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mit dem Ehepaar Schwerte 8. u. 9. Oktober 1996 Unveröffentlicht

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8Er wäre in der SS immer ein "Exot" gewesen und innerhalb der SS das Ahnenerbe gleichfallseine exotische Angelegenheit.Beim Rasse- und Siedlungsamt in Berlin, wohin Jacobsen ihn ver<strong>mit</strong>telt hatte, habeSchneider gar nicht recht gewußt, was er tun sollte.Sievers lernte er dort im Dezember 1937 kennen.Wir kommen noch einmal auf die Passage über das "innere Reich" zurück und bringen dasGespräch auf Friedrich Hielscher und sein Jugendwerk "Das Reich".Die Widerstandsthese in Bezug auf das Ahnenerbe, die Hielscher in seinen Memoiren "50Jahre unter Deutschen" 17 ausbreitete, kennt <strong>Schwerte</strong> vom Hörensagen, er habe aber imAhnenerbe nichts von Widerstand bemerkt, wenngleich er solche Absichten (und jugendbündisch-verschwörerischenPläne) auch nicht auszuschließen vermag. 18Sievers und aktiven Widerstand könne man "natürlich nicht" zusammenbringen; ob Sieversdagegen gewisse "Ideen" gehabt hätte, weiß <strong>Schwerte</strong> nicht.Er beginnt über die Reaktionen im Ahnenerbe und im Reichssicherheitshauptamt (Rößner,Spengler) auf den 20. Juli 1944 zu sprechen, bricht dann aber - trotz Nachfrage - ab.Hielscher habe er 1943/44 persönlich kennengelernt. Sievers hatte ihn ins Ahnenerbe geholt.Hielscher sei "Abteilungsleiter" gewesen; im Ahnenerbe gab es "55 bis 60 Abteilungsleiter".Hielscher sei ihm von Sievers vorgestellt worden. Schneider sei ganz überraschtgewesen, daß da in einem ihm bis dahin unbekannten Zimmerchen im DienstgebäudePücklerstraße jemand saß. 19Nochmals auf das bündisch-verschwörerische Element angesprochen, weist <strong>Schwerte</strong> aufden Artamanen-Bund hin, eine völkisch-bündische Gruppierung ("Nachwehen der altenJugendbewegung"), deren Mitglieder wirtschaftlich niedergegangene Höfe im deutschpolnischenGrenzgebiet im Zuge des "Germanenkampfes" wieder flott machen wollten.Die Artamanen hätten viele Anhänger gehabt, die später eine Rolle in der SS spielten, unteranderem Himmler selbst sowie Wolfram Sievers. Hier lohnte es sich einmal nach-Emigration"?17Dieses Buch von Hielscher.kennt <strong>Schwerte</strong> erstaunlicherweise nicht und notiert sich den Titel.18<strong>Schwerte</strong> nennt bei dieser Gelegenheit den Autor Horst Mönnich, der gleichfalls irgendwo am Chiemseewohne und in den 1960er Jahren ein Fernsehspiel über das Ahnenerbe verfaßt habe ("Das Ahnenerbe"Desiderat!).19Ich habe mir daraufhin bei einem Archivaufenthalt in Berlin das Dienstgebäude in der Pücklerstraße 16ansehen wollen. War es so groß, daß man dort jahrelang gearbeitet haben und dennoch keinen Überblick überdie Räumlichkeiten haben konnte? Allein - das Gebäude steht nicht mehr. An dessen Stelle sind zwei Bungalowsin Bausparkassen-Optik errichtet worden.


