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credo umbruch - Andrea Molino

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17. Europäische Kulturtage Karlsruhe 2004<br />

badisches staatstheater karlsruhe


CREDO<br />

Die Unschuld Gottes – ein multimediales Musiktheater<br />

Koproduktion des Badischen Staatstheaters Karlsruhe mit<br />

Researchzentrum für Kommunikation<br />

der Benetton Group<br />

Komposition: <strong>Andrea</strong> <strong>Molino</strong><br />

Libretto: Achim Thorwald, <strong>Andrea</strong> <strong>Molino</strong><br />

Musikalische Leitung: <strong>Andrea</strong> <strong>Molino</strong><br />

Szenische Umsetzung: Achim Torwald<br />

Bühne und Multimedia: FABRICA<br />

Dramaturgie: Margrit Poremba<br />

Die Produktion wird unterstützt von:<br />

Premiere/Uraufführung: Freitag, 30. April 2004, 20.00 Uhr<br />

Großes Haus, Badisches Staatstheater Karlsruhe<br />

Dieses Theater ist Mitglied von<br />

5


<strong>Andrea</strong> <strong>Molino</strong><br />

CREDO<br />

The Innocence of God – a multimedia music theatre<br />

with<br />

David Moss<br />

Fabrica Musica:<br />

Joy Frempong – voice<br />

Gunnlaug Thorvaldsdottir – voice<br />

Raphael Camenisch – saxophone<br />

Hugo Smit – cello<br />

Marco Giovinazzo – percussions<br />

Mauro Gino – percussions<br />

Giovanni Delfino – percussions<br />

Holger Stenschke – audio designer, live video system<br />

Cornelius Bohn – audio designer<br />

Giorgio Collodet – technical coordinator<br />

Live satellite connection from Istanbul<br />

Gonca Girgin – kanun, voice<br />

Neset Kirsehirli – mey<br />

Hakan Kaya – darbuka, percussions<br />

Live satellite connection from Jerusalem<br />

Ranin Hanna – voice<br />

Mark Eliyahu – kamanche<br />

Itamar Shahar – ney flute<br />

Noam Aharon – spanish flute<br />

Live satellite connection from Belfast<br />

Suzanne Savage – voice, fiddle<br />

Jarlath Henderson – pipes<br />

Kevin Mc Cullagh – fiddle<br />

Laura Henderson – harp<br />

Rohan Young – bodhran<br />

6


Additional audio recordings:<br />

Klangforum Wien<br />

Eva Furrer – flute<br />

Dimitrios Polisoidis – viola<br />

Benedikt Leitner – cello<br />

Uli Fussenegger – double bass<br />

Gerald Preinfalk – saxophone<br />

Christian Kapun – clarinet<br />

Lukas Schiske – percussions<br />

Actors:<br />

Nathan – Michael Rademacher<br />

Speakers – Yves Hinrichs<br />

Marc-Philipp Kochendörfer<br />

Jannek Petri<br />

André Wagner<br />

Jochen Neupert<br />

Matthias Christian Rehrl<br />

Fabrica stage design:<br />

Brunno Bojanic Jahara<br />

Masahiro Fukuyama<br />

Jaime Hayon<br />

Fabrica video:<br />

<strong>Andrea</strong> <strong>Molino</strong> – concept and selection<br />

Gulio Tami – editing<br />

Joe Togneri – video coordination<br />

Fabrica graphic design:<br />

Paolo Palma<br />

Omar Vulpinari<br />

Fabrica interactive:<br />

Harun Alikadic<br />

Enrique Grullon<br />

Martin Redigolo<br />

Andy Cameron<br />

<strong>Andrea</strong> Masiero<br />

7


Fabrica Creative direction:<br />

Renzo di Renzo<br />

Fabrica production:<br />

Lisa Martelli<br />

Fabrica Musica promotion:<br />

Birgit Gotzes<br />

Fabrica Press office:<br />

Elisabetta Prando, Lisa Martelli, Veronica Artuso, Emma Cole, Valentina<br />

Zoppas, Barbara and Michela Liverotti, Carmen&Jörn Jung,<br />

Marta Rebelo, Elisabetta Mistri, Maddalena Garcea, Gözde Gunal,<br />

Pinar Piskin<br />

Badisches Staatstheater Karlsruhe<br />

Presse und Öffentlichkeitsarbeit:<br />

Gabriele Zerweck, Jörg Rieker<br />

Local coordinators:<br />

Belfast: Rebecca Morris<br />

Istanbul: Oguz Icsoz<br />

Jerusalem: Alon Farago, Yael Ornan<br />

Publisher:<br />

Nuova Stradivarius, Milan<br />

Euphone satellite service<br />

A production of Fabrica and Badisches Staatstheater Karlsruhe<br />

In collaboration with Colors Magazine, WITNESS, and with the<br />

support of European Community through the project Culture 2000<br />

Special thanks to: Laura Pollini, Paolo Landi, Sibel Asna, Carlos<br />

Mustienes, Massad Abu Toameh, Amy Flanagan, Gabriel Crouch,<br />

Thomas „Maxi“ McKilroy, Yekta Kara, Fabrica all<br />

Thanks to: Scuola di Formazione e Orientamento Musicale (Fondazione<br />

Istituto Musicale della Valle d’Aosta) and to the Belfast City<br />

Council<br />

8


Denn: was unsere heutige ZEIT vor allem<br />

BRAUCHT: das sind BRÜCKENBAUER<br />

Anmerkung zu CREDO<br />

„Gleich welcher Religion, Ideologie oder Nation, geht es bei diesem<br />

Projekt um nichts geringeres als einen Grundkonsens über gemeinsame<br />

Werte, Haltungen und Maßstäbe, die alle Menschen in<br />

ihren eigenen Traditionen wiederfinden können, sowie um die Verpflichtung<br />

auf eine Kultur der Gewaltlosigkeit, der Solidarität und<br />

Toleranz…“<br />

Diese – von Hans Küng in seinem Buch „Projekt Weltethos“ formulierten<br />

– Gedanken umschreiben die Idee und Absicht von<br />

CREDO treffend: CREDO möchte die drei großen monotheistischen<br />

Weltreligionen, die alle drei auf Büchern gründen und sich<br />

ebenfalls alle drei auf den Stammvater Abraham berufen –<br />

Judentum, Christentum und Islam – in ihren Konfrontationen wie<br />

– daraus ableitend – in ihren übergreifenden Gemeinsamkeiten<br />

zeigen. Wobei gleich an dieser Stelle auf die überragende ökumenische<br />

Bedeutung Abrahams als Ur-Repräsentant des Monotheismus,<br />

als Archetyp der prophetischen Religionen hingewiesen<br />

werden soll: Abraham ist in der Hebräischen Bibel, wie im Neuen<br />

Testament und selbst im Koran eine der am häufigsten erwähnte<br />

biblische Figur. Der Grund: von ihm stammen sie alle ab: zunächst<br />

einmal Isaak und Jakob, die Stammväter Israels und Jesu Christi.<br />

Dann aber auch Ismael, der Stammvater der Araber, später der<br />

Muslime. Allerdings versuchten im Lauf der Jahrhunderte alle drei<br />

Religionen Abraham für sich exklusiv zu vereinnahmen. „Doch<br />

trotz all der verschiedenen Interpretationen und Akzentuierungen:<br />

Abraham bleibt der Urzeuge für den Glauben an den einen und<br />

selben Gott, welcher der Gott der Juden, Christen und Muslime ist<br />

(…) Das einzige Eigentum, das Abraham (im übrigen) erwarb, soll<br />

ein Grundstück bei Hebron gewesen sein für ein Familiengrab.<br />

Doch die Bibel legt Wert darauf: Er nahm das Land nicht mit Gewalt.<br />

Vielmehr verhandelte er respektvoll mit den hier seit Jahr-<br />

10


hunderten Ansässigen, deren Recht auf das Land er von vornherein<br />

anerkannte.“ (Hans Küng, Spurensuche)<br />

Abraham: ein erster Brückenbauer!<br />

Die Konzeption von CREDO baut nun auf Zitaten aus den heiligen<br />

Büchern auf: Beginnend mit dem Turmbau zu Babel, bis zu<br />

Äußerungen heutiger Exponenten der Religionen sowie verbindender,<br />

„Brücken“-schlagender Texte und Gedichte, werden Situationen<br />

von trennender Gewalt bis vereinendem Inhalt durch sieben<br />

Schauspieler interpretiert, von Sängern, Instrumentalsolisten,<br />

großem Orchester, Video- und Original-TV-Zuspielungen begleitet<br />

und kommentiert.<br />

Die Figur des Lessing’schen „Nathan“ wird dabei als einzig durchgehender<br />

Charakter immer wieder den Dialog fordern: „Es eifre<br />

jeder seiner unbestochnen, / Von Vorurteilen freien Liebe nach!“<br />

Lessing zieht in seinem „Dramatischen Gedicht“ eine verwirrende<br />

Stammtafel aus der Tasche und demonstriert damit, dass es für den<br />

inneren Rang eines Menschen auf Abstammung und Religion nicht<br />

ankommt: ob Jude, ob Christ, ob Moslem, das wird auf einmal<br />

unwichtig, denn der Adel des Menschen, ja, der bloße Nachweis,<br />

dass er es verdient, Mensch genannt zu werden, hängt ab von dem<br />

Grad seiner Einsicht und seiner Duldsamkeit. Die meisten Dialoge<br />

im „Nathan“ sind nichts anderes als ein fortgesetztes Gespräch<br />

über Toleranz: so zwischen Saladin und seiner Schwester über die<br />

Unzulänglichkeit der Kreuzritter, die nur den Namen Christi, nicht<br />

aber seine Tugend verbreiten; zwischen Nathan und dem Tempelherrn<br />

über die Unmenschlichkeit der Behauptung, von Gott auserwählt<br />

zu sein; so auch zwischen Saladin und Nathan, wenn der<br />

weise Jude die Ring-Parabel erzählt und die von Vorurteilen freie<br />

Liebe fordert.<br />

Georg Hensel schreibt: „Wenn Nathan in der Pogrom-Erzählung<br />

von der Ermordung seiner Frau und seiner Söhne berichtet, wenn<br />

er, überwältigt vom Schmerz der Erinnerung, weint, und aus diesen<br />

Tränen zum Lächeln kommt, zu diesem ‚UND DOCH IST<br />

GOTT!’ – so ist dies die Geburtsstunde der Weisheit aus dem Leid,<br />

der Vernunft aus der schmerzgeborenen Güte … Lessings Stück ist<br />

11


eides: Demonstration und Dichtung, Pädagogik und Poesie – verbunden<br />

mit dem vollen Gewicht der Humanität.<br />

Vernunft aus der Güte: gegen sie wird bis heute von den Fanatikern<br />

aller ideologischen und konfessionellen Fronten schwer gesündigt.“<br />

Durch Demonstration und Poesie versucht auch die CREDO-Produktion<br />

auf die „Vernunft aus der Güte“ aufmerksam zu machen,<br />

versucht ein ständig fortdauerndes Gespräch über Toleranz einzufordern:<br />

„KEIN ÜBERLEBEN OHNE WELTETHOS.<br />

KEIN WELTFRIEDE OHNE RELIGIONSFRIEDE.<br />

KEIN RELIGIONSFRIEDE OHNE RELIGIONSDIALOG“…<br />

(Hans Küng)<br />

Die dramaturgische Nutzung fortschrittlicher Kommunikations-<br />

Technologien ist dabei ein zentraler Teil des Projekts. Video- und<br />

multimediales Material, das speziell für CREDO bei FABRICA, dem<br />

1994 in der Nähe von Treviso gegründeten italienischen Kommunikations-<br />

und Studienzentrum, entworfen wurde, wird organisch<br />

in die musikalische Sprache integriert. Angewandte Technik macht<br />

es u.a. auch möglich, während der Aufführung Städte in verschiedenen<br />

Teilen der Welt, in denen das Thema des Projektes besondere<br />

Brisanz hat, über Audio- und Videoverbindungen mit der<br />

Stadt zusammenzuschalten, in der die Vorstellung stattfindet. Bei<br />

der Uraufführung werden Istanbul, Jerusalem und Belfast in Kontakt<br />

mit Karlsruhe stehen.<br />

CREDO wird von der Europäischen Union über das Projekt „Kultur<br />

2000“ unterstützt.<br />

Die Produktion ist bereits als Eröffnungsakt des Internationalen<br />

Musikfestivals Istanbul 2005 vorgesehen und wird, ebenfalls im<br />

Sommer 2005, auf dem „Queensland Music Festival“ im australischen<br />

Brisbane präsentiert.<br />

MARGRIT POREMBA<br />

12


Die MENSCHLICHE Spezies<br />

Einerseits ist der Mensch mit vielen Tierarten insofern<br />

verwandt, als er mit seinen eigenen Artgenossen<br />

kämpft.<br />

Andererseits jedoch ist er unter den Tausenden von<br />

Arten, die Kämpfe ausfechten, der einzige, bei dem<br />

diese Kämpfe zerstörend wirken.<br />

Die menschliche Spezies ist als einzige eine Spezies von<br />

Massenmördern, und der Mensch ist das einzige Wesen,<br />

das seiner eigenen Gesellschaft nicht angepasst ist.<br />

N. TINBERGEN<br />

13


Die BIBLISCHE Geschichte beginnt dort,<br />

wo der BABYLONISCHE Mythos endet:<br />

DER männliche GOTT erschafft die Welt<br />

durch das WORT<br />

Diese Wandlung kommt in poetischer Form im babylonischen<br />

Schöpfungshymnus Enuma Elis zum Ausdruck. Dieser Mythos berichtet<br />

von der siegreichen Rebellion der männlichen Götter gegen<br />

Tiamat, die „Große Mutter“, die das Universum regierte. Sie schließen<br />

sich gegen sie zusammen und wählen Marduk zum Führer.<br />

Nach einem erbitterten Krieg wird Tiamat geschlagen, aus ihrem<br />

Körper werden Himmel und Erde geformt, und Marduk herrscht<br />

von nun an als oberster Gott.<br />

Bevor er jedoch zum Führer gewählt wird, muss er noch eine Prüfung<br />

bestehen, die dem modernen Menschen unwesentlich oder<br />

rätselhaft erscheinen mag, aber den Schlüssel zu einem Verständnis<br />

des Mythos bildet:<br />

Dann legten sie ein Gewand in ihre Mitte;<br />

zu Marduk, ihrem Erstgeborenen, sagten sie:<br />

„Wahrlich, o Herr, dein Schicksal ist über das der anderen Götter<br />

erhaben, Befiehl zu zerstören und neu ‚zu entstehen‘, (und)<br />

so wird es geschehen! Durch das Wort deines Mundes lass das<br />

Gewand zerstört werden;<br />

befiehl aufs Neue, und lass das Gewand wieder ganz werden!“<br />

Er befahl mit seinem Munde, und das Gewand wurde zerstört.<br />

Und wieder befahl er, und das Gewand ward wieder heil.<br />

Als die Götter, seine Väter, die Kraft seines Wortes erkannten,<br />

da frohlockten sie (und) huldigten ihm (und sagten) „Marduk ist<br />

König!“ A. Heidel, 1942<br />

14


Die Bedeutung dieser Prüfung liegt darin, zu zeigen, dass der<br />

Mann seine Unfähigkeit zu natürlichem Schöpfertum – einer Fähigkeit,<br />

die nur die Erde und die Frau hatten – durch eine neue Art<br />

des Schöpfertums, nämlich das des Wortes (oder Denkens) überwunden<br />

hat. Marduk, der auf seine Weise etwas erschaffen kann,<br />

hat die natürliche Überlegenheit der Mutter überwunden und kann<br />

daher an ihre Stelle treten. Die biblische Geschichte beginnt dort,<br />

wo der babylonische Mythos endet: der männliche Gott erschafft<br />

die Welt durch das Wort (E. Fromm, 1951).<br />

Eines der bedeutendsten Merkmale der neuen Stadt-Gesellschaft<br />

war, dass sie sich auf das Prinzip der patriarchalischen Herrschaft<br />

gründete, zu deren Wesen das Prinzip der Kontrolle gehört: das<br />

Prinzip der Herrschaft über die Natur, über die Sklaven, über Frauen<br />

und Kinder. Der neue patriarchalische Mensch „macht“ die Erde<br />

im buchstäblichen Sinn. Seine Technik stellt nicht nur eine Modifikation<br />

der natürlichen Prozesse dar, sondern sie bedeutet deren<br />

Beherrschung und Kontrolle durch den Menschen, was zur Erzeugung<br />

neuer Produkte führt, die in der Natur nicht zu finden sind.<br />

Die Menschen selbst gerieten unter die Kontrolle derer, die die Arbeit<br />

in der Gemeinschaft organisierten, und von nun an mussten<br />

die Führer Macht über die haben, die sie kontrollierten.<br />

Um die Ziele dieser neuen Gesellschaft erreichen zu können,<br />

musste alles – Natur und Mensch – kontrolliert werden, und jeder<br />

musste Macht entweder ausüben – oder fürchten. Um kontrollierbar<br />

zu werden, mussten die Menschen gehorchen und sich unterordnen<br />

lernen, und um sich unterordnen zu können, mussten sie<br />

an die überlegene Macht ihrer Herrscher glauben – sei sie nun physisch<br />

oder magisch. Während im neolithischen Dorf und bei den<br />

primitiven Jägern die Führer die Menschen lenkten und berieten,<br />

ohne sie auszubeuten, und während man ihre Führung freiwillig<br />

hinnahm, während es sich mit anderen Worten bei der prähistorischen<br />

Autorität um eine „rationale“ Autorität handelte, die auf<br />

Kompetenz beruhte, gründete sich die Autorität des neuen patriarchalischen<br />

Systems auf Macht und Gewalt; sie war ausbeuterisch<br />

und wurde mit Hilfe der psychischen Mechanismen von Angst,<br />

15


„Ehrfurcht“ und Unterwerfung ausgeübt. Es war eine „irrationale<br />

Autorität“.<br />

Lewis Mumford hat das neue Prinzip, welches das Leben in der<br />

Stadt beherrschte, kurz folgendermaßen charakterisiert: „Machtausübung<br />

in jeglicher Gestalt war das Wesen der Zivilisation. Die<br />

Stadt fand ein Dutzend verschiedener Wege, um Kampf, Angriff,<br />

Herrschaft, Eroberung und – Knechtschaft Ausdruck zu verleihen.“<br />

Er weist darauf hin, dass die neuen Methoden der Städte „rigoros,<br />

wirksam, oft hart, ja sadistisch waren“, und dass die ägyptischen<br />

Herrscher ebenso wie die Könige von Mesopotamien auf ihren<br />

Denkmälern und Tafeln damit prahlten, „wie sie höchst eigenhändig<br />

ihre wichtigsten Gefangenen verstümmelt, gefoltert und getötet<br />

hätten“ (L. Mumford, 1961).<br />

Ich selbst bin aufgrund meiner klinischen Erfahrung in der psychoanalytischen<br />

