SPIELPLATZ<strong>Ultimo</strong>-Lesern ist Bill Willinghams Serie längst bekannt, wir habenbestimmt zwölf Mal <strong>auf</strong> der Comic-Seite über die schnurrigeMärchenserie berichtet, die lange vor Grimm oder Once Upon ATime einen eigenen,höchst fantasievollenZugang zurMärchenwelt fand.Telltale wiederumMärchenmörderkennen wir von demNach »The Walking Dead« machtziemlich genialenPC-Spiel The WalklingDead, dassich»Fables« heransich Telltale jetzt an die Comicserielose an dem gleichnamigenComicorientierte und vor allem eine spannende Geschichte erzählte, inder man sich als Spieler immer wieder mit Entscheidungen konfrontiertsah,die Auswirkungen<strong>auf</strong>den weiterenVerl<strong>auf</strong> derStory hatten.Jetzt hat Telltaledieses Erzählprinzip<strong>auf</strong> Fables angewandt.Auch hier verfolgtdasSpiel eine eigeneGeschichte,besetzt mit den bekannten Figuren (wer sich nicht auskennt,bekommt im Spiel nach und nach ein gutes Kompendiumfreigeschaltet). Bigby, der große böse Wolf und jetzt Sheriff von Fabletown,hat einen Mord zu untersuchen. Menschen undMonster müssen befragt werden, es gibt die eine oder anderePrügelei, und ansonsten folgt man den witzigen undgut eingesprochenen Dialogen, in denen man recht schnellbestimmte Antworten anklicken muss (Englischkenntnissesind wichtig, eine deutsche Fassung gibt es nicht). Undwährend die Geschichte anfangs etwas müde dahindümpelt,nimmt sie im letzten Drittel der Episode gewaltigFahrt <strong>auf</strong>, und am Ende liegt ein abgeschlagener Kopf <strong>auf</strong>dem Rathaus, der da ganz und gar nicht liegen sollte. Unddamit schließt die erste Episode, denn Telltale bleibt auchhier seinem Prinzip treu und veröffentlich die Geschichtenur häppchenweise. Bigby hat zwar verschiedene Verdächtige,aber wer aus der Fablestown-Gemeinschaft alsMädchenmörder unterwegs ist – dieses Rätsel ist nochlange nicht geklärt. (The Wolf Among Us. Für PC.Hersteller: Telltale. Vertrieb: Steam) /// -aco-Du bist Zellner, Anton Jakob Zellner, ein übergewichtigerSchweizer Wachtmeister mit Halbglatzeund einem Faible für Kriminalromaneder guten, alten Art. Was für ein Glück, dass dugerade im Orient-Express sitzt, der in den 60erJahren eine Handvoll skurriler Charakterenach Venedig transportiert: Einen französischenInspektor, eine englische Kriminalschriftstellerin,deren amerikanische Gesellschafterinsamt vorlautem Sohn, einen miesepetrigendeutschen Arzt, eine verrückte Gräfinnebst Butler, einen österreichischen Stehgeigerund so weiter. Alle Figuren bewegen sichmittelgut animiert und im deutschen Originalnoch etwas prächtiger vertont als in der englischsprachigeninternationalen Fassungdurch The Raven – Vermächtnis eines Meisterdiebs.Erst haben wir kleinere Adventure-Aufgabenzu lösen, eine verlorene Brieftaschezu finden, ein Schloss zu öffnen, aber bald wird das Abenteuer kinogroß. AnBord ist ein wertvoller Edelstein <strong>auf</strong> dem Weg zum ägyptischen Museum in Kairo –und die Hinweise verdichten sich, dass ein angeblich schon vor Jahren erschossenerMeisterdieb, eben „der Rabe“, einenÜberfall <strong>auf</strong> den Zug plant. Wir redenals Zellner hilfreich mit allen, wir lesenFlashbackZeitungen und in Zellners Notizbuch,und wir freuen uns daran, dass jede Figurihre Hintergrundgeschichte kriegtEin gemütlicherund wir geschickt und über logisch guteingebettete, wenn auch ein bisschen zu Rätselkrimi erzählt seineeinfache Rätsel in die Richtung der Lösunggestupst werden. Nie muss manGeschichte mehrmalsverzweifelt alles anklicken oder sinnlos im Inventarherum kombinieren, nie kommt man in Zeitnot. Bis wir uns – Vorsicht Spoiler– am Anfang des zweiten Kapitels der Trilogie plötzlich <strong>auf</strong> hoher See gefesselteinem irren Mörder gegenüber sehen undschnell das Richtige tun müssen, um weiterreden und lesen zu können.Vorher ist unser Zug explodiert, späterstürzt das Museum über uns zusammen. DieAction reicht für einen Blockbuster. Und derHaupttwist sogar für einen anspruchsvollenThriller. Mitten im zweiten Kapitel nämlichwechseln wir den Helden und arbeiten nun<strong>auf</strong> der dunklen Seite noch einmal <strong>auf</strong>, wasbisher geschah. Logische Löcher im erstenDurchgang füllen sich, die Motive aller Figurenerscheinen in einem anderen Licht. Und mit Kapitel drei wechseln wir noch einmal.Das unterhält ganz vorzüglich, und es macht gar nichts, dass Zellner in der einenPerspektive seine Polizeimütze verliert, in der anderen aber nicht. Oder dasswir einmal mit Fingerabdruckpulver herausfinden, dass jemand Handschuhe getragenhat, und wir dann sehen, dass er gar keine hatte. Erschien erst alsDownload in drei getrennten Kapiteln via Steam und füllt eher als interaktiver Romandenn alsSpiel gut 25Stunden.Eine Box-Versionohne Online-Zwangist in Vorbereitung.(TheRaven – VermächtniseinesMeisterdiebs.KingArt / Nordic.Für PC (gespielt),Mac,Linux, Xbox,PS 3) /// -w-22 ULTIMO