10Da hätte Schneider ihn vor einer Blamage gerettet. Konnte er doch nachweisen, daß es sichbei diesem vermeintlichen Überrest aus germanischer Vorzeit um eine schlichte Erfindungvom Beginn des 20. Jahrhunderts handelte. Seit<strong>dem</strong> hätte er bei Himmler wohl einen Steinim Brett gehabt. (Wenngleich das nicht bedeutete, daß er nun zur Entourage Himmlers gehörthätte; "Persönlicher Stab", so <strong>Schwerte</strong> einmal mehr, sei eine große Abteilung gewesen,und er wäre Himmler persönlich nur wenige Male begegnet ...)Die Volkstanzforschung hätte ihn auch einmal nach London geführt. Dort hätte er sich ineiner Art Gegenausstellung die von den Nazis verfemte "entartete Kunst" angesehen undwäre "beinahe ausgestiegen" (also in London geblieben). Auch in den Niederlanden habeer 'Giftschränke' geöffnet und reichlich Emigrantenliteratur gelesen (wenn er auch damalsnicht mehr an einen 'Ausstieg' gedacht haben dürfte ...)Zur Arbeit in den okkupierten Ländern, insbesondere in den Niederlanden: Über die Konsequenzensei er sich inzwischen bewußt geworden, ebenfalls über den Zusammenhang, in<strong>dem</strong> die Arbeit der SS stand (dieser "Verbrecher-Organisation, deren Uniform ich getragenhabe").Richtig ernst genommen habe er seine Arbeit in den Niederlanden und später im Rahmendes Großgermanischen Wissenschaftseinsatzes zwar nicht, von einem bloßen "Überwintern"(wie in der "Zwischenbilanz" angedeutet 23 ) könne aber ebenfalls nicht die Rede sein.Denn diese propagandistische Auslandstätigkeit schien ihm doch auch wieder kriegswichtigzu sein: In den Niederlanden und anderswo sollte der "Widerstand nicht zu groß werden".Daher die ideologische Infiltration.Zu seinen zahlreichen Uk-Stellungen während des Krieges, insgesamt etwa 20 an der Zahl,sagt <strong>Schwerte</strong>, er wisse nichts bzw. nichts mehr davon. Wenn sich der HSSPF Rauter fürihn eingesetzt habe, so wundere sich <strong>Schwerte</strong> darüber nicht; denn Rauter hätte die Ahnenerbe-Arbeitin den Niederlanden sehr geschätzt. Generell bemerkt <strong>Schwerte</strong> zu Uk-Stellungen höherrangiger jüngerer SS-Führer, daß es, je totaler der Krieg wurde, sicherauch das Bestreben gab, eine Elite für die Zeit danach zu behalten. 24Im Frühjahr 1945 sei das Ahnenerbe "tot" gewesen und er - Schneider - beim Reichssicherheitshauptamt"untergeschlüpft".Er hätte sich über seine Stellung im Ahnenerbe Berlin während der letzten Kriegsmonate23Hab ich aber gar nicht geschrieben!24Dasselbe läßt sich etwa im Bereich der Hochfrequenzforschung zeigen. Natürlich <strong>dem</strong>entieren <strong>Schwerte</strong>sAusführungen über die damals erkannte Notwendigkeit, eine Elite hinüberzuretten, seine Mitteilungen, von


11geärgert. Er fühlte sich im Stich gelassen und fürchtete, als Repräsentant des Ahnenerbe allesausbaden zu müssen, wenn 'der Russe' kommen würde. 25 Aus Ärger sei er dann zu"meinen Freunden vom SD" gegangen. Beim SD, nicht aber beim Ahnenerbe hätte erFreunde und Vertraute besessen, <strong>mit</strong> denen er sich aussprach, insbesondere <strong>mit</strong> seinemFreund Spengler.Zwei Aspekte zu den Europa-Konzepten, entwickelt im März 1945 in Berlin am Wannseein Zusammenarbeit <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> SD (Rößner, Spengler):1.) Die Aufforderung sei wahrscheinlich von Himmler ausgegangen, der ja eine zeitlangSeparatfriedenskonzepte im Schilde führte.2.) Bereits 1944 sei die Kriegsniederlage nicht mehr zweifelhaft gewesen, und darüber habeer auch <strong>mit</strong> Rößner und Spengler gesprochen. Die Europa-Konzepte vom Frühjahr 1945seien "erste Konsequenzen aus <strong>dem</strong> Nationalsozialismus" gewesen. 26Er verließ Berlin am 25.4.1945. 27 Mit einem Sonderauftrag des SD und den nötigen PapiedenUk-Stellungen nichts gewußt zu haben.25Schneiders offizielle Briefanschrift im Frühjahr 1945 bestätigt diese Exposition:"An denLeiter des Arbeitsstabesdes 'Ahnenerbe'SS-Hauptsturmführer Dr. H.E.SchneiderBerlin-DahlemRuhlandallee 7 - 11"(NS 21-392, Schreiben der Reichsgeschäftsführung des Ahnenerbe, Waischenfeld, an Schneider, Berlin,5.3.1945.)26Bei der Lektüre dieser Texte ergibt sich dagegen eher der Eindruck, hier sollte gerettet werden, was zu rettenwar. Unter völliger Ausblendung der Verbrechen an den Juden und den östlichen Völkern wurden die"Ordnungsleistungen" der Nationalsozialisten hervorgehoben.27Zur militärischen Situation in Berlin in jenen Tagen:15.3.1945: "Die Verbindung nach Königsberg ist abgerissen."1<strong>9.</strong>3.1945: Besonders schwerer Angriff auf Berlin.2<strong>9.</strong>3.1945: Abwehr bei Frankfurt / Oder.11.4.1945: Von Hildesheim aus erreichen die Gegner den Raum um Salzgitter.15.4.1945: "Berlin bleibt deutsch, Wien wird wieder deutsch!" (Tagesbefehl Hitlers)1<strong>9.</strong>4.1945: Am dritten Tag der großen Abwehrschlacht um Berlin "warfen die Bolschewisten Menschenund Material in bisher nicht gekanntem Ausmaß in den Kampf."23.4.1945: "In die Verteidigungsfront hat sich neben Wehrmacht und Volkssturm die Zivilbevölkerungeingereiht. Männer, Frauen und Jugend geben der kämpfenden Front Hilfe und Unterstützung. (...) EinFeindeinbruch entlang der Prenzlauer Allee wurde abgeriegelt."2<strong>8.</strong>4.1945: "In den inneren Verteidigungsring ist der Feind von Norden her in Charlottenburg und vonSüden her über das Tempelhofer Feld eingebrochen. Am Halleschen Tor, am Schlesischen Bahnhof undam Alexanderplatz hat der Kampf um den Stadtkern begonnen."2<strong>9.</strong>4.1945: "Tag und Nacht tobte der fanatische Häuserkampf um den Stadtkern von Berlin."30.4.1945: Tod Hitlers.


