Franken vgl. Thomas Greif: Julius Streicher (1885-1946). Fränkische<br />

Lebensbil<strong>der</strong> 21 (2006), S. 327-348;ferner Hambrecht (Anm. 3).<br />

30 Er wurde nach dem Kriege drei Jahre von den Amerikanern interniert; zum 1. Juli<br />

1955 erfolgte seine Wie<strong>der</strong>ernennung zum ordentlichen Professor in Erlangen bei<br />

gleichzeitiger Emeritierung, vgl. Wittern (Anm. 5), S. 186.<br />

31 Vgl. hierzu die ausführliche Arbeit von Wolfgang Frobenius: Röntgenstrahlen statt<br />

Skalpell. Die Universitäts-Frauenklinik Erlangen und die Geschichte <strong>der</strong> gynäkologischen<br />

Radiologie von 1914-1945.Erlangen 2003.<br />

32 Vgl. Jasper (Anm. 14), S. 827f.<br />

33 Vgl. Sandweg (Anm. 28), S. 113.<br />

34 Vgl. den Nachruf des Sozialdemokraten und Nachkriegsoberbürgermeisters Michael<br />

Poeschke, zit. nach Frobenius (Anm. 31), S. 395, siehe außerdem S. 414.<br />

43


NATIONALSOZIALISMUSIN ERLANGEN<br />

Nachwuchses" und seit 1943 Schwangerschaftsabbrüche an "Ostarbeiterinnen"<br />

vorgenommen. 35 Und unter seinem Rektorat wurden auch aus<br />

den Erlanger Kliniken Patientinnen und Patienten unter dem beschönigenden<br />

Begriff <strong>der</strong> "Euthanasie" deportiert und getötet, ohne dass es von<br />

Seiten <strong>der</strong> Universität und ihrer Leitung Wi<strong>der</strong>stand gegeben hätte. 36<br />

Hermann Wintz blieb bis Ende Oktober 1944 <strong>im</strong> Amt. Ihm folgte sein<br />

langjähriger Prorektor Eugen Herrigel, <strong>der</strong> als Vertreter von Wintz schon<br />

viele Rektoratsaufgaben erledigt hatte. Herrigel war zwar erst <strong>im</strong> Mai 1938<br />

in die NSDAP eingetreten, hatte aber in den ersten Jahren nach <strong>der</strong> Machtübernahme<br />

offenkundig durchaus eine gewisse Affinität zum Nationalsozialismus.37<br />

Nach 1940 scheint er sich jedoch mehr und mehr von ihm<br />

distanziert zu haben. 38 Sein beson<strong>der</strong>es Verdienst für Erlangen bestand<br />

darin, dass er sich bei Kriegsende für die kampflose Übergabe <strong>der</strong> Stadt<br />

einsetzte.<br />

Da die weitaus meisten <strong>Aberkennungen</strong> <strong>der</strong> Erlanger medizinischen<br />

Doktortitel <strong>im</strong> Zeitraum zwischen 1939 und 1942 erfolgten, fanden diese<br />

Verfahren fast alle während des Rektorats von Hermann Wintz und des<br />

Prorektorats von Eugen Herrigel statt. Der in diesen Jahren amtierende<br />

Dekan <strong>der</strong> Medizinischen Fakultät war <strong>der</strong> 1936 nach Erlangen berufene<br />

Internist Richard Wilhelm Greving (1887-1966).39Greving war am 1. April<br />

35 Zu den Zwangssterilisierungen an <strong>der</strong> Erlanger Frauenklinik vgl. Dorothea Krüger:<br />

Zwangssterilisationen <strong>im</strong> Nationalsozialismus: Das "Gesetz zur Verhütung erbkranken<br />

Nachwuchses" vom 14.Juli 1933und seine Durchführung an <strong>der</strong> Universitäts-Frauenklinik.<br />

Diss. med. Erlangen-Nürnberg 2007; zu den Abtreibungen an<br />

"Ostarbeiterinnen" vgl. Wolfgang Frobenius: Abtreibungen an Ostarbeiterinnen<br />

1943-1945in Erlangen. Wie angesehene Hochschulmediziner zu Helfershelfern des<br />

NS-Reg<strong>im</strong>es wurden. In: Zwangsarbeit in Erlangen während des Zweiten Weltkriegs,<br />

hrsg. von Christoph Frie<strong>der</strong>ich. Veröffentlichungen des Stadtarchivs Erlangen,<br />

6. Nürnberg 2007, 5.191-213.<br />

36 Vgl. Hans Ludwig Siemen: Menschen blieben auf <strong>der</strong> Strecke... Psychiatrie zwischen<br />

Reform und NS. Gütersloh 1987.<br />

37 Zu Herrigel vgl. Schorcht (Anm. 13),S. 90-95und 328-333.<br />

38 Ebd., S. 93.<br />

39 Zu Grevings akademischer Karriere vgl. Wittern (Anm. 5), S. 58f.<br />

44


NATIONALSOZIALISMUS IN ERLANGEN<br />

1933 in die SA und einen Monat später in die NSDAP eingetreten. Er<br />

fungierte 1939 bis 1941 als Stellvertreter des Gaudozentenbundführers<br />

und galt als ausgesprochen nationalsozialistischer Medizinprofessor . Hierfür<br />

spricht nicht zuletzt auch die Tatsache, dass er 1939 an <strong>der</strong> Tür zur<br />

Anmeldung in <strong>der</strong> von ihm geleiteten Klinik ein Schild mit <strong>der</strong> Aufschrift<br />

"Juden unerwünscht" anbringen ließ40und dass auch auf sein Gutachten<br />

hin 1943 ein Gesuch um Behandlung von jüdischen Kranken in den Erlanger<br />

Universitätskliniken abgelehnt wurde. 41<br />

Dies ist <strong>der</strong> stadtgeschichtliche und universitätshistorische Rahmen, in<br />

dem sich die Erlanger <strong>Aberkennungen</strong> <strong>der</strong> medizinischen Doktortitel abspielten.<br />

40 Vgl. Wendehorst (Anm. 7), S. 203 und 219.<br />

41 Vgl. Frie<strong>der</strong>ich (Anm. 28), S. 348.<br />

45


4. EINZELBIOGRAPHIEN DER BETROFFENEN<br />

4.1 ABERKENNUNG WEGEN AUSBÜRGERUNG


EMIL FRÖHLICH<br />

* 20. Oktober 1864, Dr. med. 12. Mai 1891<br />

Der Arzt Emil FröWich stammte aus <strong>der</strong> kleinen Gemeinde Kauthen, die<br />

zum damals preußischen Kreis Ratibor gehörte, wurde am 20. Oktober<br />

1864 geboren und war jüdischen Bekenntnisses. 1<br />

Zum Medizinstudium ging FröWich an die Universitäten in Breslau,<br />

München und Erlangen. Nach <strong>der</strong> ärztlichen Approbation war er als Militärarzt<br />

in Flensburg tätig und brachte es bis zum Stabsarzt. Seine medizinische<br />

Dissertation mit dem Titel "Über Erscheinungen während <strong>der</strong><br />

Inkubationszeit <strong>der</strong> Masern" wurde 1891 in Erlangen eingereicht, in Flensburg<br />

wurde sie gedruckt.2 1892 ließ sich Dr. Emil Fröhlich in Chemnitz als<br />

Arzt nie<strong>der</strong> und war neben seiner privatärztlichen Tätigkeit auch als Kassenarzt<br />

zugelassen. Im Jahr 1897 heiratete er die am 21. Juli 1873 in Prenzlau<br />

geborene Betty Gorzelanszyk. Aus <strong>der</strong> Ehe gingen drei Kin<strong>der</strong> hervor,<br />

zwei Söhne und eine Tochter: 1898 wurde Alisa geboren, ein gutes Jahr<br />

später folgte Helmut und 1904 kam Walter Fröhlich auf die Welt.<br />

Dr. Emil Fröhlich war in Chemnitz 3 als Arzt erfolgreich tätig und<br />

behandelte Kassen- und Privatpatienten, den größten Teil seiner Einnahmen<br />

bezog Fröhlich aus seiner kassenärztlichen Tätigkeit. 4<br />

1 Schreiben des Reichsführers-SS und Chef <strong>der</strong> Deutschen Polizei <strong>im</strong> Reichsministerium<br />

des Inneren an das Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung<br />

(REM), abschriftlich von diesem an den Rektor <strong>der</strong> Universität Erlangen am<br />

21. August 1940. Dort heißt es: "Gegen den Juden Emil Israel Fröhlich [...]", vgl.<br />

Universitätsarchiv Erlangen (UAE): Al/3a Nr. 946b.<br />

2 Die meisten Lebensdaten sind den Akten des Universitätsarchivs Erlangen und des<br />

Nie<strong>der</strong>sächsischen Hauptstaatsarchivs Hannover (HStAH) entnommen worden. In<br />

<strong>der</strong> Dissertation ist keine Vita enthalten, als Druckort ist dort Flensburg angegeben,<br />

siehe UAE: C3/3 Nr. 1890/91-43.<br />

3 Die letzte bekannte Meldeadresse in Chernnitz war "Germaniastr. 8", vgl. Schreiben<br />

des Reichsführers-SS (Anm. 1).<br />

4 Sein Einkommen in den Jahren 1930-1932belief sich auf etwa 30.000,- RM jährlich.<br />

HStAH: Nds. 110 W Ace. 8/90 Nr. 183/8 (Fröhlich, Emil, Dr.).<br />

49


EMILFRÖHLICH<br />

Nach <strong>der</strong> Machtübernahme <strong>im</strong> Jahr 1933 wurde auch Fröhlich sehr<br />

schnell Opfer <strong>der</strong> Ausgrenzungsmaßnahmen gegen die Juden. So wurde<br />

seine Arztpraxis in Zusammenhang mit dem allgemeinen Judenboykott,<br />

zu dem die NSDAP am 29. März 1933 aufgerufen hatte, am 1. April von<br />

zwei Posten bewacht; diese sollten Patienten daran hin<strong>der</strong>n, Dr. Fröhlich<br />

zu konsultieren. 5 Wegen <strong>der</strong> massiven Bestrebungen, die Zulassung<br />

jüdischer Ärzte zu den Krankenkassen zu wi<strong>der</strong>rufen, gab Fröhlich seine<br />

Praxis <strong>im</strong> April 1933 <strong>im</strong> Alter von 68 Jahren auf - auch wenn er gerne<br />

weiter gearbeitet hätte und auch gesundheitlich keine Einschränkungen<br />

hatte - und musste danach mangels an<strong>der</strong>er Verdienstmöglichkeiten zusammen<br />

mit seiner Ehefrau von seinen Ersparnissen leben. Infolge des <strong>im</strong><br />

Laufe <strong>der</strong> dreißiger Jahre <strong>im</strong>mer stärker werdenden Verfolgungsdrucks<br />

gegen die noch <strong>im</strong> Reichsgebiet lebenden jüdischen Bürger sah sich Emil<br />

Fröhlich schließlich <strong>im</strong> Februar 1940 <strong>im</strong> Alter von 75 Jahren gezwungen,<br />

zusammen mit seiner Ehefrau doch auszuwan<strong>der</strong>n: Über Genua konnten<br />

sie gerade noch nach Brasilien emigrieren<br />

Wegen <strong>der</strong> allgemeinen Repressalien und des Krieges war es Dr. Fröhlich<br />

und seiner Frau nicht mehr möglich, Wertsachen, Möbel o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e<br />

Bestände aus dem Haushalt mitzunehmen bzw. diese zu veräußern. Dies<br />

erkannten sogar die bundesdeutschen Behörden später an, wie es in einem<br />

Schreiben aus den 1950er Jahren heißt:<br />

,,[...) amtsbekannt ist, dass Juden <strong>im</strong> Jahre 1940 kaum noch ihre Wohnungseinrichtung<br />

verkaufen konnten. Die Angst, als ,Judenknecht' gebrandmarkt zu werden,<br />

hielt die Bevölkerung zu dieser Zeit ab, irgend welche Gegenstände von Juden <strong>im</strong><br />

Falle <strong>der</strong> Auswan<strong>der</strong>ung zu erwerben."6<br />

Der NS-Staat ließ sich die erzwungene Emigration des langjährigen Arztes<br />

teuer bezahlen mit verschiedenartigen Gebührenfor<strong>der</strong>ungen in enormer<br />

5 Vgl. Wemer F. Kümmel: Die Ausschaltung rassisch und politisch missliebiger Ärzte.<br />

In: Ärzte <strong>im</strong> Nationalsozialismus, hrsg. von Fridolf Kudlien. Köln 1985, S. 56-81,<br />

hier: S. 65f.<br />

6 Der Regierungspräsident <strong>der</strong> Entschädigungsbehörde Hildeshe<strong>im</strong>, in einem internen<br />

Schreiben vorn 18. April 1958.Ebd.<br />

50


EMIL FRÖHLICH<br />

Höhe: So hatte er zunächst als "Son<strong>der</strong>abgaben" die so genannte "Reichsfluchtsteuer",<br />

die "Judenvermögensabgabe"7 sowie auch noch eine "Auswan<strong>der</strong>erabgabe"<br />

an die "Reichsvereinigung <strong>der</strong> Juden" zu leisten. 8<br />

Darüber hinaus wurde sein Bankguthaben beschlagnahmt, so dass sich<br />

<strong>der</strong> gesamte Vermögensschaden für Dr. Fröhlich letztlich auf eine knapp<br />

sechsstellige Summe belief. 9<br />

Nach Ankunft in Rio de Janeiro wurde <strong>der</strong> Familie Fröhlich <strong>im</strong><br />

Deutschen Konsulat eröffnet, dass sie ausgebürgert sowie das gesamte<br />

Vermögen in Deutschland zu Gunsten des Deutschen Reiches eingezogen<br />

worden sei.<br />

Bereits am 10. August 1940 war gegen "den Juden Emil Israel Fröhlich",<br />

wie <strong>der</strong> Betroffene diskr<strong>im</strong>inierend von den nationalsozialistischen<br />

Behörden genannt wurde, ein Verfahren auf Aberkennung <strong>der</strong> deutschen<br />

Staatsangehörigkeit eingeleitet worden. Dr. Fröhlich hielt sich zu dieser<br />

Zeit auch nach Kenntnisstand des Ministeriums des Inneren in Rio de Janeiro<br />

(Brasilien) auf. Über dieses Verfahren wurde <strong>der</strong> Rektor <strong>der</strong> Universität<br />

Erlangen durch ein Schreiben des Reichsführers-SS und Chef <strong>der</strong><br />

Deutschen Polizei <strong>im</strong> Reichsministerium des Innern an den Reichsminister<br />

für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung mit Datum vom 21. Au-<br />

7 Die "Reichsfluchtsteuer" von 25 % des Gesamtvermögens war bereits während <strong>der</strong><br />

We<strong>im</strong>arer Republik (1931)eingeführt worden; die "Judenvermögensabgabe" musste<br />

1938 auf Anregung Hermann Görings als "Sühne für die feindliche Haltung des<br />

jüdischen Volkes" nach <strong>der</strong> Pogromnacht geleistet werden. Zur Situation in Bayern<br />

siehe insbeson<strong>der</strong>e Hans Günter Hockerts et al. (Hrsg.): Die Finanzverwaltung und<br />

die Verfolgung <strong>der</strong> Juden in Bayern. München 2004.<br />

8 Vgl. hierzu Esriel Hildeshe<strong>im</strong>er: Jüdische Selbstverwaltung unter dem NS-Reg<strong>im</strong>e.<br />

Der Existenzkampf <strong>der</strong> Reichsvertretung und Reichsvereinigung <strong>der</strong> Juden in<br />

Deutschland. Wissenschaftliche Abhandlungen des Leo-Baeck-Instituts, 50 (zugleich<br />

Univ. Diss. Jerusalem 1982).Tübingen 1994,S. 148-153.<br />

9 Die Fröhlich entstandenen Auswan<strong>der</strong>ungskosten und <strong>der</strong> zurückgelassene Hausrat<br />

sind dabei noch nicht mitgerechnet. HStAH: Nds. 110 W Ace. 8/90 Nr. 183/8.<br />

51


EMIL FRÖHLICH<br />

gust 1940 informiert,t° dem die Auffor<strong>der</strong>ung angefügt war, alles Weitere<br />

bezüglich <strong>der</strong> Entziehung <strong>der</strong> <strong>Doktorwürde</strong> zu veranlassen. Der Dekan<br />

<strong>der</strong> Medizinischen Fakultät erklärte auf Anfrage des Rektors zunächst,<br />

dass die Entziehung auf <strong>der</strong> Grundlage des Erlasses vom 16. Dezember<br />

1936sowie des Erlasses vom 15. April 1937rechtmäßig sei. ll Dieses Schreiben<br />

wurde dann <strong>im</strong> Umlaufverfahren den an<strong>der</strong>en Dekanen vorgelegt.<br />

Dekan Liermann von <strong>der</strong> Juristischen Fakultät notierte auf dem Rundlaufschreiben,<br />

in dem um Äußerung sämtlicher Dekane <strong>der</strong> Universität ersucht<br />

wurde, zunächst noch folgenden Einwand:<br />

,,(... ] das Verfahren ist erst eingeleitet, nach dem oben genannten Erlaß ist aber <strong>der</strong><br />

Doktortitel erst dann zu entziehen, wenn <strong>der</strong> Betreffende <strong>der</strong> deutschen Staatsangehörigkeit<br />

für verlustig(t) erklärt worden ist.<br />

9.9.40Juristische Fakultät: Liermann."12<br />

Liermann revidierte jedoch sein zunächst abwartendes Vorgehen und<br />

st<strong>im</strong>mte bereits drei Tage später <strong>der</strong> Aberkennung <strong>der</strong> <strong>Doktorwürde</strong> zu:<br />

"Da aus <strong>der</strong> Notiz von Herrn Regierungsrat Zinner hervorgeht, dass die Entziehung<br />

des Doktortitels erst dann formell ausgesprochen wird, wenn <strong>der</strong> Beschluß über die<br />

Entziehung <strong>der</strong> Staatsangehörigkeit <strong>im</strong> Reichsanzeiger veröffentlicht ist, entfallen<br />

die am 9.9. geäußerten Bedenken. Ich st<strong>im</strong>me mit dem Herrn Dekan <strong>der</strong> Medizinischen<br />

Fakultät für Entziehung.<br />

12.9.1940.Juristische Fakultät: Liermann."13<br />

Das entsprechende Schreiben von Regierungsrat Zinner ist in den Akten<br />

nicht vorhanden. Liermann stellte zwar die Rechtmäßigkeit <strong>der</strong> Depromotion<br />

vor dem erfolgten Entzug <strong>der</strong> Staatsangehörigkeit in Frage, ließ sich<br />

10 Schreiben des Reichsführers-SS und Chef <strong>der</strong> Deutschen Polizei <strong>im</strong> Reichsministerium<br />

des Inneren an das Reichswissenschaftsministerium, abschriftlich von diesem<br />

an den Rektor <strong>der</strong> Universität Erlangen am 21. August 1940.UAE: A1/3a Nr. 946b.<br />

11 Anfrage des Rektors <strong>der</strong> Universität an den Dekan <strong>der</strong> Medizinischen Fakultät zur<br />

Person und <strong>der</strong> Frage <strong>der</strong> Entziehung vorn 27. August 1940, beantwortet am 31.<br />

August und weitergeleitet an die an<strong>der</strong>en Dekane. Ebd.<br />

12 HStAH: Nds. 110 W Acc. 8/90 Nr. 183/8.Kursive Stellen <strong>im</strong> Original unterstrichen.<br />

13 Ebd.<br />

52


EMIL FRÖHLICH<br />

dann aber offensichtlich durch den Dekan <strong>der</strong> Medizinischen Fakultät von<br />

dem geplanten Vorgehen überzeugen.<br />

Ende Oktober 1940 erhielt die Universitätsverwaltung schließlich eine<br />

Ausbürgerungsliste zugesandt, auf <strong>der</strong> sich auch <strong>der</strong> Name Emil Fröhlich<br />

befand. Nun informierte die Erlanger Universität umgehend in einem<br />

Rundschreiben die Rektoren <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en deutschen Universitäten über<br />

den erfolgten Titelentzug. Im Januar 1941 wurde <strong>der</strong> Entzug des Doktortitels<br />

<strong>im</strong> Reichsanzeiger veröffentlicht und die Depromotion durch Bericht<br />

an das Bayerische Ministerium für Unterricht und Kultus und das Reichswissenschaftsministeriums<br />

formal beendet.<br />

Emil Fröhlich war zu diesem Zeitpunkt bereits 76 Jahre alt. Der Rassenwahn<br />

des NS-Staates hatte verfügt, dass <strong>der</strong> Arzt, <strong>der</strong> über Jahrzehnte<br />

in Deutschland gearbeitet und <strong>im</strong> Ersten Weltkrieg gekämpft hatte, sich<br />

mittlerweile "Ernil Israel Fröhlich" nennen und durch Zwang seine He<strong>im</strong>at<br />

verlassen musste. In Brasilien konnte er wegen <strong>der</strong> fehlenden Sprachkenntnisse<br />

keine berufliche Tätigkeit ausüben, zumal Fröhlich "als ausländischer<br />

Arzt in Brasilien als Arzt nicht hätte arbeiten können, da zu dieser<br />

Zeit nur geborenen Brasilianern die Ausübung eines freien Berufs erlaubt<br />

war."14 Die Lebenswege <strong>der</strong> fünfköpfigen Familie Fröhlich sollten sich in<br />

<strong>der</strong> Folge trennen, nur <strong>der</strong> Sohn Walter blieb in Rio de Janeiro. Dr. Hans<br />

Fröhlich wird später mit dem Wohnort Masterton in Neuseeland geführt,<br />

während <strong>der</strong> Vater Emil Fröhlich - zusammen mit seiner Frau Betty o<strong>der</strong><br />

evtl. auch erst nach <strong>der</strong>en Tod (24. Oktober 1954) - zur Tochter Alisa nach<br />

Israel ging. Diese hatte den Juristen Dr. Heinrich Wulfsohn geheiratet und<br />

war in die Nähe von Tel Aviv gezogen. 15<br />

Über die weitere Geschichte in <strong>der</strong> Nachkriegszeit geben umfangreichere<br />

Aktenbestände <strong>im</strong> Nie<strong>der</strong>sächsischen Hauptstaatsarchiv in Hannover<br />

Auskunft. 16 Nominell heißt <strong>der</strong> dortige Bestand "Wie<strong>der</strong>gutmachungs-<br />

14 Ebd.<br />

15 Ramot Haschaw<strong>im</strong>. Alisa Wulfsohn, geb. Fröhlich; laut späteren Angaben gab es in<br />

ihrer Familie noch zwei Kin<strong>der</strong>, also Enkel von Emil Fröhlich. Ebd.<br />

16 HstAH: Nds. 110 W Ace. 8/90, Nr. 183/8.Der Umfang beträgt etwa 130 Seiten.<br />

53


EMIL FRÖHLICH<br />

akte". Er bringt nicht nur weitere Facetten zur Lebensgeschichte Fröhlichs,<br />

son<strong>der</strong>n auch wichtige Informationen zum Umgang mit dem Thema<br />

"Entschädigung" durch den Antrag eines NS-Opfers.<br />

Die Entwicklung <strong>der</strong> "Entschädigung" von Dr. Fröhlich<br />

Der Berliner Rechtsanwalt und Notar Dr. M. wurde nach <strong>der</strong> Verabschiedung<br />

des Entschädigungsgesetzes in <strong>der</strong> Bundesrepublik Deutschland<br />

von Emil Fröhlich mit <strong>der</strong> Wahrnehmung <strong>der</strong> Entschädigungsansprüche<br />

betraut.<br />

Mit Bescheid vom 26. September 1956 wurde Dr. Fröhlich zunächst<br />

insbeson<strong>der</strong>e wegen "Schäden <strong>im</strong> beruflichen Fortkommen (selbständiger<br />

Beruf)" eine Überweisung von Entschädigungsleistungen aufgrund des<br />

Bundesgesetzes zur Entschädigung für Opfer <strong>der</strong> nationalsozialistischen<br />

Verfolgung (BEG) vom 29. Juni 1956 zugebilligt. Dort wurde in <strong>der</strong> Beurteilung<br />

des NS-Unrechts klargestellt:<br />

,,1. Der Antragsteller ist aus Gründen <strong>der</strong> Rasse <strong>im</strong> Sinne des § 1 BEG verfolgt worden.<br />

2. Dem Antragsteller steht eine Rente ab 1. 11. 1953in Höhe von monatlich [...]<br />

und eine Kapitalabfindung [...] zu [... ]."17<br />

Als Gründe für die Berechtigung wurden dort nach einer Zusammenfassung<br />

<strong>der</strong> Umstände <strong>der</strong> Ausbürgerung nochmals zusammengestellt:<br />

"In Brasilien konnte <strong>der</strong> Antragsteller wegen seiner mangelnden Sprachkenntnisse<br />

keine gewinnbringende Tätigkeit ausüben, zumal <strong>der</strong> Antragsteller als ausländischer<br />

Arzt in Brasilien als Arzt nicht hätte arbeiten können, da zu dieser Zeit nur<br />

17 Dieser Bescheid enthielt noch einen weiteren Punkt: ,,[3.] Die Entschädigungsberechnung<br />

kann rückwirkend geän<strong>der</strong>t werden, wenn sich auf Grund <strong>der</strong> Neufassung <strong>der</strong><br />

3. DV-BEGeine an<strong>der</strong>e Entschädigung errechnet. Ergibt sich bei <strong>der</strong> Neuberechnung<br />

eine Überzahlung, so kann <strong>der</strong> überzahlte Betrag zurückgefor<strong>der</strong>t werden o<strong>der</strong> auf<br />

an<strong>der</strong>e Entschädigungsansprüche angerechnet werden. Der Anspruch ist sofort fällig.<br />

Die Entscheidung ergeht gebühren- und auslagenfrei." Ebd. Die genauen Angaben<br />

zu den Summen sind aus archivrechtlichen Gründen nicht wie<strong>der</strong>gegeben.<br />

54


EMIL FRÖHLICH<br />

geborenen Brasilianern die Ausübung eines freien Berufs erlaubt war. Nach seiner<br />

Ankunft in Rio de Janeiro wurde dem Antragsteller <strong>im</strong> Deutschen Konsulat eröffnet,<br />

dass er ausgebürgert und sein gesamtes Vermögen in Deutschland zu Gunsten des<br />

Deutschen Reiches eingezogen worden sei."18<br />

Die Beurteilung durch die Hildeshe<strong>im</strong>er Entschädigungsbehörde stützte<br />

sich in <strong>der</strong> Argumentation auf die folgenden Unterlagen und Dokumente:<br />

"Dieser Sachverhalt, <strong>der</strong> auf den glaubhaften Angaben des Antragstellers beruht,<br />

wird durch folgende, in <strong>der</strong> Entschädigungsakte befindliche Unterlagen bestätigt:<br />

1. Eidesstattliche Versicherung des Antragstellers vom 17.4.1956.<br />

2. Judenvermögensabgabe-Bescheide des Finanzamtes Chemnitz vom 15.12.38 und<br />

9.11.39,aus <strong>der</strong> sich ein Vermögen des Antragstellers von [... ] ergibt.<br />

3. Vermögenssteuer-Bescheid des Finanzamtes Chemnitz vom 23.3.39, aus dem sich<br />

noch ein Vermögen <strong>der</strong> Eheleute per 1.1.1939in Höhe von [... ] ergibt.<br />

4. Entwurf <strong>der</strong> Vermögenserklärung des Antragstellers für das Jahr 1940."<br />

Die formale Vorgehensweise wurde wie folgt geschil<strong>der</strong>t:<br />

"Der Antragsteller hat mit Antrag vom 1.5.1956(BI.6 u. 7/1)nach dem BEG Entschädigungsansprüche<br />

an Eigentum, an Vermögen, durch Zahlung von Son<strong>der</strong>abgaben<br />

pp. und für Schaden <strong>im</strong> beruflichen Fortkommen geltend gemacht. Das Rentenwahlrecht<br />

hinsichtlich des Entschädigungsanspruchs für Schaden <strong>im</strong> beruflichen Fortkommen<br />

hat <strong>der</strong> Antragsteller H. Mitteilung des Bevollmächtigten vom 29.1.1957<br />

(BI. 15/11).<br />

Die Zuständigkeit <strong>der</strong> erkennenden Entschädigungsbehörde folgt aus § 185 Abs. 2<br />

Ziff. 3b BEG i.V.m. § 2 Abs. 1 Ziff. 4 ZVO-BEG vom 23.7.1956 (Nds. GVBL. S. 98),<br />

weil <strong>der</strong> Antragsteller vor seiner Auswan<strong>der</strong>ung seinen letzten inländischen Wohnsitz<br />

in Chemnitz gehabt hat.19<br />

Auf Grund <strong>der</strong> glaubhaften Angaben des Antragstellers und <strong>der</strong> von ihm beigebrachten<br />

Unterlagen steht fest, daß er durch die nat. soz. Boykottmaßnahmen veranlaßt<br />

wurde, am 1.4.1933 seine Praxis als Arzt nie<strong>der</strong>zulegen und wegen des in <strong>der</strong><br />

Folgezeit <strong>im</strong>mer stärker werdenden allgemeinen Verfolgungsdrucks gegen die noch<br />

<strong>im</strong> Reichsgebiet lebenden Juden zusammen mit seiner Ehefrau <strong>im</strong> Jahre 1940 nach<br />

18 Ebd.<br />

19 Hier ist zu bemerken, dass dieses Entschädigungsverfahren für Ostdeutschland von<br />

Nie<strong>der</strong>sachsen übernommen wurde.<br />

55


EMIL FRÖHLICH<br />

Brasilien ausgewan<strong>der</strong>t ist. Es bestehen daher auch keine Bedenken, ihn als aus<br />

Gründen <strong>der</strong> Rasse Verfolgten <strong>im</strong> Sinne des § 1 BEG anzuerkennen. [...]."20<br />

Neben diesem Anspruch lief auf juristischer Ebene noch ein weiterer Vorgang,<br />

<strong>der</strong> mit einem Vergleich zwischen Dr. Emil Fröhlich und dem Entschädigungsamt<br />

endete. Dieser kam jedoch auch erst voran und zustande<br />

nach mehreren Schriftwechseln und beson<strong>der</strong>s nachdrücklichem Verweis<br />

des Anwalts auf das hohe Alter von Emil Fröhlich. Am 11. September 1956<br />

schrieb er etwa: "Die jüdische Öffentlichkeit des In- und Auslandes würde<br />

es mit großer Genugtuung begrüssen, wenn einem Manne dieses Alters<br />

schnell geholfen werden könnte."21<br />

Am 1. November 1957 wandte sich <strong>der</strong> Vertreter Fröhlichs erneut an<br />

die Behörde:<br />

"In obiger Sache bitte ich, den Vermögensschaden zu bearbeiten, unter Offenlassung<br />

einer Entschädigung für den so gen. good will. Da <strong>der</strong> Antragsteller bereits 93 Jahre<br />

alt ist, kann ich lei<strong>der</strong> nicht mehr darauf warten, bis das Innenministerium über die<br />

Frage des good will sich schlüssig wird."22<br />

Mit Schreiben vom 22. Mai 1958 wurde in <strong>der</strong> "Entschädigungssache des<br />

Arztes Dr. Emil Fröhlich [...]" zwischen dem Land Nie<strong>der</strong>sachsen - vertreten<br />

durch den Regierungspräsidenten Hildeshe<strong>im</strong> für die Entschädigungsbehörde<br />

- und dem Antragsteller folgen<strong>der</strong> Vergleich 23 geschlossen:<br />

,,1. Der Antragsteller hat mit Antrag vom 1.5.1956 Entschädigungsansprüche für<br />

Schaden am Eigentum, Schaden am Vermögen, Schaden durch Zahlung von Son<strong>der</strong>abgaben,<br />

Schaden <strong>im</strong> beruflichen Fortkommen angemeldet."<br />

Das Dokument verzeichnet nachfolgend die Details <strong>der</strong> schwierigen Aushandlung<br />

<strong>der</strong> Summen:<br />

,,2. Über den Anspruch für Schaden <strong>im</strong> beruflichen Fortkommen ist mit Teilbescheid<br />

vom 19.3.1957 entschieden worden. Zur Abgeltung <strong>der</strong> übrigen Ansprüche gewährt<br />

die Entschädigungsbehörde dem Antragsteller eine Entschädigung von [... ]. 3. Der<br />

20 HStAH: Nds. 110 W Ace. 8/90 Nr. 183/8.<br />

21 Ebd.<br />

22 Ebd.<br />

23 Im Originaldokument gesperrt gedruckt und unterstrichen.<br />

56


EMIL FRÖHLICH<br />

dem Antragsteller mit Verfügung vom 4.12.1957 - I EB - 213096 - gewährte Vorschuss<br />

in Höhe von [... ] ist auf die Vergleichssumme anzurechnen.<br />

4. Damit sind alle von dem Antragsteller angemeldeten und nach dem BEG zulässigen<br />

Entschädigungsansprüche unwi<strong>der</strong>ruflich abgegolten. "24<br />

Von <strong>der</strong> Universität wurde Emil Fröhlich bezüglich <strong>der</strong> Aberkennung <strong>der</strong><br />

<strong>Doktorwürde</strong> nicht offiziell rehabilitiert, aber wenigstens konnte er neben<br />

den Einmalzahlungen eine monatliche Rente des Staates erhalten. Diese<br />

wurde in den nächsten Jahren sukzessive angehoben. 25<br />

Dass Emil Fröhlich nach diesen Problemen und unter den Umständen<br />

<strong>der</strong> Emigration noch ein so hohes Alter erreichte, ist eine außerordentlich<br />

positive Entwicklung seiner Lebensgeschichte. In beson<strong>der</strong>er Weise dokumentiert<br />

sich dies auch noch in <strong>der</strong> Korrespondenz zu seinem 100. Geburtstag.<br />

Der Regierungsdirektor <strong>der</strong> in Hildeshe<strong>im</strong> ansässigen Entschädigungsbehörde,<br />

Dr. Johannes Wollschläger, schrieb Dr. Emil Fröhlich zum 19.<br />

Oktober 1964 per Luftpost 26 einen - <strong>im</strong> Kontrast zu den sonstigen bürokratischen<br />

Verwaltungsabläufen - sehr persönlichen und bemerkenswerten<br />

Brief:<br />

"Wir haben aus Ihren Rentenvorgängen ersehen, dass Sie am 19. Oktober dieses<br />

Jahres Ihr 100. Lebensjahr vollenden. Im Ablauf dieses langen Lebens mag die<br />

Verbindung mit unserer Behörde bittere Gefühle in Ihnen wecken. Da sie aber dazu<br />

bestellt ist, vieles ,wie<strong>der</strong>gutzumachen' von dem, was politischer Wahnsinn angerichtet<br />

hat, wollen Sie uns bitte erlauben, dass wir an diesem so seltenen Geburtstag<br />

auch unter Ihren Gratulanten erscheinen."27<br />

24 Hildeshe<strong>im</strong>, den 22. Mai [April durchgestrichen] 1958. Unterschrieben war dieser<br />

Vergleich vom Regierungspräsidenten <strong>der</strong> Entschädigungsbehörde, <strong>im</strong> Auftrage<br />

[U.] Reg. Rat., sowie dem Bevollmächtigten Dr. M., Berlin-Charlottenburg [Unterschrift,<br />

Stempel].<br />

25 Zum Januar 1965 wurde die monatliche Entschädigung eingestellt.<br />

26 Stempel <strong>der</strong> Postabfertigung vom 14. Oktober 1964. Das Wort Luftpost war rot und<br />

dreifach unterstrichen,<br />

27 Schreiben des Regierungsdirektors Dr. Johannes Wollschläger an Dr. Emil Fröhlich<br />

zum 19. Oktober 1964. HStAH: Nds. 110 W Ace. 8/90 Nr. 183/8.<br />

57


EMILFRÖHLICH<br />

Auch auf die beson<strong>der</strong>en Umstände und den historischen Kontext ging<br />

<strong>der</strong> Behördenleiter ein:<br />

"In aufrichtiger Gesinnung freuen wir uns mit Ihnen, dass es Ihnen vergönnt war,<br />

die Gefahren und Wirrnisse dieses Jahrhun<strong>der</strong>ts, die in diesem Umfange und mit<br />

dieser Gewalt bis dahin noch nie über unsere Breiten gekommen waren, zu überleben.<br />

Möge Ihnen für den späten Abend dieses reich gesegneten Lebens ein wahrer Friede<br />

beschert sein. Mit vorzüglicher Hochachtung und besten Grüßen<br />

bin ich namens <strong>der</strong> Entschädigungsbehörde<br />

Ihr sehr ergebener [Unterschrift]."28<br />

Dieser Brief hatte für die Familie Fröhlich eine hohe persönliche und<br />

symbolische Bedeutung: Der von Emil Fröhlich beauftragte Rechtsanwalt<br />

und Notar antwortete in einem als IIPersoenlich" betitelten Brief wenige<br />

Tage später dem Regierungsdirektor Dr. Wollschläger:<br />

"Bei dem Trauerbesuch, den ich aus Anlass des Todes meines Studienfreundes, Dr.<br />

Heinrich Wulfsohn in Ramot Haschaw<strong>im</strong>, gemacht habe, wurde mir Ihr liebenswürdiges<br />

Schreiben vorgelegt, das Sie aus Anlass des lOOjaehrigenGeburtstages an den<br />

Schwiegervater des Verstorbenen, Herrn Dr. Fröhlich, - frueher Chemnitz, - gerichtet<br />

hatten.<br />

Ich bin gebeten worden, Ihnen <strong>im</strong> Auftrage des Herrn Dr. Fröhlich, sowie <strong>der</strong><br />

Familie, herzlich zu danken fuer die Teilnahme an dem beson<strong>der</strong>en Ereignis und<br />

den Geist, <strong>der</strong> aus Ihren Zeilen spricht.-- Die in Ramot Haschaw<strong>im</strong> Anwesenden<br />

waren von Ihren Zeilen stark beeindruckt und haben in ihnen ein Zeichen dafuer<br />

gesehen, dass es ein an<strong>der</strong>es Deutschland gibt.<br />

Herr Dr. Fröhlich ist lei<strong>der</strong> nicht mehr in <strong>der</strong> Lage, Ihnen persoenlich zu schreiben.<br />

Mit vorzueglicher Hochachtung, Ihr sehr ergebener<br />

[Unterschrift Dr. B., Rechtsanwalt]."29<br />

Dr. Emil Fröhlich hat für die Geschichte <strong>der</strong> Aberkennung <strong>der</strong> <strong>Doktorwürde</strong><br />

eine beson<strong>der</strong>e Bedeutung: Er ist nicht nur <strong>der</strong> älteste Absolvent<br />

<strong>der</strong> Erlanger Universität mit medizinischer Promotion, dem diese aus politischen<br />

Gründen wie<strong>der</strong> entzogen wurde, son<strong>der</strong>n es ist auch das Beispiel<br />

28 Ebd.<br />

29 Schreiben von Dr. B. an Regierungsdirektor Dr. Wollschläger. Ebd.<br />

58


EMIL FRÖHLICH<br />

einer Biographie, die trotz aller Wirren von Nationalsozialismus, Zweitem<br />

Weltkrieg und Flucht noch für eine lange Zeit dokumentierbar ist. Die<br />

Familie konnte emigrieren und unter schwierigen Bedingungen zunächst<br />

in Brasilien, dann in Israel leben. In den Akten <strong>der</strong> Universität sind keine<br />

Hinweise auf eine Entschuldigung o<strong>der</strong> Rehabilitation vorhanden, die<br />

Entziehung des Doktortitels wurde auf dieser Ebene nicht rückgängig gemacht.<br />

Aber wenigstens wurden Fröhlichs Entschädigungsansprüche in<br />

den 1950er Jahren von den deutschen Behörden anerkannt, und durch seine<br />

stabile Gesundheit konnte er in Israel noch seinen 100. Geburtstag feiern<br />

- kurz danach starb Dr. Emil Fröhlich.<br />

A.F./A.T.<br />

59


60<br />

Jr. Johannee Wollaohläger<br />

H>3rrn<br />

Regiorungsdirektor<br />

~r. ~~11 f I' ~ h 1 ich<br />

:;.1'el Aviv<br />

EMIL FRÖHLICH<br />

Hildeshe<strong>im</strong> zum 19.0i tobel' 1964<br />

H~sar_ J~~re" I!':r100, Leb~!H,jshr vollenden. Im AblAut diese8 lange"<br />

t'?\·,~l',~ !'r'l:? '"!iC' Ver~indnn~ ",,:tt lJn~~rer Behörd.e bittere Gef:.ihle in<br />

It:;:~n ·;:'2':kc:t. J::: ~1~ ah~r rl~zu hestellt iAt. v:i.eles t'wle<strong>der</strong>gutz,umachsn"<br />

von de~, was nclitischer Wahnsinn angerichtet hat, wollen Sie une<br />

h'itte !'rlnuben, daß .•• ·ir an diesem so sclten(:n Geb'..lrtstag auch unter<br />

Ihron Jr&t~lDntcn errchricen.<br />

:n aufrichtiger Gesinnung !r~uen .ir uns mit Ihn~n, daß ee Ihnen Yer-<br />

:cn~t war, die Gefehren und Wirrni~pe dieses Jahrhun<strong>der</strong>ts. die in die-<br />

se~ U~fnnge und ~it dieser Gewalt bis dahin noch nie über unsere Breiten<br />

Mit vorzUglichster Hochachtung urW "" ••te" Grüßen<br />

bin ich nam&ns dar ~Dt9chärli~ungBhncrde<br />

Abbildung 5: Schreiben von Dr. Wollschläger an Dr. Ernil Fröhlich<br />

vorn 19. Oktober 1964. HStAH: Nds. 110 W Ace. 8/90 Nr. 183/8.<br />

sehr<br />

Ihr


33. L111E:N8lUM SrR:EU. TELwAVlV<br />

PHONE ~67.B<br />

EMIL FRÖHLICH<br />

f.I-A ••. I••. , .,~6,.19.6: _.: ",,: ".:l'JJt~"i1<br />

/ If' --b1'<br />

Herrn<br />

RegieruIlßSdirektor Pr. Wollschl!lg'er,<br />

!Iildeshe<strong>im</strong><br />

Sehr gee!lrter Herr Regi.erungsdircl:tor Pr. \/ollsdllllger,<br />

3:1 1117)l'7'1 )lnl .)')N·7n<br />

Persoenli eh.<br />

5E74S 1197U<br />

Bei dem'l'rauerbesuch, den ich aus J\r.lass des 'l'odes meines<br />

Studienfreundes, Dr. Heinrich WulfroJmin fulmot f!aschaw'J." gCITl8chthabe,<br />

w.rde mir Ihr liebenswuerdiges Schreiben vorgelegt, das Sie aus Anlass<br />

des l(x) jaehrigc.n Geburtstages an den SC..':llo'iegervaterdes Verstorbenen.<br />

Herrn Dr. Froe.'llich, - frucncr Chemnitz, - gerichtet hatten.<br />

Ich bin gebeten worden, Ihnen <strong>im</strong> Auftraee des Herrn Dr.F'roehlich,<br />

sowie <strong>der</strong> FBlld.lie, herzlich zu danken fuer die 'feilnehme, an dar. beson<strong>der</strong>en<br />

Ereignis und dea Geist, <strong>der</strong> aus Ihren Zeilen spricht.- Die in lla:;Jot<br />

Haschaw<strong>im</strong>Anwesendf'.nwaren von Ihren Zeilen stark beeindruckt ur:.dllsben<br />

in ihrlen ein Zeic.."f'..n dai'uer gesehml, dass es ein an<strong>der</strong>e~ Deutschland gibt.<br />

Herr Dr. Froehlich ist lei<strong>der</strong> nicht mp~'lrin <strong>der</strong> Laee, Ihnen<br />

per50enlich zu schreiben.<br />

fii.t vo~licher lIochach~J,ng,Ir.r sehr<br />

ergebener _<br />

-!lechtsanwa1t.<br />

Abbildung 6: Schreiben von Rechtsanwalt Dr. B. an Dr. Wollschläger<br />

vom 19. Oktober 1964. HStAH: Nds. 110 W Acc. 8/90 Nr. 183/8.<br />

61


JOSEF HOLLERBUSCH<br />

* 16. September 1869,Dr. med. 4. August 1893<br />

Josef Hollerbusch wurde am 16. September 1869 in Fürth 1 als Sohn des<br />

Bleistiftfabrikanten Adolf Hollerbusch 2 und Johanna Stettauer geboren. 3<br />

Er war jüdischen Bekenntnisses. 4 Hollerbusch studierte 1888 bis 1889 und<br />

wie<strong>der</strong>um 1892bis 1893 Medizin an <strong>der</strong> Universität ErlangenS und promovierte<br />

dort am 22. Juni 1893 mit einer Arbeit "Über die intrauterinen<br />

Unterschenkelbrüche" zum Doktor <strong>der</strong> Medizin. 6 Der Dissertation, die<br />

vom langjährigen Ordinarius für Chirurgie Walter Heineke (1834-1901)<br />

betreut wurde, liegt ein Fall zugrunde, <strong>der</strong> <strong>im</strong> Februar 1893 in <strong>der</strong> Chirurgischen<br />

Klinik vorgestellt worden war?<br />

Bald nach seiner Promotion ließ sich Josef Hollerbusch in seiner He<strong>im</strong>atstadt<br />

als praktischer Arzt nie<strong>der</strong>. 8 Am 20. November 1899 heiratete er<br />

die am 4. März 1879 in Bamberg geborene Berta Reitzenberger. 9 Aus <strong>der</strong><br />

1 Schreiben des Reichsführers-SS und Chef <strong>der</strong> deutschen Polizei <strong>im</strong> Reichsministerium<br />

des Innern an den Reichserziehungsminister, abschriftlich von diesem an den<br />

Rektor <strong>der</strong> Universität Erlangen, vorn 12. bzw. 30. April 1941. Universitätsarchiv<br />

Erlangen (UAE): Al/3a Nr. 946d). - Die Dissertation Josef Hollerbuschs weist keine<br />

Vita auf; die Daten zu seiner Ausbildung sind <strong>der</strong> Entschädigungsakte von Berta<br />

Hollerbusch, <strong>der</strong> Witwe von Josef Hollerbusch, entnommen. Bayerisches Landesentschädigungsamt<br />

(BayLEA):EG 94605.<br />

2 Vgl. Universitätsbibliothek Erlangen (UBE): Erlanger Register zur Matrikel 1843-<br />

1893 (noch unveröffentlicht). - Der Vater starb vor 1888.<br />

3 Vgl. die Heiratsurkunde Hollerbuschs. BayLEA:EG 94605.<br />

4 Schreiben des Reichsführers-SS (Anm. 1).<br />

5 Vgl. Matrikel (Anm. 2). An welchem Ort Hollerbusch in <strong>der</strong> Zwischenzeit studierte,<br />

ist nicht bekannt.<br />

6 Die Promotionsurkunde wurde ihm am 4. August 1893ausgehändigt.<br />

7 Die Dissertation wurde 1893in Fürth gedruckt.<br />

8 Aus <strong>der</strong> Entschädigungsakte (Anm. 1) geht hervor, dass Hollerbusch von Geburt an<br />

bis zum Jahr seiner Emigration in Fürth gemeldet war. BayLEA: EG 94605.<br />

9 Ihre Eltern waren <strong>der</strong> Kaufmann Berthold Reitzenberger und Mary Siegmann. Ebd.<br />

63


JOSEFHOLLERBUSCH<br />

Ehe gingen zwei Kin<strong>der</strong> hervor: Der Sohn Adolf wurde am 23. Juli 1900<br />

geboren,lOdie Tochter Maria (Marie) am 17. April 1908. 11 Josef Hollerbusch<br />

erfreute sich offenkundig in <strong>der</strong> Kaiserzeit und während <strong>der</strong> We<strong>im</strong>arer<br />

Republik großen beruflichen Erfolgs und erheblichen Ansehens. So war er<br />

bereits vor 1900 zum Sanitätsrat ernannt worden und versah jahrzehntelang<br />

das Amt als Ausschussmitglied bei <strong>der</strong> Unterstützungsabteilung <strong>der</strong><br />

Bayerischen Landesärztekammer. 12 Dieses Amt musste er jedoch nach <strong>der</strong><br />

Machtübernahme <strong>der</strong> Nationalsozialisten - aufgrund <strong>der</strong> "<strong>der</strong>zeitigen<br />

Verhältnisse"13- <strong>im</strong> März 1933 nie<strong>der</strong>legen. 14<br />

Im Juli 1933 wurde Josef Hollerbusch zusammen mit seinem Sohn, <strong>der</strong><br />

bei ihm wohnte,15in einer nächtlichen Aktion schikaniert, gedemütigt und<br />

kurzfristig verhaftet.l 6 Während sein Sohn zur sofortigen Emigration<br />

verpflichtet wurde und wenige Wochen später nach Portugal ausreiste,<br />

blieben <strong>der</strong> zu diesem Zeitpunkt 64 Jahre alte Josef Hollerbusch und seine<br />

10 Adolf Hollerbusch, <strong>der</strong> ebenfalls Medizin studierte und in Erlangen promovierte,<br />

war auch ein Opfer <strong>der</strong> Doktorgradentzüge; zu seinem Verfahren siehe unten S. 129.<br />

11 Maria Hollerbusch heiratete am 19. August 1932 einen aus Laudenbach b. Karlstadt<br />

(Landkreis Main-Spessart) stammenden Rabbi. BayLEA: EG 94605.<br />

12 Schreiben <strong>der</strong> Landesärztekammer an Sanitätsrat Dr. Hollerbusch vom 3. April 1933,<br />

in dem diesem für seine "jahrzehntelange, treue, hingebungsvolle und uneigennützige<br />

Arbeit zum Wohle <strong>der</strong> bayerischen Arztwitwen und Arztwaisen" gedankt<br />

wird. Ebd.<br />

13 Ebd.<br />

14 Zu <strong>der</strong> gleich nach <strong>der</strong> Machtübernahme einsetzenden systematischen Verdrängung<br />

<strong>der</strong> jüdischen Ärzte aus allen Ämtern vg1. den Aufruf des Nationalsozialistischen<br />

Deutschen Ärztebundes <strong>im</strong> Völkischen Beobachter vom 23. März 1933: "Deshalb<br />

rufen wir heute die gesamte deutsche Ärzteschaft auf: Säubert die Führung unserer<br />

Organisationen, fegt alle hinweg, die die Zeichen <strong>der</strong> Zeit nicht verstehen wollen,<br />

macht unseren Stand in Leitung und Geist wie<strong>der</strong> deutsch, so wie es Reich und Volk<br />

in diesen Wochen geworden sind." Zit. nach Axel Drecoll et a1.: Nationalsozialistische<br />

Verfolgung <strong>der</strong> jüdischen Ärzte in Bayern. München 1998, S. 10.<br />

15 Die gemeinsame Wohnung und Praxis lag in <strong>der</strong> Mathildenstraße 1. BayLEA: BEG<br />

18912, B-Akte, BI.5.<br />

16 Ebd., BI. 1; dazu siehe auch unten S. 130.<br />

64


JOSEFHOLLERBUSCH<br />

Frau vorerst in Fürth. Als aber die Verfolgungen und Boykottmaßnahmen<br />

seitens <strong>der</strong> Nationalsozialisten <strong>im</strong>mer mehr zunahmen und die materielle<br />

Existenz durch den Verlust <strong>der</strong> Kassenzulassung bedroht warp mussten<br />

sie <strong>im</strong> Jahre 1937 ebenfalls die He<strong>im</strong>at verlassen. t8 Sie fuhren zunächst<br />

nach Budapest. Da sie jedoch in Ungarn keine Aufenthaltsgenehmigung<br />

erhielten, t9reisten sie von dort nach Cakovec in Jugoslawien,2° wo sie bei<br />

ihrer Tochter Maria und ihrem Schwiegersohn unterkamen. Doch auch<br />

hier konnten sie wegen <strong>der</strong> fehlenden Aufenthaltsgenehmigung nur einige<br />

Monate bleiben, und so begaben sie sich nach Portugal zu ihrem Sohn, <strong>der</strong><br />

zu diesem Zeitpunkt noch in Porto lebte.<br />

Nach etwa einem Jahr reiste das Ehepaar dann nach Chicago (USA)<br />

aus, wohin in <strong>der</strong> Zwischenzeit offenkundig bereits ihre Tochter und<br />

<strong>der</strong>en Mann ausgewan<strong>der</strong>t waren. Mit <strong>der</strong> Emigration verlor das Ehepaar<br />

Hollerbusch seine materielle Existenzbasis: Ihre Wohnungseinrichtung,<br />

über <strong>der</strong>en nicht unerheblichen Wert die Entschädigungsakten Auskunft<br />

geben,2tsollte ursprünglich nach Jugoslawien nachgesandt werden, wurde<br />

17 Ob Josef Hollerbusch bereits durch die Verordnung des Reichsarbeitsministeriums<br />

vom 22. April 1933, mit <strong>der</strong> allen Kassenärzten "nicht-arischer" Abstammung die<br />

Zulassung zu den gesetzlichen Krankenkassen entzogen wurde, seine Kassenzulassung<br />

verlor o<strong>der</strong> ob er unter eine <strong>der</strong> Ausnahmebest<strong>im</strong>mungen mit aufschieben<strong>der</strong><br />

Wirkung fiel, entzieht sich unserer genauen Kenntnis. In den Entschädigungsakten<br />

ist vom "Absinken des Einkommens nach 1933" die Rede. BLEA:EG 94605.- Zu den<br />

einzelnen Etappen <strong>der</strong> Ausgrenzung und Vertreibung jüdischer Ärzte vgl. Hans--<br />

Peter Kröner: Die Emigration deutschsprachiger Mediziner <strong>im</strong> Nationalsozialismus.<br />

Berichte zur Wissenschaftsgeschichte, Son<strong>der</strong>heft 1989, S. 1*-44*;ferner Drecoll<br />

(Anm. 14), S. 9-30.<br />

18 Hollerbuschs Jahreseinkommen betrug, solange er die Kassenpraxis ausüben durfte,<br />

etwa 18.000RM. Eidesstattliche Erklärung seines Schwiegersohns vom 1. November<br />

1954.BayLEA: EG 94605.<br />

19 Eidesstattliche Versicherung des Schwiegersohns vom 4. Juni 1956,in <strong>der</strong> dieser den<br />

schwierigen Weg des Ehepaars bis nach Amerika schil<strong>der</strong>t. Ebd.<br />

20 Die Abmeldung <strong>im</strong> Einwohneramt Fürth nach Cakovec ist auf den 20. April 1937<br />

datiert. Ebd.<br />

21 Vgl. die detaillierte Aufstellung, ebd.<br />

65


JOSEFHOLLERBUSCH<br />

aber beschlagnahmt und versteigert;22 für die erzwungene Ausreise<br />

musste das Ehepaar einen erheblichen Betrag für die "Reichsfluchtsteuer"<br />

sowie als "Judenvermögensabgabe" bezahlen. 23 Außerdem wurden ihre<br />

sämtlichen Versicherungsverhältnisse aufgelöst. 24 Zudem durfte Josef Hollerbusch<br />

seinen Beruf nach seiner Auswan<strong>der</strong>ung nicht mehr ausüben, obwohl<br />

er dazu nach Aussage seines Arztes trotz seines hohen Alters durchaus<br />

noch fähig gewesen wäre. 25 Demzufolge sah sich das einst in Deutschland<br />

in guter bis sehr guter wirtschaftlicher Situation lebende Ehepaar<br />

nunmehr in <strong>der</strong> schwierigen Lage, vollständig auf die Unterstützung<br />

seiner Kin<strong>der</strong> und Freunde angewiesen zu sein. 26<br />

Am 30. April 1941 wurde dem Rektor <strong>der</strong> Universität Erlangen vom<br />

Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung mitgeteilt,<br />

dass am 12. April vom Reichsführer-SS und Chef <strong>der</strong> Deutschen Polizei <strong>im</strong><br />

Reichsministerium des Innern "gegen den Juden Dr. med. Josef Hollerbusch"<br />

ein Verfahren auf Aberkennung <strong>der</strong> deutschen Staatsangehörigkeit<br />

eingeleitet worden sei. 27 Die dort geäußerte Vermutung, dass sich Hollerbusch<br />

zu diesem Zeitpunkt noch in Portugal aufhalte, wird durch die<br />

Entschädigungsakten wi<strong>der</strong>legt. Nachdem sich <strong>der</strong> Dekan, <strong>der</strong> wenige<br />

Tage danach von dem Verfahren zur Ausbürgerung unterrichtet worden<br />

war, mit Verweis auf die gesetzlichen Grundlagen zur Aberkennung des<br />

Doktortitels für die Entziehung <strong>der</strong> <strong>Doktorwürde</strong> ausgesprochen und die<br />

Dekane <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Fakultäten dieser Entscheidung <strong>im</strong> Umlaufverfahren<br />

zugest<strong>im</strong>mt hatten, teilte <strong>der</strong> Rektor am 2. August 1941 den Rektoren <strong>der</strong><br />

deutschen Hochschulen und am 18. August dem Bayerischen Staatsmini-<br />

22 Ebd.<br />

23 Ebd. - Zu diesen Abgaben vgl. z.B. Hans Günter Hockerts et al. (Hrsg.): Die Finanzverwaltung<br />

und die Verfolgung <strong>der</strong> Juden in Bayern. München 2004.<br />

24 Ebd.<br />

25 Vgl. die Ärztliche Bescheinigung vom 10. Februar 1962: ,,(... ] obwohl er zu dieser<br />

Zeit 76 Jahre alt war, wäre es meines Erachtens nach durchaus vorstellbar, dass Herr<br />

Sanitätsrat Dr. Hollerbusch sich noch hätte weiter ärztlich betätigen können." Ebd.<br />

26 Eidesstattliche Erklärung des Schwiegersohns vom 1. November 1954. Ebd.<br />

27 Alle in diesem Absatz genannten Schriftstücke finden sich in UAE: A1/3a Nr. 946d.<br />

66


JOSEF HOLLERBUSCH<br />

sterium für Unterricht und Kultus mit, dass losef Hollerbusch <strong>der</strong> akademische<br />

Doktorgrad entzogen worden sei. Die Veröffentlichung <strong>im</strong> Deutschen<br />

Reichsanzeiger erfolgte am 8. August 1941in <strong>der</strong> Nr. 183.<br />

Abbildung 7: UAE: Dek. Med. Fak. Promotionsbuch 1856/57-1899/00. Eintrag <strong>der</strong> Aberkennung<br />

bei Josef Hollerbusch, 8. Mai 1941. Rot ergänzt: "Jude - Dr.-Titel entzogen [... ]".<br />

Josef Hollerbusch war zum Zeitpunkt seiner Depromotion 71 Jahre alt.<br />

Er wurde von <strong>der</strong> Entscheidung <strong>der</strong> Erlanger Universität nicht unterrichtet,<br />

so dass ihm nach den Demütigungen und Verfolgungen durch die<br />

Nationalsozialisten, die er von 1933bis zu seinem Weggang erlitten hatte,<br />

nach <strong>der</strong> Entwurzelung durch die Emigration und den damit verbundenen<br />

existentiellen Problemen die Kenntnis von dieser weiteren Entwürdigung<br />

durch seine akademische He<strong>im</strong>at wohl erspart blieb. Er starb in<br />

Chicago am 26. September 1946an einem Schlaganfall. 28<br />

28 BayLEA: EG 94605.<br />

R.W,/B.S.<br />

67


LUDWrG MORGENTHAU<br />

* 23. März 1877,Dr. med. 11.Juni 1900<br />

Mit <strong>der</strong> Biografie von Ludwig Morgenthau lernen wir die Aufstiegs-,<br />

Ass<strong>im</strong>ilations- und Emigrationsgeschichte eines deutsch-jüdischen Arztes<br />

kennen. Überdies dokumentiert sich durch die Forschung zur Familie<br />

nicht nur <strong>der</strong> seinerzeit angesehene Mediziner, son<strong>der</strong>n mit seinem Sohn<br />

Hans Joach<strong>im</strong> Morgenthau (1904-1980)1auch ein renommierter Politologe.<br />

Über das Leben von Ludwig Morgenthau liegen von ihm selbst keine<br />

Äußerungen vor, dennoch können viele Aspekte und Beson<strong>der</strong>heiten aus<br />

bisher unbearbeiteten Archivbeständen sowie über seinen Sohn erschlossen<br />

werden, <strong>der</strong> in Europa wie auch in den USA arbeitete und international<br />

bekannt wurde. Ludwig Morgenthau gehört zur Gruppe von Erlanger<br />

Promovenden, denen <strong>der</strong> Doktortitel durch die NS-Ideologie aufgrund<br />

<strong>der</strong> Ausbürgerung entzogen wurde. Zum Zeitpunkt seiner Depromotion<br />

<strong>im</strong> Jahr 1939war er als über 60-jähriger bereits <strong>im</strong> Exil in den USA.<br />

Ludwig Morgenthau wurde am 23. März 1877in Hüttenbach (bei S<strong>im</strong>melsdorf/Bayern)<br />

geboren. Er war das jüngste Kind von Jeanette Morgenthau<br />

(geb. Schmidt) und Moritz Morgenthau/ <strong>der</strong> 1881-1906Kantor <strong>der</strong><br />

Israelitischen Gemeinde Erlangens und seit 1885 Lehrer <strong>der</strong> Jüdischen<br />

Gemeindeschule war. 3 Ab 1892 wohnte die Familie neben den Gebets-<br />

1 Vgl. insbeson<strong>der</strong>e Christoph Frei: Hans J. Morgenthau. Eine intellektuelle Biographie.<br />

St. Galler Studien zur Politikwissenschaft, 15. Bem u.a. 1994.<br />

2 Moritz Morgenthau (1843-1911)war über 25 Jahre Lehrer, Vorbeter und Schochet<br />

(Schächter) <strong>der</strong> Israelitischen Kultusgemeinde in Erlangen. Vgl. die Angaben bei<br />

Christoph Frie<strong>der</strong>ich (Hrsg.): Juden und Judenpogrom 1938 in Erlangen. Veröffentlichung<br />

des Stadtmuseums Erlangen, 40. Erlangen 1999, S. 11. - Überdies war er auch<br />

Lehrer für Israelitischen Religionsunterricht am - damals "Studienanstalt" genannten<br />

- Humanistischen Gymnasium Fri<strong>der</strong>icianum in Erlangen (1885-1906).Ebd.<br />

3 Siehe http://ikg-bayem.de/rsfr_1.html (Stichwort "Erlangen"), http://www.alemannia-judaica.de/erlangen_synagoge.htm<br />

(zuletzt aufgerufen am 15. Mai 2008). Zum<br />

allgemeinen Kontext vgl. auch Stadtmuseum Erlangen (Hrsg.): Erlangen <strong>im</strong> Natio-<br />

69


LUDWIG MORGENTHAU<br />

räumen <strong>der</strong> Israelitischen Gemeinde in <strong>der</strong> Dreikönigstrasse 1-3; zuvor<br />

hatten sie in verschiedenen Wohnungen gelebt, zumeist in <strong>der</strong> Friedrichstraße.<br />

4 Die Familie Morgenthau war schon lange in Bayern und speziell<br />

auch in Oberfranken he<strong>im</strong>isch. Ludwig war das jüngste von fünf o<strong>der</strong><br />

sechs Geschwistern und dabei <strong>der</strong> einzige Sohn. Seinen Eltern war eine<br />

gesicherte Zukunft des Jungen sehr wichtig, so dass ihnen - trotz finanziell<br />

eher beschränkter Möglichkeiten - viel daran lag, dem Sohn ein<br />

Medizinstudium an <strong>der</strong> Erlanger Universität zu ermöglichen.<br />

Seine Dissertation schrieb Ludwig Morgenthau über das Thema<br />

"Statistik <strong>der</strong> in den Jahren 1892-1899 in <strong>der</strong> chirurgischen Klinik zu<br />

Erlangen ausgeführten größeren Amputationen und Exartikulationen"<br />

und promovierte mit Datum 2. Juni 1900 zum "Dr. med."; die Urkunde<br />

erhielt er kurz darauf am 11.Juni des Jahres 1900ausgehändigt.<br />

1903 heiratete Ludwig Morgenthau die Tochter eines wohlhabenden<br />

Bamberger Kaufmanns, Frieda Bachmann. Spätestens nach seiner Heirat<br />

ließ er sich in Coburg nie<strong>der</strong>, um als Arzt in <strong>der</strong> Spitalgasse Nr. 3 eine<br />

eigene Praxis zu eröffnen. 5 Ein Jahr später, am 17. Februar 1904, kam <strong>der</strong><br />

Sohn Hans auf die Welt; er sollte das einzige Kind des Ehepaars Morgenthau<br />

bleiben.<br />

Ludwig Morgenthau wurde ein angesehener Mediziner in Coburg.<br />

Der Erfolg seiner Praxis gründete auf <strong>der</strong> Ernsthaftigkeit und Zuverlässigkeit,<br />

mit <strong>der</strong> Dr. Morgenthau seinen Beruf ausübte. Er galt als einfühlsamer<br />

Arzt, <strong>der</strong> tatsächlich rund um die Uhr für seine Patienten sorgte, wie<br />

auch sein Sohn später eindrücklich schil<strong>der</strong>te:<br />

nalsozialismus. Erlangen 1983, sowie Manfred Treml/Wolfgang Weigand (Hrsg.):<br />

Geschichte und Kultur <strong>der</strong> Juden in Bayern. Lebensläufe. München 1988 und Ilse<br />

Sponsel: "Spuren <strong>im</strong> Stein" - 100 Jahre Israelitischer Friedhof in Erlangen. Erlangen<br />

1991.<br />

4 Vgl. die Literatur in Anm. 1-3.Die Dissertation (s.u.) enthält keinen Lebenslauf.<br />

S Zum Umfeld <strong>der</strong> Praxis in <strong>der</strong> traditionsreichen Spitalgasse siehe auch Eva Herold:<br />

Spitalgasse. 100Jahre Handel und Wandel. Coburg 1998.<br />

70


LUDWIG MORGENTHAU<br />

Abbildung 8: Dr. Ludwig und Hans Morgenthau (um 1915).<br />

Siehe Frei (Anrn. 1). Archiv Matthew und Susanna Morgenthau.<br />

71


LUDWIG MORGENTHAU<br />

"T<strong>im</strong>e and again he would go out of bed in the middle of the night, at three o'clock<br />

in the morning, jump on his bicycle in any kind of weather and ride off to the village<br />

to take care of a patient. I remember once when Caruso sang in Coburg, my father<br />

was called out during the first act to go to a delivery and he went."6<br />

Mit dem Erfolg kam auch die gesellschaftliche Anerkennung: Dr. Morgenthau<br />

bewegte sich in den wohlhaben<strong>der</strong>en bürgerlichen Kreisen <strong>der</strong> Stadt<br />

und wurde des Öfteren eingeladen - so <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> auch zu den Empfangsabenden<br />

"Ihrer Kaiserlichen und Königlichen Hoheit <strong>der</strong> Frau Herzogin".<br />

In politischen Angelegenheiten war er ein konservativer Patriot,<br />

"a Jew who wanted to be a German and who adored the emperor Wilhelm<br />

11."7<br />

Im Ersten Weltkrieg arbeitete Ludwig Morgenthau als Stationsarzt in<br />

verschiedenen Kriegslazaretten, an <strong>der</strong> Ost- ebenso wie an <strong>der</strong> Westfront.<br />

Der Sohn Hans, <strong>der</strong> während des Krieges allein mit seiner Mutter in<br />

Coburg blieb, erinnerte sich später in einem Interview an die Zeit des<br />

Ersten Weltkriegs:<br />

"In the later part of July 1914 I happened to be with my parents in aresort in the<br />

Bavarian Alps. [... ] When war was declared on August I, we were on our way back<br />

to Coburg. We stopped over in Munich and went to the Royal Palace where the king,<br />

surrounded by his family - one son and six rather repulsive-Iooking daughters -<br />

received the acclamation of the crowd. [... ] My father who was a doctor, was in the<br />

German army. One Sunday he went from the Eastern front to the Western front and<br />

my mother went away to meet hirn somewhere in Germany."8<br />

In den zwanziger Jahren kam es zu einer spürbaren Verstärkung des Antisemitismus<br />

in Coburg, die jüdische Gemeinde wurde vor allem ab 1929/30<br />

sowohl auf verbaler, wie auch auf physischer Ebene angegriffen. Bereits<br />

1922fand dort ein Aufmarsch statt mit etwa 800 SA-Leuten, darunter auch<br />

6 Kenneth Thompson/Robert J. Myers (Hrsg.): Truth and Tragedy. A Tribute to Hans<br />

J. Morgenthau. London 1984, S. 338.<br />

7 Aus den Aufzeichnungen Irma Thormanns, vgl. Frei (Anm. I), S. 15.<br />

8 Thompson/Myers (Anm. 6), S. 344.<br />

72


LUDWIG MORGENTHAU<br />

Adolf Hitler. 9 Es war die erste größere Demonstration dieser Art außerhalb<br />

Münchens. Das Erstarken <strong>der</strong> nationalsozialistischen Bewegung<br />

schlug sich konsequent auch in den Wahlergebnissen nie<strong>der</strong>: Bei den<br />

Stadtratswahlen in Coburg wurde die NSDAP 1929 mit absoluter Mehrheit<br />

stärkste Partei. 1932 kam es während einer Großkundgebung <strong>der</strong> Nationalsozialisten<br />

zu heftigen Auseinan<strong>der</strong>setzungen mit <strong>der</strong> Polizei, als<br />

versucht wurde, Wohnhäuser jüdischer Mitbürger anzugreifen. Dazwischen<br />

war es neben antisemitischer Propaganda auf Flugblättern, Plakaten<br />

und in den Zeitungen auch <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> zu körperlichen Übergriffen<br />

gekommen. Diese Zuspitzung <strong>der</strong> Verhältnisse hatte Folgen: Nahezu ein<br />

Drittel <strong>der</strong> zuvor 316 Personen zählenden jüdischen Gemeinde verließ<br />

Coburg bereits zwischen 1925 und 1933 - dies bedeutete eine Verringerung<br />

von 1,3 auf 0,9 % <strong>der</strong> Bevölkerung. 1o<br />

Ludwig Morgenthau hat hingegen auf eine zukünftige Verbesserung<br />

<strong>der</strong> Situation durch wirtschaftliche Stabilisierung und möglicherweise<br />

wie<strong>der</strong> steigenden Wohlstand <strong>der</strong> Bevölkerung gehofft. In <strong>der</strong> Zwischenzeit<br />

sollte versucht werden, möglichst wenig Aufsehen zu erregen. Stattdessen<br />

mussten Ludwig und Frieda Morgenthau jedoch <strong>im</strong> März 1933<br />

Coburg überstürzt verlassen. Das Ehepaar ging über München nach<br />

Meran (Südtirol), um sich dort vorübergehend nie<strong>der</strong>zulassen. Am 25.<br />

März war es in Coburg zu zahlreichen Verhaftungen gekommen, darunter<br />

auch etwa 40 <strong>der</strong> prominentesten jüdischen Einwohner. Viele <strong>der</strong> Festgenommenen<br />

wurden während ihrer Inhaftierung körperlich schwer misshandelt.<br />

Nach etwa einer Woche wurden die jüdischen Inhaftierten<br />

wie<strong>der</strong> freigelassen. ll Ob Ludwig Morgenthau zunächst unter den Festgenommenen<br />

war o<strong>der</strong> ob es ihm gelang, sich durch Flucht zu entziehen, ist<br />

9 Siehe u.a. Baruch Z. Ophir/Falk Wiesemann: Die jüdischen Gemeinden in Bayern<br />

1918-1945.Geschichte und Zerstörung. München 1979,sowie Rainer Hambrecht: Der<br />

Aufstieg <strong>der</strong> NSDAP in Mittel- und Oberfranken (1925-1933). Schriftenreihe des<br />

Stadtarchivs Nümberg. Nümberg 1976, S.32-34.<br />

10 Ophir/Wiesemann (Anm. 9), S. 61.<br />

11 Ebd., S. 127.<br />

73


LUDWIG MORGENTHAU<br />

nicht ganz sicherP Als jedoch für den am 1. Apri11933 durch die NSDAP<br />

organisierten Boykott jüdischer Geschäfte, Rechtsanwaltskanzleien und<br />

Arztpraxen am 31. März ein Aufruf in <strong>der</strong> Coburger National-Zeitung veröffentlicht<br />

wurde, war <strong>der</strong> Name ,Ludwig Morgenthau' auf jeden Fall<br />

bereits nicht mehr unter den verbliebenen jüdischen Bürgern zu finden.<br />

Die Familie erlebte durch diese Ereignisse eine beson<strong>der</strong>s schwere<br />

Zeit, aber auch innerhalb <strong>der</strong> Familie gab es - möglicherweise auch mit<br />

ausgelöst durch den äußeren Druck und die Notwendigkeit des beruflichen<br />

Erfolges - stärkere Spannungen. Zwischen Ludwig Morgenthau und<br />

seinem heranwachsenden Sohn Hans Joach<strong>im</strong> war es schon während dessen<br />

Gymnasialzeit <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> zu Auseinan<strong>der</strong>setzungen gekommen,<br />

<strong>der</strong> Vater war ambitioniert und hatte für den einzigen Sohn sicherlich beson<strong>der</strong>e<br />

Pläne. Das Verhältnis <strong>der</strong> beiden war aber, bis Hans 1923 das<br />

Elternhaus zum Studium verließ, wohl relativ kühl geworden. 13<br />

Morgenthau junior begann an <strong>der</strong> Universität Frankfurt Philosophie<br />

zu studieren, wechselte jedoch bereits nach einem Semester - auch auf den<br />

Wunsch seines Vaters - zum Jurastudium zunächst nach München und<br />

dann nach Berlin. 1932 zog Hans nach Genf, um an <strong>der</strong> dortigen Universität<br />

seine Habilitation zu erreichen. Nach einem längeren Aufenthalt in<br />

Spanien emigrierte Hans Morgenthau schließlich 1937in die USA.<br />

Zwei Jahre später, <strong>im</strong> Frühjahr 1939, gelang auch Ludwig und Frieda<br />

Morgenthau die Ausreise in die Vereinigten Staaten. Das Leben in <strong>der</strong><br />

12 Die Identitäten aller festgenommenen Juden konnten nicht festgestellt werden, unter<br />

den Zeugen des aufarbeitenden Prozesses vor dem Landgericht Coburg 1951 befand<br />

sich kein einziger ehemaliger jüdischer Häftling. Angaben über jüdische Verhaftete<br />

konnten lediglich von ehemaligen Mitgefangenen gemacht werden. In den in <strong>der</strong><br />

