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Jahresbericht 2011 - Fritz Thyssen Stiftung

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Sokrates charakterisiert den<br />

Eros als ein Zwischenwesen<br />

zwischen Göttern und Menschen,<br />

als einen Daimon, welcher durch<br />

ein Streben mit dem Ziel<br />

gekennzeichnet ist, das Schöne<br />

zu erreichen und die Liebenden<br />

»zur Zeugung im Schönen« zu<br />

motivieren.<br />

28 Platons »Symposion« | prof. c. horn, Institut für Philosophie, Universität Bonn, widmet<br />

sich »Platons ›Symposion‹«.<br />

Das Symposion ist einer der brillantesten Dialoge Platons. In meisterhafter literarischer Form<br />

wird hier ein Trinkgelage dargestellt, bei welchem der Tragödiendichter Agathon und seine<br />

Gäste Lobreden zu Ehren des göttlichen Eros halten. Die Reden des Phaidros, des Pausanias,<br />

des Eryximachos, des Aristophanes und des Agathon heben unterschiedliche begriffliche und<br />

phänomenale Aspekte der erotischen Liebe hervor, ehe Sokrates eine die konkurrierenden<br />

Beiträge deutlich überbietende philosophische Darstellung des Eros liefert, die der Priesterin<br />

Diotima in den Mund gelegt wird. Sokrates charakterisiert den Eros als ein Zwischenwesen<br />

zwischen Göttern und Menschen, als einen Daimon, welcher durch ein Streben mit dem Ziel<br />

gekennzeichnet ist, das Schöne zu erreichen und die Liebenden »zur Zeugung im Schönen« zu<br />

motivieren. Die philosophische Einstellung des Sokrates und seine eigene Haltung zum Eros<br />

werden abschließend in einer Rede beschrieben, die sein Schüler Alkibiades auf ihn hält.<br />

Diese kurze Zusammenfassung verdeutlicht bereits, in welcher inhaltlichen Breite das Symposion<br />

angelegt ist. Es verbindet konventionelle Liebesauffassungen mit reflektierten Liebestheorien<br />

und enthält zudem zentrale Überlegungen Platons zur Ethik, Naturphilosophie,<br />

Epistemologie, Religionsphilosophie und Metaphysik, einschließlich der Ideentheorie. Hinzu<br />

kommen diverse literarische Aspekte, die den Text interessant machen, z. B. die kunstvollindirekte<br />

Erzählform der Einleitungspartie, die einzelnen Redestrategien mitsamt den dazu<br />

gebrauchten Stilmitteln, die eingestreuten Dialogelemente oder die im Text verwendeten<br />

Mythen. Die philosophischen, philologischen sowie historischen (z. B. auch medizinhistorischen)<br />

Kenntnisse, die für eine adäquate Erschließung dieses Textes erforderlich sind, legen<br />

gerade für das Symposion das Modell eines kooperativen Kommentars nahe, wie er bei einem<br />

Kolloquium in Bonn Anfang <strong>2011</strong> versucht wurde.<br />

Die beteiligten Forscherinnen und Forscher waren Pierre Destrée, Dorothea Frede, Christoph<br />

Horn, Nora Kreft, Bernd Manuwald, Jörn Müller, Christian Pietsch, David Reeve, Frisbee Sheffield,<br />

Simon Weber und Jula Wildberger. Der Band erscheint in der von Otfried Höffe herausgegebenen<br />

Reihe »Klassiker Auslegen« (Berlin, Akademie Verlag).<br />

Philosophie<br />

Platon Selbsterkenntnis | prof. v. gerhardt, Institut für Philosophie, Humboldt-Universität<br />

zu Berlin, arbeitet an dem Projekt »Selbsterkenntnis und Leben. Zur Theorie und Praxis der<br />

individuellen Bildung bei Platon«.<br />

Ziel des Forschungsvorhabens ist die Rekonstruktion der sokratisch-platonischen Konzeption<br />

der Selbsterkenntnis. Im Zentrum des Projektes stehen die Fragen nach der Homogenität<br />

der insbesondere im platonischen Frühwerk zur Darstellung gelangenden Theorie einer vom<br />

Individuum zu leistenden Selbstbestimmung sowie nach dem Zusammenhang von Selbsterkenntnis<br />

und gelingender Lebensführung.<br />

In der ersten Projektphase wurde der historische Kontext der platonischen Theorie untersucht.<br />

Die Selbsterkenntnis ist bekanntlich nicht erst von Sokrates und Platon ins Zentrum<br />

der epistemischen Bemühungen gerückt worden, sondern besaß bereits in der religiös-dichterischen<br />

Tradition einen besonderen Stellenwert. Die Entdeckung von Wert und Bedeutung der<br />

Selbsterkenntnis ist auf das Engste mit dem delphischen Heiligtum und seinem Gott Apollon<br />

verknüpft, der bereits bei Homer als Mahner zur Selbstbesinnung in Erscheinung tritt. Der<br />

am Eingang des delphischen Apollontempels angebrachte Spruch »Gnothi sauton« (= Erkenne<br />

Dich selbst), der vermutlich auf die Sieben Weisen zurückgeht und später dem Gott selbst<br />

zugeschrieben wurde, bezeugt die Priorität dieser Einsicht innerhalb der delphischen Ethik.<br />

Im Projekt wurde der Versuch unternommen, auf der Grundlage der dichterisch-historiographischen<br />

Quellen den Gehalt der ursprünglich delphischen Selbsterkenntnis zu rekonstruieren.<br />

Die in der bisherigen Forschung nur ansatzweise erfolgte Auswertung der pindarischen<br />

Epinikien, der sophokleischen Tragödien und der Historien von Herodot konnte zeigen, dass<br />

bereits die dichterisch-religiöse Tradition über ein komplexes Selbsterkenntnis-Konzept verfügte,<br />

das eine große lebenspraktische Relevanz besaß.<br />

In den ausgewählten spätarchaisch-klassischen Texten wird das Selbsterkenntnis-Motiv<br />

zumeist im Zusammenhang mit dem Phänomen der Hybris thematisiert. Nach der in den<br />

relevanten Passagen greifbaren delphischen Auffassung besitzt die Selbstbesinnung die Funktion<br />

einer Prophylaxe und Eindämmung der hybrischen Gesinnung und des entsprechenden<br />

Verhaltens. Durch die Einsicht in die nicht aufzuhebende konstitutionell bedingte Differenz<br />

zwischen Menschen und Göttern sollte die latente oder manifeste Selbstvergöttlichung und<br />

Überhebung korrigiert werden. Im Projekt wurde anhand der Quellen aufgezeigt, dass die<br />

Begrenztheit des menschlichen Seins, die den Kerngehalt der delphischen Selbsterkenntnis<br />

bezeichnet, verschiedene Aspekte umfasst. Gegenstand der geforderten Einsicht ist die zeitliche<br />

Begrenztheit und Endlichkeit des menschlichen Daseins, die Inkonstanz und Instabilität<br />

der menschlichen Kräfte und Güter, die in den Zeugnissen häufig mit dem Gedanken der<br />

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Geschichte, Sprache und Kultur

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