Im Blickpunktderen ersten Leiter François Habeneckverlieh dem Ansehen der Gattung„Symphonie“ wichtige Impulse. Sowar das erste Konzert mit BeethovensEroica für Berlioz ein Erlebnis, dasihn „fast so stark“ erschütterte, „wieShakespeare es getan hatte. Es eröffnetein mir eine neue Welt“. 4Die zum Topos geronnene, offenbarvon Christian Friedrich Michaelis erstmalsformulierte Vorstellung der Manifestationdes „Unaussprechlichen“oder, um den für die Romantik sozentralen Begriff zu verwenden, des„Poetischen“ in der reinen Instrumentalmusik,dem Hoffmann mit der Rezensionder 5. Symphonie Beethovensdie entsprechende gleichsam medialeDurchschlagskraft verlieh, fiel inFrankreich zunächst nicht auf fruchtbarenBoden. Meinte schon Grétry,Haydns Symphonien müsse man Worteunterlegen, da sie „sie fast zu fordernscheinen“ 5 , so nahm Hector Berliozan Beethovens Symphonien nichtdas Aufscheinen des Unbegreiflichen,der Hegelschen „Idee“ war, sondernsehr konkret – Hoffmann hätte es als„lächerliche Verirrung“ 6 bezeichnet –4H. Berlioz, Memoiren, hg. von F. Heidlbergerund D. Krehe, Kassel u. a. 2007, S. 188.5Zitiert nach: J. G. C. Spazier, Grétry´s Versucheüber Musik, Leipzig 1800, S. 187.6E. T. A. Hoffmann, Beethoven: 5. Symphonie,in: Sämtliche Werke, hg. v. H. Steinecke, Bd.1, hg. von G. Allroggen u. a., Frankfurt a. M.2003, S. 532-552, hier: S. 532.einen mit Worten benennbaren Werkcharakter.Für französische Komponisten waralso zunächst das Erzählen von „Begebenheiten“,das Manifestieren „best<strong>im</strong>mbarerEmpfindungen“ von zentralerBedeutung. Insofern konnte inFrankreich der Konzertzettel als „einunentbehrliches Hülfsmittel für denVerstand“ 7 gesehen werden. Demgegenübervertrat Hauptmann die Auffassung,eine Symphonie dürfe nurdurch die ihr „eigenthümlichen Mittelsich selbst darstellen“ 8 , weshalb er dieAusteilung eines Programmzettels anlässlichder Aufführung der Symphonie„Die Weihe der Töne“ (1832) LouisSpohrs mit einem negativen Urteilbelegte. Dem von Hauptmann vertretenenIdeal entsprechen die meistender nach Berlioz komponierten symphonischenWerke: die drei zwischen1841 und 1847 entstandenen SymphonienLouise Farrencs (1804-1875),deren Kompositionen neuerdings ineiner Werkausgabe vorliegen, GounodsSymphonien in D-Dur (1854-1855) und Es-Dur (1855) sowie BizetsC-Dur-Symphonie (1855). Sie bedeutenzwar eine mit dem Verzicht aufdie Vermittlung außermusikalischer7Anonym, Gegenwärtiger Zustand der Musik inParis. Zweyter Brief, in: AmZ 2 (1800), Sp. 748.8M. Hauptmann, Briefe von Moritz Hauptmannan Franz Hauser, 2 Bde., hg. von A. Schöne,Leipzig 1871, Bd. 1, S. 163.Inhalte verbundene Rückkehr zurForm der klassischen Symphonie, bliebenaber kompositionsgeschichtlichwirkungslos und vermochten kaumetwas am geringen Interesse der breiterenÖffentlichkeit an groß besetztenInstrumentalwerken zu verändern, zudominierend waren in der vom Bürgertumgetragenen Musikkultur dieOper und die Kultur des Salons.Einen Markstein für die Erneuerungder französischen Symphonie bedeutetedie vor allem von Saint-Saens betriebeneGründung der KonzertgesellschaftSociété Nationale de Musiqueam 25. Januar 1871, die sich unterder Devise „Ars gallica“ nach demverlorenen Krieg sich ganz auf die nationalekünstlerische Eigenständigkeitder zeitgenössischen Instrumentalmusikbesann, stellten die seit 1851existierenden Séances Populaires deMusique du Chambre Lamoureux´, dieberühmten, seit 1861 bestehendenConcerts Populaires de Musique ClassiquePasdeloups gleichermaßen wiedie Société des Concerts doch vor allemdie deutschen Klassiker, insbesondereBeethoven, in den Mittelpunkt,sodass noch 1870 Gustave Bertrandfeststellen musste:Le public du Conservatoire se composed´abonnés d´un goût ultra-classiquequi n´ont pas adopté d´embléeSchumann et Mendelssohn et quiaccueillent tout œuvrenouvelle, à plusforte raison tout auteur nouveauavecune méfiance marquée. 