Sekundärliteratur enthaltenen Abschnitten kommt Morgenthau nicht vor. Urteil des<br />

Landgerichts Coburg 1951: StA BA B 21 Nr. 6, fol. 69. Hierzu siehe Hubert Fromm:<br />

Die Coburger Juden. Geschichte und Schicksal. Coburg 2001, S. 61. - Laut Frei wurden<br />

die Morgenthaus ,,[... ] buchstäblich aus Coburg verjagt." Vgl. Frei (Anm. I),<br />

S.58.<br />

13 Siehe die Gesamteinschätzung in Frei (Anm. 1).<br />

74


LUDWIG MORGENTHAU<br />

Emigration 14 gestaltete sich schwierig: Ludwig Morgenthau fand zwar<br />

Arbeit als Krankenpfleger in einem Spital in New York, dennoch blieb das<br />

Ehepaar auf die dauernde finanzielle Hilfe des Sohnes angewiesen. Die<br />

Ausreise und <strong>der</strong> Anfang in <strong>der</strong> neuen Welt müssen für den mittlerweile<br />

63jährigen Ludwig Morgenthau enorm hart gewesen sein, die körperliche<br />

Belastung schlug sich nie<strong>der</strong>. 1948 starb Ludwig Morgenthau <strong>im</strong> Alter von<br />

71 Jahren. Seine Frau Frieda zog daraufhin zur Familie ihres Sohnes nach<br />

Chicago, wo sie bis zu ihrem Tod 19661ebte. 15<br />

Die Depromotion Ludwig Morgenthaus erfolgte 1939, als dieser sich<br />

bereits einige Jahre <strong>im</strong> Exil befand. Durch eine Bekanntmachung des<br />

Reichsministers des Inneren wurde ihm am 26. Oktober 1938 zunächst die<br />

deutsche Staatsangehörigkeit entzogen (Reichsanzeiger Nr. 250). Der Rektor<br />

<strong>der</strong> Universität Erlangen erhielt die entsprechende Mitteilung über den<br />

Entzug <strong>der</strong> Staatsangehörigkeit vom Ministerium für Wissenschaft, Erziehung<br />

und Volksbildung. Nach <strong>der</strong> Feststellung, dass Morgenthau an<br />

<strong>der</strong> Erlanger Universität promoviert hatte und dass er in Folge des Verlustes<br />

seiner deutschen Staatsangehörigkeit "des Tragens eines Doktortitels<br />

unwürdig sei",16folgte am 7. Dezember 1938 die Befürwortung <strong>der</strong><br />

Titelentziehung durch den Dekan. Die <strong>im</strong> Folgenden angefragten Dekane<br />

<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Fakultäten st<strong>im</strong>mten dieser Maßnahme ebenfalls zu. Die<br />

Veröffentlichung <strong>der</strong> Entziehung des Doktortitels erfolgte letztendlich am<br />

14. Februar 1939 durch den Reichsanzeiger (Nr. 38), nachdem die Universität<br />

eine entsprechende Bekanntmachung geschickt hatte. Die Kosten für<br />

diese Veröffentlichung betrugen 26,45 RM. Nachdem we<strong>der</strong> die Medizinische<br />

Fakultät, noch das Rektorat die Bezahlung <strong>der</strong> Bekanntmachung<br />

14 Zu einem ähnlichen Emigrationsschicksal des ebenfalls 1877 geborenen und auch<br />

nach New York emigrierten Carl Neuberg (Pionier <strong>der</strong> Biochemie) siehe Brigitte<br />

Lohff/Hin<strong>der</strong>k Conrads: From Berlin to New York. Life and Work of the almost<br />

forgotten German-]ewish biochemist Carl Neuberg (1877-1956).Stuttgart 2007.<br />

15 Siehe Frei (Anm. 1), S. 69.<br />

16 Siehe hierzu Kapitel 2 des vorliegenden Bandes sowie die in <strong>der</strong> Übersichtsbibliographie<br />

wie<strong>der</strong>gegebene Forschungsliteratur.<br />

75


LUDWIG MORGENTHAU<br />

übernehmen wollten, wurde die Depromotion unter dem Posten IIPromotionsgebühren"<br />

durch den Staat abgerechnetP<br />

Ludwig Morgenthau überlebte den Zweiten Weltkrieg nur um wenige<br />

Jahre, er starb am 24. April 1948. Mit dem IIMorgenthau-Plan"18 für die<br />

Nachkriegszeit sind Ludwig Morgenthau und sein Sohn Hans nicht verbunden.<br />

19 Das nachhaltige Entsetzen über die nationalsozialistischen Verbrechen<br />

<strong>im</strong> Weltkrieg und die negative Einstellung zu Deutschland hatten<br />

bei Henry Morgenthau und an<strong>der</strong>en zu dieser radikalen Idee <strong>der</strong> Deindustrialisierung<br />

geführUo Auch aus den schwierigen Erfahrungen von<br />

massivem Antisemitismus und entbehrungsreicher Emigration <strong>der</strong> Erlanger<br />

Familie Ludwig und Frieda Morgenthau hätten sich gegenüber<br />

Deutschland negative Gefühle und extreme Pläne ergeben können.<br />

17 Alle Schriftstücke, die sich auf die Aberkennung des Doktortitels beziehen, befinden<br />

sich <strong>im</strong> Universitätsarchiv Erlangen (UAE): A 1/3 a Nr. 946f.<br />

18 Dieses 1944 vom Finanzminister <strong>der</strong> Vereinigten Staaten, Henry Morgenthau junior,<br />

entwickelte Konzept war eine radikale Vorstellung, wie mit dem besiegten<br />

Deutschen Reich nach 1945 umgegangen werden sollte: Es sah eine vollständige Demilitarisierung<br />

und Deindustrialisierung mit Umwandlung in ein Agrarland vor.<br />

Siehe John Morton Blum: Deutschland ein Ackerland? Morgenthau und die amerikanische<br />

Kriegspolitik 1941-1945.Aus den Morgenthau-Tagebüchern. Düsseldorf 1968;<br />

Bernd Greiner: Die Morgenthau-Legende. Zur Geschichte eines umstrittenen Plans.<br />

Hamburg 1995.<br />

19 Henry Morgenthau junior (1891-1967), New York, USA. Amerikanischer Politiker,<br />

Finanzminister <strong>der</strong> Vereinigten Staaten (1934-1945),Urheber des sogenannten "Morgenthau-Plans"<br />

(1944). Sein Vater, Henry Morgenthau senior (1856-1946),wurde in<br />

Mannhe<strong>im</strong> geboren und starb in New York. Morgenthau senior war Unternehmer<br />

und Diplomat. 1913 bis 1916 war er US-Botschafter in Konstantinopel (Istanbul). Er<br />

gilt als wichtiger Zeitzeuge des bis heute von den Türken geleugneten Völkermords<br />

an den Armeniern, bei dem auch Deutschland eine Rolle spielt. Vgl. Henry Morgenthau<br />

sen.: The Tragedy of Armenia. London 1918, sowie Heath W. Lowry: Die<br />

Hintergrundsgeschichte zu Botschafter Morgenthaus Memoiren. Istanbul1991.<br />

20 Deutschland sollte in einen norddeutschen und einen süddeutschen Staat sowie eine<br />

Internationale Zone aufgeglie<strong>der</strong>t werden. Der <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> als Schreckensvision<br />

für ein "Land ohne Zukunft" zitierte Morgenthau-Plan hätte Deutschland auf Dauer<br />

völlig an<strong>der</strong>s gestaltet.<br />

76


LUDWIG MORGENTHAU<br />

Über die Frage <strong>der</strong> Entschädigung für das erlittene Unrecht und den<br />

materiellen Schaden gibt es durch spätere Korrespondenzen weitere Hinweise<br />

zur Gesamtbetrachtung <strong>der</strong> Lebensgeschichte Ludwig Morgenthaus.<br />

Zum einen stellte die Familie einen Antrag auf Entschädigung<br />

bezüglich eines "Schaden[s] <strong>im</strong> wirtschaftlichen Fortkommen bei Versicherungs-<br />

und Rentenanstalten": "Der Verfolgte war Mitglied <strong>der</strong> Bayer.<br />

Ärzteversorgung und hatte für sich und seine Ehefrau Versorgungsansprüche<br />

[...]."21<br />

Die Hinterbliebenen argumentierten, dass für die Jahre 1939 bis 1948<br />

noch Ansprüche in "Höhe des erlittenen Schadens [...] zuzüglich die ab<br />

24.4.1948 <strong>der</strong> Witwe zu gewährende Rente" erstattet und ab dem Tod<br />

Morgenthaus eine Witwenrente bezahlt werden sollte. 22 Diese wurde<br />

offensichtlich dann nach einer gewissen Verzögerung auch durch die<br />

Ärzteversorgung übernommen. 23<br />

Für die weitere Entschädigung auch wegen an<strong>der</strong>er Benachteiligungen<br />

war zunächst eine Reihe von Dokumenten und Bestätigungen beizubringen;<br />

so musste etwa <strong>der</strong> Stadtrat <strong>der</strong> Landeshauptstadt München und<br />

das Amt für öffentliche Ordnung zunächst eine IIAufenthaltsbescheinigung"<br />

erstellen:<br />

"Zur Vorlage be<strong>im</strong> Landesentschädigungsamt in München wird auf Grund des<br />

Mel<strong>der</strong>egisters bestätigt, daß Herr Morgenthau Ludwig [...] vorn 16.4.1933 bis<br />

28.3.1935 dahier <strong>im</strong> Aufenthalt [sie] und zuletzt Bothrnerstraße Nr. 7/1 gemeldet<br />

war. Abmeldung erfolgte nach Saarbrücken."24<br />

21 Das diesbezügliche Formular "F. § 35-37" ist Teil <strong>der</strong> Entschädigungsakte von Ludwig<br />

Morgenthau, die nach seinem Tod angelegt wurde. Bayerisches Landesentschädigungsamt<br />

München (BayLEA); so weit nicht an<strong>der</strong>s vermerkt sind die nachfolgenden<br />

Archivalien aus diesen Beständen entnommen.<br />

22 Vgl. das Schreiben vorn 24. September 1950.<br />

23 Siehe das Schreiben des Gehe<strong>im</strong>en Justizrats Karl Eisenberger, Rechtsanwalt aus<br />

München, an das Landesentschädigungsamt vorn 16. Februar 1951.<br />

24 Schreiben des Stadtrats <strong>der</strong> Landeshauptstadt München/Amt für öffentliche Ordnung<br />

mit Angabe München, 10. Oktober 1950.<br />

77<br />

\


LUDWIG MORGENTHAU<br />

Hans, <strong>der</strong> Sohn von Ludwig Morgenthau, mittlerweile "Professor <strong>der</strong><br />

Staatswissenschaften" in Chicago, leistete 1951 eine eidesstattliche Erklärung,<br />

in <strong>der</strong> "Zur Sache" die folgende Schil<strong>der</strong>ung erhalten ist:<br />

"Mein Vater war <strong>der</strong> am 24.4.1948verstorbene Arzt Dr. Ludwig Morgenthau, früher<br />

in Coburg. Derselbe hat seinen Wohnsitz in Coburg <strong>im</strong> Jahre 1933 aufgegeben, weil<br />

er durch einen Telefonanruf davon verständigt worden war, dass seine Verhaftung<br />

<strong>im</strong> Zuge <strong>der</strong> antisemitischen Massnahmen des 3. Reiches drohe. Er hat glaublich <strong>im</strong><br />

Jahre 1943 die amerikanische Staatsangehörigkeit erworben."<br />

Hans Morgenthau schrieb dort weiter über seinen Vater und die Umstände<br />

vor <strong>der</strong> Emigration:<br />

"Sein Einkommen bis zum Jahre 1933ist mir nicht bekannt. Ich weiss jedoch, dass er<br />

ein vielbeschäftigter Arzt in Coburg gewesen ist und dass er erhebliche Einnahmen<br />

durch die Ortskrankenkasse Coburg hatte. Nach <strong>der</strong> Aufgabe seines Wohnsitzes in<br />

Coburg hat er seinen Beruf <strong>im</strong> wesentlichen, abgesehen von rein vorübergehenden<br />

gelegentlichen Tätigkeiten, nicht mehr ausgeübt. Ausser <strong>der</strong> von <strong>der</strong> Bayer. Ärzteversorgung,<br />

Bayerische Versicherungskammer in München gewährten Rente von<br />

monatlich [...] RM, die meines Wissens bis zum März 1939 geleistet wurde, hatte<br />

mein Vater seit 1933 keine Einnahmen mehr bezogen. Nach dem genannten Zeitpunkt<br />

habe ich meinen Vater und meine Mutter unterstützt und für <strong>der</strong>en<br />

Lebensunterhalt gesorgt. Die Richtigkeit vorstehen<strong>der</strong> Angaben versichere ich an<br />

Eidesstatt. Ich gebe die Versicherung gelegentlich eines Aufenthaltes in München ab<br />

und bin mir über die strafrechtliche Bedeutung einer Versicherung an Eidesstatt<br />

bewusst. "25<br />

Für den Vorgang war dann auch zu einem späteren Zeitpunkt noch die<br />

Höhe von Ludwig Morgenthaus damaligem Einkommen aus <strong>der</strong> ärztlichen<br />

Praxis von Bedeutung. So erklärte seine Witwe noch <strong>im</strong> Jahr 1955 aus<br />

Chicago:<br />

25 "Eidesstattliche Versicherung" in einem Schreiben von Hans Morgenthau mit<br />

Datum 12. März 1951.<br />

78


LUDWIG MORGENTHAU<br />

"Ich versichere hiermit an Eidesstatt dass mein verstorbener Ehegatte, Dr. med.<br />

Ludwig Morgenthau, bis 1933 Coburg, Spitalgasse 3, ein durchschnittliches jährliches<br />

Einkommen vom RM 15.000-- hatte."26<br />

Letztlich formulierte das Landesentschädigungsamt den Bescheid, dass<br />

<strong>der</strong> Anspruch auf Rente abgelehnt, aber eine einmalige Kapitalentschädigung<br />

gewährt wurde.<br />

Für den Sachverhalt wurden folgende Entscheidungsgründe angeführt:<br />

"Der Erblasser hat lt. vorliegenden Unterlagen seinen Wohnsitz in Coburg und<br />

mithin seine bis zum 15.3.1933 in Coburg ausgeübte ärztliche Praxis zwangsläufig<br />

aus Gründen <strong>der</strong> Rasse aufgeben müssen, um einer drohenden Verhaftung <strong>im</strong> Zuge<br />

<strong>der</strong> antisemitischen Maßnahmen des NS-Reg<strong>im</strong>es zu entgehen. Nach Verlegung seines<br />

Wohnsitzes von Coburg nach München <strong>im</strong> Jahre 1933 hat <strong>der</strong> Verstorbene seinen<br />

Beruf, abgesehen von vorübergehenden gelegentlichen Tätigkeiten, nicht mehr ausgeübt.<br />

Ab 1939 bis zu seinem Tode wurde <strong>der</strong> Verstorbene von seinem Sohn unterhalten."27<br />

Aber auch nach diesem Bescheid findet sich ein Schriftverkehr bezüglich<br />

ausstehen<strong>der</strong> Zahlungen; selbst zehn Jahre nach dem Tod von Ludwig<br />

Morgenthau wurden durch zuständige Behörden die Umstände <strong>der</strong><br />

1930er Jahre eruiert. So erteilte das "Polizeiamt Coburg" 1958 die folgende<br />

Auskunft "Betreff: Ermittlungen über Dr. Ludwig Morgenthau, ehemals<br />

wohnhaft Coburg, Spitalgasse Nr. 3, zum Ersuchen des Landesentschädigungsamtes<br />

München [...] vorn 29.10.1958":<br />

"Am 27.10.1901 gelangte er in Coburg, Spitalgasse Nr. 3, zur pol.[izeilichen) Anmeldung.<br />

Im Frühjahr 1933 flüchtete Herr Dr. Morgenthau aus Coburg. Er gelangte hier<br />

am 1.8.1933 zur pol.[izeilichen) Abmeldung."<br />

Die Nachforschungen des Polizeiamtes konnten nicht alle Hintergründe<br />

eruieren, so war etwa das genaue Datum <strong>der</strong> Praxiseröffnung nicht mehr<br />

feststellbar, da es <strong>im</strong> Ärztlichen Kreisverband und <strong>der</strong> AOK Coburg keine<br />

26 Schreiben von "Mrs. [... ) Morgenthau, Chicago 37, 5542 Dorchester" mit Datum vom<br />

31. August 1955. Handschriftlich unterschrieben.<br />

27 Schreiben des Landesentschädigungsamtes München vom 10. Oktober 1956.<br />

79


LUDWIG MORGENTHAU<br />

Unterlagen mehr gab. Der ebenfalls in <strong>der</strong> Coburger Spitalgasse 3 wohnende<br />

Richard von N. konnte lediglich bestätigen, dass Dr. Morgenthau<br />

bereits vor dem Jahre 1913 seine Arztpraxis betrieben hatte, als er in dieses<br />

Haus einzog. Dieser Zeitzeuge gab auch an, "daß Dr. Morgenthau seine<br />

Arztpraxis aufgegeben und die ärzt1.[ichen] Geräte bei Nacht und Nebel<br />

aus den Wohn- u. Praxisräumen fortgeschafft habe."28<br />

Bezüglich <strong>der</strong> für Ludwig Morgenthau verloren gegangenen Praxisausstattung<br />

gab auch <strong>der</strong> seit 1. September 1933 in die Praxisräume eingezogene<br />

Arzt Dr. Hanns G. an, "daß er von Dr. Morgenthau we<strong>der</strong> dessen<br />

Arztpraxis noch ärzt1.[iches] Gerät übernommen habe." 29<br />

Zunächst erging am 5. Mai 1959 ein Bescheid des Landesentschädigungsamtes<br />

an die Erben von Ludwig Morgenthau, in dem ein Ersatz <strong>der</strong><br />

Reisekosten und für die ausgefallenen Verdienste durch die Aufgabe <strong>der</strong><br />

Arztpraxis gegenüber den Erben abgelehnt wurde. 30 Daraufhin reichten<br />

die Angehörigen Klage ein, und es kam am 15. November 1960 vor <strong>der</strong><br />

1. Entschädigungskammer des Landgerichts München zu einer Verhandlung,<br />

die letztlich mit einem Vergleich endete. 31<br />

Aus dem Schriftverkehr des Anwalts an das Landesentschädigungsamt<br />

geht auch das Todesdatum von Frau Morgenthau hervor: Am 5. Mai<br />

1966 starb Frieda Morgenthau in Chicago, sie hatte damit ihren Mann Dr.<br />

Ludwig Morgenthau noch 18Jahre überlebt. 32<br />

A.F./A.T.<br />

28 Ebd.<br />

29 Schreiben des "Polizeiamt Coburg/Schutzpolizei" mit Datierung "Coburg, am<br />

7.11.1958".<br />

30 "Ansprüche auf Entschädigung für Schaden an Vermögen und Schaden durch<br />

Zahlung von Son<strong>der</strong>abgaben".<br />

31 Später konnte auch wegen <strong>der</strong> "Auswan<strong>der</strong>ungskosten" noch eine Regelung gefunden<br />

werden. Schreiben des Anwalts an das Landesentschädigungsamt vom 30. Januar<br />

1961.<br />

32 Schreiben des Anwalts an das Landesentschädigungsamt vom 18. Oktober 1966.<br />

80


NATHANWOLF<br />

* 19. Mai 1882,Dr. med. 5. Juni 1914<br />

Mit <strong>der</strong> Biographie von Nathan Wolf kann aufgrund einer überaus guten<br />

Quellenlage die bewegende Lebensgeschichte eines verfolgten und <strong>im</strong><br />

Wi<strong>der</strong>stand gegen den Nationalsozialismus aktiven jüdischen Arztes dokumentiert<br />

werden. 1 Nathan Wolf kam am 19. Mai 1882 in Wangen am<br />

Bodensee als jüngster Sohn von acht Kin<strong>der</strong>n des Gutsbesitzers Ludwig<br />

(Levi) Wolf und Nanette Picard zur Welt. Beide Familien waren seit dem<br />

17. Jahrhun<strong>der</strong>t in Wangen ansässig. 2 Die Familie Wolf spielte von Beginn<br />

an eine führende Rolle in <strong>der</strong> dortigen jüdischen Gemeinde und stellte<br />

über einen großen Zeitraum hin <strong>der</strong>en Vorsteher. Nathans Vater versah<br />

dieses Amt als letzter in <strong>der</strong> Reihe über vier Jahrzehnte von 1891bis 1931. 3<br />

1 Das Leben Nathan Wolfs ist in den letzten Jahren sowohl <strong>im</strong> Umkreis des Hegau-<br />

Geschichtsvereins e.V. in Singen am Hohentwiel als auch <strong>im</strong> Rahmen <strong>der</strong> Forschungen<br />

über die Fluchthelfer <strong>im</strong> Bodenseeraum untersucht worden, vgl. Kurt Lupfer:<br />

Dr. med. Nathan Wolf 80 Jahre. Hegau 13 (1962), S. 106f; Franco Battel: "Wo es hell<br />

ist, dort ist die Schweiz". Flüchtlinge und Fluchthilfe an <strong>der</strong> Schaffhauser Grenze zur<br />

Zeit des Nationalsozialismus. 2. Aufl. Zürich 2001, S. 200-203; Kurt Schilde: Grenzüberschreitende<br />

Flucht und Fluchthilfe (1941-1945):Ereignisse, Interessen und Motive.<br />

In: Überleben <strong>im</strong> Untergrund. Hilfe für Juden in Deutschland 1941-1945,hrsg.<br />

von Beate Kosmala/Claudia Schoppmann. Berlin 2002, S. 151-165; Anne Overlack:<br />

Nathan Wolf, Jacob Picard, Leo Picard - Lebenswege dreier Juden aus Wangen.<br />

Hegau 64 (2007),S. 225-238;"Hitler war weg und wir waren da" - Manfred Bosch <strong>im</strong><br />

Gespräch mit Hannelore König [geb. Wolf]. Ebd., S. 239-310.<br />

2 Vgl. Bosch/König (Anm. 1), S. 240. - Zur Geschichte <strong>der</strong> Juden in Wangen vgl. Judith<br />

Stuckert: Jüdisches Leben am Untersee. Historische und gesellschaftliche Entwicklung<br />

<strong>der</strong> israelitischen Gemeinde Wangen am Bodensee. Mag.-Arb. FB Soziologie.<br />

Konstanz 2002. In dieser Arbeit finden sich auch etliche Auszüge eines Interviews<br />

mit Frau Dr. Hannelore König, <strong>der</strong> Tochter Nathan Wolfs.<br />

3 Zum Werdegang <strong>der</strong> Familie Wolf und ihrer Bedeutung für Wangen vgl. Helmut<br />

Fidler: Zur Geschichte <strong>der</strong> Familie des Joseph Manes Wolf, wohnhaft in Wangen am<br />

Untersee. Hegau 64 (2007),S. 73-92.<br />

81


NATHANWOLF<br />

Nathan Wolf besuchte die Grundschule in Wangen und erhielt zusätzlich<br />

vom Pfarrer eines Nachbarorts Lateinunterricht. 4 Danach ging er auf<br />

das Großherzogliche Gymnasium in Konstanz, wo er 1902 das Abitur<br />

machte. Er studierte zunächst in München Medizin sowie auch Archäologie<br />

5 und wechselte anschließend nach Freiburg. Dort blieb er bis zum<br />

Physikum und absolvierte zugleich als Einjährig-Freiwilliger seinen Wehrdienst<br />

<strong>im</strong> sechsten Badischen Infanterie Reg<strong>im</strong>ent 114. 1905 setzte er sein<br />

Medizinstudium in München fort, musste es allerdings mehrfach aus gesundheitlichen<br />

Gründen 6 unterbrechen, bis er dann 1912 das Staatsexamen<br />

ablegen konnte. Zwei Jahre später, am 5. März 1914, promovierte er in<br />

Erlangen mit einer Arbeit über das Thema "Ein kasuistischer Beitrag zur<br />

Frage <strong>der</strong> Verbreitung von Krebsgeschwülsten auf dem Wege <strong>der</strong> Implantation"<br />

zum Doktor <strong>der</strong> Medizin; die Urkunde wurde ihm am 5. Juni<br />

zugestellU<br />

Be<strong>im</strong> Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde Nathan Wolf Arzt <strong>im</strong><br />

Garnisonslazarett in Müllhe<strong>im</strong> <strong>im</strong> Markgräflerland und kam dann an die<br />

Vogesenfront, wo er seine erste von insgesamt fünf Verwundungen erlitt. 8<br />

Die weiteren Kriegsjahre sahen ihn auf vielen verschiedenen Kriegsschauplätzen<br />

<strong>im</strong> Westen und Osten; vor allem diente er längere Zeit <strong>im</strong> Garde-<br />

Pionier-Bataillon 701 des Palästinakorps. Er war nach Auskunft seiner<br />

Tochter "ein glühen<strong>der</strong> Patriot" und wurde für seine Tapferkeit mehrfach<br />

ausgezeichnet, unter an<strong>der</strong>em mit dem Eisernen Kreuz I. und II. Klasse. 9<br />

Aus dem Krieg zurückgekehrt, ließ er sich 1919 als praktischer Arzt in<br />

seinem Elternhaus in Wangen nie<strong>der</strong>. Politisch war er dem konservativen<br />

4 Zum schulischen Werdegang und zum Studium vgl. die Vita in <strong>der</strong> Dissertation.<br />

Universitätsarchiv Erlangen (UAE): C3/3 Nr. 1913/14-12 und Bosch/König (Anm. I),<br />

S.243-246.<br />

5 Zu seiner Begeisterung für die Ur- und Frühgeschichte vgl. Lupfer (Anm. 1), S. 106,<br />

und Bosch/König (Anm. 1), S. 245.<br />

6 Vgl. Vita in <strong>der</strong> Dissertation (Anm. 4).<br />

7 Schreiben des Dekans Greving an den Rektor vom 3. Mai 1940. UAE: Al/3a Nr. 946i.<br />

8 Lupfer (Anm. 1), S. 106.<br />

9 Bosch/König (Anm. 1), S. 247; außerdem Battel (Anm. 1), S. 200.<br />

82


NATHANWOLF<br />

Lager zuzurechnen; er war Mitglied in <strong>der</strong> Deutschen Volkspartei und <strong>im</strong><br />

Badischen Landesausschuss. 10 1925 heiratete Nathan Wolf die aus einer<br />

katholisch-evangelischen Mischehe stammende Auguste Caroline Katharina<br />

Neuhaus aus Köln. l1 Aus <strong>der</strong> Ehe gingen zwei Kin<strong>der</strong> hervor.J2<br />

Wolfs Praxis hatte einen großen Einzugsbereich und entwickelte sich<br />

rasch sehr gut. Seine Liebe zu seinem Beruf und die Hinwendung zu<br />

seinen Patienten brachten ihm Respekt und hohes Ansehen in Wangen<br />

ein,13die auch ihren Ausdruck in verschiedenen Ehrenämtern fanden. So<br />

war er Mitglied des Gemein<strong>der</strong>ats, und als von Jugend auf hervorragen<strong>der</strong><br />

Sportler fungierte er vor 1933 auch als Gauschw<strong>im</strong>mwart <strong>im</strong> Hegau-<br />

Turnverein.I 4 Mit <strong>der</strong> Machtübernahme än<strong>der</strong>te sich das vormals friedliche<br />

Zusammenleben von Juden und Nichtjuden, und die Familie Wolf<br />

erfuhr zunehmend Diffamierungen und Ausgrenzungen. 15 Als Frontkämpfer<br />

blieb Nathan Wolf die Kassenzulassung zwar zunächst erhalten,<br />

er verlor sie aber spätestens 1935/36, und als sich am 1. Oktober 1935 ein<br />

"arischer Arzt"16in Wangen nie<strong>der</strong>ließ, blieb ein Großteil <strong>der</strong> ehemaligen<br />

Patienten bis auf wenige, die des Nachts kamen und mit Naturalien bezahlten,<br />

wegP Um materiell zu überleben, eröffnete die Familie Wolf<br />

daraufhin einen kleinen Pensionsbetrieb für Ausreisewillige, die über die<br />

Schweiz emigrieren wollten und auf die Genehmigung warteten. Außer-<br />

10 BaUel (Anm. I), S. 200.<br />

11 Bosch/König (Anm. I), S. 250.<br />

12 Die Tochter Hannelore kam an Sylvester 1925 zur Welt, <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong> Gert <strong>im</strong> Jahre<br />

1928.<br />

13 Stuckert (Anm. 2), S. 69.<br />

14 Bosch/König (Anm. I), S. 274, 245 und 261.<br />

15 König in Stuckert (Anm. 2), S. 83-85.<br />

16 Diese Bezeichnung stand auf seinem Praxisschild, vgl. Bosch/König (Anm. I), S. 265;<br />

vgl. ferner Martin Ruch: Aus <strong>der</strong> He<strong>im</strong>at verjagt. Zur Geschichte <strong>der</strong> Familie Neu,<br />

hrsg. von Erhard Roy Wiehn. Konstanz 1998, S. 61. Es handelt sich hierbei um das<br />

Tagebuch von Clementine Neu, <strong>der</strong> Schwester Nathan Wolfs, aus den Jahren 1923-<br />

1947.<br />

17 König in Stuckert (Anm. 2), S. 88, und Bosch/König (Anm. I), S. 266-268.<br />

83


NATHANWOLF<br />

dem betrieb sie in den beiden Sommern <strong>der</strong> Jahre 1937 und 1938 ein<br />

Ferienhe<strong>im</strong> für jüdische Kin<strong>der</strong>. 1B Während dieser Zeit entstanden die ersten<br />

Auswan<strong>der</strong>ungspläne, in denen nach dem Bericht <strong>der</strong> Tochter etliche<br />

Ziele, wie Belgien, Finnland und die Mandschurei erwogen wurden. Sie<br />

erwiesen sich aber alle aus den verschiedensten Gründen als undurchführbar.<br />

19<br />

Die entscheidende Wende erfolgte dann durch den Pogrom am 9./10.<br />

November 1938. In dieser Nacht brannte nicht nur die Synagoge von Wangen,<br />

son<strong>der</strong>n Nathan Wolf wurde zusammen mit an<strong>der</strong>en jüdischen Mitbürgern<br />

<strong>im</strong> Rathaus von SS-Männern verprügelt, schwerst misshandelt<br />

und anschließend ins KZ Dachau gebracht,2° Nach vier Wochen kehrte er<br />

körperlich gezeichnet und psychisch als ein An<strong>der</strong>er in seinen He<strong>im</strong>atort<br />

zurück, mit dem festen Entschluss, eher den Freitod zu wählen, als dass er<br />

noch einmal solche Leiden ertragen würde. 21 Er wusste, es blieb nun als<br />

einziger Ausweg die Flucht in die Schweiz, und obwohl er keine Aufnahmebewilligung<br />

hatte, hoffte er - nicht zuletzt aufgrund seiner vielen per-<br />

18 Bosch/König (Anm. 1), S.268f.<br />

19 Die l<strong>im</strong>itierenden Faktoren waren vor allem die fehlenden Sprachkenntnisse, eine<br />

schwere Krankheit <strong>der</strong> Ehefrau und <strong>der</strong> Einwan<strong>der</strong>ungsstopp <strong>der</strong> meisten Län<strong>der</strong>.<br />

In <strong>der</strong> Mandschurei wurde Nathan Wolf durch Vermittlung des dort tätigen, ihm<br />

bekannten Schweizer Konsuls eine Anstellung <strong>im</strong> Krankenhaus in Aussicht gestellt.<br />

Der Plan scheiterte jedoch durch den Ausbruch des russisch-japanischen Krieges,<br />

ebd., S. 272f.<br />

20 Vor dem Abtransport nach Dachau am Abend des 10. November durfte Nathan<br />

Wolf noch einmal kurz in sein Haus zurückkehren; seine Tochter berichtet: "Erst als<br />

es dunkel war, kam mein Vater. Als wir ihn sahen, war uns klar, warum man ihn<br />

und die an<strong>der</strong>en nicht bei Tageslicht auf die Straße gelassen hatte. Bei seinem<br />

Anblick brachen wir in Tränen aus. (... ) Den ganzen Tag waren er und die an<strong>der</strong>en<br />

(... ) <strong>im</strong> Keller des Rathauses von den SS-Leuten <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> geschlagen worden",<br />

König in Stuckert (Anm. 2), S. 95.<br />

21 Zu den Ereignissen <strong>der</strong> "Reichskristallnacht" in Wangen und den Folgen für Nathan<br />

Wolf siehe Bosch/König (Anm. 1), S. 276-279;ferner Battel (Anm. 1), S. 200; vgl. auch<br />

König in Stuckert (Anm. 2), S. 100: "Mein Vater kam zurück aus Dachau, wie wenn<br />

er erloschen wäre."<br />

84


NATHANWOLF<br />

sönlichen Beziehungen in die Schweiz -, dass er nicht wie<strong>der</strong> zurückgeschickt<br />

werden würde. 22 Doch bevor es zur Flucht kam, wurde er <strong>im</strong><br />

Januar 1939 noch einmal verhaftet, dieses Mal von <strong>der</strong> Zollfahndung, die<br />

ihn, nicht zu Unrecht, wie seine Tochter vermutet, des Devisenvergehens<br />

verdächtigte. 23 Da man ihm nichts nachweisen konnte, wurde Wolf nach<br />

etwa sechswöchiger Haft in den Gefängnissen von Konstanz und Radolfzell<br />

wie<strong>der</strong> entlassen.<br />

Die folgenden Monate waren von dem Versuch geprägt, doch noch<br />

auf legalem Weg ins Ausland zu gehen. Als sich dies als unmöglich erwies,<br />

bestieg Nathan Wolf wenige Tage vor Kriegsausbruch das Kursschiff,<br />

das zwischen dem deutschen und schweizerischen Unterseeufer<br />

verkehrte und von dem er wusste, dass es nur unregelmäßig kontrolliert<br />

wurde, und kam auf diese Weise ohne Passkontrolle auf die Schweizer<br />

Seite des Bodensees. 24 Und seine Hoffnung, damit in Sicherheit zu sein,<br />

hatte ihn nicht getrogen. Durch die Vermittlung mehrerer einflussreicher<br />

Schweizer und die Bürgschaft von Verwandten erhielt er am 31. August<br />

eine Toleranzbewilligung 25 und konnte später sogar in seinem Beruf arbeiten,<br />

indem er für den erkrankten Dorfarzt die Praxisvertretung in Ramsen<br />

22 Die Schweiz hatte <strong>im</strong> August 1938 als Reaktion auf die "jüdische Flüchtlingswelle"<br />

nach dem Einmarsch <strong>der</strong> deutschen Wehrmacht in Österreich ihre Grenzen für Personen<br />

ohne Visum geschlossen, vgl. Wolfram Wette: Hilfe für verfolgte Juden <strong>im</strong><br />

deutschen Südwesten. In: Stille Helden. Judenretter <strong>im</strong> Dreilän<strong>der</strong>eck während des<br />

Zweiten Weltkriegs, hrsg. von Wolfram Wette. Freiburg u.a. 2005, S. 16.<br />

23 König in Stuckert (Anm. 2), S. 101;Bosch/König (Anm. 1), S. 280.<br />

24 Er verließ das Schiff in Mammem o<strong>der</strong> in Stein am Rhein, ebd., S. 281. Dieser Fluchtweg<br />

wurde danach durch verschärfte Kontrollen gesperrt, vgl. Battel (Anm. 1), S.<br />

200.<br />

25 Die so genannten Toleranzbewilligungen wurden den Flüchtlingen für einen vorläufigen<br />

Aufenthalt ausgestellt, siehe Ulrike Oedl: Exilland Schweiz. Asylgewährung.<br />

Vgl. http://www.literaturepochen.at/exil/lecture_5006_6.html. zuletzt aufgerufen am<br />

24. März 2008.<br />

85


NATHANWOLF<br />

übernahm. Seine Familie, die er in Wangen zurückgelassen hatte, glaubte<br />

er dadurch, dass er als <strong>der</strong> eigentlich Gefährdete fort war, in Sicherheit.2 6<br />

In Deutschland wurde währenddessen <strong>im</strong> April 1940 ein Verfahren<br />

auf Aberkennung <strong>der</strong> deutschen Staatsangehörigkeit gemäß § 2 des Gesetzes<br />

vom 14. Juli 1933 gegen Dr. Nathan Wolf eingeleitet, da dieser sich in<br />

Stein am Rhein in <strong>der</strong> Schweiz nie<strong>der</strong>gelassen habe. Diese Information<br />

erhielt <strong>der</strong> Rektor <strong>der</strong> Universität Erlangen, Hermann Wintz, durch die<br />

Abschrift eines Schreibens des Reichsführers-SS und Chefs <strong>der</strong> Deutschen<br />

Polizei <strong>im</strong> Reichsministerium des Innern an den Reichsminister für Wissenschaft,<br />

Erziehung und Volksbildung, zusammen mit <strong>der</strong> Auffor<strong>der</strong>ung,<br />

von seiner Seite "hinsichtlich <strong>der</strong> Entziehung des Dr.-Titels das Weitere<br />

zu veranlassen"F Um seine Stellungnahme gebeten,28 stellte Dekan<br />

Greving am 3. Mai 1940 fest, dass mit <strong>der</strong> Aberkennung <strong>der</strong> deutschen<br />

Staatsbürgerschaft die Entziehung <strong>der</strong> <strong>Doktorwürde</strong> hinreichend begründet<br />

sei. Die Dekane <strong>der</strong> übrigen Fakultäten schlossen sich dem einst<strong>im</strong>mig<br />

an. 29 Sechs Wochen später informierte dann <strong>der</strong> Rektor das Bayerische<br />

Kultusministerium und den Reichswissenschaftsminister über die Entziehung<br />

des Doktortitels <strong>im</strong> Fall Nathan Wolf. 3D Die entsprechende Bekanntmachung<br />

<strong>im</strong> Reichsanzeiger erschien am 28. Mai 1940.<br />

Am 22. Oktober 1940 wurden Nathan Wolfs inzwischen 87jährige<br />

Mutter Nanette Wolf und seine Schwester Selma, die <strong>im</strong> Haushalt seiner<br />

Familie in Wangen lebte, von <strong>der</strong> SS abgeholt und zusammen mit den<br />

26 Bosch/König (Anm. I), S. 28lf. - Wie sehr Wolf unter <strong>der</strong> Trennung litt, zeigt <strong>der</strong><br />

Bericht <strong>der</strong> Tochter, demzufolge Nathan Wolf jeden Sonntag mit dem Schiff über<br />

den Bodensee an Wangen vorbeifuhr, um seine Kin<strong>der</strong> zu sehen, ebd., S. 283f.<br />

27 Das Schreiben trägt das Datum 15. Apri11940. UAE: Al/3a Nr. 946i.<br />

28 Schreiben des Rektors an den Dekan <strong>der</strong> Medizinischen Fakultät vom 29. Apri11940.<br />

Ebd.<br />

29 Schreiben des Dekan Greving vom 3. Mai 1940 mit handschriftlichen Vermerken <strong>der</strong><br />

an<strong>der</strong>en Dekane. Ebd.<br />

30 Schreiben des Rektors <strong>der</strong> Universität Erlangen an das Bayerische Staatsministerium<br />

für Unterricht und Kultus in München vom 20. Juni 1940. Ebd.<br />

86


NATHANWOLF<br />

an<strong>der</strong>en noch verbliebenen Juden des Dorfes 31 in das ehemalige Flüchtlingslager<br />

in Gurs in Südfrankreich deportiert. 32 Den Verwandten <strong>der</strong> weit<br />

verzweigten Familie gelang es jedoch, die Mutter und die Schwester noch<br />

<strong>im</strong> Dezember 1940 zu befreien und mit Hilfe einer hohen Kaution <strong>im</strong><br />

Frühjahr 1941 in die Schweiz zu bringen, wo sie in Stein am Rhein in <strong>der</strong><br />

Nähe ihres Sohnes und Bru<strong>der</strong>s Nathan leben konnten. 33 Nathan Wolfs<br />

Frau, die mit den beiden Kin<strong>der</strong>n in Wangen zurückgeblieben war, starb<br />

am 4. September 1942 an Tuberkulose, die Kin<strong>der</strong>, die als "Mischlinge ersten<br />

Grades" seit 1942/43 ebenfalls ins Visier <strong>der</strong> Nationalsozialisten gerieten,<br />

mussten nach verschiedenen Zwischenstationen von 1943 bis zum<br />

Kriegsende in Obertürkhe<strong>im</strong> bei einem Weingärtner arbeiten. 34<br />

Nachdem seit Oktober 1941 ein generelles Ausreiseverbot für die jüdische<br />

Bevölkerung <strong>im</strong> Deutschen Reich galt und die Schweiz ihre Grenze<br />

am 13. August 1942 vollständig für Flüchtlinge geschlossen hatte,35betätigte<br />

sich Nathan Wolf, <strong>der</strong> die Auswirkungen <strong>der</strong> Judenverfolgung vor<br />

seiner Flucht an sich selbst erfahren hatte, in den ersten Monaten des Jahres<br />

1943 von <strong>der</strong> Schweiz aus als Fluchthelfer; auf diese Weise bewahrte<br />

er, eingebunden in verschiedene Hilfsnetze, zu <strong>der</strong>en Aufbau er vermutlich<br />

entscheidend beitrug, mehrere Jüdinnen und Juden vor <strong>der</strong> Deporta-<br />

31 Die ehemals große jüdische Gemeinde Wangen war bereits <strong>im</strong> späten 19. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />

durch Abwan<strong>der</strong>ung erheblich kleiner geworden. 1940 lebten dort nur noch<br />

sieben Juden, vgl. Stuckert (Anm. 2), S. 61.<br />

32 Bosch/König (Anm. I), S. 288-290.- Zu diesem Akt <strong>der</strong> Gewalt gegen die badischen,<br />

pfälzischen und saarländischen Juden siehe Erhard R. Wiehn: Oktoberdeportation<br />

1940. Konstanz 1990;ferner Gerhard J. Teschner: Die Deportation <strong>der</strong> badischen und<br />

saarpfälzischen Juden am 22. Oktober 1940. Frankfurt am Main 2002. - Über das<br />

Schicksal <strong>der</strong> Angehörigen Nathan Wolfs in Gurs und ihre Rettung aus dem Lager<br />

geben die Tagebuchaufzeichnungen von Wolfs Schwester Aufschluss, vgl. Ruch<br />

(Anm.16).<br />

33 Ruch (Anm. 16), S. 101-105.- Nathan Wolfs Mutter starb hoch betagt am 2. August<br />

1941.<br />

34 Bosch/König (Anm. I), S. 295-302.<br />

35 Dieses Gesetz wurde am 12.Juli 1944wie<strong>der</strong> aufgehoben.<br />

87


NATHANWOLF<br />

tion in die Vernichtungslager. 36 Wegen <strong>der</strong> Fluchthilfe für Lotte Kahle,<br />

nachmals Lotte Strauß,37<strong>im</strong> Mai 1943 wurde Wolf verhaftet und am 29.<br />

September 1943 vom Schweizer Militärgericht "wegen Ungehorsams gegen<br />

allgemeine Anordnungen und wegen Anstiftung dazu"38 zu sechs<br />

Monaten Gefängnis mit Bewährung und zu einer Geldstrafe verurteilt. Er<br />

verlor seine Aufenthaltsgenehmigung, wurde auf Anordnung <strong>der</strong> Eidgenössischen<br />

Fremdenpolizei interniert und blieb bis zum Kriegsende in<br />

verschiedenen Schweizer Flüchtlingslagern. 39 Das Strafurteil wurde am 2l.<br />

September 2004 auf Antrag <strong>der</strong> Paul Grüninger Stiftung von <strong>der</strong> Rehabilitierungskommission<br />

<strong>der</strong> Schweizer Bundesversammlung aufgehoben. 40<br />

36 Zu den Fluchthelferaktivitäten <strong>im</strong> Bodenseeraum und zur Rolle Nathan Wolfs vgl.<br />

vor allem Battel (Anm. 1), S. 201-207und Schilde (Anm. 1), S. 151-165.<br />

37 Diese Flucht ist durch autobiographische Aufzeichnungen und in <strong>der</strong> Sekundärliteratur<br />

beson<strong>der</strong>s gut dokumentiert, vgl. Battel (Anm. 1), S. 205-210.<br />

38 Mit dem Bundesratsbeschluss vom 25. September 1942 war die Fluchthilfe zum<br />

eigenständigen Delikt erhoben worden; dazu und zur Verurteilung Wolfs vgl.<br />

http://www.parlament.ch/SiteCollectionDocuments/ko-rehako-04-44. pdf. zuletzt<br />

aufgerufen am 9. April 2008; das Zitat findet sich auf S. 2. Siehe ferner Battel (Anm.<br />

1), S. 215.<br />

39 Bosch/König (Anm. 1), S. 282f.<br />

40 Vgl. die in Anm. 38 zitierte Internetseite. - Die Paul Grüninger Stiftung wurde <strong>im</strong><br />

Herbst 1998 zur Erinnerung an den ehemaligen Kommandanten <strong>der</strong> Kantonspolizei<br />

St. Gallen und Flüchtlingsretter Paul Grüninger (1891-1972)von seinen Nachkommen<br />

gegründet.<br />

88


NATHANWOLF<br />

Abbildung 9: Dr. Nathan Wolf (1882-1970). Staats archiv Schaffhausen,<br />

CH-8200 Schaffhausen, Flüchtlinge B: Wolf, Nathan.<br />

Nathan Wolf kehrte nach dem Krieg am 8. Juni 1945 nach Wangen<br />

zurück 41 und eröffnete bald darauf erneut seine Praxis. 1947 wurde er von<br />

den französischen Besatzungsbehörden als kommissarischer Bürgermeister<br />

eingesetzt, von 1949 bis 1966 fungierte er als stellvertreten<strong>der</strong> Bürgermeister<br />

und war lange Zeit <strong>im</strong> Gemein<strong>der</strong>at. 42 Schon seit den frühen<br />

fünfziger Jahren pflegte er auch erneut seine Leidenschaft für die Frühund<br />

Urgeschichte, wurde Mitarbeiter in <strong>der</strong> Bezirkspflege des einschlägi-<br />

41 Die Schweizer Fremdenpolizei belegte ihn wegen seiner Fluchthelfertätigkeit als<br />

"unerwünschten Auslän<strong>der</strong>" mit einer Einreisesperre, die erst 1948 aufgehoben<br />

wurde, vgl. Bosch/König (Anm. 1), S. 283.<br />

42 Zum Leben Wolfs in <strong>der</strong> Nachkriegszeit vgl. Overlack (Anm. I), S. 228; Bosch/König<br />

(Anm. I), S. 303-308.<br />

89


NATHANWOLF<br />

gen Landesamts und Mitglied <strong>der</strong> entsprechenden Schweizer Gesellschaft.<br />

Für seine gemeindepolitischen und kulturellen Verdienste wurde er <strong>im</strong><br />

Jahre 1966 zum Ehrenbürger seines He<strong>im</strong>atortes ernannt. Diese Auszeichnung<br />

war auch ein Ausdruck <strong>der</strong> Dankbarkeit dafür, dass Nathan Wolf<br />

trotz <strong>der</strong> Leiden, die ihm und seiner Familie <strong>im</strong> "<strong>Dritten</strong> Reich" zugefügt<br />

worden waren, ohne Hass und Rachegefühle wie auch ohne den Wunsch<br />

nach Vergeltung43 in seine He<strong>im</strong>at zurückgekehrt war. Schon 1962, <strong>im</strong> Jahr<br />

seines 80. Geburtstages, verlieh ihm <strong>der</strong> damalige Bundespräsident Dr.<br />

Heinrich Lübke das Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens <strong>der</strong><br />

Bundesrepublik Deutschland als Anerkennung dafür, dass er "vorbildliehe<br />

Liebe und Treue zum Volke bewiesen" habe. 44<br />

Dr. Nathan Wolf starb am 29. Dezember 1970 <strong>im</strong> Alter von 88 Jahren<br />

in Wangen und wurde unter großer Anteilnahme auf dem Jüdischen<br />

Friedhof <strong>der</strong> Gemeinde beigesetzt. 45 Auf seinem Grabstein heißt es:<br />

"Hier ruht <strong>der</strong> letzte<br />

Jude des Dorfes.<br />

Bald wird Gebüsch<br />

den Stein bedecken.<br />

Doch wird sein Grab<br />

nicht vergessen werden.<br />

Denn mehr als er<br />

liegt hier begraben. /I<br />

R.W./B.S.<br />

43 Diese Fähigkeit Wolfs zur Nachsicht und zum Verzeihen wurde in den Ansprachen<br />

aus Anlass von verschiedenen Ehrungen <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> hervorgehoben, vgl. z.B.<br />

Lupfer (Anm. 1), S. 106.<br />

44 Vgl. Südkurier (Konstanz), vom 19. Dezember 1962, zit. nach Ruch (Anm. 16), S. 212.<br />

45 Vgl. den Bericht <strong>im</strong> Deutschen Ärzteblatt 1971,H. 6, S. 436.<br />

90


NATHANWOLF<br />

Abbildung 10: Grab von Dr. Nathan Wolf auf dem Friedhof in Wangen,<br />

http://www.alemannia-judaica.de/wangen_friedhof.htm<br />

(zuletzt aufgerufen am 11. März 2008).<br />

91


MORITZ FEIBELMANN<br />

* 17. März 1883, Dr. med. 14. Dezember 1908<br />

Moritz Feibelmann wurde am 17. März 1883 in Memmingen als Sohn von<br />

Emanuel Feibelmann und Rosa Zachovach 1 geboren. 2 Er war jüdischen<br />

Glaubens. Dem Besuch des Progymnasiums in seiner He<strong>im</strong>atstadt schloss<br />

sich <strong>der</strong> des Gymnasiums in Kempten an, wo Feibelmann seine Reifeprüfung<br />

erlangte. Danach begann er das Studium <strong>der</strong> Medizin und legte 1903,<br />

also <strong>im</strong> Alter von zwanzig Jahren, die Ärztliche Vorprüfung in München<br />

ab. Die Fortsetzung des Studiums erfolgte an den Universitäten Kiel und<br />

Erlangen. Dort <strong>im</strong>matrikulierte er sich zum Wintersemester 1907/08 3 und<br />

bestand am 28. November 1908 das Medizinische Staatsexamen. Schon<br />

wenige Tage später wurde er zum Dr. med. promoviert, nachdem er als<br />

Dissertation eine Arbeit zu einern geburtshilflichen Thema, nämlich zur<br />

Komplikation <strong>der</strong> Verklebung <strong>der</strong> Gebärmutterhalswand, vorgelegt hatte. 4<br />

Diese Studie erschien 1909 <strong>im</strong> Druck, so dass Feibelmann die Doktorurkunde<br />

am 18. Dezember 1909zugestellt werden konnte. 5<br />

1 Meldevermerk Feibelmann. Stadtarchiv Nürnberg (StadtAN): C 21/111.1979.<br />

2 Zu Feibelmanns Lebensdaten bis 1933 vgl. Eduard Seidler: Jüdische Kin<strong>der</strong>ärzte<br />

1933-1945. Entrechtet/geflohen/ermordet. Erw. Neuaufl. Freiburg u.a. 2007, S. 351;<br />

zum Ausbildungsgang Feibelmanns vgl. auch die Vita in seiner Dissertation, siehe<br />

unten Anm. 4. - Die jüdische Familie Feibelmann war, aus Fellhe<strong>im</strong> (Unterallgäu)<br />

kommend, seit 1878 in Memmingen sesshaft, vgl. Julius Miedei: Die Juden in Memmingen.<br />

Memmingen 1909,S. 115.<br />

3 Übersicht des Personal-Standes bei <strong>der</strong> Königlich-Bayerischen Friedrich-Alexan<strong>der</strong>-<br />

Universität Erlangen nebst dem Verzeichnisse <strong>der</strong> Studierenden. Handschriftenabteilung<br />

<strong>der</strong> Universität Erlangen-Nürnberg: D 1428ba.<br />

4 Moritz Feibelmann: Zur Kenntnis <strong>der</strong> Conglutinatio orificii externi uteri. Diss. med.<br />

Erlangen 1909.<br />

5 Bericht des Dekans <strong>der</strong> Medizinischen Fakultät Erlangen an den Rektor über die<br />

Personalien Feibelmanns vom 17. April 1940. Universitätsarchiv Erlangen (UAE):<br />

A1/3a Nr. 946b.<br />

93


MORITZ FEffiELMANN<br />

Nach weiterer praktischer Ausbildung, die Feibelmann vor allem in<br />

München absolvierte, ließ er sich <strong>im</strong> Frühjahr 1911 als praktischer Arzt<br />

und Kin<strong>der</strong>arzt in Nürnberg nie<strong>der</strong> und heiratete am 1. Juni 1915 die aus<br />

Nürnberg gebürtige Betty Wei1. 6 Neben seiner Praxis war er nebenamtlich<br />

be<strong>im</strong> Nürnberger Gesundheits- und be<strong>im</strong> Jugendamt in verschiedenen<br />

Funktionen <strong>im</strong> Fürsorgebereich tätig. 7 So war er seit 1919 Kostkin<strong>der</strong>arzt<br />

des V. Bezirks,8wurde in den folgenden Jahren leiten<strong>der</strong> Arzt <strong>der</strong> Mütterberatungsstelle<br />

VII,9war zuständig für die ärztliche Überwachung mehrerer<br />

Nürnberger Kleinkin<strong>der</strong>bewahranstalten und fungierte überdies als<br />

amtlicher Aufsichtsarzt über verschiedene Kin<strong>der</strong>gärten.l° Im Jahre 1923<br />

wurde sein einziges Kind, Ursula Susanne, geboren. ll<br />

Bereits <strong>im</strong> März 1933 emigrierte Moritz Feibelmann mit Familie und<br />

mit seiner Mutter über Lindau zunächst in die Schweiz. An die Abreise<br />

aus Nürnberg erinnerte sich die Tochter <strong>im</strong> Jahre 1999 in einem autobiographischen<br />

Bericht, <strong>der</strong> <strong>im</strong> Newsletter des IITraveling Jewish Theatre",<br />

<strong>der</strong>en Präsidentin sie war, abgedruckt ist:<br />

"One day in March 1933, when I was nine, I came horne from school in Nuremberg<br />

at the long lunch recess to find my parents pacing the floor, awaiting my return. [...)<br />

The car was packed, and my mother and grandmother got in the back while I sat in<br />

6 Meldevermerk Feibelmann (Anm. 1); Betty Weil war am 21. Juni 1894 geboren. -<br />

Ihre Wohnadresse war Marienplatz 9. Feibelmanns Praxis war von 1919-1926in <strong>der</strong><br />

Vor<strong>der</strong>en Sterngasse 17, von 1927-1933 in <strong>der</strong> Allersbergerstraße 72. Einwohnerbücher<br />

<strong>der</strong> Stadt Nürnberg.<br />

7 Vgl. Bernd Windshe<strong>im</strong>er: Hun<strong>der</strong>t Jahre Klinikum Nürnberg. Die Geschichte des<br />

Nürnberger Gesundheitswesens <strong>im</strong> späten 19. und 20. Jahrhun<strong>der</strong>t. Nürnberg 1997,<br />

S.168.<br />

8 Meldevermerk Feibelmann (Anm. 1).<br />

9 StadtAN: C 25 I Nr. 297. Feibelmann hielt hier wöchentlich vier bis fünf Sprechstunden<br />

ab.<br />

10 StadtAN: C 33 I Abgabe 1973 Nr. 1 und Nr. 1a.<br />

11 Vgl. Alexandra J. Wall: Ursula Sherman, foun<strong>der</strong> of BRJCC, music fest, 78, dies.<br />

Dieser Nachruf stammt vom 12. April 2002 und findet sich unter folgen<strong>der</strong> Adresse:<br />

http://www.jewishsf.com/content/2-0/module/displaystory/story _id/18044/edition_<br />

id/360/format/html/displaystory.thtml, zuletzt aufgerufen am 16. Mai 2008.<br />

94


MORITZ FElBELMANN<br />

the front because 1suffered from car siekness. And so we left our horne. Before long<br />

we stopped, and my father bought and emptied a box of cigars, placed my mother's<br />

and grandmother's jewelry in the empty box (I had notieed that they were both<br />

wearing an unusually large amount of jewelry), and mailed the box horne. Back in<br />

the car, he bellowed, 'Herrgott Sakrament noch a Mahl [sie], I'm not going to get<br />

stopped for some dumb jewelry.' My father, a doctor, rarely swore in public. 1 kept<br />

quiet. [...] The conversation, when it resumed, dealt with bor<strong>der</strong> crossings. 'If we<br />

can't get through at Lindau,' said my father, 'we'll try to get through aL' But we did<br />

get through at Lindau. We arrived in Switzerland without any problems. This was<br />

the first of several departures. 1 un<strong>der</strong>stood more about the later ones than about<br />

that aftemoon in Nuremberg. But with every departure, 1 feit as if 1were a piece of<br />

luggage, essential perhaps, but always taken along in silence."12<br />

Anschließend gelangte die Familie Feibelmann nach Paris, wo sie in dem<br />

Vorort Neuilly-sur-Seine Wohnung fand.J3 Noch <strong>im</strong> selben Jahr wurde<br />

Feibelmann aus dem Reichsmedizinalkalen<strong>der</strong> gestrichen; <strong>im</strong> Mitglie<strong>der</strong>verzeichnis<br />

<strong>der</strong> Deutschen Gesellschaft für Kin<strong>der</strong>heilkunde wurde er bis<br />

1938 geführt. 14 Für Feibelmanns weiteren Lebensweg lassen sich nur noch<br />

einzelne Daten erschließen: Im Jahre 1938 ging die Familie in die USA und<br />

ließ sich in San Francisco nie<strong>der</strong>,15wo Moritz Feibelmann am 11. August<br />

1941 vom Superior Court of the State of California die Erlaubnis erhielt,<br />

seinen Namen in "Morris Felton" zu än<strong>der</strong>n; seine Frau und Tochter 16<br />

12 Vgl. Ursula Sherman [geborene Feibelmann]: Remembrances of a Suitcase.<br />

http://www.atjt.com/Archives/newsletter_3_99.htm#ursula. zuletzt aufgerufen am<br />

16. Mai 2008. - Am 31. März 1933 wurde Feibelmann aus dem Gesundheitsamt<br />

entlassen, aber da war er offenkundig bereits emigriert. StadtAN: C 33 Nr. 1.<br />

13 Vgl. Seidler (Anm. 2), S. 351. - Von <strong>der</strong> Schweiz aus ging die Familie offenbar über<br />

Saarbrücken nach Paris; vgl. Meldevermerk Feibelmann (StadtAN: C 21/III Nr.<br />

1979): "Ganze Farn. abgem. n. Saarbrücken, 30.6.33", siehe auch Gerhard Jochern:<br />

Mitten in Nürnberg. Jüdische Firmen, Freiberufler und Institutionen am Vorabend<br />

des Nationalsozialismus. Nürnberg 1998 http://www.rijo.homepage.t-online.de/pdf/<br />

DE_NUJU_gewerbe.pdf, zuletzt aufgerufen am 16. Mai 2008.<br />

14 Seidler (Anm. 2), S. 351.<br />

15 Vgl. Wall (Anm. 11).<br />

16 Ursula Susan FeIton kam 1947 vorübergehend nach Nürnberg, um während eines<br />

Folgeprozesses <strong>der</strong> Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse als Übersetzerin <strong>der</strong> Do-<br />

95


MORITZ FElBELMANN<br />

nahmen ebenfalls den neuen Nachnamen an. Über das Motiv hierfür lässt<br />

sich nur spekulieren. Möglicherweise wollte er durch die Annahme eines<br />

neuen Namens den endgültigen Bruch mit seiner deutschen Vergangenheit<br />

vollziehen. 17<br />

Im Jahre 1940 geriet Feibelmann ins Visier <strong>der</strong> nationalsozialistischen<br />

Machthaber,18 die <strong>im</strong> Frühjahr dieses Jahres aufgrund seiner Emigration<br />

und aufgrund von Nachforschungen durch die Gestapo19 das Verfahren<br />

auf Aberkennung <strong>der</strong> deutschen Staatsangehörigkeit einleiteten und den<br />

Rektor <strong>der</strong> Erlanger Universität auffor<strong>der</strong>ten, "hinsichtlich <strong>der</strong> Entziehung<br />

des Dr.-Titels das Weitere zu veranlassen".20Nachdem <strong>der</strong> Dekan Greving<br />

kumente des Arbeits- und Landwirtschaftsministeriums zu arbeiten. 1954 heiratete<br />

sie den Ingenieur Saul Sherman und entfaltete ab 1960 in Berkeley eine intensive<br />

Aktivität für die dortige jüdische Gemeinde und für jüdische Kunst und Kultur,<br />

wofür sie auch etliche Auszeichnungen und Preise erhielt; so gründete sie das<br />

Berkeley Richmond Jewish Community Center und das Berkeley Jewish Music<br />

Festival. Sie starb 78jährig <strong>im</strong> April 2002; vgl. Wall (Anm. 11), ferner Leslie Katz:<br />

Nuremberg - 50 years after trial of Nazi horrors. Jewish Bulletin of Northern California<br />

1995. Vgl. www.jewishsf.com/content/2-0-/module/displaystory/story _id/2430/<br />

edition_id/40/format/html/displaystory.html, zuletzt aufgerufen am 22. November<br />

2007.-Ihre zwei Töchter Claire und Julie sind dem Vorbild ihrer Mutter gefolgt und<br />

ebenfalls <strong>im</strong> Bereich <strong>der</strong> sozialen und kulturellen Arbeit tätig, vgl. http://www.selfsufficiency.org/ursula_sherman.html,<br />

zuletzt aufgerufen am 16. Mai 2008.<br />

17 Im Erlanger Universitätsarchiv findet sich eine Kopie <strong>der</strong> Beglaubigung <strong>der</strong> Gerichtsentscheidung<br />

durch das Generalkonsulat <strong>der</strong> Bundesrepublik Deutschland<br />

vom 24. Februar 1953; aus dieser erfahren wir auch, dass Morris Felton <strong>im</strong> Jahr <strong>der</strong><br />

Ausstellung dieser Beglaubigung in <strong>der</strong> 14th Avenue <strong>im</strong> Norden San Franciscos<br />

gewohnt hat. UAE: C3/3 Nr. 1908/09-2.<br />

18 Abschrift des Schreibens aus dem Reichsministerium des Innern an den Reichsminister<br />

für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 27. März 1940,mit dem<br />

das Verfahren auf Aberkennung <strong>der</strong> deutschen Staatsangehörigkeit eingeleitet wurde.<br />

UAE: A1/3a Nr. 946b. In diesem Schreiben wird als "jetziger Aufenthalt" Feibelmanns<br />

Brasilien genannt, wofür es sonst keinen Anhaltspunkt gibt.<br />

19 Vgl. die Randnotiz "über den Genannten wurden bereits Erhebungen von <strong>der</strong><br />

Gestapo gepflogen", ebd. Kursivierung <strong>im</strong> Original unterstrichen.<br />

20 Die Weiterleitung des Schreibens an den Rektor erfolgte am 10. April. Ebd.<br />

96


MORITZ FElBELMANN<br />

dem Rektor innerhalb weniger Tage die notwendigen Informationen bezüglich<br />

<strong>der</strong> Personalien Feibelmanns mitgeteilt und mit Verweis auf den<br />

entsprechenden Paragraphen über das Junkt<strong>im</strong> von Aberkennung <strong>der</strong><br />

Staatsangehörigkeit und Aberkennung <strong>der</strong> <strong>Doktorwürde</strong> festgestellt hatte,<br />

dass lIin dem vorliegenden Fall des Moritz Feibelmann" <strong>der</strong> entsprechende<br />

Tatbestand gegeben sei, st<strong>im</strong>mten die an<strong>der</strong>en Dekane <strong>im</strong> üblichen<br />

Umlaufverfahren <strong>der</strong> Entziehung <strong>der</strong> <strong>Doktorwürde</strong> ZU. 21 Daraufhin informierte<br />

Rektor Wintz am 20. Mai 1940 die Rektoren <strong>der</strong> deutschen<br />

Hochschulen über die Entziehung und einen Monat später das Bayerische<br />

Staatsministerium für Unterricht und Kultus sowie den Reichswissenschaftsminister.<br />

22 Die entsprechende Bekanntmachung erfolgte am 27. Mai<br />

1940 in <strong>der</strong> Nr. 121 des Deutschen Reichsanzeigers. Feibelmann selbst<br />

wurde nicht davon in Kenntnis gesetzt.<br />

Abbildung 11: Passkarte Dr. Moritz Feibelmann. StadtAN: C21 VII 036.<br />

Bei <strong>der</strong> linken unteren Bildhälfte handelt es sich um eine angeklebte<br />

Notiz aus dem Deutschen Reichsanzeiger Nr. 113 vorn 17. Mai 1940.<br />

21 Das Schreiben des Rektors an den Dekan trägt das Datum vorn 15. April 1940, die<br />

Antwort des Dekans erfolgte bereits zwei Tage später, und innerhalb einer Woche<br />

gaben die an<strong>der</strong>en Dekane ihr Einverständnis. Ebd.<br />

22 Schreiben des Rektors ans Kultusministerium vom 20. Juni 1940. Ebd.<br />

97


MORITZ FElBELMANN<br />

Am 3. November 1958 erhielt <strong>der</strong> Rektor <strong>der</strong> Erlanger Universität<br />

einen Brief von "Dr. M. Feiton" aus San Francisco, in dem dieser sich an<br />

seine nunmehr 50 Jahre zurück liegende ärztliche Prüfung erinnerte und<br />

offenbar eine Erneuerung seines Staatsexamenszeugnisses o<strong>der</strong> eine entsprechende<br />

Urkunde zum 50jährigen Jubiläum erbat:<br />

"Sehr geehrter Herr Rektor, ich habe hier mein Examenszeugnis, das bestätigt dass<br />

ich, damals Moritz Feibelmann aus Memmingen, am 28. November 1908 die<br />

ärztliche Prüfung bestanden habe. Das sind nun 50 Jahre und ich würde mit<br />

Vergnügen es wie<strong>der</strong> sehen als nun ein älterer Mann. Ich lege eine Bescheinigung<br />

vom Deutschen Generalkonsulat hier bei, das bestätigt dass ich vor Jahren meinen<br />

Namen in Felton gesetzlich geän<strong>der</strong>t habe [..,]."23<br />

In seiner Antwort auf das Schreiben, das <strong>der</strong> Rektor zuständigkeitshalber<br />

an den Dekan <strong>der</strong> Medizinischen Fakultät weitergeleitet hatte, ging dieser<br />

auf das Jubiläum mit keinem Wort ein, son<strong>der</strong>n bat Morris FeIton, sich an<br />

das Bayerische Staatsministerium des Innern in München zu wenden, dem<br />

die Ausstellung von Zeugnissen dieser Art unterliege. 24 Auffällig an diesem<br />

Schreiben ist eine Randbemerkung "Bezüglich des Entzuges <strong>der</strong> Dr.-<br />

Würde siehe Promotionsbuch", die offenkundig von an<strong>der</strong>er Hand nachgetragen<br />

wurde, auf die entsprechend zu reagieren aber offensichtlich<br />

niemand willens war. Jedenfalls findet sich kein weiteres Schriftstück in<br />

den Universitätsakten.<br />

Über das weitere Schicksal Moritz Feibelmanns und das Datum seines<br />

Todes liegen uns keine Informationen vor.<br />

RW./A.T.<br />

23 UAE: A1/3a Nr. 946b.<br />

24 Schreiben von Dekan Fritz He<strong>im</strong> vom 14. November 1958. Ebd. Das Schreiben war<br />

an "Dr. Morris Felton" gerichtet.<br />

98


ERICH EISNER<br />

* 18. Oktober 1887, Dr. med. 6. Juni 1913<br />

Erich Eisner wurde am 18. Oktober 1887 als Sohn des Kaufmanns Louis<br />

Eisner und seiner Frau Emma (geborene Ginsberg) in Striegau in Schlesien<br />

geboren. Er war jüdischen Bekenntnisses. Eisner besuchte bis zur Untersekunda<br />

das Städtische Progymnasium seiner He<strong>im</strong>atstadt, anschließend<br />

das Realgymnasium am Zwinger in Breslau und beendete den Schulbesuch<br />

1906 mit dem Reifezeugnis. Im selben Jahr begann <strong>der</strong> 19-Jährige das<br />

Studium <strong>der</strong> Medizin in Breslau, wo er 1908 die Ärztliche Vorprüfung ablegte.<br />

Danach absolvierte er einige klinische Semester in Zürich und Berlin<br />

und bestand dort am 15. August 1911 die Ärztliche Staatsprüfung.<br />

Im darauf folgenden Praktischen Jahr war Erich Eisner zunächst für<br />

einen Monat am Allerheiligen Hospital zu Breslau tätig, danach sieben<br />

Monate lang in <strong>der</strong> Königlichen Universitäts-Kin<strong>der</strong>klinik zu Breslau und<br />

schließlich vier weitere Monate in <strong>der</strong> Hautklinik des Städtischen Krankenhauses<br />

in Frankfurt am Main.<br />

Am 28. Oktober 1912 promovierte Erich Eisner dann in Erlangen zum<br />

Doktor <strong>der</strong> Medizin. 1 Nach Annahme seiner Dissertation mit dem Titel<br />

"Zur Kenntnis <strong>der</strong> Bedeutung des Neutralschwefels be<strong>im</strong> Säugling mit<br />

beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung <strong>der</strong> Untersuchungstechnik" wurde ihm die<br />

entsprechende Urkunde <strong>im</strong> Juni 1913 zugestellU Seine Approbation hatte<br />

er bereits am 1. November 1912 erhalten. Im Anschluss daran nahm Dr.<br />

1 Warum er Erlangen als Promotionsort wählte, geht aus den Akten nicht hervor.<br />

2 Universitätsarchiv Erlangen (UAE): C3/3 Nr. 1912/13-4. - Erich Eisner widmete die<br />

Dissertation seinem Onkel Franz Ginsberg (1862-1936), <strong>der</strong> Ende des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

nach Süd-Afrika gegangen war und sich dort als Politiker und Unternehmer<br />

einen Namen machte, vgl. http://groups.msn.com/Y AMEYFAMILY/blochundgins<br />

berg.msnw, zuletzt aufgerufen am 8. Mai 2008.<br />

99


ERICH EISNER<br />

Eisner eine Stelle als AssistenzarzP am Krankenhaus des Bethanien-Vereins<br />

Frankfurt am Main an. 4<br />

In <strong>der</strong> Folgezeit lebte Erich Eisner in Hindenburg in Oberschlesien. 5 Er<br />

heiratete Klara Zernick, die aber in den dreißiger Jahren an Krebs starb.<br />

Wohl <strong>im</strong> Jahre 1937 emigrierte er mit finanzieller Hilfe <strong>der</strong> Frau seines<br />

Onkels Frank Ginsberg in die USA und legte dort das amerikanische<br />

Medizinexamen ab. 6<br />

Im April 1940 wurde gegen ihn ein Verfahren auf Aberkennung <strong>der</strong><br />

Staatsangehörigkeit eingeleitet:<br />

"Gegen den Juden Erich Eisner, geboren 18.10.1887 in Striegau/Schlesien, letzter<br />

inländischer Wohnsitz: Hindenburg O/S., Kronprinzenstr. Nr. 298, jetziger Aufenthalt:<br />

New York, habe ich ein Verfahren auf Aberkennung <strong>der</strong> deutschen Staatsangehörigkeit<br />

gemäß § 2 des Gesetzes vom 14.7.1933 [...] in Verbindung mit § 1 des<br />

Gesetzes über die Aberkennung <strong>der</strong> Staatsangehörigkeit und den Wi<strong>der</strong>ruf des<br />

Staatsangehörigkeitserwerbes in <strong>der</strong> Ostmark vom 11.7.1939[... ] eingeleitet."7<br />

3 Erich Eisner publizierte während dieser Zeit als Assistenzarzt unter Sanitäts-Rat Dr.<br />

Gottschalk und Dr. Mehler auch den Artikel "Ein Beitrag zur Diagnose <strong>der</strong> destruktiven<br />

Appendicitis." Deutsche Zeitschrift für Chirurgie (1915), S. 589-597. - Wahrscheinlich<br />

ebenfalls von Erich Eisner stammt <strong>der</strong> Artikel" Über Heftpflasterverbände<br />

zur Beschleunigung <strong>der</strong> Heilung von Schusswunden", veröffentlicht in den "Kriegschirurgischen<br />

Mitteilungen aus dem Völkerkriege 1914/15", S. 83-93. Der Autor<br />

dieses zweiten Textes war zur Zeit <strong>der</strong> Veröffentlichung Bataillonsarzt <strong>im</strong> Reserve-<br />

Lazarett Butzbach in Hessen. Beide Artikel wurden <strong>im</strong> Frühjahr 1915veröffentlicht.<br />

4 Alle Informationen bis zu diesem Zeitpunkt entstammen <strong>der</strong> Vita <strong>der</strong> Dissertation,<br />

UAE: C3/3 Nr. 1912/13-4.<br />

5 Schreiben des Reichsführers-SS und Chef <strong>der</strong> Deutschen Polizei an den Reichsminister<br />

für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 24. April 1940, abschriftlich<br />

an die Universität Erlangen am 9. Mai 1940.UAE: A1/3a Nr. 946b. - Der in Anm.<br />

2 genannten Intemetadresse ist zu entnehmen, dass Eisner <strong>im</strong> Jahre 1936 in Hindenburg<br />

einen Vortrag vor dem Reichsbund jüdischer Frontsoldaten über seinen berühmten<br />

Onkel aus Anlass von dessen Tod hielt.<br />

6 Ebd.<br />

7 Schreiben des Reichsführers-SS und Chef <strong>der</strong> Deutschen Polizei an den Reichsminister<br />

für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 24. April 1940, abschriftlich<br />

an die Universität Erlangen am 9. Mai 1940.UAE: A1/3a Nr. 946b.<br />

100


ERICH EISNER<br />

Mit diesem Schreiben des Reichsministeriums des Inneren, das über das<br />

Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung an die Universität<br />

Erlangen weitergeleitet wurde, begann am 9. Mai 1940 dann auch<br />

das Depromotionsverfahren gegen Dr. Erich Eisner.<br />

Auf <strong>der</strong> 178. Ausbürgerungsliste, die am 17. Juli 1940 <strong>im</strong> Reichsanzeiger<br />

veröffentlicht wurde, befand sich auch <strong>der</strong> Name "Erich Eisner".<br />