Therapie seit langem zu der Überzeugung gekommen,<br />

dass der Sadismus seinem Wesen nach das leidenschaftliche<br />

Begehren nach unbegrenzter, gottähnlicher Beherrschung von<br />

Menschen und Dingen ist (E. Fromm, 1941). Mumfords Auffassung<br />

vom sadistischen Charakter dieser Gesellschaftssysteme ist<br />

eine wichtige Bestätigung meiner eigenen Ansicht.<br />

Außer dem Sadismus scheint sich in der neuen städtischen Zivilisation<br />

auch die Leidenschaft, das Leben zu zerstören, und das Angezogenwerden<br />

von allem, was tot ist (die Nekrophilie), entwickelt<br />

zu haben. Auch Mumford spricht von dem destruktiven, auf den<br />

Tod hin orientierten Mythos, der in der neuen Ordnung zu finden<br />

ist, und er zitiert Patrick Geddes, der gesagt hat, dass jede historische<br />

Zivilisation „mit einem lebendigen städtischen Kern, der Polis“<br />

beginnt und „in einem Massengrab voll Staub und Knochen,<br />

einer Nekropolis oder Totenstadt“ endet: „rauchgeschwärzte Ruinen,<br />

zertrümmerte Bauten, leere Werkstätten, Haufen sinnlosen<br />

Mülls, während die Bevölkerung ermordet oder in die Sklaverei<br />

verschleppt worden ist“ (L. Mumford, 1961). Ganz gleich, ob wir<br />

die Geschichte der Eroberung Kanaans durch die Hebräer oder<br />

die Geschichte der babylonischen Kriege lesen, überall finden wir<br />

den gleichen Geist einer hemmungslosen und unmenschlichen<br />

16


Destruktivität. Ein gutes Beispiel dafür ist Sanheribs Steininschrift<br />

über die völlige Zerstörung Babylons:<br />

„Die Stadt und (ihre) Häuser habe ich vom Grundstein bis zum<br />

Dach zerstört, verwüstet, mit Feuer verbrannt. Mauer und Ringmauer,<br />

Tempel und Götter, Tempeltürme aus Ziegel und Erde<br />

habe ich, so viele es gab, niedergerissen und in den Arachtu-<br />

Kanal gestürzt. Mitten durch die Stadt grub ich Kanäle, überflutete<br />

sie mit Wasser und zerstörte sie bis auf die Grundmauern.<br />

Ich schuf vollkommenere Zerstörung als eine Wasserflut“ (zitiert<br />

nach L. Mumford 1961).<br />

Die Geschichte der Zivilisation von der Zerstörung Karthagos und<br />

Jerusalems bis zur Zerstörung von Dresden und Hiroshima und der<br />

Vernichtung der Menschen, der Erde und Bäume von Vietnam ist<br />

ein tragisches Dokument des Sadismus und der Zerstörungslust.<br />

ERICH FROMM, Anatomie der menschlichen Destruktivität<br />

17


Denn der HERR<br />

wird IMMER nur VORGESCHOBEN<br />

Denn der „Herr“ wird immer nur vorgeschoben, und die<br />

Herren stehen dahinter, wollen sie die Völker scheren<br />

oder schlachten, und eines von beiden wollen sie<br />

immer, immer – was sie „weiden“ nennen.<br />

Aber können Schafe dies kapieren?<br />

18<br />

KARLHEINZ DESCHNER


Die UNBEDINGTHEIT einer ANSCHAUUNG<br />

Die Unbedingtheit einer Anschauung führt zu Intoleranz<br />

und Repression, schließlich zur Eliminierung des<br />

Anderen.<br />

Der so Handelnde glaubt, dass seine Taten gerechtfertigt<br />

und notwendig, ja sogar gut sind.<br />

BERNHARD SCHIMMELPFENNIG<br />

19


Ein FEINDBILD ist für vieles GUT<br />

Ein Feindbild ENTLASTET<br />

Ein Feindbild entlastet: Nicht wir, nicht unsere Freunde, der Feind<br />

trägt alle Schuld!<br />

Unsere verdrängten Schuld- und Minderwertigkeitsgefühle, unsere<br />

Aggressionen und Frustrationen lassen sich gefahrlos nach<br />

außen ableiten, auf ihn projizieren. Feindbilder ermöglichen ein<br />

Sündenbock-Denken.<br />

Ein Feindbild verbindet: Sind wir auch in vielem uneins, so sind<br />

wir doch verschworen gegen den Feind!<br />

Ein gemeinsamer Feind stärkt den Zusammenhalt. Er lässt uns die<br />

Reihen fest schließen und Abweichler ausgrenzen. Feindbilder fördern<br />

das Block-Denken.<br />

Ein Feindbild polarisiert: Wissen wir auch nicht, wofür wir sind, so<br />

doch wogegen! Die Fronten sind geklärt. Jeder weiß, wo er steht!<br />

Durch eine Reduktion der Möglichkeiten auf ein Entweder-Oder<br />

lassen sich die Menschen für die politische Auseinandersetzung<br />

nach Freund und Feind effektiv gruppieren und instrumentalisieren.<br />

Feindbilder pressen alles in ein Freund-Feind-Schema.<br />

Ein Feindbild aktiviert: Feindbilder überwinden Tötungshemmungen.<br />

Eigene Information und Orientierung sind nicht notwendig.<br />

Wir dürfen, wir sollen uns wehren gegen die Anderen, Fremden,<br />

Feinde, äußere wie innere. Da ist nicht nur Misstrauen, sondern<br />

auch Feindseligkeit und, wenn nötig, auch Gewalt angebracht gegen<br />

Sachen und Personen, physische, psychische, politische, ja militärische<br />

Gewalt.<br />

Feindbilder führen leicht zum kalten oder heißen Krieg.<br />

20<br />

HANS KÜNG, Spurensuche


ANATOMIE der menschlichen<br />

DESTRUKTIVITÄT<br />

Vor allem müssen wir in Betracht ziehen, dass der primitive Mensch<br />

dem „Fremden“, das heißt der Person gegenüber, die nicht zur gleichen<br />

Gruppe gehört, oft nicht das Gefühl hat, dass es sich um einen<br />

Mitmenschen, sondern um „etwas“ handelt, womit man sich<br />

nicht identifiziert. Allgemein ist der Widerstand, ein Mitglied der<br />

gleichen Gruppe zu töten, größer, und die schwerste Strafe für Verbrechen<br />

in primitiven Gesellschaften war oft die Verbannung eher<br />

als der Tod.<br />

Doch brauchen wir uns nicht auf Beispiele aus primitiven Gesellschaften<br />

zu beschränken. Selbst in einer hochzivilisierten Kultur wie<br />

der der Griechen wurden die Sklaven nicht im vollen Sinne als<br />

Menschen angesehen.<br />

Das gleiche Phänomen finden wir in der modernen Gesellschaft.<br />

Im Kriegsfall versuchen alle Regierungen, in ihrem eigenen Volk<br />

das Gefühl zu wecken, dass der Feind kein Mensch ist.<br />

Diese Zerstörung des Menschseins des Feindes erreicht ihren Höhepunkt,<br />

wenn der Feind eine andere Hautfarbe hat.<br />

Leutnant Calley, der des Mordes an einer Anzahl vietnamesischer<br />

Zivilisten – Männer, Frauen und Kinder in My Lai – angeklagt und<br />

für schuldig befunden wurde, rechtfertigte sich mit dem Argument,<br />

man habe ihm nicht beigebracht, die Soldaten des Vietkong als<br />

menschliche Wesen, sondern ausschließlich als „den Feind“ zu betrachten.<br />

Hitler tat das Gleiche, wenn er „politische Feinde“ als Untermenschen<br />

bezeichnete. Es scheint fast die Regel zu sein, dass man, um<br />

es der eigenen Seite zu erleichtern, lebende Wesen der gegenerischen<br />

Seite zu vernichten, den eigenen Soldaten das Gefühl indoktriniert,<br />

diejenigen, die sie niedermetzeln sollen, seien keine Menschen.<br />

Es macht dabei keinen Unterschied, ob das Objekt der Aggression<br />

ein Fremder, ein enger Verwandter oder ein Freund ist; was geschieht,<br />

ist, dass der Aggressor die andere Person emotional ab-<br />

21


schneidet und ihn „einfriert“. Der andere hört auf, als Mensch<br />

empfunden zu werden, und wird zu einem „Ding auf der anderen<br />

Seite“. Unter diesen Umständen bestehen keine Hemmungen<br />

mehr selbst gegenüber den schlimmsten Formen der Destruktivität.<br />

Immer wenn ein anderes menschliches Wesen nicht als menschlich<br />

empfunden wird, bekommt der Akt der Destruktivität oder<br />

Grausamkeit einen anderen Charakter.<br />

ERICH FROMM<br />

22


ANGST, die BÖSE macht<br />

So kommt man wieder auf die alte Einsicht, dass es beim Menschen<br />

keine Tugenden schlechthin gibt, vielmehr, dass wir wachsam<br />

sein müssen; was wie eine solche aussieht, kann Ausdruck<br />

ängstlicher Vermeidung neuer Lebenserfahrung sein.<br />

Alexander Mitscherlich<br />

Kann ein Mensch gut sein, der Angst hat? In der Angst weicht dem<br />

Menschen förmlich der Boden der Kultur unter den Füßen, und er<br />

stürzt wie durch ein Loch um Jahrhunderttausende zurück in die<br />

Tiefen der Vorzeit. All sein Wissen und Können dient dann nur noch<br />

dem Zweck, die uralten Programme der Angstverarbeitung technisch<br />

zu vervollkommnen. Das Leid, das ihm die Angst schafft, vermehrt<br />

sich ins Ungemessene durch das Leid, das er selber aus<br />

Angst erzeugt und mit dem er neuerlich Angst verursacht. Die<br />

Angst ist es, die Böse macht, und das Böse ist es, das Angst macht.<br />

So schließt sich der Kreis zwischen Nichts und Vernichtung und erzeugt<br />

sich ewig weiter wie von selbst … Man verbreitet den Tod aus<br />

Angst vor dem Tod, man verbreitet Schrecken und Grauen aus eigenem<br />

puren Erschrecken und Grauen …<br />

Unmittelbarer, sklavischer und unauffälliger als alle Affekte und<br />

Leidenschaften ist es im tiefsten Angst, die böse macht. Die Hervorbringungen<br />

der menschlichen Zivilisation bilden keinesfalls<br />

eine Lösung des zentralen Angstproblems; sie vermögen nicht die<br />

Gefahr zu bannen, dass das Beste und Edelste menschlicher Kulturleistungen<br />

unter dem Herzschlag der Angst in ein Instrument<br />

barbarischer Zerstörung umgeschmiedet wird. Der Widerspruch ist<br />

eklatant: auf der einen Seite vermag die fortschreitende Erkenntnis<br />

und Anwendung der Naturgesetze in der Tat die äußeren<br />

Angstsituationen in dem Quantum ihres Auftretens und ihrer Intensität<br />

wirksam zu verringern; zum anderen aber wächst der Faktor<br />

der Angst gerade infolge der zunehmenden Bewusstheit ins Ungemessene<br />

und führt Krisen der Angst herauf, die im Tierreich<br />

völlig undenkbar sind. Was kein Tier weiß, das weiß der Mensch<br />

23


sein Leben lang: eines Tages wird er sterben müssen: und er kann<br />

gegen die Armut des Daseins und gegen die Angst des Alleinseins<br />

ankämpfen so viel er will: eines Tages wird er ganz arm und ganz<br />

mit sich allein sein. Und diese Angst im Wesentlichen, weit entfernt,<br />

durch technische Arrangements beseitigt zu werden, nimmt immer<br />

mehr zu, je mehr die Angst vor einzelnen Angstsituationen dahinschwinden<br />

mag. Denn immer deutlicher zeichnet sich im Bewusstsein<br />

ab, dass alle einzelnen Angstsituationen nur Erscheinungsformen<br />

von Grundgefährdungen sind, die zur Kreatur selbst<br />

gehören und sich durch nichts vertreiben lassen. Nicht vor etwas<br />

Fremdem, Äußerem, vielmehr vor sich selber Angst zu haben, das<br />

ist menschlich und das macht den Menschen böse, wenn er für seine<br />

Angst keine Lösung weiß, die ihn als Mensch leben lässt.<br />

24<br />

EUGEN DREWERMANN, Strukturen des Bösen


„ADAM“ – Das URBILD aller MENSCHEN<br />

Der Sinai-Bund wird zu Recht als exklusive, unauflösliche, beidseitig<br />

verpflichtende Abmachung zwischen Gott und diesem einen<br />

Volk verstanden, durch die sich Israel klar von den Naturmythen<br />

polytheistischer Religionen seiner Umwelt unterscheidet. Doch darf<br />

über dem Sinai-Bund nicht der vorausgehende allgemeinere<br />

Abrahamsbund auch mit den Kindern Ismaels (den Muslimen) und<br />

erst recht nicht der noch frühere, ganz und gar universale Noach-<br />

Bund vergessen werden.<br />

Denn der mit Noach als dem Überlebenden der großen Flut geschlossene<br />

Bund war ein Bund mit der ganzen Schöpfung. Er gilt<br />

Menschen und Tieren, gilt Beschnittenen und Unbeschnittenen,<br />

kennt keinen Unterschied der Rassen, Klassen und Kasten, ja, auch<br />

nicht der Religionen!<br />

Sein Zeichen ist nicht wie beim Abrahams-Bund die Beschneidung,<br />

sondern der Regenbogen, der die ganze Erde, alle Menschen und<br />

alle Völker überwölbt. Schon dieser universale Bund brachte der<br />

Bibel zufolge klare Verpflichtungen für die Menschheit als Ganze<br />

mit sich, damit sie erhalten und nicht zerstört werde.<br />

Dem Menschheitsbund entspricht ein Menschheitsethos!<br />

Man könnte bei dieser Erhaltensordnung von einem minimalen<br />

Grundethos der Ehrfurcht vor dem Leben sprechen: nicht morden<br />

und nicht das Fleisch lebender Tiere essen!<br />

Begründung für das Nicht-Morden: „denn Gott hat den Menschen<br />

– eben jeden Menschen! – nach seinem Bild erschaffen.“ (Gen.9,6)<br />

Ja, jeder Mensch ist nach den ersten Seiten der Bibel „Gottes Ebenbild<br />

und Gleichnis“. (Gen.1,26)<br />

Und so ist denn „Adam“ nicht etwa der erste Jude, wie er auch<br />

nicht der erste Christ und nicht der erste Muslim ist. „Adam“ ist einfach<br />

„der Mensch“: „Adam“ – das Urbild aller Menschen!<br />

HANS KÜNG, Spurensuche<br />

25


Ein GRUNDETHOS<br />

Eindrucksvoll vor allem der Propheten Einsatz für ein<br />

Grundethos: Die humanen Forderungen nach Gerechtigkeit,<br />

Wahrhaftigkeit, Treue, Frieden und Liebe werden<br />

als Forderungen Gottes vorgetragen.<br />

Kein Gottesdienst ohne Menschendienst!<br />

Diese Grundeinsicht verdankt man den Propheten. Ja,<br />

die gewaltigen Stimmen der Propheten hallen fort bis in<br />

die Gegenwart, auch wenn man in allen drei abrahamischen<br />

Religionen immer wieder versucht hat, sie interpretierend<br />

zu domestizieren und sie den Gesetzeslehrern<br />

und Hierarchien unterzuordnen, so dass das<br />

Prophetentum in diesen Religionen erloschen scheint.<br />

26<br />

HANS KÜNG, Spurensuche


Der „EINE GOTT“<br />

Das Ziel aller Religionen ist der eine Gott, zu dem sie auf<br />

verschiedenen Wegen führen:<br />

„Wie verschiedene Ströme, die ihre Quellen an verschiedenen<br />

Orten haben, allesamt ihr Wasser in das<br />

Meer gießen, so, o Herr, führen die verschiedenen Pfade,<br />

welche die Menschen mit ihren verschiedenen Tendenzen<br />

einschlagen, so unterschiedlich sie auch sind,<br />

gekrümmt oder gerade, allesamt zu dir.“<br />

HINDUISTISCHER VERS<br />

27


RELIGION und SCHLICHTHEIT<br />

Das, was zu erschaffen wir selbst uns anschicken, wird letztendlich<br />

kompliziert. Unsere Gesellschaft ist kompliziert, unsere Welt ist<br />

kompliziert, der Lauf unseres Lebens ist kompliziert. Indem sie<br />

durch ihre mannigfache Vielfalt Fülle und Mächtigkeit vortäuscht,<br />

überwältigt diese Kompliziertheit oft unseren törichten Geist. Unser<br />

unwissender Intellekt schreibt gerade dem philosophischen<br />

Werk, dessen Inhalt überaus verschlungen ist, besondere Gelehrsamkeit<br />

zu und empfindet Erstaunen. Die Zivilisation, deren gesamte<br />

Läufe und Methoden schwer zu begreifen und verwirrt sind,<br />

deren Maschinerie und Fabriken, Vorbereitungen und Zutaten<br />

reichlich und ausgedehnt sind, verwirrt unser schwaches Gemüt.<br />

Aber der Philosoph ist wahrhaft fähig und mit Geisteskraft versehen,<br />

der die Philosophie leicht machen und erklären kann; die Zivilisation<br />

ist wahrhaft fortgeschrittener, die alle ihre Einrichtungen<br />

durch Schlichtheit geregelt und überall leicht zugänglich machen<br />

kann. Wie auch immer sie äußerlich aussehen möge – gerade<br />

Kompliziertheit ist Schwäche, ist Misserfolg; Vollkommenheit aber<br />

ist Schlichtheit. Religion ist das einzige, höchste Ideal jener Vollkommenheit,<br />

