treffpunkt campus - Hochschule Magdeburg-Stendal
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4 <strong>treffpunkt</strong> <strong>campus</strong><br />
februar 2011<br />
<strong>treffpunkt</strong> forschung<br />
Übersetzen: Sachverhalt vs. Sprache<br />
Bastian Ehl<br />
Im Fremdsprachenunterricht wird Übersetzen<br />
klassischerweise als Lernzielkontrolle<br />
der Beherrschung einer Fremdsprache eingesetzt.<br />
Je nach Sprachrichtung wird damit die<br />
aktive (Muttersprache-Fremdsprache) oder<br />
passive Beherrschung (Fremdsprache-Muttersprache)<br />
der Fremdsprache überprüft.<br />
Diese Überprüfung geschieht in aller Regel<br />
unter sprachlichem Aspekt und berücksichtigt<br />
nicht die Faktoren, die für das Funktionieren<br />
eines Textes unabdingbar sind. Aus<br />
dieser Erfahrung resultiert auch die in der<br />
Öffentlichkeit vorherrschende Auffassung,<br />
es gehe beim Übersetzen immer um die<br />
möglichst genaue Übertragung eines Textes<br />
in eine andere Sprache.<br />
Neuere Ansätze in der Übersetzungswissenschaft gehen von<br />
der Forderung aus, dass die verschiedenen Aspekte des Ausgangstextes<br />
mit unterschiedlichen Prioritäten versehen sind.<br />
Diese Prioritäten hängen von den vorher zu definierenden<br />
Anforderungen an den Zieltext ab, z. B. Empfängerbezug,<br />
Medienabhängigkeit oder Textintention, aber auch von der<br />
Berücksichtigung vorhandener Terminologie oder weitergehender<br />
redaktioneller Festlegungen.<br />
Beim Übersetzen im Rahmen von Fachkommunikation geht<br />
es also nicht um die genaue Wiedergabe eines Ausgangstextes,<br />
sondern um die Erstellung eines – neuen – Textes<br />
in der Zielsprache zu einem Sachverhalt, der in Form<br />
des Ausgangstextes vorliegt. Der Ausgangstext dient also<br />
lediglich der Beschaffung von Wissen über einen Sachverhalt.<br />
Also besteht die Aufgabe des Übersetzers primär<br />
darin, das Wissen über einen Sachverhalt zu strukturieren<br />
und gemäß einem zuvor zu erstellenden funktionalen Rahmen<br />
für den Zieltext in die Zielsprache umzusetzen. Damit<br />
unterscheidet sich der Übersetzungsprozess von dem Texterstellungsprozess<br />
beispielsweise in der technischen Dokumentation<br />
oder in der Pressearbeit lediglich durch das<br />
Vorhandensein eines Ausgangstextes.<br />
Ein wesentliches Element der Ausbildung zum professionellen<br />
Übersetzer ist die Mitarbeit an realen Projekten. Dies<br />
kann einerseits in Form von Abschlussarbeiten geschehen.<br />
Dazu hat der Leiter des Lehrbereichs Englisch am Fachbereich<br />
Kommunikation und Medien, Prof. Dr. Hans Schwarz, ein<br />
Netzwerk mit etwa 400 Partnern in der Industrie, in Organisationen<br />
und Institutionen im In- und Ausland aufgebaut. So<br />
wurden beispielsweise im Rahmen einer Abschlussarbeit Teile<br />
der Webseite der Vereinten Nationen („Cyberschoolbus“)<br />
ins Deutsche übersetzt. Selbstverständlich fand das abschließende<br />
Kolloquium bei den Vereinten Nationen in New York<br />
statt, wie der Deutschlandfunk berichtete.<br />
Andererseits übernimmt der Fachbereich aber auch regelmäßig<br />
reale Übersetzungsaufträge. Dazu wurde eine Angebotsliste<br />
mit Zeilen- oder Wortpreisen erarbeitet, die schon aus<br />
berufsethischen Gründen deutlich über dem Durchschnitt am<br />
Markt liegen. So soll zum einen vermieden werden, den eigenen<br />
Absolventen – und anderen Berufskollegen – die Position<br />
am Markt zu verderben. Zum anderen soll aber auch den<br />
Auftraggebern gezeigt werden, dass Qualität ihren Preis hat.<br />
Und Qualität wird bei diesen Aufträgen großgeschrieben. Der<br />
Fachbereich verbrieft sich dafür, Übersetzungen abzuliefern,<br />
die ohne Lektorieren sofort verwendet werden können.<br />
Die Vorgehensweise ist stets die gleiche: Kontakte zu potenziellen<br />
Auftraggebern knüpfen die Studierenden meist auf<br />
Tagungen oder Messen. Fast schon zur Tradition geworden<br />
ist ein Ausstellungsstand auf der AERO, der Internationalen<br />
Luftfahrtmesse in Friedrichshafen. Hier lernen die Studierenden,<br />
sich als Fachmann/Fachfrau professionell darzustellen.<br />
Der Umgang mit Visitenkarten, Gesprächsnotizblättern und<br />
ein professionelles Auftreten wird zur Selbstverständlichkeit.<br />
Aus den konkreten Anfragen – 2010 waren es 24 – werden<br />
anschließend die geeignetsten und interessantesten herausgesucht.<br />
In der Regel wird ein Besuch des Unternehmens vereinbart,<br />
um die Projektumgebung, den Gegenstand der Texte,<br />
und die Gesprächspartner vor Ort kennenzulernen, aber auch,<br />
um das eigentliche Projekt in allen Einzelschritten durchzugehen.<br />
Damit wird den angehenden Übersetzern eindrücklich<br />
vermittelt, dass beim Übersetzen Sachverhalte und nicht<br />
Sprache umgesetzt werden.<br />
Die nach erfolgter Übergabe der Zieltexte eingehenden<br />
Honorare werden selbstverständlich in voller Höhe an die<br />
Teilnehmerinnen und Teilnehmer ausbezahlt. Aber fast<br />
noch wichtiger als der finanzielle Aspekt ist die Tatsache,<br />
dass mit den Auftraggebern stets vereinbart wird, ein Arbeitszeugnis<br />
an jeden Einzelnen auszugeben. Diese Referenzen<br />
haben sich in ganz vielen Fällen als Stellenöffner<br />
bei Bewerbungen herausgestellt.<br />
Und so ganz nebenbei werden die Studierenden auf diese Weise<br />
Mitglied eines Netzwerks, in dem es für jeden, der sich als<br />
geeignet herausstellt, nach dem Examen auch eine Stelle gibt.<br />
Prof. Dr. Hans Schwarz