Hiervon wurde die Universität entsprechend informiert 8 und vollzog die<br />

Depromotion nach <strong>der</strong> durch Umlauf erfolgten Zust<strong>im</strong>mung <strong>der</strong> Dekane<br />

aller an<strong>der</strong>en Fakultäten. Die Bekanntmachung <strong>der</strong> Entziehung des Doktortitels<br />

erfolgte dann <strong>im</strong> Reichsanzeiger vom 31. August 1940. In einem<br />

von Prorektor Herrigel in Vertretung des Rektors unterzeichneten Schreiben<br />

wurden darüber abschließend das Bayerische Staatsministerium für<br />

Unterricht und Kultus sowie das Reichswissenschaftsministerium informiert.<br />

9 Erich Eisner war zu diesem Zeitpunkt jedoch möglicherweise<br />

schon tot. lO Weitere Details über sein Leben in <strong>der</strong> Emigration sind uns<br />

nicht bekannt.<br />

A.T./A.F.<br />

8 Schreiben des Reichsministeriums des Inneren an das Ministerium für Wissenschaft,<br />

Erziehung und Volksbildung vom 17. Juli 1940, abschriftlich an die Universität am<br />

3. August 1940. UAE: Al/3a Nr. 946b.<br />

9 Schreiben des Rektors an das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und<br />

Kultus und das Reichswissenschaftsministerium vom 5. September 1940. Ebd.<br />

10 Vgl. die in Anm. 2 zitierte Intemetadresse, <strong>der</strong>zufolge Erich Eisner um 1939 gestorben<br />

sein soll.<br />

101


'1r.<br />

1712,2546.<br />

Der Rektor<br />

<strong>der</strong><br />

Universität Erlangen<br />

An das<br />

Ba;:;er isohe stas:ts::inis ter ium<br />

f~~Unterrioht und Kultus<br />

in MünchEn.<br />

ERICH EISNER<br />

Betreff; Entziehung des Doktor-Titels.<br />

ZumE.:E. v. 9.5.40 ••7 2192/40 tl.v. 3.8.1940 ~TF3233/40.<br />

Erlantem 5. September 194C.<br />

Dem Erich Bi9n~r, geboren a~ 18,10.1887 in Striegau,<br />

wurce <strong>der</strong> ir~~ 6.6.1913 von <strong>der</strong> ~~dizLaiaohen Fakult~t d~r<br />

Universit~t Erlangen verliehene Doktor-Titel wie<strong>der</strong> entzngen.<br />

Die Bekanntmachung hier~~er ist <strong>im</strong> Deutschen Rsic~sQnzei3~r vom<br />

31.8.1940 Nr. 204 veröffentlicht.<br />

Eine Zweitscbrift aie~es B~richte8 für den ~ rrn<br />

ReicnnwisscnEchRftsministGT f~ge ich bei.<br />

Abbildung 12: Schreiben des Rektors <strong>der</strong> Universität Erlangen an das Bayerische Staatsministerium<br />

für Unterricht und Kultus vom 5. September 1940. UAE: Al/3a Nr. 946b.<br />

102


JOSEF KARL SCHREINER<br />

* 10.Juni 1891,Dr. med. 14. Dezember 1916<br />

Josef Karl Schreiner war gebürtiger Nürnberger und kam hier am 10. Juni<br />

1891 als Sohn des Fabrikenkontrolleurs Johann Schreiner und dessen Ehefrau<br />

Johanna, geb. Geiger, zur Welt.l Er hatte noch vier Geschwister. 2<br />

Schreiner besuchte von 1897 bis 1901 die Volksschule in Nürnberg und<br />

danach das dortige Humanistische Gymnasium, wo er aufgrund seiner<br />

guten Leistungen "als Vorzugsschüler" ein Stipendium erhieltJ und 1910<br />

das Reifezeugnis erlangte. Zum Studium <strong>der</strong> Medizin ging er zunächst<br />

nach Erlangen, absolvierte dort die Ärztliche Vorprüfung und wechselte<br />

dann nach München. Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs meldete<br />

er sich als Freiwilliger und war bis 1918 an verschiedenen Orten auf dem<br />

westlichen und östlichen Kriegsschauplatz sowie in mehreren Lazaretten<br />

in Nürnberg ärztlich tätig. Dabei wurde er durch einen Durchschuss <strong>im</strong><br />

linken Unterschenkel verwundet und litt mehrfach an malignen Diphtherieinfektionen,<br />

verbunden mit chronischer Erkrankung <strong>der</strong> Halsorgane<br />

und Herzmuskelschädigung, so dass er in den zwanziger Jahren als 50%<br />

kriegsdienstbeschädigt galt. 4 Im Frühsommer 1916 wurde er kurzzeitig<br />

beurlaubt, um sein Studium abzuschließen. Er konnte daraufhin <strong>im</strong> Spätsommer<br />

desselben Jahres das Medizinische Staatsexamen an <strong>der</strong> Universität<br />

Erlangen ablegen und wurde hier auch wenige Monate später, am 14.<br />

Dezember 1916,zum Doktor <strong>der</strong> Medizin promoviert. 5<br />

1 Zu den Lebensdaten bis zur Promotion vgl. die Dissertation. Universitätsarchiv<br />

Erlangen (UAE): C3/3 Nr. 1915/16-9.<br />

2 Bayerisches Landesentschädigungsamt (BayLEA):EG 123 800, B-Akte, BI.27.<br />

3 Ebd., BI.5.<br />

4 Ebd., E-Akte, BI.9.<br />

5 Seine Dissertation trägt den Titel "Zur Hydrocele bilocularis" und erschien 1916 in<br />

Nümberg.<br />

103


JOSEF KARL SCHREINER<br />

1917 heiratete Josef Schreiner die am 5. Mai 1893 in Gunzenhausen<br />

(Bayern) geborene Nanni Seller,6die Jüdin, aber katholisch getauft war. 7<br />

Aus <strong>der</strong> Ehe ging 1919 ein Sohn hervor, <strong>der</strong> später in den USA heiratete. 8<br />

Nach dem Krieg arbeitete Schreiner zunächst am Städtischen Krankenhaus<br />

Nürnberg und ließ sich dann in <strong>der</strong> Allersbergerstraße in Nürnberg<br />

als praktischer Arzt, Chirurg und Geburtshelfer in eigener Praxis nie<strong>der</strong>,<br />

die sich in den folgenden Jahren sehr gut entwickelte. 9 Neben seiner Praxis<br />

übte er noch etliche nebenberufliche und ehrenamtliche Tätigkeiten aus:<br />

Er war Sportarzt des "Turnvereins 1846 Nürnberg", Präsident des Landesverbandes<br />

Bayern <strong>der</strong> Deutschen Lebensrettungsgesellschaft und Dozent<br />

am St. Anna-Haus Nürnberg für Anatomie, Hygiene und Kin<strong>der</strong>krankheiten.<br />

10<br />

Schreiners Leben war in diesen Jahren also offensichtlich von Erfolg<br />

und Ansehen geprägt. Dies än<strong>der</strong>te sich jedoch abrupt mit <strong>der</strong> Machtübernahme<br />

<strong>der</strong> Nationalsozialisten. Da er aufgrund seiner Ehe in <strong>der</strong><br />

menschenverachtenden nationalsozialistischen Terminologie als "jüdisch<br />

versippt" galt und da er sich außerdem weiterhin offen zum Katholizismus<br />

bekannte, war er seit 1933 Schmähungen, Drohungen und Anfeindungen<br />

ausgesetzt, die ihn schließlich <strong>im</strong> Jahre 1937 in die Emigration<br />

trieben. Schreiner selbst berichtete später über die Zeit <strong>der</strong> Verfolgung:<br />

"Ich weise darauf hin, dass ich als Ehemann einer Jüdin <strong>im</strong> Sinne <strong>der</strong> NS-Rassenideologie<br />

in <strong>der</strong> Stadt <strong>der</strong> Reichsparteitage unter dem sattsam bekannten Gauleiter<br />

Streicher meine berufliche Tätigkeit ausüben musste. Schon von Beginn <strong>der</strong> Machtübernahme<br />

an hatte ich unter ständigen Verfolgungen zu leiden. Abgesehen davon,<br />

6 Ihre Eltern waren Jacob und Johanna SeHer.BayLEA: EG 123 800, E-Akte, BI.268.<br />

7 Ebd., B-Akte, BI.28.<br />

8 Er wurde 1919 geboren, hatte seinerseits drei Kin<strong>der</strong> und war in den USA in einem<br />

pharmazeutischen Betrieb tätig. Ebd., BI. 19.<br />

9 Seine Einkommenssituation in <strong>der</strong> We<strong>im</strong>arer Zeit und in den Jahren 1933 bis 1937 ist<br />

in den Entschädigungsakten aufgeschlüsselt; danach belief sich sein Einkommen<br />

jährlich auf 18.000 bis 20.000 RM. Ebd., BI. 108; sein Rechtsbeistand ging sogar von<br />

etwa 30.000 RM aus. Ebd., BI. 127.<br />

10 Ebd., BI. 18.<br />

104


JOSEFKARL SCHREINER<br />

dass ich auf Grund von diesen Verfolgungen um meine gesamte Existenz gebracht<br />

worden bin und mein Sohn auch um seine Ausbildung, verlor ich z. B. auch sämtliche<br />

Ehrenämter, die ich damals innehatte. [ ] Alle diese Posten wurden mir unter<br />

demütigenden Umständen abgenommen. [ ] Es gab Tage, da fürchteten wir uns,<br />

auf die Straße zu gehen, und nur meine Tätigkeit hat mir damals die Kraft gegeben,<br />

über diese Verhältnisse einigermaßen hinwegzukommen. "11<br />

Neben den Drohungen und dem Ausschluss aus den öffentlichen Ämtern<br />

musste Schreiner auch erleben, dass viele seiner Patienten mit <strong>der</strong> Begründung,<br />

dass er als Arier mit einer Jüdin verheiratet sei, wegblieben. In anonymen<br />

Telefonanrufen und Schreiben wurde er <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> unter Drohungen<br />

aufgefor<strong>der</strong>t, sich von seiner jüdischen Frau zu trennen. 12 Nationalsozialistische<br />

ärztliche "KollegenIl spuckten öffentlich vor ihm aus und<br />

mieden seine Nähe, um nicht mit "dem Aussätzigen ll13 in Berührung zu<br />

kommen.<br />

Sein Sohn, <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Zeit von 1930 bis 1934 das Neue Gymnasium in<br />

Nürnberg besuchte, wurde seit 1932 als IINicht-Arierll von Mitschülern<br />

und Lehrern seelisch wie auch körperlich so sehr gedemütigt und gequält,<br />

dass sich die Eltern <strong>im</strong> Frühling 1934 entschlossen, ihn zum September<br />

desselben Jahres in das katholische Kolleg St. Blasius bei Freiburg zu<br />

geben, wo er bis Dezember 1936 blieb. Als sich <strong>der</strong> Einfluss <strong>der</strong> Hitler-<br />

Jugend auch an dieser Schule verschärfte, schickten ihn seine Eltern Anfang<br />

1937 auf das College de L'Abbaye in St. Moritz in <strong>der</strong> Schweiz. 14<br />

11 Eidesstattliche Erklärung von Dr. Josef Schreiner, 12. August 1960 (BayLEA: EG 123<br />

800, E-Akte, BI. 184); die Verfolgung hatte auch schwerwiegende Auswirkungen auf<br />

seine Gesundheit. - Zur Situation <strong>der</strong> Juden in Nümberg seit 1933 vgI. Amd Müller:<br />

Geschichte <strong>der</strong> Juden in Nümberg 1146-1945. Beiträge zur Geschichte und Kultur<br />

<strong>der</strong> Stadt Nümberg, 12. Nümberg 1968,S. 211-235.<br />

12 BayLEA: EG 123800, B-Akte, BI.28 und 29.<br />

13 Anlage 2 zu einem Schreiben des juristischen Vertreters von Josef Schreiner <strong>im</strong><br />

Zusammenhang mit einem seiner Entschädigungsanträge vom 2. Dezember 1954.<br />

Ebd., E-Akte, BI.28f.<br />

14 Eidesstattliche Erklärung von Dr. Josef Schreiner (Anm. 11); Bescheinigung des<br />

Stadtrats zu Nümberg vom 20. Dezember 1954. Ebd., BI.65.<br />

105


JOSEF KARL SCHREINER<br />

Unter dem Druck dieser verschiedenartigen Diskr<strong>im</strong>inierungen, die<br />

vor allem Josef Schreiner psychisch extrem belasteten, entschloss sich das<br />

Ehepaar, unterstützt von dem mit ihnen befreundeten Reg<strong>im</strong>egegner<br />

Pater Rupert Mayer,15Anfang 1937 zur Emigration und reiste <strong>im</strong> März<br />

desselben Jahres <strong>im</strong> Anschluss an einen Kuraufenthalt in <strong>der</strong> Schweiz über<br />

Zürich, Paris und Le Havre nach New York aus. 16 Für Schreiner, <strong>der</strong> sich<br />

selbst als seiner Gesinnung nach patriotisch und national eingestellt charakterisierte<br />

und <strong>der</strong> "sein Leben für das Vaterland gegeben hätte, wenn<br />

es gefor<strong>der</strong>t gewesen wäre",J7 war es überaus schmerzvoll, <strong>der</strong> He<strong>im</strong>at<br />

den Rücken zu kehren. In New York musste er zunächst, nach einer Vorbereitungszeit<br />

von mehr als einem Jahr, das amerikanische Ärztliche<br />

Staatsexamen ablegen, bevor er in <strong>der</strong> zweiten Hälfte des Jahres 1938 eine<br />

neue Arztpraxis eröffnen konnte. 1B Diese hatte <strong>im</strong> Vergleich zu seiner<br />

Tätigkeit in Deutschland aber nur bescheidene Ausmaße, nicht zuletzt da<br />

Schreiner durch die Verfolgung bleibende Schäden erlitten hatte, die ihn<br />

in seiner Leistungsfähigkeit stark beeinträchtigten. 19<br />

Am 25. September 1941 erhielt <strong>der</strong> Rektor <strong>der</strong> Universität Erlangen<br />

abschriftlich die Mitteilung vom Reichsführer-SS und Chef <strong>der</strong> deutschen<br />

Polizei <strong>im</strong> Reichsministerium des Innern, dass<br />

15 Ebd., B-Akte, BI. 6. - Zu Rupert Mayer, <strong>der</strong> 1987 selig gesprochen wurde, vg1. Rita<br />

Haub: Pater Rupert Mayer. Ein Lebensbild. München 2007.<br />

16 BayLEA: EG 123 800, B-Akte, BI. 58 und ebd., E-Akte, BI. 74.<br />

17 Ebd., BI. 30.<br />

18 Ebd., E-Akte, BI. 33 und 91. Aus dem Entschädigungsakt geht auch hervor, wie hoch<br />

- neben den psychischen Belastungen - die Kosten einer Emigration und des Versuchs,<br />

beruflich wie<strong>der</strong> Fuß zu fassen, waren, vg1. Schreiben vorn 2. Februar 1956,<br />

ebd., BI. 90-94. - Zu den Schwierigkeiten, die sich den emigrierten Ärzten in New<br />

York bei <strong>der</strong> erneuten Nie<strong>der</strong>lassung entgegenstellten, vg1. Kathleen M. Pearle:<br />

Ärzteemigration nach 1933 in die USA: Der Fall New York. Medizinhistorisches<br />

Journal 19 (1984), S. 112-137.<br />

19 Ebd., B-Akte, BI. 33-38 und BI. 82-87.<br />

106


JOSEFKARL SCHREINER<br />

"gegen den deutschblütigen Josef Karl Schreiner, geboren am 10. 6. 1891 in Nürnberg,<br />

letzter inländischer Wohnsitz: Nürnberg, Allersbergerstr. 69/11,jetziger Aufenthalt:<br />

New York/USA"2o<br />

ein Verfahren auf Aberkennung <strong>der</strong> deutschen Staatsangehörigkeit eingeleitet<br />

worden sei. Nur wenige Tage später sprach sich <strong>der</strong> Dekan <strong>der</strong><br />

Medizinischen Fakultät, Richard Greving, für die Entziehung <strong>der</strong> <strong>Doktorwürde</strong><br />

von DI. Josef Schreiner aus. 21 Während die Dekane <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Fakultäten dem Votum Grevings in den darauf folgenden Tagen <strong>im</strong> üblichen<br />

Umlaufverfahren zust<strong>im</strong>mten,22 gab Friedrich Lent als amtieren<strong>der</strong><br />

Dekan <strong>der</strong> Juristischen Fakultät zu bedenken, dass mit <strong>der</strong> Einleitung des<br />

Verfahrens zur Ausbürgerung die Voraussetzung zur Aberkennung des<br />

Doktortitels noch nicht gegeben sei. 23 Nachdem jedoch die Ausbürgerung<br />

Schreiners am 11. November 1941 <strong>im</strong> Reichsanzeiger (NI. 264) veröffentlicht<br />

und dies dem Rektor offiziell mitgeteilt worden war,24wurde Dr.<br />

Josef Schreiner am 23. April 1942, zusammen mit acht an<strong>der</strong>en an <strong>der</strong><br />

Erlanger Universität Promovierten, <strong>der</strong> akademische Doktorgrad entzogen.<br />

25 Die entsprechende Veröffentlichung <strong>im</strong> Reichsanzeiger erfolgte in<br />

<strong>der</strong> Nummer 115 vom 19. Mai 1942. 26 Der Betroffene, DI. Josef Schreiner,<br />

<strong>der</strong> zu diesem Zeitpunkt bereits seit fünf Jahren in New York lebte und als<br />

20 Das Schreiben trägt das Datum 11. September 1941.UAE: Al/3a Nr. 946h, BI.1.<br />

21 Schreiben vom Dekan Richard Greving an den Rektor <strong>der</strong> Universität Erlangen vom<br />

27. September 1941.Ebd.<br />

22 Ebd.<br />

23 Stellungnahme Lents vom 14. Oktober 1941.Ebd., BI.2.<br />

24 Schreiben des Reichsministers des Innern an den Reichswissenschaftsminister mit<br />

Abschrift an den Rektor vom 8. bzw. 18. November 1941 (ebd., BI. 3). - Die Einleitung<br />

des Ausbürgerungsverfahrens bedeutete auch, dass ab diesem Zeitpunkt die<br />

Zahlung <strong>der</strong> Rente, die Schreiner als Kriegsdienstbeschädigter des Ersten Weltkriegs<br />

erhielt, eingestellt wurde. BayLEA:EG 123800, B-Akte, BI.69.<br />

25 Bekanntmachung des Rektors vom 23. April 1942. Ebd., BI.5.<br />

26 Schreiben des Rektors an das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und<br />

Kultus vom 22. Mai 1942. Ebd., BI. 6.<br />

107


JOSEFKARL SCHREINER<br />

Arzt tätig war, wurde von diesem Vorgang nicht unterrichtet und hat den<br />

Doktortitel bis an sein Lebensende verwendet.<br />

Abbildung 13: Passkarte Dr. Josef Karl Schreiner. StadtAN: C21 VII 0146.<br />

Am 9. März 1952 stellte Dr. med. Josef Schreiner, <strong>der</strong> damals in seinem<br />

61. Lebensjahr stand und aufgrund seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen<br />

nur noch "leichte Praxis als Arzt"27ausüben konnte, be<strong>im</strong> Bayerischen<br />

Landesamt für Wie<strong>der</strong>gutmachung ("Generalanwaltschaft <strong>der</strong> rassisch,<br />

religiös und politisch Verfolgten") einen "Antrag auf Grund des<br />

Gesetzes zur Wie<strong>der</strong>gutmachung nationalsozialistischen Unrechts (Entschädigungsgesetz)"28<br />

und machte zunächst Ansprüche für "Schaden an<br />

27 Versorgungsärztliches Gutachten vom 19. Februar 1955, das ihm eine Min<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> Erwerbstätigkeit um 70 Prozent bescheinigte. Ebd., BI. 66. - Seine chirurgische<br />

und geburtshilfliche Praxis hatte Schreiner bereits 1947 aufgeben müssen.<br />

28 BayLEA: EG 123 800, E-Akte, BI. 1 und 2. Schreiner wohnte damals in New York. Er<br />

hatte seine Ansprüche bereits zu einem früheren Zeitpunkt bei <strong>der</strong> amerikanischen<br />

Regierung in Washington in dem Glauben angemeldet, dass diese den Antrag an die<br />

deutschen Behörden weiterleiten würde, was jedoch nicht <strong>der</strong> Fall war, vgI. Schreiben<br />

des Deutschen Generalkonsulats in New York an das BayLEA vom 21. März<br />

1952. Ebd., BI. 13.<br />

108


JOSEF KARL SCHREINER<br />

Eigentum und Vermögen"29 sowie für "Schaden <strong>im</strong> wirtschaftlichen Fortkommen<br />

bei Versicherungs- und Rentenanstalten" geltend.3DNachdem in<br />

den folgenden Jahren noch weitere Ansprüche <strong>im</strong> Sinne des genannten<br />

Gesetzes angemeldet und zwischenzeitlich einzelne Anträge positiv entschieden<br />

worden waren, erging <strong>der</strong> letzte Bescheid in diesem Entschädigungsfall<br />

am 31. Januar 1964. 31 Im Jahre 1970 verlegte das Ehepaar Schreiner<br />

seinen Wohnsitz nach Monsey bei New York; zwei Jahre später, am 9.<br />

Dezember 1972, verstarb Josef Schreiner in seinem 82. Lebensjahr in einem<br />

Krankenhaus in Seminole, Florida. 32<br />

RW./B.S.<br />

29 Eine Aufstellung aller Vermögenswerte Josef Schreiners, die er als Verfolgter des<br />

NS-Reg<strong>im</strong>es verloren hatte, findet sich ebd., BI. 29-34.<br />

30 Ebd., BI. 5 und 7.<br />

31 Ebd., B-Akte, BI. 101-103.<br />

32 Sterbeurkunde. Ebd., BI. 142. - Nanni Schreiber starb am 27. Juli 1978 in Orlando,<br />

Florida. Ebd., E-Akte, BI. 268.<br />

109


JULIUS SICHEL<br />

* 27. März 1892, Dr. med. 20. Februar 1920<br />

Julius Sichel wurde am 27. März 1892 in Bamberg geboren l und gehörte<br />

dem israelitischen Bekenntnis an. 2 Über sein Medizinstudium gibt es keine<br />

genaueren Angaben. Als 22-Jähriger musste Sichel in den Ersten Weltkrieg<br />

ziehen und konnte daher seine Ausbildung nicht ohne Unterbrechung<br />

weiterführen; er kam erst <strong>im</strong> Dezember 1918 wie<strong>der</strong> aus dem Krieg<br />

zurück. In den Wirren <strong>der</strong> Nachkriegszeit diente Julius Sichel <strong>im</strong> Jahre<br />

1919 zudem noch als Mitglied des "Freikorps Epp" bei Kampfhandlungen<br />

um München. 3 Anschließend ging er am 1. Februar 1919 an die Universität<br />

Erlangen und promovierte an <strong>der</strong> Medizinischen Fakultät mit einer Arbeit<br />

zum Thema "Über das Fehlen <strong>der</strong> lateralen oberen Schneidezähne bei<br />

kongenitaler Syphilis". Am 20. Februar 1920 wurde ihm die Urkunde<br />

zugestellt. 4<br />

Im Jahre 1920 ließ sich Dr. Julius Sichel in Wanne-Eickel als praktischer<br />

Arzt und Geburtshelfer mit Privat- und kassenärztlicher Praxis nie<strong>der</strong><br />

und wurde ca. 1927 zusätzlich zum Knappschaftsarzt (Ruhrknappschaft<br />

Bochum) ernannt. Die feste Anstellung und seine ärztlichen Tätig-<br />

1 Schreiben des Rektors <strong>der</strong> Universität Erlangen an das Bayerische Staatsministerium<br />

für Unterricht und Kultus vom 14. Februar 1940. Universitätsarchiv Erlangen (UAE):<br />

A1/3a Nr. 946h.<br />

2 Schreiben des Reichssicherheitshauptamtes an das Reichsministerium des Innem<br />

vom 29. November 1939: "Wie mir berichtet worden ist, hat <strong>der</strong> Jude Sichel an <strong>der</strong><br />

Universität Erlangen zum Dr. med. promoviert. Ebd. Siehe das Schreiben von<br />

Richard Greving, Dekan <strong>der</strong> Medizinischen Fakultät <strong>der</strong> Universität Erlangen, an<br />

den Rektor vom 5. Januar 1940. UAE: A1/3a Nr. 946h. - Zur jüdischen Gemeinde<br />

Bambergs, die relativ klein war, vgl. Herbert Loebl: Juden in Bamberg. Die Jahrzehnte<br />

vor dem Holocaust. 2. verb. Auflage. Bamberg 2000..<br />

3 Schreiben von Julius Sichel an das Bayerische Landesentschädigungsamt (BayLEA)<br />

vom 25. Mai 1958.BayLEA: BEG3445.<br />

4 Schreiben vom Dekan <strong>der</strong> Medizinischen Fakultät an den Rektor vom 5. Januar 1940.<br />

UAE: Al/3a Nr. 946h.<br />

111


JULIUSSICHEL<br />

keiten waren mit einem jährlichen Gesamteinkommen von etwa 15.000<br />

. Reichsmark verbunden. 5 Sichel heiratete und bekam gegen Ende <strong>der</strong><br />

1920erJahre zwei Kin<strong>der</strong>.<br />

Die Machtübernahme <strong>der</strong> Nationalsozialisten än<strong>der</strong>te die Lebensbedingungen<br />

für Dr. Sichel jedoch sehr schnell und grundlegend: Aus politischen<br />

Gründen wurde er wegen seines jüdischen Bekenntnisses zum<br />

1. April 1933 als beamteter Knappschaftsarzt fristlos und ohne Versorgungsbezüge<br />

entlassen. 6 Da er in den folgenden Monaten wie<strong>der</strong>holt <strong>im</strong><br />

Polizeigefängnis Herne in "Schutzhaft" genommen wurde, zog er noch <strong>im</strong><br />

Laufe des Jahres 1933 mit seiner Familie nach München, "wo die Juden<br />

noch etwas freier leben konnten"7 und war dort fünf Jahre bis zu seiner<br />

Emigration 1938 als praktischer Arzt tätig. Als Kriegsteilnehmer erhielt er<br />

auch in München die Kassenzulassung. Er wohnte in <strong>der</strong> Schwanthalerstraße<br />

18 und hatte durch seine berufliche Tätigkeit noch die Möglichkeit<br />

eines - wenn auch deutlich niedrigeren - Einkommens. 8<br />

Die Repressalien des Staates verschärften sich jedoch zunehmend, so<br />

dass sich Julius Sichel <strong>im</strong> Frühjahr 1938 (7. April) zur Ausreise nach Südamerika<br />

entschloss. Zusammen mit seiner Frau Anna und den beiden<br />

Kin<strong>der</strong>n - zu diesem Zeitpunkt neun und zehn Jahre alt 9 - konnte Julius<br />

Sichel, nachdem er den hohen Betrag für die "Reichsfluchtsteuer" bezahlt<br />

5 BayLEA: BEG 3445, Eidesstattliche Versicherung von Julius Sichel vom 31. Juli 1959.<br />

6 Die Umstände nach seiner Entlassung als Arzt <strong>im</strong> Dienste <strong>der</strong> Ruhrknappschaft sind<br />

den Entschädigungsakten nach dem Zweiten Weltkrieg zu entnehmen. Schreiben<br />

von Julius Sichel an das Bayerische Landesamt für Wie<strong>der</strong>gutmachung, Generalanwaltschaft<br />

für rassisch, religiös und politisch Verfolgte ("Betr.: Anmeldung von<br />

Ansprüchen gemäß Gesetz zur Wie<strong>der</strong>gutmachung nationalsozialistischen Unrechts")<br />

vom 14. März 1950. BayLEA:BEG3445.<br />

7 Eidesstattliche Versicherung (Anm. 5).<br />

8 SicheIs Einkünfte verringerten sich laut seinen Angaben ab dem Jahr 1933 erheblich.<br />

BayLEA: BEG 3445.<br />

9 Weitere biographische Angaben zur Familie von Julius Sichel haben sich in den<br />

zitierten Aktenbeständen nicht erhalten.<br />

112


JULIUSSICHEL<br />

hatte, per Schiff nach Argentinien emigrieren. lo Nur um die Erlaubnis zur<br />

Ausreise zu erhalten, musste Sichel bereits "einen sehr erheblichen Betrag<br />

an die Gelddiskontbank zahlen", seinen Schätzungen nach "etwa RM<br />

60.000", lediglich <strong>der</strong> Transfer von ,,5.412,99 US-$" in die neue He<strong>im</strong>at<br />

wurde ihm gestattet. ll<br />

Aufgrund <strong>der</strong> Auswan<strong>der</strong>ung und <strong>der</strong> darauf folgenden Ausbürgerung<br />

SicheIs wurde an <strong>der</strong> Universität Erlangen 1939 ein Verfahren gegen<br />

Abbildung 14:Bekanntmachung des Rektors <strong>im</strong> Deutschen<br />

Reichsanzeiger Nr. 31 vom 6. Februar 1940 über den Entzug<br />

<strong>der</strong> <strong>Doktorwürde</strong> bei Julius Sichel. UAE: A1/3a Nr. 946h.<br />

10 Julius Sichel berichtete über die Fahrt mit <strong>der</strong> "Cap Arcona II. Klasse": ,,(...) jede<br />

Fahrkarte kostete etwa RM 900, zusammen also RM 2700. Hinzu kamen die Frachtkosten<br />

für unsere Lifts mit RM 7000 bis 8000, in denen wir unsere ganzen Möbel<br />

einer 5-Z<strong>im</strong>mer-Wohnung Schwanthalerstr. 18, mitnehmen konnte(n]." BayLEA:<br />

BEG 3445.<br />

11 Ebd.<br />

113


JULIUSSICHEL<br />

ihn eingeleitet, da er gemäß § 2 des Gesetzes vom 14. Juli 1933 li<strong>der</strong><br />

deutschen Staatsangehörigkeit für verlustig" erklärt worden warP Am 5.<br />

Januar 1940 stellte <strong>der</strong> Dekan <strong>der</strong> Medizinischen Fakultät Erlangen daher<br />

den Antrag auf Aberkennung des Doktortitels, dem die an<strong>der</strong>en Dekane<br />

<strong>im</strong> Verlauf <strong>der</strong> nächsten Tage zust<strong>im</strong>mten,13 Am 29. Januar gab dann <strong>der</strong><br />

Rektor die Entziehung <strong>der</strong> <strong>Doktorwürde</strong> bekannt und ließ sie <strong>im</strong> Deutschen<br />

Reichsanzeiger und <strong>im</strong> Preußischen Staatsanzeiger Nr. 31 vom 6.<br />

Februar 1940veröffentlichen (Abb. 14).14<br />

Dr. Julius Sichel überlebte während des Krieges in Argentinien, sein<br />

weiteres Schicksal ist in Teilen aus Anträgen auf Entschädigung in den<br />

1950er Jahren zu entnehmen. Er wohnte in <strong>der</strong> Laprida-Straße 1341in Buenos<br />

Aires, konnte aber nicht wie<strong>der</strong> als Arzt arbeiten. In einem späteren<br />

Schreiben schil<strong>der</strong>te Julius Sichel seine Lebensumstände wie folgt:<br />

"Seit <strong>der</strong> Auswan<strong>der</strong>ung habe ich dann meinen Beruf nicht mehr ausüben können<br />

und, von gelegentlichen Ausnahmen abgesehen, keinerlei Einkommen gehabt.<br />

Nachdem ich den kärglichen Rest meines Vermögens, den ich mit herausnehmen<br />

durfte, aufgegessen habe, habe ich von Unterstützungen von Verwandten gelebt<br />

und von dem, was meine Frau und meine Kin<strong>der</strong> verdient haben, da es mir nicht<br />

möglich war, hier noch einmal das ärztliche Examen nachzuholen, wozu ein neues<br />

Studium nötig gewesen wäre."15<br />

In einer eidesstattlichen Versicherung gab Sichel des Weiteren an:<br />

"Am 26. April 1938 kam ich nach Buenos Aires mit einem Kapital von ca. 20.000<br />

Pesos. Meine Kin<strong>der</strong> waren 9 und 10 Jahre alt. Zunächst versuchte ich, durch<br />

Vertretungen in Haushaltswaren [sic] mir eine Existenz aufzubauen. Im Januar 1939<br />

12 Schreiben des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom<br />

15. Dezember 1939.UAE: A1/3a Nr. 946h.<br />

13 Schreiben von Dekan Greving an den Rektor vom 5. Januar 1940 und Umlaufverfahren<br />

vom 9. bis 13.Januar 1940.Ebd.<br />

14 Bekanntmachung des Rektors Hermann Wintz vom 29. Januar 1940. Ebd.<br />

15 Diese Schil<strong>der</strong>ung entstammt <strong>der</strong> "Anlage zur Schadensanmeldung Dr. Julius<br />

Sichel" als Abschnitt "Schil<strong>der</strong>ung des Verfolgungsvorganges". Schreiben des Anwalts<br />

von Julius Sichel an das Bayerische Landesamt für Wie<strong>der</strong>gutmachung vom<br />

25. Mai 1957. BayLEA:BEG3445.<br />

114


JULIUS SICHEL<br />

beteiligte ich mich an einer Mineralmühle, die ich mit Verlust eines großen Teiles<br />

meines Vermögens Mitte des Jahres 1940verkaufen musste." 16<br />

Auch für seine gesundheitliche Situation blieb <strong>der</strong> schwierige Neubeginn<br />

in Südamerika nicht ohne Folgen: Seit 1940 litt er unter verschiedenen<br />

schweren Erkankungen, die chronische Schäden nach sich zogen. 17 Auf die<br />

Folgen, die dies für sein Leben hatte, ging er noch ausführlicher ein:<br />

"Meine Erkrankungen und meine schlechten finanziellen Verhältnisse machten mir<br />

ein Studium unmöglich, so dass ich nicht revalidieren [regenerieren] konnte.<br />

Während all dieser Jahre versuchte ich, mit Sprachunterricht und gelegentlichen<br />

leichteren an<strong>der</strong>en Beschäftigungen zum Lebensunterhalt meiner Familie beizutragen.<br />

Durch meine Arbeit habe ich nie das Existenzmin<strong>im</strong>um erreicht, so dass ich<br />

auch keine Steuern zu zahlen hatte." 18<br />

Die von den Nationalsozialisten erzwungene Emigration bedeutete aber<br />

nicht nur für Julius Sichel selbst die Zerstörung seines ursprünglichen<br />

Lebensplans, son<strong>der</strong>n wirkte sich auch auf die Existenz <strong>der</strong> gesamten<br />

Familie aus:<br />

"Meine Frau hat durch ihre Arbeit als Vertreterin einiger Fabriken den größten Teil<br />

des Lebens bestritten. Mein Sohn verdiente sich seit seinem 15. Lebensjahr sein<br />

Studium und später auch für den Haushalt. Meine Tochter konnte <strong>der</strong> finanziellen<br />

Verhältnisse wegen ihr Studium nicht durchführen und unterbrach dieses, um mit<br />

15Jahren eine Stelle anzunehmen. In den ersten Jahren meines hiesigen Aufenthaltes<br />

und beson<strong>der</strong>s in <strong>der</strong> Zeit meiner schweren Erkrankungen musste ich die Hilfe<br />

meines Bru<strong>der</strong>s in Anspruch nehmen." 19<br />

Am 5. November 1951 wandte sich ein von ihm beauftragter argentinischer<br />

Rechtsanwalt Dr. J. P. aus Buenos Aires mit einem "Antrag auf<br />

Grund des Gesetzes zur Wie<strong>der</strong>gutmachung nationalsozialistischen Un-<br />

16 Ebd.<br />

17 Seine verschiedenen Erkrankungen belegte Sichel mit Attesten eines Dr. B. und des<br />

Botschaftsarztes Dr. F. A. V. Ebd.<br />

18 Ebd.<br />

19 Ebd.<br />

115


JULIUSSICHEL<br />

rechts" (14. März 1950) an das Bayerische Landesentschädigungsamt,2o<br />

Der Anwalt machte <strong>im</strong> Auftrag SicheIs Ansprüche gemäß Schaden an<br />

Eigentum und Vermögen "durch Zerstörung, Verunstaltung, Plün<strong>der</strong>ung,<br />

Flucht o<strong>der</strong> Auswan<strong>der</strong>ung", "durch Son<strong>der</strong>abgaben und Reichsfluchtsteuer"<br />

sowie "durch sonstige schwere Schädigung" geltend. Den "Schaden<br />

<strong>im</strong> beruflichen und wirtschaftlichen Fortkommen" hatte Sichel bereits<br />

<strong>im</strong> April 1950 als Entschädigungsanspruch gegen die Ruhrknappschaft<br />

Bochum angeführt; daraufhin war ihm von dort eine Pension bewilligt<br />

worden.<br />

Durch das Bayerische Landesentschädigungsamt erging am 31. Juli<br />

1956 <strong>der</strong> Bescheid, dass Dr. Julius Sichel eine Entschädigung zuerkannt<br />

wurde. 21 Hinsichtlich des erlittenen "Transferschadens" erreichte Sichel<br />

erst nach einer Klage gegen den Freistaat Bayern Anfang 1957, dass ihm<br />

ein weiterer Entschädigungsbetrag zugestanden wurde. 22<br />

In seinem letzten erhaltenen Brief schreibt <strong>der</strong> 66jährige Sichel <strong>im</strong> Mai<br />

1958: "Heute ist mein Gesundheitszustand so, dass ich keine 200 Meter<br />

ohne Herzbeschwerden gehen kann und jede Erregung mir einen Anfall<br />

von Angina pectoris auslöst". Der Arzt war durch sein Schicksal schwer<br />

gezeichnet und hatte mit "Julio Sichel" auch seinen Namen <strong>der</strong> neuen<br />

He<strong>im</strong>at angepasst - aber den Doktortitel auf seinem Briefkopf geführt,23<br />

Über das weitere Schicksal von Dr. Julius Sichel und das Todesdatum gibt<br />

es keine Angaben.<br />

A.F./B.S.<br />

20 Bayerisches Landesamt für Wie<strong>der</strong>gutmachung, Generalanwaltschaft für rassisch,<br />

religiös und politisch Verfolgte. BayLEA:BEG 3445.<br />

21 Ebd.<br />

22 Dieser Sachverhalt ist Inhalt des "Protokoll[s] über eine Klage Dr. Sicheis" vom<br />

12. Januar 1957. Ebd. Der letztlich gewährte Betrag belief sich auf etwa 10 Prozent<br />

<strong>der</strong> seinerzeit von ihm zwangsweise entrichteten Reichsfluchtsteuer.<br />

23 Siehe den Briefkopf des Schreibens vom 25. Mai 1958: "Dr. Julio Sichel". BayLEA:<br />

BEG 3445.<br />

116


I.,<br />

JULIUS SICHEL<br />

I. 'I. .<br />

Jr ·ß !<br />

n..... i!!!;che i'~l.',Ult:t /~ V.' '.'....<br />

1·<br />

~l";';'·'.~,~<br />

.m._9., 1. Ifl' Nr.L /~<br />

An das Rektorat <strong>der</strong> Universität Erlangen zurüc~it <strong>der</strong> Mit-' I.<br />

teilung,daß <strong>der</strong> Jude, Julius S ich e l,geboren sm 27.3.1892 zu !<br />

. ~ .<br />

Bsmberg am 26. November 1919 an <strong>der</strong> Medizinischen Fakultät <strong>der</strong> Uni- I<br />

versität Erlangen zum Dr. med. promoviert hat. I<br />

Die Urkunde wurde ihm am 19· F.ebruaz;.~9~.2~ugestellt.Jch<br />

-<br />

stelle;<br />

den Antrag,daß <strong>der</strong> verliehene Doktortitel entzogen wird.. 1<br />

Erlangen,den 5. Januar 1940.<br />

Abbildung 15: Universitätsintemer Schriftverkehr über Eröffnung und<br />

Verlauf des Verfahrens zur Aberkennung bei Julius Sichel vom<br />

31. Dezember 1939 bis 6. Januar 1940. UAE: Al/3a Nr. 946h.<br />

117


THEODOR HOLZINGER<br />

* 28. Mai 1895, Dr. med. 12. Mai 1922<br />

Theodor Holzinger kam am 28. Mai 1895 in Bayreuth zur Welt. Sein Vater,<br />

Dr. Emil Holzinger, war ebenfalls Arzt und verheiratet mit Hannchen<br />

Holzinger (geb. Dietenhöfer). Nach dem Besuch <strong>der</strong> Volksschule Bayreuth<br />

ging Theodor Holzinger für sieben Jahre auf das dortige Humanistische<br />

Gymnasium. Anschließend wechselte er für weitere zwei Jahre an das<br />

Gymnasium Cas<strong>im</strong>irianum in Coburg, das er 1914 mit dem Abitur abschloss.<br />

Noch <strong>im</strong> Herbst begann Theodor Holzinger in Jena das Studium<br />

<strong>der</strong> Medizin, musste es jedoch wegen des Krieges bereits nach dem ersten<br />

Semester unterbrechen. Seit Februar 1915 war er Soldat bei einem Reg<strong>im</strong>ent<br />

in Bayreuth. Erst 1919 konnte er dann seine Studien in Erlangen fortsetzen,<br />

wo er <strong>im</strong> Januar des folgenden Jahres die Ärztliche Vorprüfung bestand.<br />

Im Anschluss ging er für das darauf folgende Sommersemester an<br />

die Universität Würzburg, kehrte danach für zwei Semester nach Erlangen<br />

zurück und absolvierte <strong>im</strong> Juli 1921 dort die so genannte Außerordentliche<br />

Ärztliche Prüfung für Kriegsteilnehmer.<br />

Seit dem 15. September 1921 hatte Theodor Holzinger eine Stelle als<br />

Medizinalpraktikant auf <strong>der</strong> Inneren Station des Städtischen Krankenhauses<br />

Bayreuth inne. Später war er noch in <strong>der</strong> Abteilung für Haut- und<br />

Geschlechtskrankheiten an <strong>der</strong> Medizinischen Klinik in Erlangen tätig und<br />

wurde dort ab 15. März 1922 Volontärarzt. Noch <strong>im</strong> gleichen Jahr, am 12.<br />

Mai 1922, promovierte er mit <strong>der</strong> Arbeit "Ein Fall von maligner Entartung<br />

eines Grawitzschen Tumors. Pathologisch-anatomisch-klinische Studie".1<br />

Theodor Holzinger gehörte dem israelitischen Bekenntnis an. 2 Nur auf<br />

diese Weise erklärt sich auch eine Aktennotiz, die <strong>der</strong> Dekan <strong>der</strong> Medizi-<br />

1 Die Lebensdaten bis zur Promotion sind <strong>der</strong> Vita in <strong>der</strong> Dissertation entnommen.<br />

Universitätsarchiv Erlangen (UAE):C3/3 Nr. 1921/22-57.<br />

2 Schreiben des Reichsführers-SS und Chef <strong>der</strong> Deutschen Polizei <strong>im</strong> Reichsministerium<br />

des Innem an den Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volks-<br />

119


THEODOR HOLZINGER<br />

nischen Fakultät <strong>der</strong> Universität Erlangen, Friedrich Jamin, am 4. Dezember<br />

1936 anlegte:<br />

"Zum Akt: Theodor Holzinger nach Urteil des Landgerichts Stuttgart vorn 29.10.36<br />

nach Mitteilung Oberstaatsanwalt Strafkammer 6 vorn 28.11.36 Rekt.Verf. Nr. 3166<br />

vorn 3.12.36: Rechtskräftig verurteilt wegen Rassenschande (zwei-Verbr.). Gesamtzuchthausstrafe<br />

von 2 Jahren. Aberkennung <strong>der</strong> bürgerlichen Ehrenrechte auf 5<br />

Jahre. Ausübung des ärztlichen Berufs für 5 Jahre untersagt."3<br />

Warin die Dr. Holzinger zur Last gelegte "Rassenschande" bestand, lässt<br />

sich den nur fragmentarischen Aktenbelegen nicht entnehmen. Sein letzter<br />

bekannter inländischer Wohnsitz befand sich in <strong>der</strong> Albert Schäffle-Straße<br />

122 in Stuttgart.<br />

Spätestens 1941 hatte Theodar Holzinger jedoch Deutschland verlassen<br />

und war nach Shanghai ausgewan<strong>der</strong>t. Diese pulsierende Hafenstadt<br />

war für viele jüdische Emigranten die letzte Zuflucht, da dort keine<br />

Visumspflicht bestand und eine Einreise auch noch sehr spät möglich<br />

war. 4 Etwa 18.000 Flüchtlinge aus dem Deutschen Reich gelangten in die<br />

kosmopolitische Gemeinde nach Shanghai. Der Kontrast zwischen Süddeutschland<br />

und dem chinesischen Exil war sicherlich erheblich, und die<br />

Lebensbedingungen müssen für Theodor Holzinger außerordentlich<br />

schwierig gewesen sein. 5<br />

bildung vorn 20. Mai 1941, mit Abschrift an den Rektor <strong>der</strong> Universität Erlangen<br />

vorn 28. Mai 1941. UAE: A1/3a Nr. 946d.<br />

3 Aktennotiz des Dekans <strong>der</strong> Medizinischen Fakultät vorn 4. Dezember 1936. UAE:<br />

C3/3 Nr. 1921/22-57.<br />

4 Siehe etwa auch die Erfahrungen des österreichischen Arztes Alfred W. Kneucker<br />

(1904-1960):Alfred W. Kneucker: Zuflucht in Shanghai. Aus den Erlebnissen eines<br />

österreichischen Arztes in <strong>der</strong> Emigration 1938-1945, bearb. und hrsg. von Felix<br />

Gamillscheg. Wien u.a. 1984, o<strong>der</strong> die Autobiographie von Emest Heppner: Emest<br />

G. Heppner: Fluchtort Shanghai. Erinnerungen 1938-1948.Aus dem Amerikanischen<br />

von Roberto de Hollanda. Bonn 1998.<br />

5 Zu Shanghai als Emigrationsziel siehe allgemein Georg Armbrüster: Exil Shanghai:<br />

1938-1947. Jüdisches Leben in <strong>der</strong> Emigration. Teetz 2000; Astrid Freyeisen:<br />

Shanghai und die Politik des <strong>Dritten</strong> Reiches. Würzburg 2000 (zugleich Würzburg,<br />

120


THEODOR HOLZINGER<br />

Am 20. Mai 1941 wurde gegen "den Juden Dr. med. Theodor Israel<br />

Holzinger ein Verfahren auf Aberkennung <strong>der</strong> deutschen Staatsangehörigkeit<br />

eingeleitet, und am 28. Mai - Theodor Holzingers Geburtstag - wurde<br />

die Universität Erlangen hiervon durch ein Schreiben des Reichsministers<br />

für Wissenschaft in Kenntnis gesetzt mit <strong>der</strong> Auffor<strong>der</strong>ung, das Weitere<br />

zu veranlassen. 6 Der Dekan <strong>der</strong> Medizinischen Fakultät stellte daraufhin<br />

am 16. Juni fest, dass die Voraussetzung für die Entziehung des Doktorgrades<br />

gegeben sei; dieser Beurteilung st<strong>im</strong>mten die an<strong>der</strong>en Dekane<br />

innerhalb von wenigen Tagen <strong>im</strong> üblichen Umlaufverfahren zu?<br />

/},'y /X, 'tvw}U. , ~'IJ-/.h'---f<br />

"'


THEODOR HOLZINGER<br />

Dr. Theodor Holzinger war jedoch zu diesem Zeitpunkt schon nicht<br />

mehr am Leben: Er war am 27. März 1941 unter ungeklärten Umständen<br />

in Shanghai verstorben. Er war nur 45 Jahre alt geworden. Die Information<br />

über Holzingers Tod wurde <strong>der</strong> Universität am 19. August 1941 übermittelt;<br />

die gegen ihn eingeleiteten Ausbürgerungs- und Aberkennungsverfahren<br />

wurden danach für gegenstandslos erklärt. 8<br />

B.S./A.F.<br />

8 Schreiben des Reichsführers-SS und Chef <strong>der</strong> deutschen Polizei <strong>im</strong> Reichsministerium<br />

des Innem vom 13. August 1941 an den Reichsminister für Wissenschaft,<br />

Erziehung und Volksbildung, mit beglaubigter Abschrift an den Rektor vom 19.<br />

August 1941.Ebd.<br />

122


ALBERT FROHMANN<br />

* 10. Januar 1897, Dr. med. 4. April 1922<br />

Albert Frohmann wurde am 10. Januar 1897 in Oettingen (Bayern) geboren.<br />

I Seine Eltern waren <strong>der</strong> Kaufmann Salomon Frohmann (1851-1913)<br />

und Amalie Frohmann, geb. Oppenhe<strong>im</strong>er (1859-1904).2Beide Familien<br />

waren jüdischen Bekenntnisses. 3 Albert hatte noch eine Schwester Barbara,<br />

die 1892 zur Welt gekommen war. Bereits mit sechs Jahren verlor Albert<br />

Frohmann seine Mutter. Er besuchte zunächst die Israelitische Volksschule<br />

und danach von 1906 bis 1912 das Progymnasium in Oettingen. 4<br />

Nachdem <strong>im</strong> Mai 1913 auch sein Vater gestorben war, ging <strong>der</strong> 16jährige<br />

Albert zusammen mit seiner Schwester <strong>im</strong> Dezember desselben Jahres<br />

nach Coburg. 5 Wie und bei wem die beiden Geschwister dort gelebt haben<br />

und ob Albert die Schule am Ort besucht hat, wissen wir nicht. Er selbst<br />

berichtet in seiner Vita, dass er <strong>im</strong> Januar 1915 auf das Humanistische<br />

Gymnasium in Amberg kam.<br />

1 Wenn nicht an<strong>der</strong>s vermerkt, sind die Daten <strong>der</strong> Vita bis zur Promotion <strong>der</strong> Dissertation<br />

entnommen. Universitätsarchiv Erlangen (UAE): C3/3 Nr. 1920/21-74.<br />

2 Vgl. die Dokumentation des Jüdischen Friedhofs in Oettingen von Rolf Hofmann:<br />

Jewish cemetery Oettingen grave list, compiled by Rolf Hofmann, Mario Jacoby,<br />

Petra Ostenrie<strong>der</strong>, updated version of 26 Jul 2006, Grab 130 und 088 (http://<br />

www.alemannia-judaica.de/oettingen_friedhof.htm. zuletzt aufgerufen am 9. März<br />

2008); für diesen und weitere Hinweise danken wir <strong>der</strong> Leiterin des He<strong>im</strong>atmuseums<br />

und Archivs in Oettingen, Frau Dr. Petra Ostenrie<strong>der</strong>. - Amalie Oppenhe<strong>im</strong>er,<br />

die in Aufseß geboren war, und Salomon ("Salo") Frohmann, dessen Familie aus<br />

Oettingen stammte, heirateten am 20. April 1882.<br />

3 Oettingen war eine <strong>der</strong> ältesten jüdischen Gemeinden Deutschlands, vgl. Baruch Z.<br />

Ophir/Falk Wiesemann (Hrsg.): Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918-1945.<br />

Geschichte und Zerstörung. München, Wien 1979,S. 315 und 490.<br />

4 Freundliche Mitteilung von Frau Dr. Ostenrie<strong>der</strong>.<br />

5 Nach einer Notiz <strong>im</strong> Archiv Oettingen: "am 9. Dezember 1913nach Coburg ... ".<br />

123


ALBERTFROHMANN<br />

Von Juni 1915 bis zum Januar 1919 leistete er Dienst <strong>im</strong> Heer. Wohl<br />

parallel dazu - vermutlich <strong>im</strong> Wintersemester 1917/18 6 - nahm Albert<br />

Frohmann das Studium <strong>der</strong> Medizin auf, wovon er sechs Semester in<br />

München, ein Semester in Würzburg und zwei Semester in Erlangen absolvierte.<br />

Er legte <strong>im</strong> Frühjahr 1921 seine Ärztliche Prüfung in Erlangen<br />

ab 7 und wurde am 13. Mai desselben Jahres mit einer Arbeit über Frühgeburten<br />

zum Doktor <strong>der</strong> Medizin promoviert. 8 Die Promotionsurkunde<br />

wurde am 4. April ausgestellt. 9<br />

Spätestens 1926 eröffnete Albert Frohmann in <strong>der</strong> Augustenstraße in<br />

München eine Allgemeinpraxis mit Zulassung zu allen Krankenkassen,lo<br />

die sich sehr gut entwickelte. l1 Er erfreute sich als Arzt <strong>der</strong> Anerkennung<br />

seiner Kollegen l2 und war bei den Patienten sehr beliebt: "Herr Dr. Frohmann<br />

[... ] war wegen seiner Tüchtigkeit und selbstlosen Hilfsbereitschaft<br />

6 Laut einer Mitteilung des Stadtarchivs München, die wir ebenfalls Frau Dr. Ostenrie<strong>der</strong><br />

verdanken, ist Albert Frohmann am 4. Oktober 1917nach München gezogen.<br />

7 Seine Approbation erhielt er am 3. Dezember 1921, vgl. Schreiben von W. Römer an<br />

Albert Frohmann vom 28. Februar 1980.UAE: C3/3 Nr. 1920/21-74.<br />

8 Albert Frohmann: Lebensfähigkeit, Körperlänge und Gewicht von Frühgeburten <strong>im</strong><br />

7. und 8. Schwangerschaftsmonat (unter Berücksichtigung des Materials an <strong>der</strong><br />

Univ. Frauenklinik Erlangen in den Jahren 1911-1920).Diss. med. Erlangen 1922.<br />

9 Schreiben des Dekans <strong>der</strong> Medizinischen Fakultät Greving an den Rektor vom 14.<br />

Februar 1940.UAE: A1/3a Nr. 946b.<br />

10 Schreiben <strong>der</strong> Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns Bezirksstelle München, vom<br />

12. November 1954. Bayerisches Landesentschädigungsamt (BayLEA): EG 29607:"Es<br />

kann nur aufgrund noch vorhandener alter Kassenarztverzeichnisse bestätigt werden,<br />

dass Herr Dr. Albert Frohmann als Allgemeinpraktiker in München, Augustenstr.<br />

24/1, seit dem Jahre 1926 bis zum 1. Oktober 1938, wo er aus rassepolitischen<br />

Gründen seine Praxis aufgeben musste, zu allen Kassen ordentlich zugelassen war."<br />

11 Schreiben von Frohmanns Anwalt an das BayLEA vom 24. Juni 1957: "Sein Einkommen<br />

bis 1933 war durchschnittlich RM 15.000jährlich". Ebd.<br />

12 Bescheinigung des Dr. med. E. H. vom 18.Juli 1957:"Herr Dr. Albert Frohmann, den<br />

ich ungefähr seit 1924 kenne, hat durch seinen Fleiß, durch seine gute Ausbildung<br />

ebenso wie durch sein ruhiges Wesen und seine große Hilfsbereitschaft sich in kurzer<br />

Zeit einen großen Kreis von Patienten erworben". Ebd.<br />

124


ALBERTFROHMANN<br />

bei seinen Patienten beson<strong>der</strong>s geschätzt und verehrt.// 13<br />

Nach <strong>der</strong> Machtübernahme durch die Nationalsozialisten ging sein<br />

Einkommen infolge <strong>der</strong> Boykottmaßnahmen nach eigener Schätzung bis<br />

zum Jahre 1937 um ca. 40 Prozent zurück. Unter dem Druck <strong>der</strong> <strong>im</strong>mer<br />

schwieriger werdenden Existenzsicherung und <strong>der</strong> zunehmenden Boykott-<br />

und Gewaltmaßnahmen <strong>der</strong> Nationalsozialisten gegen die Juden 14<br />

sah er sich dann <strong>im</strong> Juli 1938 zur Emigration gezwungen. 15 Er reiste über<br />

die Schweiz nach Frankreich und fuhr von dort mit <strong>der</strong> //Ile de France//<br />

nach New York. Hier musste er sich zunächst in verschiedenen Kursen auf<br />

das ärztliche Zusatzexamen vorbereiten, das er 1939 erfolgreich ablegte, so<br />

dass er <strong>im</strong> Dezember 1939 wie<strong>der</strong> praktizieren konnte. 16<br />

Am 4. Juli 1939 übersandte <strong>der</strong> Reichsminister des Innern dem Reichsminister<br />

für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung die 108. Ausbürgerungsliste,<br />

die am 11. Juli 1939 (Nr. 157) <strong>im</strong> Deutschen Reichsanzeiger<br />

veröffentlicht werden sollteP Auf dieser Liste befand sich auch <strong>der</strong> Name<br />

13 Eidesstattliche Versicherung von Frau H. B. vom 1. August 1957.Ebd.<br />

14 Zu den einzelnen Maßnahmen, mit denen die jüdischen Ärzte in Bayern aus ihrem<br />

Beruf gedrängt wurden, vgl. Axel Drecoll et al.: Nationalsozialistische Verfolgung<br />

<strong>der</strong> jüdischen Ärzte in Bayern. München 1998.<br />

15 Schreiben von Frohmanns Anwalt an das BayLEA vom 24. Juni 1957. Ebd. Vgl.<br />

ferner die Eidesstattliche Versicherung von Frau H. B. vom 1. August 1957:"Trotzdem<br />

je<strong>der</strong> in meinem Bekanntenkreise Dr. Frohmann gerne weiterhin konsultiert<br />

hätte, trauten sich die meisten seiner Klienten aus Furcht vor nazistischen Desavuierungen<br />

[sie] nicht mehr, seine Praxis aufzusuchen. Die Folge war natürlich, dass<br />

die ursprünglich bestens gehende Arztpraxis <strong>im</strong>mer mehr zurückging bis zu einem<br />

Grade, <strong>der</strong> überhaupt keine weitere Lebensexistenz mehr zuliess". Ebd. - Seine<br />

Praxis hatte Frohmann Ende 1934in die Karlstraße 50 verlegt.<br />

16 Schreiben des Anwalts (Anm. 11).<br />

17 Alle <strong>im</strong> Folgenden erwähnten Schriftstücke, die sich auf die Aberkennung des<br />

Doktortitels beziehen, finden sich in UAE: A1/3a Nr. 946b. - Im Standesamt Oettingen<br />

findet sich überdies ein Schreiben <strong>der</strong> Gehe<strong>im</strong>en Staatspolizei Augsburg vom<br />

17. November 1939 an den Landrat in Nördlingen mit <strong>der</strong> Mitteilung, dass Albert<br />

Frohmann die Deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt worden sei; diese Information<br />

verdanken wir ebenfalls Frau Dr. Petra Ostenrie<strong>der</strong>.<br />

125


ALBERT FROHMANN<br />

"Frohmann", <strong>der</strong> angeblich "<strong>im</strong> Jahre 1931 an <strong>der</strong> Universität Erlangen<br />

zum Dr. med." promoviert worden war. Der Rektor, <strong>der</strong> diese Liste Ende<br />

Januar 1940 abschriftlich erhielt, bat den Dekan, wie üblich, um seine<br />

Stellungnahme. Nachdem <strong>der</strong> Dekan sich - mit Korrektur des Promotionsdatums<br />

- dem Gesetz folgend für die Entziehung <strong>der</strong> <strong>Doktorwürde</strong><br />

ausgesprochen hatte und die übrigen Dekane sich diesem Votum innerhalb<br />

weniger Tage angeschlossen hatten, gab <strong>der</strong> Rektor Hermann Wintz<br />

am 23. Februar 1940bekannt, dass Albert Frohmann mit Datum <strong>der</strong> Veröffentlichung<br />

die" Würde eines Doktors <strong>der</strong> Medizin" entzogen worden sei.<br />

Der Vollzug <strong>der</strong> Entziehung wurde am 23. März 1940 in <strong>der</strong> Nr. 70 des<br />

Deutschen Reichsanzeigers gemeldet. Albert Frohmann wurde von diesem<br />

Vorgang nicht unterrichtet und hat es offenkundig, wie die erhaltene<br />

Korrespondenz <strong>der</strong> Nachkriegszeit zeigt, auch nie erfahren.<br />

Im Jahre 1955 stellte Albert Frohmann, <strong>der</strong> zu diesem Zeitpunkt in<br />

Queens Village in New York lebte, be<strong>im</strong> Bayerischen Landesentschädigungsamt<br />

mehrere Anträge auf Schadensersatz nach dem "Bundesergänzungsgesetz<br />

zur Entschädigung für Opfer <strong>der</strong> nationalsozialistischen Verfolgung<br />

(BEG)" vom 18.9.1953, von denen einige abgelehnt, an<strong>der</strong>e, wie<br />

<strong>der</strong> Antrag auf Entschädigung wegen "Schaden <strong>im</strong> beruflichen Fortkommen"<br />

anerkannt wurden. t8 Aus <strong>der</strong> entsprechenden Akte geht hervor,<br />

dass Albert Frohmann bei seiner Emigration zwar einen Teil seiner Wohnungs-<br />

und Praxiseinrichtung nach New York hatte ausführen können,<br />

dass er aber erst seit Ende <strong>der</strong> vierziger Jahre seinen Lebensunterhalt<br />

durch die Praxiseinnahmen bestreiten konnte,19<br />

Albert Frohmann ist offenkundig in den 1970er Jahren - möglicherweise<br />

aber auch schon früher - nach Deutschland zurückgekehrt. Diese<br />

Vermutung ergibt sich aus <strong>der</strong> Tatsache, dass er <strong>im</strong> Jahre 1974 auf dem<br />

Jüdischen Friedhof in Oettingen einen Gedenkstein für seine Schwester<br />

18 Bescheid vom 14. Oktober 1958. BayLEA: EG 29607.<br />

19 Ebd.<br />

126


ALBERT FROHMANN<br />

Barbara, die am 5. Februar 1974 verstarb, errichten ließ.20 Am 17. Januar<br />

1980, <strong>im</strong> Alter von 83 Jahren also, wendete er sich als "Dr. med. Albert<br />

Frohman" - er hatte offenkundig in den USA seinen Namen <strong>der</strong> amerika-<br />

nischen Schreibweise angepasst - von einer Münchner Anschrift aus mit<br />

folgenden Worten an die Medizinische Fakultät <strong>der</strong> Erlanger Universität:<br />

"Nach meiner Rückkehr aus den U.S.A. benötige ich eine Kopie meiner deutschen<br />

Approbations-Urkunde als Arzt. Ich habe mein medizinisches Staatsexamen <strong>im</strong><br />

Jahre 1921 an <strong>der</strong> Universität Erlangen abgelegt. Im Jahre 1938 bin ich nach U.S.A.<br />

ausgewan<strong>der</strong>t und habe dort <strong>im</strong> Staate New York bei <strong>der</strong> zuständigen Behörde<br />

meine Original Approbations-Urkunde hinterlegt. Ich wäre Ihnen zu grossem Dank<br />

verpflichtet, wenn Sie mir in dieser Angelegenheit behilflich sein könnten, die Kopie<br />

zu erhalten."21<br />

Die Verwaltung <strong>der</strong> Universität, die <strong>der</strong> Dekan um Erledigung <strong>der</strong> Anfrage<br />

bat, verwies Albert Frohmann an das Bayerische Staatsministerium des<br />

Innern als die für die Erteilung <strong>der</strong> Approbation zuständige Behörde. 22 Die<br />

Depromotion wurde in diesem Brief nicht erwähnt. Allerdings fällt auf,<br />

dass, <strong>im</strong> Gegensatz zum Dekan, <strong>der</strong> Sachbearbeiter <strong>der</strong> Verwaltung, <strong>der</strong><br />

sich zur Beantwortung <strong>der</strong> Anfrage in den Akten sachkundig gemacht<br />

hatte, sowohl in <strong>der</strong> Anschrift als auch in <strong>der</strong> Anrede den Doktortitel weg-<br />

ließ. Ob Albert Frohmanns Bitte erfüllt worden ist, entzieht sich unserer<br />

Kenntnis. Er starb am 17. November 1984 in einem Seniorenhe<strong>im</strong> in Mün-<br />

chen <strong>im</strong> Alter von 87 Jahren und wurde <strong>im</strong> Grab seines Vaters auf dem<br />

Jüdischen Friedhof seiner Geburtsstadt Oettingen beigesetzt. 23<br />

20 Unter <strong>der</strong> Intemetadresse http://www.alemannia-judaica.de/oettingen_friedhof.htm<br />

(zuletzt aufgerufen am 23. März 2008) findet sich eine Abbildung des Grabsteins, <strong>der</strong><br />

unter den Lebensdaten <strong>der</strong> Schwester die Aufschrift trägt: "In treuem Gedenken<br />

Dein Bru<strong>der</strong> Albert".<br />

21 UAE: C3/3 Nr. 1920/21-74.<br />

22 Ebd.<br />

23 Vgl. die Dokumentation des Jüdischen Friedhofs in Oettingen von Rolf Hofmann<br />

(Anm. 2), Grab 130: "pedestal notes a son Albert Frohmann (10 Jan 1897 Oettingen-<br />

17 Nov 1984 Munich), he is said to have died in a Munich horne for old people, the<br />

um with his ashes being buried in his father's grave."<br />

127


128<br />

ALBERT FROHMANN<br />

Abbildung 17: Grab von Dr. Albert Frohmann und von seinem Vater Salomon<br />

auf dem Oettinger Friedhof. Siehe http://www.uni-ulm.de/uni/fak/zawiw/<br />

ries/Juedische_Friedhoefe/oett.htm (zuletzt aufgerufen am 23. Mai 2008).<br />

R.W./A.T.


ADOLF HOLLERBUSCH<br />

* 23. Juli 1900, Dr. med. 20. Januar 1926<br />

Adolf Hollerbusch kam am 23. Juli 1900 in Fürth als Sohn des Sanitätsrats<br />

und praktischen Arztes Dr. Josef HollerbuschI und Berta Hollerbusch, geb.<br />

Reitzenberger, zur Welt. 2 Nach <strong>der</strong> Volksschule besuchte er ab 1910 das<br />

Humanistische Gymnasium in Fürth, musste den Schulbesuch <strong>im</strong> Juni<br />

1918 jedoch unterbrechen und bis Kriegsende Heeresdienst leisten. Nach<br />

seiner Entlassung am 13. Dezember 1918 kam er in die Oberklasse des<br />

Fürther Gymnasiums, legte dort 1919 seine Reifeprüfung ab und war anschließend<br />

vom 21. April bis 15. Juli in einem Freicorps.<br />

Zum Wintersemester desselben Jahres begann er das Studium <strong>der</strong><br />

Medizin an <strong>der</strong> Universität Würzburg, wo er <strong>im</strong> Februar 1922 die Ärztliche<br />

Vorprüfung bestand. Hier schloss er sich <strong>der</strong> jüdischen Studentenverbindung<br />

Salia an. 3 Zum Sommersemester 1922 wechselte er dann an die<br />

Universität Erlangen, legte dort <strong>im</strong> Herbst 1924 das Medizinische Staatsexamen<br />

ab und absolvierte sein Medizinalpraktikum auf <strong>der</strong> Station für<br />

Hautkranke <strong>im</strong> Städtischen Krankenhaus in Nürnberg. Am 11. Februar<br />

1925 wurde Adolf Hollerbusch mit einer Arbeit zur Häufigkeit von Tumoren<br />

in Erlangen promoviert;4 die Urkunde wurde ihm am 20. Januar 1926<br />

ausgehändigt. Anschließend ließ er sich als praktischer Arzt, Chirurg und<br />

1 Vgl. die Biographie Josef Hollerbuschs oben S. 63-67.<br />

2 Die Lebensdaten Adolf Hollerbuschs bis zur Promotion sind <strong>der</strong> Vita in seiner Dissertation<br />

entnommen. Universitätsarchiv Erlangen (UAE): C3/3 Nr. 1924/25-24; vgl.<br />

außerdem Reiner Strätz: Biographisches Handbuch Würzburger Juden, 1900-1945.<br />

Bd. 1. Würzburg 1989, S. 273; ferner Bayerisches Landesentschädigungsamt (Bay<br />

LEA):BEG 18912.<br />

3 Siehe Strätz (Anm. 2), S. 273.<br />

4 Adolf Hollerbusch: Über die Häufigkeit des Carcinoms. Eine Statistik nach den<br />

Befunden des Pathologischen Instituts zu Erlangen aus den Jahren 1908-1922.Diss.<br />

med. Erlangen 1925.<br />

129


ADOLF HOLLERBUSCH<br />

Geburtshelfers in seiner He<strong>im</strong>atstadt nie<strong>der</strong>, wo er mit seinen Eltern in gemeinsamer<br />

Wohnung lebte. 6<br />

Nach <strong>der</strong> Machtübernahme durch die Nationalsozialisten und <strong>der</strong><br />

Verordnung des Reichsarbeitsministeriums vom 22. April 1933, mit <strong>der</strong><br />

allen Kassenärzten "nicht-arischer" Abstammung die Zulassung zu den<br />

Krankenkassen entzogen wurde, verlor auch Hollerbusch seine Existenzgrundlage.<br />

Darüber hinaus wurde er <strong>im</strong> Juli 1933vorübergehend verhaftet<br />

und anschließend zur Emigration gezwungen:<br />

"Der Antragsteller [Dr. Adolf Hollerbusch] wurde mit seinem Vater in <strong>der</strong> Nacht<br />

zum 20. Juli 1933 durch die SA verhaftet und gezwungen, in Filzpantoffeln zum<br />

städtischen Friedhof und zurück zu marschieren, wobei er durch Fußdritte [sie] in<br />

die Fersen und in beide Waden zu schnellerem Gehen angetrieben wurde. An diesen<br />

Vorfall schloß sieh eine mehrtägige Schutzhaft auf dem Polizeiamt in Fürth in<br />

Bayern an. Die Freilassung des Antragstellers erfolgte nur unter <strong>der</strong> Bedingung, dass<br />

er sich verpflichtete, sofort die Stadt zu verlassen."7<br />

Durch diese Misshandlung traumatisiert und an Verfolgungsängsten leidend,<br />

bereitete Hollerbusch seine Emigration vor und reiste noch <strong>im</strong> September<br />

desselben Jahres über Hamburg nach Porto in Portugal.8 Dort<br />

musste er dann zunächst erneut die ärztlichen Prüfungen ablegen und<br />

erhielt 1936 die portugiesische Approbationsurkunde. 9 Er nahm danach<br />

zwar die ärztliche Tätigkeit wie<strong>der</strong> auf, konnte jedoch infolge <strong>der</strong> verschiedenartigen<br />

Belastungen durch die erzwungene Emigration "nur<br />

schwer und unvollkommen Fuß fassen"lo und blieb in seiner körperlichen<br />

5 Vg1.Jüdisches Museum Fürth: Sammlung Helmut Steiner.<br />

6 BayLEA: BEG 18 912, D-Akte, BI. 5.<br />

7 Schreiben des Rechtsanwalts von Dr. Adolf Hollerbusch vom 15. Oktober 1957. Ebd.,<br />

B-Akte, BI. 1.<br />

8 Eidesstattliche Versicherung von Dr. Adolf Hollerbusch vom 22. Oktober 1957. Ebd.,<br />

D-Akte, BI. 5.<br />

9 Ebd., E-Akte, BI. 6 und 28.<br />

10 Ebd., B-Akte, BI. 1.<br />

130


ADOLF HOLLERBUSCH<br />

Leistungsfähigkeit dauerhaft eingeschränkt. ll Am 6. Juli 1938 heiratete er<br />

in Porto Maria Nazare de Graca Neves L<strong>im</strong>a.12Im Januar 1941 wurde<br />

ihnen ein Sohn geboren. 13<br />

Im November des Jahres 1939 wurde Adolf Hollerbusch auf Initiative<br />

des Reichsministers des Innern ausgebürgert,14 Die Universität Erlangen<br />

wurde hiervon am 20. Februar 1940 in Kenntnis gesetzt und zugleich<br />

aufgefor<strong>der</strong>t, das Weitere "hinsichtlich <strong>der</strong> Frage <strong>der</strong> Doktorentziehung"<br />

zu veranlassen. 15 Nachdem sich <strong>der</strong> Dekan <strong>der</strong> Medizinischen Fakultät<br />

nur wenige Tage später mit Bezug auf die Gesetzeslage für die Entziehung<br />

<strong>der</strong> <strong>Doktorwürde</strong> ausgesprochen hatte und die Mitglie<strong>der</strong> des zuständigen<br />

Ausschusses dieser Entscheidung <strong>im</strong> Umlaufverfahren zugest<strong>im</strong>mt<br />

hatten, ließ Rektor Wintz diesen Beschluss am 28. März 1940 <strong>im</strong> Reichsanzeiger<br />

(Nr. 73) veröffentlichen. 16<br />

Adolf Hollerbusch zog mit seiner Familie irgendwann zwischen 1938<br />

und 1947 nach Matosinhos und fungierte bis 1964 als Vertrauensarzt des<br />

deutschen Konsulats in PortoP Im November 1954 stellte er be<strong>im</strong> Bayerischen<br />

Landesentschädigungsamt einen Antrag auf Grund des Bundesergänzungsgesetzes<br />

zur Entschädigung für Opfer <strong>der</strong> nationalsozialistischen<br />

Verfolgung vom 18.9.1953 für "Schaden <strong>im</strong> beruflichen Fortkommen", <strong>der</strong><br />

<strong>im</strong> Juni 1958 positiv beschieden wurde. 18 1961 erhielt er die portugiesische<br />

11 Dies geht aus verschiedenen weiteren Schriftstücken des Entschädigungsantrags<br />

hervor. VgI. z.B ebd., E-Akte, BI.28 und 35.<br />

12 Maria Nazare da Graca Neves L<strong>im</strong>a war am 11. Februar 1904 geboren und hatte eine<br />

Ausbildung als Hebamme absolviert. Ebd., BI.28.<br />

13 Ebd., F-Akte, BI.4.<br />

14 Schreiben des Reichsministers des Innern an den Reichsminister für Wissenschaft,<br />

Erziehung und Volksbildung vom 31. Oktober 1939. UAE: A1/3a Nr. 946d; Deutscher<br />

Reichsanzeiger Nr. 261 vom 7. November 1939.<br />

15 Der Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung an den Rektor<br />

vom 20. Februar 1940. UAE: A1/3a Nr. 946d.<br />

16 Ebd.<br />

17 BayLEA: BEG 18912, E-Akte, BI.80 und F-Akte, BI.21.<br />

18 Ebd., E-Akte, BI. 1 und 34.<br />

131


AOOLF HOLLERBUSCH<br />

Staatsangehörigkeit und musste auf Veranlassung des portugiesischen<br />

Justizministeriums seinen Namen, um ihn <strong>der</strong> portugiesischen Aussprache<br />

anzugleichen, in IIAdolfo Holerbuche" än<strong>der</strong>n. 19 Seit 1956 war er infolge<br />

<strong>der</strong> nachhaltigen Gesundheitsschäden, die er durch die Verfolgung von<br />

Seiten des NS-Reg<strong>im</strong>es und durch die Emigration erlitten hatte, teilweise<br />

berufsunfähig und musste Ende 1964 seine berufliche Tätigkeit vollständig<br />

aufgeben. 20 Adolf Hollerbusch starb am 5. November 1967 in Matosinhos<br />

an einem Schlaganfall. 21<br />

19 Ebd., D-Akte, BI. 29.<br />

20 Ebd., E-Akte, BI. 28.<br />

21 Ebd., BI. 64.<br />

132<br />

R.W./B.S.