12ren 28 ausgestattet, machte er sich auf den Weg nach Flensburg. Das war eine Abreise aufBefehl, nicht etwa eine Flucht auf eigene Faust.Es gab den "Befehl: Die ganze Mannschaft nach Flensburg!" 29Während aber die anderen (also sicher Rößner, Spengler und die weitere RSHA-Crew) <strong>mit</strong><strong>dem</strong> Auto fuhren, habe sich Schneider <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Fahrrad auf den Weg machen müssen. Erkam "eine halbe Woche vor der Befreiung" an.Offensichtlich ist er nicht bis nach Flensburg gelangt, sondern hat sich in Lübeck überrollenlassen, wo er bei Verwandten eine Bleibe fand. Er hatte etwas Geld, das er in Berlinvon seinen Sparbüchern abgehoben hatte. Davon konnte er für einige Zeit leben. In Lübeckentschloß er sich zum Identitätswechsel und beschaffte sich auf <strong>dem</strong> Schwarzen MarktEntlassungspapiere aus einem Kriegsgefangenenlager.Der Name "<strong>Schwerte</strong>" rührte nach seiner Auffassung nicht von einer Assoziation <strong>mit</strong> <strong>dem</strong><strong>Schwerte</strong>r-Verlag her, sondern vom Spitznamen einer entfernteren Verwandten. (Frau<strong>Schwerte</strong> stimmt zu.)Sein wirklicher Fehler bei der Einfädelung der Neu-Identität sei "Hildesheim" gewesen.Hätte er nur "Insterburg" oder "Stallupönen" angegeben! Irgendetwas Entlegen-Ostpreußisches! Man habe ja damals von den Verwüstungen und davon gewußt, daß dieseGebiete in den russischen Einflußbereich kommen würden. 30 Das alles habe er seinerzeitwohl erwogen, aber es ging auch das Gerücht, die aus Ostpreußen stammenden Flüchtlingewürden in ihre Heimat zurückgeführt werden, in die Hände der Russen, und was das füreinen SS-Offizier bedeuten mußte ... 31Wichtig ist, daß der Entschluß zur intellektuellen Konversion erst nach <strong>dem</strong> Namenswech-2.5.1945: "Die Reste der tapferen Besatzung von Berlin kämpfen im Regierungsviertel".Militärische Daten (nicht eingeklammert) aus: Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht (Wehrmachtsführungsstab),Band IV, 1. Januar 1944 - 22. Mai 1945, Eingeleitet und erläutert von Percy ErnstSchramm, 2. Halbbd., Ffm. 1961.28Diese "Papiere" waren die notwendigen Befehle und Unterlagen, um sich gegenüber der Feldpolizei undden SS-Streifen, den damals sog. "Kettenhunden", zu legitimieren, aber keine Papiere, die seine neue Identitätauswiesen.29"Die ganze Mannschaft nach Flensburg" ist ein wörtliches Zitat, an anderer Stelle aber hat <strong>Schwerte</strong> davongesprochen, daß die SD-Angehörigen in den Süden in Richtung Alpen ("Feste Alpenland") fuhren, er dagegenin den Norden. Dieses Detail muß noch aufgeklärt werden.Herr <strong>Schwerte</strong> ist bereit, Fragen, die sich aus den Interviews ergeben haben, schriftlich oder bei einem weiterenBesuch zu beantworten.30Und dennoch setzte er sich nicht für eine Evakuierung seiner Eltern ein (siehe oben).31Abermals: Angst als das entscheidende Motiv. Sie erklärt überhaupt den ganzen Hildesheim-Gesichtspunkt.


