12 <strong>Neuwerker</strong> <strong>Rundblick</strong>Nummer 12 / Juli 2013Wenige Tage altesSeehundbaby am Radarturm(Foto: Jordsand/Pfefferli)Durch dieWildnis undzurück –Die Räubervor NeuwerkVON KARSTEN BRONKNeben den vielen wunderbarenPlätzen auf Neuwerk,an denen man SeeundZugvögeln mit dem Fernglasund der Kamera auf das Gefiederrücken kann, um sie in ihrer natürlichenUmgebung zu beobachtenund abzulichten, gibt es vorder Insel Neuwerk einen ganzspeziellen Ort, an dem ein spektakulärerBlick auf die größtenRaubtiere Deutschlands in freierWildbahn möglich ist. Denn vonNeuwerk aus kann man durchsWatt, zu den Seehundsbänken imWesten der Insel wandern.Schon seit Jahrzehnten ist dieSandbank zwischen Scharhörn unddem Kleinen Vogelsand eine festeRuhebank für die Seehunde in derNordsee vor Cuxhaven und Neuwerk.Mit fallendem Wasser steuerndie Seehunde die frei kommendeSandbank nach ihren Fischzügen an,um sich auszuruhen und in derSonne Wärme und Kraft zu tanken,für ihren nächsten Raubzug aufKrabben, Butt und andere Fischartenin der Hochsee.Ebenso bildet die Sandbank einenidealen Platz, um ab Mai ungestörtdie Jungtiere zur Welt zu bringen.Weshalb auch immer ausreichendAbstand bei der Beobachtung eingehaltenwerden muss, da sonst dieMuttertiere flüchten würden. Abermanchmal kommt es auch ganz anders,so wie auf unserer WattwanderungAnfang Mai.Wie immer starteten wir unsereWanderung am Anleger der MS Flipperauf Neuwerk, am ablaufendenPriel entlang zum Badehaus imDeichvorland. Nach den letzten Vorbereitungen,Akkus der Kameraschecken, Ferngläser umhängen undunnötigen Ballast im Badehaus zurücklassen, geht es auf den Meeresbodenin Richtung Seehundsbank.Schon auf dem Weg zu den Robbenkönnen wir viele spannende,große und kleine Wunder der Wattenweltentdecken. Austern undRollholz, gestrandete Quallen zwischenStrandgut und den vielenLaichballen der Wellhornschnecken.Balzende Seeschwalben, krakelendeAusternfischer und schnatterndeWildgänse am Hauptpriel lassen sichnicht durch unsere Anwesenheit beiihrem Treiben stören.SeehundeSeehunde gehören mit den Kegelrobben zu den größten Raubtieren inDeutschland. Ein Bulle kann bis zwei Meter lang werden und bringtdann an die 120 Kilogramm auf die Waage. Die Aufzucht der Jungen findetvon Ende Mai bis Anfang August statt und nur auf den Sandbänkenkönnen die Jungen mit der nahrhaften Muttermilch, zirka 45 % Fettanteil,gesäugt werden.Ein Beutezug kann zwei bis drei Tage dauern, wobei die Seehunde dreißigMeter tief und bis zu zehn Minuten abtauchen. Bei Gefahr erreichensie aber auch mit der Umstellung ihres Stoffwechsels an die vierzig MinutenTauchzeit.Nach dem Haarwechsel am Ende des Sommers verlassen die Seehundedie Sandbänke und leben als Einzelgänger bis zum nächsten Frühjahr inder Hochsee.Immer weiter führt unser Wegdurch Priele, über hellgelbleuchtende Sandbänke in dieWeite des Wattes. Und nach zirkavier Kilometern stehen wir mit ausreichendAbstand von ungefähr dreihundertMetern gegenüber der Seehundsbankvor Neuwerk. Nur durcheinem breiten Priel getrennt, bietetsich ein fantastischer Blick auf die»Ruhebank« der Seehunde. Aber mitder vermeintlichen Ruhe war es baldvorbei.Anstatt uns wie üblich zu ignorieren,starteten fast alle »Sonnenlieger«wie auf Kommandovon der Sandbank, tauchten in denPriel, bogen vom Nebenarm einmalkurz ab und schwammen in elegantenKörperkrümmungen zu unsheran. Nur zehn bis zwanzig Metervor uns reckten und streckten siesich aus dem Wasser, um scheinbarden besten Platz für einen Blick aufdie Gäste im Watt zu erhaschen.Neugierig und ohne Scheu, vollführensie wahre Wasserakrobatikim Priel vor unseren Füssen. Einpaar von ihnen schienen besondersviel Vergnügen an uns zu haben,denn fast wie im Zirkus zeigten sieihr ganzes Können, mit Sprüngenund kleinen, vermeintlichen Tanzeinlagen.Immer wieder strecken sie denKopf aus dem Wasser, stemmen sichmit rhythmischen Paddelbewegungenin die Höhe, um ja nichts zu versäumen.Und mit dem nötigen Sicherheitsabstand,wagen sich sogarzwei von ihnen, rechts von uns an»Land«.Still und fasziniert von dem Geschehen,können wir die größtenRaubtiere Deutschlands bei ihremSpiel mit uns beobachten. Für einpaar magische Augenblicke sind wirein Teil dieser Wildnis, keine Eindringlinge,sondern ein ganz natürlicherTeil in der Welt der Seehunde.Karsten Bronk ist freier Autor undWattführer vor Cuxhaven und Neuwerk.Wer Lust hat mit ihm die WunderweltWatt zu erleben oder eineSeehundstour zu machen erhältInfos unter www.wattwandernneuwerk.deoder unter 0173-7341519.Am Badehaus im Vorlandgeht es los …… mit der geführten WanderungRichtung SeehundbänkeNeugierig und ohne Scheu vollführensie wahre WasserakrobatikFür ein paar magische Augenblickesind wir ein Teil dieser Wildnis (alleFotos: Bronk)