AOOLF HOLLERBUSCH<br />

•<br />

Fleh. ~.o.••._..*3.3..9J<br />

Regl.l.de lob 0 n.·_.;_~l.s1...<br />

......... _.._Conservatoria do Registo Civil d _L~;~,~.9.~.!,.!.g1.2~_.._..~ __<br />

CERTIOAO OE NARRATIVA COMPLETA OE RE61STO OE OBITO<br />

Certlfico quo no livro do aasonto. de 6bllo arquivado ••o.ta Con.orvat6ria,<br />

reftlrente ao ana de .. lJ.5.1 _ _ fre,quesia de. __ _ .<br />

regi&to n.·..._.8.4.Q .•..<br />

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4.2 ABERKENNUNG AUFGRUND VON GERICHTSURTEILEN


M.B.<br />

* 1882, Dr. med. 1923<br />

M. B. wurde 1882 in Eisenach, Großherzogturn Sachsen-We<strong>im</strong>ar-Eisenach<br />

geboren und schloss 1903 das Großherzogliche Realgymnasium Eisenach<br />

mit dem Abitur ab. 1 Von da an bis 1909 war er für d~s Medizinstudium in<br />

Jena, Marburg, München, Heidelberg und Freiburg <strong>im</strong>matrikuliert. Zwischenzeitlich<br />

diente M. B. <strong>im</strong> Som~er 1904 <strong>im</strong> Infanterie-Leib-Reg<strong>im</strong>ent in<br />

München. Im Wintersemester 1905/06 legte er das Ärztliche Vorexamen in<br />

Marburg ab und bestand <strong>im</strong> Wintersemester 1908/09 die Ärztliche Prüfung<br />

in Freiburg LBr.<br />

Weitere Stationen seiner praktischen Ausbildung waren die Freiburger<br />

IIUniversitätsklinik für Nerven- und Gemütskranke", die Chirurgische<br />

Station des Altstadtkrankenhauses in Magdeburg sowie das Bezirkskrankenhaus<br />

in Lahr. Seine Approbation erfolgte am 14. Januar 1910 und unmittelbar<br />

danach, vom 1. Februar bis zum 1. August des gleichen Jahres,<br />

war er wie<strong>der</strong>um be<strong>im</strong> Militär. Anschließend nahm er eine Assistenzstelle<br />

an <strong>der</strong> Königlichen Heil- und Pflegeanstalt Weinsberg an. Im Jahre 1911,<br />

<strong>im</strong> Alter von 28 Jahren, heiratete er. Aus <strong>der</strong> Ehe ging zwei Jahre später<br />

ein Kind hervor.<br />

Im Dezember 1911 erhielt M. B. das Patent als Assistenzarzt <strong>der</strong> Reserve<br />

und trat <strong>im</strong> darauf folgenden Jahr eine Arbeitsstelle <strong>im</strong> Landeshospital<br />

Merxhausen <strong>im</strong> Regierungsbezirk Kassel an. Während des Ersten Weltkriegs<br />

folgte <strong>der</strong> Dienst in verschiedenen Sanitätskompanien des Heeres<br />

bis zum Rang eines Oberarztes. Er wurde für seine Verdienste mit dem<br />

Eisernen Kreuz 11.Klasse ausgezeichnet.2 B.s Promotion erfolgte erst nach<br />

dem Krieg; 1920 legte er seine mündliche Doktorprüfung ab, 1923 erhielt<br />

er seine Urkunde. 3<br />

I Universitätsarchiv Erlangen (UAE):C3/3 Nr. 1919/20-61.<br />

2 UAE: AI/3a Nr. 946a, Urteilsabschrift, S. 2f.<br />

3 UAE: Al/3a Nr. 946a.<br />

137


M.B.<br />

M. B. ließ sich 1929 als praktischer Arzt in einem kleinen Ort in Thüringen<br />

nie<strong>der</strong>. Im Juni 1930 hatte er erstmals juristische Probleme, da ihm<br />

<strong>der</strong> Betrieb einer nicht genehmigten Privatentbindungsanstalt vorgeworfen<br />

wurde; das Urteil des Amtsgerichts Eisenach belief sich auf eine<br />

Geldstrafe von 50 Reichsmark. Am 30. November 1935 gab es ein zweites<br />

Gerichtsverfahren, diesmal wegen" gewerbsmäßiger Abtreibung" in zwei<br />

Fällen. B. wurde vom NS-Staat zu einer Zuchthausstrafe von einem Jahr<br />

und sechs Monaten sowie dem Verlust <strong>der</strong> bürgerlichen Ehrenrechte und<br />

dem Verbot <strong>der</strong> Ausübung des Arztberufes für zwei Jahre verurteilt.4 Ein<br />

Zeuge gab später in einem dritten Prozess vor Gericht zu Protokoll, B. sei<br />

von jeher gegen den Nationalsozialismus eingestellt gewesen. Ob dies<br />

dem Gericht bereits 1935 bekannt war, entzieht sich unserer Kenntnis; es<br />

ist aber durchaus möglich und könnte ein Grund für die relativ hohe<br />

Strafe gewesen sein.<br />

Die Universität Erlangen wurde durch den Oberstaatsanwalt von<br />

Eisenach <strong>im</strong> Mai 1936 über dieses Verfahren informiert, woraufhin <strong>der</strong><br />

amtierende Dekan <strong>der</strong> Medizinischen Fakultät, Friedrich Jamin, in einem<br />

Aktenvermerk vom 20. Mai folgendes feststellte:<br />

"Nach Rekt. Verf. Nr 1399 vom 18.5.36 hat die Aberkennung <strong>der</strong> bürgerlichen<br />

Ehrenrechte ohne Weiteres den dauernden Verlust <strong>der</strong> öffentlichen Aemter, Würden,<br />

Titel usw. zur Folge. Für eine Beschlussfassung, ob dem Arzt [M. B.l die<br />

<strong>Doktorwürde</strong> entzogen werden soll o<strong>der</strong> nicht, ist also in diesem Falle kein Raum<br />

mehr. Zum Promotionsakt."5<br />

M. B. wurde von diesem Vorgang nicht informiert, so dass er auch keine<br />

Möglichkeit zur Stellungnahme hatte.<br />

4 UAE: A1/3a Nr. 946a, Urteilsabschrift, S. 2.<br />

5 Aktenvermerk des Dekans Jamin vom 20. Mai 1936. UAE: C3/3 Nr. 1919/20-61.<br />

Kursiv <strong>im</strong> Original unterstrichen. Dieses Vorgehen zeigt, dass die Verfahrensregeln<br />

offenbar noch nicht eingespielt waren; denn obwohl <strong>der</strong> Verlust <strong>der</strong> bürgerlichen<br />

Ehrenrechte <strong>der</strong> Universität keinen Ermessensspielraum einräumte, hätte dennoch<br />

<strong>der</strong> Dekansausschuss sein Einverständnis geben müssen, vgl. oben S. 24.<br />

138


M.B.<br />

Von Mai 1936 bis April 1937 befand sich M. B. in Haft, <strong>der</strong> Rest <strong>der</strong><br />

Strafe wurde ihm auf Bewährung erlassen. Er hatte zudem die Umwandlung<br />

<strong>der</strong> "Zuchthausstrafe" in eine "Gefängnisstrafe" <strong>im</strong> "Gnadenweg"<br />

beantragt und auch erreicht. 6 Nach seiner Haftentlassung <strong>im</strong> Frühjahr<br />

1937 zog B., wohl um einen Neuanfang zu versuchen, nach Hessen. Wie<br />

und wovon er zu diesem Zeitpunkt lebte, ist nicht bekannt.<br />

Im Mai 1940 wurde ein Gesuch von B. an den Reichsminister des<br />

Inneren um Wie<strong>der</strong>erteilung <strong>der</strong> Approbation abgelehnU Trotz <strong>der</strong> Rückgewinnung<br />

<strong>der</strong> bürgerlichen Ehrenrechte konnte er seinen Beruf also nicht<br />

mehr ausüben. Stattdessen erfolgte am 25. November desselben Jahres die<br />

dauerhafte Entziehung <strong>der</strong> Approbation nach § 5, Nr. 2, <strong>der</strong> Reichsärzteordnung<br />

vom 13. Dezember 1935, so dass alle Bemühungen nutzlos geblieben<br />

waren. Dieser endgültige Verlust <strong>der</strong> Approbation <strong>im</strong> Alter von 58<br />

Jahren, <strong>der</strong> ihm die Möglichkeit zur weiteren Ausübung des gelernten Berufs<br />

versagte, dürfte mit dazu geführt haben, dass B. aus seiner Ablehnung<br />

des NS-Staates nun keinen Hehl mehr machte; jedenfalls äußerte er<br />

sich in den folgenden Jahren mehrfach vor Zeugen kritisch über das Geschehen<br />

in Deutschland, was ihm dann 1941 eine erneute Verhaftung einbrachte.<br />

Wie <strong>der</strong> Urteilsabschrift zu entnehmen ist, bemerkte er <strong>im</strong> Sommer<br />

1940in einem Gemüseladen einer 18-jährigen Verkäuferin gegenüber "Wir<br />

werden den Krieg verlieren" und wettete schließlich sogar mit ihr um eine<br />

Flasche Sekt. 8 Im August des gleichen Jahres diskutierte er mit <strong>der</strong> späteren<br />

Zeugin S. die politische Lage. Hierbei soll er geäußert haben:<br />

"Die Englän<strong>der</strong> wollen ja Frieden, aber wir wollen ihn nicht annehmen. Die Kolonien<br />

können sie ja behalten, es geht auch ohne Kolonien, es ist so lange ohne Kolonien<br />

gegangen."9<br />

6 Schreiben des Reichsstatthalters in Thüringen an den Dekan <strong>der</strong> Medizinischen<br />

Fakultät vom 28. August 1941.Ebd.<br />

7 Ebd.<br />

8 UAE: A1/3a Nr. 946a, Urteilsabschrift, S. 3.<br />

9 Ebd., S. 5.<br />

139


M.B.<br />

Außerdem nannte er den Rhein als natürliche Grenze zwischen Deutschland<br />

und Frankreich.<br />

Wenig später äußerte sich B. - laut späteren Zeugenaussagen - über<br />

die Verlustzahlen <strong>der</strong> Wehrmacht: "Unsere Verluste sind größer, als <strong>der</strong><br />

Heeresbericht angibt. Es wird nirgends mehr gelogen als bei <strong>der</strong> Propaganda.l/lOKurz<br />

darauf folgte eine zweite Unterhaltung mit <strong>der</strong> Gemüseverkäuferin,<br />

in <strong>der</strong>en Verlauf B. den Status quo gegenüber Frankreich als<br />

Waffenstillstand und nicht als Sieg sowie Hitler als Österreicher bezeichnete.<br />

Er sei sogar so weit gegangen, Hitlers Fähigkeit, Deutschland zu führen,<br />

in Frage zu stellen, und wünschte sich mit Vehemenz das Kaiserreich<br />

zurück. Kurze Zeit nach diesem Gespräch zeigte die Verkäuferin B. bei <strong>der</strong><br />

Polizei an. ll<br />

Am 10. Juni 1941 wurde B. verhaftet und in Kassel in Untersuchungshaft<br />

genommen. Bereits zwei Wochen danach fand das Gerichtsverfahren<br />

statt, und wie<strong>der</strong>um eine Woche später wurde B. durch das Son<strong>der</strong>gericht<br />

für den Oberlandesgerichtsbezirk Kassel wegen Vergehens gegen § 2 des<br />

"Gesetzes gegen he<strong>im</strong>tückische Angriffe auf Staat und Parteil/ 12 zu zwei<br />

Jahren Gefängnis verurtei1t;die Anrechnung <strong>der</strong> Untersuchungshaft<br />

wurde abgelehnt. Ihm wurde erschwerend zur Last gelegt, dass er bereits<br />

vor 1933 eine ablehnende Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus<br />

offen zur Schau getragen und dass er nach <strong>der</strong> Machtübernahme demonstrativ<br />

den Hitlergruß verweigert habe; seine von den Zeugen referierten<br />

Äußerungen wurden als "gehässig und hetzerischl/ gebrandmarkt, sie seien<br />

Beweis für "eine böswillige Gesinnung und Absicht.1/13<br />

10 Ebd.<br />

11 Ebd., S. 4.<br />

12 Das so genannte "He<strong>im</strong>tückegesetz" war am 20. Dezember 1934 erlassen worden<br />

und kr<strong>im</strong>inalisierte u.a. kritische Äußerungen, die angeblich das Wohl des Reiches<br />

o<strong>der</strong> das Ansehen <strong>der</strong> Reichsregierung und <strong>der</strong> NSDAP schädigten. Reichsgesetzblatt<br />

(RGBl.)I 1934, S. 1269f.<br />

13 UAE: Al/3a Nr. 946a, Urteilsabschrift, S. 9.<br />

140


M.B.<br />

M. B. leugnete die ihm vor Gericht vorgeworfenen Äußerungen bzw.<br />

versuchte, sie als harmlos hinzustellen. Das Gericht schenkte ihm aber keinen<br />

Glauben, son<strong>der</strong>n sah sie durch die von allen Zeugen bestätigte<br />

Ablehnung des Nationalsozialismus als bestätigt an. Denn diese Äußerungen<br />

seien "gerade das, was nach den Erfahrungen des Son<strong>der</strong>gerichts politische<br />

Gegner und ,Meckerer' an staatsfeindlichen Redewendungen und<br />

Gedankengängen zu bringen pflegen." Im Urteilstext heißt es dann weiter:<br />

"Die Äußerungen des Angeklagten sind objektiv wie subjektiv böswillig. [...] Kein<br />

wirklicher Deutscher hätte es fertiggebracht, zu erklären, dass wir den Krieg in<br />

Frankreich nicht gewonnen, son<strong>der</strong>n nur einen Waffenstillstand geschlossen hätten.<br />

[...] Die Böswilligkeit des Angeklagten geht insbeson<strong>der</strong>e aus seinen auf den Führer<br />

bezüglichen Bemerkungen hervor. Diese zeigen ein solches Maß an Gehässigkeit<br />

und Niedrigkeit <strong>der</strong> Gesinnung, dass sie kaum zu überbieten sind."14<br />

Mit <strong>der</strong> Verurteilung zu zwei Jahren Gefängnisstrafe ging das Son<strong>der</strong>gericht<br />

sogar noch über die For<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Staatsanwaltschaft hinaus, was<br />

mit <strong>der</strong> großen Zahl <strong>der</strong> inkr<strong>im</strong>inierten Äußerungen, mit denen M. B.<br />

auch vor <strong>der</strong> Person des Führers nicht haltgemacht habe, <strong>der</strong> fehlenden<br />

Geständigkeit <strong>im</strong> Gerichtsverfahren sowie <strong>der</strong> Vorstrafe wegen gewerbsmäßiger<br />

Abtreibung begründet wurde. 15<br />

Bereits am 9. Juli 1941, also nur wenige Tage, nachdem das Urteil gegen<br />

B. gesprochen war, wurde die Universität Erlangen von <strong>der</strong> Staatsanwaltschaft<br />

Kassel über die Verurteilung informiert. Der Rektor leitete die<br />

Unterlagen an den Dekan mit <strong>der</strong> Frage weiter, ob nicht bereits ein entsprechen<strong>der</strong><br />

Vorgang zum Doktorgradentzug <strong>im</strong> Zusammenhang mit <strong>der</strong><br />

Verurteilung <strong>im</strong> Jahre 1935 vorläge. 16 In seiner Funktion als stellvertreten<strong>der</strong><br />

Dekan verwies Albert Viethen in seiner Antwort auf das Schreiben<br />

Jamins aus dem Frühjahr 1936. Obwohl danach eigentlich bereits die<br />

Aberkennung <strong>der</strong> <strong>Doktorwürde</strong> ausgesprochen war, setzte <strong>der</strong> Rektor die<br />

Behandlung des Falles umgehend auf die nächste Dekanatssitzung. Aller-<br />

14 Ebd., S. 8.<br />

15 Ebd., S. 10.<br />

16 Anfrage des Rektors an den Dekan vom 4. August 1941.UAE: A1/3a Nr. 946a.<br />

141


M.B.<br />

dings behandelte <strong>der</strong> Ausschuss den Fall dann doch erst mit erheblicher<br />

zeitlicher Verzögerung von sieben Monaten und stellte in seiner Sitzung<br />

am 7. März 1942 fest, dass M. B. seine <strong>Doktorwürde</strong> bereits am 30. November<br />

1935 "mit Rechtskraft des Schwurgerichtsurteils vom 30.11.1935"<br />

verloren habe. 17<br />

Und noch einmal befasste sich die Universität mit M. B.: Im Februar<br />

1947 wandte sich die Staatsanwaltschaft L<strong>im</strong>burg an sie, um ihr mitzuteilen,<br />

dass M. B. "wegen gewohnheitsmäßiger Abtreibung" in Frankfurt in<br />

Untersuchungshaft sei, und um anzufragen, ob M. B. noch berechtigt sei,<br />

den Doktortitel zu führen. Der Dekan bestätigte <strong>der</strong> Staatsanwaltschaft<br />

den Eintrag des Doktorentzugs <strong>im</strong> Promotionsbuch unter dem Datum<br />

vom 12. März 1942. Diese Information war insofern von großer Bedeutung,<br />

als sich erst durch diesen Schriftwechsel herausstellte, dass die Universität<br />

B. seinerzeit nicht über die Depromotion informiert hatte. Der<br />

Verdacht, dass er bis zu seiner Verhaftung nach dem Krieg den Doktortitel<br />

wi<strong>der</strong>rechtlich geführt habe, war also unberechtigt. Der Syndikus <strong>der</strong> Universität<br />

erklärte dieses Versäumnis damit, dass man 1942 davon ausgegangen<br />

sei, B. habe die <strong>Doktorwürde</strong> bereits nach seinem Prozess <strong>im</strong> Jahre<br />

1935verloren. 18<br />

Ob und zu welcher Strafe B. verurteilt wurde, geht aus den Akten <strong>der</strong><br />

Universität nicht mehr hervor. Auch die genaueren Anschuldigungen<br />

o<strong>der</strong> weitere Verfahrensschritte sind nicht dokumentiert bzw. den vorhandenen<br />

Quellen nicht zu entnehmen. Über das weitere Schicksal von M. B.<br />

ist nichts bekannt.<br />

A.T./A.F.<br />

17 Diesen Beschluss teilte <strong>der</strong> Rektor am 12. März 1942 <strong>der</strong> Staatsanwaltschaft be<strong>im</strong><br />

Landgericht Kassel, dem Reichswissenschaftsminister und dem Landrat des Kreises<br />

Biedenkopf mit. Ebd.<br />

18 Alle zuletzt erwähnten Schreiben finden sich ebd.<br />

142


N.S.<br />

* 1884,Dr. med. 1910<br />

Der spätere Arzt N. S. kam am 18. Mai 1884 als Sohn des "Königlichen<br />

Generaloberarztes" Dr. A. S. und dessen Frau M. in Würzburg zur Welt.<br />

Nach dem Besuch <strong>der</strong> Volksschule in Neuburg an <strong>der</strong> Donau ging <strong>der</strong><br />

katholische l N. S. zunächst auf das dortige Königliche Gymnasium. Aufgrund<br />

von häufigen Ortswechseln seiner Eltern setzte er seine Schulausbildung<br />

in den folgenden Jahren an den Gymnasien in München, Eichstätt,<br />

Amberg, Bamberg und später erneut in München am Max<strong>im</strong>ilians-<br />

Gymnasium fort. Im Juli 1903 erlangte er dort sein Reifezeugnis und<br />

begann <strong>im</strong> Oktober desselben Jahres ein Studium <strong>der</strong> Medizin an <strong>der</strong> Königlichen<br />

Universität in München.<br />

Im Februar 1906 legte N. S. die Ärztliche Vorprüfung ab. Im Anschluss<br />

daran wechselte er an die Universität Erlangen, wo er zunächst<br />

zwei Halbjahre an <strong>der</strong> Universitäts-Frauenklinik tätig war. Außerdem<br />

ging er für ein Semester an die Chirurgische Klinik und schließlich für drei<br />

Monate als Unterassistent an die Medizinische Poliklinik. Im Dezember<br />

1908 legte er die Ärztliche Prüfung ab und hatte <strong>im</strong> Anschluss eine Stelle<br />

als Medizinalpraktikant an <strong>der</strong> Universitäts-Frauenklinik inne. Die zweite<br />

Hälfte des Praktischen Jahres absolvierte N. S. am Krankenhaus in Nürnberg.<br />

1909promovierte er in Erlangen. 2<br />

In den Jahren 1910 und 1911 ging er an die chirurgisch-gynäkologische<br />

Klinik nach Hamburg und später an die Universitätsfrauenklinik<br />

nach Halle (Saale). Dort war er nebenbei als Hebammenlehrer und Volontär<br />

am hygienisch-bakteriologischen Institut tätig. Seine Promotionsurkunde<br />

erhielt er am 4. Januar 1910. 1911 war er gleichzeitig als Assistenzarzt<br />

und später auch als Oberarzt in <strong>der</strong> gynäkologischen Abteilung des<br />

1 Anklageschrift des Oberstaatsanwalts des Landgerichts München I mit Stempel vom<br />

12. Oktober 1937, S. 1. Universitätsarchiv Erlangen (UAE): Al/3a Nr. 946g.<br />

2 UAE: C3/3 Nr. 1908/09-26.<br />

143


N.S.<br />

Schwabinger Krankenhauses in München angestellt. Während des Krieges<br />

führte S. dort seine Stelle fort, als das Krankenhaus als Militärlazarett<br />

diente. Inzwischen hatte er am 17. Dezember 1912 C. S.3geheiratet; aus <strong>der</strong><br />

Ehe gingen ein Sohn und eine Tochter hervor.<br />

Ab dem Jahr 1914 leitete man gegen ihn mehrere Verfahren ein, da er<br />

unter Verdacht stand, Abtreibungen vorgenommen zu haben. Diese Vorgänge<br />

wurden jedoch allesamt mangels hinreichen<strong>der</strong> Beweise wie<strong>der</strong> eingestellt.<br />

1919 musste S. wegen einer Erkrankung an Grippe und Rippenfellentzündung<br />

aus dem Dienst <strong>im</strong> Krankenhaus ausscheiden. Im Anschluss<br />

ließ er sich als Frauenarzt und Spezialarzt für Chirurgie in München<br />

nie<strong>der</strong>. 4<br />

Am 12. Juni 1937 wurde Dr. N. S. jedoch in Polizeigewahrsam genommen<br />

und am 6. September 1937 zur Untersuchungshaft ins Gerichtsgefängnis<br />

München 11in <strong>der</strong> Corneliusstraße überstellt. 5 Er sei "hinreichend<br />

verdächtig, gewerbsmäßig bei Frauen die Frucht durch Abtreibung getötet<br />

zu haben". 6<br />

S. war seit 1923 Mitglied von NSDAP und SS, trug das goldene Parteiabzeichen<br />

und den "Blutorden". Am 7. September 1938 erging gegen ihn<br />

in öffentlicher Sitzung infolge <strong>der</strong> Hauptverhandlung vom 29. August<br />

und 7. September 1938 vom Schwurgericht des Landgerichts München I<br />

das Urteil. Demnach wurde er wegen 38 vollendeter und sieben versuchter<br />

Vergehen <strong>der</strong> Abtreibung unter Anrechnung von zehn Monaten erlittener<br />

Untersuchungshaft zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Des Weiteren<br />

wurde ihm die Ausübung des Arztberufes auf die Dauer von fünf Jahren<br />

untersagt. Ferner wurde er wegen 18 vollendeter und vier versuchter gewerbsmäßiger<br />

Abtreibungen freigesprochen. In siebzehn Fällen mutmaßli-<br />

3 Schreiben des Rektors <strong>der</strong> Universität Erlangen an den Regierungspräsidenten in<br />

München vom 5. März 1941.UAE: Al/3a Nr. 946g.<br />

4 Die Lebensdaten bis zu seiner ärztlichen Nie<strong>der</strong>lassung sind den Prozess akten des<br />

Landgerichts München I entnommen. Ebd., S. 3-4.<br />

5 Anklageschrift des Oberstaatsanwalts des Landgerichts München I mit Stempel vom<br />

12. Oktober 1937. Ebd., S. 1.<br />

6 Ebd.<br />

144


N.S.<br />

eher gewerbsmäßiger Abtreibung wurde das Verfahren wegen Verjährung<br />

eingestell t.7<br />

N. S. äußerte vor Gericht, <strong>der</strong> "Rückgang seiner Praxis habe ihn gezwungen,<br />

alle Patientinnen, die ihn aufsuchten, in <strong>der</strong> von ihnen gewünschten<br />

Weise zu behandeln".8 Er gab in <strong>der</strong> Mehrheit <strong>der</strong> Fälle zu,<br />

gegen Entgelt Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen zu haben. 9 Zudem<br />

wurden die Abtreibungen durch eine Anzahl von Briefen belegt, die<br />

<strong>der</strong> Angeklagte von Patientinnen o<strong>der</strong> <strong>der</strong>en Ehemännern erhalten hatte.<br />

Des Weiteren gab S. während <strong>der</strong> Verhandlung Folgendes zu Protokoll:<br />

"Ich will ganz allgemein zunächst zugeben, dass ich tatsächlich verschiedenen<br />

Patientinnen geholfen habe. [...] Ich betone hierbei, dass ich dies alles jedoch nicht<br />

aus materialen Gründen getan hatte. Ich ließ mich vielmehr durch ein vielleicht<br />

übertriebenes Mitgefühl mit meinen Patientinnen hinreißen. Ich war in vielen Fällen<br />

darum bemüht, <strong>der</strong>artige Patientinnen vor verhängnisvollen Schritten zu bewahren<br />

und ihnen über einen gewissen toten Punld hinwegzuhelfen. Es ist mir bei verschiedenen<br />

Patientinnen gelungen. Bei an<strong>der</strong>en Patientinnen, bei denen mir mein Vorhaben<br />

nicht gelang, ließ ich mich dann zwangsläufig dazu hinreißen, ihnen ihren<br />

Wünschen entsprechend doch zu helfen [... ]."10<br />

In <strong>der</strong> Hauptverhandlung hat S. allerdings die vor dem Zeugen J., dem<br />

Kr<strong>im</strong>inalkommissar <strong>der</strong> Gehe<strong>im</strong>en Staatspolizei München gemachten<br />

Geständnisse teilweise wi<strong>der</strong>rufen, neben <strong>der</strong> Angabe einiger gesundheitlicher<br />

und familiärer Schicksalsschläge ll u.a. mit <strong>der</strong> Begründung, er habe<br />

die Aussage "unter einem seelischen Druck abgegeben". In den ersten<br />

Tagen <strong>der</strong> Haft habe ihn ein SS-Führer vor einer größeren Anzahl von<br />

Beamten als "gemeinen Schweinehund und hundsgemeinen Abtreiber"<br />

besch<strong>im</strong>pft und mit den Worten gedroht: "Sie gehören einmal ein halbes<br />

Jahr nach Dachau." 12<br />

7 UAE: Al/3a Nr. 946g, Urteilsabschrift, S. 2.<br />

8 Ebd., S. 11.<br />

9 Ebd., S. 5, Aussage von N. S. gegenüber dem Gestapo-Beamten J.<br />

10 Ebd.<br />

11 Ebd., S. 7.<br />

12 Ebd., S. 6-7.<br />

145


N.S.<br />

"Die vernehmenden Beamten, die Zeugen J[... ] und D[ ... ], die Untergebene jenes SS-<br />

Führers gewesen seien, hätten ihm eines Tages erklärt, dass etwa 100 seiner Patientinnen<br />

bekundet hätten, sie hätten die Abtreibung gewollt. Mit Rücksicht darauf hätten<br />

die beiden Polizeibeamten ihm zugeredet, zu gestehen, weil er ja doch auf<br />

Grund <strong>der</strong> Aussage <strong>der</strong> Zeuginnen schon verurteilt würde, nur mit dem Unterschied,<br />

dass er <strong>im</strong> Falle eines Geständnisses lediglich Gefängnis bekommen würde.<br />

Außerdem würden sie solange wühlen, bis sie etwas fänden. [... ] Die Polizeibeamten<br />

seien freundlicher gewesen, wenn er etwas zugegeben habe; es sei ihm dann in<br />

Aussicht gestellt worden, dass die Untersuchung abgeschlossen würde. Er habe<br />

durch das Geständnis erreichen wollen, dass seine Haft verkürzt werde. [... ] Er habe<br />

aus Verzweiflung eine Abtreibungsmethode ersonnen, die er tatsächlich nicht angewendet<br />

habe, und sie nur deshalb zusam[m]enphantasiert[,] um die vernehmenden<br />

Polizeibeamten zu täuschen und aus ihrer Hand möglichst bald zu entkommen."13<br />

Das Gericht tat diesen Wi<strong>der</strong>ruf als I/fadenscheinige Ausredel/ 14 ab und<br />

ging weiter von dem ursprünglichen Geständnis aus. Bei <strong>der</strong> Frage, ob S.<br />

Gewerbsmäßigkeit unterstellt werden könne, wurde vom Gericht das Folgende<br />

festgestellt:<br />

"Im Lauf <strong>der</strong> Hauptverhandlung hat sich <strong>der</strong> Angeklagte als ein Son<strong>der</strong>ling herausgestellt,<br />

als eine merkwürdige Persönlichkeit mit verschlossenem, wortkargen Wesen,<br />

dem mancherlei innere Hemmungen anhaften. [... ] Er neigt offenbar zu großer<br />

Unentschlossenheit und ist ein leicht beeinflussbarer Mensch. [... ] Ganz best<strong>im</strong>mt ist<br />

<strong>der</strong> Angeklagte kein Gewinnstreber."15<br />

Zudem hat er von einigen Frauen nach erfolgter Behandlung keinerlei<br />

Entgelt erhalten. Die Frage nach <strong>der</strong> Gewerbsmäßigkeit ist daher vom Gericht<br />

verneint worden. 16<br />

Bei <strong>der</strong> Festsetzung des Strafmaßes wurde zu Gunsten von Dr. N. S.<br />

seine bisherige Straflosigkeit berücksichtigt. 17 Ferner sei er als Frauenarzt<br />

ganz beson<strong>der</strong>en Gefahren ausgesetzt,<br />

13 Ebd., S. 8.<br />

14 Ebd.<br />

15 Ebd., S. 60.<br />

16 Ebd., S. 62.<br />

17 Ebd., S. 66.<br />

146


N.S.<br />

"wenn schwangere Frauen unter Schil<strong>der</strong>ung ihrer Notlage und ihrer allgemeinen<br />

Beschwerden und beson<strong>der</strong>en ungünstigen Verhältnissen <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> in ihn<br />

drängen. "18<br />

Straferschwerend wurde nach Meinung des Gerichts gewertet, dass er als<br />

leiten<strong>der</strong> Arzt einer Städtischen Klinik hätte verantwortungsbewusster<br />

handeln müssen:<br />

"Er hätte seinen Beruf gerade wegen seiner Vorbildung und seiner langjährigen Erfahrung<br />

zum Wohle <strong>der</strong> Volksgesundheit ausüben müssen. (... ) Durch seine Behandlungsweise<br />

hat er in außerordentlich raffinierter und schwer fassbarer Weise<br />

sich jahrelang zu betätigen vermocht."19<br />

Im Oktober 1937 wurde <strong>der</strong> Universität Erlangen bereits eine Abschrift<br />

<strong>der</strong> Anklageschrift gegen N. S. überstellt,2° Was eine Entziehung des Doktortitels<br />

betrifft, so bat das Rektorat <strong>der</strong> Universität durch mehrere Schreiben<br />

wie<strong>der</strong>holt um die Mitteilung, ob das Urteil bereits rechtskräftig sei.<br />

Dies verzögerte sich jedoch, da sowohl die Staatsanwaltschaft wie auch<br />

<strong>der</strong> Angeklagte Revision gegen das Urteil eingelegt hatten. 21<br />

Allerdings wurde die Revision laut Beschluss des Reichsgerichts vom<br />

16. Dezember 1938 "offensichtlich unbegründet verworfen",22 so dass das<br />

Urteil damit rechtskräftig wurde. 23 Am 1. Dezember 1939 hat dann <strong>der</strong><br />

Ausschuss für die Entziehung <strong>der</strong> <strong>Doktorwürde</strong> an <strong>der</strong> Universität Erlangen<br />

in seiner Sitzung beschlossen, dass Dr. S. sein Doktortitel wie<strong>der</strong> ent-<br />

18 Ebd.<br />

19 Ebd.<br />

20 Stempel <strong>der</strong> Universität Erlangen auf <strong>der</strong> Abschrift des Urteils. UAE: A1/3a Nr.<br />

946g.<br />

21 Vgl. die Schreiben vom 19. Oktober bis 19. Dezember 1938 sowie vom 17. November<br />

1939zwischen <strong>der</strong> Universität Erlangen und dem Landgericht I in München. Ebd.<br />

22 Schreiben des Regierungspräsidenten an den Rektor <strong>der</strong> Universität Erlangen vom<br />

27. Februar 1941.UAE: A1/3a Nr. 946g.<br />

23 Schreiben des Landgerichts München I an den Syndikus <strong>der</strong> Universität Erlangen<br />

vom 20. Februar 1939. Ebd.<br />

147


N.S.<br />

zogen werden sollte. "Angesichts <strong>der</strong> klaren Sachlage erschien eine Anhörung<br />

des Verurteilten vor <strong>der</strong> Beschlussfassung nicht erfor<strong>der</strong>lich".24<br />

"Der hierüber ausgestellte Bescheid vom 5. 1. 1940 wurde [N. 5.] am 14. 2. 1940und<br />

zwar ersatzweise <strong>der</strong> Ehefrau [e. 5.] in München, Rheinstr. 8, zugestellt. Eine Beschwerdeschrift<br />

des [5.] ist bei <strong>der</strong> Universität bis jetzt nicht eingelaufen."25<br />

Das weitere Schicksal von N. S. ist nicht bekannt.<br />

A.F./B.S.<br />

24 Beschluss des zuständigen Ausschusses für die Entziehung des Doktortitels <strong>im</strong> Fall<br />

Dr. N. S. vom 5. Januar 1940. Ebd.<br />

25 Schreiben des Rektors <strong>der</strong> Universität Erlangen an den Regierungspräsidenten in<br />

München vom 5. März 1922. Ebd.<br />

148


SELMA GRAF (GEB. REICHOLD)<br />

* 11. Juni 1887, Dr. med. 7. Juni 1913<br />

Selma Elisabeth Reichold, die am 11. Juni 1887 geboren wurde, entstammte<br />

einer wohlhabenden großbürgerlichen Familie in Nürnberg. Ihr Vater<br />

Samuel Reichold war dort Unternehmer und Kaufmann, ihre Mutter Klotilde<br />

Wilhelmine Lazar stammte aus Frankfurt am Main. 1 Ihre Familie<br />

gehörte <strong>der</strong> jüdischen Glaubensgemeinschaft an. Selma Reichold absolvierte<br />

zunächst die zehn Klassen <strong>der</strong> Städtischen Höheren Mädchenschule<br />

ihrer He<strong>im</strong>atstadt und bereitete sich danach mit Privatstunden auf das<br />

Abitur vor, das sie <strong>im</strong> Juli 1907 am Alten Gymnasium Nürnberg bestand.<br />

Im Anschluss daran begann sie das Studium <strong>der</strong> Medizin und schrieb<br />

sich hierfür als eine <strong>der</strong> ersten Medizinstudentinnen <strong>der</strong> Universität in<br />

Erlangen ein. 2 Nach sechs Semestern wechselte sie für ein Semester nach<br />

München und kehrte dann für den Rest des Studiums nach Erlangen zurück,<br />

wo sie <strong>im</strong> Februar 1913 das Medizinische Staatsexamen ablegte. Im<br />

Mai 1913 heiratete Selma Reichold in Bamberg den aus Günching in <strong>der</strong><br />

Oberpfalz stammenden katholischen Apotheker Konrad Graf. Sie trat zum<br />

katholischen Glauben über und gehörte fortan zur katholischen Gemeinde<br />

<strong>der</strong> St. Martinskirche in Bamberg. 3 Am 7. Juni 1913 wurde sie an <strong>der</strong> Fried-<br />

1 Zur Biographie von Selma Reichold, später Graf, vgl. Gaby Franger: "Regelstörung"<br />

- Der Weg <strong>der</strong> jüdischen Frauenärztin Dr. Selma Graf nach Auschwitz. Frauen in<br />

<strong>der</strong> einen Welt 14 (2003),S. 56-74.- Die Großeltern mütterlicherseits waren Josef und<br />

Sophie Hamburg.<br />

2 Zur Frühzeit des Frauenstudiums in Erlangen vgl. Gertraud Lehmann: 90 Jahre<br />

Frauenstudium in Erlangen. In: Die Friedrich-Alexan<strong>der</strong>-Universität Erlangen-<br />

Nürnberg 1743-1993.Geschichte einer deutschen Hochschule, hrsg. von Christoph<br />

Frie<strong>der</strong>ich. Veröffentlichungen des Stadtmuseums Erlangen, 43. Nürnberg 1993,<br />

S.487-497.<br />

3 Vgl. den Bericht von Nikolai Czugunow-Schmitt über einen Vortrag von Romy<br />

Heyner über Selma Graf am 13. Februar 2008: http://www.willy-aron-gesellschaft.de/katlO.php,<br />

zuletzt aufgerufen am 9. März 2008.<br />

149


SELMA GRAF (GEB.REICHOLD)<br />

rich-Alexan<strong>der</strong>-Universität Erlangen als zweite Frau mit einer geburtshilfliehen<br />

Arbeit promoviert4 und erhielt <strong>im</strong> gleichen Jahr auch ihre Approbation.<br />

Am 15. Juni 1914 wurde ihr die Doktorurkunde ausgehändigt.<br />

Nachdem sie ihr Praktisches Jahr an <strong>der</strong> Erlanger Universitäts-Frauenklinik<br />

abgeleistet hatte, ließ sich Selma Graf <strong>im</strong> Juni 1914 als praktische<br />

Ärztin in Bamberg nie<strong>der</strong>, wo sie sich vornehmlich <strong>der</strong> Behandlung von<br />

Frauen und Kin<strong>der</strong>n widmete. In den ersten Jahren wohnten die Eheleute<br />

in <strong>der</strong> Langen Straße Nr. 5 <strong>im</strong> ersten Stock, wo Selma Graf auch ihre<br />

Praxisräume eingerichtet hatte. Im Jahre 1928bezogen sie den ersten Stock<br />

eines Hauses in <strong>der</strong> Franz-Ludwig-Straße 15, das Konrad Graf gekauft<br />

hatte. 5 Selma Graf wurde eine sehr beliebte Ärztin, von <strong>der</strong> bekannt war,<br />

dass sie sich insbeson<strong>der</strong>e auch armer Patientinnen - viele kamen aus dem<br />

ländlichen Umfeld - annahm. So war ihr Einkommen <strong>im</strong> Vergleich zum<br />

Durchschnitt <strong>der</strong> damaligen Ärzte eher bescheiden. 6<br />

Schon nach dem Ersten Weltkrieg und in den folgenden Jahren <strong>der</strong><br />

We<strong>im</strong>arer Republik wurde die jüdische Gemeinde in Bamberg <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong><br />

von judenfeindlichen Strömungen he<strong>im</strong>gesucht, in <strong>der</strong>en Rahmen es<br />

auch wie<strong>der</strong>holt zu Tätlichkeiten kam. 7 1933 spitzte sich die Lage für die<br />

jüdischen Bürger zu. Auch Selma Graf wurde, obwohl sie bereits zwei<br />

Jahrzehnte vorher zum Katholizismus konvertiert war, als "Jüdin" <strong>im</strong><br />

Sinne des "Gesetzes zur Wie<strong>der</strong>herstellung des Berufsbeamtenturns" vom<br />

4 Selma Reichold: Ueber die Adrenalinämie in <strong>der</strong> Schwangerschaft. Diss. med. Erlangen<br />

1913. Die Arbeit wurde <strong>im</strong> gleichen Jahr in Bamberg gedruckt.<br />

5 Vgl. Franger (Anm. 1), S. 58. - Die ehemalige Hausangestellte Emma B. gab 2002 in<br />

einem Interview eine kurze Beschreibung <strong>der</strong> Wohnung. Ebd., S. 59.<br />

6 Ebd.: Im Jahre 1931 betrug das jährliche Einkommen von Selma Graf 3.747 Reichsmark.<br />

Vgl. ferner Gaby Franger: Aberkennung <strong>der</strong> akademischen Würde. Lebenswege<br />

Erlanger Doktorandinnen. In: "Die Erlangischen Mädchen sind recht schön<br />

und artig ... ". Ein Erlanger Frauengeschichtsbuch, hrsg. von Nadja Bennewitz/Gaby<br />

Franger. Cadolzburg 2002, S. 172; Herbert Loebl: Juden in Bamberg. Die Jahrzehnte<br />

vor dem Holocaust. Bamberg 1999,S. 326f.<br />

7 Vgl. Baruch Z. Ophir/Falk Wiesemann: Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 -<br />

1945. Geschichte und Zerstörung. Wien 1979, S. 109f.<br />

150


SELMAGRAF (GEB.REICHOLD)<br />

7. April 1933 8 ein Opfer <strong>der</strong> nationalsozialistischen Verdrängungspolitik.<br />

Sie praktizierte zwar weiter, viele Patientinnen blieben aber weg,9 so dass<br />

sie zunehmend auf das Einkommen ihres Mannes angewiesen war, <strong>der</strong><br />

während dieser Zeit das Amt des Provisors in <strong>der</strong> Bamberger Mohrenapotheke<br />

ausübte. Darüber hinaus unterstützte das Ehepaar auch noch<br />

Selma Grafs Mutter, die <strong>im</strong> Seniorenhe<strong>im</strong> <strong>der</strong> Israelitischen Kultusgemeinde<br />

in Nürnberg wohnte und an Demenz erkrankt war. lO<br />

Am 15. Juli 1938 wurde Selma Graf unter <strong>der</strong> Anklage, seit 1928<br />

"gewerbsmäßige Abtreibung" in etlichen Fällen durchgeführt zu haben,<br />

verhaftet. Ein Jahr später wurde Selma Sara ll Graf nach einem drei Tage<br />

dauernden Strafverfahren vom Schwurgericht bei dem Landgericht Bamberg<br />

"wegen vier Verbrechen <strong>der</strong> gewerbsmäßigen Abtreibung, wegen<br />

zwölf Verbrechen und fünfzehn fortgesetzter Verbrechen <strong>der</strong> versuchten<br />

gewerbsmäßigen Abtreibung, ferner wegen zweier Vergehen und eines<br />

fortgesetzten Vergehens <strong>der</strong> Beihilfe zur versuchten Abtreibung" zu sieben<br />

Jahren Zuchthaus und Aberkennung <strong>der</strong> bürgerlichen Ehrenrechte,<br />

ebenfalls auf die Dauer von sieben Jahren, verurteilt. 12<br />

Das Gericht stützte sich bei dem Verfahren vor allem auf Selma Grafs<br />

Patientenkartei, die bis in das Jahr 1928 zurückreichte. Danach hatte sie in<br />

den Jahren von 1928 bis 1935 insgesamt 41 Patientinnen in 44 Fällen unter<br />

8 Reichsgesetzblatt (RGBl.)I, S. 175-177.<br />

9 Zur systematischen Ausgrenzungspolitik <strong>der</strong> Nationalsozialisten gegenüber den<br />

jüdischen Ärzten vgl. Werner F. Kümmel: Die Ausschaltung rassisch und politisch<br />

missliebiger Ärzte. In: Ärzte <strong>im</strong> Nationalsozialismus, hrsg. von Fridolf Kudlien.<br />

Köln 1985, S. 56-81.<br />

10 Vgl. Franger (Anm. I), S. 71.<br />

11 Den zusätzlichen Vornamen "Sara" musste Selma Graf, wie alle jüdischen Frauen<br />

deutscher Staatsangehörigkeit, seit dem 1. Januar 1939 führen; vgl. Zweite Verordnung<br />

zur Durchführung des Gesetzes über die Än<strong>der</strong>ung von Familiennamen und<br />

Vornamen vom 17. August 1938,§ 2, Satz (1).<br />

12 Das Schwurgerichtsurteil ist <strong>im</strong> Universitätsarchiv Erlangen in Abschrift vorhanden.<br />

UAE: A1/3a Nr. 946c, S. 1-78. - Eine kommentierte Darstellung des Prozessverlaufs<br />

findet sich bei Franger (Anm. I), S. 59-67.<br />

151


SELMAGRAF (GEB.REICHOLD)<br />

<strong>der</strong> Diagnose "Regelstörung" behandelt. Die Anklage ging davon aus,<br />

dass sich hinter dieser Diagnose in den meisten Fällen eine bereits bestehende<br />

Schwangerschaft verbarg, die die Ärztin mit ihren Maßnahmen zu<br />

beseitigen versucht habe. Da Selma Graf in ihrer Verteidigung vorbrachte,<br />

dass sie "in keinem Fall darauf ausgegangen" sei, "eine Unterbrechung<br />

einer Schwangerschaft vorzunehmen", und dass sie <strong>im</strong>mer "nur in bestem<br />

Glauben gehandelt habe und sich keiner Schuld bewusst sei",13ging es <strong>im</strong><br />

Prozess vornehmlich darum, die Frage zu klären, ob Selma Graf tatsächlich<br />

durch ihre "Behandlungsweise vorsätzlich Schwangerschaftsunterbrechungen<br />

ausgeführt o<strong>der</strong> solche wenigstens versucht" hatte. 14<br />

Die Medikamente, die Selma Graf laut Eintragungen in <strong>der</strong> Patientenkartei<br />

den Frauen verschrieben hatte, dienten durchweg <strong>der</strong> Behandlung<br />

von ausbleiben<strong>der</strong> Regelblutung und entsprachen dem damaligen Kenntnisstand.<br />

15 Dies wurde auch von den beiden Sachverständigen <strong>im</strong> Prozess<br />

bestätigt. 16 Sie machten allerdings geltend, dass die verschiedenen niedrig<br />

13 UAE: A1/3a Nr. 946c, Urteilsabschrift, S. 7 und 9.<br />

14 Ebd., S. 4.<br />

15 Vgl. Franger (Anm. 1), S. 64f. - Es handelte sich um Ferrovarial- und Agomensintabletten,<br />

Apiol- und Aloe-Eisenpillen sowie Senfmehlbä<strong>der</strong>. UAE: A1/3a Nr. 946c,<br />

Urteils abschrift, S. 4-6.<br />

16 Einer <strong>der</strong> beiden Sachverständigen war Prof. Dr. Rudolf Dyroff, <strong>der</strong> seit den zwanziger<br />

Jahren an <strong>der</strong> Erlangen Frauenklinik tätig war, sich 1927 habilitiert und <strong>im</strong><br />

Jahre 1933 Titel und Rang eines außerordentlichen Professors erhalten hatte; vgl.<br />

Renate Wittern (Hrsg.): Die Professoren und Dozenten <strong>der</strong> Friedrich-Alexan<strong>der</strong>-<br />

Universität Erlangen 1743-1960.Teil 2: Medizinische Fakultät, bearb. von Astrid Ley.<br />

Erlanger Forschungen, Son<strong>der</strong>reihe, 9. Erlangen 1999, S. 33f. Dyroff war seit 1934<br />

maßgeblich an den Zwangssterilisierungen in <strong>der</strong> Erlanger Frauenklinik beteiligt<br />

und auch seit 1943 in die Abtreibungen an den "Ostarbeiterinnen" involviert; vgl.<br />

Dorothea Krüger: Zwangs sterilisationen <strong>im</strong> Nationalsozialismus: Das "Gesetz zur<br />

Verhütung erbkranken Nachwuchses" vom 14.Juli 1933und seine Durchführung an<br />

<strong>der</strong> Universitäts-Frauenklinik. Diss. med. Erlangen-Nürnberg 2007; Wolfgang Frobenius:<br />

Abtreibungen an Ostarbeiterinnen 1943-1945 in Erlangen. Wie angesehene<br />

Hochschulmediziner zu Helfershelfern des NS-Reg<strong>im</strong>es wurden. In: Zwangsarbeit<br />

152


SELMA GRAF (GEB.REICHOLD)<br />

dosierten Eierstockpräparate in <strong>der</strong> Kombination, in <strong>der</strong> Graf sie zumeist<br />

verordnet hatte, durchaus eine bereits gefährdete Schwangerschaft unterbrechen<br />

könnten. Vor allem aber glaubten sie, mit den häufig von Dr. Graf<br />

durchgeführten Dilatationen des Muttermundes einen Beweis dafür zu<br />

haben, dass hinter den Maßnahmen in den meisten Fällen die Absicht zur<br />

Schwangerschaftsunterbrechung gestanden habe. 17<br />

Eine nachträgliche Beurteilung über das, was in <strong>der</strong> Praxis von Dr.<br />

Selma Graf jeweils geschah, erweist sich als schwierig und soll hier auch<br />

nicht versucht werden. Fest steht aber, dass von den 44 <strong>im</strong> Prozess untersuchten<br />

Behandlungsfällen 38 in den Jahren vor 1933 stattgefunden haben.<br />

Dies ist insofern bedeutsam, als das Thema Abtreibung in den Jahren nach<br />

dem Ersten Weltkrieg ein wichtiges soziales und gesellschaftspolitisches<br />

Problem war, das nicht nur in <strong>der</strong> Öffentlichkeit - unter reger Beteiligung<br />

<strong>der</strong> Ärzteschaft - überaus kontrovers und leidenschaftlich diskutiert<br />

wurde, son<strong>der</strong>n auch seinen Nie<strong>der</strong>schlag in <strong>der</strong> Literatur fand. 18 Schätzungen<br />

gingen damals von ca. 800.000 Abtreibungen pro Jahr aus. 19 Da<br />

viele dieser überwiegend von Laien durchgeführten Eingriffe verheerende<br />

gesundheitliche Folgen für die betroffenen Frauen hatten, wurde von<br />

etlichen Gruppierungen die Streichung des § 218 o<strong>der</strong> die Straffreiheit bei<br />

einer Abtreibung durch einen Arzt innerhalb <strong>der</strong> ersten drei Schwangerschaftsmonate<br />

gefor<strong>der</strong>t. Dieser For<strong>der</strong>ung trug die Gesetzesnovelle von<br />

1926 zwar nicht Rechnung; sie nahm <strong>der</strong> Abtreibung aber den Charakter<br />

in Erlangen während des Zweiten Weltkriegs, hrsg. von Christoph Frie<strong>der</strong>ich.<br />

Veröffentlichungen des Stadtarchivs Erlangen, 6. Nümberg 2007, S. 191-213.<br />

17 UAE: A1/3a Nr. 946c, Urteils abschrift, S. 6-8 und öfter. - Die Frage, ob es sich bei den<br />

Dilatationen nur um eine Erweiterung des äußeren Muttermundes (wie Selma Graf<br />

<strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> betonte) o<strong>der</strong> um eine Erweiterung des ganzen Halskanals handelte<br />

(was die Sachverständigen annahmen), kann <strong>im</strong> nachhinein nicht mehr geklärt werden.<br />

18 Vgl. hierzu Marliese Eckhof: "Gegen die Abtreibungsseuche!" Ärzte und § 218 in <strong>der</strong><br />

We<strong>im</strong>arer Republik. In: Petra Finck/Marliese Eckhof: "Euer Körper gehört uns!"<br />

Ärzte, Bevölkerungspolitik und Sexualmoral bis 1933. Hamburg 1987, S. 79-171.<br />

19 Ebd., S. 85.<br />

153


SELMAGRAF (GEB.REICHOLD)<br />

des "Verbrechens", indem sie ihr den eines "Vergehens" gab. Der überarbeitete<br />

Entwurf von 1927 ließ dann die medizinische Indikation <strong>der</strong> Abtreibung<br />

als straffrei zu. 20 Den politischen Gruppierungen auf <strong>der</strong> linken<br />

Seite des Parteienspektrums reichte diese Mil<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Gesetzgebung<br />

jedoch nicht aus, und in den Jahren bis 1931 entwickelte sich geradezu<br />

eine Massenbewegung gegen das Abtreibungsverbot. 21<br />

Diesen politischen und mentalitäts geschichtlichen Kontext muss man<br />

bedenken, wenn man die Akten des Prozesses gegen Selma Graf liest. Das<br />

legt auch die Argumentation <strong>der</strong> Anklage nahe, die ebenfalls auf den<br />

historischen Hintergrund verweist, ihn aber gegen Graf verwendet:<br />

"Die Angeklagte brauchte umso weniger mit einer Prüfung <strong>der</strong> Kartei zu rechnen,<br />

als sich die Abtreibungshandlungen zum größten Teil in einer Zeit abgespielt haben,<br />

in <strong>der</strong> die Beurteilung <strong>der</strong>artige(r] Manipulationen sehr lax gewesen ist. Es darf in<br />

diesem Zusammenhang darauf hingewiesen werden, dass durch das Gesetz vom<br />

18.5.1926 die scharfen Strafbest<strong>im</strong>mungen des alten § 218 StGB beseitigt worden<br />

waren und dass auch in <strong>der</strong> gerichtlichen Praxis Abtreibungshandlungen in <strong>der</strong><br />

folgenden Zeit zum Teil sehr milde beurteilt worden sind."22<br />

Graf selbst hatte dies in ihrer ersten Vernehmung indirekt auch zugegeben:<br />

,,In den letzten Jahren ist meine Praxis stark zurückgegangen und zur Zeit habe ich<br />

soviel wie gar keine Patienten mehr. Damit will ich sagen, dass auch die Frauen mit<br />

ihren Regelstörungen nicht mehr kommen, und begründe dies damit, dass man<br />

heute das nicht mehr machen kann, was <strong>im</strong> 2. Reich üblich war, weil <strong>der</strong> jetzige<br />

Staat ein an<strong>der</strong>es Geburtensystem wünscht. Mit dieser Begründung habe ich in den<br />

letzten Jahren schon viele Frauen und Mädchen weggeschickt, ohne sie behandelt zu<br />

haben."23<br />

Tatsächlich listet das Urteil für die Zeit nach <strong>der</strong> Machtergreifung nur<br />

sechs Fälle auf (drei für 1933 und drei für 1935).Die Mehrzahl von diesen<br />

20 Zu den strafrechtlichen Best<strong>im</strong>mungen bezüglich <strong>der</strong> Abtreibung in <strong>der</strong> We<strong>im</strong>arer<br />

Zeit siehe ebd., S. 100-102.<br />

21 Ebd., S. 104-116.<br />

22 UAE: A1/3a Nr. 946c, Urteilsabschrift, S. 20.<br />

23 Ebd.<br />

154


SELMA GRAF (GEB. REICHOLD)<br />

wurde selbst von <strong>der</strong> Anklage, die durchweg "contra ream" argumentierte,<br />

als nicht entscheidbar beurteilt. Aufgrund dieses Befundes war auch<br />

nach einer sekundär bekannt gewordenen Mitteilung des Ehemannes <strong>im</strong><br />

Vorfeld des Prozesses offenbar sogar erwogen worden, das Verfahren<br />

gegen Selma Graf einzustellen. 24 Verhin<strong>der</strong>t habe dies Julius Streicher, <strong>der</strong><br />

berüchtigte Gauleiter von Franken, durch direkte Intervention. 25<br />

Abbildung 19: Dr. Selma Graf (1887-1942).StadtAN: E 39 Nr. 1154/1-9.<br />

Das Schwurgericht fällte sein Urteil gegen Selma Graf am 19. Juli 1939.Es<br />

befand sie für schuldig, in etlichen Fällen Abtreibungshandlungen vor-<br />

24 Vgl. Franger (Anm. I), S. 60.<br />

25 Zu Julius Streicher, den "größten Antisemiten aller Zeiten", vgl. Thomas Greif:<br />

Julius Streicher (1885-1946).Fränkische Lebensbil<strong>der</strong> 21 (2006), S. 327-348, Zitat auf<br />

S.327.<br />

155


SELMA GRAF (GEB.RE1CHOLD)<br />

genommen und diese Tätigkeit gewerbsmäßig ausgeübt zu haben. 26 Die<br />

Frage, ob sie "als gefährliche Gewohnheitsverbrecherin"27 anzusehen sei,<br />

wurde deshalb verneint, weil während ihrer Untersuchungshaft die Vierte<br />

Verordnung zum Reichsbürgergesetz erlassen worden war, mit <strong>der</strong> den<br />

jüdischen Ärzten die Approbation endgültig entzogen wurde. 28 Selma<br />

Graf würde also, so wurde zynisch argumentiert, "in Zukunft nicht mehr<br />

in <strong>der</strong> Lage sein [... ], als Ärztin tätig zu werden."29 Auf die Strafe von<br />

sieben Jahren Zuchthaus wurde die Untersuchungshaft angerechnet.<br />

Selma Graf wurde am 28. November 1939 ins Zuchthaus Aichach gebracht.<br />

30 Nur wenige Tage später teilte <strong>der</strong> Regierungspräsident in Ansbach<br />

dem Rektor <strong>der</strong> Universität Erlangen mit, dass "die frühere Ärztin<br />

Selma Graf" vom Schwurgericht Bamberg wegen gewerbsmäßiger Abtreibung<br />

zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilt sei und die bürgerlichen<br />

Ehrenrechte verloren habe. Da sie sich "durch ihr Verhalten [... ] <strong>der</strong> Führung<br />

eines akademischen Grades offenbar unwürdig erwiesen" habe, for<strong>der</strong>te<br />

er die Universität auf, Selma Graf den Doktortitel zu entziehen. 31<br />

Der Dekansausschuss stellte daraufhin in seiner Sitzung am 16. Februar<br />

1940 fest, "dass <strong>der</strong> Verlust des <strong>der</strong> Selma Sara Graf am 15. Juni 1914<br />

[...] verliehenen Doktortitels mit <strong>der</strong> Rechtskraft des [... ] Urteils eingetreten"<br />

sei, und diese Feststellung gab <strong>der</strong> Rektor wenige Tage später dem<br />

Bayerischen Kultusministerium, dem Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung<br />

und Volksbildung, dem Regierungspräsidenten in Ansbach und<br />

26 UAE: A1/3a Nr. 946c, Urteilsabschrift, S. 72.<br />

27 Ebd., S. 76.<br />

28 Vgl. § 1 <strong>der</strong> Vierten Verordnung zum Reichsbürgergesetz, vom 25. Juli 1938:<br />

"Bestallungen (Approbationen) jüdischer Ärzte erlöschen am 30. September 1938",<br />

RGBl. I, S. 1146.<br />

29 UAE: A1/3a Nr. 946c, Urteilsabschrift, S. 76.<br />

30 Vgl. Franger (Anm. I), S. 67.<br />

31 Schreiben des Regierungspräsidenten von Ansbach an den Rektor <strong>der</strong> Universität<br />

Erlangen vom 2. Dezember 1939.UAE: A1/3a Nr. 946c.<br />

156


SELMAGRAF (GEB.REICHOLD)<br />

dem Oberbürgermeister <strong>der</strong> Stadt Bamberg zur Kenntnis. 32 Die Betroffene<br />

wurde nicht benachrichtigt.<br />

Selma Graf blieb bis 1942 <strong>im</strong> Zuchthaus Aichach. Während dieser Zeit<br />

durfte ihr Ehemann, <strong>der</strong> treu zu ihr hielt, sie sieben Mal besuchen,33 <strong>der</strong><br />

Empfang von Post war ihr <strong>im</strong> Abstand von zwei Monaten gestattet. 34 Anfang<br />

Dezember 1942 wurde Selma Graf ins KZ Auschwitz deportiert, wo<br />

sie nach Mitteilung <strong>der</strong> Gestapo Nürnberg am 31. Dezember 1942 "an<br />

Grippe" verstarb. 35<br />

Vor dem ehemaligen Bamberger Wohnhaus von Dr. Selma Graf in <strong>der</strong><br />

Franz-Ludwig-Straße 15, das sich <strong>im</strong> Besitz <strong>der</strong> Großnichte Konrad Grafs<br />

befindet, erinnert heute ein so genannter "Stolperstein" an ihr Schicksal.<br />

Das Projekt Stolpersteine wurde 1994 von dem Künstler Gunter Demnig<br />

ins Leben gerufen und "folgt dem Konzept eines dezentralen und persönlichen<br />

Mahnmals":36 Vor den einstigen Häusern von Opfern des Nationalsozialismus<br />

werden Messingblöcke von 10 x 10 cm Größe in die Bürgersteige<br />

eingelassen, auf denen die wichtigsten Stationen des Lebens <strong>der</strong><br />

Betroffenen eingraviert sind. Die Tafeln sind folglich an den verschiedensten<br />

Orten in den Städten verteilt und sollen so die Vorübergehenden zum<br />

32 Schreiben des Rektors an das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus<br />

vom 20. Februar 1940.Ebd.<br />

33 Konrad Graf ging Anfang <strong>der</strong> 1940er Jahre nach Lindau und nach dem Krieg nach<br />

München, wo er die Virchow-Apotheke in <strong>der</strong> Ungererstraße kaufte. Er starb 1966.<br />

Vgl. Franger (Anm. 1), S. 72.<br />

34 Hierzu und zu weiteren Einzelheiten ihres Zuchthausaufenthaltes vgl. ebd., S. 67-69.<br />

35 Ebd., S. 69. Zu <strong>der</strong> Willkür, mit <strong>der</strong> die Gestapo Todesursachen und Todeszeitpunkte<br />

<strong>der</strong> in den Konzentrationslagern Umgekommenen fingierte, vgl. Herbert<br />

Wagner: Die Gestapo war nicht allein. Münster 2004, S. 523. - Selma Grafs Mutter<br />

war, ohne dass ihre Tochter dies erfahren hatte, schon <strong>im</strong> September 1942 nach<br />

Theresienstadt deportiert worden und starb dort nur wenige Tage nach ihrer Tochter<br />

am 12.Januar 1943.<br />

36 Vgl. Julia Roos: Wandel <strong>der</strong> Erinnerungskultur: Das Mahnmal "Untere Brücke" und<br />

das Projekt "Stolpersteine". Arbeitspapiere <strong>der</strong> Willy-Aron-Gesellschaft Bamberg<br />

e.V.1 (2006), S. 12.<br />

157


SELMA GRAF (GEB.REICHOLD)<br />

"gedanklichen Stolpern" und Erinnern anregen. 37 Der Stolperstein für Dr.<br />

med. Selma Graf wurde 2007 von <strong>der</strong> Frauenvereinigung "Soropt<strong>im</strong>istinnen<br />

International"38 gestiftet und trägt den folgenden Wortlaut:<br />

"Hier wohnte / Dr. Selma Graf / geb. Reichhold / Jg. 1887 / verhaftet Juli<br />

1938/ Zuchthaus Aichach / ermordet 31.12.1942 / Auschwitz".<br />

RW./B.5.<br />

Abbildung 20: Stolperstein für Dr. Selma Graf vor ihrem ehemaligen Wohnhaus in<br />

Bamberg, vgl. http://www.connaction-bamberg.de/willy-aron/ /kat12.php ?inhalte=<br />

kat12%2Fb20070313214120.inc&weiter.x=7&weiter. y=8&sehen=1&z=4<br />

(zuletzt aufgerufen am 8. Mai 2008).<br />

37 Ebd., S. 13.<br />

38 Soropt<strong>im</strong>ist International ist eine Organisation für Frauen in verantwortlicher beruflicher<br />

Position, die sich für Verbesserungen <strong>der</strong> Situation von Frauen, für Menschenrechte<br />

und für den Frieden einsetzt.<br />

158


D.A.<br />

* 1888, Dr. med. 1919<br />

D. A. wurde 1888 in Kempten <strong>im</strong> Allgäu geboren. Er besuchte die Volksschule<br />

und die ersten Klassen des Humanistischen Gymnasiums in seiner<br />

He<strong>im</strong>atstadt und beendete 1909 mit 21 Jahren seine Schullaufbahn am<br />

Ansbacher Gymnasium. Nach einem halben Jahr Militärdienst begann er<br />

<strong>im</strong> Sommersemester 1910 das Medizinstudium in München, wechselte<br />

zum Wintersemester 1912/13 für ein Jahr an die Universität Erlangen, wo<br />

er die Ärztliche Vorprüfung ablegte, und <strong>im</strong>matrikulierte sich danach in<br />

Kiel.<br />

Bevor er sein Studium beenden konnte, brach <strong>der</strong> Erste Weltkrieg aus,<br />

und D. A. wurde über den gesamten Zeitraum des Krieges als Truppenarzt<br />

eingesetzt. Er konnte jedoch zwischendurch <strong>im</strong> Januar 1917 sein<br />

Medizinisches Staatsexamen ablegen und erhielt kurz danach die Approbation.<br />

Seine Promotion zum Dr. med. erfolgte 1919 in Erlangen.<br />

Im April 1919 ließ sich D. A. als praktischer Arzt <strong>im</strong> Unterallgäu<br />

nie<strong>der</strong>. Er trat bereits 1930 in die NSDAP ein und wurde <strong>im</strong> darauf folgenden<br />

Jahr Standartenarzt <strong>der</strong> Standarte 12 <strong>der</strong> Sturmabteilung. Darüber<br />

hinaus übernahm er in <strong>der</strong> Folgezeit noch verschiedene Ehrenämter; so<br />

wurde er Bezirkskolonnenführer des Roten Kreuzes in Memmingen, Ratsherr<br />

<strong>der</strong> Stadt Mindelhe<strong>im</strong>, Kreisamtsleiter des Amtes für Volksgesundheit<br />

und stellvertreten<strong>der</strong> Leiter des ärztlichen Bezirksvereins Memmingen.<br />

1<br />

Am 1. Juni 1938 wurde D. A. vom Schwurgericht bei dem Landgericht<br />

Memmingen wegen ,,21 Verbrechen <strong>der</strong> gewerbsmässigen Abtreibung" zu<br />

einer Zuchthausstrafe von zwei Jahren verurteilt. Ferner wurde ihm die<br />

Ausübung des ärztlichen Berufs auf die Dauer von fünf Jahren untersagt.2<br />

1 Universitätsarchiv Erlangen (UAE): A1/3a Nr. 946a, Urteilsabschrift, S. 2.<br />

2 Ebd.,S. 1.<br />

159


D.A.<br />

Wie aus <strong>der</strong> ausführlichen Begründung des Urteils hervorgeht, hatte<br />

A. in <strong>der</strong> Zeit von 1929 bis 1933 bei sieben Frauen einen Abort provoziert,<br />

<strong>im</strong> Jahre 1933 hatte er zehn Abtreibungen vorgenommen und in den folgenden<br />

Jahren jeweils eine. Er hatte sich alle Eingriffe, allerdings abgestuft<br />

nach den finanziellen Möglichkeiten <strong>der</strong> betreffenden Frauen o<strong>der</strong> Paare,<br />

honorieren lassen. Damit war für das Gericht die Gewerbsmäßigkeit gegeben.<br />

In etlichen Fällen handelte es sich um Schwangerschaften aus unehelichen<br />

Verhältnissen; einige Frauen hatten bereits mehr als sechs Kin<strong>der</strong><br />

geboren und fürchteten die Belastungen einer weiteren Geburt; in wie<strong>der</strong>um<br />

an<strong>der</strong>en Fällen war es die soziale Notlage, die die Frauen dazu trieb,<br />

A. um den Abbruch <strong>der</strong> Schwangerschaft zu bitten. 3<br />

Der angeklagte A. leugnete in <strong>der</strong> Verhandlung nicht, die Abtreibungen<br />

vorgenommen zu haben; er betonte aber, dass er nicht aus Geldgier<br />

gehandelt habe, und verwies zu seiner Verteidigung auf seinen frühen<br />

Eintritt in die Partei. Das Gericht nahm diese Einlassung zwar wohlwollend<br />

zur Kenntnis, hielt aber am Vorwurf <strong>der</strong> Gewerbsmäßigkeit fest, weil<br />

A. in jedem einzelnen Fall Geld verlangt habe. Diese Tatsache verhin<strong>der</strong>e<br />

die Annahme, dass er aus "reinem Mitleid" gehandelt habe. 4<br />

Für die Bemessung <strong>der</strong> Strafe wurden zunächst verschiedene Umstände<br />

angeführt, die zugunsten des Angeklagten bewertet werden konnten:<br />

"Der Angeklagte ist, abgesehen von einer Kraftfahrzeugsache, die hier nicht von<br />

Bedeutung ist,5nicht vorbestraft. Seit 1930 Parteigenosse, hat er sich von Anfang an<br />

in selbstloser Weise in den Dienst <strong>der</strong> Partei gestellt und die Bewegung tätig unterstützt,<br />

indem er sich z. B. mit seinem Kraftwagen für Propagandafahrten und ähnliche<br />

Zwecke zur Verfügung stellte. Er liess sich hievon nicht durch den Umstand<br />

abhalten, dass seine Praxis zurückging. Nach dem Urteil des Zeugen Standartenführer<br />

und Bürgermeister K. von Mindelhe<strong>im</strong>, mit dem er bei <strong>der</strong> Sturmabteilung war,<br />

war [D. A.l ,einer <strong>der</strong> zuverlässigsten Nationalsozialisten'."6<br />

3 Ebd., S. 2-11.<br />

4 Ebd., S. 12f.<br />

5 Hierbei handelte es sich um ,erschwerte fahrlässige Körperverletzung' <strong>im</strong> Straßenverkehr.<br />

UAE: A1/3a Nr. 946a, Auszug aus dem Strafregister.<br />

6 Ebd., Urteilsabschrift, S. 14f.<br />

160


D.A.<br />

Darüber hinaus wurde A. ein sehr guter Ruf bescheinigt, ein Zeuge beschrieb<br />

ihn als bescheiden und als einen "grenzenlos guten Menschen",<br />

<strong>der</strong> von einer geradezu "krankhaft veranlagten Gutheit" seF Hieraus folgerte<br />

das Gericht, dass <strong>der</strong> Angeklagte aufgrund seiner Gutmütigkeit<br />

nicht die Kraft gehabt habe, die Frauen, ,,[... ] die ihm vielfach vorjammerten<br />

und ihn [an]bettelten"B abzuweisen. Diese innere Haltlosigkeit sei aber<br />

zu seinen Gunsten zu werten. Auch die Tatsache, dass A. geständig war,<br />

wurde positiv bewertet.<br />

Dieser Bewertung standen allerdings nach Auffassung des Gerichts<br />

mehrere gravierende Tatbestände gegenüber: Zum einen wurde neben <strong>der</strong><br />

großen Zahl an Abtreibungen als beson<strong>der</strong>s schwerwiegend hervorgehoben,<br />

dass A.<br />

"auch nach dem Umschwung sein volksschädigendes Treiben fortgesetzt [habe],<br />

obwohl er ja als Nationalsozialist wusste, dass nach <strong>der</strong> Auffassung des heutigen<br />

Staates die Abtreibung eines <strong>der</strong> schwersten Verbrechen gegen die Volksgemeinschaft<br />

darstellt."9<br />

Der Einwand des Angeklagten, dass <strong>der</strong> Staat eine gesunde Bevölkerung,<br />

also gesunde und kräftige Kin<strong>der</strong> sowie glückliche Mütter, wolle, dass<br />

eine Mutter aber nur dann glücklich sei, wenn sie ihre Kin<strong>der</strong> freudig zur<br />

Welt bringen könne, wurde vom Gericht nicht akzeptiert.<br />

Zum an<strong>der</strong>n betrachtete das Gericht die Taten des A. auch deshalb als<br />

schwere Verfehlungen, weil er, <strong>der</strong> gerade aufgrund seiner verschiedenen<br />

Ämter ein Vorbild hätte sein sollen, dem Ansehen <strong>der</strong> Partei durch die<br />

Verletzung <strong>der</strong> Grundsätze des Nationalsozialismus erheblich geschadet<br />

habe. 10<br />

Nach dieser Abwägung aller Umstände hielt das Gericht das Strafmaß<br />

von zwei Jahren Zuchthaus für angemessen. Das fünfjährige Berufsverbot<br />

wurde mit dem notwendigen Schutz <strong>der</strong> Öffentlichkeit vor dem Ange-<br />

7 Ebd., S. 15.<br />

8 Ebd.<br />

9 Ebd., S. 16.<br />

10 Ebd.<br />

161


D.A.<br />

klagten begründet, da das Gericht aufgrund des Charakters des Angeklagten<br />

die Gefahr <strong>der</strong> Rückfälligkeit gegeben sah. Die bürgerlichen Ehrenrechte<br />

wurden A. jedoch, gegen den Antrag des Staatsanwalts, nicht aberkannt,1l<br />

Erst <strong>im</strong> Herbst 1940 wurde die Staatsanwaltschaft Memmingen aktiv,<br />

um ihrer Meldepflicht des Strafurteils an die promovierende Universität<br />

zu genügen. Nachdem es hier zunächst zu einer Verwechslung von Kiel<br />

und Erlangen gekommen war, wurde die Universität Erlangen schließlich<br />

Anfang November mit dem Vorgang befasst. 12 Bevor <strong>der</strong> Ausschuss darüber<br />

beriet, informierte <strong>der</strong> Syndikus A. über die anstehende Entscheidung<br />

bezüglich <strong>der</strong> Doktorgradentziehung und gab ihm Gelegenheit, sich<br />

schriftlich zu <strong>der</strong> Angelegenheit zu äußern. l3<br />

A. hatte inzwischen seine Strafe verbüßt und äußerte in seinem handschriftlichen<br />

Antwortschreiben sein großes Erstaunen darüber, dass die<br />

Frage <strong>der</strong> Aberkennung des Doktortitels, die ja ebenfalls als eine Strafe<br />

anzusehen sei, erst jetzt, nach seiner Entlassung, beraten werden sollte. Er<br />

wies außerdem darauf hin, dass ihm die bürgerlichen Ehrenrechte in dem<br />

Prozess nicht entzogen worden waren. Zudem bat er die Universität, noch<br />

abzuwarten, bis sein Gnadengesuch auf nachträgliche Umwandlung <strong>der</strong><br />

Zuchthausstrafe in Gefängnisstrafe beschieden worden sei,l4<br />

Die Universität ging auf diese Bitte nicht ein, son<strong>der</strong>n setzte das<br />

Verfahren in Gang, und nachdem <strong>der</strong> Dekan die Entziehung des Doktortitels<br />

aufgrund von "Unwürdigkeit" beantragt hatte,l5 beschloss <strong>der</strong> zuständige<br />

Ausschuss in seiner Sitzung vom 30. Mai 1941 einst<strong>im</strong>mig, dass<br />

"dem früheren Arzt" D. A. <strong>der</strong> Doktortitel wie<strong>der</strong> entzogen würde. l6 D. A.<br />

11 Ebd., S. 17f.<br />

12 Diese und alle folgenden Schriftstücke befinden sich <strong>im</strong> Akt UAE: A1/3a Nr. 946a.<br />

13 Schreiben des Syndikus <strong>der</strong> Universität Erlangen an Dr. med. D. A. vom 7. November<br />

1940.<br />

14 Schreiben von D. A. an den Syndikus <strong>der</strong> Universität Erlangen vom 28. November<br />

1940.<br />

15 Schreiben des Dekans Greving an den Rektor vom 20. Dezember 1940. Ebd.<br />

16 Bescheid vom 3. Juni 1941,unterschrieben vom Prorektor Herrigel. Ebd.<br />

162


D.A.<br />

legte gegen diesen Bescheid am 15. Juli 1941 Beschwerde be<strong>im</strong> Reichsminister<br />

für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung ein. In sechs Punkten<br />

begründete er - in erstaunlich selbstbewusstem Ton 17 - seinen Einspruch<br />

und versicherte, dass er sich in Zukunft stets <strong>der</strong> Erfüllung seiner Bitte um<br />

Belassung des Doktortitels würdig erweisen werde.<br />

Obgleich <strong>der</strong> Dekan in Reaktion auf diesen Einspruch zugestand, dass<br />

in dem großen zeitlichen Abstand zwischen strafrechtlicher Verurteilung<br />

und Aberkennung des Doktortitels eine beson<strong>der</strong>e Härte läge, blieb er,<br />

auch mit Hinweis auf die Notwendigkeit <strong>der</strong> Gleichbehandlung in ähnlich<br />

gelagerten Fällen, bei <strong>der</strong> getroffenen Entscheidung,1Bdie <strong>der</strong> Rektor dann<br />

am 25. Juli 1941 dem Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und<br />

Kultus vorlegte. Am 20. August 1941 wies dann auch <strong>der</strong> Reichsminister<br />

für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung die Beschwerde zurück.<br />

Im Zentrum <strong>der</strong> Begründung stand <strong>der</strong> bezeichnende Satz:<br />

"Für einen Arzt ist es <strong>im</strong> nationalsozialistischen Staate eine <strong>der</strong> vornehmsten und<br />

wichtigsten Pflichten, das ke<strong>im</strong>ende Leben zu schützen und die zu seinem Schutz<br />

ergangenen Gesetze zu achten,"19<br />

bezeichnend deshalb, weil nur wenige Monate danach viele Tausende<br />

Zwangsabtreibungen an "Ostarbeiterinnen" <strong>im</strong> Deutschen Reich an Kliniken<br />

<strong>der</strong> Universitäten durchgeführt wurden, die seit Mitte <strong>der</strong> dreißiger<br />

17 Hierfür sei als Beispiel <strong>der</strong> folgende Passus wörtlich wie<strong>der</strong>gegeben: "Schon allein<br />

die äussere Form, in welcher <strong>der</strong> Bescheid zugestellt wurde, hat mich sehr befremdet;<br />

denn <strong>im</strong> Allgemeinen ist es wohl üblich, dass ein <strong>der</strong>artig wichtiges Schriftstück<br />

wenigstens mit einem kleinen Begleitschreiben zugesandt und nicht, wenn ein Vergleich<br />

erlaubt ist, wie ein Brocken einem Hund hingeworfen wird. Auch spricht aus<br />

<strong>der</strong> ganzen Abfassungsart <strong>der</strong> Ton äusserster Geringschätzung, den ich kurz nach<br />

meiner Verurteilung o<strong>der</strong> während <strong>der</strong> Strafverbüßung wohl o<strong>der</strong> übel hätte hinnehmen<br />

müssen, nun aber, nachdem ich meine Freiheitsstrafe längst verbüßt habe,<br />

nicht mehr zu dulden genötigt bin." Ebd.<br />

18 Schreiben des Dekans an den Rektor vom 22. Juli 1941. Ebd.<br />

19 Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, Beschluss WF 3767/<br />

41 vom 20. August 1941. Ebd.<br />

163


D.A.<br />

Jahre vielen Ärzten und Ärztinnen für Abtreibungen an "arischen" Frauen<br />

die <strong>Doktorwürde</strong> entzogen hatten.<br />

Am 9. September 1941 teilte <strong>der</strong> Rektor die rechtskräftige Entscheidung<br />

über die Aberkennung den Rektoren <strong>der</strong> deutschen Hochschulen<br />

und <strong>der</strong> Behörde in Kempten mit. Über das weitere Schicksal von D. A. ist<br />

nichts bekannt.<br />

164<br />

R.W./AT.