13sel erfolgte, und zwar im Mai / Juni 1945 angesichts in Lübeck angeschlagener Bilder vonKonzentrationslager-Greueln. Diese Bilder zu sehen - der "eigentliche Wendepunkt" fürSchneider / <strong>Schwerte</strong>. Ein Ruck sei durch ihn gegangen. Er faßte den "festen Entschluß":"Du trägst einen neuen Namen. Jetzt mußt Du eine neue Verantwortung übernehmen."Nach <strong>Schwerte</strong>s Darstellung bedeutete das: Heraus aus der schuldhaften Verstrickung; pädagogischesEngagement, da<strong>mit</strong> solche Greuel nie wieder geschehen würden: Lehrer wollte<strong>Schwerte</strong> werden, nach<strong>dem</strong> er zwischenzeitlich auch einmal daran gedacht hatte, als Volontärin eine Buchhandlung einzutreten.Er studierte noch einmal, ging zu Pretzel nach Hamburg, pendelte täglich von Lübeck aus.Über das Rilke-Thema seiner zweiten Promotion kam er schließlich zu Prang 32 nach Erlangen.Das hätte sich glücklich gefügt, da ja Frau und Tochter in der Nähe untergekommenwaren. Frau <strong>Schwerte</strong> kam, noch als Frau Schneider, am 1.4.1945 <strong>mit</strong> der Tochter inNeuendettelsau an.Bei Prang habe auch der später so bekannte Germanist und Romancier Walter Höllererpromoviert.Prang sei Vorsitzender einer Entnazifizierungskommission gewesen. Die bloße Andeutung,das kleinste Gerücht, daß <strong>Schwerte</strong> bis 1945 etwas <strong>mit</strong> der SS zu tun hatte, hätte für Pranggenügt, ihn schroff abzuweisen.<strong>Schwerte</strong> stimmt der Auffassung zu, daß er ein fast unglaubliches Glück gehabt hätte, inErlangen eine der raren, bei den Heimkehrern so heiß begehrten Assistentenstellen zu erhalten,die zugleich auch noch <strong>mit</strong> der Familienzusammenführung verbunden war. <strong>Schwerte</strong>hat Verständnis dafür, wenn viele an dieser Stelle seiner Lebensgeschichte an ein Netzwerkalter Kameraden glauben. Aber es sei eben nichts als Glück gewesen. 33Bis auf Rößner und Spengler sei er in der Nachkriegszeit nieman<strong>dem</strong> wissentlich begegnet,der über das Doppelleben informiert gewesen wäre. Er beharrt auch darauf, als ihm entgegnetwird, das sei doch ziemlich unvorstellbar.Prang habe ihn in Erlangen eingestellt, nicht Burger. Die ganze in der "Zwischenbilanz"aufgeworfene "Klopstock-Frage" hält <strong>Schwerte</strong> für "absurd". Diese Recherche werde in eine"Sackgasse" führen. Für derlei Projekte sei er im Ahnenerbe nicht zuständig gewesen,32Wobei Prang, der ihn in Erlangen ja eingestellt hatte, zu jenen gehört, über die <strong>Schwerte</strong> ebenfalls kein gutesWort übrig hat.