deshalb auch von Schlichtheit.<br />

Aber so groß ist unser Unglück, dass der Mensch ebendiese Religion<br />

mit der größten Kompliziertheit der Welt erfüllt hat. Durch<br />

unzählige Regeln und Gebete, künstliche Ritualhandlungen, komplizierte<br />

Doktrinen und mannigfache Einbildung ist sie so undurchdringlich<br />

und schwer zugänglich geworden, dass in jener<br />

selbst gemachten dunklen Kompliziertheit des Menschen tagtäglich<br />

irgendein Beharrlicher irgendeine neue Gemeinde gründet,<br />

indem er irgendeinen neuen Pfad vorzeichnet. Durch den Zusammenprall<br />

der verschiedenen Gemeinden und Doktrinen sind<br />

auf der Erde Hader und Hass, Unfrieden und Unheil grenzenlos.<br />

Warum ist es so gekommen? Der einzige Grund hierfür ist, dass<br />

wir uns nicht mit ganzem Herzen der Religion ergeben, sondern<br />

versucht haben, die Religion uns entsprechend zu gestalten, dass<br />

wir, um uns die Religion wie andere notwendige Gegenstände die-<br />

28


ser Welt besonders brauchbar zu machen, sie den eigenen Maßstäben<br />

gemäß in besonderer Weise zurechtstutzen.<br />

Kein Zweifel, die Religion ist für uns das allerhöchste Unentbehrliche;<br />

aber gerade deshalb wird, sobald man sich anschickt, sie sich<br />

brauchbar zu machen, eben diese ihre allerhöchste Unentbehrlichkeit<br />

zerstört. Gerade weil sie jenseits der kleinen Unterschiede<br />

von Land, Zeit und Volk, weil sie makellos und unveränderlich ist,<br />

ist sie für alle unsere Tage, für alle unsere Lebenslagen so überaus<br />

unentbehrlich. Gerade weil sie jenseits von uns ist, gibt sie uns für<br />

ewige Zeit bei allen Veränderungen festen Halt.<br />

Aber die Religion muss man sich doch vorstellen! Möchte man sie<br />

sich vorstellen, so muss man sie unserer Natur gemäß gestalten.<br />

Doch die Natur des Menschen ist mannigfaltig; folglich wird gemäß<br />

dieser Mannigfaltigkeit das, was eins ist, zu vielem. Wo vieles<br />

ist, dort ist Kompliziertheit unvermeidlich; wo Kompliziertheit ist,<br />

dort kommt von alleine Hader hinzu.<br />

Aber die Religion braucht man sich nicht vorzustellen! Gott, der<br />

Herrscher über die Religion, ist jenseits der Vorstellung. Was wir<br />

uns vorstellen, ist nicht er, es ist irgendetwas anderes; das ist nicht<br />

Religion, das ist die Welt. Folglich offenbaren sich darin alle Merkmale<br />

der Welt. Das Merkmal der Welt ist Mannigfaltigkeit, das<br />

Merkmal der Welt ist Hader.<br />

Durch das, was wir uns vorstellen können, endet unsere Zufriedenheit;<br />

in dem, was wir uns vorstellen, kann jeden Augenblick<br />

eine Veränderung stattfinden. Gerade in der Hoffnung auf Glückseligkeit<br />

schicken wir uns an, uns alles vorzustellen; aber durch<br />

das, was wir uns vorstellen, endet unsere Glückseligkeit. Deshalb<br />

steht in der Upanischad:<br />

yo vai bhûmâ tat sukham nâlpe sukham asti<br />

Was Fülle ist, das eben ist Glückseligkeit; was wenig ist, darin ist<br />

keine Glückseligkeit.<br />

Wenn wir jene Fülle zu wenigem machen, um sie unserer Vorstellung<br />

anzupassen, dann wird das Leid verursachen; wie aber soll<br />

man sich vor dem Leid schützen? Deshalb muss man in der Welt<br />

verhaftet die Fülle wahrnehmen; doch darf es nicht angehen, dass<br />

man jene Fülle durch die Welt zerstückelt und vermengt.<br />

29


Lasst mich ein Beispiel geben! Ein Haus ist etwas für uns Notwendiges;<br />

es ist für unser Wohnen geeignet. Der freie Luftraum ist für<br />

uns nicht auf diese Weise zum Wohnen geeignet, aber diesen<br />

freien Luftraum frei zu halten ist für uns ganz unentbehrlich. Nur<br />

wenn wir die ungehinderte Verbindung des Luftraums in unserem<br />

Hause mit dem freien Luftraum aufrechterhalten, wird unser Haus<br />

nicht zum Gefängnis, gleichsam zum Grab für uns. Aber wenn ich<br />

sage, ich werde mir den Luftraum genau wie ein Haus zu eigen<br />

machen, und wenn ich nur immer weiter Mauern im Luftraum errichte,<br />

dann erweitert sich nur unser Haus, der freie Luftraum aber<br />

entschwebt von der Ferne in noch weitere Ferne. Wenn wir ein großes<br />

Dach erbauen und uns einbilden, wir hätten uns den gesamten<br />

Luftraum zu eigen gemacht, dann bringen wir uns um den<br />

Himmel, den Geburtsort des Lichtes, das ewige Spielfeld von Erde,<br />

Luft und Lichtsphäre. Was man überaus einfach erlangen kann,<br />

was man nicht anders als einfach erlangen kann, das macht man<br />

gerade durch die eigenen, reichlichen Bemühungen zu etwas, das<br />

überaus schwer zu erlangen ist. Durch Umschließen kann man allen<br />

anderen Gewinn der Welt erlangen; nur die Religion, den Herrscher<br />

über die Religion, erlangen wir, indem wir die Umschließung<br />

durchbrechen. Durch die der Welt eigenen Methoden des Erlangens<br />

kann man nicht das jenseits der Welt Stehende erlangen. In<br />

der Tat: dort, wo wir Anspruch auf die Freude des Nichtbekommens<br />

hätten, verlieren wir nur durch den zwecklosen Versuch des<br />

Bekommens.<br />

RABINDRANATH TAGORE, Mein Vermächtnis<br />

30


Religiöser HOCHMUT<br />

Wenn in einer Religionsgemeinschaft es gerade die Unerbittlichkeit<br />

ist, die übermächtig wird, dann verbindet diese nicht die Menschen,<br />

sondern entzweit sie. Daher sät eine Religion, wenn sie<br />

Selbstzucht und Kasteiung zu ihrem wichtigsten Merkmal macht,<br />

wenn sie vor allem Brauch und Ritual den vornehmsten Platz einräumt,<br />

Zwiespalt unter den Menschen. Dann hindert ihre trostlose<br />

Strenge sie am Zusammenkommen mit allen; in strenger Absonderung<br />

hält sie sich in ihren eigenen Gesetzen eingeschlossen.<br />

Stets ängstigt sie sich, ob nicht durch eine Regelverletzung ein Vergehen<br />

zustande komme. Eben deshalb muss sie, jeden beiseite<br />

schiebend, sich selbst abseits halten. Nicht nur das: Gerade weil<br />

ein gewisser Hochmut im Einhalten von Regeln den Menschen hart<br />

macht, weil eine gewisse Gier nach dem Einhalten von Regeln sich<br />

seiner bemächtigt und es ihm zur Gesinnung wird, alle diese Regeln<br />

als festen Glauben anzusehen, erwächst in ihm dort, wo er<br />

das Fehlen dieser Regeln bemerkt, eine gewaltige Geringschätzung.<br />

Der Hang zum Zusammenkommen ist eine Sache, die über dem<br />

Streben nach Eigenständigkeit steht. Wenn das Streben nach Eigenständigkeit<br />

die naturgegebene Eigenschaft des Zusammenkommens<br />

gänzlich überwältigt und sich einen Platz über ihr aneignet,<br />

dann entsteht genauso Unrecht, wie wenn ein Sklave den<br />

König ermordet und sich auf den Thron schwingt. Eben deshalb<br />

steht, auch wenn die intellektuelle Kraft der Selbstsucht – sei sie familiärer,<br />

sozialer oder nationaler Art – den Menschen in die Richtung<br />

der Eigenständigkeit hinzieht, die intellektuelle Kraft der Religion<br />

darüber und ruft ihn beständig in Richtung auf die Welt, die<br />

gesamte Menschheit hin.<br />

RABINDRANATH TAGORE, Mein Vermächtnis<br />

31


Was WIR uns WÜNSCHEN<br />

Was wir uns wünschen ist eine Religion,<br />

die nicht trennt und spaltet, sondern eine Religion,<br />

die verbindet und versöhnt.<br />

Denn was unsere Zeit vor allem braucht,<br />

sind Brückenbauer:<br />

Brückenbauer im großen und kleinen.<br />

Brückenbauer, die bei allen Schwierigkeiten,<br />

Gegensätzen, Konfrontationen doch das<br />

Gemeinsame sehen:<br />

Das Gemeinsame im Judentum,<br />

Christentum und im Islam.<br />

Nur wenn wir wissen, warum es so gekommen ist,<br />

können wir verstehen, wie es um uns steht,<br />

können wir vermuten, wohin sich alles wendet …<br />

Wir sind die Hoffnung, wir bauen Brücken ….<br />

32<br />

HANS KÜNG, Projekt Weltethos


Biografie ANDREA MOLINO<br />

Der Komponist und Dirigent <strong>Andrea</strong> <strong>Molino</strong> wurde 1964 in Turin<br />

geboren. Seine Studien führten ihn nach Mailand, Venedig, Paris<br />

und Freiburg. 1996 übernahm er die Musikalische Leitung der<br />

„Pocket Opera Company“ in Nürnberg. Zwei seiner dort zur Uraufführung<br />

gekommenen eigenen Projekte „The Smiling Carcass“<br />

(1999), ein Werk, das sich mit der Werbung befasst, und „Those<br />

Who Speak In A Faint Voice“ (2001), ein Stück über die Todesstrafe,<br />

stehen beispielhaft für sein Engagement eines innovativen, multimediaorientierten<br />

Musiktheaters. Das von der Europäischen Gemeinschaft<br />

unterstützte Todesstafe-Projekt wurde – nachdem es<br />

unter Mitwirkung des Phoenix Ensembel Basel in Basel und Nürnberg<br />

aufgeführt worden war – mit David Moss, dem renommierten<br />

amerikanischen Vokalisten, und dem Klangforum Wien in New<br />

York und Mailand gezeigt. <strong>Andrea</strong> <strong>Molino</strong>s Werke kamen u.a.<br />

auch am Staatstheater Darmstadt, beim Musikmonat Festival in<br />

Basel und an den Städtischen Bühnen Münster zur Aufführung.<br />

1996 erhielt er überdies eine Einladung als „Composer in Residence“<br />

für das „Banff Festival for the Arts“ in Kanada. Im September<br />

2000 engagierte „Fabrica Musica“ <strong>Andrea</strong> Molina dann als<br />

Künstlerischen Direktor. Das italienische Kommunikations- und<br />

Studienzentrum „Fabrica“ wurde 1994 in der Nähe von Treviso gegründet,<br />

es experimentiert mit neuen Formen der Kommunikation;<br />

„Fabrica Musica“ befasst sich dabei mit alternativen Herangehensweisen<br />

an die Musik. Dort erfolgten musikalische Projekte in<br />

Zusammenarbeit mit Heiner Goebbels, David Moss, Koichi Makigami,<br />

Phil Minton, Michael Nyman und Alexander Balanescu. Eigene<br />

Arbeiten von <strong>Molino</strong> entstanden, wie „Voices“, im Oktober<br />

2000 beim „Roma Europa“-Festival uraufgeführt mit David Moss<br />

und bisher unveröffentlichtem Videomaterial von Godfrey Reggio<br />

aus dem „Massman Manifesto“; „Drops On A Hot Stone“, in Zusammenarbeit<br />

mit „UN Volunteers“, das – nach einer Voraufführung<br />

in Berlin – 2001 auf dem Kapitol in Rom Premiere hatte, und<br />

als großes, abendfüllendes Werk „Credo“, ein Multimediales Musiktheaterprojekt,<br />

das ethnische und religiöse Konflikte themati-<br />

33


siert, eine Ko-Produktion mit dem Badischen Staatstheater Karlsruhe.<br />

Als Dirigent arbeitete <strong>Andrea</strong> <strong>Molino</strong> u.a. mit dem BBC Scottish<br />

Symphony Orchestra zusammen, den Bochumer Symphonikern,<br />

der Norddeutschen Philharmonie, dem Orchestra della Svizzera<br />

Italiana und dem Queensland Symphony Orchestra; er eröffnete<br />

2003 in Brisbane, Australien, das „Queensland Biennial Music<br />

Festival“. Weitere Dirigierverpflichtungen führten ihn an das Teatro<br />

Comunale Bologna, das Teatro dell’Opera Rom, Teatro Massimo<br />

in Palermo, Teatro S. Carlos, Lissabon, an das Staatstheater<br />

Darmstadt, das Teatro Regio in Turin, Teatro Lirico in Spoleto sowie<br />

zu dem „Musik der Jahrhunderte“ Festival nach Stuttgart, der<br />

Biennale Zagreb und dem „Meistersinger“-Festival Nürnberg.<br />

Beim „Edinburgh-International-Festival“ dirigierte er die UA-Premiere<br />

von Heiner Goebels „Surrogate Cities“. Seit 1992 produziert<br />

<strong>Andrea</strong> <strong>Molino</strong> regelmäßig Aufnahmen mit der italienischen CD-<br />