9Bezeichnenderweise entstand in denersten Jahren seit der Gründung derSociété zwar viel Instrumentalmusik,aber bis zu ersten Symphonie <strong>im</strong> engerengattungsgeschichtlichen Sinnesollten ca. vierzehn Jahre vergehen.Claude Debussy vollendete 1880 eineSymphonie h-Moll nur <strong>im</strong> vierhändigenKlavierauszug und Gabriel Faurévernichtetet eine 1884 entstandeneSymphonie d-Moll op. 40. Erst Saint-Saens 3. Symphonie (1885/86) undFrancks d-Moll-Symphonie (1886-1888) ließen das Interesse an derGattung spürbar zunehmen. Es entstehendie Werke Vincent d´Indys,Ernest Chaussons, Guy Ropartz’, PaulDukas’, Albéric Magnards und AlbertRoussells.Francks Symphonie aber war es, nichtzuletzt durch die Kompositionslehred´Indys zum exemplum classicum derfranzösischen Symphonie erhobenwurde, ja zum Werk, mit dem dessenSchöpfer das wahre Erbe Beethovensangetreten habe, wobei als entscheidendesMerkmal die zyklische Wie-9Le Ménestrel, 37. Jg. Nr. 12 v. 20.02.1870,S. 92 (zitiert nach: B. A. Kraus, Franck und dasPariser Musikleben, in: Peter Jost (Hrsg.), CésarFranck. Werk und Rezeption, Stuttgart 2004, S.[22]-33, hier: S. 26.Im Blickpunkt4 5
Im Blickpunktderkehr der Motive und Themen galt,und in gewisser Weise auch die Dreisätzigkeit– Francks Werk verknüpftbekanntermaßen <strong>im</strong> Allegretto denlangsamen Satz und das Scherzo derSymphonie.Während Alexandre Guilmant seinemehrsätzigen Orgelwerke noch „Sonate“nannte, gebrauchte CharlesMarie Widor für entsprechende Kompositionen– op. 42 (Symphonien 1bis 4) wurde 1872, op. 42 (Symphonien5 bis 8) wurde 1887 publiziert– nun erstmals den Gattungsbegriff„Symphonie“. Bedenkt man dasJahr der Veröffentlichung der erstenvier Symphonien und die Geschichteder Symphonie in Frankreich, so warWidor mit der Wahl der Gattungsbezeichnungdurchaus seiner Zeitvoraus. Allerdings konnte er den gravierendenkompositionstechnischenund ästhetischen Implikationen, mitdenen, wie bereits erwähnt, der Gattungsbegriff„Symphonie“ <strong>im</strong> 19.Jahrhundert in Folge des symphonischenWerks Beethovens behaftetwar, zunächst kaum gerecht wurde,stellten die ersten sechs Symphonien,wiewohl durch die orchestralen Farbenund monumentale Klangfülle derCavaillé-Coll Orgel von Saint-Sulpiceinspiriert, doch eher eine bloß suitenartigeReihung von Sätzen dar, wasbedeutet, dass es zwischen den Einzelsätzenkeinen inneren Zusammenhanggibt.Aufgrund der thematischen Substantialitätdes motivischen Materials ist esdie 1887 publizierte VII. Symphonie,mit der Widor erstmals in herausragenderWeise einen symphonischenAnspruch realisiert, der über bloßeMonumentalität deutlich hinausgeht.Wiewohl weniger populär ist als ihreSchwesterwerke, die Symphonien Vund VI, muss die VII. deshalb als bedeutenderund zukunftsweisendergelten – hier ist vor allem an WidorsSchüler Louis Vierne zu denken, dereine Reihe von satztechnischen Eigenheitenaus der VII. Symphonie in seineigenes Werk übernahm.Der „Choral“ überschriebene 2.Satz – es handelt sich nicht um eingregorianisches Thema oder um einKirchenlied, sondern um eine wie einKirchenlied harmonisierte textfreieNeuschöpfung, die als Signum desReligiösen seit Robert SchumannsChoral <strong>im</strong> „Album für die Jugend“Eingang gefunden hat in die reineInstrumentalmusik – bildet den Ausgangspunktder motivisch-thematischenErfindung aller anderen Sätze.Mitunter nur analytisch zu erschließen,wird der Zusammenhang mitder Choralmelodie, die wohl als eineder schönsten Eingebungen Widorsgelten darf, unmittelbar evident <strong>im</strong> 4.Satz und 5. Satz (die Oberst<strong>im</strong>me zitiertden Choral in Moll bzw. mit demursprünglichen Tongeschlecht) sowie<strong>im</strong> Finale: Auch hier erscheint diecharakteristische absteigende Quinte,der der die erste Choralphrase abschließendeaufsteigende Terzgangin Auf- und Abwärtsbewegung vorangestelltist, in Moll, allerdings nichtin gleichmäßiger Bewegung, sondernrhythmisch profilierter und insofern inzweifacher Weise verfremdet. Erst amSchluss des Satzes greift Widor aufdie Dur-Fassung zurück, die zunächstReminiszenz-Charakter hat, gleichsameine Erinnerung an weit in der VergangenheitLiegendes, um dann alsApotheose des Chorals mit triumphalerGeste die Symphonie zu beschließen,deren kompositorisches Niveaues tatsächlich rechtfertigt, in Widorden „Vater der Orgelsymphonie“ zusehen.Im Blickpunkt6 7