14sondern eher Höfler, und an einer entsprechenden Tagung, wohl eher einem Werkstattgespräch,habe er jedenfalls nicht teilgenommen - wenn da überhaupt etwas stattgefundenhaben sollte. <strong>Schwerte</strong> hält Benno von Wiese, der darüber ja in seinen Memoiren berichtethat, für nicht sehr zuverlässig. Es sei absurd, Burger in eine Verschwörungstheorie einzubauen.Zu Burgers Schrift "Dasein heißt eine Rolle spielen": Dieser Satz sei häufig - und namentlichvon Witte / Düsseldorf - als Indiz für Doppel- und U-Boot-Existenzen in der germanistischenSzene nach 1945 gedeutet worden, obgleich der Satz doch aus der Barockliteraturstamme.Im Frühjahr 1946 ließ Frau Schneider ihren Mann bei einem Notar in München für tot erklären.Er wartete während dieser Rechtsprozedur draußen vor <strong>dem</strong> Amtsgebäude.Falsche bzw. erschlichene Papiere, auf die <strong>Schwerte</strong> sein 'zweites Leben' aufbaute:1.) Entlassungsschein aus <strong>dem</strong> Kriegsgefangenenlager.2.) Personalausweis.3.) Toterklärung.4.) gefälschte Geburtsurkunde (Ersatzausfertigung?).5.) Göttinger Bescheinigung über Königsberger Studienleistungen.In Erlangen habe <strong>Schwerte</strong> Lehrveranstaltungen gemeinsam <strong>mit</strong> Theologen durchgeführt.Das war in seiner theologischen Phase. (Erlangen hatte eine berühmte Theologische Fakultät,deren Stern aber im Sinken begriffen war. 34 )Er habe in Erlangen sechs Jahre lang Theaterwissenschaften gelehrt und das theaterwissenschaftlicheInstitut aufgebaut. Ob seine Theaterleidenschaft <strong>dem</strong> eigenen Maskenspiel zugutekam- er weiß es nicht.<strong>Schwerte</strong> äußert sich zu einzelnen Passagen der "Zwischenbilanz".Bemerkenswert ist, daß er keinerlei Kritik an den massiven und belastenden Vorwürfen inder "Zwischenbilanz" äußert. Weder dazu, daß er als "Organisator und Ideologe" führendtätig gewesen sei, daß man in ihm einen der schroffsten SS-Literaturpolitiker zu sehen habe,noch, daß es platterdings nicht zu glauben sei, daß er von der "militärischen Zweck-33Diese Darstellung als 'reiner Tor' prägt seinen ganzen Lebensbericht.34Er weist auf die Erinnerungen des Theologen Kühnert hin.


15forschung" im Ahnenerbe 'nichts gewußt' hätte ... 35Zu den einzelnen Punkten bemerkt <strong>Schwerte</strong> anhand vorbereiteter Aufzeichnungen:Er habe zwei Semester in Berlin studiert, unter anderem bei <strong>dem</strong> jüdischen TheaterwissenschaftlerMax Herrmann, wo er an Regie-Übungen teilgenommen hatte.1938 sei er in die NSDAP eingetreten, nicht 1937.An die Aufgaben während seiner "SS-Zeit" (wie er die Jahre von 1937 bis 1945 stetsnennt) vor <strong>dem</strong> Krieg in Österreich kann er sich absolut nicht erinnern. Zuvor, 1936, sei erin Graz gewesen; diese Gegend von Österreich habe er als stark nationalsozialistisch eingefärbterlebt ("oberhalb von 1.000 Metern alles braun, hier hatte die Polizei nichts zu suchen").Zu Zehrer: Eine nähere Verbindung zu ihm hätte es nicht gegeben, aber jetzt, da <strong>Schwerte</strong>in der "Zwischenbilanz" gelesen habe, welche Rolle Zehrer bei Stalling gespielt hatte, seiihm klar geworden, warum der Verlag so sehr darauf drängte, Zehrer als Beiträger in dieEuropa-Buchreihe aufzunehmen. Dagegen habe er - <strong>Schwerte</strong> - Bergsträsser in die Reihegeholt. 