Firma Stradivarius. Seine Aufnahmen und Konzerte wurden u.a.<br />

übertragen von der BBC, von RAI, dem WDR und dem Bayerischen<br />

Rundfunk, von Radio France, RTBF (Belgien) sowie den Schweizer<br />

Sendern RTSR und RTSI.<br />

34


FABRICA<br />

Fabrica, das italienische Kommunikations- und Studienzentrum der<br />

Benetton Group, wurde 1994 in der Nähe von Treviso, Italien, gegründet.<br />

Fabrica hat das Ziel, die verborgene Kreativität junger Künstler und<br />

Forscher der ganzen Welt zu fördern. Im Anschluss an ein sorgfältiges<br />

Selektionsverfahren werden die Auserwählten eingeladen, konkrete<br />

Kommunikationsprojekte unter Leitung einiger der wichtigsten<br />

Vertreter des jeweiligen Genres zu entwickeln.<br />

In seiner Rolle als Labor für angewandte Kreativität (der Name Fabrica<br />

stammt schließlich von dem lateinischen Wort für „Werkstatt“)<br />

experimentiert Fabrica mit neuen Formen der Kommunikation.<br />

Die unterschiedlichsten Partner haben sich bereits bei Projekten von<br />

Fabrica engagiert: von gemeinnützigen Organisationen wie die FAO<br />

(die Welternährungs- und -Landwirtschaftsorganisation der Vereinten<br />

Nationen), die UN, das UNHCR (der Hohe Flüchtlingskommissar der<br />

Vereinten Nationen) und SOS Racisme (französische Organisation gegen<br />

Rassismus) bis hin zu kulturellen Institutionen und Museen verschiedener<br />

Länder. Hierbei wurden Fabrica Lob und Auszeichnungen<br />

zuteil, die ihr den Ruf als eines der aufregendsten und international<br />

anerkanntesten Kulturzentren bescherten. In diesem Zusammenhang<br />

wurde 1998 „Fabrica Cinema“ gegründet, das die systematische<br />

Intervention zugunsten der neuen unabhängigen Stimmen des Films<br />

der „restlichen Welt“ (insbesondere Afrikas, der arabischen Welt,<br />

Asiens und Lateinamerikas) fortsetzte. „Fabrica Cinema“ charakterisiert<br />

die Strategie der sozialen Kommunikation der Benetton Group,<br />

die bereits als Hauptsponsor und Partner der Montecinemaverità Stiftung<br />

in der Schweiz auftritt, in Zusammenarbeit mit der Abteilung für<br />

die internationale Kooperation des Schweizer Außenministeriums.<br />

Zu den Aktivitäten von Fabrica Cinema zählen die unter der Leitung<br />

von Marco Müller erstellten Koproduktionen einer Reihe bedeutender<br />

Filme, die auf den wichtigsten europäischen Filmfestspielen zu sehen<br />

waren. Der erste Film der Kollektion 2000-2001, Blackboards, der<br />

jungen iranischen Regisseurin Samira Makhmalbaf gewann den<br />

Sonderpreis der Jury in Cannes im Jahre 2000. Gleich darauf folgte<br />

35


der Film No Man’s Land von dem bosnischen Regisseur Danis Tanovic,<br />

der den Preis für das beste Drehbuch in Cannes 2001 gewann,<br />

den Golden Globe und 2002 den Oscar für den besten ausländischen<br />

Film erhielt. Darüber hinaus wurde Secret Ballot von Babak<br />

Payami (Iran) mit der Auszeichnung für die beste Regie in Venedig<br />

2001 bedacht.<br />

Die Betätigungen im Bereich der traditionellen Medienformen wie<br />

zum Beispiel dem Verlagswesen, brachten eine wichtige Reihe von<br />

Publikationen hervor, bei denen Fabrica häufig für die Fotografie<br />

verantwortlich zeichnet. Beispiele hierfür sind Prayer (eine Sammlung<br />

moderner Gebete, die in 11 Ländern vertrieben wird), 1000 Extra/<br />

Ordinary Objects (die verrücktesten Objekte des 20. Jahrhunderts,<br />

die sich während des zehnjährigen Bestehens von Colors angesammelt<br />

haben), Lavoratori (eine Fotoreportage in schwarz-weiß über<br />

Nicht-EU Einwanderer, die in nordost-italienischen Fabriken arbeiten)<br />

und Kosovars (Portraits von Kosovo-Flüchtlingen in albanischen<br />

Lagern). Zu den Publikationen von Fabrica zählt auch das Magazin<br />

Colors, das in über 60 Ländern erhältlich ist, in fünf unterschiedlichen<br />

Ausgaben und sechs verschiedenen Sprachen erscheint. Die Redaktion<br />

des auch im Internet verfügbaren Magazins hat ihren Hauptsitz<br />

im Gebäude von Fabrica.<br />

Die Projektforschung für Neue Medien agiert in enger Wechselwirkung<br />

mit „Fabrica Musica“, das eine neue Herangehensweise an die<br />

Musik entwickelte. Das offizielle Debüt fand im Oktober 2000 in<br />

Roms Teatro Nazionale anlässlich des Roma Europa Festivals mit dem<br />

multimedialen Konzert VOICES statt, mit originalem Videomaterial<br />

von Godfrey Reggio aus dem Projekt Massman Manifesto und dem<br />

renommierten amerikanischen Vokalisten David Moss als „special<br />

guest“. Weitere Projekte waren u.a. Koichi Makigamis Paradise from<br />

Vocalbox auf dem Festival Klangspuren, Riccardo Novas East aka<br />

West auf der Biennale Zagreb und dem Musik der Jahrhunderte Festival<br />

Stuttgart sowie die musikalische Performance The Left Hand Of<br />

Glenn Gould, eine Kooperation zwischen Fabrica Musica und dem<br />

Institut für angewandte Theaterwissenschaften der Universität in Gießen<br />

unter der Leitung von Heiner Goebbels.<br />

Kreativität und die Erforschung neuer Ausdrucksformen stehen auch<br />

im Mittelpunkt von „Wanted: Creativity“, einer Serie von Meetings zur<br />

36


visuellen Kultur, die von Fabrica gefördert wird. An den Meetings werden<br />

jeden Monat einige der wichtigsten und exzentrischsten Persönlichkeiten<br />

der Welt der Künste, Kultur und Kommunikation teilnehmen,<br />

die von Fabrica zu Workshops, Konferenzen oder besonderen<br />

Events eingeladen werden.<br />

DAVID MOSS<br />

David Moss zählt zu den bedeutendsten Avantgarde-Sängern und<br />

Perkussionisten für zeitgenössische Musik, der als Solist in aller Welt<br />

aufgetreten ist. 1991 erhielt er ein Stipendium der Guggenheim-<br />

Stiftung; 1992 ein DAAD-Stipendium (Berlin).<br />

Moss ist Mitbegründer (mit Muziektheater Transparant) und künstlerischer<br />

Leiter des Institute for Living Voice (ILV), ein Institut für die<br />

Organisation von Sänger-Workshops. ILV wird die Sessionen 2004<br />

im Juni, anlässlich der Holland-Festspiele in Amsterdam, und im<br />

Oktober am Festival von Melbourne präsentieren.<br />

2003 trat Moss als Solist mit den Berliner Philharmonikern unter<br />

Simon Rattle auf; sein Debüt an der Carnegie Hall gab er 2003 mit<br />

dem American Composers Orchestra unter der Leitung von Steven<br />

Sloane. Er hat mit dem Uri Caine Ensemble im Lincoln Center gesungen<br />

und nahm als Solist an der Erstaufführung von Olga Neuwirths<br />

Oper „Lost Highway“ im Rahmen des Steirischen Herbstes teil.<br />

Moss kehrte im Sommer 2001 zu den Salzburger Festspielen als Prinz<br />

Orlofsky in Hans Neuenfels’ Neuinszenierung von „Die Fledermaus“<br />

zurück. 1999 war er bereits als Solist in der Salzburger Premiere der<br />

„Cronaca del Luogo“ von Luciano Berio aufgetreten. Weitere Gesangsauftritte<br />

am Festival von Edinburg, am Spoleto Festival, in den<br />

USA, auf den Luzerner Festspielen in Heiner Goebbels „Surrogate Cities“<br />

in der Bearbeitung für Orchester sowie als Solist im „Prometheus“<br />

von Goebbels. Seit 1995 Gastauftritte mit dem Ensemble<br />

Modern, darunter kürzlich das „Frank Zappa Project“, am Festial von<br />

Taipeh, an den Pariser Festspielen sowie im Concertgebouw. Moss<br />

war auch als Solist bei <strong>Andrea</strong> <strong>Molino</strong>s „Death Penalty Project“ beteiligt.<br />

2005 wird er als Solist in einer Premiere von Schönbergs „Pierrot<br />

Lunaire“ mit dem Alter Ego Ensemble mitwirken.<br />

37


Interview mit ANDREA MOLINO,<br />

Direktor von FABRICA MUSICA<br />

CREDO ist ein multimediales Projekt zum Thema ethnische Konflikte,<br />

insbesondere der Mischlingsproblematik. Können Sie uns<br />

sagen, wie dieses Projekt entstanden ist?<br />

Wie das so oft der Fall ist, waren mehrere kleinere Episoden, Ideen,<br />

Gedankengänge, die sich im Laufe der Zeit überlagert haben, die<br />

Basis für dieses Projekt. Ich erinnere mich zum Beispiel an eine Stipendiatin<br />

von Fabrica, Joy Frempong, halb Schweizerin, halb Ghanaerin,<br />

die mir von ihren Gefühlen und Empfindungen erzählte, die<br />

sie auf der Suche nach ihrer Identität seit ihrer Kindheit begleitet haben.<br />

Ihre persönliche Geschichte hatte mich fasziniert. Dann erweckten<br />

verschiedene literarische Zitate und Bruchstücke aus der Bibel<br />

und anderen Heiligen Büchern mein Interesse. All dies bildete<br />

Schichten und langsam nahmen die Gedanken, auch musikalischer<br />

und dramaturgischer Art, genauere Formen an. Eine besondere Rolle<br />

spielte meine Reise nach Karlsruhe und die Begegnung mit Achim<br />

Thorwald, dem Intendanten des Badischen Staatstheaters, mit dem<br />

von Anfang an eine Übereinstimmung der Interessen bestanden hatte.<br />

So beschlossen wir eineinhalb Jahre später, gemeinsam mit David<br />

Moss, den Musikern von Fabrica Musica und Schauspielern des<br />

Badischen Staatstheaters, begleitet von der Badischen Staatskapelle<br />

mit über 90 Musikern, daraus ein großes Projekt zu machen, eine<br />

komplexe, multimediale Aufführung, verbunden über Satelliten mit<br />

drei Partnerstädten, Istanbul, Jerusalem und Belfast, die ethnische<br />

und religiöse Konflikte hautnah erlebt haben und immer noch erleben.<br />

Stand CREDO als Titel von Anfang an fest?<br />

Ja, „<strong>credo</strong>“ („ich glaube“): das erste Wort des apostolischen Glaubensbekenntnisses.<br />

„Credo“ als Bekenntnis zum Glauben, aber auch<br />

38


im allgemeinen Sinn, zum alltäglichen Leben. In jedem Krieg beten<br />

die Konfliktparteien zu ihrem Gott um den Sieg. Aber wie Mark Twain<br />

geschrieben hat, zu Gott um den eigenen Sieg zu beten, bedeutet<br />

auch, um Tod und Vernichtung der Gegner zu bitten. Um diesen Gedanken<br />

besser zu erklären, dachten wir an einen Untertitel, Gottes<br />

Unschuld, den wir einem am Tag nach dem 11. September 2001 erschienenen<br />

Artikel von José Saramago entnommen haben, in dem<br />

er den „Gottesfaktor“ in den heutigen Konflikten definiert. Saramago<br />

kommt in seinem Essay zum dem Schluss, dass „dennoch und<br />

trotz allem Gott unschuldig ist“. Denn für den, der glaubt, ist Gott<br />

unschuldig, da er das Gute an sich ist; und für den, der nicht glaubt<br />

– wie Saramago – „ist er unschuldig wie etwas, das nicht existiert“.<br />

Auch von extremen und gegensätzlichen Standpunkten aus betrachtet<br />

ist der Schluss der gleiche: die Motivationen für Kriege und Konflikte<br />

sind anderswo zu suchen. Die Absurdität dieser Situation steht<br />

im Mittelpunkt unseres Projektes, veranschaulicht vor allem am Beispiel<br />

der so genannten „Bastarde“, die auf konkrete Weise die<br />

Paradoxie der unnötigen Auseinandersetzungen verkörpern.<br />

Was genau verstehen Sie unter Bastarden?<br />

Dazu muss ich einige Bemerkungen vorausschicken. Die Diskriminierung<br />

derer, die „irregulär“ geboren werden, ist uralt: im 5. Buch<br />

Moses 23,2 heißt es, „dem als Bastard Geborenen bleibt der Eintritt<br />

in die Gemeinschaft des Herrn bis in die zehnte Generation verwehrt“.<br />

Diese Intoleranz existiert daher bereits seit den Anfängen unserer<br />

Kultur. Auf unseren Reisen in verschiedene Länder haben wir<br />

die Oberhäupter verschiedener Glaubensgemeinschaften unterschiedlicher<br />

Konfessionen interviewt. Es war erschütternd zu entdecken,<br />

wie alle Kirchen geradezu besessen sind, eine körperliche,<br />

fleischliche Vereinigung ihrer Gläubigen mit Personen anderen<br />

Glaubens zu verhindern. All dies ist irrational. Und wir sind überzeugt,<br />

dass gerade in einer kulturell so komplexen und gefährlichen<br />

Situation, wie wir sie heute erleben, die „Bastarde“ zum idealen Spiegelbild<br />

für die Absurdität der Konflikte werden können, weil sie den<br />

konkreten – fleischlichen – Beweis verkörpern, dass unterschiedliche<br />

39


Völker, Kulturen und Religionen miteinander leben können. In Belfast,<br />

Jerusalem und Istanbul, aber auch in über einem Dutzend anderer<br />

Städte der Welt, haben wir Menschen gesucht, die aus Mischehen<br />

stammen und ihre besondere Situation sowie die Gewalt<br />

lokaler Rassenkonflikte am eigenen Leib verspüren. Um sie in den<br />

Mittelpunkt der Bühne zu stellen, sie reden zu lassen, sie auch nur zu<br />

zeigen: als konkrete Zeugen aus Fleisch und Blut dafür, dass Kriege<br />

nur in den Köpfen und nicht in den Dingen existieren. Denn es ist<br />

ihre ureigenste, unübertragbare, körperliche Existenz, nicht eine<br />

Theorie, ein Satz oder eine gute Absicht, die den psychologischen<br />

Ursachen der Konflikte den Boden entzieht.<br />

Warum sind Ihrer Meinung nach Krieg und Intoleranz nur in den<br />

Köpfen und nicht in den Dingen?<br />

Hört man zum Beispiel die in Südafrika gemachten Interviews, stößt<br />

man auf absolut paradoxe Situationen, wie die eines südafrikanischen<br />

Mädchens, Tochter eines weißen, christlichen Vaters und einer<br />

schwarzen, moslemischen Mutter. Am ersten Schultag, in Begleitung<br />

der Mutter, wurde erklärt, dass die Klasse komplett sei: für sie gäbe<br />

es keinen Platz. Am nächsten Tag, diesmal begleitet von ihrem weißen<br />

Vater, erhielt sie sofort einen Platz und nahm den Unterricht auf.<br />

Dieses Beispiel – wie unendlich viele andere – zeigt, dass die Probleme<br />

gedanklicher Art sind, in Wirklichkeit existieren sie nicht: sie<br />

liegen eben in den Köpfen und nicht in den Dingen.<br />

Ich bin zutiefst überzeugt, dass Kultur und Kunst auch die Funktion,<br />

ich würde sagen die Pflicht haben, den Versuch zu machen, diesen<br />

Vorurteilen den Boden zu entziehen. Was ich daher mit dem Projekt<br />

CREDO erreichen will, ist ein wenig Konfusion auszulösen.<br />

Verzeihung, sagten Sie Konfusion?<br />

Ja, Konfusion, Verunsicherung, Verwirrung. Ich möchte das Publikum<br />

bei diesem Event mit Personen, Situationen und Ideen konfrontieren,<br />

die mit tief verwurzelten, vorgefassten Meinungen bezüglich Rasse,<br />

Anderssein, Vorherrschaft, Gewalt, Konflikt aufräumen. Zum Beispiel<br />

40


ist „Bastard“ zu sein in Brasilien eine große Bereicherung und Grund<br />

zur Fröhlichkeit. Ich möchte, dass die Besucher CREDO mit weniger<br />

klaren Überzeugungen und verunsichert verlassen.<br />

Es gibt einen weiteren Aspekt, den ich hervorheben möchte, der sich<br />

auch aus den Interviews, die wir in verschiedenen Städten gemacht<br />

haben, überaus deutlich herauskristallisiert hat: das gemeinsame<br />

Element, das alle diese Konflikte, die scheinbar voneinander so verschieden<br />

sind, zu verbinden scheint, ist Angst. Sobald sich eine Gruppe<br />

von Personen, aus welchem Grund auch immer, bedroht fühlt –<br />

oder, und das passiert mit erschreckender Häufigkeit, sie glaubt,<br />

bedroht zu sein – wird jedes rationale Element in der Beziehung zur<br />

gegnerischen Gruppe bedeutungslos. Angst drängt eine ganze Gemeinschaft<br />

„in die Ecke“, zerquetscht sie in einer Abwehrhaltung und<br />

öffnet logischerweise einer Reaktion von unvorstellbarer Gewalt Tür<br />

und Tor. Wie das ein wunderbarer Satz eines deutschen Textes zum<br />

Ausdruck bringt, der auch in unsere Texte aufgenommen wurde: „Es<br />

ist die Angst, die böse macht, und es ist das Böse, das Angst macht.<br />

So schließt sich der Kreis zwischen Nichts und Vernichtung, der sich<br />

immer wieder neu, wie von selbst reproduziert. Aus Angst vor dem Tod<br />

wird Tod verursacht.“<br />

Wie, wo und wann findet dieser Event statt?<br />

Der wesentliche Teil von CREDO ist multimediales Musiktheater, an<br />

dem die Badische Staatskapelle, der Vokalist David Moss, sieben<br />

Schauspieler vom Badischen Staatstheater und die jungen Musiker<br />

von Fabrica Musica teilnehmen; dazu kommen Videos, literarische<br />

Texte, Auszüge aus Interviews und lyrische Passagen, die sich in den<br />

dramaturgischen und musikalischen Sinn dieses Werkes einfügen.<br />

Regie führt Achim Thorwald, Intendant des Theaters, der gemeinsam<br />

mit mir auch das „Libretto“ zu diesem Projekt geschrieben hat. Weltpremiere<br />

ist am 30. April 2004 am Staatstheater Karlsruhe, Wiederholung<br />

am 2. Mai. Drei Städte, Istanbul, Belfast und Jerusalem, werden<br />

über Satelliten angeschlossen sein und junge, lokale Musiker,<br />

die ihre Stücke in Fabrica erarbeitet haben, werden live echte „Fens–<br />

41


ter“ öffnen: begleitet vom großen, deutschen Orchester werden sie<br />

während der Aufführung ihre Musik live von sich zu Hause spielen.<br />

Also ein Event auch mit einer starken technologischen Komponente…<br />

Der für mich in dieser Hinsicht bedeutungsvollste Aspekt ist, dass<br />

Technologie, in modernen Aufführungen oft auf ein bloßes, dekoratives<br />

Beiwerk reduziert, zu einem wahren linguistischen Faktor wird,<br />

integrierender Bestandteil einer theatralischen und musikalischen Inszenierung.<br />

Wie ein Mikrofon – um ein einfaches Beispiel zu nennen<br />

–, das bei richtigem Gebrauch zu einem musikalischen Instrument<br />

wird, ein klangliches Vergrößerungsglas, nicht einfach ein Lautverstärker.<br />

Dass Musiker auf eine Entfernung von 3.000 Kilometer gemeinsam<br />

musizieren, wird so zu einem dramaturgischen Element:<br />

die Entfernung wird imaginär, sie wird durch die Satelliten-Technologie<br />

aufgehoben, die dieses „Wunder“ auch im metaphorischen<br />

Sinn möglich macht.<br />

Das Projekt wird durch einige weitere, parallele Elemente vervollständigt.<br />

Ein von Fabrica produziertes Buch mit Ausschnitten aus den<br />

verschiedenen Interviews, eine Live-Aufnahme in DVD der Aufführung,<br />

eine Website. Es handelt sich also um ein wirklich globales Projekt,<br />

das über Aufführungen im traditionellen Sinn weit hinaus geht.<br />

Und nach Karlsruhe?<br />

Das Programm wird 2005 fortgesetzt: im Juni wird CREDO das<br />

Internationale Musikfestival von Istanbul eröffnen, im Monat darauf<br />

wird es in Australien, beim Queensland Music Festival in Brisbane,<br />

gezeigt.<br />

42<br />

Das Interview führte Pietro Valdatta


Libretto CREDO<br />

<strong>Andrea</strong> <strong>Molino</strong><br />

CREDO<br />

The Innocence of God – a multimedia music theatre<br />

Die Unschuld Gottes – ein multimediales Musiktheater<br />

Libretto von Achim Thorwald und <strong>Andrea</strong> <strong>Molino</strong><br />

