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ZWISCHEN DEN GESCHLECHTERN - Johanna Kamermans

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UMSCHLAGTEXT „KÜNSTLICHE GESCHLECHTER“Zum Buch:Die Zeit der grenzenlosen Machbarkeitsträume ist vorüber– die angebliche Auswechselbarkeit der Geschlechter hatsich im Zeitalter der Molekularbiologie als Künstlichkeits-Chimäre allerersten Ranges erwiesen: Es gibt keine»falschen Körper«, nur falsche Denkmodelle.Die neuesten Entdeckungen über die Biologie derHomosexualität entlarven in diesem Zusammenhang dasgängige Suggestivklischee einer nahtlosen chirurgischenund hormonellen Geschlechtsumwandlung alspatriarchialisch initiierte Homosexualitäts-Vermeidungsstrategie par excellence. DieGötterdämmerung der künstlichen Geschlechter kann unddarf deshalb nur die logische Folge dieser aktuellenErkenntnisse sein – Realitäten statt Fiktionen, Paracelsusstatt Potemkin.Kurzum und frei nach Sigusch: Für das Faktum derTranssexualität sollte tatsächlich theoretisch noch einmalvon vorne angefangen werden. Dieses Buch bietet dieGrundlagen und Perspektiven dazu


UMSCHLAGTEXT „KÜNSTLICHE GESCHLECHTER“zur Autorin:<strong>Johanna</strong> <strong>Kamermans</strong>, 1938 imniederländischen Vlissingen geboren, zuAnfang der 70er Jahre nahtloser Wechselvom Bauingenieur zur Stripteasetänzerin,publizistisch tätig, wohnhaft in Hamburg.Aufarbeitung dieses Werdegangs im NDR-Dokumentarfilm»Freier Fall: <strong>Johanna</strong> K.« (1992) von Klaus Wildenhahn.Diverse Medienbeiträge. Ihr Credo: »Über die Brückezwischen Mann und Frau muß man vorsichtig gehen undnicht einfach springen"Der Mensch ist nicht Mann oder Weib, sondern Mann ùnd Weib"Magnus Hirschfeld (1858-1935)


<strong>ZWISCHEN</strong>KÜNSTLICHE<strong>DEN</strong>GESCHLECHTER<strong>GESCHLECHTERN</strong>VERSION 2013


HINWEIS ZUM PARACELSUS-COVERBILDParacelsus, Philippus Aureolus Theophrastus, eigentlichTheophrastus Bombastus von Hohenheim, * 1493 (?), t 1541,deutscher Arzt und Naturforscher, erkannte die Bedeutung derphysikalischen und chemischen Grundlagen alles Lebendigen;Betonung des Zusammenhangs von Leib und Seele; Hauptaufgabedes Arztes: Förderung der Selbsthilfe der Natur (aus Duden-Lexikon).Paracelsus, im schweizerischen Einsiedeln als Sohn eines Landarztesgeboren und unverheiratet geblieben, brachte Neues Denken(Renaissance-Idee) in die damalige Medizin, indem er den Menschenin der Einheit von Natur, Welt und Kosmos betrachtete. In seinen seit1524 in Salzburg entstandenen elf „Traktaten von Ursprung,Ursachen, Zeichen und Kur einzelner Krankheiten" und imSchriftwerk „Volumen medicinae Paramirum" öffnete er Wege zuDenkansätzen, die sich erst viel später als Theorien derwissenschaftlichen Medizin bestätigten. Sein Wahlspruch lautete:„Alterius non sit, qui suus esse potest": „Wer sich selbst angehörenkann, der sei keines anderen Knecht".Untersuchungen des gerichtsmedizinischen Instituts der UniversitätWien am Skelett des vor fünfhundert Jahren geborenen Arztes habenergeben, daß Paralcelsus hermaphroditischer Natur gewesen ist(vermutlich AGS-Syndrom, d. h. weibliches Geschlecht 46XX mitmännlichen äußeren Geschlechtsmerkmalen).