36Rößner sei gar nicht mehr bei Stalling gewesen, als an den Europa-Bänden gearbeitet wurde.Dessen Nachfolger war "Wenski" (phon.). Die Verlagspolitik aber habe die "GeheimrätinStalling" bestimmt, die auch Zehrer in den Band aufnahm.Er versichert, daß er in den Jahren seit 1945 nach seinem Wissen von Nieman<strong>dem</strong> erkanntworden sei.Auch von Gerüchten um ihn hätte er nie etwas vernommen.Von Gehlen habe es "nie eine Andeutung" gegeben. Ihn hätte er bewußt erst in Aachenkennengelernt; er erinnert sich nicht daran, Gehlen vor 1945 persönlich getroffen zu haben.35Eine abermalige Berliner Archivrecherche, nach <strong>dem</strong> Besuch bei <strong>dem</strong> <strong>Ehepaar</strong> <strong>Schwerte</strong>, hat ergeben, daßjener Schilling, dessen Angelegenheit Schneider laut Telegramm von Sievers bearbeitete, nicht identisch ist<strong>mit</strong> <strong>dem</strong> verbrecherischen Malariaforscher. Es handelte sich um den Sanitätsgefreiten Dr. Friedrich Schilling,einem Mitarbeiter Schwalms am Handwörterbuch des Grenz- und Auslandsdeutschtums, für dessen Übernahmein die Waffen-SS und anschließenden Ahnenerbe-Einsatz in Norwegen und Dänemark sich Schneideraussprach. (BA, NS 21-974, Vermerk, gez. Schneider, 25.11.1943)Zugleich aber brachte die Recherche einen Brief Schneiders zutage, worin ausdrücklich von der wehrwissenschaftlichenZweckforschung die Rede ist:"Lieber Kamerad von Stokar!SS-Standartenführer Sievers läßt anfragen, ob es Ihnen inzwischen gelungen ist, bei GeneralkommissarDr. Wimmer Einsicht in die Liste der von unseren wehrwissenschaftlichen Instituten benötigten Apparatezu nehmen. Wir wären Ihnen sehr dankbar, wenn Sie von sich aus die Beschaffung dieser Apparate beschleunigenkönnten, da unsere Institute sie dringend benötigen."(BA, ehemals BDC, Personalakte von Stokar-Neuforn, Walter, Prof. Dr., 5.6.1901, Schneider, Bln.-Dahlem,an v. Stokar, Universität Köln, 17.2.1943.)36Siehe den Beitrag "Europa: Geistige Wirklichkeit" in Bd. 1 der Reihe "Gestalter unserer Zeit", S.14 - 1<strong>9.</strong>


16Mit Mehnert sei er in der Aachner Zeit befreundet gewesen. Dagegen nicht <strong>mit</strong> Gehlen;<strong>mit</strong> diesem war der Historiker Klinkenberg befreundet.<strong>Schwerte</strong> widerspricht der Überlegung, die Nachkriegskarrieren von Höfler, Pfahler, Pfeffer,Schwalm etc. in der Bundesrepublik hätten ihn davon abgehalten, eigene Skrupel beider Karriereplanung zu hegen. Zu Schwalm bemerkt er, dieser sei sein Freund gewesen 37 ,und über ihn wolle er sich nicht äußern. Schwalm habe immerhin durchgesetzt, daß die altenorwegische Holzstadt Bergen <strong>mit</strong>samt historischen Holzkirchen nicht zerschossen wurde,wofür ihm nach <strong>dem</strong> Kriege von norwegischer Seite offiziell gedankt worden sei.Zum Leben <strong>mit</strong> doppelter Identität ab 1945 bemerkt <strong>Schwerte</strong>, daß ihm seine ganz persönliche'Geschichte' immer bewußt gewesen sei: "Das Eis habe ich wohl gespürt unter mir."Daß er etwa verhältnismäßig lange habilitierte, habe keineswegs allein an seinen vielenanderen Verpflichtungen gelegen, sondern auch daran, daß er erst einmal gehörig Zeit vergehenlassen wollte, bevor es in den Professoren-Parcours ging. Zu seiner Vorsicht gehörteauch, daß er sich, in den Anfangsjahren zumindest, nicht allzu sehr öffentlich exponierte.So sei er einmal zu einer Sitzung der Gruppe 47 eingeladen gewesen und habe dort auchvorgetragen; ein zweites Mal aber ging er trotz Einladung aus Vorsicht nicht hin. 38Er habe jede Stunde in seinem 'zweiten Leben' genossen, in der er Wissenschaftler undHochschullehrer sein durfte. Eine neue ungeahnte Freiheit. <strong>Schwerte</strong> gebraucht das Bildvom Ritt über den Bodensee.Den 3. <strong>Oktober</strong> als Geburtstag seines 'zweiten Lebens' beging <strong>Schwerte</strong> natürlich regelmäßigund zu späterer Zeit, nach gelungenem Aufstieg, ließ er sich entsprechend feiern. Aberseinen richtigen Geburtstag, den 5. Dezember, feierte er stets ebenfalls, und zwar <strong>mit</strong> seinerFrau.Zu Dyserinck: (...) 