43


1. THE TOWER OF BABEL<br />

DER TURMBAU ZU BABEL<br />

Solo Voice:<br />

Now the whole earth used the same language and the same<br />

words.<br />

Sprecher:<br />

Alle Menschen hatten die gleiche Sprache und gebrauchten die<br />

gleichen Worte.<br />

Solo Voice:<br />

And it came about as they journeyed east, that they found a plain<br />

in the land of Shinar and settled there.<br />

Sprecher:<br />

Als sie von Osten aufbrachen, fanden sie eine Ebene im Land<br />

Sinear und siedelten sich dort an.<br />

Solo Voice:<br />

And they said to one another: „Come, let us make bricks and burn<br />

them thoroughly.“ And they used brick for stone, and they used tar<br />

for mortar.<br />

Sprecher:<br />

Und sie sagten zu einander: „Auf, formen wir Lehmziegel und<br />

brennen wir sie zu Backsteinen.“ So dienten ihnen gebrannte Ziegel<br />

als Steine und Erdpech als Mörtel.<br />

Solo Voice:<br />

And they said: „Come, let us build for ourselves a city, and a tower<br />

whose top will reach into heaven, and let us make for ourselves a<br />

name; lest we be scattered abroard over the face of the whole<br />

world.“<br />

44


Sprecher:<br />

Dann sagten sie: „Auf, bauen wir uns eine Stadt und einen Turm<br />

mit einer Spitze bis zum Himmel und machen wir uns damit einen<br />

Namen, dann werden wir uns nicht über die ganze Erde zerstreuen.“<br />

Solo Voice:<br />

And the Lord came down to see the city and the tower which the<br />

sons of men had built.<br />

Sprecher:<br />

Da stieg der Herr herab, um sich Stadt und Turm anzusehen, die<br />

die Menschenkinder bauten.<br />

Solo Voice:<br />

And the Lord said: „Behold, they are one people, and they all have<br />

the same language. And this is what they began to do, and now<br />

nothing which they purpose to do will be impossible for them.“<br />

Sprecher:<br />

Und der Herr sprach: „Seht nur, ein Volk sind sie und eine Sprache<br />

haben sie alle, und das ist erst der Anfang ihres Tuns. Jetzt wird<br />

ihnen nichts mehr unerreichbar sein, was sie sich auch vornehmen.“<br />

Solo Voice:<br />

„Come, let us go down and there confuse their language, that they<br />

may not understand one another’s speech.“<br />

Sprecher:<br />

„Auf, steigen wir hinab, und verwirren wir dort ihre Sprache, so<br />

dass keiner mehr die Sprache des anderen versteht.“<br />

Solo Voice:<br />

So the Lord scattered them abroad from there over the face of the<br />

whole earth; and they stopped building the city.<br />

45


Sprecher:<br />

Der Herr zerstreute sie von dort aus über die ganze Erde und sie<br />

hörten auf, an der Stadt zu bauen.<br />

Solo Voice:<br />

Therefore its name was called Babel, because there the Lord confused<br />

the language of the whole earth; and from there the Lord<br />

scattered them abroad over the face of the whole earth.<br />

Sprecher:<br />

Darum nannte man die Stadt Babel, denn dort hat der Herr die<br />

Sprache aller Welt verwirrt und von dort aus hat er die Menschen<br />

über die ganze Erde zerstreut.<br />

46


2. IMAGES OF DISTANCE<br />

BILDER DER ENTFERNUNG<br />

Nathan:<br />

Vor grauen Jahren lebt’ ein Mann im Osten,<br />

Der einen Ring von unschätzbarem Wert<br />

Aus lieber Hand besaß. Der Stein war ein<br />

Opal, der hundert schöne Farben spielte,<br />

Und hatte die geheime Kraft, vor Gott<br />

Und Menschen angenehm zu machen, wer<br />

In dieser Zuversicht ihn trug.<br />

So kam nun dieser Ring, von Sohn zu Sohn,<br />

Auf einen Vater endlich von drei Söhnen,<br />

Die alle drei ihm gleich gehorsam waren,<br />

Die alle drei er folglich gleich zu lieben<br />

Sich nicht entbrechen konnte.<br />

Es kam zum Sterben, und der gute Vater<br />

Kommt in Verlegenheit.<br />

Er sendet in geheim zu einem Künstler,<br />

Bei dem er, nach dem Muster seines Ringes,<br />

Zwei andere bestellt und weder Kosten<br />

Noch Mühe sparen heißt, sie jenem gleich,<br />

Vollkommen gleich zu machen. Das gelingt<br />

Dem Künstler. Da er ihm die Ringe bringt,<br />

Kann selbst der Vater seinen Musterring<br />

Nicht unterscheiden. Froh und freudig ruft<br />

Er seine Söhne, jeden insbesondere,<br />

Gibt jedem insbesondere seinen Segen –<br />

Und seinen Ring – und stirbt.<br />

Schauspieler:<br />

Das soll die Antwort sein auf meine Frage?<br />

Nathan:<br />

Soll mich bloß entschuldigen, wenn ich die Ringe mir nicht getraut<br />

zu unterscheiden.<br />

47


Schauspieler:<br />

Die Ringe! Ich dächte, dass die Religionen doch zu unterscheiden<br />

wären.<br />

Nathan:<br />

Und nur von Seiten ihrer Gründe nicht, denn gründen alle sich<br />

nicht auf Geschichte, geschrieben oder überliefert, und Geschichte<br />

muss doch wohl allein auf Treu und Glauben angenommen werden…<br />

48


Übertragung 1 ISTANBUL<br />

Come, come.<br />

Wherever you are,<br />

Wherever you come from,<br />

It doesn’t matter, just come.<br />

Komm, komm…<br />

Wo auch immer du bist,<br />

Wo auch immer du herkommst,<br />

Es ist einerlei, komm einfach.*<br />

(Mevlana Jelaluddin Rumi)<br />

Whatever you think of war<br />

I am far, far from it<br />

Whatever you think of love<br />

I am that, only that, all that.<br />

In all mosques, temples, churches,<br />

I find one shrine alone.<br />

(Mevlana Jelaluddin Rumi)<br />

Was auch immer du denkst vom Krieg<br />

Ich bin weit, weit davon entfernt.<br />

Was auch immer du denkst von Liebe<br />

Das bin ich, nur das, dies ganz.<br />

In allen Moscheen, Tempeln, Kirchen<br />

Finde ich immer den selben Schrein.<br />

Open the doors of the heart of love.<br />

Wrap your soul with goodness,<br />

Clean your soul.<br />

Don’t look down, don’t kill the children.<br />

Open your heart, it will be an ocean.<br />

* Die kursiv gedruckten Übersetzungen<br />

sind nicht Bestandteil des Librettos<br />

49


Everyday, stop making war; everyday, everything is peace.<br />

Listen to Mevlana, listen to his words;<br />

Your soul can find the best way.<br />

(Gonca Girgin)<br />

Öffne dein Herz der Liebe.<br />

Umhülle deine Seele mit Güte,<br />

Reinige sie.<br />

Sieh nicht auf andere herab,<br />

Töte keine Kinder.<br />

Öffne dein Herz und es weitet sich zum Ozean.<br />

Wiederhole jeden Tag: Schluss mit dem Krieg!<br />

Jeder Tag möge ein Friedenstag sein.<br />

Hör Mevlana zu, hör auf seine Worte.<br />

Deine Seele wird den richtigen Weg finden.<br />

Komm, komm…<br />

50


3. ASOMDWOE<br />

FRIEDEN<br />

(die wortwörtliche Übersetzung dieses ghanaischen Begriffes lautet: „Mein Ohr ist kühl“)<br />

Solo Voice:<br />

Whoever has killed, kills, or will kill in the name of God, however<br />

he may call him, must know, that God spat his invocation back<br />

even before it could reach Him, and did not hear it.That man is a<br />

murderer.<br />

Solo-Stimme:<br />

Wer im Namen Gottes tötet, getötet hat oder töten wird, egal unter<br />

welchem Namen er Ihn anbetet, soll wissen, dass Gott sein Gebet<br />

zurückgespuckt hat, noch bevor es ihn erreicht hat: Er hat es<br />

nicht gehört. Dieser Mensch ist ein Mörder.<br />

Sprecher:<br />

Vor allem müssen wir in Betracht ziehen, dass der primitive<br />

MENSCH dem FREMDEN, das heißt der PERSON gegenüber, die<br />

nicht zur gleichen GRUPPE gehört, oft nicht das Gefühl hat, dass<br />

es sich um einen Mit-MENSCHEN, sondern um „etwas“ handelt,<br />

womit man sich nicht identifiziert. Allgemein ist der Widerstand,<br />

ein Mitglied der gleichen GRUPPE zu töten, größer, und die<br />

schwerste Strafe für Verbrechen in primitiven Gesellschaften war<br />

oft die Verbannung eher als der Tod.<br />

Das gleiche Phänomen finden wir in der modernen GESELL-<br />

SCHAFT.<br />

Im Kriegsfall versuchen alle Regierungen, in ihrem eigenen Volk<br />

das Gefühl zu wecken, dass der FEIND kein MENSCH ist.<br />

Diese Zerstörung des MENSCH-seins des FEINDES erreicht ihren<br />

Höhepunkt, wenn der FEIND eine andere Hautfarbe hat.<br />

Es macht dabei keinen Unterschied, ob das Objekt der Aggression<br />

ein FREMDER, ein enger Verwandter oder ein FREUND ist; was geschieht<br />

ist, dass der Aggressor die andere PERSON emotional abschneidet<br />

und sie „einfriert“.<br />

51


Der andere hört auf, als MENSCH empfunden zu werden, und wird<br />

zu einem „Ding auf der anderen Seite“.<br />

Unter diesen Umständen bestehen keine Hemmungen mehr selbst<br />

gegenüber den schlimmsten Formen der Destruktivität.<br />

Immer wenn ein anderes MENSCH-liches Wesen nicht als MENSCHlich<br />

empfunden wird, bekommt der Akt der Destruktivität oder Grausamkeit<br />

einen anderen Charakter.<br />

Die Prediger<br />

Jude /Christ:<br />

Gelobt sei der Herr, der mein Fels ist, der meine Hände den Kampf<br />

gelehrt hat, meine Finger den Krieg.<br />

Du bist meine Huld und Burg, meine Festung, mein Retter, mein<br />

Schild, dem ich vertraue.<br />

Er macht mir Völker untertan.<br />

Du warst mein Hammer, meine Waffe für den Krieg.<br />

Mit Dir zerschlug ich Völker.<br />

Mit Dir stürzte ich Königreiche.<br />

Mit Dir zerschlug ich Ross und Lenker.<br />

Mit Dir zerschlug ich Wagen und Fahrer.<br />

Mit Dir zerschlug ich Mann und Frau.<br />

Mit Dir zerschlug ich Knabe und Mädchen.<br />

Mit Dir zerschlug ich Hirt und Herde.<br />

Mit Dir zerschlug ich Bauer und Gespann.<br />

Mit Dir zerschlug ich Statthalter und Vorsteher.<br />

Denn Er ist der Schöpfer des Alls.<br />

Herr der Heere ist sein Name.<br />

Solo Voice:<br />

Whoever has killed, kills or will kill in the name of God…(s. S. 51)<br />

Solo-Stimme:<br />

Wer im Namen Gottes tötet, getötet hat oder töten wird…<br />

52


Prediger<br />

Muslim:<br />

Und kämpfet für Gottes Sache gegen jene, die euch bekämpfen.<br />

Doch überschreitet das Maß nicht, denn Gott liebt nicht die Maßlosen.<br />

Jude:<br />

So sollt ihr gegen sie vorgehen:<br />

Jude:<br />

Ihr sollt ihre Altäre<br />

niederreißen, ihre<br />

Steinmale zerschlagen,<br />

ihre Kultpfähle<br />

umhauen, und ihre<br />

Götterbilder im<br />

Feuer verbrennen.<br />

Denn Er ist der<br />

Schöpfer des Alls.<br />

Herr der Heere ist<br />

sein Name.<br />

Muslim:<br />

Und tötet sie, wo<br />

immer ihr auf sie<br />

stoßt, und vertreibt<br />

sie von dort, von wo<br />

sie euch vertrieben,<br />

denn Verfolgung ist<br />

ärger als Totschlag.<br />

Bekämpfet sie;<br />

Gott wird sie strafen<br />

durch eure Hand<br />

und sie demütigen<br />

…und euch verhelfen<br />

wider sie.<br />

Herr der Heere ist<br />

sein Name.<br />

Christ:<br />

Wenn der Herr,<br />

dein Gott, sie dir<br />

ausliefert und du<br />

sie schlägst, dann<br />

sollst du sie der<br />

Vernichtung weihen.<br />

Du sollst keinen<br />

Vertrag mit ihnen<br />

schließen, sie nicht<br />

verschonen und<br />

dich nicht mit ihnen<br />

verschwägern.<br />

Denn Er ist der<br />

Schöpfer des Alls.<br />

Herr der Heere ist<br />

sein Name.<br />

Sprecher:<br />

Der Kommandant nannte mich „Sergeant Born to Kill“ („Unteroffizier<br />

mit Namen: Geboren -um -zu -töten“). Ich habe so viele Leute<br />

umgebracht, dass ich gar nicht mehr weiß, wie viele.<br />

Ich hörte nicht hin, wenn sie bettelten.<br />

Und ich fühle keine Reue.<br />

53


Der Offizier fragte mich nach meinem Alter.<br />

Ich sagte, ich sei neun.<br />

Ich habe nicht mehr gezählt, wie viele ich getötet habe, aber es<br />

waren mehr als 100.<br />

Ich bedauere nichts und niemanden.<br />

Wenn Soldaten in so ein Bombenareal kamen, betete ich zu Gott,<br />

dass noch mehr kämen,<br />

damit wir mehr von ihnen töten konnten.<br />

Krieg ist nicht wie Fernsehen.<br />

Krieg ist laut und heiß.<br />

Du schießt, du rennst.<br />

Es ging alles instinktiv, ich habe geschossen.<br />

Als ein anderer hinter ihm auftauchte, habe ich ihn auch erschossen.<br />

Dieses erste Mal hat mich völlig mitgenommen.<br />

Ich hatte Angst, ich würde es nicht schaffen.<br />

Aber danach ging alles leicht, es ist wie Sex.<br />

54


Prediger<br />

Jude:<br />

Deine Rechte, Herr,<br />

ist herrlich an Stärke;<br />

deine Rechte,<br />

Herr, zerschmettert<br />

den Feind.<br />

Denn, vom Herrn<br />

war beschlossen<br />

worden, ihr Herz<br />

angesichts des<br />

Kampfes mit Israel<br />

zu verhärten, um sie<br />

dem Untergang zu<br />

weihen; Israel sollte<br />

keine Gnade bei ihnen<br />

walten lassen,<br />

sondern sie ausrotten.<br />

Herr der Heere ist<br />

sein Name.<br />

Muslim:<br />

Er wollte die einen<br />

von euch durch die<br />

anderen prüfen.<br />

O, die ihr glaubt,<br />

kämpfet wider jene<br />

der Ungläubigen,<br />

die euch benachbart<br />

sind, und lasst<br />

sie in euch Härte<br />

finden; und wisset,<br />

dass Gott mit den<br />

Gottesfürchtigen<br />

ist.<br />

Herr der Heere ist<br />

sein Name.<br />

Christ:<br />

Ihr Soldaten, haltet<br />

den Schild des<br />

Glaubens hoch.<br />

Eure Waffen, Mittel,<br />

Macht verwendet<br />

nicht nur für weltliches<br />

Gepränge,<br />

sondern für die<br />

Ehre und den Dienst<br />

des ewigen Königs.<br />

Verflucht der<br />

Mensch, der sein<br />

Schwert vom Blut<br />

zurückhält.<br />

Herr der Heere ist<br />

sein Name.<br />

Sprecher:<br />

Wenn ich allein bin, höre ich Stimmen, die schreien: „töte mich<br />

nicht.“<br />

Ich kenne ihre Gesichter.<br />

Ich muss vor dem Schlafen immer ein bisschen Gras rauchen,<br />

sonst habe ich Alpträume.<br />

Dann sehe ich meine Feinde, die nach mir suchen und mich rufen:<br />

„Born to Kill“, „Born to Kill“.<br />

Nachts habe ich große Angst.<br />

55


Nach sieben Monaten war ich wie betäubt.<br />

Auf Menschen zu schießen, kam mir genauso vor, wie auf einen<br />

Baum zu schießen.<br />

Ich bin, was man einen „cold kill“ nennt („eiskalten Killer“).<br />

Weißt Du, was ich glaube?<br />

Ich glaube, dass ich, wenn ich morgen sterbe, sofort in den Himmel<br />

komme, weil ich für mein Land gekämpft habe –<br />

Und ich habe getötet, wie viele auch immer.<br />

Und das ist genug, dass ich zu meinem Gott kommen kann.<br />

Prediger<br />

Jude:<br />

Der Herr ist ein Krieger,<br />

Jahwe ist sein<br />

Name. Pharaos<br />

Wagen warf er ins<br />

Meer. Seine Kämpfer<br />

versanken im Schilfmeer.<br />

Fluten deckten<br />

sie zu, sie sanken in<br />

die Tiefe wie Steine.<br />

Herr der Heere ist<br />

sein Name.<br />

56<br />

Muslim:<br />

Und diejenigen, die<br />

auf Gottes Weg getötet<br />

werden – nie wird<br />

Er ihre Werke zunichte<br />

machen. Er wird<br />

ihnen zum Sieg verhelfen<br />

und ihren<br />

Stand bessern.<br />

Und sie ins Paradies<br />

führen, das er ihnen<br />

zu wissen getan hat.<br />

Herr der Heere ist<br />

sein Name.<br />

Christ:<br />

Der Kämpfer Christi<br />

ist der Beauftragte<br />

Gottes zur Bestrafung<br />

des Bösen und zur<br />

Erhöhung des Guten.<br />

Wenn er einen Übeltäter<br />

tötet, ist er kein<br />

Menschentöter, sondern<br />

ein Töter des<br />

Bösen.<br />

Herr der Heere ist<br />

sein Name.