Albert Camus würde am 7. November 100Jahre alt. Aus diesem Anlass erscheint seineErzählung Jonas oder der Künstler bei derArbeit als Graphic Novel. Die junge BerlinerinKatia Fouquet zeichnete mit fast kindlichemStrich und anfangs scheinbar ungelenkerFarbenfreude ihre Version des Künstlerdramasfür eine Buchreihe, in der die EditionBüchergilde illustrierte Ausgaben klassischerLiteratur herausbringt. Jonas ist einnetter junger Mann, den alle mögen und derkeine Aufgabe findet. Schließlich wird erKünstler, erfolgreich und damit noch unglücklicher.Seine Frau tut alles, um ihm zu gefallen,es wimmelt von Bewunderern, die seinganzes Leben verstopfen, und man darf sichfragen, ob da ein frühes Burn oder Bored Outvorliegt, oder das Versagen des Begabten anden Mühen des Alltags. Immer düsterer werdenFouquets Bilder mit derZeit, und immer deutlicher wird, wie sie mit einigen Requisiten in ihren Bildern denText von 1957 unmerklich in die Gegenwart hebt. Und das zuweilen etwas pathetischklingende Original damit zugleich konkretisiert und ironisiert. Zum Vergleichist der Originaltext zusammen mit einigen historischen Fotos im Anhang abgedruckt.(Albert Camus, Katia Fouquet: Jonas oder der Künstler bei der Arbeit. Graphic Novel.Edition Büchergilde, Berlin 2013, 160 S., <strong>24</strong>,95) /// -w-Japan Anfang des 19. Jahrhunderts: Als Pensionär beginnt Ino Tadataka sich zumZeitvertreib mit der Landvermessung zu beschäftigen. Ausgestattet mit einem Pedometerspaziert er durch Edo, um sich die notwendige konstante Schrittlänge anzugewöhnen.Sorgfältig misst er die Längen von Brücken ebenso wie die Entfernung zwischenzwei Stadtteilen. Dabei beobachtet er das Treiben in der Stadt und lernt dieunterschiedlichsten Menschen kennen. Der renommierte Mangaka Jiro Taniguchi(Der spazierende Mann; Der Himmel ist blau, die Erde ist weiß) porträtiert in Der Kartographnicht nur Ino Tadataka, einen der bedeutendsten Kartographen Japans, sondernauch die Stadt Edo in einer Phase des Aufbruchs. Für die historische Atmosphäreließ sich Taniguchi von TadatakasAufzeichnungen und zeitgenössischerKunst inspirieren. Sein Stilist realistisch, präzise und wunderbaranzuschauen. Tadatakas Erkenntnissewerden durch neue,teils überraschende Perspektivenmeisterhaft für den Leser erfahrbargemacht. Historische Begriffeund Anspielungen erläutert einGlossar am Ende des Bandes. (CarlsenComics, Hamburg 2013, S. 220, SC,16,-) /// -ok-COMICS„Von den brasilianischen Zwillingsbrüdern Moon und Báwürde man gerne mehr zu sehen bekommen“, hatten wir vorkurzem geschrieben. Jetzt ist bei CrossCult der Band De:Taleserschienen, der erste eigenständige Comic von FábioMoon und Gabriel Bá, in dem kleine Schwarzweiss-Geschichten aus dembrasilianischen Alltag erzählt werden. Hier verliebt sich gerade jemand,wird seine Chance aber sanft verspielen. An anderer Stelle entsteht ein Zeitloch<strong>auf</strong> dem Herrenpissoir, weshalb der Held sich immer wieder fragendarf, warum er bei einem Mädel nicht landen konnte. Und in der ersten Geschichtewerden zwei Comickünstler von einem Engel durch einen Traumgeführt, und der Engel sagt ihnen, dass sei richtig gut, was sie machen. Dannsehen wir die beiden am nächsten Tag am Frühstückstich sitzen, und siegrinsen sich an: Beide hatten den selben Traum. (CrossCult bei Amigo, Ludwigsburg2013, 112 S., HC, 15,-) /// -aco-Der Mann, der keine Feuerwaffen mochte ist nicht nur sehr schön gezeichnet(von Paul Salomone), er hat auch eine gute Geschichte (erdachtvon Wilfrid Lupano). Während im ersten Band eine Menge schräger Vögelhinter der schönen Margot her waren („die Schlampe!“) und wir nicht sorecht wussten, was sich denn nun Geheimnisvolles unter den Papieren befindet,<strong>auf</strong> die der halbe Wilde Westen so scharf zu sein scheint wie <strong>auf</strong> Margo,bekommen wir im zweiten Band Auf dem Weg nach Madison nicht nur dietragikomische Vorgeschichte des Anwalts Byron Peck geliefert (der nämlichmal ganz wild <strong>auf</strong> Feuerwaffen war) und erfahren etwas über ein paar verlorengeglaubte Briefe, die direkt mit der US-Verfassung zu tun haben undmit dem berüchtigten zweiten Verfassungszusatz, der das Recht <strong>auf</strong> Waffenbesitzfür Jedermann zu regeln scheint. Wie sich da in einen ziemlich satirischenComic plötzlich ein sehr direkter, böser Zug zur Gegenwart einschleicht– das ist schön ausgedacht. Wie oft bei Splitter gibt es zusätzlichzum Comic noch ein paar Seiten mit Skizzen und Notizen. (Splitter, Bielefeld2013, 56 S., HC, 13,80) /// -aco-ULTIMO 23