39Zu Weydt. Über dieses angebliche Netz habe er erstmals in einem Artikel von Horstkotte 40gelesen. Er habe Weydt vor Kriegsende nicht gekannt. Jedenfalls war ihm nicht bewußt,daß Weydt einst Gastprofessor in Gent gewesen war. Hätte <strong>Schwerte</strong> Hinweise darauf ge-37Schneider hatte ihn während des Krieges auch unterstützt. So half er ihm bei <strong>dem</strong> Kampf um seine Uk-Stellung (BA, NS 21-974, Schneider an Schwalm, 17.11.1942).38Hier ist auch zu bedenken, daß er in den Bänden der Nürnberger Gespräche zu den wenigen Beiträgerngehörte, die kein Photo von sich aufnehmen ließen.39Zuerst hatte <strong>Schwerte</strong> zweimal "1983" gesagt und die Jahreszahl dann auf erstaunte Rückfrage in "1993"korrigiert.40Aus Datenschutzgründen gestrichen! (2. September 2007)


17habt, daß Weydt ihn durchschauen könnte, er hätte sofort "Nein" gesagt, als das Angebotkam, Weydt im Sommersemester 1963 (nicht - wie in der "Zwischenbilanz" - WS1963/64!) in Münster zu vertreten. <strong>Schwerte</strong> nutzt das Argument des Absurden: Hält manes für wahrscheinlich, daß er sich in die Nähe alter Kameraden begab, die seine ganze neueExistenz bedrohen konnten? 41Grundsätzlich bemerkt <strong>Schwerte</strong> zu den Aspekten 'alte Kameraden' und Netzwerke: Mandürfe sich den nationalsozialistischen Apparat in den okkupierten Ländern nicht als eineEinheit denken. So habe es etwa in den Niederlanden ständige Reibereien zwischen <strong>dem</strong>HSSPF und <strong>dem</strong> Reichskommissar gegeben; so etwa hätten in Den Haag "auf der anderenStraßenseite" 42 SS-Standartenführer Wimmer, v. Stokar und Schwartz residiert, die sich anden Konkurrenzmachereien stark beteiligten. (Frau <strong>Schwerte</strong> zitiert hier den trefflichen,aus der NS-Zeit stammenden Ausdruck "NS-Kampfspiele".)<strong>Schwerte</strong> als wissenschaftlicher Neuerer in der Aachner Zeit. Er war an <strong>dem</strong> ersten Kongreßüber Germanistik und EDV führend beteiligt (1968 oder 1969). Der Einstieg sei ihmdurch gute Kontakte zu Wilhelm Fucks 43 erleichtert worden, der selbst mathematischeTheorien auf Literatur, Kunst und gesellschaftliche Probleme angewandt hatte. Auf Anregungvon Félix Bertaux ließ <strong>Schwerte</strong> einen Hölderlin-Index erarbeiten (was ihm natürlichdie Häme der konservativen Zunft eintrug). Zur Finanzierung des Hölderlin-Index trugendie Thyssen- und die VW-Stiftung bei.Als Rektor in Aachen habe er das Stimmrecht der nichtwissenschaftlichen Mitarbeiterdurchgesetzt (und dabei allerdings klargemacht, daß diese Gruppe nur bei den sie betreffendenFragen <strong>mit</strong>stimmen sollte, nicht aber, wenn es um den wissenschaftlichen Bereichging).Witte, der bei ihm über Walter Benjamin habilitierte, habe zu <strong>Schwerte</strong>s späterem Engagementin Belgien und den Niederlanden geschrieben, der Täter sei da<strong>mit</strong> an den Tatortseiner Verbrechen zurückgekehrt. <strong>Schwerte</strong> überlege noch immer, ob er deshalb juristischgegen ihn vorgehen sollte.41Dieser Argumentation ist logisch nicht viel entgegenzusetzen. Aber die Kontaktvermeidung <strong>mit</strong> alten Kameraden,die sich (statistisch betrachtet) in den Wissenschaften auf der konservativen Seite des Spektrumsbefanden, läßt <strong>Schwerte</strong>s spätere Linksposition noch in einem anderen Licht erscheinen als in <strong>dem</strong> der ideellenKonversion.42Hier erinnert sich <strong>Schwerte</strong> erstaunlich präzis!43Prominenter Physikprofessor der RWTH, wegen seiner SA-Mitgliedschaft in studentischen Flugblätternkritisiert, in den 50er Jahren Rektor, einer der 'Väter' der nordrhein-westfälischen Arbeitsgemeinschaft fürForschung und der einstigen Kernforschungsanlage Jülich.