So spricht der Herr<br />

der Heere: ziehe jetzt<br />

in den Kampf! Weihe<br />

alles, was ihnen gehört<br />

dem Untergang!<br />

Schone nicht, töte<br />

Männer und Frauen,<br />

Kinder und Säuglinge,<br />

Rinder und Schafe,<br />

Kamele und Esel<br />

…<br />

Männer und Frauen,<br />

Kinder und Säuglinge<br />

…<br />

Jude / Muslim / Christ:<br />

Ich sah die Köpfe fliegen und die Augen glasig werden.<br />

Ich sah sie daliegen nackt oder in zerrissenen Kleidern.<br />

Mit gespalteten Knochen und durchschnittener Kehle.<br />

Mit gebrochenen Lenden und abgeschlagenen Gliedern.<br />

Mit ausgestochenen Augen und aufgeschlitzten Leibern.<br />

Mit zersprungenen Lippen und mit zertrümmerter Stirn.<br />

Wie Steine unter Steine lagen sie da, wie man’s noch niemals gesehen.<br />

Solo Voice:<br />

That man is a murderer.<br />

Solo-Stimme:<br />

Dieser Mensch ist ein Mörder.<br />

Der Tag des Gerichts<br />

wird nicht kommen,<br />

bis Muslime Juden<br />

bekämpfen und sie<br />

töten. Dann werden<br />

sich die Juden hinter<br />

Felsen und Bäumen<br />

verstecken und die<br />

Felsen und Bäume<br />

werden aufschreien:<br />

„O, ihr Muslime, hier<br />

ist ein Jude, der sich<br />

hinter mir versteckt.<br />

Komm und töte ihn,<br />

komm und töte ihn…<br />

Greift zum Schwert<br />

Christi, zum Schwert<br />

des göttlichen Wortes,<br />

zum Schwert des<br />

allgemeinen Banns,<br />

zum Schwert apostolischer<br />

Rache, das<br />

unheilbar von der<br />

Fußsohle bis zum<br />

Scheitel verwundet.<br />

Verflucht der Mensch,<br />

der sein Schwert vom<br />

Blut zurückhält.<br />

57


Voice 2<br />

Asomdwoe, Asomdwoe, Asomdwoe…<br />

Sprecher:<br />

Die ganzen Ideen und das ganze Gerede – das hat alles nichts damit<br />

zu tun.<br />

Am Ende gibt’s nur einen toten Körper.<br />

Irgendjemandes Sohn…<br />

Irgendjemandes Bruder…<br />

Irgendjemandes Ehemann…<br />

Nathan:<br />

Lass auf unsre Ring<br />

Uns wieder kommen. Wie gesagt: die Söhne<br />

Verklagten sich, und jeder schwur dem Richter,<br />

Unmittelbar aus seines Vaters Hand<br />

Den Ring zu haben – wie auch wahr!<br />

Der Vater,<br />

Beteu’rte jeder, könne gegen ihn<br />

Nicht falsch gewesen sein, eh müss’ er seine Brüder,<br />

Des falschen Spiels<br />

Bezeihen, und er wolle die Verräter<br />

Schon auszufinden wissen, sich schon rächen!<br />

58


Übertragung 2 BELFAST<br />

Ich wünsche mir Veränderung<br />

Ich wünsche mir<br />

Veränderung<br />

Aus allgemeiner Scham<br />

Jetzt<br />

Nicht erst morgen<br />

Wenn die Geschichtsbücher der Enkel<br />

Anklagen<br />

Schon einmal weinten<br />

Die Nachgeborenen<br />

Zu spät<br />

Wehrt euch gegen<br />

Den Geist der<br />

Genickten Kreuze<br />

So oft ist Christus<br />

Schon daran gestorben<br />

Sonst streicht alle Wörter<br />

Aus euren schönen Verfassungen<br />

Und schleicht<br />

Aus euren kalten Kathedralen<br />

My Friend<br />

(Erik Müller)<br />

My friend, I stand before you as a child<br />

My hands are by my side<br />

My Home, a place to both belong<br />

A voice that sings to atone<br />

Our hands, if actions point to blame<br />

Our story ends the same<br />

59


Moving on, in solace change will come<br />

Time to right this wrong<br />

Would you give me time I would show you my heart<br />

Would you be my guide here together through the dark<br />

I will go where you are<br />

Though near or far<br />

My hope<br />

Together we are one<br />

Fear not, I may understand the need for common ground<br />

One voice together through dismay<br />

Will comfort til the day<br />

Would you give me time I would show you my heart<br />

Would you be my guide here together through the dark<br />

For I will go where you are<br />

Through fear or fire<br />

My hope<br />

Together we are one<br />

My hope<br />

Together we are one<br />

(Suzanne Savage)<br />

Mein Freund<br />

Mein Freund, ich stehe vor dir wie ein Kind<br />

Meine Hände ruhen nebeneinander<br />

Mein Zuhause ist ein Ort, der uns beiden gehört<br />

Meine Stimme singt, um zu sühnen<br />

Wenn unsere Hände kämpfen, machen sie sich schuldig<br />

Unsere Geschichte endet gleich<br />

Wenn wir aufeinander zu gehen, wird sich durch den Trost Veränderung<br />

einstellen<br />

60


Es ist an der Zeit, das Falsche zu berichtigen<br />

Wenn du mir Zeit gibst, dann öffne ich dir mein Herz<br />

Wenn du mich jetzt begleitest, durchschreiten wir die Finsternis gemeinsam<br />

Ich will da hingehen, wo auch du hingehst<br />

Sollte das Ziel nah oder fern sein<br />

Meine Hoffnung ist, dass wir zusammen Einswerden<br />

Fürchte dich nicht, denn ich weiß um die Notwendigkeit einer gemeinsamen<br />

Basis<br />

Wenn wir mit einer Stimme sprechen, wird aus Bestürzung eines Tages<br />

Ruhe werden<br />

Wenn du mir Zeit gibst, dann öffne ich dir mein Herz<br />

Wenn du mich jetzt begleitest, durchschreiten wir die Finsternis gemeinsam<br />

Denn ich will da hingehen, wo auch du hingehst<br />

Durch Angst und Feuer<br />

Meine Hoffnung ist, dass wir zusammen Einswerden<br />

Reconciliation<br />

When Summertime has gone<br />

And Autumn winds are threatening<br />

To blow our love away<br />

Its then love will be tested<br />

Arm in arm we’ll stand<br />

Side by side together<br />

To fact the common foe<br />

That would tear our love asunder<br />

Toorah loorah lay, toorah loorah laddie, toorah loorah lay<br />

Toorah lay<br />

61


Now there’s a time to fight<br />

And there’s a time for healing<br />

As the sun will melt the snow<br />

On clear bright April morning<br />

Our fight has run its course<br />

Now’s the time for healing<br />

So let us both embrace<br />

Sweet reconciliation<br />

Toorah loorah lay…<br />

Versöhnung<br />

(Ron Kavana)<br />

Wenn der Sommer vorbei ist und die Herbststürme drohen,<br />

Unsere Liebe fort zu wehen<br />

Dann ist es an der Zeit,<br />

Diese Liebe unter Beweis zu stellen<br />

Arm in Arm, Seite an Seite<br />

Stehen wir zusammen<br />

Um unserem gemeinsamen Feind zu zeigen,<br />

Dass er unsere Liebe nicht auseinander reißen kann<br />

Toorah loorah lay…<br />

Es gibt eine Zeit, um zu kämpfen<br />

Und es gibt eine Zeit, um die Wunden zu heilen<br />

Wie die Sonne den Schnee zum Schmelzen bringt<br />

An einem klaren hellen Aprilmorgen,<br />

So ist unser Kampf ausgekämpft<br />

Nun ist es an der Zeit,<br />

Die Wunden zu heilen<br />

Umarmen wir uns<br />

Süße Versöhnung<br />

62


4. OUT OF FEAR<br />

AUS ANGST<br />

Solo Voice:<br />

But also know that who has died, dies, or will die in the name of<br />

God, however he may name Him, that his death is written in sand<br />

and will not reach God, because God could not tolerate being the<br />

cause of even the smallest of His creatures.<br />

That man is not a martyr, because martyrdom does not come from<br />

God, but is a dream of man to hide the insignificance of a meaningless<br />

death.<br />

Solo-Stimme:<br />

Aber auch wer im Namen Gottes stirbt, gestorben ist oder sterben<br />

wird, soll wissen, dass sein Tod wie eine Schrift im Sand – und nicht<br />

bei Gott angekommen ist.<br />

Denn Gott könnte es nicht ertragen, der Grund für den Tod eines<br />

seiner Geschöpfe zu sein, wie gering es auch sein mag.<br />

Dieser Mensch ist kein Märtyrer, denn das Märtyrertum ist kein<br />

Werk Gottes: es ist ein Traum des Menschen, um die Leere eines<br />

sinnlosen Todes zu verstecken.<br />

Video<br />

Volunteer:<br />

„Especially if you arrive in the first few minutes, there’s an electric<br />

silence in the scene.<br />

There’s so many injured people, lying within broken pieces of glass<br />

from the bus, and parts of body, blood all around on the floor, and<br />

… you’re not sure, what to do, where to start from.“<br />

Freiwilliger:<br />

„Wenn man unmittelbar nach dem Vorfall auf dem Schauplatz eintrifft,<br />

erscheint die ganze Szenerie wie in gespenstische Stille getaucht.<br />

63


Verletzte Menschen liegen zwischen Glasscherben von Busfenstern,<br />

Leichenteile…, überall Blut auf der Erde…, man weiß überhaupt<br />

nicht, was man tun, wo man anfangen soll.“<br />

Jewish Mother:<br />

„Oh, my son, like… he had a very big miracle, because we thought<br />

we were losing him.“<br />

Jüdische Mutter:<br />

„Mein Sohn…hat wie durch ein Wunder überlebt…Wir dachten,<br />

dass wir ihn verlieren würden.“<br />

Volunteer:<br />

„Many people ask the wrong question: what do you think at the<br />

scene?<br />

At the scene if you start thinking, you can’t do the work.“<br />

Freiwilliger:<br />

„Viele Menschen stellen die falsche Frage: an was denken Sie, wenn<br />

Sie am Tatort sind?<br />

Wenn man am Ort des Geschens ist und dann anfängt, nachzudenken,<br />

kann man seine Arbeit nicht mehr tun.“<br />

Jewish Mother:<br />

„Unconscious, full of blood, all his white shirt was full of blood…“<br />

Jüdische Mutter:<br />

„Bewusstlos, voll von Blut…, sein weißes Hemd: voll von Blut…“<br />

Jewish Mother:<br />

„…he went through two operations that evening…, just to save<br />

him, to make him alive.“<br />

64


Jüdische Mutter:<br />

„…er wurde an diesem Abend zweimal operiert…, um ihn zu retten,<br />

um ihn wieder lebendig zu machen.“<br />

Volunteer:<br />

„The big problem starts, when you go home and start thinking.“<br />

Freiwilliger:<br />

„Die größten Probleme beginnen erst, wenn man nach Hause geht<br />

und anfängt, nachzudenken.“<br />

Jewish Mother:<br />

„You didn’t know anything. You were just sitting near his bed, praying<br />

for God to help you and to help this little child.“<br />

Jüdische Mutter:<br />

„Man weiß überhaupt nichts mehr… Man sitzt nur Tag und Nacht<br />

an seinem Bett und betet inständig zu Gott, dass er helfen möge,<br />

helfen dieses kleine Kind zu retten.“<br />

Jewish Mother:<br />

„And I really cannot understand how she gave her child, her own<br />

child she gave birth to him, to commit a suicide…“<br />

Jüdische Mutter:<br />

„Etwas ist mir wirklich unbegreiflich…, wie sie ihr Kind, ihr eigenes<br />

Kind, dem sie das Leben geschenkt hat, für ein Selbstmordkommando<br />

hergeben kann…“<br />

Arab Mother:<br />

„He never goes away from my sight. I always imagine him in front<br />

of me; if I sit, he sits next to me, and in my sleep… Every night I<br />

65


see him before me and I keep crying. It is impossible to hold back<br />

my tears or dry them…“<br />

Arabische Mutter:<br />

„Er ist immer bei mir… Ich stelle ihn mir immer vor, wie er mir<br />

gegenübersteht…<br />

Wenn ich irgendwo sitze, dann sitzt er neben mir…<br />

Auch wenn ich schlafe ist er bei mir…Ich sehe ihn jede Nacht und<br />

fange an zu weinen…<br />

Ich kann meine Tränen nicht zurückhalten…“<br />

Jewish Mother:<br />

„…how could she continue with her life? Doesn’t she feel sad, unhappy,<br />

upset, worried?<br />

Jüdische Mutter:<br />

„…wie kann sie weiterleben? Mit all der Trauer, dem Unglück, der<br />

Erschütterung, mit all den Sorgen?“<br />

Arab Mother:<br />

„The loss of my son is not something light. Until now, I still feel<br />

something is missing from the house… During Ramadhan, whenever<br />

I laid the table, I sat and cried every night… I do not enjoy<br />

anything at all… Anything he used to like reminds me of him…“<br />

Arabische Mutter:<br />

„Der Verlust meines Sohnes ist unendlich schwer zu verkraften. Er<br />

fehlt mir zu Hause so sehr… Wann auch immer ich den Tisch – während<br />

des Fastenmonats Ramadan – gedeckt habe, musste ich mich<br />

hinsetzen, und dann habe ich die ganze Nacht geweint. Ich kann<br />

mich über nichts mehr freuen. Alles, was er gern hatte, erinnert mich<br />

an ihn.“<br />

66


Jewish Mother:<br />

„But now I feel that I really hate them. I can’t look at their eyes. I<br />

can’t.“<br />

Jüdische Mutter:<br />

„Jetzt hasse ich sie wirklich. Ich kann nicht in ihre Augen sehen. Ich<br />

kann es nicht.“<br />

Arab Mother:<br />

„Of course, every mother feels the same… she feels that a son is<br />

missing…every mother… just as I feel that my son is missing,<br />

others feel the same.“<br />

Arabische Mutter:<br />

„Natürlich fühlt jede Mutter dasselbe… Jede Mutter vermisst ihren<br />

Sohn, genauso wie ich meinen Sohn vermisse.“<br />

Brother:<br />

„But there is a difference between the victim and the persecutor…<br />

there is a difference…“<br />

Bruder:<br />

„Aber es gibt einen Unterschied zwischen Opfern und Tätern… Es<br />

gibt einen Unterschied…“<br />

Jewish Mother:<br />

„I think that just an animal can do it.“<br />

Jüdische Mutter:<br />

„Ich glaube, dass nur ein Tier so etwas tun kann.“<br />

67


Arab Father:<br />

„I mean, they are responsible for what happens, they pushed him<br />

for this thing. He never thought of doing such act.“<br />

Arabischer Vater:<br />

„Sie sind verantwortlich für das, was passiert ist… Sie bestraften<br />

ihn… Ihm wäre es nicht im Traum eingefallen, so etwas zu tun.“<br />

Jewish Mother:<br />

„No, I really hate them. And I feel bad when I say ist. Because I’m<br />

not a bad person. And I will fight for peace.“<br />

Jüdische Mutter:<br />

„Ich hasse sie wirklich. Und ich fühle mich schlecht, wenn ich das<br />

sage, denn ich bin eigentlich kein schlechter Mensch… Und ich will<br />

für den Frieden kämpfen.“<br />

Brother:<br />

„Of course, for us Abd al Basit will remain a symbol. Abd al Basit<br />

did not die… he is still and will remain alive… his name and voice<br />

are still with us.“<br />

Bruder:<br />

„Natürlich behält Abd al Basit für uns immer Symbolcharakter. Er<br />

ist für uns nicht tot, er wird immer lebendig bleiben; sein Name und<br />

seine Stimme begleiten uns.“<br />

Jewish Mother:<br />

„What do they get for it? They get money? It’s about money? It’s<br />

about good life in heaven? We don’t have the answer for this,<br />

right?“<br />

68


Jüdische Mutter:<br />

„Was bekommen sie dafür? Geld? Geht es um Geld? Geht es um<br />

ein gutes Leben im Himmel? Wir haben darauf keine Antwort…“<br />

Auf der Bühne<br />

Sprecher:<br />

Ein Märtyrer hat sechs Vergünstigungen:<br />

Mit dem ersten Tropfen seines Blutes, den er vergießt, sind ihm alle<br />

Sünden vergeben.<br />

Im Augenblick des Todes sieht er seinen Platz im Paradies.<br />

Er wird verschont sein vom großen Schrecken des letzten Gerichts.<br />

Eine Ehrenkrone wird er auf dem Haupt tragen.<br />

Er wird im Paradies 72 Frauen haben.<br />

Und es wird ihm erlaubt sein, sich für 70 seiner Familienmitglieder<br />

einzusetzen, die sonst zur Hölle müssten.<br />

Sprecher:<br />

Kann ein Mensch gut sein, der Angst hat?<br />

Video<br />

HW:<br />

„Most of the people here are moved by fear and ignorance, but<br />

basically by fears.“<br />

HW:<br />

„Die meisten Menschen hier werden angetrieben von Angst und Ignoranz,<br />

aber hauptsächlich von Angst.“<br />

69


Auf der Bühne<br />

Sprecher:<br />

Das Leid, das ihm die Angst schafft, vermehrt sich ins Ungemessene<br />

durch das Leid, das er selber aus Angst erzeugt, und mit dem<br />

er neuerlich Angst verursacht.<br />

Video<br />

HW:<br />

„The Israelis are basically moved by fear of destruction.“<br />

HW:<br />

„Angst vor Vernichtung ist der Hauptantrieb der Israelis.“<br />

Activist:<br />

„It’s there. The fear of existance is something that I think it runs in<br />

the blood of every Jew, following our history.“<br />

Aktivist:<br />

„Ja, daran liegt es… Meiner Ansicht nach hat jeder Jude die Existenzangst<br />

im Blut, dem Lauf unserer Geschichte entsprechend.“<br />

YS:<br />

„You’re afraid to go to buses, you’re afraid to go to restaurants, it’s<br />

very strong here, and right so, I mean, I myself I’m scared to go to<br />

places.“<br />

YS:<br />

„Man hat Angst, in den Bus zu steigen, man hat Angst, ein Restaurant<br />

zu betreten…; hier zu leben ist unglaublich schwer…<br />

Ich habe beispielsweise Panik vor freien Plätzen.“<br />

70


Auf der Bühne<br />

Sprecher:<br />

Die Angst ist es, die böse macht und das Böse ist es, das Angst<br />

macht.<br />

So schließt sich der Kreis zwischen Nichts und Vernichtung und erzeugt<br />

sich ewig weiter, wie von selbst.<br />

Video<br />

Activist:<br />

„It is very easy to intimade us.“<br />

Aktivist:<br />

„Es ist sehr leicht, uns einzuschüchtern.“<br />

Jewish Mother:<br />

„Fear? Fear? A lot! I’m anxious, of anything in my life.“<br />

Jüdische Mutter:<br />

„Angst? Große Angst!<br />

Alles in meinem Leben macht mir angst.“<br />

Activist:<br />

„I’ve no doubt about it; and this is something that is very difficult<br />

for Palestinians to understand.“<br />

Aktivist:<br />

„Daran zweifele ich nicht… Für einen Palästinenser ist das schwer<br />

zu verstehen.“<br />

71


Auf der Bühne<br />

Sprecher:<br />

Man verbreitet den Tod aus Angst vor dem Tod.<br />

Video<br />

Activist:<br />

„But if you make it something familiar, you bring together people<br />

to talk with each other, to listen to each other, to see each others<br />

as human beings, with our regular lives, feelings and wishes and<br />

dreams, with our kids… the regular everyday life, and give the<br />

people a chance to know each other, it’s less frightening.“<br />

Aktivist:<br />

„Wenn man nur freundschaftlicher miteinander umgehen könnte…<br />

Man müsste die Menschen zusammenführen, damit sie miteinander<br />

reden, um einander zuzuhören, damit sie sich gegenseitig als<br />

menschliche Individuen wahrnehmen könnten, mit ihren Gefühlen,Wünschen<br />

und Träumen…, mit ihren Kindern…; sich im Alltäglichen<br />

eben wahrnehmen können…<br />

Damit gäbe man den Menschen eine Chance, sich ohne die ständige<br />

Angst voreinander kennenzulernen.“<br />

Auf der Bühne<br />

Sprecher:<br />

Man verbreitet Schrecken und Grauen aus eigenem puren Erschrecken<br />

und Grauen.<br />

72


Video<br />

HW:<br />

„It really amazes me, the Palestinians do not understand, and we<br />

don’t understand the fears of the Palestinians, and the pain of the<br />

Palestinians, the pain of losing all they had, the pain of being refugees<br />

for many, many years, the wish to go back to their houses,<br />

to go back to their homes…<br />

The minute we will understand this and the Palestinians will understand<br />

what drives us there would be a place to make some kind<br />

of peace here.“<br />

HW:<br />

„Manchmal stehe ich kopfschüttelnd vor der Tatsache, dass sowohl<br />

die Palästinenser uns, als auch wir die Ängste der Palästinenser<br />

nicht verstehen…<br />

Ihren Schmerz, alles verloren zu haben.<br />

Ihren Schmerz, schon so viele Jahre als Flüchtlinge leben zu müssen.<br />

Ihren Wunsch, in ihre eigenen Häuser zurückzukehren…<br />

In dem Augenblick, in dem wir das alles verstehen, und auf der anderen<br />

Seite die Palästinenser verstehen würden, was die Beweggründe<br />

unseres Handelns sind, bestünde vielleicht die Chance, aus<br />

diesem Ort, einen Ort des Friedens zu machen.“<br />

HW:<br />

„I know that things will get much worse before they would improve.“<br />

HW:<br />

„Ich weiß aus Erfahrung, dass Dinge – bevor sie sich zum Guten<br />

wenden – erst einmal schlechter gehen.“<br />

73


Jewish Mother:<br />

„It will never stop. I’m sure it will never stop.“<br />

Jüdische Mutter:<br />

„Es wird nie aufhören…<br />

Ich bin mir sicher, dass es niemals aufhört.“<br />

YS:<br />

„Yes, I do feel sometimes that it is a waste of energy, it just<br />

happened yersterday.“<br />

YS:<br />

„Ich empfinde das alles als eine ungeheuere Energieverschwendung…;<br />

gerade gestern musste ich wieder daran denken.“<br />

Arab Worker:<br />

„Every day, they say there is a new initiative, a new solution. But<br />

in my opinion, both sides do not want… the two sides are not<br />

interested in a solution; there is no progress, nothing.“<br />

Arabischer Arbeiter:<br />

„Jeden Tag heißt es: es gibt eine neue Initiative, eine neue Lösung<br />

…<br />

Aber meiner Meinung nach wollen das beide Seiten nicht…<br />

Beide Seiten sind an einer Lösung nicht interessiert.<br />

Es gibt keinen Fortschritt…, überhaupt keinen…“<br />

HW:<br />

„Much more blood will be shed here before we get up, the Israelis<br />

and the Palestinians.“<br />

74


HW:<br />

„Hier wird noch viel mehr Blut fließen, bevor die Israelis und die Palästinenser<br />

