Mythos <strong>VfB</strong> Am Anfang war das Ei Sie schworen auf das Ei. Das Rugby-Ei. Mitgebracht hatten es die Engländer, die um 1865 in Cannstatt zur Schule gingen. Ihnen fühlten sich die ersten <strong>VfB</strong>ler verbunden, ja sie hielten sich für deren sportliche Erben und hielten das Feuer der Begeisterung am Spiel in freier Natur am Leben, als am Neckarknie längst keine Internate mehr für ausländische Schüler bestanden. Auch wenn die Fußballklubs aus dem Boden schossen und das Spiel mit dem runden Ball die männliche Jugend ergriff, die 93er vom Stöckach hielten fest an der Tradition und machten ihren Platz am Karl-Olga-Krankenhaus zu einer der ersten Adressen des deutschen Rugby-Sports. Die Rugby-15 aus dem Jahre 1912, aufgenommen zur Zeit der Vereinigung von FV 93 und Kronenklub Cannstatt, stellt eine schlagkräftige Truppe dar, mit Könnern in beiden Spielweisen des Rasensports. Torwart Buggle, hinten ganz rechts, ist der erste in der langen Reihe der großartigen <strong>VfB</strong>-Torhüter. Er war der große Rückhalt der <strong>VfB</strong>-Elf in der Phase nach dem Aufstieg in die erste Liga. Oder Fritz Keppel, vorne in der Mitte, einer der besten Sprinter über Württemberg hinaus, er trieb das Spiel nach vorne. Alle auf dem Bild gehören zu den großen Pionieren des <strong>VfB</strong> <strong>Stuttgart</strong> und waren Meister mit dem runden wie dem eirunden Ball. Sie präsentieren sich dem Fotografen auf dem „Urplatz“ 30 des Vereins, der kurz darauf den Kriegserfordernissen zum Opfer fiel. Die zunehmende Konzentration auf den Liga-Spielbetrieb des Fußballs ließ die vereinsgeschichtliche Säule schrumpfen: so erfolgreich man bis unmittelbar vor dem ersten Weltkrieg noch im Rugby war, 1909 errang der FV 93 bekanntlich die deutsche Vizemeisterschaft, die Sympathien des Publikums gehörten zunehmend dem Fußball mit dem runden Ball. Nach dem Krieg, als der <strong>VfB</strong> auf den Wasen umgezogen war, entwickelte sich der Fußball zum Magnet für die Massen. Auch der Nachwuchs hatte sich entschieden, dem Rugby versickerte der Zustrom der Jugend. Dennoch hielt sich noch lange in den 20er Jahren das Rugby-Spiel im <strong>VfB</strong>. Manchmal wurde es gar zum Zankapfel, warfen doch manche im Übereifer den Rugby-Leuten vor, Fußballer für ihre Zwecke zu missbrauchen und dadurch die Schlagkraft der Liga-Elf zu schwächen. Mehr noch: Rugby, das am Anfang beim <strong>VfB</strong> fast alles war, wurde immer mehr zur dahinsiechenden Abteilung, die mit all ihren mythischen Geschichten nur noch von den „Alten“ am Atmen gehalten wurde. Daran änderte auch nichts, dass bis Mitte der 20er Jahre auf dem <strong>VfB</strong>-Platz am Neckar sehenswerte Begegnungen mit renommierten Gastmannschaften stattfanden, wie der be- wegte Schnappschuss um 1923 belegt. Eine Breitenwirkung war dem Rugby nicht mehr vergönnt. Die Tatsache, dass man für eine Mannschaft 15 Spieler brauchte und das vergleichsweise komplizierte Regelwerk taten ein Übriges für das Verblassen der einstigen Rugby-Herrlichkeit im <strong>VfB</strong>. Wie sehr der <strong>VfB</strong> anfänglich das Selbstverständnis eines Rugbyvereins hatte, belegt beispielsweise sein erstes offizielles Briefpapier nach der Fusion 1912: Dort prangt ein stilisierter Rugbyball als Erkennungszeichen unter dem Vereinsnamen. Mochte die lange Fixierung auf das Rugby-Spiel der Grund sein, warum der <strong>VfB</strong> nach 1912 so viel Boden aufzuholen hatte und den Kickers hier in der lokalen Konkurrenz hinterher hinkte. Doch sahen viele einst in der Rugby-Orientierung zugleich eine Langzeitwirkung und den eigentlichen Grund für den steten Aufstieg des <strong>VfB</strong>: Das Rugby-Spiel, mit seiner spezifischen prägenden Wertigkeit, förderte nach ihrer Ansicht eine tief verankerte Ausrichtung an sportlichen Idealen wie Kameradschaft, Vereinstreue und einem Bekenntnis zur Leistung, eine Ausrichtung, die vom Verein noch bis in die ersten Bundesligajahre hinein propagiert wurde - als eine neue Zeit bereits kraftvoll über die einstigen Ideale hinwegschritt.
Rugby-Spiel 1923