18Auf die Frage, warum er sich 1974 vom nordrhein-westfälischen Minister für Wissenschaftund Forschung <strong>mit</strong> der "Pflege und Fortentwicklung der allgemeinen Beziehungen zwischenden Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen und des Königreichs der Niederlandesowie des Königreichs Belgien" habe beauftragen lassen, wiederholt <strong>Schwerte</strong> seinArgument, er habe etwas wiedergutmachen wollen - getreu seiner Konversionsabsichtvon Mai / Juni 1945 in Lübeck.Er wird gefragt, ob ihm, der sich ja seiner Doppelexistenz erklärtermaßen stets bewußt gewesenist, denn nicht klar sein mußte, daß er sowohl die Landesregierung wie auch dieRWTH Aachen in die Gefahr einer sehr ernsten Situation brachte. "Vielleicht"; im Rückblicksei das ein "Fehler" gewesen.Insbesondere bedauert Herr <strong>Schwerte</strong>, zwei Personen zutiefst enttäuscht zu haben: HermannGlaser, den Nürnberger Kulturdezernenten und Initiator der "Nürnberger Gespräche",sowie Johannes Rau. Das tue im leid, er bedauere es zutiefst.Herr <strong>Schwerte</strong> wird gefragt, ob er einmal daran gedacht hätte, Johannes Rau einen Brief zuschreiben?<strong>Schwerte</strong> ist auf höchste verärgert über den Vortrag / Aufsatz von Buck, seinem Nachfolgerin Aachen, den er persönlich nie kennengelernt habe. (Als seinen Nachfolger hatte<strong>Schwerte</strong> den Germanisten Steinhage ins Spiel bringen wollen.)Zu Bertaux: Mit ihm, <strong>dem</strong> exponierten Mann der Résistance und späterem linken Hölderlin-Interpreten,seien die <strong>Schwerte</strong>s gut, sogar sehr gut befreundet gewesen.Félix Bertaux hätte aufgrund eigener Identitätsprobleme und einer ebenfalls krummen Biographiefür <strong>Schwerte</strong> vielleicht Verständnis gehabt und den Kontakt nach der Aufdeckungnicht abgebrochen - im Gegensatz zu den meisten anderen Freunden und Weggefährtendes 'zweiten Lebens'. Leider aber, so bemerkt <strong>Schwerte</strong> sarkastisch, habe Bertaux ihm "denWitte" als Habilitanden "auf den Hals gehetzt".<strong>Schwerte</strong> sei öfters in der DDR gewesen und habe dort vorgetragen, u.a. 1979 in Leipzigsowie in Weimar (Tagung unter Leitung von Prof. Hahn). Noch 1988 war in der DDR. 44Am 15.1.1995 hat <strong>Schwerte</strong> seinen letzten öffentlichen Vortrag vor der Enttarnung gehalten:"Faust und das Faustische - Vom Faustbuch zum 'anschwellenden Bocksgesang'". 4544Es wäre zu recherchieren, ob die Stasi über ihn Akten angelegt hat.


19*Der Gesamteindruck von Herrn <strong>Schwerte</strong> ist der eines geistig präsenten Menschen, der dieironische aber auch die zynische Tonlage beherrscht. Auf seinem Schreibtisch lagen Zeitschriftenwie das "Moral"-Doppelheft des "Merkur", de Bruyns "Vierzig Jahre" und die"Zeit" <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> großen Bericht über das Doppelleben von Stefan Hermlin. Auf die Frage,was er über den 'Fall' Hermlin denke, antwortete Herr <strong>Schwerte</strong>, Hermlin habe vielen Menschenin der DDR geholfen ...Abfällig und <strong>mit</strong> einer schwer erträglichen Arroganz pflegt <strong>Schwerte</strong> sich über den größerenTeil der Weggefährten in seinen 'beiden Leben' zu äußern.Über diejenigen aber, die er als seine Freunde bezeichnet, in der NS-Zeit zuvörderstRößner, Schwalm und Spengler, schweigt er: "Das war ein Freund, darüber möchte ichnicht weiter erzählen (...)"<strong>Schwerte</strong> versucht nicht, andere Personen in seinen Fall hineinzuziehen, obgleich es ihmein leichtes wäre, von Personen zu behaupten, sie wären bereits seit langem über sein Doppellebeninformiert gewesen.Über die Historiker macht er sich lustig: "Ja, forscht nur in Euren Archiven über SA undSS (...)" Der Substanz seines Falles würde man dadurch doch nicht nahekommen - daß ersich nämlich geändert und sein erstes Leben durch sein zweites ausgelöscht habe.Frau <strong>Schwerte</strong> nahm in den Gesprächen vor allem die Rolle der aufmerksamen, nur mäßigkommentierenden Zuhörerin ein, die ihrem Mann zur Seite steht.In einer Gesprächspassage aber zeigten sich ihre eigenen Befürchtungen. Es ging um dieFrage eines "Sonderkommando"-Einsatzes. <strong>Schwerte</strong> schloß einen solchen Einsatz kategorischund energisch aus. Als ihm gesagt wurde, daß er Ende 1939 ja zu einem solchen Einsatznach Krakau kommandiert worden sei (an <strong>dem</strong> er dann aufgrund einer dringendenZahnbehandlung nicht teilgenommen hat), bekam Frau <strong>Schwerte</strong> einen regelrechtenSchreck ("Du warst doch damals in Dresden in Behandlung!").Nach <strong>dem</strong> Ende des zweiten Gesprächs geht Frau <strong>Schwerte</strong> <strong>mit</strong> hinaus; er bleibt in seinemZimmer.Draußen. Sie erzählt vom Beginn des 'zweiten Lebens'. Ihr Mann habe damals zu ihr gesagt,er sei zu schwer für die meisten, aber sie, seine Frau, werde ihn tragen können. Undso sei es auch gewesen. Wir könnten gerne wiederkommen.B.-A.R.45Ms. wurde von <strong>Schwerte</strong> inzwischen geschickt.

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