Nummer 12 / Juli 2013<strong>Neuwerker</strong> <strong>Rundblick</strong> 13Ringelgans mit drei Ringen?VON HANNAH SMITH UND BERNHARD PACESIm Frühling sind die Ringelgänsezu Tausenden auf Neuwerkzu sehen, im Sommersind sie fast alle weg, im Herbstkommen sie wieder und im Winterverschwinden sie größtenteilserneut. Schon seltsam, oder? DerJahresrhythmus dieser Vogelartentsteht dadurch, dass sie dasWattenmeer als »Nahrungs-Tankstelle«zwischen ihren Überwinterungsgebietenweiter südlichund ihren Brutplätzen in Nord-Sibirienverwendet.Doch woher kommt eigentlich dasWissen über die Zugroute der Ringelgänseim Speziellen und die allerZugvögel im Allgemeinen? Die Antwortliegt in der individuellen Kennzeichnungbestimmter Tiere. Dazuerhalten Vögel beispielsweise bunteFußringe mit Buchstaben oder Zifferndrauf, die auch aus größererEntfernung mit Fernglas oder Spektivzu erkennen sind. Werden dieseVögel den zuständigen Wissenschaftlerngemeldet, wird ihr Aufenthaltsortdokumentiert und mitder Zeit ergeben sich aus diesenDaten Bewegungsmuster für ganzeVogelarten. Kaum zu glauben, aberso ist es beispielsweise möglich, dieAuswirkungen menschlichen Handelnsund des Klimawandels auf dieVogelwelt zu dokumentieren. Außerdemsind Vögel wichtige Bioindikatorenund das Wissen um ihrebevorzugten Rast-, Mauser-, Nahrungs-,Schlaf- und Brutplätze lässtRückschlüsse auf den Zustand derdort vorherrschenden Ökosystemezu.Das Ablesen beringter Vögel istalso für einen vom Naturschutzüberzeugten Beobachter Ehrensache,weil es hilft, mehr über dieDas farbberingte Ringelganspaar. Eine Ringelgans mit drei Ringen! (Fotos: Bernhard Paces)Vögel und ihre Bedürfnisse herauszufinden.Doch nicht nur das: Esmacht auch eine ganze Menge Spaßund führt zu einer intensiveren Auseinandersetzungmit den beobachtetenTieren. Woher wir das wissen?Weil wir auch auf Neuwerk beringtenVögeln hinterhergelaufen sind!Beispielsweise wurde eine unsererfarbberingten Ringelgänse (Code:R7G4) bereits 1999 geboren und imDezember des gleichen Jahres inHampshire an der Küste Südenglandsberingt. Weiteren Meldungenzufolge war sie von 2001 bis 2005jährlich im Süden Englands: Das istwohl ihr bevorzugtes Überwinterungsgebiet.Auch die zu erwartenden Zwischenstoppsim Wattenmeer imHerbst und Frühling sind bei dieserGans gut dokumentiert. Im Oktober2001 wurde sie auf der Insel Baltrumabgelesen und gemeldet; imMärz 2002 kam eine Meldung vonTerschelling und im April 2003 ausBuren in den Niederlanden. Von2005 bis 2009 wurde sie leider nichtmehr abgelesen. In der Zeit danachwar sie mindesten einmal pro Winterin England. Und am 24. April2013 wurde sie schließlich erneutim Wattenmeer gesehen: auf derInsel Neuwerk im stattlichen Altervon nunmehr 14 Jahren!Die Lebensgeschichten der anderenberingten <strong>Neuwerker</strong> Gänse bestätigenähnliche Trends: Die meistenüberwintern inGroßbritannien, manche verbringendie kältesten Monate aber auch imWesten Frankreichs. Dann bleibensie im Herbst und Frühling für längereZeiten im Wattenmeer; die spätesteAblesung für den Frühjahrszugin der deutschen Bucht stammt voneinem Individuum, das am 18. Maiauf Hallig Hooge registriert wurde.Bemerkenswert sind zwei Gänse,die auf Neuwerk gleichzeitig beobachtetwurden und laut den Datenauch in Großbritannien zusammenunterwegs waren. Dies könnte daraufhindeuten, dass es sich um einberingtes Paar handelt, das sich seitdemtreu geblieben ist.Diese Beobachtungen zeigen, dassdie großen Rasttrupps aus vieleneinzelnen Gänsen mit ganz unterschiedlichenLebensgeschichten zusammengesetztsind. Wir freuen unsjetzt jedenfalls immer wieder, wennwir diese »alten Bekannten« wiedersehenund sind gespannt darauf,nun ihren weiteren Lebenslauf »live«mit zu verfolgen!Haben Sie auch einen beringtenVogel gefunden, kann es losgehen:Zuerst müssen die Farben der Ringenotiert werden, dann deren Inschrift.Nun muss noch die Beinseitebeachtet werden. Links und rechtsist dabei aus Sicht des Tieres festzustellen.Nun müssen Sie diese Informationeneinfach nur melden. Diepassenden Ansprechpartner findenSie über http://www.cr-birding.org/.Viel Erfolg beim Ablesen!