ADOLFMEYER<br />

* 30. März 1890, Dr. med. dent. 1. Juni 1920<br />

Adolf Meyer, Sohn von Adolf Meyer und dessen Frau Anna (geb. Martin),<br />

wurde am 30. März 1890 in Neuburg an <strong>der</strong> Donau geboren. Nach dem<br />

Besuch <strong>der</strong> Volksschule und Gymnasium in Bamberg begann er ein Studium<br />

<strong>der</strong> Neueren Sprachen in Würzburg und München. 1914 ging er zur<br />

Armee und nahm teil an den Feldzügen nach Frankreich und Russland.<br />

Später ergriff er das Studium <strong>der</strong> Zahnheilkunde. Die Zahnärztliche Prüfung<br />

absolvierte er an <strong>der</strong> Universität Erlangen am 22. April 1920. Ab Mai<br />

1920 hatte er eine Stelle als Assistent bei dem Hofzahnarzt Dr. Sieberth in<br />

Nümberg inne. Fünf Jahre später, 1925, promovierte er an <strong>der</strong> Universität<br />

Erlangen mit <strong>der</strong> Arbeit IIStreptococcus longiss<strong>im</strong>us und Streptococcus<br />

conglomeratus aus dem Mund und aus erkrankten Pulpen" zum Dr. med.<br />

dent. 1<br />

Während des Zweiten Weltkriegs war Adolf Meyer mit Datum vom<br />

16. Dezember 1943 vom Feldkriegsgericht in Regensburg "wegen eines<br />

fortgesetzten Verbrechens des Abhörens von Auslandssen<strong>der</strong>n in Tateinheit<br />

mit einem fortgesetzten Verbrechen <strong>der</strong> Verbreitung von Nachrichten<br />

ausländischer Sen<strong>der</strong>" zu vier Jahren Zuchthaus und zum Verlust <strong>der</strong> bürgerlichen<br />

Ehrenrechte auf die Dauer von drei Jahren verurteilt worden.<br />

Aufgrund dieses Urteils tagte <strong>der</strong> für den Entzug des Doktortitels zuständige<br />

Ausschuss <strong>der</strong> Universität Erlangen am 20. Dezember 1944 über diesen<br />

Fall und stellte fest, dass Adolf Meyer seinen Doktorgrad aufgrund<br />

des ergangenen Urteils verloren habe. 2 Ob <strong>der</strong> Betroffene davon unterrichtet<br />

wurde, geht nicht aus den Akten hervor.<br />

1 Die Lebensdaten bis zur Promotion sind <strong>der</strong> Vita in <strong>der</strong> Dissertation entnommen.<br />

Universitätsarchiv Erlangen (UAE):C3/3 Nr. 1919/20-127.<br />

2 Vgl. Entwurf des Rektors <strong>der</strong> Universität vom 22. Dezember 1944. UAE: A1/3a Nr.<br />

946f. Eine Abschrift dieses Schriftstücks ging an den Reichsminister für Wissenschaft,<br />

Erziehung und Volksbildung, an den Bayerischen Staatsrninister für Unterricht<br />

und Kultus sowie an das Gericht in Regensburg.<br />

165


ADOLFMEYER<br />

Wenige Monate nach Kriegsende wandte sich Adolf Meyer jedoch mit<br />

einem Schreiben an den Rektor <strong>der</strong> Universität. Er verwies darin zunächst<br />

auf die Aberkennung seines Doktortitels, die die Erlanger Medizinische<br />

Fakultät <strong>im</strong> Dezember 1944 auf <strong>der</strong> Basis seiner Verurteilung ausgesprochen<br />

hatte, und fuhr dann fort:<br />

"Ich habe sofort nach meiner Rückkehr aus meiner Gefangenschaft durch das<br />

Staatliche Gesundheitsamt Regensburg die Wie<strong>der</strong>herstellung meiner akademischen<br />

Rechte und Ehre Mitte Juni beantragt, aber bis heute in dieser Sache nichts gehört.<br />

Ich ersuche daher um Beschleunigung aus formellen Gründen, da in Wirklichkeit<br />

meine Ehre in <strong>der</strong> Öffentlichkeit schon längst hergestellt ist. Ich sehe daher Ihrem<br />

Bescheid in allernächster Zeit mit größtem Interesse entgegen."3<br />

Dieses Schreiben schickte Eugen Herrigel am 25. September 1945 unter<br />

dem Betreff: "Aufhebung eines Beschlusses über Aberkennung des Doktortitels;<br />

hier Dr. A. Meyer, Regensburg" an den Präsidenten des Universitäts-Ausschusses<br />

4 mit <strong>der</strong> Bitte um Entscheidung. 5 Das Ergebnis <strong>der</strong><br />

Beratung teilte dann zwei Wochen später Theodor Süss, <strong>der</strong> inzwischen<br />

am 26. September 1945 von <strong>der</strong> Militärregierung zum Rektor eingesetzt<br />

worden war, dem Zahnarzt Dr. A. Mayer mit:<br />

"Hiermit hebe ich als Rektor <strong>der</strong> Universität Erlangen den Beschluss des Ausschusses<br />

<strong>der</strong> Universität vom 20.12.1944auf, durch den Ihnen <strong>der</strong> am 1.6.1920von<br />

<strong>der</strong> Medizinischen Fakultät <strong>der</strong> Universität Erlangen verliehene Grad eines Dr. med.<br />

3 Schreiben von Dr. Adolf Meyer an den Rektor <strong>der</strong> Universität Erlangen vom 15.<br />

September 1945.UAE: A1/3a Nr. 946f.<br />

4 Dieser Universitäts-Ausschuss, dem zehn Professoren angehörten, war am 31. Mai<br />

1945 von <strong>der</strong> Militärregierung zur Leitung <strong>der</strong> Universität eingesetzt worden. Sein<br />

Präsident war <strong>der</strong> Theologe Paul Althaus. Dem Ausschuss zur Seite stand Eugen<br />

Herrigel als "Prorektor", dessen Funktion jedoch eher die eines Sekretariatsvorstands<br />

war. Vgl. Winfried Müller: Die Universitäten München, Erlangen und Würzburg<br />

nach 1945. Zur Hochschulpolitik in <strong>der</strong> amerikanischen Besatzungszone. In:<br />

Landesgeschichte und Zeitgeschichte. Forschungsperspektiven zur Geschichte Bayerns<br />

nach 1945, hrsg. von Max<strong>im</strong>ilian Lanzinner/Michael Henker. Materialien zur<br />

Bayerischen Geschichte und Kultur, 4. Augsburg 1997,S. 53-87,hier: S. 55f.<br />

5 UAE: AI/3a Nr. 946f.<br />

166


ADOLFMEYER<br />

dent. entzogen wurde. Sie haben daher mit sofortiger Wirkung wie<strong>der</strong>um das Recht,<br />

den Titel eines Dr. med. dent. zu führen." 6<br />

In <strong>der</strong> entsprechenden Aktennotiz, die diesen Vorgang beendete, begründete<br />

<strong>der</strong> Rektor die Entscheidung für die Aufhebung <strong>der</strong> DQktorgradentziehung<br />

folgen<strong>der</strong>maßen: "Die Entziehung erfolgte auf Grund eines<br />

typisch nationalsozialistischen Straftatbestandes und war daher rückgängig<br />

zu machen."7<br />

B.S./A.F.<br />

6 Schreiben des Rektors an Dr. Adolph Meyer vom 10. Oktober 1945. Eine Abschrift<br />

ging an das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus. UAE: A1/3a<br />

Nr.946f.<br />

7 Aktennotiz des Rektors vom 10. Oktober 1945.UAE: A1/3a Nr. 946f.<br />

167


H.O.<br />

* 1890, Dr. med. 1920<br />

H. O. kam am 26. November 1890 in einer Kleinstadt in Westfalen als Sohn<br />

eines Lehrers zur Welt. Seine schulische Ausbildung erhielt er in seinem<br />

He<strong>im</strong>atort sowie in Arnsberg und Wattenscheid. Im Anschluss daran studierte<br />

er Medizin an den Universitäten Marburg, München, Bonn und<br />

wie<strong>der</strong> Marburg. 1912 legte er sein Physikum ab. Im Krieg kam er direkt<br />

an die Front und diente in deutschen Garnisonen. 1916 bestand er das<br />

Medizinische Staatsexamen an <strong>der</strong> Universität Erlangen und ließ sich <strong>im</strong><br />

Anschluss daran in Westfalen als praktischer Arzt nie<strong>der</strong>. 1920 wurde er<br />

in Erlangen promovierU<br />

Am 25. März 1939 wurde H. 0., <strong>der</strong> damals <strong>im</strong> Kreis Teltow lebte, in<br />

einem berufsgerichtlichen Verfahren "wegen Berufsvergehen", über das<br />

aus den Universitätsakten nichts Näheres zu ermitteln ist, vom Ärztlichen<br />

Bezirksgericht Sachsen-Anhalt "für unwürdig erklärt, den ärztlichen Beruf<br />

auszuüben".2 Seine Berufung, die er dagegen be<strong>im</strong> Deutschen Ärztegerichtshof<br />

in München einlegte, wurde am 15. Dezember 1939 zurückgewiesen.<br />

3 Auf dieses Urteil gestützt nahm <strong>der</strong> Regierungspräsident des<br />

Regierungsbezirks Potsdam am 25. April 1940 H. O.s Bestallung als Arzt<br />

ohne zeitliche Begrenzung zurück. 4 In <strong>der</strong> Universität Erlangen wurde <strong>der</strong><br />

Fall <strong>im</strong> August 1940 diskutiert. Da das Urteil gegen O. auf "Unwürdigkeit",<br />

den ärztlichen Beruf auszuüben, erkannt hatte, berief sich <strong>der</strong> Dekan<br />

1 Universitätsarchiv Erlangen (UAE): C3/3 Nr. 1917/18-21.- Vgl. ferner das Schreiben<br />

des Syndikus <strong>der</strong> Universität Erlangen vom 12. September 1940. UAE: A1/3a Nr.<br />

946f.<br />

2 Abschrift des Urteils des Ärztlichen Bezirksgerichts Sachsen-Anhalt (ohne Begründung).<br />

Ebd.<br />

3 Abschrift des Urteils des Deutschen Ärztegerichtshofs (ebenfalls ohne Begründung).<br />

Ebd.<br />

4 Schreiben des Regierungspräsidenten vom 25. April 1940, in dem H. O. zugleich<br />

aufgefor<strong>der</strong>t wird, seine Bestallungsurkunde zurückzusenden. Ebd.<br />

169


H.a.<br />

<strong>der</strong> Medizinischen Fakultät auf den entsprechenden Paragraphen <strong>im</strong><br />

"Gesetz über die Führung akademischer Grade" vom 7. Juni 1939 und<br />

befürwortete die Entziehung des Doktortitels. 5 Der Ausschuss schloss sich<br />

diesem Votum an. 6 Die vom Gesetz vorgesehene Benachrichtigung des<br />

Betroffenen über die bevorstehende Aberkennung seines Doktortitels mit<br />

einer Auffor<strong>der</strong>ung zur Stellungnahme erfolgte am 12. September 1940<br />

durch den Syndikus. 7 Mit diesem Schreiben endet die Universitätsakte.<br />

Das Verfahren wurde 1942 für abgeschlossen erklärt, da H. a. offenkundig<br />

in <strong>der</strong> Zwischenzeit verstorben war.<br />

B.S./R.W.<br />

5 Schreiben des Dekans Greving an den Rektor vom 21. August 1940. Ebd.<br />

6 Handschriftliche Stellungnahmen <strong>der</strong> Dekane vom 7. bis 10. September 1940. Ebd.<br />

7 Schreiben des Syndikus an H. O. (ohne Nennung des Doktortitels) vom 12. September<br />

1940. Ebd.<br />

170


ERNST ALFRED SECKENDORF<br />

* 30. Dezember 1892,Dr. med. 22. März 1920<br />

Ernst Alfred Seckendorf wurde am 30. Dezember 1892 in Nürnberg als<br />

Sohn des Kaufmanns Friedrich (Fritz) Seckendorf und dessen Frau Anna<br />

Hopf geboren.l Er war jüdischen Bekenntnisses. 2 Nach dem Besuch <strong>der</strong><br />

dreiklassigen Vorbereitungsschule <strong>der</strong> ehemaligen Städtischen Handelsschule<br />

Nürnberg von 1899 bis 1902 wechselte er auf das Neue Humanistische<br />

Gymnasium in Nürnberg, wo er <strong>im</strong> Juli 1911 die Reifeprüfung<br />

bestand. Danach leistete er be<strong>im</strong> 19. Infanterie-Reg<strong>im</strong>ent in Erlangen den<br />

aktiven Militärdienst ab.<br />

Anschließend nahm Seckendorf das Studium <strong>der</strong> Medizin in Erlangen<br />

auf und ging nach zwei Semestern nach München, wo er <strong>im</strong> Juli 1914 die<br />

Ärztliche Vorprüfung ablegte. Am Ersten Weltkrieg nahm er von Beginn<br />

an teil und durchlief die Dienstgrade vorn Gefreiten und Unteroffizier<br />

über den Sanitätsunteroffizier und Feldunterarzt bis zum Feldhilfsarzt. Im<br />

Jahre 1917 wurde Seckendorf am Unterschenkel und am Hinterkopf ver-<br />

1 Die Lebensdaten von Ernst Alfred Seckendorf bis zu seiner Promotion wurden seinem<br />

handschriftlichen Lebenslauf in seiner Promotions akte und <strong>der</strong> Urteilsabschrift<br />

entnommen Universitätsarchiv Erlangen (UAE): C3/3 Nr. 19, 1919/20-19 und A1/3a<br />

Nr. 946h, S. 2. In letzterer finden sich auch nähere Angaben zu den Eltern und<br />

Großeltern; so geht daraus hervor, dass auch seine Eltern in Nürnberg geboren<br />

waren und dass sie am 27. Dezember 1883 dort geheiratet hatten. Die Großeltern<br />

väterlicherseits waren Leopold Seckendorf (gest. 21.3.1905) und Rika Levino (gest.<br />

11.8.1896);die Großeltern mütterlicherseits Joseph Hopf (gest. 26.2.1907)und Sophie<br />

Rosenfeld (gest. 18.2.1881),ebd., S. 18. - Weitere wichtige Informationen verdanken<br />

wir dem Enkel Ernst Seckendorf, Gräfenberg, <strong>der</strong> uns in einem längeren Gespräch<br />

auch Einsicht in sein Privatarchiv zu seinem Großvater hat nehmen lassen.<br />

2 Beide Großväter waren seit 1859 bzw. 1864 als Ausschussmitglie<strong>der</strong> <strong>im</strong> "Israelitischen<br />

Religionsverein" in Nürnberg bzw. in <strong>der</strong> "Israelitischen Kultusgemeinde"<br />

tätig. Siehe Bernhard Kolb: Die Juden in Nürnberg 1839-1945, bearb. von Gerhard<br />

Jochern, S. 7f. http://www.rijo.homepage.t-online.de/pdf/DE_NU -1U_ kolb_text.pdf,<br />

zuletzt aufgerufen am 25. Februar 2008.<br />

171


ERNST ALFRED SECKENDORF<br />

wundet. Für seine große Einsatzbereitschaft erhielt er das Militär-Verdienstkreuz<br />

2. Klasse mit Schwertern (s. Abb. 20)3 und die Bayerische Tapferkeitsmedaille,<br />

eine Auszeichnung, die eher selten vergeben wurde. 4<br />

Seine Tätigkeit als Arzt <strong>im</strong> Feld wurde ihm später als Praktisches Jahr angerechnet.<br />

Im April 1918 heiratete Ernst Seckendorf Elisabeth Meyners,<br />

die <strong>der</strong> katholischen Kirche angehörte. 5 Aus <strong>der</strong> Ehe gingen zwei Söhne<br />

hervor, die 1919 und 1921 geboren und <strong>im</strong> katholischen Glauben erzogen<br />

wurden. 6<br />

3 Privatarchiv Ernst Seckendorf jun.<br />

4 Vg1.Walther Schönfeld in seiner Einleitung zu "Girolamo Fracastoro: Syphilidis sive<br />

morbi gallici libri tres", in <strong>der</strong> Übers. v. Ernst Alfred Seckendorf. Schriftenreihe <strong>der</strong><br />

Nordwestdeutschen Dermatologischen Gesellschaft, 6. Kiel 1960, S. 19: "Er wurde<br />

von seinen Kameraden wegen seiner absoluten Einsatzbereitschaft sehr gelobt und<br />

erhielt die Bayerische Tapferkeitsmedaille." - Zwei seiner Brü<strong>der</strong> nahmen am Ersten<br />

Weltkrieg teil: <strong>der</strong> eine fiel 1917 an <strong>der</strong> Front, <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e starb 1926 <strong>im</strong> Alter von 37<br />

Jahren an den Folgen seiner Kriegsverletzung. Privatarchiv Ernst Seckendorf jun.<br />

5 Elisabeth Mathilde Marie Meyners wurde am 7. Dezember 1891 in Würzburg geboren<br />

und lebte zum Zeitpunkt ihrer Eheschließung in Fürth. Bayerisches Landesentschädigungsamt<br />

(BayLEA): EG 31 374, C-Akte, BI.5.<br />

6 Siehe http://www.ikg-fuerth.de/memorbuc.htm.zuletztaufgerufenamI5.Mai2008.<br />

Der ältere Sohn war wohl etwas lernbehin<strong>der</strong>t und wurde ab 1937 <strong>im</strong> 1884 gegründeten<br />

He<strong>im</strong> für Behin<strong>der</strong>te des Dominikus-Ringeisen-Werks Ursberg betreut. Von<br />

dort wurde er durch Verfügung des Landesfürsorgeverbandes <strong>im</strong> Zuge einer Neuorganisation<br />

<strong>der</strong> bayerischen Heil- und Pflegeanstalten <strong>im</strong> April 1941 nach Erlangen<br />

verlegt, wo er am 13. Februar 1942 starb (Privatarchiv Ernst Seckendorf jun.). Zu<br />

dieser Verlegung von Kranken aus privaten Pflegeanstalten in die Heil- und Pflegeanstalt<br />

Erlangen, die insgesamt 732 Menschen betraf, vg1. Hans Ludwig Siemen:<br />

Menschen blieben auf <strong>der</strong> Strecke ... Psychiatrie zwischen Reform und Nationalsozialismus.<br />

Gütersloh 1987, S. 173f.- Zum Schicksal des jüngeren Sohns vg1.unten<br />

S. 177,Anm. 23.<br />

172


jH th'rkiI1\'I1.<br />

ERNST ALFRED SECKENDORF<br />

Seine<br />

:~1Il' ~3~'ltdti-)ltll:1 mirt' ~id\' Dal;:i1~l1n':.ls-Urfl1l1~~(111Sg~fr\·Ut.<br />

~cr Q)r'ÖC1H; ·QJjrol~lilmllcr:<br />

). D.<br />

Abbildung 21: Urkunde des Königs für Ernst [Alfred] Seckendorf anlässlich<br />

<strong>der</strong> Verleihung des Militär-Verdienstkreuzes 2. Klasse mit Schwertern,<br />

vom 9. Dezember 1916. Privatarchiv Ernst Seckendorf jun.<br />

173


ERNST ALFREDSECKENDORF<br />

Nach dem Ende des Krieges setzte Ernst Seckendorf sein Studium fort,<br />

legte <strong>im</strong> Oktober/November 1919 sein Medizinisches Staatsexamen ab 7<br />

und erhielt am 17. Dezember 1919 seine Approbation. 8 Im Frühjahr 1920<br />

wurde er mit einer an <strong>der</strong> Erlanger Kin<strong>der</strong>klinik angefertigten Arbeit über<br />

die Rachitis zum Doktor <strong>der</strong> Medizin promoviert. 9 Danach war er bis<br />

Ende 1920 als Assistent unter Leo von Zumbusch (1874-1940) an <strong>der</strong> Dermatologischen<br />

Universitätsklinik in München tätig lO und ließ sich zum<br />

Beginn des Jahres 1921 als Facharzt für Haut-, Harn- und Geschlechtskrankheiten<br />

in Fürth nie<strong>der</strong>.<br />

Schon als Student hatte sich Ernst Seckendorf für das Fachgebiet<br />

Medizingeschichte interessiert und einschlägige Literatur gesammelty<br />

Zwischen 1930 und 1935 publizierte er eine größere Zahl medizinhistorischer<br />

Artikel, von denen <strong>der</strong> Dermatologe Walther Schönfeld 1960 eine<br />

Auswahl zusammengestellt und gewürdigt hat,12Die zweifellos wichtigste<br />

Arbeit Seckendorfs war seine Übertragung des bedeutenden lateinischen<br />

Lehrgedichtes über die Syphilis von Girolamo Fracastoro (1478-1553) ins<br />

Deutsche, die 1930 in <strong>der</strong> Münchener Medizinischen Wochenschrift ange-<br />

7 Schreiben des Dekans <strong>der</strong> Erlanger Medizinischen Fakultät, Otto F. Ranke, an<br />

Walther Schönfeld, den Direktor <strong>der</strong> Heidelberger Universitätshautklinik, vom 1.<br />

Dezember 1954. UAE: C3/3 Nr. 1919/20-19. Schönfeld bereitete zu diesem Zeitpunkt<br />

eine Publikation vor, die <strong>im</strong> Jahre 1960erschien (Anm. 4).<br />

8 Ermittlungsbericht <strong>der</strong> Staatlichen Kr<strong>im</strong>inalpolizei Nürnberg-Fürth über den Prozess,<br />

23. Januar 1938. Stadtarchiv Nürnberg (StadtAN): E 39/1766.<br />

9 Ernst Seckendorf: Das Blutbild bei Rachitis. Diss. med. Erlangen 1920. - Die Doktorurkunde<br />

ist auf den 22. März 1920 ausgestellt.<br />

10 Zumbusch hatte seit 1915 die Leitung <strong>der</strong> Münchner Hautklinik inne. - In <strong>der</strong><br />

Urteilsabschrift (UAE: Al/3a Nr. 946h, S. 2) wird irrtümlich die Münchner Frauenklinik<br />

genannt.<br />

11 Vgl. Schönfeld (Anm. 4), S. 19.<br />

12 Ebd., S. 2lf. Nicht in dieser Liste verzeichnet ist ein kleiner Artikel über die Frühzeit<br />

<strong>der</strong> Erlanger Anatomie, Ernst Seckendorf: Die Orangerie in Erlangen als anatomisches<br />

Institut. Das Bayerland 42 (1931),S. 234-236.<br />

174


ERNST ALFRED SECKENDORF<br />

kündigt worden warP Zu einer Publikation war es durch die schwierigen<br />

historischen Umstände nicht mehr gekommen, die spätere Herausgabe<br />

durch Schönfeld sollte als ein Zeichen <strong>der</strong> Anerkennung und <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>gutmachung<br />

gegenüber dem Autor verstanden werden. 14 Neben den medizinhistorischen<br />

Studien hat Seckendorf in den frühen 1930erJahren auch<br />

mehrere <strong>der</strong>matologische Arbeiten veröffentlicht.t 5<br />

Im Laufe <strong>der</strong> späten zwanziger Jahre kam Ernst Seckendorf mehrfach<br />

aus unterschiedlichen Gründen mit dem Gesetz in Konflikt und wurde<br />

1930 und 1931 wegen eines Betrugsversuchs sowie wegen des Vergehens<br />

gegen das Opiumgesetz vom 10. Dezember 1929zu Geldstrafen verurteilt.<br />

Was Letzteres angeht, so hatte er offenkundig einem drogensüchtigen<br />

Vetter über einen längeren Zeitraum hin Morphium verschafft und rechtfertigte<br />

sich <strong>im</strong> Prozess damit, dass er hierdurch eine allmähliche Entwöhnung<br />

seines Verwandten zu erreichen hoffte. Das Gericht erkannte jedoch<br />

ebenso wenig wie das ärztliche Berufsgericht Mittelfranken dieses Argument<br />

als Entlastungsgrund an. 16<br />

Bis 1933 hatte Ernst Seckendorf eine gut gehende Praxis in FürthP<br />

Nach <strong>der</strong> Machtübernahme wurde sie am 1. April, wie überall <strong>im</strong> Reich,<br />

boykottiert, indem SA-Posten mit dem Hinweis "dieser Arzt ist Jude" vor<br />

13 VgI. Schönfeld (Anm. 4), S. 16. - Die Ankündigung erfolgte <strong>im</strong> Anschluss an den<br />

Abdruck eines Vortrags über den Krankheitsnamen Syphilis, den Seckendorf am 24.<br />

April 1930 in <strong>der</strong> Nürnberger Medizinischen Gesellschaft gehalten hatte. Münchner<br />

Medizinische Wochenschrift (1930),S. 1200.<br />

14 Zu den Umständen, unter denen Schönfeld das Manuskript 1942 erstmals in die<br />

Hand bekommen hat, vgI. Schönfeld (Anm. 4), S. 16-20.- Auch Rolf Winau hat diese<br />

Übertragung Seckendorfs für seinen 2006 <strong>im</strong> Internet erschienenen Beitrag "Seit<br />

Amors Köcher auch vergiftete Pfeile führt. Die Ausbreitung <strong>der</strong> Syphilis in Europa"<br />

benutzt und diesen dem Andenken Ernst Alfred Seckendorfs gewidmet, siehe<br />

http://www.fu-berlin.de/presse/publikationen/fundiert/2002_01/02_01_ winau/index.<br />

html, zuletzt aufgerufen am 27. Februar 2008.<br />

15 Diese wurden ebenfalls von Schönfeld (Anm. 4, S. 22) aufgelistet.<br />

16 UAE: A1/3a Nr. 946h, Urteilsabschrift, S. 3-8.<br />

17 Ebd., S. 3. Dies bezeugten auch B. W., Seckendorfs spätere Verlobte, und einer seiner<br />

Jugendfreunde. BayLEA: EG 31 374, B-Akte, BI.4, und C-Akte, BI.9.<br />

175


ERNST ALFREDSECKENDORF<br />

dem Eingang aufgestellt wurden. 1B Durch diese und an<strong>der</strong>e Schikanen<br />

sowie insbeson<strong>der</strong>e durch den Verlust <strong>der</strong> Kassenzulassung, <strong>der</strong> Ende<br />

1935 erfolgte,19sank sein Einkommen stark. Er war daher auf die Hilfe<br />

seines Schwiegervaters, des Rechnungsrats a. D. Konrad Meyners, angewiesen,<br />

<strong>der</strong> bereits 1934 in seinen Haushalt in Fürth übergesiedelt war<br />

und die junge Familie mit Zuschüssen zur Miete und zur Lebenshaltung<br />

unterstützte. 20 Um sich und seine Angehörigen finanziell über Wasser zu<br />

halten, bewarb sich Seckendorf in diesen Jahren bei verschiedenen pharmazeutischen<br />

Firmen und veräußerte einen Teil seiner sehr umfangreichen<br />

und bereits überregional bekannten Fachbibliothek.<br />

Im März 1937 starb Seckendorfs Schwiegervater, und nur wenig<br />

später erlag seine Frau einem Herzschlag. Daraufhin plante Ernst Seckendorf<br />

mit <strong>der</strong> Unterstützung <strong>der</strong> "Reichsvertretung <strong>der</strong> Juden in Deutschland"<br />

die Emigration und teilte <strong>im</strong> Juni desselben Jahres dem Gesundheitsamt<br />

Fürth mit, dass er ab dem 15. Juli seine Praxis aufgeben würde,<br />

um eine Stellung <strong>im</strong> Ausland anzutreten. 21 Dieser Plan zerschlug sich je-<br />

18 Ebd., C-Akte, BI. 8. - Zu den allgemeinen Boykottmaßnahmen vg1.Werner Friedrich<br />

Kümmel: Die Ausschaltung rassisch und politisch missliebiger Ärzte. In: Ärzte <strong>im</strong><br />

Nationalsozialismus, hrsg. von Fridolf Kudlien. Köln 1985, S. 56-81, hier: S. 65f: "Am<br />

1. April 1933 standen überall vor den jüdischen Geschäften, den Praxen jüdischer<br />

Ärzte und den Büros jüdischer Rechtsanwälte SA- o<strong>der</strong> SS-Männer, um das Publikum<br />

vor dem Betreten zu ,warnen'. Auf den Plakaten, die sie trugen [... ] stand unter<br />

an<strong>der</strong>em: ,Meidet jüdische Ärzte', ,Achtung Juden, Besuch verboten', o<strong>der</strong> ,Die<br />

Juden sind unser Unglück'."<br />

19 Beschluss des Zulassungsausschusses bei <strong>der</strong> Verwaltungsstelle Nürnberg <strong>der</strong> Kassenärztlichen<br />

Vereinigung Deutschland vom 30. Dezember 1935. Privatarchiv Ernst<br />

Seckendorf jun.<br />

20 UAE: A1/3a Nr. 946h, Urteilsabschrift, S. 3. - Nach eigener Aussage betrug Seckendorfs<br />

Monatseinkommen zur Zeit des Prozesses ,,60-70 M". Ermittlungsbericht <strong>der</strong><br />

Staatlichen Kr<strong>im</strong>inalpolizei Nürnberg-Fürth über den Prozess, 23. Januar 1938.<br />

StadtAN: E 39/1766.<br />

21 Seckendorf erhielt am 3. Juni 1937 einen Hinweis <strong>der</strong> "Reichsvertretung <strong>der</strong> Juden in<br />

Deutschland", dass es auf Madagaskar und in Französisch-Westafrika Stellen für<br />

Ärzte gebe. Privatarchiv Ernst Seckendorf jun.<br />

176


ERNSTALFREDSECKENDORF<br />

doch aus nicht bekannten Gründen, und nachdem auch an<strong>der</strong>e Bewerbungen<br />

<strong>im</strong> Ausland erfolglos geblieben waren, nahm er die ärztliche<br />

Arbeit ohne Wie<strong>der</strong>anmeldung <strong>der</strong> Praxis wie<strong>der</strong> auf.<br />

Im Januar 1938 wurde Ernst Seckendorf von <strong>der</strong> Gestapo unter dem<br />

Verdacht <strong>der</strong> "Rassenschande"22 und <strong>der</strong> gewerbsmäßigen Abtreibung<br />

verhaftet,23Hintergründe dieser Anklage waren zum einen die Beziehung<br />

Seckendorfs zu seiner Verlobten B. W" die <strong>der</strong> evangelischen Konfession<br />

angehörte und mit <strong>der</strong> er schon zu Lebzeiten seiner ersten Frau eine enge<br />

Beziehung hatte. Zum an<strong>der</strong>en wurden Seckendorf drei Eingriffe in den<br />

Jahren 1934 und 1937 an drei schwangeren Frauen vorgeworfen, die einen<br />

Abgang <strong>der</strong> Leibesfrucht zur Folge gehabt hätten. Seckendorf gab in <strong>der</strong><br />

Verhandlung zwei Abtreibungsfälle zu, machte jedoch geltend, dass sein<br />

Motiv ausschließlich die Hilfe für die Frauen gewesen sei und nicht etwa<br />

<strong>der</strong> Wunsch, sich zu bereichern. Er versicherte, "dass ihm bezüglich <strong>der</strong><br />

Abtreibungen <strong>der</strong> Standpunkt des Staates und <strong>der</strong> politischen Führung<br />

zwar bekannt, in ihm aber aus seiner grundsätzlichen Einstellung heraus<br />

<strong>der</strong> Drang, den Frauen zu helfen, stärker" sei "als die Angst vor Strafe."24<br />

Zum Vorwurf <strong>der</strong> "Rassenschande" erklärte Seckendorf klar und ange-<br />

22 Das "Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und <strong>der</strong> deutschen Ehre" trat am 15.<br />

September 1935in Kraft.<br />

23 Bereits einen Tag nach <strong>der</strong> Verhaftung seines Vaters musste <strong>der</strong> 17-jährige jüngere<br />

Sohn Seckendorfs die Schule - er besuchte die "Berechtigte Private Realschule,<br />

Nürnberg" - verlassen. In den folgenden Jahren bis Kriegsende versuchte er, seinen<br />

Lebensunterhalt durch verschiedene Anstellungen, zunächst bei Bosch in Stuttgart-<br />

Feuerbach und danach in mehreren Hotelbetrieben, zu verdienen. Im Dezember<br />

1944 wurde er als Zwangsarbeiter in ein Arbeitslager <strong>der</strong> Organisation Todt eingewiesen.<br />

Eidesstattliche Erklärungen von B. W. vom 25. Juni 1954 und von einem<br />

Jugendfreund Ernst Alfred Seckendorfs vom 4. Juli 1954. BayLEA: EG 31 374, C-<br />

Akte.<br />

24 UAE: A1/3a Nr. 946h, Urteilsabschrift, S. 14: "Er stellt jedoch in Abrede, in beiden<br />

Fällen gewerbsmäßig gehandelt zu haben. Er habe die Abtreibungen gemacht, weil<br />

er in sich den Drang gefühlt habe, den beiden in verzweifelter Lage befindlichen<br />

Frauen zu helfen, jedoch nicht wegen des Entgelts. In beiden Fällen habe er deshalb<br />

auch die Frauen gefragt, ob sie das Geld entbehren könnten."<br />

177


ERNST ALFRED SECKENDORF<br />

sichts <strong>der</strong> Umstände überaus mutig, "dass das Blutschutzgesetz für ihn als<br />

Kriegsteilnehmer eine persönliche Beleidigung bedeute".25<br />

Abbildung 22: Dr. Ernst Alfred Seckendorf (1892-1943).<br />

Privatarchiv Ernst Seckendorf jun.<br />

In dem Schwurgerichtsverfahren am 22. September 1938 wurde Ernst<br />

Seckendorf wegen "drei sachlich zusammentreffen<strong>der</strong> Verbrechen <strong>der</strong><br />

gewerbsmäßigen Abtreibung in Tatmehrheit mit einem Verbrechen <strong>der</strong><br />

Rassenschande" zu zehn Jahren Zuchthaus, zum Verlust <strong>der</strong> bürgerlichen<br />

Ehrenrechte auf ebenfalls zehn Jahre und zu anschließen<strong>der</strong> Sicherungsverwahrung<br />

verurteilt, wobei die sieben Monate <strong>der</strong> Untersuchungshaft<br />

angerechnet wurden.<br />

25 Ebd.<br />

178


ERNST ALFRED SECKENDORF<br />

Im Januar 1939 informierte die Staatsanwaltschaft Nürnberg den Rektor<br />

<strong>der</strong> Universität Erlangen über die Verurteilung Ernst Seckendorfs,<br />

woraufhin dieser den Dekan <strong>der</strong> Medizinischen Fakultät am 13. Februar<br />

1939 um Äußerung zur Frage <strong>der</strong> Entziehung des Doktortitels bat. Vor<br />

dem Hintergrund <strong>der</strong> hohen Zuchthausstrafe und des Verlustes <strong>der</strong><br />

bürgerlichen Ehrenrechte sprach sich Dekan Greving wenige Tage danach<br />

für die Aberkennung des Doktortitels aus. 26 Bevor <strong>der</strong> zuständige Ausschuss<br />

<strong>der</strong> Universität hierüber tagte, schaltete sich <strong>im</strong> Sommer desselben<br />

Jahres <strong>der</strong> Regierungspräsident aus Ansbach ein, indem er den Rektor<br />

über die Verurteilung Seckendorfs informierte und mit Hinweis auf das<br />

"Gesetz über die Führung akademischer Grade" vom 7. Juni desselben<br />

Jahres deutlich machte, dass er die Entziehung des Doktortitels für angezeigt<br />

hielt.27Die Universität, <strong>der</strong> nach dem Gesetz angesichts des Entzugs<br />

<strong>der</strong> bürgerlichen Ehrenrechte nur noch formal die Entscheidung zustand,<br />

ob "sich <strong>der</strong> Inhaber durch sein späteres Verhalten <strong>der</strong> Führung eines<br />

akademischen Grades unwürdig erwiesen" habe, ließ sich noch mehrere<br />

Monate Zeit. Erst in seiner Sitzung vom 1. Dezember 1939 stellte <strong>der</strong><br />

Ausschuss fest, dass "Ernst Alfred Seckendorf den ihm <strong>im</strong> Jahre 1920 von<br />

<strong>der</strong> Medizinischen Fakultät <strong>der</strong> Universität Erlangen verliehenen Doktortitel<br />

[...] verloren hat".28Diese Entscheidung ging nachrichtlich an den<br />

Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, an den<br />

Regierungspräsidenten in Ansbach und an den Polizeipräsidenten in<br />

Nürnberg. Der Betroffene Ernst Seckendorf wurde nicht informiert.<br />

Nach seiner Verurteilung trat Seckendorf seine Strafe am 30. Januar<br />

1939 <strong>im</strong> Zuchthaus Amberg an. Sein weiteres Schicksal blieb zunächst <strong>im</strong><br />

Dunkel. Erste Nachforschungen seines Sohnes unmittelbar nach dem<br />

Krieg deuteten darauf hin, dass Seckendorf von Amberg direkt in das<br />

Auschwitz-Aussenlager Birkenau verbracht worden und dort bereits <strong>im</strong><br />

26 Die entsprechenden Briefe und Notizen finden sich in UAE: Al/3a Nr. 946h.<br />

27 Schreiben des Regierungspräsidenten in Ansbach an den Rektor vom 26. Juli 1939.<br />

Ebd.<br />

28 Ebd.<br />

179


ERNST ALFRED SECKENDORF<br />

Jahre 1941umgekommen sei. Aus diesem Grunde beantragte sein Sohn <strong>im</strong><br />

Oktober 1949 die Toterklärung seines Vaters, so dass am 31. Januar 1950<br />

vom Amtsgericht Fürth als Zeitpunkt des Todes von Ernst Seckendorf <strong>der</strong><br />

31. Dezember 1941festgestellt wurde. 29<br />

In den fünfziger Jahren kamen dann zunächst <strong>im</strong> Zuge von Entschädigungsverfahren<br />

und später durch die Auffindung <strong>der</strong> Privatkorrespondenz<br />

an seinen Sohn weitere Einzelheiten seines Schicksals ans Tageslicht:<br />

3o Danach wurde Ernst Seckendorf am 7. Mai 1942 von Amberg aus<br />

mit kurzen Zwischenaufenthalten in verschiedenen Lagern <strong>im</strong> Westen<br />

Deutschlands 31 in das "verschärfte Straflager" Rawitsch bei Posen überstellt,<br />

wo er am 24. Juli ankam. In einem Brief vom November 1942 sprach<br />

er die Befürchtung aus, dass die Aussicht, ins Altreich zurückzukommen,<br />

nur sehr gering sei, und diese Befürchtung wurde tragischer Weise schon<br />

wenige Wochen später zur Wahrheit: Wie eine Karte Seckendorfs an<br />

seinen Sohn aus dem Arbeitslager Birkenau, die am 30. Januar 1943 von<br />

<strong>der</strong> Reichsvereinigung <strong>der</strong> Juden in Deutschland in Berlin weitergeleitet<br />

wurde, erschließen lässt, war er Ende 1942 o<strong>der</strong> Anfang 1943 nach<br />

Auschwitz-Birkenau deportiert worden. Der Text <strong>der</strong> Karte ist das letzte<br />

Lebenszeichen Ernst Alfreds Seckendorfs; er lautet folgen<strong>der</strong>maßen:<br />

29 BayLEA: EG 31374, C-Akte, BI. 6.<br />

30 Im Privatarchiv Ernst Seckendorf jun. befindet sich eine Reihe von Privatbriefen aus<br />

den verschiedenen Lagern, mit <strong>der</strong>en Hilfe <strong>der</strong> Leidensweg Seckendorfs rekonstruiert<br />

werden kann. Wir danken Herrn Ernst Seckendorf für seine umfangreiche<br />

Unterstützung.<br />

31 Aus <strong>der</strong> Korrespondenz ergibt sich, dass er zunächst für einige Tage <strong>im</strong> Lager Eich<br />

bei Bad Kreuznach und dann <strong>im</strong> Lager Dortmund war. An<strong>der</strong>e Quellen besagen,<br />

dass er von Amberg aus in das Straflager Rodgau/Dieburg überstellt worden sei,<br />

vg1. Schönfeld (Anm. 4), S. 17, und die Mitteilung <strong>der</strong> Strafanstalt Amberg an das<br />

Bayerische Landesentschädigungsamt vom 24. Mai 1957. BayLEA: EG 31 374, C-<br />

Akte, BI. 19.<br />

180


ERNST ALFRED SECKENDORF<br />

"L.[ieber] P.[eter] Vorläufige Mitteilung, dass ich mich seit kurzer Zeit hier befinde.<br />

Gesundheitlich, geistig & seelisch <strong>im</strong>mer <strong>der</strong> gleiche! Brief kann sofort beantwortet<br />

werden. Wann ich wie<strong>der</strong> schreibe, fraglich. Herzlichst, Ernst. "32<br />

/1.h: ,,


ERNSTALFREDSECKENDORF<br />

Laut Todesbescheinigung starb Dr. Ernst Alfred Seckendorf nur wenige<br />

Tage später, am 11. Februar 1943, <strong>im</strong> Lager Auschwitz an einer IIRippenfellentzünd<br />

ung" .33<br />

RW./B.S.<br />

33 Todesbescheinigung des Lagers Auschwitz, vom 19. Februar 1943. Privat archiv<br />

Ernst Seckendorf jun. Die Angabe zur Todesursache stammt vom Lagerarzt Dr. Werner<br />

Rohde, <strong>der</strong> 1946 hingerichtet wurde, vgl. Robert Jay Lifton: Ärzte <strong>im</strong> <strong>Dritten</strong><br />

Reich. Stuttgart 1988, S. 265. - Das Datum des 11. Februar 1943 ist auch genannt <strong>im</strong><br />

Gedenkbuch für die Nürnberger Opfer <strong>der</strong> Schoa, hrsg. von Michael Diefenbacher/<br />

Wiltrud Fischer-Pache. Nürnberg 1998. In den Akten des Landesentschädigungsamtes<br />

findet sich demgegenüber die Aussage eines Mithäftlings, die dieser bereits<br />

<strong>im</strong> Sommer 1945 vor <strong>der</strong> Betreuungsstelle für rassisch und politisch Verfolgte in<br />

Fürth gemacht hatte. Er hatte darin mitgeteilt, dass Ernst Seckendorf als Häftlingsarzt<br />

<strong>im</strong> KZ Gusen-Mauthausen eingesetzt und dass er in den Weihnachtstagen<br />

1944/45 noch am Leben gewesen sei. Möglicherweise ist also die Todesbescheinigung<br />

aus Auschwitz nicht korrekt, es könnte sich aber bei <strong>der</strong> Aussage des Mithäftlings<br />

auch um eine Personen verwechslung handeln. Zu <strong>der</strong> Willkür bei <strong>der</strong><br />

Feststellung von Todesursachen und Todeszeitpunkten auf den Sterbeurkunden <strong>der</strong><br />

in den Konzentrationslagern Umgekommenen vgl. Herbert Wagner: Die Gestapo<br />

war nicht allein. Münster 2004, S. 523.<br />

182


IRMAKRAUS<br />

* 12. Mai 1896,Dr. med. 22. April 1924<br />

Irma Kraus wurde am 12. Mai 1896in Neustadt an <strong>der</strong> Aisch als eines von<br />

acht Kin<strong>der</strong>n des Studienprofessors Salomon Kraus und dessen Frau GIga<br />

Krempier geboren. Sie gehörte dem israelitischen Glauben an. 1 Nach <strong>der</strong><br />

Volksschule ging sie auf die Höhere Mädchenschule und besuchte ab 1911<br />

Gymnasialkurse bei <strong>der</strong> Städtischen Höheren Mädchenschule Findelgasse-<br />

Frauentorgraben in Nürnberg, wo sie <strong>im</strong> Sommer 1917 die Reifeprüfung<br />

bestand. Im Herbst des gleichen Jahres nahm Irma Kraus das Studium <strong>der</strong><br />

Medizin in Erlangen auf und blieb dort bis zur Ärztlichen Vorprüfung <strong>im</strong><br />

Januar 1920. Im dritten klinischen Semester setzte sie ihr Studium an <strong>der</strong><br />

Universität Würzburg fort, wo sie auch das Staatsexamen absolvierte. In<br />

den Jahren 1923 und 1924 war sie an <strong>der</strong> Erlanger Universitäts-Frauenklinik<br />

sowie am Städtischen Krankenhaus in Nürnberg tätig. 2<br />

Als Dissertationsthema hatte sich Irma Kraus das Gebiet <strong>der</strong> Kardiochirurgie<br />

gewählt. Am 24. März 1924legte sie ihre mündliche Promotionsprüfung<br />

in Erlangen ab, <strong>der</strong> die Arbeit "Beitrag zur operativen Behandlung<br />

von Verletzungen des Herzens" zugrunde lag, ließ sich noch <strong>im</strong><br />

gleichen Jahr als praktische Ärztin in Fürth nie<strong>der</strong> und konzentrierte ihre<br />

Tätigkeit vor allem auf Frauen und Kin<strong>der</strong>. In <strong>der</strong> ersten Zeit unterhielt sie<br />

mit einem ihrer Brü<strong>der</strong>, <strong>der</strong> ebenfalls Frauenarzt war, bei unterschiedlichen<br />

Sprechzeiten gemeinsame Behandlungs- und Wartez<strong>im</strong>mer. Später,<br />

als sich seine finanzielle Situation gebessert hatte, bezog dieser eigene<br />

Räume. Er starb 1930.<br />

Dr. Irma Kraus wohnte in den folgenden Jahren zusammen mit ihrem<br />

pensionierten Vater in <strong>der</strong> Fürther elterlichen Wohnung in <strong>der</strong> Johannis-<br />

1 Vgl. http://www.ikg-fuerth.de/memorbuc.htm.zuletztaufgerufenam15.Mai2008.<br />

Die Mutter starb 1923, <strong>der</strong> Vater 1937.<br />

2 Die Lebensdaten bis zur Promotion sind <strong>der</strong> Vita aus <strong>der</strong> Dissertation entnommen.<br />

Universitätsarchiv Erlangen (UAE): C3!3 Nr. 1923/24-35.<br />

183


IRMAKRAUS<br />

straße 14 und hatte eine recht gut gehende Praxis. Nach <strong>der</strong> Machtergreifung<br />

1933 ging das Einkommen <strong>der</strong> Ärztin jedoch in bedeutendem Umfang<br />

zurück. Erschwerend kam hinzu, dass ein an<strong>der</strong>er Bru<strong>der</strong> noch unterstützungsbedürftig<br />

war. Von ihren sieben Geschwistern starben bis<br />

1935zwei weitere Brü<strong>der</strong>. 3<br />

Abbildung Nr. 24: Dr. Irma Kraus (1896-1942). Fotoarchiv des Jüdischen<br />

Museums Fürth (JMF _ JMF _01875, Fotograf: M. Kolb, Nürnberg, Frauentor).<br />

Am 4. Juli 1935 wurde Dr. Irma Kraus unter dem Verdacht, gewerbsmäßige<br />

Abtreibung in mehreren Fällen vorgenommen zu haben, festgenommen<br />

und kam in Untersuchungshaft. 4 In den Jahren bis zu ihrer Verhaftung<br />

hatten laut Urteilsabschrift häufig Frauen, die an Regelstörungen<br />

litten, die Praxis von Irma Kraus aufgesucht. Die Ärztin hatte die Patientinnen<br />

daraufhin in manchen Fällen mit inneren Mitteln o<strong>der</strong> mit Maß-<br />

3 Die Daten nach <strong>der</strong> Promotion sind <strong>der</strong> Urteilsabschrift entnommen. UAE: A1/3a<br />

N r. 946e, S. 2.<br />

4 Ebd., S. 22.<br />

184


IRMAKRAUS<br />

nahmen, durch die <strong>der</strong> Gebärmutterhals erweitert bzw. die eventuell vorhandene<br />

Frucht ausgestoßen wurde, behandelt,5 Im Prozess hatte sie selbst<br />

dazu wohl in <strong>der</strong> folgenden Weise argumentiert:<br />

"Die Angeklagte erklärte sich, wenn die Untersuchung das best<strong>im</strong>mte Vorhandensein<br />

o<strong>der</strong> die Möglichkeit einer Schwangerschaft ergeben hatte, auf Bitten bereit,<br />

durch geeignete Eingriffe und Mittel die Beseitigung <strong>der</strong> Schwangerschaft herbeizuführen."6<br />

In <strong>der</strong> Urteilsbegründung wurde weiter ausgeführt, dass sie sich meist<br />

von den Patientinnen unbedingte Verschwiegenheit zusichern ließ und<br />

schon zu einem frühen Zeitpunkt das Honorar aushandelte, das nach Auffassung<br />

des Gerichts "<strong>im</strong> Verhältnis zu <strong>der</strong> von ihr entwickelten Tätigkeit<br />

als ziemlich hoch bezeichnet werden" müsse. 7 Der medizinische Gutachter<br />

sah in den von Irma Kraus für die Behandlung verwendeten Mitteln zwar<br />

keine Abtreibungsmittel <strong>im</strong> engeren Sinne, betonte jedoch, dass <strong>der</strong>en<br />

Kombination durchaus geeignet sei, einen Schwangerschaftsabbruch herbeizuführen.<br />

8<br />

Irma Kraus verteidigte sich in dem Prozess damit, dass sie die Bitten<br />

<strong>der</strong> Patientinnen an sie, eine Schwangerschaft zu unterbrechen, mehrfach<br />

zunächst abgelehnt habe, dass sie ihnen aber dann aus Mitleid geholfen<br />

habe. Ferner habe es sich in einigen Fällen um eine eugenische Maßnahme<br />

gehandelt, mit <strong>der</strong> "erbkranker" Nachwuchs verhin<strong>der</strong>t werden sollte. 9<br />

5 Die beiden häufigsten Mittel, die Irma Kraus anwendete, waren so genannte Quellstifte<br />

und Aretuspaste. Ihre Wirkungsweise wird in <strong>der</strong> Urteilsabschrift (ebd., S. 18t)<br />

beschrieben: Bei ersteren handelt es sich um Stifte aus einer leicht aufquellbaren<br />

Holzart, die sich durch die Aufnahme von Flüssigkeit vergrößern und dadurch den<br />

Gebärmutterhals erweitern. Die Aretuspaste ist eine seifenartige Masse, die in den<br />

Uterus eingeführt wird und die dort vorhandene Frucht von ihrer Unterlage löst.<br />

Bei mehreren Patientinnen nahm Irma Kraus nach <strong>der</strong> ersten Maßnahme noch eine<br />

Ausschabung <strong>der</strong> Gebärmutter vor.<br />

6 Ebd., S. 3.<br />

7 Ebd., S. 20.<br />

8 Ebd., S. 19.<br />

9 Z.B. ebd., S. 15.<br />

185


IRMAKRAUS<br />

In einern an<strong>der</strong>en Fall hielt Irma Kraus die Patientin für suizid gefährdet<br />

und schließlich bestritt sie auch, gewerbsmäßig gehandelt zu haben. lO<br />

Das Gericht schenkte den Argumenten von Irma Kraus keinen Glauben,<br />

dies gehe "ohne weiteres aus ihrem Gesamtverhalten hervor".11Seine<br />

Grundüberzeugung <strong>der</strong> Gewerbsmäßigkeit stützte es auf die durchweg<br />

relativ hohen Honorare, die Irma Kraus verlangt hatte; es hielt ihr aber<br />

ihre finanzielle Notlage zugute, die - ohne dass dies näher erklärt wurdenach<br />

<strong>der</strong> Machtergreifung eingetreten sei. Im Ergebnis wurde dennoch am<br />

Vorwurf <strong>der</strong> Gewerbsmäßigkeit festgehalten. 12<br />

Zugunsten <strong>der</strong> Angeklagten wurde zum einen berücksichtigt, dass sie<br />

nicht vorbestraft und dass sie in wesentlichen Punkten geständig war.<br />

Zum an<strong>der</strong>n konnte ihre Aussage, dass sie an Multipler Sklerose leide,<br />

vorn Gutachter zwar nicht bestätigt werden; er wollte es aber auch nicht<br />

ausschließen, woraufhin das Gericht <strong>der</strong> Ärztin eine etwas gemin<strong>der</strong>te<br />

Wi<strong>der</strong>standsfähigkeit zubilligte. 13<br />

Für die Festlegung des Strafmaßes spielten dann jedoch die folgenden<br />

Überlegungen die ausschlaggebende Rolle:<br />

"Straferschwerend kam in Betracht, dass sich die Angeklagte als akademisch gebildete<br />

Frau und Ärztin <strong>der</strong> aus ihrer Handlungsweise entspringenden Gefahr für<br />

Leben und Gesundheit <strong>der</strong> von ihr behandelten Frauenspersonen sowie <strong>der</strong> Gemeingefährlichkeit<br />

ihrer Handlungsweise für Volkskraft und Gesundheit voll bewusst<br />

war, gleichwohl aber sie sich nicht gescheut hat, in einer so grossen Anzahl von<br />

Fällen in äusserst skrupelloser Weise die Schwangerschaften zu unterbrechen. Die<br />

zuletzt aufgeführten Grunde fielen so schwer ins Gewicht, dass von <strong>der</strong> Zubilligung<br />

mil<strong>der</strong>n<strong>der</strong> Umstände keine Rede sein kann."14<br />

Insgesamt wurden Irma Kraus zwölf Fälle von Abtreibung zur Last gelegt,<br />

die in den Zeitraum von 1931 bis 1935 fielen, wobei die Mehrzahl, wie<br />

vorn Gericht betont wurde, nach 1933 stattfand. Verurteilt wurde sie letzt-<br />

10 Ebd., S. 16.und 20.<br />

11 Ebd., S. 20.<br />

12 Ebd., S. 20f.<br />

13 Ebd., S. 21.<br />

14 Ebd.<br />

186


IRMAKRAUS<br />

endlich am 27. November 1935 "wegen eines teils vollendeten, teils versuchten<br />

Verbrechens <strong>der</strong> gewerbsmäßigen Abtreibung"15 zu einer Zuchthausstrafe<br />

von sechs Jahren. Die viermonatige Untersuchungshaft wurde<br />

ihr aufgrund ihrer Geständigkeit auf die Gesamtstrafe angerechnet. Ferner<br />

hatte sie die Kosten des Verfahrens zu tragen. Da sie nach Auffassung des<br />

Gerichts "durch ihr Verhalten eine äusserst ehrlose Gesinnung an den Tag<br />

gelegt" habe, wurden ihr zudem die bürgerlichen Ehrenrechte auf die<br />

Dauer von fünf Jahren aberkannt. 16<br />

Am 16. Dezember 1935 erhielt die Erlanger Medizinische Fakultät von<br />

<strong>der</strong> Staatsanwaltschaft be<strong>im</strong> Landgericht Nürnberg-Fürth die beglaubigte<br />

Kopie des Urteils gegen Dr. med. Irma Kraus mit dem kurzen Hinweis<br />

darauf zugeschickt, dass die "Verurteilte <strong>im</strong> Jahre 1924 bei <strong>der</strong> Universität<br />

Erlangen den Doktortitel erworben" habe,17In einem hierauf bezogenen<br />

Vermerk hielt <strong>der</strong> Dekan Friedrich Jamin fest, dass er dieses Urteil am 18.<br />

Januar 1936 dem Concilium decanale vorgetragen und dass <strong>der</strong> Dekan <strong>der</strong><br />

Juristenfakultät in dieser Sitzung die Auffassung vertreten habe, dass "in<br />

diesem Fall <strong>der</strong> Verlust <strong>der</strong> <strong>Doktorwürde</strong> selbsttätig" eintrete. Weitere<br />

Schritte würden sich erübrigen. 18<br />

Fünf Jahre später, <strong>im</strong> April 1941, wandte sich <strong>der</strong> Leiter <strong>der</strong> Ärztlichen<br />

Bezirksvereinigung Erlangen-Fürth mit einem Schreiben an die Medizinische<br />

Fakultät in Erlangen, um ihr mitzuteilen, dass "die frühere jüdische<br />

prakt. Aerztin Dr. Irma Sara Kraus" am 8. August 1941 aus <strong>der</strong> Strafanstalt<br />

Aichach nach Verbüßung ihrer sechsjährigen Zuchthausstrafe "unter Anschliessung<br />

von fünf Jahren Ehrverlust" entlassen würde. Da aufgrund<br />

dieser Belastung die Voraussetzungen zur Entziehung des Doktortitels<br />

15 Ebd., S. 1.<br />

16 Ebd., S. 22.<br />

17 Mitteilung <strong>der</strong> Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Nürnberg-Fürth an die Medizinische<br />

Fakultät <strong>der</strong> Universität Erlangen vom 14. Dezember 1935. UAE: Al/3a<br />

Nr.946e.<br />

18 Aktenvermerk vom 18. Januar 1936, ebd. Die Universität hatte zu diesem Zeitpunkt<br />

offenkundig noch keinen Ausschuss für die Doktorgradentzüge gebildet. Vgl. auch<br />

oben die Biographie N. S.<br />

187


IRMAKRAUS<br />

gegeben seien, bat er die Fakultät um Nachprüfung und Einleitung des<br />

Verfahrens zur Aberkennung.l 9 ObwoW Irma Kraus nach Auffassung des<br />

Concilium decanale aus dem Jahre 1936 den Doktortitel eigentlich schon<br />

verloren hatte, war jetzt, fünf Jahre später, keiner <strong>der</strong> entscheidenden<br />

Amtsträger <strong>der</strong> Universität - we<strong>der</strong> <strong>der</strong> Rektor noch <strong>der</strong> Syndikus noch<br />

<strong>der</strong> Dekan - hierüber informiert, so dass <strong>der</strong> Fall noch einmal <strong>im</strong> zuständigen<br />

Ausschuss verhandelt wurde. Dieser stellte dann in seiner Sitzung am<br />

30. Mai 1941 fest, "dass Irma Sara Kraus den ihr am 22. Apri11924 von <strong>der</strong><br />

Medizinischen Fakultät <strong>der</strong> Universität Erlangen verliehenen Titel eines<br />

Dr. med. gemäß § 33 RSt.G.B. verloren" habe. 20<br />

Irma Kraus wurde nach ihrer Entlassung aus Aichach offenbar in das<br />

Konzentrationslager Ravensbrück verbracht, wo sie am 6. Juni 1942 unter<br />

nicht geklärten Umständen starb. Drei ihrer Geschwister erlitten dasselbe<br />

Schicksal: Ihre Schwester Selma und ihr Bru<strong>der</strong> Felix wurden am 27. November<br />

1941 aus Fürth in das Durchgangslager Riga-Jungfernhof deportiert<br />

und gelten seitdem als verschollen. Ihre Schwester Hedwig Bendei<br />

(geb. Kraus) wurde am 22. März zusammen mit über 260 Fürther Juden in<br />

das Konzentrationslager Izbica, südöstlich von Lublin, gebracht und kam<br />

sehr wahrscheinlich dort o<strong>der</strong> in einem an<strong>der</strong>en Lager ums Leben. 21<br />

B.S./A.F.<br />

19 Schreiben des Leiters <strong>der</strong> Ärztlichen Bezirksvereinigung Nümberg-Fürth an die Medizinische<br />

Fakultät <strong>der</strong> Universität Erlangen vom 16. April 1941. Ebd.<br />

20 Vermerk des Rektors vom 4. Juni 1941, <strong>der</strong> in Abschrift an den Reichsminister für<br />

Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, an den Polizeipräsidenten in Nümberg,<br />

an den Landrat in NeustadtjAisch und an die Ärztliche Bezirksvereinigung Erlangen-Fürth<br />

ging. UAE: A1/3a Nr. 946e.<br />

21 Siehe http://www.ikg-fuerth.de/memorbuc.htm.zuletztaufgerufenam15.Mai2008.<br />

Zum Ghetto Riga und zum Lager Riga-Jungfemhof vgl. Wolfgang Scheffler: Zur<br />

Geschichte <strong>der</strong> Deportation jüdischer Bürger nach Riga 1941/1942, http://www.volksbund.de/schon_gelesen/spektrum/riga/deportation.asp,<br />

zuletzt aufgerufen am<br />

19. Mai 2008.<br />

188


OTTO GROSSE- WIETFELD<br />

* 19. März 1898,Dr. med. 10.März 1930<br />

Am 19. März 1898 wurde Qtto Grosse-Wietfeld in Bottdorf bei Menslage<br />

(Hannover) geboren. 1 Die Großeltern und Eltern hatten einen wirtschaftlichen<br />

Betrieb mit Bäckerei, Molkerei und Mühle <strong>im</strong> Dorf Emstek bei<br />

Cloppenburg. 2 Noch während seiner Gymnasialzeit diente Grosse-Wietfeld<br />

von 1915 bis 1918 als Soldat <strong>im</strong> Ersten Weltkrieg. 3 1920 erreichte er<br />

mit dem Abitur am Humanistischen Gymnasium in Dorsten die Allgemeine<br />

Hochschulreife. Grosse-Wietfeld wählte zunächst das Studium <strong>der</strong><br />

Zoologie,4 wechselte dann aber zur Humanmedizin und studierte in<br />

Königsberg, Münster, Gießen und Breslau. Am 11. Mai 1927 erhielt er<br />

seine ärztliche Approbation. Anschließend war er am Anatomischen Institut<br />

sowie in <strong>der</strong> Medizinischen Klinik <strong>der</strong> Universität Gießen tätig. Später<br />

ging er als Volontärarzt ans Pathologische Institut <strong>der</strong> Charite nach Berlin<br />

und erlebte dort u.a. noch Ferdinand Sauerbruch in <strong>der</strong> Chirurgischen<br />

Klinik, bevor er an die Medizinische Universitätsklinik nach Münster in<br />

1 Die meisten Daten des Lebenslaufs konnten durch Archivmaterialien <strong>im</strong> Besitz <strong>der</strong><br />

Familie Grosse-Wietfeld sowie in Gesprächen mit Angehörigen gewonnen werden.<br />

Ergänzende Angaben bis zur Promotion sind <strong>der</strong> Vita <strong>der</strong> Dissertation entnommen.<br />

Universitäts archiv Erlangen (UAE):C3/3 Nr. 1929/30-18.<br />

2 Für diesen Hinweis sowie für weitere wichtige Hintergrundinformationen danken<br />

wir Herrn Carl Michael Grosse-Wietfeld, dem Sohn von Qtto Grosse-Wietfeld, <strong>der</strong><br />

ebenfalls die ärztliche Laufbahn eingeschlagen hat und als Anästhesist in Nordrhein-Westfalen<br />

tätig ist, wie auch <strong>der</strong> gesamten Familie für die Unterstützung.<br />

3 Dies war offensichtlich auch <strong>der</strong> allgemeinen Kriegsbegeisterung geschuldet: Qtto<br />

Grosse-Wietfeld konnte nur dadurch Soldat werden, dass er sich als 17-Jähriger für<br />

ein Jahr älter ausgab. Er wurde für den Russlandfeldzug eingesetzt und überlebte<br />

diesen; zwei seiner Brü<strong>der</strong> starben in Frankreich. Schriftliche Mitteilung von Astrid<br />

und Carl Michael Grosse-Wietfeld vom 21. Februar 2008.<br />

4 Zu Prof. Becher, dem Königsberger Anatomen, hatte Grosse-Wietfeld nicht nur fachlichen,<br />

son<strong>der</strong>n auch einen engeren freundschaftlichen Kontakt. Dieser riet wohl<br />

auch zum Wechsel von <strong>der</strong> Zoologie zur Humanmedizin. Ebd.<br />

189


OTTO GROS SE- WIETFELD<br />

Westfalen wechselte. Im Anschluss hatte Qtto Grosse-Wietfeld eine Assistentenstelle<br />

an <strong>der</strong> Chirurgischen Klinik in Dortmund inne.<br />

Ab 1. April 1929 arbeitete er als Assistent am Pathologischen Institut<br />

<strong>der</strong> Universität Erlangen. Er promovierte am 10. März 1930 in Erlangen<br />

mit einer Dissertation zum Thema" Über lymphoepitheliale Geschwülste.<br />

Mit zwei neuen Fällen".<br />

Abbildung Nr. 25: Dr. Otto Grosse-Wietfeld als Kavallerist.<br />

Aus: Nachrichten aus dem H. Korps, Berlin [Juli] 1943. Aufnahme: R. Zillmer<br />

Eine Bescheinigung des Direktors des Pathologischen Instituts <strong>der</strong> Universität<br />

Erlangen, Prof. Eugen Kirch, vom Juni 1933 bestätigte Grosse-<br />

Wietfeld eine bezahlte Assistentenstelle über den Zeitraum von einem<br />

Jahr und das Ausscheiden mit Blick auf eine weitere Ausbildung in <strong>der</strong><br />

190


Orro GROSSE- WIETFELD<br />

Gynäkologie und Geburtshilfe. Dr. Grosse-Wietfeld plante zum Ende <strong>der</strong><br />

We<strong>im</strong>arer Republik eine wissenschaftliche Karriere an <strong>der</strong> Universität<br />

Erlangen, in den 1930er Jahren geriet er jedoch mit den Nationalsozialisten<br />

in Konflikt. Dies war offensichtlich <strong>der</strong> Grund für die Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Pläne<br />

und den Weggang aus Franken. In einem Schreiben aus dem Jahr 1947<br />

äußerte sich Otto Grosse-Wietfeld in folgen<strong>der</strong> Weise: "Die Universitätslaufbahn<br />

habe ich damals aufgeben müssen, weil ich mich bei <strong>der</strong><br />

N.S.D.A.P. unbeliebt gemacht hatte."s<br />

Nach mehreren Ausbildungsphasen und mit einem breiten Erfahrungsschatz<br />

ließ sich Dr. med. Grosse-Wietfeld letztlich als Arzt in Rheine<br />

in Westfalen nie<strong>der</strong>. In seiner frauenärztlichen Praxis muss es neben<br />

einem breiten Spektrum an gynäkologischen Therapien und medizinischen<br />

Hilfen von Patientinnen auch gelegentlich den Wunsch nach Beendigung<br />

einer Schwangerschaft gegeben haben. Der breit gebildete und als<br />

"sehr gutmütig" charakterisierte Arzt ließ sich offenbar in schwierigen<br />

sozialen Notlagen - hierbei geht es um sehr wenige fragliche Fälle - zu<br />

einem Eingriff überreden. Laut Berichten aus <strong>der</strong> Familie hätten ihn<br />

"manche Frauen angefleht", dem habe er sich nicht entziehen können o<strong>der</strong><br />

wollen. 6<br />

Die Beurteilung dieser ärztlichen Vorgehensweise hatte sich mit <strong>der</strong><br />

Machtübernahme <strong>der</strong> Nationalsozialisten 1933 deutlich verschärft: Dr.<br />

Grosse-Wietfeld wurde in <strong>der</strong> Zeit des "<strong>Dritten</strong> Reichs" wegen Einzelfällen<br />

von Schwangerschaftsabbrüchen juristisch verfolgt und angeklagt.<br />

Mit Urteil des Schwurgerichtes Münster vom 22. Oktober 1938 und<br />

Beschluss des Reichsgerichts vom 27. Februar 1939 wurde er schließlich<br />

wegen durchgeführter Schwangerschaftsabbrüche in zwei Fällen und ver-<br />

5 Schreiben von Otto Grosse-Wietfeld vom 22. August 1947, freundlicher Weise zur<br />

Verfügung gestellt aus dem Privatarchiv earl Michael Grosse-Wietfeld. Ein Schreiben<br />

des Notars und Rechtsanwalts J. S., ebenfalls vom 22. August 1947, erwähnt,<br />

dass Grosse-Wietfeld "in Erlangen mit Parteigrössen Zusammenstösse gehabt" habe.<br />

Ebd.<br />

6 Mündliche Aussagen des Sohnes aus Berichten <strong>der</strong> Ehefrau von Otto Grosse-Wietfeld.<br />

191


OTTO GROSSE- WIETFELD<br />

suchter Abtreibung in einem Fall von nationalsozialistischen Richtern zu<br />

zwei Jahren Gefängnis verurteilU Auf die Strafe wurde die erlittene Untersuchungshaft<br />

angerechnet. Wirtschaftliche Gründe spielten in diesem<br />

Kontext offensichtlich keine Rolle, dies wird auch in den Prozessunterlagen<br />

ausdrücklich verneint. Wahrscheinlich ist eine Denunziation, möglicherweise<br />

aus dem Krankenhaus Hörstel. In <strong>der</strong> Folge erklärte ihn das<br />

Ärztliche Bezirksgericht Westfalen-Lippe laut Urteil vom 17. Juli 1940<br />

auch noch für "unwürdig", den ärztlichen Beruf auszuüben. 8<br />

Die Universität Erlangen wurde in <strong>der</strong> Folge über diese Vorgänge informiert<br />

und leitete ihrerseits das Verfahren in <strong>der</strong> Frage eines möglichen<br />

Entzugs von Grosse-Wietfelds Doktortitel ein. In diesem Zusammenhang<br />

tagte <strong>der</strong> zuständige Ausschuss <strong>der</strong> Universität in einer Sitzung am 30.<br />

Mai 1941.Dr. Qtto Grosse-Wietfeld soll dabei formal zwar Gelegenheit zur<br />

Äußerung gegeben worden sein, jedoch ist darüber nichts Näheres bekannt.<br />

Er wohnte damals in Rheine LW. Der Ausschuss <strong>der</strong> Universität<br />

beschloss letztlich eine Aberkennung des Doktorgrads. 9<br />

Aus einem Schreiben <strong>der</strong> Rechtsanwälte Qtto Grosse-Wietfelds, Dr.<br />

jur. B. und J. 5., vom 28. Juni 1941 an die Universität Erlangen geht hervor,<br />

dass <strong>der</strong> Betroffene aber in <strong>der</strong> Folge von seinem Beschwer<strong>der</strong>echt gegen<br />

die Entziehung Gebrauch gemacht hat. 10 Der Einspruch musste innerhalb<br />

eines Monats nach <strong>der</strong> Zustellung des Bescheids an den Reichsminister für<br />

Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung in Berlin sowie an das Rektorat<br />

<strong>der</strong> Universität gerichtet werden.H Als Begründung für die Beschwer-<br />

7 Laut Angaben <strong>der</strong> Mutter - berichtet durch earl Michael Grosse-Wietfeld - habe<br />

Qtto Grosse-Wietfeld während des gesamten Gerichtsverfahrens keine Aussagen<br />

machen wollen.<br />

8 Siehe Bescheid des Rektors <strong>der</strong> Universität Erlangen mit Unterschrift des Prorektors<br />

Herrigel vom 4. Juni 1941.UAE: A1/3a, Nr. 946c.<br />

9 Ebd.<br />

10 Schreiben <strong>der</strong> Rechtsanwälte des Angeklagten, J. S. und Dr. B., an den Rektor <strong>der</strong><br />

Universität Erlangen vom 28. Juni 1941.UAE: Al/3a Nr. 946c.<br />

11 Bescheid des Rektors <strong>der</strong> Universität Erlangen mit Unterschrift von Herrigel vom 4.<br />

Juni 1941.UAE: Al/3a, Nr. 946c,Abschnitt "Beschwerdebelehrung".<br />

192


Orro GROSSE-WIETFELD<br />

de wird von den Anwälten in dem Schreiben auf das noch laufende Verfahren<br />

und die ausstehende Bewertung durch den Deutschen Ärztegerichtshof<br />

in München hingewiesen:<br />

"Gegen das genannte Urteil des ärztlichen Bezirksgerichts ist Berufung eingelegt<br />

be<strong>im</strong> Deutschen Ärztegerichtshof in München. [...] Das Verfahren ist noch nicht<br />

erledigt. Der Beschuldigte bestreitet nach wie vor die ihm zur Last gelegten Vergehen.<br />

Durch Benennung mehrerer Zeugen, insbeson<strong>der</strong>e zweier Assistenzärzte, ist<br />

für die Richtigkeit <strong>der</strong> Einlassung des Beklagten Beweis angetreten. Der Deutsche<br />

Ärztegerichtshof hat inzwischen die gerichtliche Vernehmung dieser Zeugen<br />

beschlossen. "12<br />

Außerdem wurde in <strong>der</strong> Argumentation <strong>der</strong> Anwälte noch <strong>der</strong> folgende<br />

Passus angeführt:<br />

"Es würde für die Berufsausübung des Beschuldigten untragbar sein, wenn in dem<br />

berufsgerichtlichen Verfahren zu seinen Gunsten entschieden wird und er trotzdem<br />

nicht in <strong>der</strong> Lage ist, den Doktortitel zu führen. Abgesehen hiervon ist mit <strong>der</strong><br />

Möglichkeit einer baldigen Einziehung des Beschuldigten zum Zwecke <strong>der</strong> militärärztlichen<br />

Verwendung zu rechnen; auch bei dieser Berufsausübung würde dem Beschuldigten<br />

die Entziehung des Doktortitels vor Erledigung des berufsgerichtlichen<br />

Verfahrens außerordentlich hin<strong>der</strong>lich sein. Wir bitten deshalb um Entscheidung<br />

dahin, dass dem Beschuldigten <strong>der</strong> Doktortitel vorerst belassen bleibt."13<br />

Der Rektor <strong>der</strong> Universität Erlangen leitete das Schreiben weiter an Dekan<br />

Greving von <strong>der</strong> Medizinischen Fakultät "zur gefl.[issentlichen] Einsichtnahme<br />

und etwaigen weiteren Äußerung".14 In dessen Antwortmitteilung<br />

hieß es dann: "Ich empfehle[,] sich an den Deutschen Ärztegerichtshof in<br />

München zu wenden, um von dort nach Abschluss des Verfahrens eine<br />

nähere Mitteilung zu erhalten." 15<br />

12 Schreiben <strong>der</strong> Rechtsanwälte des Angeklagten, J. S. und Dr. B., an den Rektor <strong>der</strong><br />

Universität Erlangen vom 28. Juni 1941.UAE: A1/3a Nr. 946c.<br />

13 Ebd.<br />

14 Schreiben des Rektors <strong>der</strong> Universität Erlangen mit Unterschrift Herrigel vom 7. Juli<br />

1941an den Dekan <strong>der</strong> Medizinischen Fakultät. Ebd.<br />

15 Schreiben des Dekans Greving vom 8. Juli 1941.Ebd.<br />

193


QTTO GROSSE- WIETFELD<br />

In einem Schreiben des Rektors vom 9. Juli 1941 an das Bayerische<br />

Staatsministerium für Unterricht und Kultus in München wurde überdies<br />

bemerkt:<br />

"M.E. rechtfertigen die dem Grosse-Wietfeld vorgeworfenen Straftaten den Beschluss<br />

vom 30. Mai 1941. Eine an<strong>der</strong>e Frage ist, ob man nicht etwa bei einem für<br />

Grosse-Wietfeld günstigen Ausgang des vor dem Deutschen Ärztegerichtshof in<br />

München schwebenden Verfahrens aus Billigkeitsgründen eine mil<strong>der</strong>e Beurteilung<br />

obwalten lässt."16<br />

Über den Ausgang des Verfahrens befinden sich in <strong>der</strong> Akte keine weiteren<br />

Informationen. Das Leben von Dr. Grosse-Wietfeld entwickelte sich<br />

aber in <strong>der</strong> Zwischenzeit unter sehr schwierigen Bedingungen: Zunächst<br />

wurde er von den Nationalsozialisten zu Arbeitsrnaßnahmen in <strong>der</strong> Region<br />

herangezogen und dann <strong>im</strong> weiteren Verlauf des Krieges sogar an<br />

die Ostfront abkommandiert. Dort hat er in Worronesch (Russland) Militärdienst<br />

geleistet und auch den Kampf um Stalingrad erlebt, konnte aber<br />

gerade noch rechtzeitig vor <strong>der</strong> drohenden Gefangennahme ausgeflogen<br />

werden,17 Den Hauptteil des He<strong>im</strong>wegs musste Grosse-Wietfeld zu Fuß<br />

zurücklegen. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs war er in einem Lazarett<br />

bei Münster ärztlich tätig. Dort geriet er noch in englische Kriegsgefangenschaft<br />

und war dann in Südengland (Grafschaft Kent) als Lagerarzt<br />

tätig; außerdem machte man sich die medizinischen Kenntnisse von Dr.<br />

Grosse-Wietfeld auf einer weiteren Ebene zunutze: Er unterrichtete das<br />

Fachgebiet Frauenheilkunde sogar an einer "medizinischen Akademie"<br />

für Kriegsgefangene in Cheptow. 18<br />

Im Sommer 1947 wandte sich Grosse-Wietfeld an die Entnazifizierungsbehörde<br />

des zuständigen Kreises. Da er den Antrag gestellt habe,<br />

16 Schreiben des Rektors <strong>der</strong> Universität Erlangen vom 9. Juli 1941 an das Bayerische<br />

Staatsministerium für Unterricht und Kultus in München. Ebd.<br />

17 Diese Hinweise verdanken wir den Angaben <strong>der</strong> Familien Grosse-Wietfeld in<br />

Rheurdt und Rheine (Westfalen).<br />

18 Die biographischen Daten für die Phase <strong>der</strong> 1940er und 50er Jahre beruhen auf<br />

schriftlichen Mitteilungen von Astrid und earl Michael Grosse-Wietfeld vom 21.<br />

Februar 2008.<br />

194


OITa GRaSSE-WIETFELD<br />

"<strong>im</strong> Schloss Bentlage eine Entbindungsanstalt zu errichten", sei er von <strong>der</strong><br />

Stadt Rheine" aufgefor<strong>der</strong>t worden, die "politische Überprüfung beschleunigt<br />

durchzuführen."19 Für den Fragebogen des Military Government<br />

of Germany" 1946 nannte Grosse-Wietfeld als einzige problematische<br />

Mitgliedschaft seine Zeit in <strong>der</strong> "Allgemeinen SS" (1934-1938); dies<br />

sei aber nicht aus Überzeugung gewesen, son<strong>der</strong>n habe sich aus <strong>der</strong> ärztlichen<br />

Tätigkeit entwickelt. Neben Erklärungen seiner Rechtsanwälte mit<br />

Verweis auf eine Reihe von Bürgen für die tadellose persönliche Haltung<br />

des Arztes war u.a. auch eine Bescheinigung des Oberkreisdirektors Dr.<br />

Wientgen beigefügt. Dieser erinnerte sich, dass Grosse-Wietfeld <strong>im</strong> Zeitraum<br />

1939-41 sogar in <strong>der</strong> Gefahr stand, aus politischen Gründen in ein<br />

Konzentrationslager gebracht zu werden. 20<br />

Mit Datum vom 19. August 1949 wurde Grosse-Wietfeld durch den<br />

"Entnazifizierungs-Berufungsausschuss" bei <strong>der</strong> Regierung Münster in<br />

die "Kategorie V" <strong>der</strong> Unbelasteten eingeteilt.<br />

Am 8. November 1952 heiratete Otto Grosse-Wietfeld Ursula, geb.<br />

Preuss, die ebenfalls promovierte Ärztin war. 21 Die Familie hatte aber<br />

nicht nur eine beson<strong>der</strong>e Nähe zur Medizin, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong> von Otto,<br />

Franz Grosse-Wietfeld,22erlangte als Theologe und Jurist beson<strong>der</strong>e Be-<br />

19 Schreiben von atto Grosse-Wietfeld an die "deutsche Entnazifizierungskammer des<br />

Kreises Steinfurt" vom 22. August 1947. Privatarchiv Carl Michael Grosse-Wietfeld.<br />

20 Bescheinigung Dr. W. vom 28. Juni 1946. Ebd.<br />

21 Der Cousin von Dr. Ursula Preuss war als Leiter eines Hygiene-Instituts in Wuppertal<br />

erfolgreich bei <strong>der</strong> Erforschung von Diagnostika, so etwa für Vaterschaftsfragen<br />

o<strong>der</strong> auch den Nachweis von Syphilis-Erkrankungen. Er entwickelte dabei u.a. ein<br />

unter seinem Namen als "Preuss-Nährlösung" bekannt gewordenes Mittel zur Diagnostik<br />

des Syphilis-Erregers für Treponema pallidum. Ebd.<br />

22 Franz Grosse-Wietfeld (1893-1958) promovierte 1932 in Münster mit <strong>der</strong> historischen<br />

Studie "Justizreformen <strong>im</strong> Kirchenstaat in den ersten Jahren <strong>der</strong> Restauration (1814-<br />

1816): Ein Beitrag zur Geschichte <strong>der</strong> kurialen Gerichtsbehcirden und <strong>der</strong> Entwicklung<br />

des kanonischen Prozessrechts". Kath.-theol. Diss. Im Buchhandel erschien<br />

diese Arbeit in <strong>der</strong> Reihe "Verciffentlichungen <strong>der</strong> Sektion für Rechts- und Staatswissenschaften"<br />

<strong>der</strong> Gcirresgesellschaft in Pa<strong>der</strong>bom.<br />

195


OTTO GROSSE- WIETFELD<br />

deutung. 23 Er galt sogar als Freund des wichtigen NS-kritischen Kardinals<br />

Clemens Graf von Galen. Dieser spielte insbeson<strong>der</strong>e <strong>im</strong> Wi<strong>der</strong>stand gegen<br />

die "Euthanasie"-Politik Hitlers eine prominente Rolle: seine Münsteraner<br />

Predigt <strong>im</strong> Sommer 1941 führte zu einem - zumindest ,offiziellen' -<br />

Stopp <strong>der</strong> Tötungsprogramme. 24 Die Nähe <strong>der</strong> Familie Grosse-Wietfeld zu<br />

einem <strong>der</strong> bekanntesten Kritiker des NS-Staates war möglicherweise mit<br />

direkten negativen Auswirkungen verbunden, da <strong>der</strong> NS-Staat das Umfeld<br />

Galens sehr genau überwachte und auf allen Ebenen Druck ausübte.<br />

Die Represssalien <strong>der</strong> NS-Zeit sollte Otto Grosse-Wietfeld in jedem<br />

Fall auch noch längere Zeit später zu spüren bekommen: Die Haltung <strong>der</strong><br />

Erlanger Universitätsleitung ist dabei sehr interessant, wie <strong>im</strong> Folgenden<br />

zu sehen sein wird. Am 8. Juli 1960 traf bei <strong>der</strong> Universität ein Schreiben<br />

von Dr. Grosse-Wietfeld ein:<br />

"Ich bitte um eine Zweitschrift meiner Promotionsurkunde und meiner Facharztanerkennung,<br />

und wäre Ihnen sehr dankbar, wenn sie mir dieselben baldmöglichst<br />

zuschicken würden. [...] Die Originale sind durch Kriegseinwirkung verlorengegangen<br />

und ich gebrauche [sic] Zweitschriften als Unterlage bei <strong>der</strong> hiesigen Ärztekammer<br />

zur Aufstellung eines neuen Arztregisters."25<br />

23 Er wurde nach dem Ersten Weltkrieg in Deutschland zunächst Mitglied des Jesuitenordens,<br />

studierte dort Theologie wie auch Jura und promovierte in beiden Fächern.<br />

Später ging er als Kirchenjurist nach Rom, arbeitete als Dozent für Kirchenrecht und<br />

wurde Anwalt <strong>der</strong> Rota romana. Siehe auch Willi Baumann/Peter Sieve (unter Mitarbeit<br />

von Eva-Maria Ameskamp/Clemens Heitmann/Michael Hirschfeld/Karl Josef<br />

Lesch): Der katholische Klerus <strong>im</strong> Oldenburger Land. Ein Handbuch. Münster 2006.<br />

24 Siehe Joach<strong>im</strong> Kuropka (Hrsg.): Streitfall Galen. Clemens August Graf von Galen<br />

und <strong>der</strong> Nationalsozialismus. Studien und Dokumente. 2. Auflage. Münster 2007,<br />

sowie Andreas Frewer/Clemens Eickhoff (Hrsg.): "Euthanasie" und die aktuelle<br />

Sterbehilfe-Debatte. Die historischen Hintergründe medizinischer Ethik. Frankfurt<br />

am Main, New York 2000.<br />

25 Schreiben von Otto Grosse-Wietfeld an das Sekretariat <strong>der</strong> Universität Erlangen-<br />

Nürnberg vom 8. Juli 1960.UAE: Al/3a Nr. 946c.<br />

196


OITO GROSSE-WIETFELD<br />

Im Antwortschreiben des Dekans <strong>der</strong> Medizinischen Fakultät vom 22. Juli<br />

1960 hieß es in klarer Beibehaltung <strong>der</strong> während des NS-Reg<strong>im</strong>es getroffenen<br />

Entscheidungen:<br />

"Auf ihre Anfrage vorn 8. Juli 1960 hin teile ich Ihnen mit, dass auf Grund eines<br />

Bescheides des Rektors <strong>der</strong> Universität Erlangen vorn 4. Juli 1941, <strong>der</strong> auch den<br />

Rechtsanwälten S[... ] und Dr. B[...] in Rheine zugeschickt wurde, Ihnen vom<br />

Concilium decanale <strong>der</strong> Universität Erlangen <strong>der</strong> am 10. 3. 1930 bei <strong>der</strong> Medizinischen<br />

Fakultät <strong>der</strong> Universität Erlangen erworbene Dr.-Titel entzogen wurde. Über<br />

eine Wie<strong>der</strong>verleihung ist hier nichts bekannt. Ich bitte Sie deshalb um Stellungnahme,<br />

mit welchem Recht Sie einen Dr.-Titel führen."26<br />

Mit dem Antwortschreiben vom 27. Juli 1960 wandte sich Otto Grosse-<br />

Wietfeld erneut an die Universität, in <strong>der</strong> Hoffnung, den fraglichen Sachverhalt<br />

klären zu können:<br />

"Auf Ihren Brief vorn 22. 7. 60 möchte ich Ihnen mitteilen, dass mit Erlass des<br />

Reichsministers <strong>der</strong> Justiz vom 2. August 1943 die Tilgung des Strafvermerks über<br />

mich <strong>im</strong> Strafregister angeordnet worden und das Urteil des Schwurgerichts Münster<br />

vorn Oberbefehlshaber aufgehoben worden ist.<br />

Ich war <strong>der</strong> Meinung, dass dem Concilium decanale <strong>der</strong> Universität Erlangen von<br />

dieser Tatsache Mitteilung gemacht worden ist, zumal ich am Ende des Krieges als<br />

Oberarzt Dr. med. aus <strong>der</strong> Wehrmacht entlassen worden bin." 27<br />

Für die weitere Vorgehensweise machte OUo Grosse- Wietfeld folgenden<br />

Vorschlag:<br />

"Ich möchte <strong>im</strong> Laufe des September in Erlangen bei Ihnen vorsprechen um ihnen<br />

die Originale <strong>der</strong> Unterlagen vorzulegen, die ich, da sie ja für mich von außerordentlicher<br />

Wichtigkeit sind, nicht gerne aus <strong>der</strong> Hand geben möchte.<br />

Eine Abschrift des Erlasses vom 2. August 1943 füge ich bei.<br />

26 Schreiben von Ludwig He<strong>im</strong>, Dekan <strong>der</strong> Medizinischen Fakultät, an Otto Grosse-<br />

Wietfeld vom 22. Juli 1960. Ebd.<br />

27 Eine beson<strong>der</strong>e Rolle für die Gesamteinschätzung spielte wohl auch ein medizinischer<br />

Gutachter, <strong>der</strong> vorn Ärztegerichtshof eingesetzt wurde und den Sachverhalt<br />

<strong>im</strong> Sinne <strong>der</strong> Position von Otto Grosse-Wietfeld kritisch hinterfragte. Ein <strong>der</strong>artiger<br />

Sachverständiger war Dr. Grosse-Wietfeld - bezeichnen<strong>der</strong> Weise - <strong>im</strong> staatlichen<br />

Prozess <strong>der</strong> NS-Zeit nicht gestattet worden. Siehe die Angaben in mehreren<br />

Schreiben <strong>der</strong> Rechtsanwälte des Angeklagten, J. S. und Dr. B.<br />

197


DITO GROS SE- WIETFELD<br />

Sollte Ihnen <strong>der</strong> September als Zeitpunkt für eine persönliche Vorsprache nicht<br />

genehm sein, bitte ich, mir darüber persönlich Nachricht zukommen zu lassen.<br />

Mit kollegialen Grüßen,<br />

Grosse-Wietfeld. "28<br />

Mit diesem Brief schließt die Akte von Dr. Otto Grosse-Wietfeld an <strong>der</strong><br />

Universität Erlangen-Nümberg. Über das weitere Vorgehen <strong>der</strong> Hochschule<br />

o<strong>der</strong> ein eingeleitetes Entschädigungs- bzw. Rehabilitationsverfahren<br />

in <strong>der</strong> Bundesrepublik Deutschland ist nichts bekannt.2 9<br />

Grosse-Wietfeld praktizierte noch lange Jahre in Rheine in Westfalen.<br />

Er hatte die dramatischen Ereignisse und die politischen Schwierigkeiten<br />

<strong>der</strong> 1930er und 40er Jahre mit allen Untiefen <strong>der</strong> Nazi- und Kriegszeit<br />

überlebt und in seiner ärztlichen Tätigkeit noch eine längere fruchtbare<br />

Zeit: Er arbeitete wie<strong>der</strong> erfolgreich als nie<strong>der</strong>gelassener Frauenarzt und<br />

führte offensichtlich auch den Doktortitel konstant weiter; eine offizielle<br />

Rehabilitation durch die Universität Erlangen erfolgte jedoch - soweit die<br />

Akten dies belegen können - nicht. Nach einem vielfältigen medizinischen<br />

und einem facettenreichen persönlichen Lebensweg erkrankte Otto<br />

Grosse-Wietfeld mit 70 Jahren an einer Chronischen Leukämie. Er starb<br />

nach langem Krankheitsverlauf am 16. April 1980 <strong>im</strong> Alter von 82 Jahren<br />

in seiner He<strong>im</strong>atstadt Rheine - ziemlich genau fünfzig Jahre nach seiner<br />

Promotion in Erlangen. Begraben liegt Dr. Otto Grosse-Wietfeld zusammen<br />

mit seinen Geschwistern in Emstek bei Cloppenburg. 30<br />

A.F./B.S.<br />

28 Schreiben von Dr. Qtto Grosse-Wietfeld an den Dekan <strong>der</strong> Medizinischen Fakultät<br />

vom 27. Juli 1960. UAE: Al/3a Nr. 946c.<br />

29 Eine diesbezügliche Anfrage an die Bundeszentralkartei zu Entschädigungsverfahren<br />

erbrachte keinen Eintrag. Auch in <strong>der</strong> Familie ist hierüber nichts bekannt.<br />

30 Schriftliche Mitteilung von Astrid und earl Michael Grosse-Wietfeld vom 21. Februar<br />

2008.<br />

198


O.K.<br />

* 1898,Dr. med. dent. 1922<br />

O. K. kam am 1. Juni 1898<strong>im</strong> miUelfränkischen Landkreis Erlangen-Höchstadt,<br />

als Sohn eines Forstverwalters zur Welt. Er besuchte die Volksschule<br />

in <strong>der</strong> Oberpfalz und kam anschließend auf das Humanistische Alte<br />

Gymnasium in Regensburg. In <strong>der</strong> Zeit vom 10. Dezember 1916 bis zum<br />

1. April 1919 diente er <strong>im</strong> Heer. Nach <strong>der</strong> erfolgreich absolvierten<br />

Reifeprüfung begann er das Studium <strong>der</strong> Zahnheilkunde in München, wo<br />

er nach vier Semestern die Zahnärztliche Vorprüfung ablegte. Danach<br />

setzte er das Studium in Erlangen fort und bestand dort 1921 die Zahnärztliche<br />

Prüfung. Kurze Zeit später erhielt er seine Approbation. 1<br />

1922 wurde O. K. in Erlangen zum Dr. med. dent. promoviert. Über<br />

seinen weiteren Lebensweg ist nichts bekannt. Aus dem Promotionsbuch<br />

<strong>der</strong> Medizinischen Fakultät geht jedoch hervor, dass ihm <strong>im</strong> Jahre 1936<br />

<strong>der</strong> Doktortitel entzogen wurde. 2 Da zu diesem Vorgang keine Akten <strong>im</strong><br />

Universitätsarchiv erhalten sind, liegen die Gründe hierfür <strong>im</strong> Dunkeln.<br />

Auch über das weitere Schicksal des Zahnarztes ist nichts bekannt.<br />

1 Universitätsarchiv Erlangen (UAE):C3/3 Nr. 1921/22-58.<br />

2 UAE: Dek. Med. Fak. Promotionsbuch 1900/01-1924/25.<br />

B.S./R.W.<br />

199


L.D.<br />

* 1918,Dr. med. 1943<br />

1. U. kam am 23. Januar 1918 in <strong>der</strong> Nähe von Amberg als Sohn eines<br />

Postbeamten zur WelU Er besuchte die Volksschule in Amberg und wechselte<br />

danach in die Oberrealschule, die er <strong>im</strong> Frühjahr 1937 mit dem Abitur<br />

abschloss. Nach einem halben Jahr Reichsarbeitsdienst, <strong>der</strong> sich an die<br />

Schulzeit anschloss, begann er zum Wintersemester 1937 sein Medizinstudium<br />

in München, musste jedoch <strong>im</strong> Frühjahr 1940 zum Militär. Nach<br />

neunmonatigem Einsatz an <strong>der</strong> Front konnte er <strong>im</strong> November 1941 sein<br />

Studium fortsetzen und kam zu diesem Zweck an die Erlanger Universität.<br />

Hier absolvierte er 1943 sein Staatsexamen und wurde <strong>im</strong> gleichen<br />

Jahr zum Dr. med. promoviert.<br />

Nur wenige Monate später, am 7. Dezember 1943,wurde U. durch ein<br />

"Feldurteil des Gerichts <strong>der</strong> Division Nr. 413" wegen Abtreibung in einem<br />

Fall zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt und verlor die bürgerlichen<br />

Ehrenrechte auf die Dauer von fünf Jahren. Ferner wurde auf "Verlust <strong>der</strong><br />

Wehrwürdigkeit" erkannt. Zugleich wurde ihm die Approbation entzogen<br />

und die Bestallungsurkunde eingezogen. 2 Der Aberkennung <strong>der</strong> bürgerlichen<br />

Ehrenrechte folgte noch <strong>im</strong> gleichen Jahr die Aberkennung des Doktortitels<br />

durch den zuständigen Ausschuss <strong>der</strong> Universität Erlangen auf<br />

seiner Sitzung am 20. Dezember 1944. 3 Anfang Januar 1945informierte <strong>der</strong><br />

1 Universitätsbibliothek Erlangen (UBE):U 43.1777.<br />

2 Schreiben des Regierungspräsidenten vom 20. September 1944 an L. U., <strong>der</strong> seit Anfang<br />

Juni seine Strafe <strong>im</strong> Zuchthaus von Amberg verbüßte. Universitätsarchiv Erlangen<br />

(UAE): Al/3a Nr. 946h. Abschriften <strong>der</strong> Prozessakten o<strong>der</strong> des Urteils liegen <strong>im</strong><br />

Universitätsarchiv nicht vor.<br />

3 Schreiben des Rektors Eugen Herrigel vom 22. Dezember 1944mit jeweils einem Abdruck<br />

an den Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, den<br />

Bayerischen Staatsminister für Unterricht und Kultus, den Dekan <strong>der</strong> Medizinischen<br />

Fakultät, die Rektoren <strong>der</strong> deutschen Universitäten, den Regierungspräsidenten in<br />

Regensburg sowie den Oberbürgermeister <strong>der</strong> Stadt Amberg. Ebd.<br />

201


L.U.<br />

Rektor den Direktor des Zuchthauses Amberg über den Titelentzug und<br />

bat ihn, L. U. diese Entscheidung mitzuteilen. U. war zu diesem Zeitpunkt<br />

<strong>im</strong> Spital <strong>der</strong> Strafanstalt zu ärztlichen Hilfsdiensten eingesetzt und arbeitete<br />

offensichtlich "zu vollster Zufriedenheit."4<br />

Am 17. Juli 1945, also nur wenige Wochen nach Ende des Zweiten<br />

Weltkriegs, wandte sich U. aus dem Strafgefängnis Amberg mit folgendem<br />

Schreiben an den Rektor <strong>der</strong> Erlanger Universität:<br />

"Ich habe [... ) 1943 an <strong>der</strong> Universität Erlangen das Doktorexamen abgelegt und das<br />

Doktordiplom dort erhalten. Auf Grund einer Zuchthausstrafe wurde mir laut<br />

Beschluss des damaligen Rektors od. dessen Stellvertreters die Führung des Dr.-<br />

Titels verboten. Ich erwähne, dass diese Einführung seit 1933 unter dem Nazireg<strong>im</strong>e<br />

bestanden hat. In <strong>der</strong> Annahme, dass die Universität nun von diesen nie<strong>der</strong>en<br />

Elementen gesäubert ist, ersuche ich den damaligen Beschluss <strong>der</strong> Aberkennung des<br />

Dr.-Grades aufzuheben, u. mir die Führung des Dr. med. zuzuerkennen."5<br />

In <strong>der</strong> Antwort <strong>der</strong> Universitätsleitung verwahrte sich diese zunächst gegen<br />

die unangemessene Wortwahl, mit <strong>der</strong> U. die Amtsträger in seinem<br />

Brief bedacht hatte, und lehnte die Wie<strong>der</strong>verleihung des Doktortitels aufgrund<br />

<strong>der</strong> Verurteilung wegen eines "unpolitischen Verbrechens" ab:<br />

"Von ,nie<strong>der</strong>en Elementen' <strong>im</strong> Zusammenhang mit dem Rektor <strong>der</strong> Universität zu<br />

sprechen, müssen wir als ganz ungehörig zurückweisen. Wir wollen <strong>der</strong> Kürze<br />

halber nur darauf verweisen, dass <strong>der</strong> zur Zeit <strong>der</strong> Aberkennung ihres Doktortitels<br />

amtierende Rektor von <strong>der</strong> Militärregierung in seinem Amt als Prorektor bestätigt<br />

ist. Ihr Anwurf entbehrt auch deswegen je<strong>der</strong> Begründung, weil ihnen <strong>der</strong> Doktortitel<br />

nicht etwa aus politischen Gründen aberkannt ist - was uns selbstverständlich<br />

zu einer Revision Veranlassung geben würde -, son<strong>der</strong>n wegen eines unpolitischen<br />

Verbrechens über sie verhängt war. Solange diese Strafe nicht förmlich aufgehoben<br />

ist, kann daher eine erneute Zuerkennung des Doktortitels nicht in Frage kommen."6<br />

4 Schreiben des evangelischen Anstaltsgeistlichen des Strafgefängnisses Amberg an<br />

den Rektor vom 30. April 1946. Ebd.<br />

5 Schreiben von L. U. an den Rektor <strong>der</strong> Universität Erlangen vom 17. Juli 1945. Ebd.<br />

6 Schreiben <strong>der</strong> Universität an L. U. vom 27. Juli 1945, unterschrieben in Vertretung<br />

von (Friedrich) Lent, einem <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong> des so genannten Zehnerausschusses,<br />

202


L.U.<br />

Nachdem <strong>der</strong> Antrag auf Wie<strong>der</strong>verleihung des Doktortitels von 1945<br />

damit bis auf weiteres zurückgewiesen worden war, wandte sich <strong>der</strong><br />

Anstaltsgeistliche des Strafgefängnisses <strong>im</strong> Frühjahr 1946 an den Rektor<br />

mit <strong>der</strong> Bitte, L. U., <strong>der</strong> am 11. Juni 1946entlassen werden sollte, die Führung<br />

des Doktortitels erneut zu erlauben? Und nur wenige Tage später<br />

richtete auch <strong>der</strong> Vater von U. ein Schreiben an den Rektor <strong>der</strong> Universität<br />

mit <strong>der</strong>selben Bitte:<br />

"Da nun die Gesetze, die nach 1933 geschaffen wurden, keine Gültigkeit mehr haben<br />

und sich mein Sohn <strong>im</strong> Sinne <strong>der</strong> heutigen Rechtsauffassung des § 218 durch das<br />

Vorgehen Ihres Herrn Vorgängers zu hart betroffen fühlt, bitte ich den hochverehrten<br />

Herrn Rektor die Angelegenheit nochmals überprüfen zu wollen und meinem<br />

Sohn die Führung des Grades eines Dr. med. ab 11. Juni 46 wie<strong>der</strong> zu erteilen.<br />

Mein Sohn war nicht Mitglied <strong>der</strong> NSDAP und des NS-Reichsärztebundes."8<br />

Die Antwort <strong>der</strong> Universität erfolgte am 27. Mai und wurde wie<strong>der</strong>um<br />

von Friedrich Lent unterzeichnet:<br />

"Die Entziehung des Doktortitels ist nicht durch die Universität erfolgt, son<strong>der</strong>n trat<br />

als notwendige Folge des gerichtlichen Urteils wegen Verlustes <strong>der</strong> bürgerlichen<br />

Ehrenrechte ein. Diese Best<strong>im</strong>mung des Reichsstrafgesetzbuches ist bisher nicht beseitigt.<br />

Die Verurteilung Ihres Sohnes ist bisher nicht aufgehoben, die gnadenweise<br />

Entlassung aus <strong>der</strong> Strafhaft beweist umgekehrt, dass das Urteil an sich noch zu<br />

Recht besteht. Die Universität ist daher noch nicht in <strong>der</strong> Lage, den Doktortitel<br />

wie<strong>der</strong> zu verleihen o<strong>der</strong> sich auf den Standpunkt zu stellen, Ihr Sohn sei nunmehr<br />

befugt ihn wie<strong>der</strong> zu führen.<br />

Wir stellen Ihnen anhe<strong>im</strong> sich an das Justizministerium zu wenden mit <strong>der</strong> Frage, ob<br />

eine Wie<strong>der</strong>aufnahme des Verfahrens statthaft erscheint, o<strong>der</strong> ob sonst das Urteil<br />

beseitigt werden kann, wenn man es als nationalsozialistisches Fehlurteil betrachten<br />

kann. Es ist ja möglich, dass die über Ihren Sohn verhängte Strafe nach heutiger<br />

Rechtsauffassung zu hart erscheint."9<br />

dem <strong>der</strong> Rektor des letzten Kriegssemesters, Eugen Herrigel, jetzt als "Prorektor"<br />

an<strong>der</strong>er Art zur Seite stand. Ebd. - Zu diesem Ausschuss vgl. oben S. 166, Anm. 4.<br />

7 Ebd.<br />

8 Brief des Vaters vom 5. Mai 1946 an den Rektor. Ebd.<br />

9 Schreiben von Friedrich Lent an den Vater von L. U. vom 27. Mai 1946. Ebd.<br />

203


L.U.<br />

Wie angekündigt, wurde U. am 11.Juni 1946 "auf dem Gnadenwege" aus<br />

<strong>der</strong> Haft entlassen. Zweieinhalb Jahre später wandte er sich erneut selbst<br />

an die Erlanger Universität. Er teilte dem Syndikus mit, dass ihm zum 7.<br />

Dezember 1948 die bürgerlichen Ehrenrechte wie<strong>der</strong> zuerkannt werden<br />

würden, und fragte an, ob die Universität gewillt sei, ihm daraufhin die<br />

<strong>Doktorwürde</strong> erneut zu verleihen o<strong>der</strong> ob die Berechtigung zur Führung<br />

des Titels von selbst wie<strong>der</strong> gegeben sei. lO Da die Universität nicht reagierte,<br />

hakte er <strong>im</strong> Dezember desselben Jahres noch zwei Mal nach. ll Die Universität<br />

teilte ihm daraufhin mit, dass sie einen Senatsausschuss bilden<br />

wolle, <strong>der</strong> sich mit <strong>der</strong> Sache befassen solleP Fünf Monate später, am<br />

13. Mai 1949,wurde ihm dann das Ergebnis <strong>der</strong> letzten Sitzung des Concilium<br />

decanale mitgeteilt:<br />

"Das Concilium decanale <strong>der</strong> Universität Erlangen [... ] hat sich in <strong>der</strong> Sitzung vom<br />

10. 5. 1949 mit Ihrem Antrag befasst. Ein Beschluss konnte indessen noch nicht<br />

herbeigeführt werden, da über die Tat, die zu dem Feldgerichtsurteil vom 7.12.1943<br />

führte, hier nichts bekannt ist. Es wird ihnen anhe<strong>im</strong>gegeben, eine Abschrift dieses<br />

Urteils und gegebenenfalls einen Bericht über die näheren Zusammenhänge Ihrer<br />

Tat vom Jahre 1943 hier vorzulegen, worauf sich das Concilium decanale erneut mit<br />

dem Fall befassen wird."13<br />

Mit diesem Schreiben endet die Akte von L. U. <strong>im</strong> Universitätsarchiv.<br />

Über sein weiteres Schicksal ist nichts bekannt.<br />

B.S./R.W.<br />

10 Brief von L. U. an den Syndikus vom 5. November 1948. Ebd.<br />

11 Die Briefe sind vom 7. Dezember 1948, dem Tag <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>verleihung <strong>der</strong> bürgerlichen<br />

Ehrenrechte, und vom 20. Dezember 1948. Ebd.<br />

12 Schreiben des Rektors Friedrich Baumgärtel vom 23. Dezember 1948. Ebd.<br />

13 Schreiben des Rektors Friedrich Baumgärtel vom 13. Mai 1949. Ebd.<br />

204


4.3 VERFAHREN OHNE ABERKENNUNG


N.M.<br />

* ca. 1868, Dr. med. 1891<br />

N. M. wurde <strong>im</strong> Jahre 1868 o<strong>der</strong> 1869 geboren, stammte aus Breslau und<br />

war jüdischen Glaubens,1 1891 erwarb er an <strong>der</strong> Universität Erlangen<br />

seinen medizinischen Doktorgrad und erhielt <strong>im</strong> darauf folgenden Jahr in<br />

München seine Approbation als Arzt. Sein letzter bekannter Wohnsitz war<br />

in Berlin-Weißensee, danach hielt er sich an unbekanntem Ort <strong>im</strong> Ausland<br />

auf.2<br />

Die Universität Erlangen wurde <strong>im</strong> Herbst des Jahres 1937 durch den<br />

Polizeipräsidenten von Berlin darüber unterrichtet, dass N. M. "durch<br />

Urteil <strong>der</strong> 14. Großen Strafkammer des Landgerichtes Berlin [... ] zu 6<br />

Monaten Gefängnis wegen fahrlässiger Tötung verurteilt worden" war.<br />

Mit dieser Verurteilung war nicht nur die Zurücknahme <strong>der</strong> Bestallung als<br />

Arzt verbunden, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Universität oblag es, ein" Verfahren wegen<br />

Entziehung <strong>der</strong> <strong>im</strong> Jahre 1891 in Erlangen erworbenen <strong>Doktorwürde</strong>" einzuleiten.<br />

3<br />

1 Schreiben des Dekans <strong>der</strong> Erlanger Medizinischen Fakultät an den Rektor vorn 26.<br />

März 1938 mit dem Betreff: "Entziehung des Doktortitels". Universitätsarchiv Erlangen<br />

(UAE): A1/3a Nr. 946e.<br />

2 Schreiben des Polizeipräsidenten in Berlin an N. M. vorn 11. Oktober 1937. Ebd. -<br />

Möglicherweise war er nach Barranquilla in Kolumbien an <strong>der</strong> karibischen Küste<br />

emigriert.<br />

3 Dieses Schreiben ist in den Akten des Universitätsarchivs nicht erhalten; sein Inhalt<br />

lässt sich aber aus dem Schreiben des Syndikus <strong>der</strong> Universität Erlangen an das<br />

Landgericht Berlin vorn 14. Dezember 1937erschließen, in dem er zur Durchführung<br />

des Verfahrens um kurzfristige Überlassung <strong>der</strong> Strafakten bittet (ebd.). - Bemerkenswert<br />

an diesem Fall ist die Tatsache, dass M., obwohl er zum Zeitpunkt seiner<br />

Verurteilung offenkundig bereits <strong>im</strong> Ausland war, nicht auch offiziell ausgebürgert<br />

wurde, was seine Depromotion mehr o<strong>der</strong> weniger automatisch nach sich gezogen<br />

hätte. Dass aber tatsächlich vielen promovierten Emigranten die Staatsangehörigkeit<br />

nicht aberkannt wurde, wird von Sabine Happ mit Zahlen belegt. Vgl. Sabine Happ:<br />

Politisch und nicht politisch motivierte Aberkennung von akademischen Graden. In:<br />

207


N.M.<br />

Die Ursache für M.s Verurteilung war ein ärztlicher Kunstfehler mit<br />

tödlichem Ausgang. Er hatte offenbar <strong>im</strong> Dezember 1934 bei einer Frau,<br />

die <strong>im</strong> dritten Monat schwanger war und seit längerem unter leichten<br />

Blutungen litt, einen beginnenden Abort diagnostiziert und daraufhin<br />

beschlossen, eine Ausräumung <strong>der</strong> Gebärmutter vorzunehmen. Dabei<br />

kam es jedoch zu einer Perforation mit anschließen<strong>der</strong> Peritonitis, an <strong>der</strong><br />

die Patientin wenige Tage später verstarb. Das Gericht erkannte auf<br />

"fahrlässige Tötung" und verurteilte M. zu sechs Monaten Gefängnis<br />

sowie Entzug <strong>der</strong> Approbation. 4 Ob M. sein Recht zur Anfechtung des<br />

Approbationsentzugs wahrgenommen hat, entzieht sich unserer Kenntnis.<br />

Der Universität oblag es nun zu entscheiden, ob M. aufgrund seiner<br />

Verurteilung auch <strong>der</strong> Doktortitel entzogen werden sollte. Der Dekan<br />

sprach sich sehr best<strong>im</strong>mt dagegen aus: Es handele sich "um falsche<br />

ärztliche Massnahmen", eine sittliche Verfehlung liege jedoch nicht vor.<br />

Zu M.s Entlastung wies er außerdem darauf hin, dass dieser bereits 70<br />

Jahre alt war, über den Zeitraum von 40 Jahren ärztliche Praxis ausgeübt<br />

habe und unbescholten sei.SDer für die Entscheidung über die Doktorgradentzüge<br />

zuständige Ausschuss beschloss in seiner Sitzung vom 29.<br />

März 1938 einst<strong>im</strong>mig, dem Votum des Dekans <strong>der</strong> Medizinischen Fakultät<br />

zu folgen und "von <strong>der</strong> Entziehung <strong>der</strong> <strong>Doktorwürde</strong> abzusehen".6<br />

RW./B.S.<br />

Vielfalt <strong>der</strong> Geschichte. Lernen, Lehren und Erforschen vergangener Zeiten, hrsg.<br />

von Sabine Happ/Ulrich Norm. Berlin 2004, S. 283-296,hier: S. 290.<br />

4 Die Urteilsabschrift ist nicht <strong>im</strong> Universitätsarchiv vorhanden; <strong>der</strong> Hergang wird<br />

aber ausführlich vom Dekan <strong>der</strong> Erlanger Medizinischen Fakultät in seinem Schreiben<br />

an den Rektor vom 26. März 1938geschil<strong>der</strong>t. UAE: Al/3a Nr. 946e.<br />

5 Ebd.<br />

6 Handschriftlicher Vermerk mit Datum vom 30. März 1938, unterschrieben vom<br />

Rektor Specht. Ebd.<br />

208


P.J.<br />

* 1886,Dr. med. 1912<br />

P. J. wurde am 1886 als Sohn eines Landgerichtsrats in Fürth geboren und<br />

wuchs in Bamberg auf. Im Juli 1905 erhielt er das Reifezeugnis und begann<br />

<strong>im</strong> gleichen Jahr ein Medizinstudium an <strong>der</strong> Universität Erlangen.<br />

Nach sechs Semestern legte J. die Ärztliche Vorprüfung ab und studierte<br />

die folgenden vier Semester in Halle, wo er <strong>im</strong> Januar 1911 die Medizinische<br />

Staatsprüfung absolvierte.<br />

Das Praktische Jahr verbrachte J. zwei Monate lang in <strong>der</strong> Hautklinik<br />

Halle an <strong>der</strong> Saale sowie vier Monate lang <strong>im</strong> Stadtkrankenhaus Darmstadt,<br />

den Hauptteil von ca. sechs Monaten aber in den Bergen an <strong>der</strong><br />

Deutschen Heilstätte in Davos. Im Jahr 1912promovierte P. J. in Erlangen.<br />

Dr. J. schlug in <strong>der</strong> Folge eine akademische Laufbahn ein: Er wurde<br />

Privatdozent, dann außerordentlicher Professor für sein Fachgebiet und<br />

war an einer <strong>der</strong> Frankfurter Universitätskliniken tätig. Er war verheiratet<br />

und lebte mit seiner Frau in Frankfurt am Main.<br />

Im März 1938 unternahm das Ehepaar J. mit seinem Auto einen Ausflug<br />

von Frankfurt in das nähere Umland. Kurz vor dem Forsthaus Mitteldick<br />

tauschte das Paar die Plätze, da J.s Ehefrau, die keinen Führerschein<br />

besaß, ihren Mann gebeten hatte, ihr das Autofahren beizubringen. Be<strong>im</strong><br />

Manövrieren des Wagens <strong>im</strong> ersten Gang, bei dem sie Gas gab und <strong>der</strong><br />

Mann steuerte, übersahen die beiden offensichtlich den Förster W., <strong>der</strong><br />

mit dem Rad das langsam fahrende Auto von links überholen wollte. Da<br />

<strong>der</strong> Kraftwagen schräg auf die Fahrbahnmitte zusteuerte, wurde <strong>der</strong> Förster<br />

erfasst und geriet unter das Auto. Der Förster erlitt Verletzungen an<br />

Brustkorb, Rippen und den inneren Organen, so dass er schließlich <strong>im</strong><br />

Krankenhaus starb.!<br />

1 Urteilsabschrift des Landgerichts Frankfurt am Main vom 18. August 1938. Universitätsarchiv<br />

Erlangen (UAE): Al/3a Nr. 946b, S. 2-3.<br />

209


P.J.<br />

Im Oktober 1938 wurde die Universität Erlangen über die am 18.<br />

August 1938 erfolgte Verurteilung des Ehepaares J. wegen fahrlässiger<br />

Tötung und Übertretung <strong>der</strong> Verkehrsordnung über die Ausbildung von<br />

Kraftfahrzeugführern und des Kraftfahrzeuggesetzes benachrichtigt.2 P. J.<br />

war zu vier Monaten Gefängnis verurteilt worden, seine Ehefrau zu einer<br />

Geldstrafe von 1.000 RM. Im Übrigen wurde das Verfahren jedoch aufgrund<br />

des Straffreiheitsgesetzes vom 30. April 1938eingestellt.<br />

Der Entzug des Titels wurde durch den Dekan <strong>der</strong> Medizinischen<br />

Fakultät Greving <strong>im</strong> November 1938abgelehnt, da nach seiner Auffassung<br />

"keine moralischen Verstöße" vorlagen; die an<strong>der</strong>en Dekane schlossen<br />

sich dieser Meinung an. 3<br />

Das weitere Schicksal von P. J. <strong>im</strong> Zweiten Weltkrieg und nach 1945<br />

ist in den Akten des Erlanger Universitätsarchivs nicht dokumentiert.<br />

A.T./A.F.<br />

2 Schreiben des Oberstaatsanwalts des Landgerichts Frankfurt an die Universität<br />

Erlangen vom 20. Oktober 1938.Ebd.<br />

3 Umlaufschreiben vom 1. Dezember 1938.Ebd.<br />

210


U.K.<br />

* 1888,Dr. med. 1913<br />

U. K. wurde am 28. November 1888in Bamberg geboren; er war jüdischen<br />

Glaubens. 1 Bald nach seiner Geburt verzog die Familie nach Nürnberg, wo<br />

U. K. die Grundschule und das Königliche Gymnasium besuchte. 2 Daran<br />

schloss sich ein Medizinstudium in Erlangen (acht Semester) und München<br />

(zwei Semester) an. 1913 erfolgte seine Promotion zum Dr. med. in<br />

Erlangen. Von Februar bis April 1914 arbeitete U. K. am Städtischen Krankenhaus<br />

Kitzingen, vom Mai bis Juli an <strong>der</strong> Klinik <strong>der</strong> Deutsch-Israelitischen<br />

Gemeinde in Hamburg. Am 1. August 1914 erhielt er die Approbation<br />

und war <strong>im</strong> Anschluss daran auch als Assistent <strong>im</strong> Krankenhaus <strong>der</strong><br />

Deutsch-Israelitischen Gemeinde in Hamburg tätig. 3<br />

Im Februar 1916 konnte sich Dr. K. als Arzt in Bad-Mergenthe<strong>im</strong> nie<strong>der</strong>lassen.<br />

Nach einem zwischenzeitlichen Einsatz <strong>im</strong> Ersten Weltkrieg<br />

kehrte er dorthin zurück und heiratete <strong>im</strong> Oktober 1920 eine verwitwete<br />

Frau, die vier Kin<strong>der</strong> in die Ehe mitbrachte.<br />

Am 15. November 1935 wurde Dr. K. wegen eines Falls <strong>der</strong> "nicht-gewerbsmäßigen<br />

Abtreibung" zu einer Gefängnisstrafe von acht Monaten<br />

1 Universitätsarchiv Erlangen (UAE): C3/3 NI. 1913/14-5.<br />

2 Für die Stadt Nürnberg ist ein reges intellektuelles Leben <strong>der</strong> Jüdischen Gemeinde<br />

(zeitweise mehr als 7.000 Mitglie<strong>der</strong>) überliefert. Zum jüdischen Leben in Nürnberg<br />

und medizinhistorischen Bezügen siehe Uri Kellermann/Benjamin Rosendahl: Von<br />

Nürnberg nach Jerusalem, und nicht zurück: Meir Schwarz. Porträt eines Nürnberger<br />

Juden. Vgl. http://www.schoah.org/zeitzeugen/schwarz.htm (zuletzt aufgerufen<br />

am 15. Mai 2008). Die Familie Schwarz war in Nürnberg alteingesessen wie auch<br />

angesehen und stiftete dort für Kin<strong>der</strong>erholungsstätten, die Cnopfsche Kin<strong>der</strong>klinik<br />

und das Jüdische Altershe<strong>im</strong>.<br />

3 Zum historischen Kontext <strong>der</strong> Jüdischen Gemeinde in Hamburg siehe u.a. Ina Susanne<br />

Lorenz: Die Juden in Hamburg zur Zeit <strong>der</strong> We<strong>im</strong>arer Republik. Eine Dokumentation.<br />

Hamburg 1987.<br />

211


U.K.<br />

verurteilt, worauf fünf Monate Untersuchungshaft angerechnet wurden. 4<br />

In mehreren Fällen konnte vor Gericht keine strafbare Handlung festgestellt<br />

werden, da jeweils begründete Indikationen für die Ausräumung <strong>der</strong><br />

Gebärmutter vorlagen. So hatte Dr. K. einmal die vier bis sechs Wochen<br />

alte Schwangerschaft einer armen, an Schwindsucht leidenden Bäuerin,<br />

die nicht <strong>im</strong> Krankenhaus untergebracht werden konnte, unterbrochen.<br />

Im Frühjahr 1933 nahm Dr. K. eine Abtreibung an einer ledigen Frau<br />

vor. Diese und ihr späterer Ehemann hatten insgesamt dre<strong>im</strong>al den Arzt<br />

um eine Schwangerschaftsunterbrechung gebeten und auf ihn eingewirkt,<br />

bis er dem Vorgehen letztlich zust<strong>im</strong>mte. Vor Gericht wurde dem Angeklagten<br />

zugestanden, den Eingriff erst nach einigem Zögern und ohne<br />

gewerbsmäßiges Interesse vorgenommen zu haben. Vor allem aber hatte<br />

er <strong>der</strong> Patientin und ihrem Verlobten streng verboten, ihn in dieser Sache<br />

weiter zu empfehlen.<br />

"Letzten Endes aber war ausschlaggebend, dass <strong>der</strong> Angeklagte als Angehöriger<br />

einer fremden Rasse (Jude) die Auffassung des nationalsozialistischen Volksstaates<br />

gerade über <strong>der</strong>artige Verbrechen genau kannte und genau wusste, dass <strong>der</strong> Staat<br />

unter allen Umständen und mit allen Mitteln sieh dagegen wehren muss, dass unvernünftige<br />

Volksgenossen bei einem Rassefremden ein williges Ohr für ein Verbrechen<br />

gegen den Bevölkerungspolitischen [sie] Aufbauwillen des Staates finden. Der<br />

Angeklagte wusste, dass er als Artfrem<strong>der</strong> nur Gastrechte <strong>im</strong> nationalsozialistischen<br />

Staat geniesst und musste sieh vor einem <strong>der</strong>artigen Missbrauch <strong>der</strong> Gastfreundschaft<br />

hüten."s<br />

Dennoch sah das Gericht "mit Rücksicht auf die Umstände [... ]"6 davon<br />

ab, dem Arzt die Berufsausübung zu untersagen.<br />

Am 9. April 1936 kam bei <strong>der</strong> Universität Erlangen eine Abschrift des<br />

Urteils an. Auf einer Sitzung des Fakultätsausschusses am 29. April 1936<br />

wurde die Frage des Entzuges des Doktortitels diskutiert. Im Protokollbuch<br />

wurden dazu stichpunktartig folgende Sätze vermerkt:<br />

4 UAE: Dek. Med. Fak. Nr. 99, Entziehung <strong>der</strong> <strong>Doktorwürde</strong>.<br />

5 UAE: Al-3a Nr. 945, Generalia, Geriehtsurteil vom 25. November 1935,S. 9.<br />

6 Ebd.<br />

212


U.K.<br />

"Der Jude [U.K.] in Mergenthe<strong>im</strong> wegen Abtreibung verurteilt. Berufsausübung<br />

vom Gericht weiterhin gestattet. Bürgerliche Ehrenrechte nicht aberkannt. Der Rektor<br />

teilt mit, dass in einem solchen Fall nichts zu tun ist, da eine Entziehung <strong>der</strong><br />

<strong>Doktorwürde</strong> nur bei Aberkennung <strong>der</strong> bürgerlichen Ehrenrechte in Frage kommt.<br />

Vorläufig zurückgestellt für den Fall, dass Ärztekammer doch Berufsausübung<br />

verhin<strong>der</strong>t. "7<br />

Diese Sätze blieben aber <strong>der</strong> letzte Stand <strong>im</strong> "Fall Dr. K." - von einer Entziehung<br />

des Doktortitels wurde abgesehen. Die Fakultät griff das Verfahren<br />

auch in <strong>der</strong> Folge nicht mehr auf - das weitere Schicksal des Arztes ist<br />

unbekannt.<br />

A.T./A.F.<br />

7 UAE: Dek. Med. Fak. Protokollbuch 27. Juni 1925bis 8. Dezember 1943,hier: Protokoll<br />

<strong>der</strong> Sitzung vom 29. April 1936.<br />

213


H.D.<br />

* 1890,Dr. med. 1917<br />

H. D. wurde am 29. April 1890 in We<strong>im</strong>ar als Sohn eines Arztes geboren.<br />

Er war evangelischen Glaubens. Nach dem Besuch <strong>der</strong> Volksschule in<br />

Fürstenfeld-Bruck und des Humanistischen Gymnasiums in Erlangen erwarb<br />

er <strong>im</strong> Juli 1911 das Reifezeugnis und schrieb sich zum Wintersemester<br />

1911/12 für das Studium <strong>der</strong> Medizin an <strong>der</strong> Universität Erlangen ein.<br />

Im Frühjahr 1914 legte er das Ärztliche Vorexamen ab. Bei Kriegsausbruch<br />

wurde er zwar eingezogen, war aber zunächst in Reservelazaretten in <strong>der</strong><br />

He<strong>im</strong>at tätig, wo er nebenher medizinische Vorlesungen hören konnte. Im<br />

Dezember 1915 kam er an die Front. Da er jedoch den physischen und<br />

psychischen Beanspruchungen des Kriegsdienstes nicht gewachsen war,<br />

wurde er <strong>im</strong> Februar 1917 als 40%ig kriegsbeschädigt in die He<strong>im</strong>at zurückgeschickt<br />

und zum Sommersemester nach Erlangen beurlaubt. 1 Hier<br />

legte H. D. am 17. August 1917 das Kriegsnotexamen ab. Im gleichen Jahr<br />

erhielt er seine Approbation und den Doktortitel. Bis zum Kriegsende versah<br />

er einen leichteren Sanitätsdienst.<br />

Nach dem Krieg war H. D. für ein halbes Jahr als Volontärarzt in <strong>der</strong><br />

Chirurgie in Nürnberg tätig und ließ sich danach als praktischer Arzt in<br />

HeideckjMittelfranken nie<strong>der</strong>. 1928 transferierte er seine Praxis nach<br />

Erlangen, wo er zunehmend auch gynäkologisch-geburtshilfliche Behandlungen<br />

durchführte.<br />

Am 31. Mai 1938 erhielt <strong>der</strong> Rektor <strong>der</strong> Erlanger Universität von <strong>der</strong><br />

Staatsanwaltschaft be<strong>im</strong> Landgericht Nürnberg-Fürth die Mitteilung, dass<br />

Dr. D. rechtskräftig verurteilt worden sei, was bedeutete, dass sich die<br />

Universität zur Frage <strong>der</strong> Entziehung des Doktortitels äußern musste. 2<br />

1 Universitäts archiv Erlangen (UAE): Al/3a Nr. 946a, Abschrift des Urteils <strong>im</strong> Revisionsverfahren<br />

vom 22. Dezember 1937, S. 2. Hier finden sich auch die Informationen<br />

zu seinem weiteren Werdegang.<br />

2 UAE: A1/3a Nr. 946.<br />

215


H.D.<br />

H. D. hatte <strong>im</strong> November/Dezember 1934 bei dem Versuch, einen offenkundig<br />

abgestorbenen Embryo aus <strong>der</strong> Gebärmutter einer <strong>im</strong> fünften<br />

Monat Schwangeren zu entfernen, den Uterus perforiert und auf diese<br />

Weise den Tod <strong>der</strong> Patientin verschuldet. Das Schöffengericht Erlangen<br />

hatte ihn deshalb <strong>im</strong> Dezember 1935 "wegen eines Vergehens <strong>der</strong> erschwerten<br />

fahrlässigen Tötung" zu einer Geldstrafe verurteilt. Diese<br />

Strafe, gegen die die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt hatte, wurde<br />

<strong>im</strong> November 1937 in eine Gefängnisstrafe von drei Monaten abgeän<strong>der</strong>t. 3<br />

Der Dekan, <strong>der</strong> Anfang Juni 1938 vom Rektor um seine Stellungnahme<br />

bezüglich <strong>der</strong> Doktorgradentziehung gebeten wurde, hielt zwar das<br />

Vergehen von H. D. für so schwerwiegend, dass es die Depromotion in<br />

seinen Augen rechtfertigte; gleichwohl schien es ihm angezeigt, vor <strong>der</strong><br />

endgültigen Entscheidung die Einschätzung <strong>der</strong> Reichsärztekammer einzuholen.<br />

4 Von dieser erfuhr <strong>der</strong> Dekan, dass D. tatsächlich <strong>im</strong> Dezember<br />

1937 für die Dauer von drei Jahren aus <strong>der</strong> Kassenpraxis ausgeschlossen<br />

worden sei und dass das Ärztliche Bezirksgericht ihn als unwürdig zur<br />

Ausübung des ärztlichen Berufs erklärt habe. 5 Gegen beide Bescheide<br />

hatte D. Berufung eingelegt. Da sich die Entscheidung hierüber hinzog,<br />

ergriff <strong>der</strong> Rektor <strong>im</strong> Februar 1940 die Initiative: Er teilte D., <strong>der</strong> zu diesem<br />

Zeitpunkt in Wien lebte, mit, dass die Universität demnächst über den<br />

Entzug seines Doktortitels beraten würde und dass er innerhalb von 14<br />

Tagen eine Stellungnahme dazu abgeben körmte. 6 In einem ausführlichen<br />

Schreiben legte D. daraufhin dem Rektor dar, dass <strong>der</strong> Deutsche Ärztegerichtshof<br />

<strong>im</strong> Januar 1939 die Sperre seiner ärztlichen Tätigkeit aufgehoben<br />

habe und dass er in <strong>der</strong> Zwischenzeit wie<strong>der</strong> in den Ärztestand<br />

integriert worden sei.7 Da nach dieser Entwicklung <strong>der</strong> Tatbestand <strong>der</strong><br />

3 Ebd., Abschrift des Urteils <strong>im</strong> Revisionsverfahren vorn 22. Dezember 1937; <strong>der</strong> Sachverhalt<br />

ist auf den Seiten 3-11 geschil<strong>der</strong>t.<br />

4 Schreiben des Dekans an den Rektor vom 29. Juni 1938. UAE: A1/3a Nr. 946a, S. 2.<br />

5 Schreiben <strong>der</strong> Reichsärztekammer, Ärztliche Bezirksvereinigung Erlangen-Fürth, an<br />

den Dekan Greving vom 28. Juni 1938. Ebd., S. 4.<br />

6 Schreiben des Rektors vorn 15. Februar 1940.UAE: A1/3a Nr. 946a, S. 11.<br />

7 Ebd., S. 16f.<br />

216


H.D.<br />

Unwürdigkeit nicht mehr gegeben war, sprachen sich <strong>der</strong> Dekan und <strong>der</strong><br />

Depromotionsausschuss gegen die Aberkennung des Doktortitels aus. 8<br />

Nur wenige Tage später teilte <strong>der</strong> Rektor H. D. mit, dass "mit Rücksicht<br />

auf die beson<strong>der</strong>en Umstände des Falles von <strong>der</strong> Entziehung des Doktor-<br />

Titels ausnahmsweise abgesehen worden" sei. 9<br />

8 Schreiben von Dekan Greving an den Rektor vom 17. April 1940.Ebd.<br />

9 Schreiben des Rektors vom 9. Mai 1940.Ebd.<br />

A.T./RW.<br />

217


N.D.<br />

* 1892, Dr. med. 1932<br />

N. D. wurde am 1. Juni 1892 in Speyer geboren, durchlief seine Schulzeit<br />

an den Gymnasien Dorsten, Bocholt und Neuss und bestand in Neuss <strong>im</strong><br />

Februar 1911 sein Abitur. Danach begann er die militärische Laufbahn,<br />

versah <strong>im</strong> Ersten Weltkrieg den aktiven Dienst als Offizier in verschiedenen<br />

Orten an <strong>der</strong> Front und wurde <strong>im</strong> Mai 1920 als Hauptmann verabschiedet.<br />

Die folgenden acht Jahre war er als Kaufmann tätig, bevor er <strong>im</strong><br />

Sommersemester 1928 das Studium <strong>der</strong> Zahnheilkunde in Erlangen aufnahm.<br />

1931 erhielt er seine Approbation als Zahnarzt und bestand <strong>im</strong><br />

darauf folgenden Jahr die Doktorprüfung.<br />

Am 18. November 1938 wurde N. D. (zusammen mit einem Mitangeklagten)<br />

"wegen Vergehens gegen § 175 StGB"l vom Schöffengericht in<br />

Koblenz zu sechs Wochen Gefängnis unter Anrechnung <strong>der</strong> Untersuchungshaft<br />

verurteilt. Beide Angeklagten hatten den ihnen vorgeworfenen<br />

Verstoß, über den die Universitäts akten keine näheren Angaben machen,<br />

vor Gericht zugegeben. Der Rektor <strong>der</strong> Universität wurde wenige Tage<br />

später aus Koblenz über diese Verurteilung des in Erlangen promovierten<br />

Zahnarztes, <strong>der</strong> zu diesem Zeitpunkt eine Praxis in Boppard betrieb,<br />

informiert.2 Nachdem <strong>der</strong> Dekan <strong>der</strong> Medizinischen Fakultät Einsicht in<br />

die Gerichtsakten genommen hatte, sprach er sich mit Verweis auf die<br />

niedrige Strafe, auf das offenkundig einmalige und geringfügige Vergehen<br />

1 Universitätsbibliothek Erlangen (UAE): Al/3a Nr. 946a, S. 2: Urteil vom 18. November<br />

1938. - Der § 175 erhielt zum 1. September 1935 die folgende Fassung: "Ein<br />

Mann, <strong>der</strong> mit einem an<strong>der</strong>en Mann Unzucht treibt o<strong>der</strong> sich von ihm zur Unzucht<br />

missbrauchen lässt, wird mit Gefängnis bestraft." Zur Situation <strong>der</strong> Homosexuellen<br />

<strong>im</strong> "<strong>Dritten</strong> Reich" und die Verschärfung <strong>der</strong> Strafbest<strong>im</strong>mungen vgl. Günter Grau<br />

(Hrsg.): Homosexualität in <strong>der</strong> NS-Zeit. Dokumente einer Diskr<strong>im</strong>inierung und Verfolgung.<br />

Mit einem Beitrag von Claudia Schoppmann. Frankfurt am Main 1993.<br />

2 Schreiben des Oberstaatsanwalts an den Rektor vom 3. Dezember 1938. UAE: Al/3a<br />

Nr. 946a, S. 1.<br />

219


N.D.<br />

sowie auf den bisherigen untadeligen Lebenswandel des Verurteilten<br />

gegen die Entziehung des Doktortitels aus. 3 Der zuständige Ausschuss<br />

und <strong>der</strong> Rektor schlossen sich dieser Stellungnahme an, so dass <strong>der</strong> Vorgang<br />

zu den Akten gelegt wurde. Der entsprechende Vermerk des Rektors<br />

enthält allerdings den nicht zu übersehenen Hinweis darauf, dass diese<br />

Entscheidung durchaus Ausnahmecharakter hatte: "Im Einverständnis<br />

mit den Herren Dekanen wird von <strong>der</strong> Entziehung des Dr.-Titels in diesem<br />

Falle abgesehen".4 Über D.s weiteren Lebensweg ist nichts bekannt.<br />

A.T.IR.W.<br />

3 Schreiben des Dekans Greving an den Rektor vom 2. Februar 1939. Ebd., S. 7.<br />

4 Aktenvermerk des Rektors Wintz vom 10. Februar 1939. Ebd., Kursivierung <strong>im</strong> Original<br />

unterstrichen.<br />

220


K.G.<br />

* 1896, Dr. med. 1929<br />

K. G., geboren 1896 in einem kleinen Städtchen <strong>im</strong> Dillkreis, besuchte die<br />

Volksschule und das Königliche Wilhelmsgymnasium in Kassel. Den<br />

Kriegsdienst leistete er <strong>im</strong> 14. Husarenreg<strong>im</strong>ent ab und studierte nach<br />

dem Ersten Weltkrieg in Marburg und Freiburg Medizin. Erst <strong>im</strong> Sommer<br />

1928 legte er sein Staatsexamen in Erlangen ab, <strong>im</strong> Dezember desselben<br />

Jahres folgte die mündliche Prüfung. Sein Studium war zuvor durch eine<br />

Krankheit und einen Unfall unterbrochen worden.<br />

Nach <strong>der</strong> Promotion zum Dr. med., die <strong>im</strong> Jahre 1929 erfolgte,1 ließ er<br />

sich wohl als praktischer Arzt in Eisenach in Thüringen nie<strong>der</strong>. Sechs<br />

Jahre später wurde gegen ihn ein Strafverfahren eröffnet, und am 21. Mai<br />

1935 wurde er durch das Schwurgericht Eisenach zu einer Gefängnisstrafe<br />

von zwei Jahren wegen "gewerbsmäßiger Abtreibung in neun Fällen" verurteilt;<br />

die Ausübung des ärztlichen Berufes wurde ihm für die Dauer von<br />

drei Jahren untersagt. Die Universität wurde über diese Verurteilung des<br />

von ihr Promovierten angeblich unterrichtet,2 entsprechende Schriftstücke<br />

sind jedoch nicht <strong>im</strong> Archiv vorhanden.<br />

Im Jahre 1939 nahm <strong>der</strong> zuständige Regierungspräsident die ärztliche<br />

Bestallung K. G.Szurück, nachdem das ärztliche Bezirksgericht Thüringen<br />

diesen "für unwürdig" erklärt hatte, den ärztlichen Beruf auszuüben. 3 K.<br />

G. stellte daraufhin ein Gnadengesuch, welches aber <strong>im</strong> August 1940 abgelehnt<br />

wurde.<br />

Am 14. Oktober 1940 informierte <strong>der</strong> Reichsstatthalter in Thüringen<br />

die Universität Erlangen über diese Vorgänge und fragte an, ob schon<br />

1 Universitätsarchiv Erlangen (UAE):A1/3a Nr. 946b.<br />

2 Schreiben des Arztes [K. G.] an den Rektor vom 16.Januar 1941.Ebd.<br />

3 Schreiben des Reichsstatthalters in Thüringen an den Rektor vom 14. Oktober 1940.<br />

Ebd.<br />

221


K.G.<br />

über die Frage <strong>der</strong> Titelentziehung entschieden worden sei. 4 Der Dekan<br />

<strong>der</strong> Medizinischen Fakultät bestätigte auf Anfrage des Rektors die Personalien<br />

von K. G. und seine Promotion an <strong>der</strong> Universität Erlangen,<br />

woraufhin <strong>der</strong> Rektor am 31. Oktober das Schwurgericht um die Übersendung<br />

<strong>der</strong> einschlägigen Strafakten bat und, mit gleichem Datum, dem<br />

Reichsstatthalter in Thüringen mitteilte, dass "das Verfahren wegen Entziehung<br />

<strong>der</strong> Doktor-Würde" eingeleitet worden sei.<br />

Nachdem dann einen Monat später Dekan Greving auf <strong>der</strong> Grundlage<br />

<strong>der</strong> Strafakten die Entziehung des Doktortitels beantragt hatte, richtete<br />

Prorektor Herrigel am 11. Dezember 1940 ein Schreiben an die letzte bekannte<br />

Adresse von Dr. K. G. in Kassel und informierte ihn über die<br />

drohende Titelaberkennung. Zugleich for<strong>der</strong>te er ihn auf, sich innerhalb<br />

von zwei Wochen schriftlich zu dem Verfahren zu äußern. Dieses Schreiben<br />

erreichte seinen Adressaten jedoch erst mit Verspätung, weil K. G. in<br />

<strong>der</strong> Zwischenzeit in Krakau tätig war. Er gab <strong>der</strong> Universität hiervon in<br />

einem Telegramm Kenntnis und bat um Fristverlängerung für seine Stellungnahme/<br />

die ihm die Universität auch gewährte.<br />

In einem ausführlichen Schreiben vom 16. Januar 1941 teilte K. G.<br />

dann dem Rektor zunächst mit, dass seiner Kenntnis nach sowohl die<br />

Oberstaatsanwaltschaft in Eisenach als auch die Thüringische Ärztekammer<br />

in We<strong>im</strong>ar die Medizinische Fakultät gleich nach dem Prozess <strong>im</strong><br />

Jahre 1935über seine Verurteilung in Kenntnis gesetzt hätten und dass die<br />

Medizinische Fakultät damals aufgrund <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>en Sachlage seines<br />

Falles von einer Entziehung des Titels abgesehen habe. Über diesen Vorgang<br />

gibt es allerdings in den Erlanger Akten keine Spuren mehr. 5 Im Anschluss<br />

daran ging K. G. dann auf die Beson<strong>der</strong>heit seiner Lage ein, die<br />

auch damals vom Gericht gewürdigt worden sei: Das Schwurgericht habe<br />

4 Dieses Schreiben und alle weiteren <strong>im</strong> Folgenden zitierten Schriftstücke finden sich<br />

<strong>im</strong> oben (Anm. 1) genannten Akt.<br />

5 Das Fehlen dieser Akten könnte ein Indiz dafür sein, dass <strong>im</strong> Archiv bei weitem<br />

nicht alle Aberkennungsverfahren <strong>der</strong> Medizinischen Fakultät dokumentiert sind,<br />

vgl. oben S. 12.<br />

222


K.G.<br />

damals erkannt, dass er nicht "aus verbrecherischer Neigung o<strong>der</strong> Gewinnsucht"<br />

gehandelt habe, son<strong>der</strong>n lediglich, um die finanziellen Mittel<br />

zur medizinischen Behandlung seiner schwer kranken Ehefrau aufzubringen.<br />

Auch sei er vom Reichsminister <strong>der</strong> Justiz nach Verbüßung einer Teilstrafe<br />

begnadigt worden. Vor allem aber wies K. G. auf die Leiden <strong>der</strong><br />

Haft und seine danach erworbenen Verdienste hin:<br />

"Ich habe all das Grauen des Gefängnislebens durchlitten, habe die Demütigungen<br />

und Qualen des Gestrauchelten über mich ergehen lassen müssen, habe das bittere<br />

Elend des Arbeitslosen genossen und habe dann in zäher Energie mich zu einem<br />

achtbaren Posten wie<strong>der</strong> durchgerungen. Seit Monaten arbeite ich in <strong>der</strong> Regierung<br />

des Generalgouvernements in Krakau und bin gleichzeitig stellvertreten<strong>der</strong> wirtschaftlicher<br />

Leiter <strong>der</strong> dortigen ,Vereinigten Staatlichen Krankenanstalten.'"<br />

Zudem verstand es G. in diesem Schreiben, nicht nur seine staatskonforme<br />

Einstellung und seine Leistungen <strong>im</strong> Osten geschickt heraus zu stellen,<br />

son<strong>der</strong>n auch die Notwendigkeit seines Doktortitels für seine dortigen<br />

Aufgaben zu begründen:<br />

"Wie Erkundigungen be<strong>im</strong> Chef des Amtes des Generalgouverneurs, Herrn Staatssekretär<br />

Dr. Bühler, ergeben werden, bin ich mir in meinem Aufgabenbereich ,<strong>der</strong><br />

deutschen Sendung <strong>im</strong> Osten' wohl bewusst und führe meine Aufgaben in diesem<br />

Sinne zur vollen Zufriedenheit meiner Dienststellen durch. Meinem Arbeitsbereich<br />

in den Vereinigten Staatlichen Krankenanstalten unterstehen 183 ukrainische und<br />

polnische Ärzte, denen ich mit meinem Doktortitel in den letzten Monaten bekannt<br />

wurde und es ist klar, dass dieser Dr.-Titel zum Teil eine Stütze meiner Autorität<br />

über diese Ärzte bildet. Abgesehen davon, dass es allzu bitter wäre, mir jetzt nach 5<br />

Jahren meinen Dr.-Titel noch entziehen zu wollen, würde es eine Schwächung des<br />

deutschen Ansehens hierzulande bedeuten, wenn ich jetzt plötzlich meinen Dr.-Titel<br />

ablegen müßte."<br />

Und er argumentierte weiter mit seiner Zukunft: Es bestehe in Krakau<br />

,,[...] die Absicht, mich nach einem Jahr Bewährung in <strong>der</strong> Ostarbeit durch den<br />

Herrn Generalgouverneur sogar, zwecks Wie<strong>der</strong>erlangung meiner zwangsläufig<br />

verloren gegangenen Approbation, dem Führer zur Begnadigung vorzuschlagen.<br />

223


K.G.<br />

Ich bitte daher Euer Magnifizenz [ ] von <strong>der</strong> Entziehung meines Dr.-Titels absehen<br />

zu wollen. Notfalls bin ich bereit [ ] meine Belange persönlich mitzuteilen."6<br />

Da es zu dem Vorgang von 1935 keine Unterlagen in <strong>der</strong> Medizinischen<br />

Fakultät gab, bat <strong>der</strong> Syndikus <strong>der</strong> Universität K. G. am 31. Januar 1941<br />

um nähere Angaben, welche die entsprechende Mitteilung an die Fakultät<br />

beweisen könnten.<br />

Nachdem trotz mehrfacher Wie<strong>der</strong>holung dieser Auffor<strong>der</strong>ung auch<br />

ein Jahr später noch keine Antwort aus Krakau eingegangen war, wurde<br />

die Universität selbst aktiv und wandte sich am 12. März 1942 an den Chef<br />

des Amtes des Generalgouverneurs in Krakau mit <strong>der</strong> Bitte um Auskunft,<br />

ob die Angaben von K. G. über seine Arbeit und Stellung zuträfen, "wie er<br />

sich geführt" habe und unter welcher Anschrift er erreichbar sei. Laut<br />

Antwort aus dem Generalgouvernement war G. als praktizieren<strong>der</strong> Arzt<br />

in Krakau und nebenamtlich <strong>im</strong> Gesundheitsamt <strong>der</strong> Stadt tätig. Er habe<br />

vorher die ärztliche Dienststelle in <strong>der</strong> Regierung des Generalgouvernements<br />

geleitet und dort mit gutem Erfolg gearbeitet. Und es hieß<br />

darin weiter:<br />

IIDie von ihm seinerzeit geleitete ärztliche Dienststelle ist ein Teil des Betrlebsamtes<br />