„KÜNSTLICHE GESCHLECHTER“Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme<strong>Kamermans</strong>, <strong>Johanna</strong>:Künstliche Geschlechter : [Nirwana oder Götterdämmerung?] / <strong>Johanna</strong><strong>Kamermans</strong> - Hamburg : Ed. Hathor, 1995 (Sachbuch) ISBN 3-928493-12-© edition hathor 1995; HamburgISBN: 3-928493-12-4Druck: Rosch-Buch, HallstadtSatz und Layout: Verlag an der Lottbek4


KÜNSTLICHE GESCHLECHTER<strong>ZWISCHEN</strong> <strong>DEN</strong> <strong>GESCHLECHTERN</strong>INHALTSVERZEICHNISVORWORT 9EINLEITUNG UND PAMPHLET 11KAPITEL 1:DIE ÄNDERUNG DES <strong>DEN</strong>KENS 25Neues Denken und Homosexualität 25Homosexualität als Männlichkeitsmakel 27KAPITEL 2:DIE MACHT DER GENE 31„Arn Anfang war das Weib" 31Adam aus Eva 34KAPITEL 3EVOLUTION UND SEXUALITÄT 39Urweiblichkeit als Erbe „Das schwule Ei" 39„Das schwule Ei“ 425


KAPITEL 4:HOMOSEXUALITÄT UND GESELLSCHAFT 45Statistik eines Phänomens 45Manifestation und Vermeidung 52Die Akzeptanz der Toleranz 54Geschichte und Doppelmoral 57Veranlagung und Verhalten 59KAPITEL 5:HOMOSEXUALITÄT UND TBANSSEXUALITÄT 63Die „Im-falschen-Körper"-SuggestionEigenverantwortlichkeit und Selbsthilfe6 36 7KAPITEL 6:GEHIRN UND SEXUALITÄT 71Die Kultur des Patriarchats 71Homosexualitätsforschung 73Homosexualitätsvermeidung 75KAPITEL 7:TRANSSEXUELLENGESETZ UND GESELLSCHAFT 83Entstehung, Interpretation, Ausnützung 83Die „kleine Lösung" und ihre Konstituierung 86Die Definition der Transsexualität 88KAPITEL 8:TABU UNFRUCHTBARMACHUNG 91Das körperliche Denken 91Die Kastration des Mannes 94Die Kastration der Frau 101Männliche Kastrationsphänomene 103Weibliche Kastrationsphänomene 1106


KAPITEL 9:AUBERE GESCHLECHTSMERKMALE VERÄNDERNDE OPERATIVE EINGRIFFE 115Rechtfertigung und Kritik 115Geschlechtsanpassende Maßnahmen bei Mann-zu-Frau-Transsexuellen 121Die operative Brustkorrektur 124Geschlechtsanpassende Maßnahmen bei Frau-zu-Mann-Transsexuellen 132Die operative Peniskorrektur 133KAPITEL 10:HORMONE UND SEXUALITÄT 137Die Vermeidung als Strategie 137Das psychische Geschlecht 140Hormone,Männlichkeit und Doping 144Hormone, Weiblichkeit und Anabolika 161KAPITEL 11:HORMONE UND INTERSEXUALITÄT 169Die Genese der Auslese 169Biologische Intersexualität - Hermaphroditismus 178Hermaphroditismus masculinus 179Hermaphroditismus feminus 180Testikuläre Feminisierung 182Biologische Intersexualität und Variation 186Menschwerdung und Hormone 193Embryonale Entwicklung 193Pubertäre Entwicklung 201KAPITEL 12:SEXUALITÄT UND UMWELTDie Funktion des GehirnsTierische KonsequenzenSexualorgan Gehirn und Identität2052052082117


KAPITEL 13:HOMOSEXUALITÄT UND TRANSFORMATION 215Homosexuelle Traditionen bei Naturvölkern 215Homophobie in Deutschland 220Transsexuelles Anspruchsdenken 228Guru-Kritik ohne Ende 232KAPITEL 14:TRANSSEXUALITÄT UND EMANZIPATION 239Feministisches Denken 239Sexuelle Identität 252Sexuelle Artikulation 255Biologische und kulturelle Geschlechtsbestimmung 258Grundsätzliches 262KAPITEL 15:KULTUR UND GESCHLECHTLICHKEIT 267Die Große Freiheit der Männlichkeit 267Indianisches Denken 273Moderne Grenzüberschreitung 278Aktuelles in Film, Theater, Kunst, Gesellschaft 282KAPITEL 16:EIN JEGLICHES HAT SEINE ZEIT 295Die Zeit der Erkenntnis-„Freier Fall: <strong>Johanna</strong> K.”Schlußakkord und Neues Denken2 9 53 0 0DOKUMENTATION3048