davon endlich die Nase voll haben.“<br />

Activist:<br />

„It will take a long time to overcome it.“<br />

Aktivist:<br />

„Es wird eine lange Zeit brauchen, bis das alles überwunden ist.“<br />

Arab Worker:<br />

„We have no future there. I don’t see any future for me, for my<br />

children, or for my grandchildren, we have no future in life…“<br />

Arabischer Arbeiter:<br />

„Hier gibt es keine Zukunft für uns…<br />

Ich sehe weder für mich, noch für meine Kinder, noch für meine Enkelkinder<br />

irgendeine Zukunft… Wir haben keine Zukunft…“<br />

HW:<br />

„It’s a magic circle. When somethings starts, it goes back to the<br />

point where it started.“<br />

HW:<br />

„Es ist ein Teufelskreis:<br />

Jede Aktion wird mit einer Gegen-Aktion beantwortet…<br />

und so fort…“<br />

Volunteer:<br />

„You must have hope, because it can’t get worse than it is.“<br />

75


Freiwilliger:<br />

„Man darf die Hoffnung nicht verlieren, denn schlimmer als es jetzt<br />

ist, kann es nicht mehr werden.“<br />

YS:<br />

„You do it and you do it and nothing changes, and it’s just getting<br />

worse all the time. It is.“<br />

YS:<br />

„Man tut ständig etwas, aber es ändert sich nichts…, es wird eher<br />

schlimmer.“<br />

MZ:<br />

„I don’t know where I find hope. In Israel you just try to ignore it.“<br />

MZ:<br />

„Ich weiß nicht, woher ich Hoffnung nehmen soll. In Israel versucht<br />

man das zu ignorieren.“<br />

Arab Family: Brother:<br />

„Despite all the tragedies we went through during the past year<br />

and despite what happened, and our bitter experiences we will<br />

pray for peace and we wish there would be peace, so that we can<br />

shed the nightmare we are living in.“<br />

Arabische Familie: Bruder:<br />

„Trotz aller Tragödien haben wir das vergangene Jahr hinter uns<br />

gebracht…; und trotz unserer bitteren Erfahrungen beten wir weiter<br />

für den Frieden und wünschen ihn uns sehnlichst herbei …<br />

In der Hoffnung, endlich aus diesem Alptraum zu erwachen.“<br />

76


Activist:<br />

„Tikva. The hebrew word for hope is Tikva… why are you asking<br />

this question?<br />

Aktivist:<br />

„Tikva… Das hebräische Wort für Hoffnung ist Tikva…<br />

Warum fragen Sie das?“<br />

Auf der Bühne<br />

Solo Voice:<br />

And now my question, my last question, my only question:<br />

How can God, how ever you my name Him, accept to be the cause<br />

of death of even the smallest of his creatures?<br />

Solo-Stimme:<br />

Und nun meine Frage, meine letzte Frage, meine einzige Frage:<br />

Wie kann Gott, egal unter welchem Namen man ihn anbetet,<br />

akzeptieren, der Grund für den Tod auch seines geringsten Geschöpfes<br />

zu sein?<br />

Nathan:<br />

Der Richter sprach<br />

Ich höre ja, der rechte Ring<br />

Besitzt die Wunderkraft, beliebt zu machen,<br />

Vor Gott und Menschen angenehm. Das muss<br />

Entscheiden! Denn die falschen Ringe werden<br />

Doch das nicht können! – Nun, wen lieben zwei<br />

Von euch am meisten? – Macht, sagt an! Ihr schweigt?<br />

Die Ringe wirken nur zurück? Und nicht<br />

Nach außen? Jeder liebt sich selber nur<br />

Am meisten? O so seid ihr alle drei<br />

Betrogene Betrüger! Eure Ringe<br />

Sind alle drei nicht echt.<br />

77


Übertragung 3 JERUSALEM<br />

I would give half of my life<br />

I would give half<br />

Of my life<br />

To anyone<br />

Who could make<br />

A crying child<br />

Laugh.<br />

I am a human with the size of a man<br />

How can I be at ease,<br />

While blood is being shed?<br />

(Tawfig Zayyad)<br />

Die Hälfte meines Lebens<br />

Ich würde jedem die Hälfte meines Lebens geben,<br />

Der ein weinendes Kind wieder zum Lachen bringt.<br />

Ich bin ein Mensch im Mannesalter,<br />

Wie könnte es mir gut gehen, während überall Blut vergossen wird?<br />

Jerusalem<br />

Neben zerstörten Häusern und Eisenstäben,<br />

verkrümmt wie die Arme Getöteter,<br />

findest du immer jemanden,<br />

der den gepflasterten Pfad fegt<br />

oder den kleinen Garten ordnet.<br />

78


Doch etwas weiter, in einem Hof,<br />

ist der Erdboden aufgerissen.<br />

Friesen und Säulenbruchstücke<br />

verstreut wie Schachfiguren;<br />

und Herodes, der schon vor zweitausend Jahren<br />

heulte wie Granatgeschosse. Er wusste.<br />

Jerusalem ist erbaut auf gewölbten Fundamenten<br />

unterdrückten Schreiens.<br />

Wenn es keinen Grund mehr gibt<br />

für das Schreien,<br />

werden die Fundamente brechen,<br />

wird die Stadt zusammenfallen,<br />

wenn das Schreien geschrien wird,<br />

wird Jerusalem in den Himmel hinein explodieren.<br />

(Jehuda Amichai)<br />

79


5. THE BASTARDS AND THE ASSEMBLY OF THE LORD<br />

BASTARDE UND DIE VERSAMMLUNG DES HERRN<br />

Sprecher:<br />

An dem Ort, an dem wir das Recht haben,<br />

werden wir als Blumen wachsen<br />

im Frühjahr.<br />

Der Ort, an dem wir Recht haben,<br />

ist zertrampelt und hart<br />

wie ein Hof.<br />

Und ein Flüstern wird hörbar<br />

an dem Ort, wo das Haus stand,<br />

Zweifel und Liebe aber<br />

lockern die Welt auf.<br />

Solo Voice:<br />

A Bastard shall not enter into the assembly of the Lord; even to his<br />

tenth generation shall none of his enter into the assembly of the<br />

Lord.<br />

Solo-Stimme:<br />

Ein Bastard darf nicht in die Versammlung des Herrn kommen; auch<br />

die zehnte Generation von ihm soll nicht in die Versammlung des<br />

Herrn kommen.<br />

Video<br />

My name is Aatish Babani, my father is Indian, my mother<br />

Christian.<br />

80


Mein Name ist Aatish Babani. Mein Vater ist Inder, meine Mutter<br />

eine Christin.<br />

My name is Maya Zidani, I live in Jerusalem, my father is Palestinian,<br />

my mother is Jewish.<br />

Mein Name ist Maya Zidani, ich lebe in Jerusalem. Mein Vater ist<br />

Palästinenser, meine Mutter ist Jüdin.<br />

My name is Shiraz…<br />

Mein Name ist Shiraz…<br />

Emmanuel Ndimubanzi…<br />

Thomas McKilroy…<br />

My name is Shireen…<br />

Mein Name ist Shireen…<br />

Peter Stewart, from Belfast…<br />

Peter Stewart, aus Belfast…<br />

My name is Sumedh Dalwai, my father is a Muslim, my mother is<br />

a Hindu, I live in Bombay, India.<br />

Mein Name ist Sumedh Dalwai. Mein Vater ist Moslem, meine Mutter<br />

ist eine Hindu. Ich lebe in Bombay, Indien.<br />

81


My name is Zelethu…<br />

Mein Name ist Zelethu…<br />

My name is Zaki…<br />

Mein Name ist Zaki…<br />

My mother is white, she’s Jewish<br />

Meine Mutter ist Weiße, Jüdin…<br />

My mother is Scottish, Protestant…<br />

Meine Mutter ist Schottin, Protestantin…<br />

My father is black, Zulu…<br />

Mein Vater ist Schwarzer, Zulu…<br />

My father is Muslim and black…<br />

Mein Vater ist Moslem und ein Schwarzer…<br />

My name is Yuki Eliaz… My name is Yuki Eliaz… oh, o.k., o.k….<br />

Also you want my name… where I was born and… where… my<br />

parents are from. O.k. Hi, my name is Yuki Eliaz, I was born here,<br />

b…brought up here… do you want me to start again?<br />

O.k. Hi, my name is Yuki Eliaz. My father is a so-called Muslim,<br />

my mother is a so-called Hindu; we’re are all a bunch of atheists.<br />

82


Mein Name ist Yuki Eliaz… Mein Name ist Yuki Eliaz… oh, o.k. o.k<br />

…., Sie möchten also von mir meinen Namen wissen, wo ich geboren<br />

bin und woher meine Eltern kommen.<br />

O.k…. Hallo, mein Name ist Yuki Eliaz, ich bin hier geboren, hier<br />

groß… hier groß geworden… Soll ich noch mal von vorn anfangen?<br />

O.k…. Hallo, mein Name ist Yuki Eliaz. Mein Vater ist ein so genannter<br />

Moslem, meine Mutter eine so genannte Hindu; zusammen<br />

sind wir einfach nur ein Häufchen Atheisten.<br />

My name is Nashira, my mother is black, Moslem, and my father<br />

is white and Christian.<br />

Mein Name ist Nashira. Meine Mutter ist eine Schwarze, Moslemin,<br />

und mein Vater ist ein Weißer, Christ…<br />

My name is Aksel Yeremyan…<br />

Mein Name ist Aksel Yeremyan…<br />

My name is Nezli Temir, my father is Turkish, my mother Armenian<br />

…<br />

Mein Name ist Nezli Temir. Mein Vater ist Türke, meine Mutter<br />

Armenierin…<br />

My mother is black, my father is white, that’s me!<br />

Meine Mutter ist eine Schwarze, mein Vater ist ein Weißer, und das<br />

bin ich!<br />

83


Auf der Bühne<br />

Ich heiße Joy Frempong. Mein Vater kommt aus Ghana, meine<br />

Mutter aus der Schweiz.<br />

Solo Voice:<br />

Your children are not your children.<br />

They are sons and daughters of life’s longing for itself.<br />

They come through you but not from you,<br />

And though they are with you, yet they belong not to you.<br />

Sprecher:<br />

Eure Kinder sind nicht eure Kinder.<br />

Sie sind Söhne und Töchter der Sehnsucht des Lebens nach sich<br />

selber.<br />

Sie kommen durch euch, aber nicht von euch.<br />

Und obwohl sie mit euch sind, gehören sie euch nicht.<br />

Video<br />

…your mother is from here, so you’re Jewish, because according<br />

to the Jewish is like: your mother is Jewish, so you’re Jew.<br />

…wenn deine Mutter von hier stammt, dann bist du jüdisch, denn,<br />

den Juden zufolge, ist das so: ist deine Mutter eine Jüdin, dann bist<br />

du ein Jude.<br />

I go to my father’s village and then everybody says: „You’re from<br />

here, because your father is from here, you’re not Jewish!“<br />

84


Wenn ich ins Dorf meines Vaters gehe, sagt aber jeder: „Du gehörst<br />

zu uns, weil dein Vater von hier stammt, du bist kein Jude!“<br />

…and I say: no, I’m everything, I’m the two of them.<br />

…und ich sage: nein, ich bin alles… ich bin alle beide.<br />

Well, I don’t think that I need to choose, no. I like the two of them,<br />

and I wanna live like this.<br />

Ich will nicht wählen. Ich mag beide und will so leben wie ich lebe.<br />

I wasn’t a „normal“ Catholic, and I wasn’t a Protestant…<br />

Ich war weder ein „normaler“ Katholik, noch ein Protestant…<br />

Sometimes I feel confused…<br />

Manchmal bin ich wirklich verwirrt…<br />

…who are you who are you who are you who are you…<br />

…wer bist du, wer bist du, wer bist du, wer bist du…<br />

Well, I’m Scottish, Malaysian, African and this and… you know?<br />

Also, ich bin schottisch, malaisch, afrikanisch, und dieses…und jenes…<br />

verstehen Sie?<br />

85


Also, als kleines Kind dachte ich zuerst ich sei adoptiert, weil ich<br />

weder wie meine Mutter noch wie mein Vater aussehe.<br />

I feel 50 % Muslim and 50 % Christian.<br />

Ich fühle mich zu 50 % als Moslem und zu 50 % als Christ.<br />

I go to Church and I go to Mosque.<br />

Ich gehe in die Kirche und in die Moschee.<br />

My identity is both!<br />

Meine Identität ist beides!<br />

You know, it’s like a plus point not being anything.<br />

Wissen Sie, es ist ein Pluspunkt, überhaupt nichts zu sein.<br />

Ho cercato di prendere il meglio da tutte e due le culture.<br />

Ich habe versucht, aus beiden Kulturen das Beste zu nehmen.<br />

I’m not Turkish: I’m half Turkish and half Armenian.<br />

Ich bin kein Türke: ich bin halb türkisch und halb armenisch.<br />

So, I like to be hybrid, to be different; not different, but different<br />

things.<br />

86


Ich bin gern ein Mischling, um mich zu unterscheiden, nicht um anders<br />

zu sein, sondern um verschiedene Dinge in mir zu vereinigen.<br />

Auf der Bühne<br />

Solo Voice:<br />

You may give them your love but not your thoughts.<br />

For they have their own thoughts.<br />

Sprecher:<br />

Ihr dürft ihnen eure Liebe geben, aber nicht eure Gedanken.<br />

Denn sie haben ihre eigenen Gedanken.<br />

Video<br />

When I was little I used to be very ashamed, really, that my mother<br />

was a Jew.<br />

Als ich klein war, habe ich mich immer dafür geschämt, dass meine<br />

Mutter Jüdin ist.<br />

But today it’s the other way around. Today I feel in my surroundings<br />

to be the most special. Because I can be both a Jew at a certain<br />

time, and also an Arab at another time, depending on the situation.<br />

Aber jetzt ist es ganz anders. Jetzt fühle ich mich in meinem Umfeld<br />

als etwas ganz Besonderes. Weil ich – je nach Situation – manchmal<br />

jüdisch und dann wieder arabisch sein kann.<br />

87


I have the freedom of the Jewish side and I also have the nice and<br />

traditional and more gracious side of the Arab side.<br />

Ich genieße die Freiheit auf der jüdischen Seite und die sympathische,<br />

traditionelle, liebenswürdige Art der arabischen Seite.<br />

It simply is something that can’t be separated. It’s a mix, kind of,<br />

and it can’t be seperated, and do sort of as if I have both sides and<br />

to seperate between them… No, I have the two worlds together.<br />

Das ist ganz einfach etwas, dass nicht zu trennen ist. Eine besondere<br />

Mischung, die nicht getrennt werden kann. Und wenn man –<br />

wie ich – zu beiden Seiten gehört und sich zwischen ihnen entscheiden<br />

müsste… Nein! Ich gehöre zu beiden Welten.<br />

Auf der Bühne<br />

Solo Voice:<br />

You may house their bodies but not their souls.<br />

For their souls dwell in the house of tomorrow, which you cannot<br />

visit, not even in your dreams.<br />

Sprecher:<br />

Ihr dürft ihren Körpern ein Haus geben, aber nicht ihren Seelen.<br />

Denn ihre Seelen wohnen im Haus von morgen, das ihr nicht besuchen<br />

könnt, nicht einmal in euren Träumen.<br />

88


Video<br />

The hatred comes from the fear of one culture towards another.<br />

Hass entsteht aus Angst, die die eine Kultur vor der anderen empfindet.<br />

You fear what you don’t know.<br />

Man fürchtet sich vor allem, was man nicht kennt.<br />

La paura e’generata dall’ignoranza.<br />

Angst entsteht aus Ignoranz.<br />

It’s more ignorance than anything else.<br />

Es ist mehr Unwissenheit als alles andere.<br />

L’ignoranza e’alimentata dalla societa’.<br />

Ignoranz nährt sich von Gesellschaftlichem.<br />

It’s a defence society. You’re always defending… you’re always<br />

justifiying your existance.<br />

Wir leben in einer Verteidigungs-Gesellschaft. Man verteidigt sich<br />

ständig… Man ist ständig damit beschäftigt, seine Existenz zu<br />

rechtfertigen.<br />

89


It’s about defence, it’s about fear…<br />

Es geht um Verteidigung… Es geht um Angst…<br />

It’s ridiculous, it just drives me up the walls, it really does…<br />

Es ist absolut lächerlich… Ich könnte vor Wut die Wände hochlaufen…<br />

Maybe it’s just within people, they just want to fight. Maybe they<br />

need some… maybe people just need a reason to fight.<br />