<strong>im</strong> Staatssekretariat <strong>der</strong> Regierung. Von einer stellvertretenden wirtschaftlichen<br />

Leitung <strong>der</strong> Vereinigten Staatlichen Krankenanstalten, die <strong>der</strong> Abteilung Gesundheitswesen<br />

unmittelbar unterstehen, ist hier nichts bekannt. Wie schon betont, hat<br />

sich Dr. [K. G.] bei dem Aufbau <strong>der</strong> ärztlichen Dienststelle Verdienste erworben. Er<br />

genießt auch als praktizieren<strong>der</strong> Arzt unter den Deutschen in Krakau allseits<br />

Vertrauen. "7<br />

Nach dieser Antwort versuchte das Rektorat noch einmal, Kontakt mit G.<br />

direkt aufzunehmen, indem Prorektor Herrigel ihm am 11. April 1942<br />

mitteilte, dass <strong>der</strong> Ausschuss für den Titelentzug in <strong>der</strong> nächsten Sitzung<br />

über seinen Fall nach Lage <strong>der</strong> Akten entscheiden müßte, falls er sich nicht<br />

vorher mit entsprechenden Informationen melden würde. K. G. reagierte<br />

6 Auch dieses dreiseitige Schreiben findet sich in UAE: Al/3a Nr. 946b.<br />

7 Schreiben des Personalamts des Staatssekretariats <strong>der</strong> Regierung des Generalgouvernements<br />

an den Rektor <strong>der</strong> Universität vom 4. April 1942.Ebd.<br />

224


K.G.<br />

wie<strong>der</strong>um mit einem Telegramm, in dem er versicherte, bereits vor einem<br />

Jahr die gewünschten Unterlagen an den Syndikus geschickt zu haben;<br />

zudem kündigte er einen eingeschriebenen Brief an. Dieser Brief war<br />

allerdings bis Anfang Juli nicht eingetroffen, so dass <strong>der</strong> Ausschuss ohne<br />

die erbetenen Unterlagen am 8. Juli 1942 tagte und trotz mancher Bedenken<br />

zu <strong>der</strong> einst<strong>im</strong>migen Entscheidung kam,<br />

"von <strong>der</strong> Entziehung des Doktor-Titels ausnahmsweise und zwar in beson<strong>der</strong>er<br />

Berücksichtigung des Umstandes Ihrer Tätigkeit in den Ostgebieten Abstand zu<br />

nehmen. Er hat Ihnen dabei für weitere Bewährung eine Frist bis 1. Januar 1946 mit<br />

<strong>der</strong> Maßgabe gesetzt, dass er von seiner Entziehungsbefugnis unweigerlich dann<br />

Gebrauch machen wird, wenn Sie sich bis zu dem angegebenen Zeitpunkt nicht einwandfrei<br />

führen sollten."8<br />

K. G. war nach 1945 als praktischer Arzt und Geburtshelfer in verschiedenen<br />

Orten in Hessen tätig.<br />

B.S./A.F.<br />

8 Schreiben des Rektors, unterzeichnet von Prorektor Herrigel, an "Herrn Dr. med."<br />

[K.G.] vom 9. Juli 1942.UAE: A1/3a Nr. 946b.<br />

225


M.T.<br />

* 1907,Dr. med. 1939<br />

M. T. wurde am 18. Oktober 1907 als Sohn eines Malers in Nürnberg geboren.<br />

Nach dem Besuch <strong>der</strong> Volksschule, <strong>der</strong> Kreisrealschule II sowie <strong>der</strong><br />

Alten Oberrealschule in Nürnberg studierte er an <strong>der</strong> Universität Erlangen<br />

Medizin. Im Januar 1933 bestand er das Staatsexamen. Danach war er ein<br />

Jahr lang als Medizinalpraktikant am Krankenhaus in Nürnberg tätig und<br />

erhielt bald darauf seine Approbation. Anschließend arbeitete er als<br />

Volontärarzt an <strong>der</strong> Medizinischen Klinik in Nürnberg. 1 Bis Januar 1933<br />

vertrat er überdies mehrere praktische Ärzte. Nachdem er von Januar bis<br />

November 1938 eine Stelle als Assistenzarzt an <strong>der</strong> Krankenanstalt St. Uli<br />

Seehausen in Murnau inne gehabt hatte, ließ er sich schließlich <strong>im</strong> Februar<br />

1939 als Arzt in Fürth nie<strong>der</strong> und promovierte noch <strong>im</strong> selben Jahr an <strong>der</strong><br />

Universität Erlangen. 2<br />

Im Januar 1941 überfuhr er auf vereister Fahrbahn in <strong>der</strong> Gebhardstraße<br />

in Fürth eine 17jährige Passantin, die diese - offensichtlich ohne auf<br />

den Verkehr zu achten - überquerte. 3 Aus jenem Grund wurde M. T. am<br />

1. Juli 1941 von <strong>der</strong> Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth wegen<br />

fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit Übertretung <strong>der</strong> Straßenverkehrsordnung<br />

zu einer Gefängnisstrafe von einem Monat verurteilt.<br />

Im September desselben Jahres erhielt die Universität Erlangen von<br />

<strong>der</strong> Staatsanwaltschaft Nürnberg eine Kopie des Urteils mit dem Hinweis<br />

zugeschickt, dass lI<strong>der</strong> Verurteilte" den Doktortitel in Erlangen erworben<br />

habe. 4 In seiner Stellungnahme zur Frage des Doktorgradentzugs, um die<br />

1 Universitätsarchiv Erlangen (UAE): C3/3 Nr. 1938/39-51; außerdem UAE: A1/3a Nr.<br />

946i.<br />

2 UAE: C3/3 Nr. 1938/39-51.<br />

3 UAE: A1/3a Nr. 946i, Urteilsabschrift, S. 2-3.<br />

4 Mitteilung eines Justizinspektors auf <strong>der</strong> Kopie des Urteils an die Hochschule in<br />

Erlangen vom 25. September 1941.Ebd.<br />

227


M.T.<br />

ihn <strong>der</strong> Rektor daraufhin wenige Tage später bat, äußerte sich Dekan Greving<br />

von <strong>der</strong> Medizinischen Fakultät folgen<strong>der</strong>maßen:<br />

"Es handelt sich um einen Verkehrsunfall, bei dem das Verschulden des Dr. (... ] nur<br />

zum Teil trifft. Eine ehrenrührige Handlung liegt nicht vor. Der Entzug des Doktortitels<br />

ist nicht notwendig."5<br />

Die an<strong>der</strong>en Dekane schlossen sich dem Votum Grevings <strong>im</strong> Umlaufverfahren<br />

an, so dass <strong>der</strong> Rektor unter dem Datum vom 1. November den Fall<br />

mit <strong>der</strong> Feststellung abschloss: "Mit Rücksicht auf die Stellungnahme <strong>der</strong><br />

Herren Dekane wird von <strong>der</strong> Entziehung des Doktortitels abgesehen." 6<br />

Das weitere Schicksal von Dr. M. T. ist in den Akten nicht dokumentiert.<br />

B.S./A.F.<br />

5 Schreiben des Rektors an Dekan Greving vom 2. Oktober 1941 und des Dekans an<br />

den Rektor vom 17. Oktober 1941 (auf demselben Blatt). Ebd.<br />

6 Ergebnis des Umlaufverfahrens (18.-30. Oktober) und Aktenvermerk des Rektors<br />

vom 1. November. Ebd.<br />

228


M.T.<br />

~ ~~~~c:<br />

iIDii1Jlf1dJiJint(cT1f $aTulltM<br />

DER fiRTeDRTCH~AlEXAND6~<br />

UNIV€RSITÄTERlANG€N<br />

llttltil}tmtr~uAtmmungnt91~tTttot~<br />

-tßtatlllnlJ1fl!}utbt fin(~<br />

DOKTORS DERMEDIlIN<br />

ERLAN&EN<br />

REKTOR DEKAN<br />

Abbildung 26: Promotionsurkunde aus <strong>der</strong> Zeit des "<strong>Dritten</strong> Reichs".<br />

UAE: Dek. Med. Fak. 18/1, Generalia/Promotionsangelegenheiten.<br />

Zur Anonymisierung ohne Eintrag, M. T. bekam aber diesen Vordruck.<br />

229


T.J.<br />

* 1910, Dr. med. 1937<br />

T. J. kam am 1. Oktober 1910 als Sohn eines Kaufmanns zur Welt. Nach<br />

dem Besuch <strong>der</strong> Volksschule wechselte er auf die Oberrealschule in Kaiserslautern,<br />

wo er 1928 die Reifeprüfung ablegte. Anschließend hatte er<br />

für ein halbes Jahr eine Stelle als Baupraktikant zur Vorbereitung auf ein<br />

Tiefbaustudium inne. Vom Wintersemester 1928 bis Sommersemester 1931<br />

studierte er dann Tiefbau an <strong>der</strong> Technischen Hochschule in München.<br />

Im Anschluss begann er ein Studium <strong>der</strong> Medizin, worauf ihm zwei<br />

Semester des vorangegangenen Studiums angerechnet wurden. Im Juni<br />

1936 absolvierte er sein Staatsexamen an <strong>der</strong> Universität Erlangen und<br />

promovierte noch <strong>im</strong> selben Jahr. 1<br />

Aus Briefen von J. in seiner Promotionsakte von 1937, in denen er sich<br />

zum Druck seiner Dissertation äußert, geht hervor, dass er damals als<br />

Medizinalpraktikant in einem Ort an <strong>der</strong> Saar tätig war. Ein weiterer Brief<br />

von 1938 erreichte die Universität aus Baden, wo er an einem Krankenhaus<br />

arbeitete.<br />

Am 11. März 1942 wurde Dr. T. J. vom Landgericht Offenburg wegen<br />

Übertretung <strong>der</strong> Straßenverkehrsordnung zu sechs Wochen Gefängnis<br />

verurteilt.2 Zur damaligen Zeit war er als Arzt bei <strong>der</strong> Landkreisverwaltung<br />

in Bühl angestellt. 3 Er stand unter mittlerem Alkoholeinfluss und<br />

fuhr mit abgeblendeten Scheinwerfern, als er am 14. Dezember 1941 von<br />

einem Kameradschaftsabend den He<strong>im</strong>weg antrat. Auf <strong>der</strong> Strecke überfuhr<br />

er bei nur geringer Sichtweite und verhältnismäßig hoher Geschwindigkeit<br />

einen Zeitungsausträger, <strong>der</strong> an den Folgen des Unfalls verstarb.<br />

1 Universitätsarchiv Erlangen (UAE): C3/3 Nr. 1935/36-72.<br />

2 UAE: A1/3a Nr. 946c, Urteilsabschrift.<br />

3 Ebd.<br />

231


T.J.<br />

Die Obduktion des Unfallopfers ergab auch bei diesem einen geringfügigen<br />

Alkoholgehalt. 4 Das Gericht urteilte folgen<strong>der</strong>maßen:<br />

"Da also die Möglichkeit, dass die Trunkenheit, geringe Aufmerksamkeit und das<br />

schnelle Fahn~ndes Angeklagten nicht ursächlich für den Unfall gewesen sind, nicht<br />

ausgeschlossen werden kann, muss sie <strong>im</strong> Zweifel zu Gunsten des Angeklagten<br />

angenommen werden. Er kann mangels Beweises nicht wegen fahrlässiger Tötung<br />

verurteilt werden."5<br />

Die Universität Erlangen holte Auskünfte ein über das Strafregister von J.<br />

Dekan Greving sprach sich in <strong>der</strong> Folge dann aber sehr entschieden gegen<br />

die Entziehung des Doktortitels aus:<br />

"Ein schuldhaftes Verhalten des Angeklagten als ursächlich für den Tod des bei dem<br />

Unfall Getöteten konnte nicht nachgewiesen werden. Bei <strong>der</strong> ganzen Sache kommt<br />

eine Entziehung des Doktortitels nicht in Frage."6<br />

Die übrigen Dekane schlossen sich seiner Entscheidung an. 7<br />

B.S.lA.F.<br />

4 Ebd.<br />

5 Ebd.<br />

6 Schreiben von Dekan Richard Greving an den Rektor vom 11. Juni 1942.UAE: A1/3a<br />

Nr.946c.<br />

7 Ebd.<br />

232


K.E.<br />

* 1912,Dr. med. dent. 1936<br />

Der 1912 <strong>im</strong> Landkreis Saalfeld-Rudolstadt in Thüringen geborene K. E.<br />

begann <strong>im</strong> Sommer semester 1933das Studium <strong>der</strong> Zahnheilkunde in Jena,<br />

wechselte zum Wintersemester 1934/35 nach Erlangen und bestand hier<br />

<strong>im</strong> Jahre 1936 das Zahnmedizinische Staatsexamen. Den Doktortitel erwarb<br />

er noch <strong>im</strong> selben Jahr.<br />

Am 2. Mai 1939 verurteilte das Landgericht Hamburg K. E. wegen<br />

Vergehens gegen § 175 StGB (Homosexualität) zu fünf Monaten Gefängnis.<br />

1 Ihm war vorgeworfen worden, mit fünf Männern "Unzucht getrieben<br />

zu haben". 2 Die Zeugenvernehmung ergab allerdings, dass ihm in vier<br />

Fällen nichts nachgewiesen werden konnte, so dass sich die Verurteilung<br />

schließlich auf einen Fall beschränkte, den <strong>der</strong> Angeklagte auch zugab. 3<br />

Die Universität wurde am 31. Mai 1939 über das Verfahren gegen Dr.<br />

K. E. informiert, <strong>der</strong> Dekan sprach sich angesichts <strong>der</strong> Tatsache, dass es<br />

sich nur um eine einzige homoerotische Aktivität gehandelt habe und<br />

diese ihm auch als nicht beson<strong>der</strong>s schwerwiegend erschien, gegen die<br />

Entziehung des Doktortitels aus. 4 Nach <strong>der</strong> Zust<strong>im</strong>mung des Ausschusses<br />

konnte <strong>der</strong> Fall am 21. Oktober 1939zu den Akten gelegt werden. 5<br />

A.T./R.W.<br />

1 Universitäts archiv Erlangen (UAE): A1/3a Nr. 946a, S. 1-5: Urteilsabschrift des Landgerichts<br />

Hamburg vom 2. Mai 1939.- Vgl. hierzu auch oben S. 219f sowie ferner Ute<br />

Z<strong>im</strong>mermann: Homosexualität als Verbrechen. In: Margit Szöllösi-Janze/Andreas<br />

Freitäger (Hrsg.): "Doktorgrad entzogen!". <strong>Aberkennungen</strong> akademischer Titel an<br />

<strong>der</strong> Universität Köln 1933bis 1945.Nümbrecht 2005, S. 49-54.<br />

2 UAE: A1/3a Nr. 946a, S. 2.<br />

3 Ebd., S. 2 und 4f.<br />

4 Schreiben von Dekan Greving an den Rektor vom 21. August 1939.Ebd., S. 9.<br />

5 Umlaufschreiben des Rektors vom 3. Oktober 1939 mit anschließendem Vermerk<br />

vom 21. Oktober 1939. Ebd.<br />

233


5. DIE ABERKENNUNGSPRAXIS AN DER MEDIZINISCHEN FAKULTÄT<br />

Während <strong>der</strong> Zeit des Nationalsozialismus wurden an <strong>der</strong> Medizinischen<br />

Fakultät <strong>der</strong> Friedrich-Alexan<strong>der</strong>-Universität 31 Verfahren zur Aberkennung<br />

des Doktorgrades eingeleitet,! In 22 Fällen wurde <strong>der</strong> Titel entzogen,<br />

neunmal entschied <strong>der</strong> vom Gesetz vorgesehene Ausschuss <strong>der</strong> Dekane,<br />

von <strong>der</strong> Entziehung des Doktortitels abzusehen.<br />

Unter den 22 Promovierten, die ihren Titel verloren, waren 13 Ärztinnen<br />

und Ärzte jüdischen Glaubens, einer war mit einer Jüdin verheiratet,<br />

die zum Katholizismus übergetreten war, und fiel daher unter das "Rassegesetz".<br />

In elf Fällen wurde die Aberkennung ausgesprochen, nachdem<br />

die Betreffenden emigriert waren und daraufhin die deutsche Staatsangehörigkeit<br />

verloren hatten;2 in den an<strong>der</strong>en elf Fällen erfolgte die Entziehung<br />

aufgrund eines Gerichtsurteils.<br />

1 Dies ist die durch Dokumente belegbare Zahl. Da jedoch etliche Akten aus <strong>der</strong> Zeit<br />

des Nationalsozialismus verloren gegangen o<strong>der</strong> vernichtet worden sind, muss man<br />

damit rechnen, dass es noch weitere Verfahren gegeben hat.<br />

2 Nach Sabine Happ sind bei weitem nicht alle Emigranten mit Doktortitel auf <strong>der</strong><br />

Grundlage des Gesetzes vom 14. Juli 1933 "über den Wi<strong>der</strong>ruf von Einbürgerungen<br />

und über die Aberkennung <strong>der</strong> deutschen Staatsangehörigkeit" zwangsweise ausgebürgert<br />

worden. Vgl. Sabine Happ: Politisch und nicht politisch motivierte Aberkennung<br />

von akademischen Graden. Eine Auswertung <strong>der</strong> Rundschreiben deutscher<br />

Universitäten in <strong>der</strong> NS-Zeit. In: Vielfalt <strong>der</strong> Geschichte. Lernen, Lehren und Erforschen<br />

vergangener Zeiten, hrsg. von Sabine Happ/Ulrich Nonn. Berlin 2004, S. 283-<br />

296, hier: S. 289f. Dies trifft auch für Erlangen zu. Ein Beispiel hierfür ist Dr. Erika<br />

Rosenthal-Deussen, die Schwiegertochter von Isidor Rosenthai (1836-1915),des langjährigen<br />

Erlanger Ordinarius für Physiologie, die <strong>im</strong> Jahre 1921 mit einer Arbeit über<br />

"Das Facialisphänomen, sein Vorkommen und seine Bedeutung nebst Untersuchungen<br />

über die galvanische Erregbarkeit grösserer Kin<strong>der</strong>" in Erlangen zum Dr. med.<br />

promoviert wurde. Sie emigrierte 1934 zusammen mit ihrem Mann, dem Mediziner<br />

Prof. Dr. Werner Rosenthai, nach Indien. Vgl. Anik6 Szab6: Vertreibung, Rückkehr,<br />

Wie<strong>der</strong>gutmachung. Göttinger Hochschullehrer <strong>im</strong> Schatten des Nationalsozialismus.<br />

Göttingen 2000, S. 68-72.<br />

235


DIE ABERKENNUNGSPRAXIS AN DER MEDIZINISCHEN FAKULTÄT<br />

Unter denjenigen, die vom NS-Reg<strong>im</strong>e ausgebürgert und dann von<br />

<strong>der</strong> Universität depromoviert wurden, war keiner jünger als 40 Jahre alt,<br />

sieben waren zum Zeitpunkt <strong>der</strong> Depromotion bereits über 50, die beiden<br />

ältesten sogar über 70 Jahre alt. 3 Emil Fröhlich verlor seinen Doktorgrad<br />

fast genau 50 Jahre nach <strong>der</strong> Promotion. Über die Hälfte <strong>der</strong> Betroffenen<br />

hatte <strong>im</strong> Ersten Weltkrieg gedient.<br />

Obwohl die Boykottmaßnahmen gegen die jüdischen Ärztinnen und<br />

Ärzte bereits kurz nach <strong>der</strong> Machtübernahme einsetzten, emigrierten nur<br />

drei <strong>der</strong> in Erlangen promovierten und später ausgebürgerten Ärzte gleich<br />

<strong>im</strong> Jahre 1933. Die an<strong>der</strong>en warteten trotz <strong>der</strong> Berufsverbote und Schikanen<br />

ab und gingen erst, nachdem ihnen ihre Existenzgrundlage systematisch<br />

genommen war und sie damit jede Lebensperspektive in Deutschland<br />

verloren hatten; so verließen weitere drei <strong>im</strong> Jahre 1937 ihre He<strong>im</strong>at,<br />

zwei emigrierten 1938 und die an<strong>der</strong>en drei in den Jahren 1939 und 1940.<br />

Mehr als die Hälfte ging in die USA, zwei nach Südamerika und je einer<br />

nach Shanghai, nach Portugal und in die Schweiz. Aus den Einzelbiographien<br />

lässt sich nicht nur ablesen, welche gesundheitlichen und psychischen<br />

Probleme die Auswan<strong>der</strong>ung zeitigte, son<strong>der</strong>n sie lassen auch klar<br />

erkennen, mit welchen Schwierigkeiten die Emigranten <strong>im</strong> Ausland durch<br />

die vielfach rigorose Abschottung <strong>der</strong> jeweiligen Arbeitsmärkte zu kämpfen<br />

hatten. 4<br />

Die früheste Ausbürgerung eines Erlanger Doktors <strong>der</strong> Medizin, die<br />

<strong>der</strong> Universität vom Reichswissenschaftsminister gemeldet wurde mit<br />

dem entsprechenden Hinweis, dass damit das Weitere zu veranlassen sei,<br />

erfolgte am 26. Oktober 1938, woraus deutlich wird, dass <strong>der</strong> Abstand<br />

zwischen dem Zeitpunkt <strong>der</strong> Emigration und dem Entzug <strong>der</strong> Staatsange-<br />

3 Das Durchschnittsalter <strong>der</strong> Betroffenen betrug 51 Jahre; die Aberkennung erfolgte<br />

<strong>im</strong> Schnitt fast 30 Jahre nach <strong>der</strong> Promotion.<br />

4 Vgl. hierzu Stephan Leibfried: Stationen <strong>der</strong> Abwehr. Berufsverbote für Ärzte <strong>im</strong><br />

Deutschen Reich 1933-1938 und die Zerstörung des sozialen Asyls durch die organisierten<br />

Ärzteschaften des Auslands. Bull. Leo Baeck Inst. 62 (1982), S. 3-39; ferner<br />

Kathleen M. Pearle: Ärzteemigration nach 1933 in die USA: Der Fall New York.<br />

Medizinhistorisches Journal 19 (1984), S. 112-137.<br />

236


DIE ABERKENNUNGSPRAXIS AN DER MEDIZINISCHEN FAKULTÄT<br />

hörigkeit in einigen Fällen recht groß war. So zeigt sich auch hier am<br />

Beispiel Erlangens, dass die Ausgrenzung über die Strafexpatriation, die<br />

bereits <strong>im</strong> August 1933 begonnen hatte, zunächst auf die politischen Gegner<br />

zielte und erst allmählich mit <strong>der</strong> Intensivierung des Antisemitismus<br />

auch die rassisch Verfolgten erfasste. 5<br />

Die <strong>Aberkennungen</strong> <strong>der</strong> medizinischen Doktorgrade, welche die Universität<br />

Erlangen aufgrund <strong>der</strong> Ausbürgerung vornahm, erfolgten sämtlich<br />

in den Jahren 1939 bis 1942. Nach <strong>der</strong> entsprechenden Meldung vom<br />

Reichswissenschaftsministerium dauerte die vom Staat vorgeschriebene<br />

administrative Verfahrensweise innerhalb <strong>der</strong> Universität gewöhnlich<br />

zwischen drei und zwölf Wochen; nur in zwei Ausnahmefällen wurde<br />

dieser Zeitrahmen überschritten. Die Entscheidung des für die Depromotion<br />

zuständigen Ausschusses wurde stets <strong>im</strong> Umlaufverfahren herbeigeführt.<br />

Diejenigen, die infolge <strong>der</strong> Ausbürgerung ihren Doktortitel verloren,<br />

wurden nicht benachrichtigt, so dass es die meisten wohl auch nicht<br />

erfahren haben.<br />

Die Aberkennung <strong>der</strong> Doktortitel war dennoch eine tief greifende Entwürdigung<br />

<strong>der</strong> Opfer, durch die <strong>der</strong> Staat und <strong>im</strong> zweiten Schritt beschämen<strong>der</strong><br />

Weise auch die Universitäten ehemalige Mitbürger und Kollegen<br />

über die Vertreibung hinaus lebenslang zu ächten und sozial wie auch<br />

moralisch zu schädigen trachteten. In den Akten des Erlanger Universitätsarchivs<br />

zur Medizinischen Fakultät findet sich kein Hinweis darauf,<br />

dass irgendeiner <strong>der</strong> Hochschullehrer, um <strong>der</strong>en Schüler es sich ja handelte,<br />

Bedenken o<strong>der</strong> Vorbehalte gegenüber diesem Eingriff <strong>der</strong> Politik in<br />

den akademischen Zuständigkeitsbereich geäußert hätte. Immerhin lässt<br />

sich aber in diesem Zusammenhang auch kein vorauseilen<strong>der</strong> Gehorsam,<br />

5 Vgl. Hans Georg Lehmann: Acht und Ächtung politischer Gegner <strong>im</strong> <strong>Dritten</strong> Reich.<br />

Die Ausbürgerung deutscher Emigranten 1933-45. In: Die Ausbürgerung deutscher<br />

Staatsangehöriger 1933-45 nach den <strong>im</strong> Reichsanzeiger veröffentlichten Listen, hrsg.<br />

von Michael Hepp. 3 Bde. München u.a. 1985-1988, Bd. 1, S. IX-XXIII.<br />

237


DIE ABERKENNUNGSPRAXISAN DERMEDIZINISCHEN FAKULTÄT<br />

etwa durch Eigeninitiative bei <strong>der</strong> Ermittlung von Emigranten, auf Seiten<br />

<strong>der</strong> Universität ausmachen. 6<br />

Der Unrechtscharakter <strong>der</strong> Depromotionen infolge Ausbürgerung ist<br />

eindeutig. Etwas an<strong>der</strong>s sieht es dagegen mit den Doktorgradentziehungen<br />

infolge von Gerichtsurteilen aus, wenn es sich um Delikte handelte,<br />

die auch vor 1933 strafbar waren. In Erlangen wurde in acht Fällen die<br />

<strong>Doktorwürde</strong> wegen "versuchter Abtreibung", "Abtreibung" o<strong>der</strong> "gewerbsmäßiger<br />

Abtreibung" entzogen. Fünfmal wurde dabei als Nebenfolge<br />

<strong>der</strong> Verlust <strong>der</strong> bürgerlichen Ehrenrechte ausgesprochen, mit <strong>der</strong><br />

Folge, dass die Universität nur noch einen Feststellungsbeschluss zu<br />

treffen hatte? In zwei Fällen, in denen die bürgerlichen Ehrenrechte nicht<br />

aberkannt worden waren, obwohl beide angeklagten Personen eine große<br />

Zahl von Eingriffen vorgenommen hatten, handelte es sich um Parteigenossen,<br />

die bereits vor 1933 für die NSDAP gekämpft und sich nach Aussage<br />

<strong>der</strong> Gerichte um sie "verdient" gemacht hatten. Da ihnen <strong>im</strong> Urteil<br />

gleichwohl die Ausübung des Arztberufs auf mehrere Jahre untersagt<br />

worden war, machte <strong>der</strong> Ausschuss hier vom Vorwurf <strong>der</strong> "Unwürdigkeit"<br />

Gebrauch und entzog beiden ihren Doktortitel. Die gleiche Begründung<br />

liegt einer weiteren Aberkennung zugrunde, bei <strong>der</strong> es sich um die<br />

Verurteilung wegen eines nicht näher bekannten "Berufsvergehens" handelt.<br />

In den Begründungen <strong>der</strong> Urteile wegen Schwangerschaftsabbrüchen<br />

wird mehrfach <strong>der</strong> bevölkerungspolitische Aspekt hervorgehoben; dies<br />

wird etwa deutlich, wenn einem <strong>der</strong> Angeklagten vorgeworfen wird, er<br />

habe sich "am deutschen Volkstum schwerstens versündigt",8 o<strong>der</strong> wenn<br />

in einem an<strong>der</strong>en Fall die "Gemeingefährlichkeit" <strong>der</strong>artiger Eingriffe für<br />

6 Vgl. <strong>im</strong> Gegensatz dazu etwa den Dekan <strong>der</strong> Philosophischen Fakultät in München,<br />

Walther Wüst, <strong>der</strong> die Titelaberkennung offenkundig aktiv als ein neues Machtinstrument<br />

nutzte. Siehe Stefanie Harrecker: Degradierte Doktoren. Die Aberkennung<br />

<strong>der</strong> <strong>Doktorwürde</strong> an <strong>der</strong> Ludwig-Max<strong>im</strong>ilians-Universität München während <strong>der</strong><br />

Zeit des Nationalsozialismus. München 2007, 5.56-66.<br />

7 Vgl. oben S. 33f.<br />

8 UAE: Al/3a Nr. 946h, Urteilsabschrift, S. 27.<br />

238


DIE ABERKENNUNGSPRAXISAN DERMEDIZINISCHEN FAKULTÄT<br />

"Volkskraft und Gesundheit" angeprangert wird. 9 Der Schutz des ungeborenen<br />

Lebens erscheint demgegenüber in den Urteilsbegründungen als<br />

nachrangig.<br />

Dass die Abtreibungspolitik des NS-Reg<strong>im</strong>es tatsächlich ein Mittel zur<br />

Durchsetzung ihrer Rassen- und Bevölkerungspolitik war, zeigt insbeson<strong>der</strong>e<br />

die chronologisch letzte Depromotion <strong>der</strong> Erlanger Medizinischen<br />

Fakultät: Der 25jährige L. U. wurde <strong>im</strong> Dezember 1943, nur wenige Monate<br />

nach seiner Promotion, wegen Abtreibung zu vier Jahren Zuchthaus<br />

verurteilt und ein Jahr später depromoviert. Das hohe Strafmaß war<br />

offenkundig eine Folge <strong>der</strong> "Verordnung zum Schutz von Ehe, Familie<br />

und Mutterschaft" vom 9. März 1943",10mit <strong>der</strong> das Abtreibungsgesetz<br />

erheblich verschärft worden war. Zur gleichen Zeit wurden jedoch an den<br />

deutschen Universitätskliniken nicht nur staatlich legalisierte, son<strong>der</strong>n<br />

gefor<strong>der</strong>te und geför<strong>der</strong>te Abtreibungen an "Ostarbeiterinnen" in großer<br />

Zahl durchgeführt. l1 In Erlangen geschah dies an <strong>der</strong> Universitäts-Frauenklinik,<br />

<strong>der</strong>en Direktor Hermann Wintz in seiner Funktion als Rektor über<br />

mehrere Jahre die hier diskutierten Entzüge von Doktorgraden wegen<br />

Abtreibung ausgesprochen hatte - dies zeigt die beson<strong>der</strong>e Paradoxie des<br />

NS-Unrechtsstaates,12 Vor diesem spezifischen Hintergrund müssen demzufolge<br />

diese <strong>Aberkennungen</strong> gesehen und bewertet werden, die aufgrund<br />

teilweise drastischer Strafurteile vorgenommen wurden, wobei sich<br />

9 UAE: Al/3a Nr. 946e, Urteilsabschrift, S. 21.<br />

10 RGBl. 1943, I, S. 140f.<br />

11 Zu den Best<strong>im</strong>mungen zum Schwangerschaftsabbruch an "Ostarbeiterinnen" vom<br />

11. März 1943 und ihren Folgen vgl. Gisela Bock: Zwangssterilisation <strong>im</strong> Nationalsozialismus.<br />

Studien zur Rassenpolitik und Frauenpolitik. Opladen 1986, S. 447-451;<br />

vgl. ferner Gisela Schwarze: Kin<strong>der</strong>, die nicht zählten. Ostarbeiterinnen und ihre<br />

Kin<strong>der</strong> <strong>im</strong> Zweiten Weltkrieg. Essen 1997.<br />

12 Vgl. Wolfgang Frobenius: Abtreibungen an Ostarbeiterinnen 1943-1945 in Erlangen.<br />

Wie angesehene Hochschulmediziner zu Helfershelfern des NS-Reg<strong>im</strong>es wurden. In:<br />

Zwangsarbeit in Erlangen während des Zweiten Weltkriegs, hrsg. von Christoph<br />

Frie<strong>der</strong>ich. Veröffentlichungen des Stadtarchivs Erlangen, 6. Nürnberg 2007, S. 191-<br />

213.<br />

239


DIE ABERKENNUNGSPRAXISAN DERMEDIZINISCHEN FAKULTÄT<br />

die Situation in drei Fällen noch erheblich verschärfte, weil die Angeklagten<br />

jüdischen Glaubens waren. 13<br />

Ein eindeutiger Fall für ein politisch motiviertes Urteil lag einer weiteren<br />

Aberkennung an <strong>der</strong> Erlanger Medizinischen Fakultät zugrunde: Der<br />

Betroffene war wegen Abhörens von Auslandssen<strong>der</strong>n <strong>im</strong> Dezember 1943<br />

zu vier Jahren Zuchthaus und dem Verlust <strong>der</strong> bürgerlichen Ehrenrechte<br />

verurteilt worden und verlor daraufhin ein Jahr später seinen Doktortitel.<br />

Diese Aberkennung wurde wenige Monate nach Kriegsende mit dem Hinweis<br />

wie<strong>der</strong> rückgängig gemacht, dass es sich um einen typisch nationalsozialistischen<br />

Straftatbestand gehandelt habe. 14<br />

Neben den 22 Entziehungen von Doktortiteln sind für den Zeitraum<br />

von 1936 bis 1942 neun weitere Verfahren an <strong>der</strong> Medizinischen Fakultät<br />

dokumentiert, die ohne Aberkennung endeten. Dre<strong>im</strong>al handelte es sich<br />

um fahrlässige Tötung <strong>im</strong> Straßenverkehr, je zwe<strong>im</strong>al waren Ärzte wegen<br />

eines Kunstfehlers und wegen eines Vergehens gegen den Paragraphen<br />

175 (Homosexualität) angeklagt, einmal erwies sich eine angebliche Abtreibung<br />

als medizinisch notwendiger Eingriff und einmal wurde trotz<br />

erfolgter Verurteilung wegen Abtreibung ausdrücklich "ausnahmsweise"<br />

von <strong>der</strong> Entziehung des Doktortitels abgesehen. In allen diesen Fällen war<br />

<strong>der</strong> Dekan, <strong>der</strong> stets die erste und entscheidende Stellungnahme abgab,<br />

nicht durch Gesetze des NS-Reg<strong>im</strong>es gebunden 15 und nutzte den Handlungsspielraum<br />

jeweils für die Angeklagten. Ob es hierbei jemals Differenzen<br />

<strong>der</strong> Bewertung unter den Mitglie<strong>der</strong>n des Ausschusses gegeben hat,<br />

13 Zur Diskussion <strong>der</strong> Abtreibungsproblematik <strong>im</strong> Rahmen <strong>der</strong> Doktorgradentzüge<br />

vgl. z.B. Wilm Huygen et al. (Hrsg.): Entziehung aufgrund "gewerbsmäßiger Abtreibung".<br />

In: Margit Szöllösi-Janze/Andreas Freitäger: "Doktorgrad entzogen!" <strong>Aberkennungen</strong><br />

akademischer Titel an <strong>der</strong> Universität Köln 1933 bis 1945. Nümbrecht<br />

2005, S. 55-59; Harrecker (Anm. 6), S. 110f.<br />

14 Vgl. hierzu auch Kap. 6 zur Nachkriegszeit.<br />

15 Dieser Ermessensspielraum war bereits <strong>im</strong> Mustertext des Reichsministers für Wissenschaft,<br />

Kunst und Volksbildung vom 17. Juli 1934 vorgesehen, vgl. oben S. 33f. Er<br />

blieb auch <strong>im</strong> "Gesetz über die Führung akademischer Grade" vom 7. Juni 1939 erhalten.<br />

240


DIE ABERKENNUNGSPRAXIS AN DER MEDIZINISCHEN FAKULTÄT<br />

lässt sich den Akten nicht entnehmen; es ist jedoch eher unwahrscheinlich,<br />

da die Mehrzahl dieser Entscheidungen <strong>im</strong> Umlaufverfahren erfolgte und<br />

diese nachprüfbar <strong>im</strong>mer einst<strong>im</strong>mig ausfielen.<br />

Tabellarische Übersicht: Aberkennung medizinischer Doktortitel<br />

Name<br />

Geburtsdatum<br />

und Geburtsort<br />

Promotionsdatum Depromotion<br />

B.,M. 1882 1923 1935<br />

A.,D. 1888 1919 1941<br />

Eisner,<br />

Erich<br />

18. Oktober 1887<br />

in Striegau/<br />

Schlesien<br />

6. Juni 1913 1940<br />

Feibelmann,<br />

Moritz<br />

17. März 1883<br />

in Memmingen<br />

14. Dezember 1908 1940<br />

Fröhlich,<br />

Emil<br />

20. Oktober 1864<br />

in Kauthen<br />

12. Mai 1891 1941<br />

Frohmann,<br />

Albert<br />

10. Januar 1897<br />

in Oettingen<br />

4. April 1922 1940<br />

Graf,<br />

Selma<br />

11. Juni 1887<br />

in Nürnberg<br />

7. Juni 1913 1940<br />

K.,O. 1898 1922 1936<br />

Grosse- 19. März 1898<br />

Wietfeld, in BoUdorf 10. März 1930 1941<br />

OUo bei Menslage<br />

Hollerbusch,<br />

Adolf<br />

23. Juli 1900<br />

in Fürth<br />

20. Januar 1926 1940<br />

Hollerbusch,<br />

Josef<br />

16. September<br />

1869 in Fürth<br />

4. August 1893 1941<br />

241


DIE ABERKENNUNGSPRAXIS AN DER MEDIZINISCHEN FAKULT Ä T<br />

Name<br />

Geburtsdatum<br />

und Geburtsort<br />

Promotionsdatum Depromotion<br />

Holzinger,<br />

Theodor<br />

28. Mai 1895<br />

in Bayreuth<br />

12. Mai 1922 (-) verstorben<br />

Kraus,<br />

Irma<br />

12. Mai 1896<br />

in Neustadt<br />

a.d. Aisch<br />

22. Apri11924 1941<br />

G.,H. 1890 1920<br />

1939/49 (1942<br />

verstorben)<br />

Meyer,<br />

Adolf<br />

30. März 1890<br />

in Neuburg<br />

a.d. Donau<br />

1. Juni 1920 1944<br />

Morgenthau,<br />

Ludwig<br />

23. März 1877 in<br />

Hüttendorf (bei<br />

S<strong>im</strong>melsdorf)<br />

11. Juni 1900 1939<br />

242<br />

5., N. 1884 1910 1939<br />

Schreiner,<br />

Josef<br />

10. Juni 1891<br />

in Nürnberg<br />

14. Dezember 1916 1942<br />

Seckendorf,<br />

Ernst<br />

30. Dezember<br />

1892 in<br />

Nürnberg<br />

22. März 1920 1939<br />

Sichel,<br />

Julius<br />

27. März 1892<br />

in Bamberg<br />

20. Februar 1920 1940<br />

V., L. 1918 1943 1944<br />

Wolf,<br />

Nathan<br />

19. Mai 1882<br />

in Wangen<br />

am Bodensee<br />

5. Juni 1914 1940


6. DER UMGANG MIT DEN DEPROMOTIONEN AN DER ERLANGER<br />

MEDIZINISCHEN FAKULTÄT IN DER NACHKRIEGSZEIT<br />

Die Haltung <strong>der</strong> Medizinischen Fakultät wie auch <strong>der</strong> gesamten Universität<br />

zur Umsetzung <strong>der</strong> staatlich gewollten Entziehungen <strong>der</strong> Doktortitel<br />

ist in den vorangehenden Abschnitten wie auch den Lebensgeschichten<br />

<strong>der</strong> Betroffenen deutlich geworden. Ein beson<strong>der</strong>es Licht auf die (hochschul-)politischen<br />

Perspektiven des Themas Aberkennung <strong>der</strong> <strong>Doktorwürde</strong><br />

wirft das Vorgehen in <strong>der</strong> Zeit nach 1945.Schwerpunkt des folgenden<br />

Beitrags ist die frühe Nachkriegszeit. Durch die Darstellung <strong>der</strong> Originalquellen<br />

und <strong>der</strong> genauen Genese <strong>der</strong> Behandlung des Themas auf Universitäts-<br />

wie auch auf Fakultätsebene sollen die Entwicklung und die Berücksichtigung<br />

des Themas in <strong>der</strong> Erlanger Hochschulpolitik nachgezeichnetwerden.<br />

Das Unrecht in <strong>der</strong> Zeit des "<strong>Dritten</strong> Reiches" und insbeson<strong>der</strong>e die<br />

ideologische Verblendung <strong>der</strong> Nationalsozialisten bezüglich <strong>der</strong> jüdischen<br />

Mitbürgerinnen und Mitbürger sollte nach Kriegsende Gegenstand kritischer<br />

Aufarbeitung werden. So richtete am 18. Dezember 1945 Hermann<br />

Aumer 1 in seiner Funktion als "Staatskommissar für die Betreuung <strong>der</strong><br />

Juden in Bayern"2 das folgende Schreiben "an den Herrn Rektor <strong>der</strong> Universität<br />

Erlangen":<br />

1 Hermann Aumer (1889-1974).1945-1946Staatskommissar für Wie<strong>der</strong>gutmachungsfragen;<br />

1946 Amtsenthebung; 1949-1953:Mitglied des Bundestages, zunächst für die<br />

Bayernpartei, ab 1950 als Parteiloser; 1948-1960 Vizepräsident <strong>der</strong> Industrie- und<br />

Handelskammer für München und Oberbayern; 1950-1964 Präsidialmitglied bzw.<br />

Ehrenmitglied des Landesverbandes <strong>der</strong> bayerischen Industrie.<br />

2 Das "Staatskommissariat für die Betreuung <strong>der</strong> Juden in Bayem/Staatskommissariat<br />

für die Opfer des Faschismus" wurde mit <strong>der</strong> Einsetzung von Hermann Aumer als<br />

erstem Leiter <strong>im</strong> Oktober 1945 gegründet. Ergänzend gab es ab März 1946 das<br />

"Staatskommissariat für die Betreuung <strong>der</strong> politisch Verfolgten". Im September 1946<br />

wurden diese beiden Stellen unter Philipp Auerbach (1906-1952)verschmolzen und<br />

dem Innenministerium unterstellt ("Staatskommissariat für die rassisch, religiös und<br />

243


DER UMGANG MIT DEN DEPROMOTIONEN IN DER NACHKRIEGSZEIT<br />

"Euer Magnifizenz! Unter den Nazis wurde einer großen Anzahl jüdischer Personen<br />

<strong>der</strong> von Ihrer Universität zuerkannte Doktortitel wie<strong>der</strong> aberkannt. Aus verschiedenen<br />

Gründen möchte ich Sie bitten, offiziell in <strong>der</strong> Zeitung bezw. <strong>im</strong> Amtsblatt eine<br />

Verlautbarung herauszugeben, dass den namentlich zu erwähnenden Personen <strong>der</strong><br />

Doktortitel wie<strong>der</strong> zuerkannt und das Unrecht damit wie<strong>der</strong> gutgemacht wird.<br />

Ihren Nachrichten hierüber sehe ich gerne entgegen [... ]."3<br />

Der Rektor <strong>der</strong> Universität, Theodor SÜSS,4gab dieses Schreiben zur<br />

Kenntnis "an die Herren Dekane" mit <strong>der</strong> "Bitte um Bericht".5<br />

Am 7. Januar 1946 wandte sich daraufhin <strong>der</strong> kommissarische Dekan<br />

<strong>der</strong> Juristenfakultät Hans Liermann 6 in einem längeren Brief mit dem<br />

politisch Verfolgten"). 1948 erfolgte die Umbenennung in "Landesamt für Wie<strong>der</strong>gutmachung"<br />

(dem Finanzministerium unterstellt). 1949 wurde das "Bayerische<br />

Landesentschädigungsamt" gegründet (ebenfalls dem Finanzministerium unterstellt);<br />

vgl. die Angaben unter www.zeitenblicke.de/2004/02/fuermetz/index.html<br />

o<strong>der</strong> bei www.bundesarchiv.de/cocoon/barch/l000/z/z1960a/kap 1_l/para2_53.html<br />

(zuletzt aufgerufen am 8. Mai 2008).<br />

3 Das Schreiben endete mit dem Passus " ... und zeichne mit vorzüglicher Hochachtung<br />

Euer Magnifizenz sehr ergebener [Unterschrift Hermann Aumer]." Die kursive<br />

Passage ist <strong>im</strong> Original über dem durchgestrichenen Passus "nachstehenden"<br />

handschriftlich ergänzt. Universitätsarchiv Erlangen (UAE): A1/3a Nr. 945, Generalia.<br />

4 Theodor Süss (1892-1961),Jurist und Professor für Internationales Recht. Siehe Renate<br />

Wittern (Hrsg.): Die Professoren und Dozenten <strong>der</strong> Friedrich-Alexan<strong>der</strong>-Universität.<br />

Erlangen 1743-1960.Teil 1: Theologische Fakultät, Juristische Fakultät. Erlanger<br />

Forschungen, Son<strong>der</strong>reihe 5. Erlangen 1993,S. 175f,sowie auch die Personalakten <strong>im</strong><br />

Bayerischen Hauptstaatsarchiv in München (BayHStA): MK 44425. Theodor Süss<br />

war <strong>im</strong> September 1945 von <strong>der</strong> amerikanischen Militärregierung als Rektor eingesetzt<br />

worden.<br />

5 Schreiben des Rektors Süss vom 29. Dezember 1945 [LA./i.V. unterzeichnet, unleserliche<br />

Unterschrift]. "Nr. 2449 Abdruck". Kursiv <strong>im</strong> Original gesperrt gedruckt.<br />

UAE: Al/3a Nr. 945, Generalia. - Prorektor war zu diesem Zeitpunkt Hermann Sasse<br />

(1895-1976),Theologe, Professor für Kirchengeschichte, Symbolik und Christliche<br />

Kunstarchäologie in Erlangen.<br />

6 Hans Liermann (1893-1961), Jurist und Rechtshistoriker. 1929-1961 Professor in<br />

Erlangen. Vgl. Alfred Wendehorst: Geschichte <strong>der</strong> Friedrich-Alexan<strong>der</strong>-Universität<br />

244


DER UMGANG MIT DEN DEPROMOTIONEN IN DER NACHKRIEGSZEIT<br />

Betreff "Betreuung <strong>der</strong> Juden in Bayern. Schreiben vom 29.12.1945 Nr.<br />

2449" an den Rektor:<br />

"Zu dem vorstehenden Schreiben wird berichtet: Im Laufe <strong>der</strong> letzten 12 Jahre ist<br />

einer Reihe von Personen <strong>der</strong> Doktortitel entzogen worden. Ihre Rehabilitierung ist<br />

unbedingt erfor<strong>der</strong>lich."7<br />

Eine pauschale Rehabilitierung kam für den Juristen aber nicht in Frage,<br />

sah er doch auch gleich die Probleme <strong>der</strong> allgemeinen Rücknahme aller<br />

Fälle von <strong>Aberkennungen</strong> <strong>der</strong> Promotion:<br />

"Dabei wird jedoch darauf zu achten sein, dass nicht Personen, denen <strong>der</strong> Doktortitel<br />

wegen gemeiner, nicht politischer Straftaten entzogen worden ist, ffi€Rtsgleichfalls<br />

rehabilitiert werden. In vielen Fällen hat die Universität den Doktortitel gar<br />

nicht entzogen, son<strong>der</strong>n es wurde mit <strong>der</strong> Entziehung <strong>der</strong> deutschen Staatsangehörigkeit<br />

durch das Reichsministerium des Innern auch automatisch <strong>der</strong> Doktortitel<br />

entzogen. 9 Unter den Personen, denen auf diese Weise <strong>der</strong> Doktortitel aberkannt<br />

worden ist, befinden sich nicht nur Juden, son<strong>der</strong>n auch an<strong>der</strong>e antifaschistisch eingestellte<br />

Persönlichkeiten."lo<br />

Liermann beurteilte die Möglichkeit <strong>der</strong> Rückverfolgung politischer Hintergründe<br />

allerdings skeptisch und argumentierte:<br />

"In vielen Fällen wird es sich an Hand <strong>der</strong> Akten <strong>der</strong> Universität gar nicht feststellen<br />

lassen, ob es sich um Juden handelt o<strong>der</strong> nicht, da <strong>der</strong> sogenannte Ariernachweis<br />

erst nach 1933 in den Promotionsakten zu finden ist. Es dürfte sich empfehlen, das<br />

Erlangen-Nürnberg 1743-1993. München 1993, S. 191 und 221. - Zum allgemeinen<br />

Kontext siehe auch Winfried Müller: Die Universitäten München, Erlangen und<br />

Würzburg nach 1945. Zur Hochschulpolitik in <strong>der</strong> amerikanischen Besatzungszone.<br />

In: Landesgeschichte und Zeitgeschichte. Forschungsperspektiven zur Geschichte<br />

Bayerns nach 1945, hrsg. von Max<strong>im</strong>ilian Lanzinner/Michael Henker. Materialien<br />

zur Bayerischen Geschichte und Kultur, 4. Augsburg 1997, S. 53-87.<br />

7 UAE: A1/3a Nr. 945, Generalia.<br />

8 Im Original zu Recht durchgestrichen.<br />

9 Hier sieht Liermann die bereitwillige Kooperation <strong>der</strong> Universitäten bzw. Fakultäten<br />

mit dem NS-Staat und die Verantwortung in Bezug auf diese Thematik doch recht<br />

abgeschwächt.<br />

10 UAE: A1/3a Nr. 945, Generalia.<br />

245


DER UMGANG MIT DEN DEPROMOTIONEN IN DER NACHKRIEGSZEIT<br />

Verfahren <strong>der</strong> Rehabilitierung grundsätzlich <strong>im</strong> Concilium decanale zu besprechen.<br />

(Liermann]."ll<br />

Kurzfristig scheint es nicht zu einer Diskussion <strong>im</strong> Kreis <strong>der</strong> Dekane<br />

gekommen zu sein, aber die weiteren schriftlichen Reaktionen <strong>der</strong> angefragten<br />

Persönlichkeiten sind sehr interessant. Schnell, wenn auch sehr<br />

knapp, antwortete am 11. Januar 1946 <strong>der</strong> kommissarisch eingesetzte<br />

Dekan Heinrich Kuen für die Philosophische Fakultät "Betreff: Betreuung<br />

<strong>der</strong> Juden in Bayern, hier Rehabilitierung von aberkannten Doktortiteln,<br />

Rektoratsschreiben vom 29.12.1945 Nr. 2449": "Ich schließe mich dem<br />

Bericht des Herrn Dekans <strong>der</strong> Juristenfakultät vom 7.1.1946 an." Nur drei<br />

Tage später - mit Datum 14. Januar - traf ein weiteres Schreiben ein. Prof.<br />

Meuwsen formulierte für das Dekanat <strong>der</strong> Naturwissenschaftlichen Fakultät<br />

zur "Entziehung des Dr.-Titels bei jüdischen Personen":12<br />

"Nach Durchsicht <strong>der</strong> Fakultätsakten ergab sich, dass in <strong>der</strong> naturwissenschaftlichen<br />

Fakultät keine Aberkennung des Doktor-Titels aus rassichen (sic]13Gründen stattgefunden<br />

hat."14<br />

Obwohl bei den Naturwissenschaftlern - trotz <strong>der</strong> relativ schnellen Reaktion<br />

- vermeintlich sogar die Akten durchgesehen worden waren, gab es<br />

diese Meldung an das Rektorat. Der Vorgang ist auch mit Bezug auf die<br />

an<strong>der</strong>en Fakultäten bemerkenswert: Die Naturwissenschaftler beantworteten<br />

die Anfrage sehr zügig, und ganz offensichtlich wussten sie auch,<br />

11 Ebd.<br />

12 In <strong>der</strong> Betreffzeile war auch noch <strong>der</strong> Bezug auf das "Schreiben des Rektorats vom<br />

29.12.1945Nr. 2449" aufgeführt. Ebd.<br />

13 Handschriftlich wurde ein "s" für "rassisch" eingefügt.<br />

14 UAE: A1/3a Nr. 946. Auf dem Stand <strong>der</strong> gegenwärtigen Forschung muss für die<br />

Naturwissenschaftliche Fakultät von drei Verfahren und mindestens einem Entzug<br />

eines Doktortitels (Dr. rer. nat.) ausgegangen werden, bei dem es um eine Ausbürgerung<br />

ging. Des Weiteren siehe Hartmut Kugler (Hrsg.): Lilli Bechmann-Rahn-<br />

Preis. Akademische Reden und Kolloquien <strong>der</strong> Friedrich-Alexan<strong>der</strong>-Universität Erlangen-Nürnberg.<br />

Band 19. Erlangen 2000, S. 18f. - Wir danken Herrn Dr. Clemens<br />

Wachter, dem Leiter des Universitätsarchivs, für wichtige Hinweise auch in Bezug<br />

auf die an<strong>der</strong>en Fakultäten.<br />

246


DER UMGANG MIT DEN DEPROMOTIONEN IN DER NACHKRIEGSZEIT<br />

dass man für die fragliche Angelegenheit (Promotions- ?)Akten zu Rate<br />

ziehen konnte. Ob das Ergebnis ihrer Recherchen ggf. in einer Durchschrift<br />

o<strong>der</strong> mündlich auch an die an<strong>der</strong>en Dekane mitgeteilt wurde, ist<br />

den Archivmaterialien nicht zu entnehmen.<br />

Die Medizinische Fakultät ließ sich deutlich mehr Zeit, denn erst über<br />

fünf Monate später, also mehr als ein halbes Jahr nach <strong>der</strong> Anfrage des<br />

Staatskommissars für die Betreuung <strong>der</strong> Juden in Bayern und dem nachfolgenden<br />

Schreiben des Rektors kam das Dekanat <strong>der</strong> Medizin <strong>der</strong> Auffor<strong>der</strong>ung<br />

um Rückmeldung nach - und dies trotz mehrfacher Rückfragen.<br />

Zunächst hatte sich das Rektorat mit einer nochmaligen Auffor<strong>der</strong>ung<br />

vom 18. Februar an "I. den Herrn Dekan <strong>der</strong> Theologischen Fakultät"<br />

und ,,2. den Herrn Dekan <strong>der</strong> Medizinischen Fakultät" mit einem,<br />

dieses Mal sogar von zwei Personen unterzeichneten Erinnerungsschreiben,15wenden<br />

müssen.<br />

Nun reagierten die Theologen: Mit Brief vom 21. Februar an den Rektor<br />

- "Betrifft: Entziehung des Doktortitels bei jüdischen Personen" - antwortete<br />

<strong>der</strong> Dekan <strong>der</strong> Theologischen Fakultät:<br />

"Auf die Zuschrift vom 29.12.1945 Nr. 2449 wird erwi<strong>der</strong>t, dass bei <strong>der</strong> Theologischen<br />

Fakultät kein Jude promoviert hat, demgemäß auch ke[i]ner jüdischen Person<br />

<strong>der</strong> Doktor-Titel entzogen worden ist."16<br />

In einem Schreiben vom 11. April 1946 musste <strong>der</strong> Rektor erneut auf diesen<br />

Sachverhalt zurückkommen. Er ersuchte den Dekan <strong>der</strong> Medizinischen<br />

Fakultät in <strong>der</strong> Sache "Entziehung des Doktortitels bei jüdischen<br />

Personen" nun um "baldgefällige Erledigung" <strong>der</strong> "Zuschrift vom 18.12.<br />

45 Nr. 2449",17Das in dem Vordruck für die Anfrage vorkommende Wort<br />

15 Unterzeichnet LV. für Süss sowie persönlich durch den Kurator Lent.<br />

16 UAE: Al/3a Nr. 945, Generalia. Für die Theologie ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt<br />

ein fraglicher Fall eines Entzugs bekannt. Es handelt sich um Dissertationen in Erlangen<br />

und Tübingen, vgl. http://www.uni-tuebingen.de/uni/qvo/pm/pm2003/pm<br />

703.html (zuletzt aufgerufen am 15. Mai 2008).<br />

17 Schreiben des Rektors Süss vom 11. April 1946. UAE: Al/3a Nr. 945, Generalia.<br />

Das Schreiben von H. Aumer (Anm. 3) trug das Datum 18. Dezember 1945. Die<br />

247


DER UMGANG MIT DEN DEPROMOTIONEN IN DER NACHKRIEGSZEIT<br />

"wie<strong>der</strong>holt" war jedoch sogar noch durch Überschreiben mit "xxx"<br />

gestrichen worden, obwohl es sich hier - nach fast vier Monaten - bereits<br />

mindestens um die zweite Rückfrage in dieser Angelegenheit handelte. In<br />

einem weiteren Schreiben vom 21. Juni 1946 ersuchte dann <strong>der</strong> lImit <strong>der</strong><br />

Vertretung beauftragte" Rektor Liermann erneut den Dekan <strong>der</strong> Medizinischen<br />

Fakultät in <strong>der</strong> Sache "Entziehung des Doktortitels bei jüdischen<br />

Personen" um eine Stellungnahme. In dieser, nochmals neun Wochen<br />

später erfolgenden Erinnerung, war das" wie<strong>der</strong>holt" <strong>im</strong> Text nun stehen<br />

gelassen worden. Erst dann reagierte die Medizin: Mit Schreiben vom 24.<br />

Juni 1946 teilte <strong>der</strong> Dekan <strong>der</strong> Medizinischen FakultäpB an das Rektorat<br />

unmissverständlich mit: "In Erledigung Ihrer Zuschrift Nr. 2449 v.<br />

18.12.45erstattet die Medizinische Fakultät Fehlanzeige! "19<br />

Trotz <strong>der</strong> nicht unerheblichen Anzahl von belegbaren Depromotionsfällen<br />

schloss man sich auf diese Weise <strong>der</strong> Aussage <strong>der</strong> Naturwissenschaftler<br />

und Theologen an. Ob dem eine genauere Aktenrecherche vorangegangen<br />

war, ob die Verzögerung bereits ein Ausweichen, bürokratische<br />

Langsamkeit o<strong>der</strong> gar Hinhaltetaktik bzw. bewusste Strategie war - das<br />

sind retrospektiv schwer anzustellende Mutmaßungen. Für ein seinerzeit<br />

strukturiert ablaufendes und <strong>der</strong>art gut dokumentiertes Verfahren wie die<br />

Depromotion lässt die "Fehlanzeige" <strong>der</strong> Medizinischen Fakultät aber<br />

doch aufhorchen und eine eher problematische Haltung zur jüngsten Vergangenheit<br />

vermuten. Die Akten waren nicht vernichtet, auch das Promotionsbuch<br />

hätte Auskunft über die erfolgten Streichungen geben können.<br />

Obwohl gemäß einer Direktive <strong>der</strong> Militärregierung vom 7. Juli 1945 in<br />

"Zweitschrift" als "Abdruck" des Rektors erfolgte auf dem gleichen Blatt am<br />

,,29.12.1945",<br />

18 Ebd. Das Schreiben vom 24. Juni 1946ist unterzeichnet mit "LV. Rech", <strong>im</strong> Briefkopf<br />

steht "Dekan", Walter Rech (1896-1975),Gynäkologe, war 1946 als Lehrstuhlvertreter<br />

für die Frauenheilkunde eingesetzt. Vgl. Renate Wittern (Hrsg.): Die Professoren<br />

und Dozenten <strong>der</strong> Friedrich-Alexan<strong>der</strong>-Universität Erlangen 1743-1960. Erlanger<br />

Forschungen, Son<strong>der</strong>reihe 9. Teil 2: Medizinische Fakultät. Erlangen 1999, S. 148.<br />

19 Im Original gesperrt gedruckt. - Die Zuschrift war vom 29. Dezember 1945 (vgl.<br />

Anm.17).<br />

248


DER UMGANG MIT DEN DEPROMOTIONEN IN DER NACHKRIEGSZEIT<br />

<strong>der</strong> Medizinischen Fakultät alle Ordinarien - so auch <strong>der</strong> frühere Rektor<br />

Hermann Wintz und <strong>der</strong> Dekan Richard Greving - bis auf den Pharmakologen<br />

Konrad Schübel entlassen worden waren, hätte es auf <strong>der</strong> administrativen<br />

Ebene Kenntnisse über die Vorgänge geben müssen: Trotz mancher<br />

Wechsel auf <strong>der</strong> Leitungsebene waren sicherlich auch noch Personen<br />

innerhalb <strong>der</strong> Universitäts- wie auch Fakultätsverwaltung dieselben wie<br />

in <strong>der</strong> Zeit bis 1945 und daher also mit den Fällen vertraut.<br />

Einer handschriftlichen Notiz unklarer Genese (nochmals abgezeichnet<br />

am 31. August 1946) ist für den Juli 1946 zu entnehmen: "Die Angelegenheit<br />

soll <strong>im</strong> Concilium decanale besprochen werden."20<br />

Am 7. September 1946 wandte sich das Bayerische Staatsministerium<br />

für Unterricht und Kultus (München, Salvatorplatz 2) an den Rektor mit<br />

dem Betreff "Entziehung ak.[ademischer] Grade":<br />

"Es liegt ein Gesetzentwurf <strong>der</strong> Bayer. Staatsregierung be<strong>im</strong> Am.[erikanischen] Kontrollrat<br />

in Berlin vor, <strong>der</strong> <strong>im</strong> Vollzug <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>gutmachung des vom Nationalsozialismus<br />

begangenen Unrechts auch die generelle Wie<strong>der</strong>zuerkennung <strong>der</strong> durch<br />

Verwaltungsakt aberkannten ak.[ademischen] Grade bringen wird, soweit politische<br />

Gründe für die Entziehung ausschlaggebend waren. In Fällen <strong>der</strong> Aberkennung<br />

durch unmittelbare Wirkung des Strafurteils sind die Gesuche um erneute Zuerkennung<br />

unter Beifügung <strong>der</strong> Akten dem Ministerium vorzulegen. Süss [Th. SÜSS)."21<br />

Im Universitätsarchiv ist ein weiteres Schriftstück erhalten: Mit Datum<br />

vom 16. Oktober 1946 wurde, unterzeichnet von Otto Haupt,22 Dekan <strong>der</strong><br />

Naturwissenschaftlichen Fakultät, unter "Betr.: Nr. 4113 vom 20.9.46 Ent-<br />

20 UAE: A1/3a Nr. 945, Generalia.<br />

21 Mit Stempelaufdruck: "Universität Erlangen. Eingel. 20.Sep.[tember] 1946" sowie<br />

handschriftlicher Notiz links unten: "z.A. [zur Angelegenheit] Entziehung des Doktortitels".<br />

Der Jurist Theodor Süss war mittlerweile vorübergehend ins Bayerische<br />

Ministerium gewechselt, wurde dann zunächst aus politischen Gründen entlassen<br />

und auch seines Amtes als Professor enthoben, nach einem längeren Prozess <strong>der</strong><br />

"Entnazifizierung" aber wie<strong>der</strong> an <strong>der</strong> Universität Erlangen eingesetzt. BayHStA:<br />

MK44425.<br />

22 Qtto Haupt (1887-1988),Mathematiker, Professor in Erlangen ab 1921. Siehe auch<br />

Wendehorst (Anm. 6), S. 87 und 221.<br />

249


DER UMGANG MIT DEN DEPROMOTIONEN IN DER NACHKRIEGSZEIT<br />

ziehung <strong>der</strong> akademischen Grade" mitgeteilt: "Fälle von Aberkennung<br />

aus politischen Gründen sind nach den angestellten Nachforschungen bei<br />

<strong>der</strong> Fakultät nicht erfolgt." Haupt konzedierte lediglich: "Eine <strong>im</strong> Jahre<br />

1942 fällig gewesene Erneuerung des 50-jährigen Doktorjubiläums wurde<br />

mit ministerieller Erlaubnis dieses Jahres nachgeholt (Dr. Eichengrün)."23<br />

Für das Jahr 1947 sind in den Akten des Erlanger Universitätsarchivs<br />

keine weiteren Vorgänge und Korrespondenzen zum Thema "Aberkennung<br />

<strong>der</strong> <strong>Doktorwürde</strong>" dokumentiert. Die Phase des Umbruchs und<br />

Wie<strong>der</strong>aufbaus <strong>der</strong> akademischen Institutionen war jedoch sicherlich auch<br />

von erheblicher Überlastung und allgemeiner Unsicherheit geprägt. Im<br />

benachbarten Nürnberg lief nach den Prozessen gegen die Hauptkriegsverbrecher<br />

dann 1946-47 auch das erste berufsspezifische Nachfolgeverfahren:<br />

<strong>der</strong> Nürnberger Ärzteprozess. 24 Der Psychiater und Medizinhistoriker<br />

Werner Leibbrand (1896-1974),25 selbst ein Verfolgter des NS-Staates,<br />

nach dem Krieg kommissarischer Leiter <strong>der</strong> Heil- und Pflegeanstalt in<br />

Erlangen und auch Grün<strong>der</strong> des Instituts für Geschichte <strong>der</strong> Medizin, war<br />

<strong>der</strong> einzige deutsche Sachverständige <strong>im</strong> Rahmen des Prozesses. 26 Er<br />

engagierte sich als Lehrbeauftragter für eine Medizin auf <strong>der</strong> Grundlage<br />

<strong>der</strong> abendländischen Tradition und war auch Mitglied <strong>der</strong> Kommission<br />

23 Dieses Schreiben legt den Schluss nahe, dass es <strong>im</strong> Spätsommer 1946 noch einen<br />

weiteren Aktenvorgang (Nr. 4113) mit einer Anfrage aus dem Rektorat gab.<br />

24 Siehe auch Andreas Frewer et al. (Hrsg.): Medizinverbrechen vor Gericht. Das Urteil<br />

<strong>im</strong> Nürnberger Ärzteprozeß gegen Karl Brandt und an<strong>der</strong>e sowie aus dem Prozeß<br />

gegen Generalfeldmarschall Milch. Von U.-D. Oppitz, mit einem Beitrag von T. von<br />

Uexküll. Erlangen, Jena 1999.<br />

25 Vgl. Fridolf Kudlien: Werner Leibbrand als Zeitzeuge. Ein ärztlicher Gegner des Nationalsozialismus<br />

<strong>im</strong> <strong>Dritten</strong> Reich. Medizinhistorisches Journal 21 (1986),S. 332-352;<br />

Renate Wittern: Werner Leibbrand und die Gründung des Erlanger medizinhistorischen<br />

Instituts. In: Marion Maria Ruisinger (Hrsg.): 50 Jahre jung. Das Erlanger<br />

Institut für Geschichte <strong>der</strong> Medizin (1948-1998).Erlangen 1998, S. 4-11.<br />

26 Vgl. Florian Mildenberger: Das moralische Gewissen <strong>der</strong> deutschen Medizin - Werner<br />

Leibbrand in Nürnberg (1943-1953).In: Paul U. Unschuld et al. (Hrsg.), Werner<br />

Leibbrand (1896-1974)."... ich weiß, daß ich mehr tun muß, als nur ein Arzt zu sein<br />

••• 11. München u.a. 2005, S. 81-101.<br />

250


DER UMGANG MIT DEN DEPROMOTIONEN IN DER NACHKRIEGSZEIT<br />

zur Untersuchung <strong>der</strong> Zwangsabtreibungen an den "Ostarbeiterinnen"27-<br />

Äußerungen zum Problemfeld Depromotion sind aus seinem Nachlass<br />

jedoch bisher nicht bekannt.<br />

Erst am 8. September 1948 hat das Concilium decanale wie<strong>der</strong> getagt;<br />

von diesem Treffen ist <strong>der</strong> Auszug des Sitzungsprotokolls erhalten. Dort<br />

heißt es: "Professor Beck 28 bringt das Verfahren bei Aberkennung <strong>der</strong><br />

<strong>Doktorwürde</strong> zur Sprache."29Die anwesenden Dekane waren sich bezüglich<br />

des Umgangs mit dem Problem jedoch offenbar nicht sicher o<strong>der</strong><br />

wollten den Sachverhalt nicht unbedingt unverzüglich behandeln; als einziger<br />

weiterer Satz ist in diesem Protokollauszug dokumentiert: "Die Frage<br />

soll noch geprüft werden."30<br />

Gemäß Beschluss des Senats vom 24. September 1948 wurde die Thematik<br />

"Aberkennung <strong>der</strong> Doktor-Würde und Wie<strong>der</strong>zuerkennung <strong>der</strong><br />

<strong>Doktorwürde</strong>" einem Ausschuss übertragen. 31 Dieser sollte bestehen aus<br />

dem Rektor (bzw. dem Prorektor) als Vorsitzendem, "dem Dekan <strong>der</strong>jenigen<br />

Fakultät, die die <strong>Doktorwürde</strong> verliehen hat" und "einem Mitglied<br />

<strong>der</strong> Juristischen Fakultät". Der Ausschuss habe Entscheidungsrecht.<br />

27 UAE: A6/3d/21. "Universitäts-Ausschuss zur Untersuchung <strong>der</strong> Schwangerschaftsunterbrechungen<br />

bei Ostarbeiterinnen", eingesetzt am 15. Oktober 1946 vom damaligen<br />

Rektor Eduard Brenner. Siehe Wolfgang Frobenius: Abtreibungen bei "Ostarbeiterinnen"<br />

in Erlangen. Hochschulmediziner als Helfershelfer des NS-Reg<strong>im</strong>es. In:<br />

Andreas Frewer/Günther Siedbürger (Hrsg.): Medizin und Zwangsarbeit <strong>im</strong> Nationalsozialismus.<br />

Einsatz und Behandlung von "Auslän<strong>der</strong>n" <strong>im</strong> Gesundheitswesen.<br />

Frankfurt a.M., New York 2004, S. 283-307.<br />

28 Josef Beck (1891-1966),Arzt für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde; ab 1. Juli 1946<br />

Lehrstuhlvertretung, ab Januar 1948 ordentlicher Professor an <strong>der</strong> Universität<br />

Erlangen.<br />

29 UAE: A1/3a Nr. 945, Generalia.<br />

30 Sitzungsprotokoll des "Concilium decanale" vom 9. September 1948. Ebd.<br />

31 Gemeint ist <strong>der</strong> so genannte "Engere Senat", <strong>der</strong> die Problematik als Tagesordnungspunkt<br />

11 ("Aberkennung <strong>der</strong> <strong>Doktorwürde</strong>") und TOP 12 (11Wie<strong>der</strong>zuerkennung<br />

<strong>der</strong> <strong>Doktorwürde</strong>") behandelte.<br />

251


DER UMGANG MIT DEN DEPROMOTIONEN IN DER NACHKRIEGSZEIT<br />

Aus dem "Sitzungsprotokoll des Groß[en] Senats vom 13. Oktober<br />

1948/1 ist auch ein Protokoll-Abschnitt dieses "Ausschuss[es] zur Aberkennung<br />

und Wie<strong>der</strong>zuerkennung <strong>der</strong> <strong>Doktorwürde</strong>/l erhalten:<br />

"Längere Diskussion. Professor Lippold vertritt den Standpunkt, dass sowohl Aberkennung<br />

wie Wie<strong>der</strong>zuerkennung <strong>der</strong> <strong>Doktorwürde</strong> ausschließlich Angelegenheit<br />

<strong>der</strong> Fakultät sei, die diese Würde verliehen habe. Professor Stammer beantragt, dem<br />

Ausschuss nur [handschriftlich eingefügt] die Befugnis über die Wie<strong>der</strong>zuerkennung<br />

<strong>der</strong> Doktor-Würde zu übertragen. Professor Kuen beantragt eine weitere Einschränkung<br />

dahingehend[,] dass die Befugnis des Ausschusses [durch Randnotiz<br />

angefügt] auf die Wie<strong>der</strong>zuerkennung <strong>der</strong> <strong>im</strong> <strong>Dritten</strong> Reich aberkannten Doktor-<br />

Würden zu begrenzen sei."32<br />

Eine beson<strong>der</strong>e Rolle spielte hier die Meinung <strong>der</strong> Kollegen aus <strong>der</strong> Juristischen<br />

Fakultät:<br />

"Professor Liermann beantragt Vertagung <strong>der</strong> Frage und Beauftragung des Syndikus<br />

mit <strong>der</strong> Klärung <strong>der</strong> Rechtsgrundlage, und schlägt aber jetzt schon vor, sowohl<br />

die Aberkennung wie die Wie<strong>der</strong>zuerkennung <strong>der</strong> Doktor-Würde um <strong>der</strong> Einheitlichkeit<br />

<strong>der</strong> Praxis willen einem einzigen, großen Ausschuss zu übertragen. Professor<br />

Stammer hält seinen Antrag auf sofortige Abst<strong>im</strong>mung über die Betrauung des<br />

Ausschusses mit <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>zuerkennung <strong>der</strong> Doktor-Würde aufrecht. Der Senat<br />

schreitet zur Abst<strong>im</strong>mung über den Antrag Professor Liermann auf Vertagung. Der<br />

Antrag wird bei zwei Nein-St<strong>im</strong>men und einer St<strong>im</strong>menthaltung angenommen."33<br />

Die Juristen waren in dieser Angelegenheit auch weiter aktiv, so äußerte<br />

Prof. Schnorr von Carolsfeld, Dekan <strong>der</strong> Juristischen Fakultät, in einem<br />

Schreiben vom 9. Dezember 1948 an den Rektor:<br />

"Ew.Magnifizenz! Ich bitte dringend um Aufstellung des Ausschusses für den Entzug<br />

des Dr.-Titels und die Wie<strong>der</strong>verleihung, da es stets wichtig ist, dass <strong>der</strong>artige<br />

Kommissionen nicht erst dann gebildet werden, wenn ein konkreter Anlass vorliegt.<br />

Es könnte dann <strong>der</strong> Vorwurf erhoben werden, die Kommission sei in bezug auf<br />

32 UAE: Al/3a Nr. 945, Generalia.<br />

33 Ebd.<br />

252


DER UMGANG MIT DEN DEPROMOTIONEN IN DER NACHKRIEGSZEIT<br />

diesen best<strong>im</strong>mten Fall zusammengestellt. Ich erwarte in nächster Zeit einen Fall,<br />

den ich wahrscheinlich dem Ausschuss vorlegen muss."34<br />

Der Senat <strong>der</strong> Universität hat das heikle Thema offenbar auch auf die<br />

Tagesordnung 35 <strong>der</strong> Sitzung vom 20. Dezember 1948 genommen, aber<br />

einem kurzen Auszug aus dem Sitzungsprotokoll ist zu entnehmen, dass<br />

die "Kommission für Entzug und Wie<strong>der</strong>verleihung des Dr.-Titels" doch<br />

nicht diskutiert wurde: "Die Angelegenheit wird zurückgestellt und soll<br />

erneut auf die Tagesordnung <strong>der</strong> nächsten Sitzung gesetzt werden."36<br />