„Man kann alle Leute eine Zeitlang zumNarren halten, und man kann auch einigeLeute die ganze Zeit zum Narren halten;aber man kann nicht alle Leute die ganzeZeit zum Narren halten.”Abraham Lincoln (1809 - 1865)VORWORT. Dieses Buch will neue Maßstäbe in der transsexuellen Thematik setzen —neben vielerlei Fakten und Informationen biologischer und kultureller Artstehen vor allem solche Rückblicke und Erkenntnisse im Vordergrund, didiePerspektiven eines Neuen Denkens implizieren.Denn was erkannt worden ist, muß vor allem immer entsprechendverarbeitet werden — auch wenn dies schmerzlich ist bzw. man das Gefühlhat, auf Schwerhörige einzureden: Die Zeiten ändern sich rücksichtslos...Es geht bei diesen Bestrebungen nicht darum, die Transsexuellen zurichten oder zu werten, sondern die Wahrheit zu beschreiben: Dabei müssennicht nur momentane Situationen wahrgenommen, sondern vor allem dielaufenden Entwicklungen verfolgt werden — es ist höchste Zeit dazu.Die gerade für die Transsexualitäts-Problematik typische „Selbstbeweinung"muß endlich einer realistischen Lageeinschätzung weichen — die Notwendigkeiteiner nüchternen Bestandsaufnahme ist für das Zeitalter der neunziger Jahremehr als gegeben: Man schaue sich nur um. Aus diesen Gesichtspunktenheraus ist das vorliegende Buch deswegen nicht nur Provokation einesoffensichtlich tief eingeschliffenen, potemkinschen Klischeedenkens, sonderngleichzeitig auch Aufruf zum toleranten Umgang mit divergierenden Ansichten.Dabei dürfte es inzwischen doch klar geworden sein, daß weder denTranssexuellen gedient ist mit der bedenkenlosen Absorption von extra auf siezugeschnittenen „Spezialprogrammen" noch dem Phänomen der Transsexualitätals solchem mit der bedingungslosen gesellschaftlichen Institutionalisierung alsangeblich völlig eigenständiger, jedoch „krankmachender" Sexualitäts-Manifestation (die Geister, die man rief ...!).Im Alten China wurden die Boten unangenehmer Nachrichten immer gleichgeköpft — insofern hofft die Autorin, daß sie diesmal — bei ihrem zweiten Buch— doch davonkommen wird und zumindest ein Dialog zwischen dentranssexuellen und homosexuellen Fronten zustande kommen wird: Es isthöchste Zeit dazu im kommenden Zeitalter der Biologie und der Genetik.Die Götterdämmerung der künstlichen Geschlechter steht bevor, und dasNirwana der transsexuellen Hybris geht zu Ende — die Zeiten ändern sich eben...Hamburg, im November 19949


„Wenn man sieht, was mansieht, wenn man hört, was manhört, hat man wirklich Grund, zudenken, was man denkt.” AltesSchweizer Sprichwort„It`s a man's man's man's world"Soul-Titel von James BrownEINLEITUNG UND PAMPHLETDie Transsexualität als solche ist ein uraltes Phänomen - das Wandeln zwischenden Geschlechtern ist so alt wie die Menschheit. In der Antike und bei denIndianern Amerikas wurden jene, die ihre Geschlechterrolle wechselten, sogarverehrt. Unsere monochristliche Kultur kennt dagegen — wie die islamische unddie jüdische — nur zwei streng definierte Rollenbilder: Mann und Frau. AlleErscheinungsformen des Menschen, welche nicht in dieses binäre Schema passen,sind in diesem Eindeutigkeitsdenken suspekt und vor allem änderungsbedürftig:Die soziale Konstruktion des Andersseins ist vorprogrammiert, ein ausgeprägtes„Kästchendenken" (Heterosexualität, Homosexualität, Bisexualität, Transsexualität,Transvestitismus, Androgyn-Status usw.) tut sein übriges zur entsprechendenFestschreibung.Die Toleranz gegenüber dem Anderssein ist deswegen nur langsam gewachsen,und besonders die Konstituierung des Transsexuellengesetzes TSG in Deutschland(per 1.1.1981) hat dazu geführt, daß der Umgang mit dem PhänomenTranssexualität — weil die chirurgische Geschlechtsumwandlung als (mögliches)Endziel sich abgekoppelt hat vom Weg des transsexuellen Erlebens — nicht geradeerleichtert worden ist, ja eigentlich für viele Menschen — in ihrem Bemühen ummehr Verständnis — erschwert. Das individuelle Ausleben des transsexuellenEmpfindens über die „Möglichkeit des Andersseins", d. h. der soziale Geschlechtswandelalleine (wie beim indianischen Berdachentum) wird immer mehr ins Abseitsgestellt, und was einst als unerläßlicher Weg — als langfristiger „Alltagstest"sozusagen — gedacht war, gerät immer mehr zur Frage der „technischenMachbarkeit": Die meist unmittelbare, möglichst kurzzeitige Realisierung dertechnisch-chirurgischen Geschlechtsumwandlung gemäß den entsprechendenTSG-Paragraphen — das „Frau- bzw. Mann-Werden" — wird an den „Goodwill" derGutachter delegiert. Daß das spätere soziale »Frau- bzw. Mann-Sein" dann um soschwerer ist (weil die Vorbereitung, das „Vorspiel" sozusagen, nicht erlebt, sondernnur „inszeniert" wird), dürfte verständlich sein. In Verbindung mit den zahllosen,unabsehbaren gesundheitlichen Folgen des GeschlechtsumwandlungsRituals bleibtder transsexuelle Mensch dabei dann (meistens) vollends auf der11