Vielleicht liegt die Lust am Kampf im Menschen selbst… Vielleicht<br />

brauchen Menschen immer nur einen Grund, um zu kämpfen.<br />

Auf der Bühne<br />

Sprecher:<br />

Was wir uns wünschen, ist eine Religion, die nicht trennt und spaltet…<br />

Video<br />

Religion is about blood, I can see it in anything what happens.<br />

In der Religion geht es ständig um Blut. Ich sehe es überall um mich<br />

herum.<br />

90


Fighting because of God, because there’s one God, and the<br />

second God, and the third God…<br />

Kämpfen für Gott… für den einen Gott, und den anderen Gott, und<br />

den dritten Gott…etc…etc…<br />

One thing I can’t stand is people using religion as an execuse.<br />

Was ich auf den Tod nicht ausstehen kann, sind Menschen, die mit<br />

ihrer Religion alles entschuldigen.<br />

Whatever cast, whatever race, whatever religion, conflict arises<br />

because of political issues.<br />

Von welcher Zusammensetzung, von welcher Rasse, von welcher<br />

Religion auch immer, die Konflikte entstehen durch politische<br />

Probleme.<br />

I don’t know how, if you believe that God exists, how can you give<br />

him so much credit?<br />

Wenn man an die Existenz eines Gottes wirklich glaubt, warum<br />

räumt man ihm dann unbegrenzten Kredit ein?<br />

I’m really angry with him, you know, not doing his work.<br />

Ich bin wirklich wütend auf ihn, weil er seinen „Job“ nicht macht.<br />

91


Auf der Bühne<br />

Sprecher:<br />

…sondern eine Religion, die verbindet und versöhnt.<br />

Video<br />

Same God… it just happens to be a different way of talking to him<br />

each way.<br />

Ein- und derselbe Gott… es kommt nur vor, dass man in verschiedenen<br />

Sprachen mit ihm spricht.<br />

It’s not important how I pray. God is one, this is important. In other<br />

words if I go to Mosque or to the Church, it doesn’t matter for me.<br />

Wie man betet ist wirklich nicht wichtig. Es gibt nur einen Gott, und<br />

das ist wichtig. Mit anderen Worten: Ob ich nun in die Moschee<br />

oder in die Kirche gehe, das macht für mich keinen Unterschied.<br />

Even though I don’t have a religion, I do believe in God, and I do<br />

pray.<br />

Obwohl ich keiner speziellen Religion angehöre, glaube ich an Gott<br />

und bete zu ihm.<br />

I think that God is one. The only thing I believe is God.<br />

Ich bin überzeugt, dass es nur einen Gott gibt und an diesen glaube<br />

ich.<br />

92


It’s not very important for me being a Muslim or a Christian. In the<br />

end people have the belief of God inside.<br />

Für mich spielt es wirklich keine Rolle, Moslem oder Christ zu sein.<br />

Letztendlich tragen die Menschen den Glauben an Gott in ihrem<br />

Innern.<br />

Auf der Bühne<br />

Sprecher:<br />

Denn was unsere Zeit vor allem braucht sind Brückenbauer…<br />

Video<br />

I want to see people change.<br />

Ich möchte, dass sich die Menschen ändern.<br />

Sit together, talk together…<br />

Dass sie zusammenfinden, miteinander reden…<br />

Nobody can be happy because of the violence.<br />

Gewalt macht alle unglücklich.<br />

I just believe that here’s something better we’re working towards.<br />

93


Ich glaube wirklich, dass wir an einer besseren Zukunft arbeiten.<br />

It’s not going to be easy.<br />

Es wird nicht leicht werden.<br />

Everything is possible.<br />

Alles ist möglich.<br />

I don’t know. I don’t know…<br />

Ich weiß nicht…<br />

We are all one people. What are we fighting with each others for?<br />

Wir sind alle Menschen… Warum kämpfen wir gegeneinander?<br />

It’s up to me to do what I want to do.<br />

Wenn ich etwas tun möchte, muss ich es tun.<br />

Es kommt auf meine Initiative an, was ich aus meiner Umgebung<br />

mache.<br />

Il mondo deve essere diverso, la diversita’ deve esistere.<br />

Die Welt muss unterschiedlich sein. Die Unterschiede müssen weiter<br />

bestehen.<br />

94


I think that I am sensitive to both sides more than anyone else.<br />

I mourn for the Jews and I mourn for the Arabs, so I have a double<br />

sensitivity. And that is something I will pass on to my son.<br />

Ich glaube, dass ich eine ganz besondere Sensibilität für beide Seiten<br />

entwickelt habe.<br />

Ich betrauere die Juden, und ich betrauere die Araber.<br />

Mein Einfühlungsvermögen gilt beiden.<br />

Und dieses Gefühl werde ich an meinen Sohn weitergeben.<br />

Auf der Bühne<br />

Solo Voice:<br />

You may strive to be like them, but seek not to make them like you.<br />

For lifes goes not backward nor tarries with yesterday.<br />

Sprecher:<br />

Ihr dürft euch bemühen, wie sie zu sein, aber versucht nicht, sie<br />

euch ähnlich zu machen.<br />

Denn das Leben läuft nicht rückwärts, noch verweilt es im Gestern.<br />

Sprecher:<br />

Denn was unsere Zeit vor allem braucht sind Brückenbauer.<br />

Brückenbauer, die bei allen Schwierigkeiten,<br />

Gegensätzen,<br />

Konfrontationen,<br />

doch das Gemeinsame sehen.<br />

Nur wenn wir wissen, warum es so gekommen ist,<br />

können wir verstehen, wie es um uns steht,<br />

können wir vermuten, wohin sich alles wendet…<br />

95


Nathan:<br />

Es eifre jeder seiner unbestochnen, von Vorurteilen freien Liebe nach;<br />

Es strebe von euch jeder um die Wette,<br />

Die Kraft des Steins in seinem Ring an Tag zu legen!<br />

Und wenn sich dann der Steine Kräfte<br />

Bei euren Kindes-Kindeskindern äußern:<br />

So lad’ ich über tausend tausend Jahre<br />

Sie wiederum vor diesen Stuhl. Da wird<br />

Ein weisrer Mann auf diesem Stuhle sitzen<br />

Als ich, und sprechen.<br />

96


Nachweise Libretto<br />

„Die Unschuld Gottes“, nach einem Satz von José Saramago, geschrieben in einem<br />

unmittelbar nach dem 11. September 2001 erschienenen Artikel „Jedoch, trotz allem<br />

ist Gott unschuldig“<br />

1. DER TURMBAU ZU BABEL:<br />

1. Buch Mose, Kapitel 11, Vers 1–9<br />

2. BILDER DER ENTFERNUNG:<br />

Gotthold Ephraim Lessing, „Nathan der Weise“, Dramatisches Gedicht in 5 Aufzügen<br />

(entstanden 1779 – UA: 14.3.1783 in Berlin), Reclam-TB 3, 1984<br />

Übertragung 1 ISTANBUL:<br />

Song: Open the doors of the heart of love, Gonca Girgin (Fabrica Musica)<br />

„Come, come…“, „Whatever do you think of war“<br />

Mevlana Jelaluddin (Dschelaleddin) Rumi (1207–1273):<br />

3. ASOMDWOE – FRIEDEN:<br />

(die wortwörtliche Übersetzung dieses ghanaischen Begriffes lautet: „Mein Ohr ist kühl“)<br />

„Whoever has killed…“, anonym<br />

„Vor allem müssen wir in Betracht ziehen…“, Erich Fromm, „Anatomie der menschlichen<br />

Destruktivität“, Reinbek bei Hamburg 1997<br />

Prediger-Texte:<br />

„Jude“, aus: Altes Testament: 5. Buch Mose, 2. Buch Mose, Josua 11, 20, Samuel, Jeremiah<br />

„Christ“, aus: A.T. (s.o.) – erste Sequenz parallel mit dem Juden: „Gelobt sei der Herr…<br />

(bis) Herr der Heere ist sein Name“,<br />

„Ihr Soldaten, haltet den Schild des Glaubens hoch… (bis) der sein Schwert vom Blut zurückhält“<br />

– Papst Gregor VII. –<br />

„Der Kämpfer Christi ist der Beauftragte Gottes zur Bestrafung des Bösen… (bis)… sondern<br />

ein Töter des Bösen“<br />

– Bernhard von Clairveaux –<br />

„ … greift zum Schwert Christi…, (bis) Verflucht sei der Mensch, der sein Schwert vom<br />

Blut zuückhält“<br />

– Papst Gregor VII. –<br />

aus: Karlheinz Deschner, Kriminalgeschichte des Christentums. Das 11. und 12. Jahrhundert,<br />

Reinbek bei Hamburg 2001<br />

„Ich sah die Augen glasig werden… (bis) Wie die Steine unter Steinen lagen sie da,<br />

wie man’s noch niemals gesehen“<br />

– arabischer Chronist Imad ad-Din über den 3. Kreuzzug (1189–1192),<br />

aus: Karlheinz Deschner, a.a.O.<br />

„Muslim“: „Und kämpfet für Gottes Sache gegen jene, die euch bekämpfen…“,<br />

frei formuliert nach dem Koran<br />

„Der Kommandant nannte mich Sergeant Born to Kill…“<br />

„Ich habe nicht mehr gezählt…“<br />

„Krieg ist nicht wie Fernsehen…“<br />

„Wenn ich allein bin, höre ich Stimmen…“<br />

„Nach sieben Monaten war ich wie betäubt…“<br />

„Weißt Du, was ich glaube?…“<br />

– Interviews aus: „Colors Magazine“ Nr. 14 (Krieg)<br />

„Die ganzen Ideen und das ganze Gerede – das hat alles nichts damit zu tun…“<br />

– Hasan Jafri, aus: V.S. Naipaul, „Beyond Belief“<br />

Übertragung 2 BELFAST:<br />

Erik Müller, „Ich wünsche mir Veränderung…“,<br />

aus: Trotzdem, Wege einer Annäherung, Erik Müller – Gedichte,<br />

Sonja Krebs – Fotografien, Bamberg 1994<br />

98


Songs: „My Friend“, Suzanne Savage (Fabrica Musica)<br />

„Reconciliation“, Ron Kavana (Fabrica Musica)<br />

4. AUS ANGST:<br />

„But also know…“, anonym<br />

Video-Material: Fabrica Video: <strong>Andrea</strong> <strong>Molino</strong>, Giulio Tami, Joe Togneri<br />

„Ein Märtyrer hat sechs Vergünstigungen… (bis) Und es wird ihm erlaubt sein, sich für 70<br />

seiner Familienmitglieder einzusetzen, die sonst zur Hölle müssten.“<br />

aus: Imaam ul Haramain Usaamah Khayyat, „The Virtues of Martyrdom“<br />

„Kann ein Mensch gut sein, der Angst hat?…“<br />

„Das Leid, das ihm die Angst schafft…“<br />

„Die Angst ist es, die böse macht…“<br />

„Man verbreitet den Tod aus Angst vor dem Tod…“<br />

„Man verbreitet Schrecken und Grauen aus eigenem puren Erschrecken und Grauen.“<br />

aus: Eugen Drewermann, „Strukturen des Bösen“, München 1978<br />

„And now my question, my last question…“, anonym<br />

Übertragung 3 JERUSALEM:<br />

Song „I would give half of my life…“, Tawfig Zayyad (Fabrica Musica)<br />

Gedicht: Jehuda Amichai (1924-2000), „Jerusalem“, aus: derselbe,<br />

„Jerusalem-Gedichte“, pendo pocket 2000<br />

5. BASTARDE UND DIE VERSAMMLUNG DES HERRN:<br />

„An dem Ort, an dem wir das Recht haben… (bis) Zweifel und Liebe aber lockern die<br />

Welt auf“<br />

von Jehuda Amichai, http://aufbauonline.live.com/2000/issue20/pages20/25.html<br />

„Ein Bastard darf nicht in die Versammlung des Herrn kommen…“,<br />

5.Buch Mose, 23,2<br />

Video Material: Fabrica Video: <strong>Andrea</strong> <strong>Molino</strong>, Giulio Tami, Joe Togneri<br />

„Your children are not your children…“<br />

„You may give them your love but not your thoughts…“<br />

„You may house their bodies but not their souls…“<br />

„You may strive to be like them but seek not to make them like you…“<br />

aus: Kahlil Gibran, „Der Prophet“, New York 1973<br />

„Was wir uns wünschen, ist eine Religion, die nicht trennt und spaltet, sondern eine<br />

Religion, die verbindet und versöhnt.“<br />

„Denn was unsere Zeit vor allem braucht sind Brückenbauer… (bis) Nur wenn wir wissen,<br />

warum es so gekommen ist, können wir verstehen, wie es um uns steht, können wir<br />

vermuten, wohin sich alles wendet.“<br />

aus: Hans Küng, „Projekt Weltethos“, München 1990<br />

Deutsche Übersetzungen: Margrit Poremba<br />

Nachweise Programmhefttexte<br />

Hans Küng, Projekt Weltethos, München/Zürich 1990; Hans Küng, Spurensuche, Die Weltreligionen<br />

auf dem Weg, München/Zürich 1999; Gotthold Ephraim Lessing, Nathan der<br />

Weise, Dramatisches Gedicht in 5 Aufzügen; Georg Hensel, SchauspielFührer, Berlin/<br />

Darmstadt/Wien 1975; N. Tinbergen, Of War and Peace in Animals and Men, aus:<br />

Science 160, 1968; Erich Fromm, Anatomie der menschlichen Destruktivität, Reinbek bei<br />

Hamburg 1997; Karlheinz Deschner, Kriminalgeschichte des Christentums. Das 11. und<br />

12. Jahrhundert, Reinbek bei Hamburg 2001; Bernhard Schimmelpfennig, aus: Peter Segl<br />

(Hrsg.), Die Anfänge der Inquisition im Mittelalter, Köln/Weimar/Wien 1993; Hans Sahl,<br />

Die Wenigen und die Vielen, Roman einer Zeit, Hamburg 1991; Eugen Drewermann,<br />

Strukturen des Bösen, München 1978; Alexander Mitscherlich, zitiert aus „Die Horen“,<br />

Band 112, 1978; Rabindranath Tagore, Mein Vermächtnis, München 1997; Interview mit<br />

<strong>Andrea</strong> <strong>Molino</strong>: Pietro Valdatta, Fabrica creative writing.<br />

99


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Inhalt<br />

Denn: was unsere heutige ZEIT vor allem braucht:<br />

das sind BRÜCKENBAUER<br />

Anmerkung zu CREDO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .10<br />

Die MENSCHLICHE Spezies . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .13<br />

Die BIBLISCHE Geschichte beginnt dort, wo der BABYLONISCHE Mythos endet:<br />

DER männliche GOTT erschafft die Welt durch das WORT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .14<br />

Denn der HERR wird IMMER nur VORGESCHOBEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18<br />

Die UNBEDINGTHEIT einer ANSCHAUUNG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .19<br />

Ein FEINDBILD ist für vieles GUT! Ein Feindbild ENTLASTET . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20<br />

ANATOMIE der menschlichen DESTRUKTIVITÄT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .21<br />

ANGST, die BÖSE macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .23<br />

„ADAM“ – Das URBILD aller MENSCHEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .25<br />

Ein GRUNDETHOS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .26<br />

Der „EINE GOTT“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .27<br />

RELIGION und SCHLICHTHEIT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28<br />

Religiöser HOCHMUT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .31<br />

Was WIR uns WÜNSCHEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32<br />

Biografie ANDREA MOLINO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .33<br />

FABRICA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .35<br />

Biografie DAVID MOSS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .37<br />

Interview mit ANDREA MOLINO, Direktor von FABRICA MUSICA . . . . . . . . . . . . . . .38<br />

Libretto CREDO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .43<br />

101


Impressum<br />

Badisches Staatstheater Karlsruhe<br />

Spielzeit 2003/2004<br />

<strong>Andrea</strong> <strong>Molino</strong>, Credo<br />

Premiere/Uraufführung: 30. April 2004<br />

Herausgeber: Badisches Staatstheater Karlsruhe<br />

Generalintendant: Achim Thorwald<br />

Verwaltungsdirektor: Wolfgang Sieber<br />

Redaktion: Margrit Poremba<br />

Postanschrift<br />

Badisches Staatstheater Karlsruhe<br />

76125 Karlsruhe<br />

Kartenvorverkauf<br />

Telefon: 0721 / 93 33 33<br />

Fax: 0721 / 35 57-346<br />

E-mail: kartenverkauf@bstaatstheater.de<br />

Herstellung: medialogik GmbH, Karlsruhe<br />

Anzeigenverwaltung: Schneider Consulting<br />

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