Mit Schreiben vom 20. Dezember 1948 wandte sich schließlich Rektor<br />

Friedrich Baumgärtep7 wegen <strong>der</strong> "Aberkennung des Doktor-Titels in <strong>der</strong><br />

Zeit <strong>der</strong> NS-Herrschaft" an das Bayerische Staatsministerium für Unterricht<br />

und Kultus in München:<br />

"Während <strong>der</strong> NS-Herrschaft ist in großer Zahl Personen <strong>der</strong> Dr.-Titel entzogen<br />

worden, weil diese Personen <strong>der</strong> deutschen Staatsangehörigkeit für verlustig erklärt<br />

worden sind. Veranlaßt durch die Anfrage eines <strong>im</strong> Jahre 1940 von dieser Maßnahme<br />

Betroffenen, was die Universität Erlangen zu tun gedenkt, um diesen entehrenden<br />

Rechtsbruch wie<strong>der</strong> gutzumachen, hat die Juristische Fakultät <strong>der</strong> Universität<br />

Erlangen die Frage aufgeworfen, ob es nicht angebracht wäre, die nach 1933 in<br />

Zusammenhang mit dem Verlust <strong>der</strong> deutschen Staatsangehörigkeit entzogenen<br />

Promotionen wie<strong>der</strong> herzustellen, ohne daß in den Einzelfällen ein Verfahren durchgeführt<br />

wird, und darüber eine grundsätzliche ME. [Ministerial-Entscheidung] zu<br />

erlassen. Es wird gebeten, zu dieser Anregung <strong>der</strong> Juristischen Fakultät Stellung zu<br />

nehmen."38<br />

Ein Auszug aus dem Sitzungsprotokoll des Engeren Senats vom 11. März<br />

1949 zeigt die letztendlich anvisierte Haltung und Vorgehensweise auf<br />

34 Schreiben von Schnorr von Carolsfeld an den Rektor vom 9. Dezember 1948.Ebd.-<br />

In den vorangegangenen zehn Wochen hatte sich das Gremium ganz offensichtlich<br />

noch nicht konstituiert.<br />

35 Angegeben ist "TO.Ziff. 9", also <strong>der</strong> Tagesordnungspunkt 9.<br />

36 UAE: A1/3a Nr. 945,Generalia.<br />

37 Friedrich Baumgärtel (1888-1981),Theologe, Rektor <strong>der</strong> Universität von 1948-1950.<br />

38 UAE: A1/3a Nr. 945, Generalia.<br />

253


DER UMGANG MIT DEN DEPROMOTIONEN IN DER NACHKRIEGSZEIT<br />

Universitätsebene: Zum Thema "Aberkennung und Wie<strong>der</strong>zuerkennung<br />

<strong>der</strong> Doktor-Würde" war folgende Textnotiz nie<strong>der</strong>gelegt worden:<br />

"Der Syndikus berichtet, dass durch Entschliessungen des Bayerischen Staatsministeriums<br />

für Unterricht und Kultus vom 12.6.35Nr. V 30731und Nr. 29875in sämtlichen<br />

Promotionsordnungen die Best<strong>im</strong>mung aufgenommen werden müsste, dass<br />

über die Entziehung <strong>der</strong> <strong>Doktorwürde</strong> ein aus dem Rektor und den Dekanen zusammengesetzter<br />

Ausschuss (Concilium decanale) entscheidet. Er schlägt vor, dass<br />

auch über die Wie<strong>der</strong>zuerkennung <strong>der</strong> Doktor-Würde das Concilium decanale beschliessen<br />

möge. "39<br />

Diese Aktennotiz endet mit <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>gabe <strong>der</strong> Entscheidung: "Beschluss:<br />

Über Anträge auf Wie<strong>der</strong>zuerkennung beschließt das Concilium<br />

decanale, wobei dem Votum des Dekans <strong>der</strong> betreffenden Fakultät erhöhte<br />

Bedeutung zukommen S011."40<br />

Ein weiterer Auszug aus dem Sitzungsprotoko11 vom 29. März 1949<br />

notierte: "Der auf <strong>der</strong> Tagesordnung stehende Punkt ,Anträge auf Wie<strong>der</strong>zuerkennung<br />

des Doktor-Titels' wird auf die nächste Sitzung vertagt."<br />

Auch das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus<br />

hatte offensichtlich auf verschiedenen Ebenen Probleme mit dem Vorgang<br />

Depromotion: In einem Schreiben vom 6. Februar 1950 an das Rektorat-<br />

"Betreff: Aberkennung des Doktor-Titels in <strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong> NS-Herrschaft" -<br />

zu dem "Vorgang: Bericht vom 31.10.1949" musste <strong>der</strong> Sachbearbeiter<br />

Treppesch <strong>im</strong> Auftrag gestehen: "Da <strong>der</strong> Bericht vom 20.12.1948 Nr. 3100<br />

hier <strong>der</strong>zeit nicht auffindbar ist, wird um Übermittlung einer Abschrift ersucht."<br />

Baumgärtellegte diese Abschrift mit neuerlichem Schreiben vom<br />

16. Februar 1950 nochmals vor.<br />

Bereits in <strong>der</strong> Folgewoche beschäftigte das Thema die Universität: Die<br />

"Nie<strong>der</strong>schrift über die Sitzung vom 24.2.1950 <strong>im</strong> Rektorz<strong>im</strong>mer" bringt<br />

neue Aspekte zum Umgang mit dem Thema Promotionsentzug. Die mögliche<br />

"Entziehung <strong>der</strong> <strong>Doktorwürde</strong> für Dr. med. Karl Ittameier" wurde<br />

gleich unter Punkt 1verhandelt.<br />

39 Ebd.<br />

40 Ebd. Auch die nachfolgend genannten Schriftstücke befinden sich in dieser Akte.<br />

254


DER UMGANG MIT DEN DEPROMOTIONEN IN DER NACHKRIEGSZEIT<br />

Der "Fall Ittameier"<br />

Hintergründe und Behandlung dieses Falles werfen ein bezeichnendes<br />

Licht auf die Haltung zur Aberkennung <strong>der</strong> <strong>Doktorwürde</strong> nach 1945.<br />

Durch das Vorhandensein umfangreicher Gerichtsakten lassen sich zudem<br />

die historischen Kontexte <strong>der</strong> Vor- und Nachkriegszeit in <strong>der</strong> Region<br />

genauer darstellen. Im Mittelpunkt steht <strong>der</strong> Mediziner Carl Ittameier.<br />

Carl Christian Theodor Ittameier wurde am 22. Januar 1882 in Wallerstein<br />

geboren. 1901 machte er das Abitur in Erlangen, danach studierte er<br />

dort und vorübergehend auch in Kiel Medizin. Ittameier promovierte an<br />

<strong>der</strong> Friedrich-Alexan<strong>der</strong>-Universität mit <strong>der</strong> 29seitigen Arbeit "Über einen<br />

Fall von Thrombose <strong>der</strong> rechten Arteria pulmonalis und Bildung eines<br />

Kollateralkreislaufes in den Lungen". 41 Anschließend ließ er sich als Arzt<br />

in <strong>der</strong> Region nie<strong>der</strong> und trat bereits 1930 <strong>der</strong> NSDAP bei. 1933 wurde<br />

Ittameier nebenberuflicher Kreisleiter <strong>der</strong> Partei für den Bezirk Forchhe<strong>im</strong>-Gräfenberg.<br />

Ende November 1938 fand in Gräfenberg (ca. 20 km von Erlangen)<br />

eine Versammlung <strong>der</strong> NSDAP statt. Im Anschluss daran fuhren <strong>der</strong><br />

Gruppenälteste und offensichtliche Rädelsführer Ittameier mit weiteren<br />

Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> NSDAP-Kreisverwaltung in das wenige Kilometer entfernte<br />

Ermreuth. Dort gaben sie vor, mehrere Wohnungen bzw. Häuser<br />

dortiger Einwohner jüdischen Glaubens nach Waffen und Schächtmessern<br />

durchsuchen zu wollen. Es handelte sich wohl aber von vornherein um<br />

eine geplante antisemitische Attacke. Dabei wurde insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> in<br />

Ermreuth lebende Max Wassermann - sogar ein Patient des Mediziners<br />

Ittameier - aus dem Bett geholt und misshandelt. Während seine Frau mit<br />

dem Kind völlig verängstigt <strong>im</strong> Hausflur Zuflucht suchte, wurde Wassermann<br />

von <strong>der</strong> Tätergruppe <strong>der</strong> Kopf in ein Kissen gedrückt, damit er die<br />

zuschlagenden Personen nicht genau identifizieren konnte. Er erlitt u.a.<br />

blutende Wunden am Kopf sowie Verletzungen am Rücken und floh noch<br />

41 Med. Diss. Erschienen in Erlangen <strong>im</strong> Verlag Junge & Sohn 1907. Promotionsdatum:<br />

26. Juli 1907.<br />

255


DER UMGANG MIT DEN DEPROMOTIONEN IN DER NACHKRIEGSZEIT<br />

in <strong>der</strong> gleichen Nacht in das Israelitische Krankenhaus in Fürth. Dort<br />

wurde er anschließend zwei Wochen ärztlich behandelt. Gegenüber einem<br />

Zeugen äußerte er später, dass er, seitdem er 1938 geschlagen worden<br />

war, "ein kranker Mann sei". Bereits 1942 starb Max Wassermann an einer<br />

Krebserkrankung.<br />

Im Februar 1949 fand vor <strong>der</strong> Großen Strafkammer des Landgerichts<br />

Bamberg eine Verhandlung gegen Ittameier und mehrere an<strong>der</strong>e Angeklagte<br />

wegen <strong>der</strong> Ermreuther Vorkommnisse vom November 1938 statt.<br />

Carl Ittameiner wurde wegen schwerer Körperverletzung zu sechs Monaten<br />

Haft verurteilt. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass die Misshandlung<br />

Max Wassermanns wahrscheinlich <strong>im</strong> Voraus geplant worden war.<br />

Ittameier berief sich vor Gericht auf einen kurz nach <strong>der</strong> Pogromnacht<br />

erfolgten Befehl des Gauleiters, die Häuser in Ermreuth zu durchsuchen. 42<br />

Das Gericht warf jedoch insgesamt allen Angeklagten mangelnde Geständigkeit<br />

vor, da Ittameier und seine Kumpane sich gegenseitig zu decken<br />

und die Misshandlungen herunter zu spielen versuchten. Ittameier - zum<br />

Tatzeitpunkt 56 Jahre alt - wurde als einziger <strong>der</strong> Angeklagten wegen<br />

gefährlicher Körperverletzung zu einer Gefängnisstrafe verurteilt.<br />

Im September 1949- also über ein halbes Jahr nach erfolgter Verurteilung<br />

- wurde auch die Universität Erlangen informiert und erhielt eine<br />

Abschrift des Urteils. Die Medizinische Fakultät kam <strong>im</strong> November 1949<br />

zu dem Ergebnis, dass eine "geeignete Kommission" gebildet werden<br />

müsse. Der Senat erklärte sich für nicht zuständig und verwies auf das<br />

Concilium decanale. Am 24. Februar 1950 fand dann zur Frage <strong>der</strong><br />

Aberkennung <strong>der</strong> <strong>Doktorwürde</strong> <strong>im</strong> "Fall Ittameier" die bereits erwähnte<br />

Sitzung be<strong>im</strong> Rektor statt. 43 Man einigte sich zunächst grundsätzlich -<br />

"mangels an<strong>der</strong>er gesetzlicher Unterlagen" - auch für die Zeit nach 1945<br />

42 Am 11. November 1938erging durch die Nationalsozialisten eine Verordnung gegen<br />

den Waffenbesitz von Juden.<br />

43 Anwesend waren neben dem Rektor noch <strong>der</strong> Dekan <strong>der</strong> Medizinischen Fakultät,<br />

<strong>der</strong> Internist Karl Matthes (1905-1962),sowie Syndikus Panzer als Protokollant. -<br />

Neben <strong>der</strong> Frage des Titelentzugs in Bezug auf Ittameier stand noch <strong>der</strong> Antrag<br />

eines Emigrierten auf Wie<strong>der</strong>verleihung des Dr. jur. zur Diskussion.<br />

256


DER UMGANG MIT DEN DEPROMOTIONEN IN DER NACHKRIEGSZEIT<br />

auf ein Vorgehen nach den gesetzlichen Regelungen <strong>der</strong> NS-Zeit. Als<br />

Sachstand wurde zunächst festgehalten:<br />

"Dr. Ittameier hat sich mit verschiedenen Angehörigen <strong>der</strong> NSDAP in <strong>der</strong> Nacht<br />

vom 9. auf 10.11.1938[Reichskristallnacht]44an judenfeindlichen Ausschreitungen in<br />

Ermreuth/Fränk.[ische] Schw.[eiz] beteiligt."45<br />

Konkret aber wurde <strong>der</strong> Beschluss über eine mögliche Depromotion aufgeschoben,<br />

da man zunächst ein Gutachten <strong>der</strong> Bayerischen Landesärztekammer<br />

einholen wollte:<br />

"Nach dem Vortrag des Rektors und aus dem umfangreichen Gerichtsurteil beschloss<br />

<strong>der</strong> Ausschuss, zunächst von einer Beschlussfassung über die Entziehung<br />

<strong>der</strong> Doktor-Würde abzusehen und vorher die einschlägigen Spruchkammerakten<br />

beizuziehen. Ferner soll ein Gutachten <strong>der</strong> Bayerischen Landesärztekammer in<br />

München (Dr. Weyler) über den Fall eingeholt werden."46<br />

Erst <strong>im</strong> Mai 1950 traf eine Antwort <strong>der</strong> Landesärztekammer ein. Diese<br />

reagierte nach wie<strong>der</strong>holter Anfrage <strong>der</strong> Universität ausweichend und erklärte<br />

schließlich, <strong>der</strong>zeit keine Berufsgerichtsbarkeit ausüben zu können,<br />

da sie rechtlich noch nicht entsprechend befugt sei. Eine gutachterliche<br />

Stellungnahme zu dieser Thematik läge zudem nicht in ihrem Zuständigkeitsbereich.<br />

Nun tagte wie<strong>der</strong> das Concilium decanale und verwies die Angelegenheit<br />

zurück an die Fakultät. Sollte diese zu keiner Lösung kommen,<br />

müsse man sich erneut über die Vorgehensweise verständigen. Gleichzeitig<br />

zum Fall Ittameier wurde über den Arzt P.47 eine Anfrage mit <strong>der</strong> Bitte<br />

44 Dies ist zutreffend, vgl. u.a. den Augenzeugenbericht von Professor Bauer unter<br />

http://cms.her<strong>der</strong>-forchhe<strong>im</strong>.de/node/l05(zuletztaufgerufenam15.Mai2008).<br />

Die für das Gerichtsurteil maßgeblichen Ereignisse fanden jedoch erst Ende November<br />

1938 statt. Siehe generell auch Christoph Frie<strong>der</strong>ich (Hrsg.): Juden und Judenpogrom<br />

1938 in Erlangen. Veröffentlichung des Stadtmuseums Erlangen, 40. Erlangen<br />

1999.<br />

45 UAE: Al/3a Nr. 945, Generalia.<br />

46 Ebd.<br />

47 Das Protokollbuch vermerkt: "Im Falle Dr. P.[...], praktischer Arzt in Muggendorf<br />

[Fränkische Schweiz], handelte es sich um seine Verurteilung wegen 5 Vergehen <strong>der</strong><br />

257


DER UMGANG MIT DEN DEPROMOTIONEN IN DER NACHKRIEGSZEIT<br />

um eine Einschätzung an den Ärztlichen Bezirksverein gestellt. Interessanter<br />

Weise vermerkt das Protokollbuch - obwohl das Gericht in dieser<br />

Sache nach ausführlicher Begründung klar an<strong>der</strong>s geurteilt hatte - folgenden<br />

nivellierenden Passus zur Schuld Ittameiers:<br />

"Dr. Ittameier hat selbst nicht nachweislich an den Ausschreitungen teilgenommen<br />

und anerkanntermaßen ein langes, ehrenhaftes Leben als Arzt hinter sich; mil<strong>der</strong>nde<br />

Umstände wurden ihm jedoch versagt, die Amnestie abgelehnt. Auch in diesem Fall<br />

wird <strong>der</strong> Dekan gebeten, erst festzustellen, ob die ärztliche Tätigkeit noch ausgeübt<br />

wird."48<br />

Am 25. Januar 1951 schließlich entschied die Medizinische Fakultät, vom<br />

Entzug des Titels des Dr. Ittameier absehen zu wollen. Dies hatte anscheinend<br />

auch <strong>der</strong> Ärztliche Bezirksverein empfohlen. 49 Das "Protokoll <strong>der</strong><br />

Sitzung <strong>der</strong> engeren Fakultät am Donnerstag" vom 25. Januar 1951 - die<br />

Sitzung fand ab 18 Uhr <strong>im</strong> Hörsaal <strong>der</strong> Hals-, Nasen-Ohrenklinik statt -<br />

vermerkt unter Tagesordnungspunkt 7 "Entzug <strong>der</strong> <strong>Doktorwürde</strong>" eine<br />

Abst<strong>im</strong>mung um 20.15 Uhr. Zunächst teilte <strong>der</strong> Dekan - die Richtung<br />

weisend - mit, "dass we<strong>der</strong> Dr. P[... ] und Dr. Ittameyer [sic] einen Praxiso<strong>der</strong><br />

Bestallungsentzug auferlegt bekommen haben". In gehe<strong>im</strong>er Abst<strong>im</strong>mung<br />

wurde daraufhin "die Frage des Entzugs <strong>der</strong> <strong>Doktorwürde</strong> für Dr.<br />

P[...] mit 14 St<strong>im</strong>men verneint, bei 1 Ja-St<strong>im</strong>me und 3 St<strong>im</strong>menthaltun-<br />

Abtreibung und ein Vergehen <strong>der</strong> Hergabe von Mitteln zur Abtreibung zu 1 Jahr 1<br />

Monat Gefängnis, auf die 4 Monate Untersuchungshaft angerechnet wurden. Die<br />

Gewerbsmäßigkeit wurde verneint, strafmil<strong>der</strong>nde Umstände festgestellt. Von <strong>der</strong><br />

Untersagung <strong>der</strong> Berufsausübung wurde abgesehen. Auf Antrag Weinig wird <strong>der</strong><br />

Dekan gebeten, zunächst Erkundigungen einzuziehen, ob Dr. P[... ] noch Praxis ausübt<br />

und ob seine Bestallung geruht hat." UAE: Dek. Med. Fak. Protokollbuch 10.<br />

Dezember 1943 bis 29. November 1951, hier: Protokoll <strong>der</strong> Sitzung vom 20. November<br />

1950.<br />

48 Ebd.<br />

49 Ein Schriftstück ist hierzu bisher nicht gefunden worden. Für den untersuchten<br />

Zeitraum sei an dieser Stelle auch auf die generelle Schwierigkeit lückenloser Dokumentation<br />

und historischer Forschung verwiesen: Telefonische Absprachen o<strong>der</strong><br />

direkte Treffen lassen sich meist gar nicht o<strong>der</strong> nur unvollständig rekonstruieren.<br />

258


DER UMGANG MIT DEN DEPROMOTIONEN IN DER NACHKRIEGSZEIT<br />

gen." Bei "<strong>der</strong> gleichen Frage für Dr. Ittameyer [sic]" werden ,,13 Nein-<br />

St<strong>im</strong>men [und] 3 Ja-St<strong>im</strong>men abgegeben bei 2 St<strong>im</strong>menthaltungen".<br />

Diese Entscheidung sollte sich auch für die Behandlung späterer Fälle<br />

als wegweisend herausstellen. Im Protokoll <strong>der</strong> Sitzung <strong>der</strong> Engeren Fakultät<br />

vom 8. März 1951 wurde unter Tagesordnungspunkt 9 das Thema<br />

"Entzug <strong>der</strong> <strong>Doktorwürde</strong>" erneut behandelt. Der Bericht vermerkt:<br />

"Bei <strong>der</strong> Frage des Entzugs <strong>der</strong> <strong>Doktorwürde</strong> handelt es sich um Dr. M[...] P[... ],<br />

Fürth, [...], <strong>der</strong> wegen Abtreibung zu 6 Monaten Gefängnis verurteilt wurde bei<br />

vierjähriger Bewährungsfrist. Unter Hinweis auf die früheren Fälle Ittameyer [sie]<br />

und P[... ] wird beschlossen, bei <strong>der</strong> gegebenen Sachlage den Doktortitel nicht zu<br />

entziehen. "50<br />

Die neue Vorsicht bei <strong>der</strong> Aberkennung akademischer Titel ist offensichtlich,<br />

bekommt aber gerade <strong>im</strong> Kontrast des Vorgehens wie auch <strong>der</strong><br />

relevanten Vergehen mehr als einen schalen Beigeschmack: Auf <strong>der</strong> einen<br />

Seite diskr<strong>im</strong>inierende Entzüge bei Emigration o<strong>der</strong> politischen Hintergründen,<br />

auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite gewalttätige antisemitische Ausschreitung<br />

mit dem klaren Gerichtsurteil gefährlicher Körperverletzung sowie Haftstrafe<br />

(Fall Ittameier), aber ein vorsichtiges Abwarten <strong>der</strong> Hochschule wie<br />

auch ärztlicher Institutionen und letztlich Nichtaberkennung.<br />

Die Diskussionen um die weitere Behandlung des Themas<br />

Auf Universitätsebene wurde nochmals eine gutachterliche Stellungnahme<br />

des Juristen Liermann angefor<strong>der</strong>t, <strong>der</strong> sich in einem differenzierten<br />

und ausführlichen Schreiben vom 21. März 1951 grundsätzlich äußerte<br />

und auf weiter bestehende Probleme des Umgangs mit <strong>der</strong> Thematik<br />

Aberkennung <strong>der</strong> <strong>Doktorwürde</strong> hinwies. 51<br />

50 Ebd.<br />

51 Schreiben Liermanns vom 21. März 1951.UAE: A1/3a Nr. 945, Generalia. Dieses sehr<br />

umfangreiche Dokument ist <strong>im</strong> Anhang des vorliegenden Kapitels wie<strong>der</strong>gegeben.<br />

259


DER UMGANG MIT DEN DEPROMOTIONEN IN DER NACHKRIEGSZEIT<br />

Ein Schreiben des Dekans <strong>der</strong> Medizinischen Fakultät Würzburg vom<br />

2. Mai 1951 "An die Herren Dekane <strong>der</strong> Medizinischen Fakultäten <strong>der</strong><br />

Universität München und <strong>der</strong> Universität Erlangen" zeigt den Sachstand,<br />

aber auch die Unsicherheit bezüglich des weiteren Vorgehens. "Aus vorliegendem<br />

Anlass" war <strong>der</strong> Würzburger Dekan "für kurze Mitteilung <strong>der</strong><br />

Stellungnahme Ihrer Fakultät zu nachstehenden Punkten dankbar":<br />

,,1. sind seit 1945 seitens Ihrer Fakultät Entziehungen des Doktorgrades erfolgt unter<br />

Berufung auf das Gesetz über die Führung akademischer Grade, dessen Durchführungsverordnungen<br />

und Erlasse des Reiehs-u.Preuß.Minist.f.Wissensch.Erziehg.u.<br />

Volksbild. [sie]?<br />

2. wird eine strafrechtliche Verurteilung eines Arztes wegen Abtreibung als hinreichen<strong>der</strong><br />

Grund für die Entziehung des Doktorgrads angesehen?<br />

3. erfolgt die Entziehung des Dr.Grades [sie] nur durch die Fakultät (Fakultätsausschuss?<br />

engere Fakultät? weitere Fakultät?) o<strong>der</strong> durch Rektor und Dekane <strong>der</strong><br />

Gesamtuniversität?<br />

4. erfolgt die Entziehung nur für die Dauer <strong>der</strong> Verurteilung o<strong>der</strong> für die Dauer des<br />

Verbots <strong>der</strong> Praxis ausübung o<strong>der</strong> endgültig?" 52<br />

Der Würzburger Dekan Curt Sonnenschein merkte noch an, dass von<br />

seinem Rektorat angeregt wurde, "eine einheitliche Handhabung für die<br />

bayer. Fakultäten herbeizuführen". Auf diesen Punkt ging <strong>der</strong> Erlanger<br />

Dekan in seinem umgehenden Antwortschreiben vom 5. Mai 1951 nicht<br />

ein, beantwortete aber knapp die Fragen des Kollegen. Zu Frage 1 gab er<br />

nur die kurze Antwort "Nein" - dies betraf etwa die oben geschil<strong>der</strong>ten<br />

Fälle von Ittameier, P. und M. Für das schwierige Gebiet <strong>der</strong> Abtreibung<br />

(Frage 2) formulierte <strong>der</strong> Erlanger Dekan: "Im Allgemeinen Ja" (obwohl es<br />

bis dahin keinen diesbezüglichen Fall gegeben hatte), ergänzte aber einen<br />

Passus zum Ermessensspielraum: ,,(...] jedoch werden die beson<strong>der</strong>en<br />

Umstände des Gerichtsurteils beson<strong>der</strong>s gewürdigt".53 Auch die knappen<br />

und wenig konkreten Antworten auf Frage 3 ("Bis jetzt kein endgültiger<br />

Beschluss herbeigeführt" und 4 ("Wird von Fall zu Fall entschieden") zei-<br />

52 Schreiben des Dekans <strong>der</strong> Medizinischen Fakultät Würzburg, Curt Sonnenschein,<br />

vom 2. Mai 1951. UAE: Dek. Med. Fak. Nr. 18/1.<br />

53 Siehe hierzu auch den oben genannten Fall P. ohne nachfolgenden Entzug.<br />

260


DER UMGANG MIT DEN DEPROMOTIONEN IN DER NACHKRIEGSZEIT<br />

gen die relative Unklarheit des weiteren Vorgehens <strong>im</strong> Jahr 1951, aber<br />

überdies die eher nach vorne als in die Vergangenheit gerichtete Perspektive.<br />

Letztlich war sechs Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges noch<br />

keine offizielle Rücknahme <strong>der</strong> Best<strong>im</strong>mungen zur Depromotion durch<br />

den Gesetzgeber o<strong>der</strong> die Universität erfolgt, weshalb die Fakultäten sich<br />

lange nicht sicher fühlten und daher bei <strong>der</strong> Beschlussfassung <strong>im</strong>mer<br />

wie<strong>der</strong> zögerten. Ein <strong>der</strong>artiges vorsichtigeres Herangehen wäre bei <strong>der</strong><br />

Einführung bzw. Umsetzung <strong>der</strong> Promotionsentzüge während <strong>der</strong> NS-<br />

Zeit durchaus angezeigt gewesen. Die allgemeine Rehabilitierung <strong>der</strong> Betroffenen<br />

kam jedoch durch die bürokratischen Instanzen nicht voran, die<br />

Opfer wurden nicht ausreichend berücksichtigt: Ein Antwortschreiben an<br />

den "Staatskommissar für die Betreuung <strong>der</strong> Juden in Bayern"54- nach<br />

Hermann Aumer übernahm mit einer kurzen Inter<strong>im</strong>sphase von OUo<br />

Aster dann Philipp Auerbach 55 dieses Amt als Leiter <strong>der</strong> bayerischen<br />

54 Siehe Anm. 2 sowie des Weiteren Werner Bergmann: Philipp Auerbach - Wie<strong>der</strong>gutmachung<br />

war "nicht mit normalen Mitteln" durchzusetzen. In: Claudia Fröhlich/<br />

Michael Kohlstruck (Hrsg.): Engagierte Demokraten. Vergangenheitspolitik in kritischer<br />

Absicht, Münster 1999, S. 57-70; Wolfgang Kraushaar: Die Affäre Auerbach.<br />

Zur Virulenz des Antisemitismus in den Grün<strong>der</strong>jahren <strong>der</strong> Bundesrepublik. In:<br />

Menora 6 (1995), S. 319-343;Elke Fröhlich: Philipp Auerbach (1906-1952)."Generalanwalt<br />

für Wie<strong>der</strong>gutmachung". In: Manfred Treml/Wolfgang Weigand (Hrsg.):<br />

Geschichte und Kultur <strong>der</strong> Juden in Bayern. Lebensläufe. München 1988, S. 315-320.<br />

55 Auerbach war eine schillernde Figur mit Licht- und Schattenseiten. Siehe Anm. 1<br />

und 2 sowie die wichtige Studie von Gerhard Fürmetz: Neue Einblicke in die Praxis<br />

<strong>der</strong> frühen Wie<strong>der</strong>gutmachung in Bayern: Die Auerbach-Korrespondenz <strong>im</strong> Bayerischen<br />

Hauptstaatsarchiv und die Akten des Strafprozesses gegen die Führung des<br />

Landesentschädigungsamtes von 1952, in: zeitenblicke 3 (2004), Nr. 2, [13.09.2004],<br />

http://www.zeitenblicke.historicum.net/2004/02/fuermetz/index.html (zuletzt aufgerufen<br />

am 15. Mai 2008). Der auf allen Ebenen für die Belange <strong>der</strong> Opfer eintretende<br />

deutsche Jude Philipp Auerbach, vorher selbst in mehreren Konzentrationslagern inhaftiert,<br />

nahm sich 1952 nach einer Verurteilung in einem politischen Prozess <strong>im</strong><br />

Alter von nur 46 Jahren das Leben. "Der ,Fall Philipp Auerbach' entwickelte sich<br />

261


DER UMGANG MIT DEN DEPROMOTIONEN IN DER NACHKRIEGSZEIT<br />

Entschädigungsbehörde - ist we<strong>der</strong> von <strong>der</strong> Universität noch von Seiten<br />

<strong>der</strong> einzelnen Fakultäten erhalten. Auch die in dem eingangs zitierten<br />

Schreiben gemachten, sinnvollen und moralisch durchaus angebrachten<br />

Vorschläge, "offiziell in <strong>der</strong> Zeitung" o<strong>der</strong> "<strong>im</strong> Amtsblatt" die "Verlautbarung<br />

herauszugeben, dass den namentlich zu erwähnenden Personen<br />

<strong>der</strong> Doktortitel wie<strong>der</strong> zuerkannt und das Unrecht damit wie<strong>der</strong> gutgemacht<br />

wird" kam ganz offensichtlich nie zustande. Die Universität<br />

Erlangen nahm diese Anfragen <strong>im</strong> Namen <strong>der</strong> Opfer offensichtlich nicht<br />

in ausreichendem Maß ernst - dies zeigt auch die verzögerte interne Antwort<br />

etwa <strong>im</strong> Vergleich zu den Reaktionen auf Anfragen aus dem Münchner<br />

Ministerium bzw. auf die Erlasse <strong>der</strong> amerikanischen Besatzungsmacht.<br />

Eine breitere Publizität erlangte das schwierige Themenfeld Depromotion<br />

<strong>im</strong> Rahmen <strong>der</strong> akademischen Vergangenheitsbewältigung an <strong>der</strong><br />

Universität nicht.<br />

Die Medizinische Fakultät entschied <strong>im</strong> Einzelfall auf Anfrage <strong>der</strong><br />

Betroffenen: Einem Antrag auf Wie<strong>der</strong>verleihung von Adolf Meyer, dem<br />

"wegen Abhörens von Auslandssen<strong>der</strong>n" nicht nur die Promotion, son<strong>der</strong>n<br />

sogar die bürgerlichen Ehrenrechte entzogen worden waren, wurde<br />

<strong>im</strong> Oktober 1945 stattgegeben. 56 Dass die Universität wie auch die Fakultät<br />

durchaus Ermessensspielraum bei <strong>der</strong> Beurteilung besaß, zeigt <strong>der</strong> Fall<br />

des Mediziners K. G.: Dort wurde <strong>im</strong> Krieg "ausnahmsweise" von <strong>der</strong><br />

Entziehung des Doktor-Titels abgesehen - "in beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung<br />

des Umstandes llirer Tätigkeit in den Ostgebieten". Man machte sich<br />

zur moralischen Instanz und setzte "für weitere Bewährung eine Frist bis<br />

1. Januar 1946", mit <strong>der</strong> Maßgabe, dass die Hochschule von <strong>der</strong> "Entziehungsbefugnis"<br />

aber "unweigerlich dann Gebrauch machen wird, wenn<br />

Sie sich bis zu dem angegebenen Zeitpunkt nicht einwandfrei führen soll-<br />

nicht nur zu einem <strong>der</strong> ersten großen Politskandale in Bayern nach 1945, er gilt auch<br />

als Lehrstück eines frühen Nachkriegsantisemitismus" - vgl. Fürmetz .<br />

56 UAE: A1/3a Nr. 945, Generalia. Siehe auch die <strong>im</strong> Kapitel "Biographien <strong>der</strong> Opfer"<br />

vorgestellte Lebensgeschichte von Adolf Meyer.<br />

262


DER UMGANG MIT DEN DEPROMOTIONEN IN DER NACHKRIEGSZEIT<br />

ten."57Der Antrag von 1. U. (siehe Kap. 4.2), <strong>der</strong> 1944 wegen Abtreibung<br />

verurteilt worden war und die bürgerlichen Ehrenrechte entzogen bekommen<br />

hatte, wurde 1946 abgelehnt; ein erneuter Antrag auf Wie<strong>der</strong>verleihung<br />

blieb ohne nachweisbare Beschlussfassung.<br />

Der letzte Auszug aus einer Großen Senatssitzung vom 23. Mai 1951<br />

protokolliert folgenden Stand auf Hochschulebene:<br />

"Der Rektor bringt die gutachtliche Äußerung des Prof. Liermann vom 21.3. zur<br />

Kenntnis. Es entwickelt sich eine längere Debatte über das Gremium, welches für die<br />

Behandlung <strong>der</strong>artiger Angelegenheiten zuständig ist, wobei <strong>der</strong> Rektor mitteilt,<br />

dass sich kürzlich die Juristische Dekanskonferenz mit dem Problem befasst habe,<br />

jedoch zu keinem klaren Ergebnis über die <strong>der</strong>zeitige Rechtslage gekommen sei. Allgemein<br />

wird festgestellt, dass die Rechtslage noch völlig ungeklärt sei, weshalb es<br />

zweckmäßig ist, die nichteiligen Fälle zurückzustellen. [... ]"58<br />

Parallel zu den Vorgängen in Erlangen lassen sich auch mehrere Belege<br />

für eine Behandlung des Themas auf überregionaler Ebene finden: Das<br />

Problem Depromotion wurde etwa <strong>im</strong> Kontext <strong>der</strong> Westdeutschen Rektorenkonferenzen<br />

kontrovers diskutiert,59 auf Seiten <strong>der</strong> Fakultät erfolgte<br />

jedoch keine weitere - in den Akten <strong>der</strong> Universitätsverwaltung - doku-<br />

57 Schreiben von Prorektor Herrigel, unterzeichnet auch vom Syndikus, an Dr. K. G.<br />

vom 9. Juli 1942.UAE: Al/3a Nr. 946b.<br />

58 Auszug aus dem Sitzungsprotokoll des Großen Senat[s] vom 23.05.1951.UAE: Al/3a<br />

Nr. 945, Generalia. - Die Tendenz ging letztlich in Richtung einer fakultätsspezifischen<br />

Behandlung <strong>der</strong> Aberkennung, <strong>der</strong> Entscheidung auf Ebene des Concilium<br />

decanale und <strong>der</strong> Integration in eine neue Promotionsordnung.<br />

59 Siehe insbeson<strong>der</strong>e das detaillierte vierseitige Schreiben von Prof. Dr. Rainer aus<br />

Göttingen (Briefkopf "Westdeutsche Rektorenkonferenz", "Sekretariat", Adresse:<br />

Wilhelmsplatz I, Göttingen) an die Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Westdeutschen Rektorenkonferenz<br />

"Betr.: Entziehung des Dr.-Grades" vom 19. Mai 1949. UAE: A1/3a Nr. 945,<br />

Generalia. An dieser Stelle kann auf die Behandlung des Themas Aberkennung <strong>der</strong><br />

<strong>Doktorwürde</strong> in überregionaler Perspektive nicht weiter eingegangen werden. Hierfür<br />

sind zudem komparative Studien zu den einzelnen Universitätsorten sowie weitere<br />

Forschungsarbeiten zu relevanten Institutionen notwendig.<br />

263


DER UMGANG MIT DEN DEPROMOTIONEN IN DER NACHKRIEGSZEIT<br />

mentierte Initiative zur "Wie<strong>der</strong>gutmachung" des Unrechtes <strong>der</strong> NS-<br />

Zeit. 60<br />

Auch etwa <strong>der</strong> Ton von Schreiben des Dekans an einen von <strong>der</strong> Aberkennung<br />

Betroffenen wie Grosse-Wietfeld, <strong>der</strong> <strong>im</strong> Juli 1960 um eine Zweitschrift<br />

seiner Promotionsurkunde gebeten hatte,61- "Über eine Wie<strong>der</strong>verleihung<br />

ist hier nichts bekannt" und "Ich bitte Sie deshalb um Stellungnahme,<br />

mit welchem Recht Sie einen Dr.-Titel führen"62 - lässt doch aufhorchen.<br />

Die Medizinische Fakultät hat auf die Frage nach den aberkannten<br />

Doktortiteln sehr spät sowie letztlich sogar mit <strong>der</strong> Falschmeldung "Fehlanzeige"<br />

geantwortet und bei <strong>der</strong> Behandlung neuer Fälle - wie <strong>im</strong> Casus<br />

Ittameier - wenig moralische Sensibilität o<strong>der</strong> geschichtliche Verantwortung<br />

gezeigt. Die Auseinan<strong>der</strong>setzungen in <strong>der</strong> frühen Nachkriegszeit<br />

zeigen die vielschichtigen historischen und ethischen Bezüge des Themas<br />

"Aberkennung <strong>der</strong> <strong>Doktorwürde</strong>": In <strong>der</strong> Phase des Neubeginns und <strong>der</strong><br />

Restauration an <strong>der</strong> Universität sowie während <strong>der</strong> sich entwickelnden<br />

Zeit des "Kalten Krieges" wurde Vieles verdrängt sowie <strong>der</strong> Blick nach<br />

vorne und <strong>im</strong>mer seltener in die Zeit <strong>der</strong> 1930er o<strong>der</strong> 40er Jahre gerichtet. 63<br />

Dies war selbstverständlich keineswegs nur in Erlangen <strong>der</strong> Fall, auch<br />

60 Siehe die Behandlung des Themas "Wie<strong>der</strong>gutmachung" und "Entschädigung" in<br />

den Lebensläufen <strong>der</strong> Betroffenen in Kapitel 4 des vorliegenden Bandes sowie generell:<br />

Ludolf Herbst/Constantin Goschier (Hrsg.): Wie<strong>der</strong>gutmachung in <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />

Deutschland. München 1989;Karl Heßdörfer: Die Entschädigungspraxis <strong>im</strong><br />

Spannungsfeld von Gesetz, Justiz und NS-Qpfem. In: Herbst/Goschler, S. 231-248.<br />

61 Schreiben von QUo Grosse-Wietfeld an das Sekretariat <strong>der</strong> Universität Erlangen-<br />

Nümberg vom 8. Juli 1960. UAE: A1/3a Nr. 946c. Siehe auch die oben dargestellte<br />

Biographie des Arztes QUo Grosse-Wietfeld (1898-1980).<br />

62 Schreiben von Ludwig He<strong>im</strong>, Dekan <strong>der</strong> Medizinischen Fakultät, an QUo Grosse-<br />

Wietfeld vom 22. Juli 1960. Ebd.<br />

63 Zur allgemeinen Entwicklung und <strong>der</strong> Geschichte Medizinischer Fakultäten nach<br />

Ende des Zweiten Weltkriegs siehe insbeson<strong>der</strong>e Sigrid Qehler-Klein/Volker Roelcke<br />

(Hrsg.): Vergangenheitspolitik in <strong>der</strong> universitären Medizin nach 1945. Institutionelle<br />

und individuelle Strategien <strong>im</strong> Umgang mit dem Nationalsozialismus. StuUgart<br />

2007.<br />

264


DER UMGANG MIT DEN DEPROMOTIONEN IN DER NACHKRIEGSZEIT<br />

an<strong>der</strong>norts bestand ein "Nachkriegskonsens des Beschweigens":64 An<br />

zahlreichen Hochschulen gab es einen großen Kontrast zwischen <strong>der</strong><br />

Selbstmobilisierung zur Diskr<strong>im</strong>inierung <strong>im</strong> "<strong>Dritten</strong> Reich" und einer -<br />

hier konstatiert für die nie<strong>der</strong>sächsische Georg-August-Universität - auffallenden<br />

"Zurückhaltung, mit <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Nachkriegszeit Göttinger Entpromovierte<br />

in Einzelfällen rehabilitiert wurden".65 Auch an<strong>der</strong>e Universitäten<br />

in Süddeutschland 66 bzw. in Bayern 67 hatten mit dem Thema rechtliche<br />

Einordnung und Wie<strong>der</strong>zuerkennung <strong>der</strong> <strong>Doktorwürde</strong> sowie einer<br />

Rehabilitierung <strong>der</strong> Opfer größere Schwierigkeiten. 68<br />

64 Vgl. Bernd Weisbrod: Legale Diskr<strong>im</strong>inierung und universitäre Selbstmobilisierung.<br />

Die Aberkennung von Doktorgraden an <strong>der</strong> Universität Göttingen <strong>im</strong> "<strong>Dritten</strong><br />

Reich". In: Kerstin Thieler: " ... des Tragens eines deutschen akademischen Grades<br />

unwürdig". Die Entziehung von Doktortiteln an <strong>der</strong> Georg-August-Universität<br />

Göttingen <strong>im</strong> "<strong>Dritten</strong> Reich". 2. Auflage, Göttingen 2006, S. 11-17, hier: S. 16.<br />

Für die dortige Medizinische Fakultät steht eine differenzierte Bearbeitung noch aus.<br />

65 Ebd.<br />

66 Zu Heidelberg vgl. Werner Moritz: Die Aberkennung des Doktortitels an <strong>der</strong> Universität<br />

Heidelberg während <strong>der</strong> NS-Zeit. In: Zwischen Wissenschaft und Politik.<br />

Studien zur deutschen Universitätsgeschichte, hrsg. von Armin Kohnle/Frank Engehausen.<br />

Stuttgart 2001, S. 540-562,hier: S. 550-553.Zu Tübingen siehe die Pressemitteilung<br />

"Universität n<strong>im</strong>mt Aberkennung von Doktorgraden zwischen 1933 und<br />

1945 zurück" mit "Ergänzung des Senatsbeschlusses von 1947 durch Fakultätsbeschlüsse"<br />

am 25. 11. 2003, http://www.uni-tuebingen.de/uni/qvo/pm/pm2003/pm<br />

703.html (zuletzt aufgerufen am 15. Mai 2008).<br />

67 Für die Landeshauptstadt München siehe Stefanie Harrecker: Degradierte Doktoren.<br />

Die Aberkennung <strong>der</strong> <strong>Doktorwürde</strong> an <strong>der</strong> Ludwig-Max<strong>im</strong>ilians-Universität München<br />

während <strong>der</strong> Zeit des Nationalsozialismus. München 2007, S. 169-241.<br />

68 Übergreifend siehe u.a. Sabine Happ: Politisch und nicht politisch motivierte Aberkennung<br />

von akademischen Graden. Eine Auswertung von Rundschreiben<br />

deutscher Universitäten in <strong>der</strong> NS-Zeit. In: Vielfalt <strong>der</strong> Geschichte - Lernen, Lehren<br />

und Erforschen vergangener Zeiten. Festgabe für Ingrid Heidrich zum 65. Geburtstag,<br />

hrsg. von Sabine Happ/Ulrich Norm. Berlin 2004, S. 283-296;Hans-Peter Haferkamp:<br />

Doktorgradentziehungen wegen "Unwürdigkeit". Zur Aufarbeitung und<br />

Weiterverwendung des Gesetzes über die Führung akademischer Grade vom 7. Juni<br />

1939 an <strong>der</strong> Universität Köln nach 1945, vgl. http://www.uni-koeln.de/uni/<strong>im</strong>ages/<br />

265


DER UMGANG MIT DEN DEPROMOTIONEN IN DER NACHKRIEGSZEIT<br />

Es sollte zwei Generationen dauern, bis sich die Medizinische Fakultät<br />

<strong>der</strong> Universität Erlangen-Nürnberg wie<strong>der</strong> ihren ehemaligen Doktorinnen<br />

und Doktoren und dem ihnen geschehenen Unrecht erneut zuwendet.<br />

Der Dekan<br />

<strong>der</strong> Hediziuischen Fakultät<br />

<strong>der</strong> ·Universität erlan'ien<br />

An das<br />

R e k tor a t <strong>der</strong> Universität<br />

Betreff, Entziehung des Doktortitels bei jüdischen Personen.<br />

In Erledigur~ Ihrer Zuschrift Nr. 2449 v.18.12.45 erstattet<br />

die Medizinische Falcultät<br />

11' e h 1 a n ze i I!.~!<br />

LV.<br />

(/~.<br />

Dekan.<br />

Abbildung Nr. 27: Schreiben des Dekanats <strong>der</strong> Medizinischen Fakultät vom 24. Juni 1946<br />

an das Rektorat <strong>der</strong> Universität. UAE: A1/3a Nr. 945, Generalia.<br />

266<br />

aktuell_rede_121205_haferkamp.pdf (zuletzt aufgerufen am 15. Mai 2008). Siehe<br />

auch das Literaturverzeichnis am Ende des vorliegenden Bandes.


DER UMGANG MIT DEN DEPROMOTIONEN IN DER NACHKRIEGSZEIT<br />

Anlage: Schreiben des Juristen Liermann vom 21.03.1951


7. VERZEICHNIS DER BIOGRAPHISCH DARGESTELLTEN PERSONEN<br />

EMIL FRÖHLICH, * 1864, Dr. med. 1891 .49<br />

JOSEF HOLLERBUSCH, * 1869, Dr. med. 1893 63<br />

LUDWIG MORGENTHAU, * 1877, Dr. med. 1900 69<br />

NATHAN WOLF, * 1882, Dr. med. 1914 81<br />

MORITZ FElBELMANN, * 1883, Dr. med. 1908 93<br />

ERICH EISNER, * 1887, Dr. med. 1913 99<br />

JOSEF KARL SCHREINER, * 1891, Dr. med. 1916 103<br />

JULIUS SICHEL, * 1892, Dr. med. 1920 111<br />

THEODOR HOLZINGER, * 1895, Dr. med. 1922 119<br />

ALBERT FROHMANN, * 1897, Dr. med. 1922 123<br />

ADOLF HOLLERBUSCH, * 1900, Dr. med. 1926 129<br />

M. B., * 1882, Dr. med. 1923 137<br />

N. 5., * 1884, Dr. med. 1910 143<br />

SELMA GRAF (GEB. REICHOLD), * 1887, Dr. med. 1913 149<br />

D. A., * 1888, Dr. med. 1919 159<br />

269


VERZEICHNIS DER BIOGRAPHISCH DARGESTELLTEN PERSONEN<br />

ADOLF MEYER, * 1890, Dr. med. dent. 1920 165<br />

H. 0., * 1890, Dr. med. 1920 169<br />

ERNST ALFRED SECKENDORF, * 1892, Dr. med. 1920 171<br />

IRMA KRAUS, * 1896, Dr. med. 1924 183<br />

Orro GROSSE-WIETFELD, * 1898, Dr. med. 1930 189<br />

O. K., * 1898, Dr. med. dent. 1922 199<br />

L. U., * 1918, Dr. med. 1943 201<br />

N. M., * ca. 1868, Dr. med. 1891 207<br />

P. J., * 1886, Dr. med. 1912 209<br />

U. K., * 1888, Dr. med. 1913 211<br />

H. D., * 1890, Dr. med. 1917 215<br />

N. D., * 1892, Dr. med. 1932 219<br />

K. G., * 1896, Dr. med. 1929 221<br />

M. T., * 1907, Dr. med. 1939 227<br />

T. J., * 1910, Dr. med. 1937 231<br />

K. E., * 1912, Dr. med. dent. 1936 233<br />

270


8. ABBILDUNGSVERZEICHNIS<br />

Abbildung 1: 21<br />

Schreiben von Kar! Gengenbach ("Die Deutsche Studentenschaft,<br />

Kreis Bayern") vom 18. September 1933 an Kultusminister Hans<br />

Schernm. BayHStA: MK 70708.<br />

Abbildung 2: 27<br />

Gesetz über die Führung akademischer Grade vom 7. Juni 1939.<br />

Reichsgesetzblatt Nr. 102 vom 9. Juni 1939, S. 985.<br />

Abbildung 3: 31<br />

Anzeigentext zu Ludwig Morgenthau (1877-1948). Ausschnitt aus <strong>der</strong><br />

Ersten Beilage zum Deutschen Reichsanzeiger und Preußischen Staatsanzeiger<br />

Nr. 38 vom 14. Februar 1939. UAE: A1/3a Nr. 946f.<br />

Abbildung 4: 32<br />

UAE: Dek. Med. Fak. Promotionsbuch 1856/57-1899/00. Eintrag <strong>der</strong><br />

Aberkennung bei Emil Fröhlich, 31. August 1940. Ergänzung ,,Jude<br />

[... ] Dr. Titel entzogen" [Original rot].<br />

Abbildung 5: 60<br />

Schreiben von Dr. Wollschläger an Dr. Emil Fröhlich vom 19. Oktober<br />

1964. HStAH: Nds. 110 W Ace. 8/90 Nr. 183/8.<br />

Abbildung 6: 61<br />

Schreiben von Rechtsanwalt Dr. B. an Dr. Wollschläger vom 19. Oktober<br />

1964. HStAH: Nds. 110 W Ace. 8/90 Nr. 183/8.<br />

271


ABBILDUNGSVERZEICHNIS<br />

Abbildung 7: 67<br />

UAE: Dek. Med. Fak. Promotionsbuch 1856/57-1899/00. Eintrag <strong>der</strong><br />

Aberkennung bei Josef Hollerbusch, 8. Mai 1941. Rot ergänzt: "Jude-<br />

Dr. Titel entzogen [... ]".<br />

Abbildung 8: 71<br />

Dr. Ludwig und Hans Morgenthau (um 1915). Siehe Frei (Anm. 1 des<br />

biographischen Artikels). Archiv Matthew und Susanna Morgenthau.<br />

Abbildung 9: 89<br />

Dr. Nathan Wolf (1882-1970). Staatsarchiv Schaffhausen, CH-8200<br />

Schaffhausen, Flüchtlinge B: Wolf, Nathan.<br />

Abbildung 10: 91<br />

Grab von Dr. Nathan Wolf auf dem Friedhof in Wangen,<br />

http://www.alemannia-judaica.de/wangen_friedhof.htm (zuletzt aufgerufen<br />

am 11. März 2008).<br />

Abbildung 11: 97<br />

Passkarte Dr. Moritz Feibelmann. StadtAN: C21 VII 036. Bei <strong>der</strong> linken<br />

unteren Bildhälfte handelt es sich um eine angefügte Notiz aus dem<br />

Deutschen Reichsanzeiger Nr. 113 vom 17. Mai 1940.<br />

Abbildung 12: 102<br />

Schreiben des Rektors <strong>der</strong> Universität Erlangen an das Bayerische<br />

Staatsministerium für Unterricht und Kultus vom 5. September 1940.<br />

UAE: Al/3a Nr. 946b.<br />

Abbildung 13: 108<br />

Passkarte Dr. Josef Kar! Schreiner. StadtAN: C21 VII 0146.<br />

272


ABBILDUNGSVERZEICHNIS<br />

Abbildung 14: 113<br />

Bekanntmachung des Rektors <strong>im</strong> Deutschen Reichsanzeiger Nr. 31<br />

vom 6. Februar 1940 über den Entzug <strong>der</strong> <strong>Doktorwürde</strong> bei Julius<br />

Sichel. UAE: A1/3a Nr. 946h.<br />

Abbildung 15: 117<br />

Universitätsinterner Schriftverkehr über Eröffnung und Verlauf des<br />

Verfahrens zur Aberkennung bei Julius Sichel vom 31. Dezember 1939<br />

bis 6. Januar 1940. UAE: A1/3a Nr. 946h.<br />

Abbildung 16: 121<br />

Umlaufverfahren <strong>der</strong> Fakultäten zur Frage <strong>der</strong> Entziehung des Doktortitels<br />

bei Dr. Theodor Holzinger (1895-1941).UAE: A1/3a Nr. 946d.<br />

Abbildung 17: 128<br />

Grab von Dr. Albert Frohmann und von seinem Vater Salomon auf<br />

dem Oettinger Friedhof. Siehe http://www.uni-ulm.de/uni/fak/zawiw/<br />

ries/Juedische_Friedhoefe/oett.htm (zuletzt aufgerufen am 23. Mai<br />

2008).<br />

Abbildung 18: 133<br />

Sterbeurkunde von Dr. Adolf Hollerbusch (5. November 1967).<br />

BayLEA: BEG 18 912, E-Akte, BI.64.<br />

Abbildung 19: 155<br />

Dr. Selma Graf (1887-1942).StadtAN: E 39 Nr. 1154/1-9.<br />

Abbild ung 20: 158<br />

Stolperstein für Dr. Selma Graf vor ihrem ehemaligen Wohnhaus in<br />

Bamberg. Siehe http://www.connaction-bamberg.de/willy-aron/ /kat<br />

12.php ?inhalte=kat12%- Fb20070313214120.inc&weiter.x=7&weiter .y=8<br />

&sehen=1&z=4 (zuletzt aufgerufen am 26. Mai 2008).<br />

273


ABBILDUNGSVERZEICHNIS<br />

Abbildung 21: 173<br />

Urkunde des Königs für Ernst [Alfred] Seckendorf anlässlich <strong>der</strong><br />

Verleihung des Militär-Verdienstkreuzes 2. Klasse mit Schwertern,<br />

vom 9. Dezember 1916. Privatarchiv Ernst Seckendorf jun.<br />

Abbildung 22: 178<br />

Dr. Ernst Alfred Seckendorf (1892-1943). Privatarchiv Ernst Seckendorfjun.<br />

Abbildung 23: 181<br />

Karte von Dr. Ernst Alfred Seckendorf an seinen Sohn. "Fürth i. B.<br />

Hitlerstr. 74". BayLEA: EG 31374, C-Akte.<br />

Abbildung 24: 184<br />

Dr. Irma Kraus (1896-1942). Fotoarchiv des Jüdischen Museums Fürth:<br />

JMF_ JMF_01875, Fotograf: M. Kolb, Nürnberg, Frauentor.<br />

Abbildung 25: 190<br />

Dr. Qtto Grosse-Wietfeld als Kavallerist. Aus: Nachrichten aus dem<br />

11.Korps, Berlin [Juli] 1943. Aufnahme: R. Zillmer.<br />

Abbild ung 26: 229<br />

Promotionsurkunde aus <strong>der</strong> Zeit des "<strong>Dritten</strong> Reichs". UAE: Dek.<br />

Med. Fak. 18/1, Generalia/Promotionsangelegenheiten. Zur Anonymisierung<br />

ohne Eintrag, M. T. bekam aber diesen Vordruck.<br />

Abbild ung 27: 266<br />

274<br />

Schreiben des Dekanats <strong>der</strong> Medizinischen Fakultät vom 24. Juni 1946<br />

an das Rektorat <strong>der</strong> Universität. UAE: Al/3a Nr. 945, Generalia.


9. VERZEICHNIS DER UNGEDRUCKTEN QUELLEN UND DER ARCHIVE<br />

Universitätsarchiv Erlangen (UAE):<br />

A1/3a Nr. 945<br />

A1/3a Nr. 946<br />

A1/3a Nr. 946a bis A1/3a Nr. 1946i<br />

A1/3a Nr. 1279<br />

Promotionsakten:<br />

C3/3 Nr. 1917/18-3<br />

C3/3 Nr. 1919/20-61<br />

C3/3 Nr. 1931/32-15<br />

C3/3 Nr. 1935/36-67<br />

C3/3 Nr. 1918/19-28<br />

C3/3 Nr. 1912/13-4<br />

C3/3 Nr. 1928/29-7<br />

C3/3 Nr. 1908/09-2<br />

C3/3 Nr. 1911/12-34<br />

C3/3 Nr. 1890/91-43<br />

C3/3 Nr. 1920/21-74<br />

C3/3 Nr. 1935/36-72<br />

C3/3 Nr. 1912/13-37<br />

C3/3 Nr. 1921/22-58<br />

C3/3 Nr. 1929/30-18<br />

[D., H.]<br />

[M., N.]<br />

[D., N.]<br />

[E., K.]<br />

[A., D.]<br />

Eisner, Erich<br />

[G., K.]<br />

Feibelmann, Moritz<br />

[J., P.]<br />

Fröhlich, Emil<br />

Frohmann, Albert<br />

[J., T.]<br />

Graf, Selma<br />

[K.,O.]<br />

Grosse- Wietfeld, Otto<br />

Entziehung <strong>der</strong> <strong>Doktorwürde</strong><br />

(Generalia-Akten)<br />

Entziehung <strong>der</strong> <strong>Doktorwürde</strong><br />

(Bekanntmachungen <strong>der</strong><br />

Universität)<br />

Akten zur Entziehung <strong>der</strong><br />

<strong>Doktorwürde</strong> (Einzelfälle)<br />

Entziehung <strong>der</strong> <strong>Doktorwürde</strong><br />

1949-1951<br />

275


VERZEICHNIS DER UNGEDRUCKTEN QUELLEN UND DER ARCHIVE<br />

C3/3 Nr. 1913/14-5<br />

C3/3 Nr. 1924/25-24<br />

C3/3 Nr. 1892/93-42<br />

C3/3 Nr. 1921/22-57<br />

C3/3 Nr. 1906/07-8<br />

C3/3 Nr. 1890/91-17<br />

C3/3 Nr. 1923/24-35<br />

C3/3 Nr. 1917/18-21<br />

C3/3 Nr. 1919/20-127<br />

C3/3 Nr. 1899/00-7<br />

C3/3 Nr. 1908/09-26<br />

C3/3 Nr. 1933/34-21<br />

C3/3 Nr. 1915/16-9<br />

C3/3 Nr. 1942/43-32<br />

C3/3 Nr. 1919/20-19<br />

C3/3 Nr. 1919/20-13<br />

C3/3 Nr. 1913/14-12<br />

C3/3 Nr. 1938/39-51<br />

[K., U.]<br />

Hollerbusch, Adolf<br />

Hollerbusch, Josef<br />

Holzinger, Theodor<br />

Ittameier, Karl<br />

[M., N.]<br />

Kraus, Irma<br />

[0., H.]<br />

Meyer, Adolf<br />

Morgenthau, Ludwig<br />

[S., N.]<br />

[P., K.]<br />

Schreiner, Karl Josef<br />

[U., L.]<br />

Seckendorf, Ernst Alfred<br />

Sichel, Julius<br />

Wolf, Nathan<br />

[T., M.]<br />

Dek. Med. Fak. Promotionsbuch 1856/57-1899/00<br />

Dek. Med. Fak. Promotionsbuch 1900/01-1924/25<br />

Dek. Med. Fak. Promotionsbuch 1925/26-1944/45<br />

Dek. Med. Fak. Promotionsbuch 1945/46-1953/54<br />

Dek. Med. Fak. Protokollbuch 27. Juni 1925 bis 8. Dezember 1943<br />

Dek. Med. Fak. Protokollbuch 10. Dezember 1943 bis 29. November 1951<br />

Dek. Med. Fak. 18/1, Generalia Promotionsangelegenheiten<br />

Dek. Med. Fak. Nr. 99, Entziehung <strong>der</strong> <strong>Doktorwürde</strong><br />

Bayerisches Hauptstaatsarchiv München:<br />

BayHStA MK 40646<br />

BayHStA MK 40647<br />

276<br />

Universitäten, Promotionen etc. allgemein<br />

<strong>Aberkennungen</strong> Universität Erlangen


VERZEICHNIS DER UNGEDRUCKTEN QUELLEN UND DER ARCHIVE<br />

BayHStA MK 44425<br />

BayHStA MK 70708<br />

BayHStA MK 70709<br />

BayHstA MK 71919<br />

Personalakte Süss, Theodor, Prof. Dr.<br />

Promotion/Depromotion allgemein/reichsweit<br />

<strong>Aberkennungen</strong> Universität Erlangen<br />

Entlassungen/Wie<strong>der</strong>einstellungen Universität<br />

Erlangen nach 1945<br />

Bayerisches Landesentschädigungsamt München (BayLEA):<br />

BEG 18 912<br />

EG 123800<br />

EG 31374<br />

Außenstelle Lichtenau (BayLEA):<br />

EG 94605<br />

EG 97427<br />

BEG 3445<br />

EG 29607<br />

EG 41274<br />

Jüdisches Museum Franken Fürth:<br />

Hollerbusch, Adolf, Dr.<br />

Schreiner, Josef, Dr.<br />

Seckendorf, Ernst, Dr.<br />

JMF_ JMF_01875 Kraus, Irma, Dr.<br />

Sammlung Helmut Steiner<br />

Hollerbusch, Josef, Dr. und Hollerbusch, Berta<br />

Morgenthau, Ludwig, Dr.<br />

Sichel, Julius, Dr.<br />

Frohmann, Albert, Dr.<br />

[S., N.]<br />

Nie<strong>der</strong>sächsisches Landesarchiv - Hauptstaatsarchiv Hannover:<br />

Nds. 110 W Ace. 8/90 Nr. 183/8 Fröhlich, Emil, Dr.<br />

277


VERZEICHNIS DER UNGEDRUCKTEN QUELLEN UND DER ARCHIVE<br />

Staatsarchiv Schaffhausen:<br />

CH-8200 Schaffhausen<br />

Stadtarchiv Coburg:<br />

Einwohnerkartei II M 1940<br />

Wegzugsregister M 1933<br />

Stadtarchiv Nürnberg:<br />

StadtAN, C 21/III-1985<br />

StadtAN, C 21NII-0146<br />

StadtAN, C 21NII-036<br />

StadtAN, E 39/Nr. 1766/1-21<br />

StadtAN, E 39/Nr. 1154/1-9<br />

278<br />

Flüchtlinge B: Wolf, Nathan<br />

Morgenthau Meldekarte<br />

Morgenthau<br />

Meldekarte Josef Schreiner<br />

Passkarte Josef Schreiner<br />

Passkarten Betty und Moritz Feibelmann<br />

Stürmer-Archiv, Akte Ernst Seckendorf<br />

Stürmer-Archiv, Akte Selma Graf


10. LITERATURVERZEICHNIS ZUR ENTZIEHUNG DER DOKTORWÜRDE<br />

Alvermann, Dirk: Die <strong>Aberkennungen</strong> akademischer Grade an <strong>der</strong> Ernst-<br />

Moritz-Arndt-Universität Greifswald während <strong>der</strong> NS-Zeit und ihre<br />

Aufhebung. 1945-66. Zeitgeschichte regional 1 (1998),S. 48-50.<br />

Blecher, Jens/Wiemers, Gerald: " ... durch sein Verhalten des Tragens einer<br />

deutschen akademischen Würde unwürdig ... ". Akademische Graduierungen<br />

und <strong>der</strong>en nachträglicher Entzug an <strong>der</strong> Universität Leipzig<br />

zwischen 1900 und 1935. In: Figuren und Strukturen. Historische<br />

Essays für Hartrnut Zwar zum 65. Geburtstag, hrsg. von Manfred<br />

Hettling/Uwe Schirmer/Susanne Schötz. München 2001, S. 679-698.<br />

Blecher, Jens: Vom Promotionsprivileg zum Promotionsrecht: Das Leipziger<br />

Promotionsrecht zwischen 1409 und 1945 als konstitutives und<br />

prägendes Element <strong>der</strong> akademischen Selbstverwaltung. Diss. phil.<br />

Halle-Wittenberg 2006.<br />

Borchard, Klaus (Hrsg.): Opfer nationalsozialistischen Unrechts an <strong>der</strong><br />

Universität Bonn. Gedenkstunde anlässlich <strong>der</strong> 60. Wie<strong>der</strong>kehr <strong>der</strong><br />

Reichspogromnacht. Alma Mater - Beiträge zur Geschichte <strong>der</strong> Universität<br />

Bonn, 88. Bonn 1999.<br />

Breitbach, Michael: Das Amt des Universitätsrichters an <strong>der</strong> Universität<br />

Gießen <strong>im</strong> 19. und 20. Jahrhun<strong>der</strong>t. Zugleich ein Beitrag zu den Doktorgradentziehungsverfahren<br />

zwischen 1933 und 1945. Archiv für hessische<br />

Geschichte und Altertumskunde 59 (2001),S. 267-334.<br />

Brix, Thomas: Die normativen Grundlagen <strong>der</strong> Depromotionen und <strong>der</strong>en<br />

Verfahren. In: Henne (2007),S. 51-71.<br />

279


LITERATURVERZEICHNIS ZUR ENTZIEHUNG DER DOKTORWÜRDE<br />

Chroust, Peter: Ärzte ohne Titel. Doktorgradentziehungen an <strong>der</strong> Medizinischen<br />

Fakultät <strong>der</strong> Universität Gießen 1933-1945. In: Die Medizinische<br />

Fakultät <strong>der</strong> Universität Gießen <strong>im</strong> Nationalsozialismus und in<br />

<strong>der</strong> Nachkriegszeit: Personen und Institutionen, Umbrüche und Kontinuitäten,<br />

hrsg. von Sigrid Oehler-Klein. Stuttgart 2007, S. 133-161.<br />

Forsbach, Ralf: "Des Tragens eines deutschen akademischen Grades<br />

unwürdig". Der Entzug von Doktorgraden während des Nationalsozialismus<br />

und die Rehabilitierung <strong>der</strong> Opfer am Beispiel <strong>der</strong> Universität<br />

Bonn. Rheinische Vierteljahrsblätter 67 (2003),S. 284-299.<br />

Forsbach, Ralf: Die Medizinische Fakultät <strong>der</strong> Universität Bonn 1m<br />

"<strong>Dritten</strong> Reich". München 2006, S. 412-437.<br />

Haferkamp, Hans-Peter: Doktorgradentziehungen wegen "Unwürdigkeit"<br />

- zur Aufarbeitung und Weiterverwendung des Gesetzes über die<br />

Führung akademischer Grade vom 7. Juni 1939 an <strong>der</strong> Universität<br />

Köln nach 1945. http://www.uni-koeln.de/uni/<strong>im</strong>ages/aktueICrede_12<br />

1205haferkamp.pdf, zuletzt aufgerufen am 15. Mai 2008.<br />

Happ, Sabine: Politisch und nicht politisch motivierte Aberkennung von<br />

akademischen Graden. Eine Auswertung <strong>der</strong> Rundschreiben deutscher<br />

Universitäten in <strong>der</strong> NS-Zeit. In: Vielfalt <strong>der</strong> Geschichte. Lernen,<br />

Lehren und Erforschen vergangener Zeiten. Festgabe für Ingrid Heidrich<br />

zum 65. Geburtstag, hrsg. von Sabine Happ/Ulrich Nonn. Berlin<br />

2004, S. 283-296.<br />

Harrecker, Stefanie: Degradierte Doktoren. Die Aberkennung <strong>der</strong> <strong>Doktorwürde</strong><br />

an <strong>der</strong> Ludwig-Max<strong>im</strong>ilians-Universität München während<br />

<strong>der</strong> Zeit des Nationalsozialismus. München 2007.<br />

280


LITERATURVERZEICHNIS ZUR ENTZIEHUNG DER DOKTORWÜRDE<br />

Hartwig, Angela: <strong>Aberkennungen</strong> von Doktortiteln <strong>im</strong> <strong>Dritten</strong> Reich und<br />

Rehabilitation nach 1945 an <strong>der</strong> Universität Rostock. Zeitgeschichte<br />

regional 1 (1998),S. 48-50.<br />

Henne, Thomas (Hrsg.): Die Aberkennung von Doktorgraden an <strong>der</strong> Juristenfakultät<br />

<strong>der</strong> Universität Leipzig 1933-1945.Leipzig 2007.<br />

Henne, Thomas: Die Aberkennung von Doktorgraden an <strong>der</strong> Juristenfakultät<br />

<strong>der</strong> Universität Leipzig - Überblick zu den Ergebnissen des<br />

Projekts. In: Henne (2007),S. 17-34.<br />

Hübinger, Paul Egon: Thomas Mann, die Universität Bonn und die Zeitgeschichte.<br />

Drei Kapitel deutscher Vergangenheit aus dem Leben des<br />

Dichters 1905-1955.München, Wien 1974 [So101-279].<br />

Huygen, Wilm/Müller, Alexandra/W alther, Clara/Wiehager, Andrea: Entziehung<br />

aufgrund "gewerbsmäßiger Abtreibung". In: Szöllösi-Janze/<br />

Freitäger (2005),S. 55-59.<br />

Kugler, Hartmut (Hrsg.): Ulli Bechmann-Rahn-Preis. Erste Verleihung <strong>im</strong><br />

Rahmen <strong>der</strong> Promotionsfeier <strong>der</strong> Philosophischen Fakultäten am 5.<br />

Februar 1999. Akademische Reden und Kolloquien <strong>der</strong> Friedrich-<br />

Alexan<strong>der</strong>-Universität Erlangen-Nürnberg, 19. Erlangen 2000.<br />

Kullik, Jens: Der Entziehungsgrund Unwürdigkeit bei akademischen Graden<br />

und öffentlichen Ehrungen. Diss. jur. Göttingen 1996.<br />

Lehmann, Hans-Georg: Nationalsozialistische und akademische Ausbürgerung<br />

<strong>im</strong> Exil. Warum Rudolf Breitscheid <strong>der</strong> Doktortitel aberkannt<br />

wurde. Marburger Universitätsreden, 10. Marburg 1985.<br />

Lehmann, Hans-Georg: Acht und Ächtung politischer Gegner <strong>im</strong> <strong>Dritten</strong><br />

Reich. Die Ausbürgerung deutscher Emigranten 1933-45.In: Die Aus-<br />

281


LITERATURVERZEICHNIS ZUR ENTZIEHUNG DER DOKTORWÜRDE<br />

bürgerung deutscher Staatsangehöriger 1933-45 nach den <strong>im</strong> Reichsanzeiger<br />

veröffentlichten Listen, hrsg. von Michael Hepp. 3 Bände.<br />

München u.a. 1985-1988.<br />

Lemberg, Margret: " ... eines deutschen akademischen Grades unwürdig".<br />

Die Entziehung des Doktortitels an <strong>der</strong> Philipps-Universität Marburg<br />

1933-1945.Schriften <strong>der</strong> Universitätsbibliothek Marburg, 113.Marburg<br />

2002.<br />

Linke, Tobias: Verwaltungsrechtliche Aspekte <strong>der</strong> Entziehung akademischer<br />

Grade. Wissenschaftsrecht, 32. Tübingen 1999.<br />

Menzel, Eberhard: Die Entziehung des Doktorgrades. Gegenwärtige<br />

Rechtslage und Notwendigkeit einer Reform. Juristenzeitung 15<br />

(1960),S. 457-465.<br />

Moritz, Werner: Die Aberkennung des Doktortitels an <strong>der</strong> Universität<br />

Heidelberg während <strong>der</strong> NS-Zeit. In: Zwischen Wissenschaft und Politik.<br />

Studien zur deutschen Universitätsgeschichte. Festschrift für Eike<br />

Wolgast zum 65. Geburtstag, hrsg. von Armin Kohnle/Frank Engehausen.<br />

Stuttgart 2001, S. 540-562.<br />

Oberndörfer, Ralf: Berufsverlust und Entwürdigung - einige Anmerkungen<br />

zu 73 sehr unterschiedlichen Doktortitelträgern. In: Henne (2007),<br />

S.73-83.<br />

Posch, Herbert/Stadler, Friedrich (Hrsg.): " ... eines akademischen Grades<br />

unwürdig". Nichtigerklärung von <strong>Aberkennungen</strong> akademischer Grade<br />

zur Zeit des Nationalsozialismus an <strong>der</strong> Universität Wien. Wien<br />

2005.<br />

Posch, Herbert: "Akademische Ausbürgerungen" an <strong>der</strong> Universität Wien.<br />

Nationalsozialistische <strong>Aberkennungen</strong> von Doktortiteln österreichi-<br />

282


LITERATURVERZEICHNIS ZUR ENTZIEHUNG DER DOKTORWÜRDE<br />

scher ExilantInnen. In: Vom Weggehen. Zum Exil von Kunst und Wissenschaft,<br />

hrsg. von Sandra Wiesinger-Stock/Erika Weinzierl/Konstantin<br />

Kaiser. Wien 2006, S. 299-320.<br />

Schöner, Hartrnut: Das Recht <strong>der</strong> akademischen Grade in <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />

Deutschland. Diss. jur. Würzburg 1969.<br />

Schupp, Volker: Zur Aberkennung <strong>der</strong> akademischen Grade an <strong>der</strong> Universität<br />

Freiburg. Bericht aus den Akten. Freiburger Universitätsblätter<br />

86 (1984), S. 9-19.<br />

Szöl1ösi-Janze, Margit/Freitäger, Andreas (Hrsg.): "Doktorgrad entzogen!"<br />

<strong>Aberkennungen</strong> akademischer Titel an <strong>der</strong> Universität Köln 1933 bis<br />

1945. Nümbrecht 2005.<br />

Thieler, Kerstin: " ... des Tragens eines deutschen akademischen Grades<br />

unwürdig". Die Entziehung von Doktortiteln an <strong>der</strong> Georg-August-<br />

Universität Göttingen <strong>im</strong> "<strong>Dritten</strong> Reich". 2. erw. Auflage. Göttingen<br />

2006.<br />

Vol1mar, Rudi: Die Entziehung <strong>der</strong> <strong>Doktorwürde</strong>. Diss. jur. Heidelberg<br />

1950.<br />

Weisbrod, Bernd: Legale Diskr<strong>im</strong>inierung und universitäre Selbstmobilisierung.<br />

Die Aberkennung von Doktorgraden an <strong>der</strong> Universität Göttingen<br />

<strong>im</strong> "<strong>Dritten</strong> Reich". In: Thieler (2006), S. 11-17.<br />

Wichardt, Rita: Verleihung und Entziehung des Doktorgrades. Diss. jur.<br />

Kiel 1976.<br />

Z<strong>im</strong>mermann, Susanne: Die Medizinische Fakultät <strong>der</strong> Universität Jena<br />

während <strong>der</strong> Zeit des Nationalsozialismus. Ernst-Haeckel-Studien, 2.<br />

Berlin 2000 [So94-96].<br />

283

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