Strecke, bzw. ist der „Opfer"-Status derart sozusagen bereits automatisch undunwiderruflich vorprogrammiert. Insofern klaffen die Phänomene der Transsexualitätund des chirurgischen Geschlechtswandels als solchen jetzt immer weiterauseinander, und besonders die Medien unterstützen diesen unseligen Prozeß nachKräften. Sie führen uns ununterbrochen transsexuelle Menschen vor, welche sichnur noch als Künstlichkeitskonstrukte und nicht mehr als Wirklichkeitsgegebenheitenoffensichtlich verstehen (und meistens durchaus auch so gesehenwerden) — Schein und Sein werden verwechselt, Momentaufnahmen stattEntwicklungswege „eingezappt" und individuelle Traumbilder zur kollektiven„Wirklichkeit" umfunktioniert. Die „Schein-Idylle" wird — koste es, was es wolle— hochgehalten, und am Ende der „Besichtigung" sind alle Beteiligten und Betroffenennahtlos glücklich: Das „Glückliche-Kühe-Syndrom" kommt speziell inFernseh-Talkshows voll zum Tragen...In diesem Sinne müssen wir uns um so mehr bewußt sein, daß — wie es JamesBrown vorgängig so treffend formuliert hat — wir in einer von Männern beherrschtenund in erster Linie auf Männer zugeschnittenen Welt leben — dem Patriarchateben.Dieses Synonym für Männerherrschaft geht zurück auf das griechische Wort„patriarches" (Sippenoberhaupt), zusammengesetzt aus „pater" (Vater) und„archein" (der erste sein, Führer sein, herrschen). Die im Alten Testamentgenannten Stammväter Israels, Abraham, Isaak und Jakob mit ihren Söhnen,werden gemeinhin als Patriarchen (Erzväter) bezeichnet. In der katholischenKirche werden noch häufig Erzbischöfe derart tituliert, in den orthodoxenKirchen ist der Titel Patriarch vorgesehen für die obersten Geistlichen bzw. dieleitenden Bischöfe (beispielsweise „Patriarch von Konstantinopel"). Das Grabder Patriarchen in der Ibrahim-Moschee in Hebron im israelisch besetzten Westjordanlandist eine heilige Stätte für die drei großen Religionen Islam, Judentumund Christentum. Die Grabstätten von Abraham, Isaak und Jakob und ihrenEhefrauen Sarah, Rebekka sind seit Jahrhunderten Ort der blutigsten Auseinandersetzungenzwischen Christen, Juden und Moslems (Hebron-Massaker1994). Im gesellschaftlichen Verständnis bedeutet das Patriarchat durchweg eineGesellschaftsordnung, bei der der Mann eine bevorzugte Stellung in Staat undFamilie innehat und bei der in Erbfolge und sozialer Stellung die männlicheLinie ausschlaggebend ist.Das absolute Gegenteil des Patriarchats ist dagegen das Matriarchat — eineGesellschaftsform, in der die Frauen das Sagen haben. Die matriarchalischeLebensweise ist allerdings im Laufe der Jahrhunderte, in welchen sich dasPatriarchat durchgesetzt hat, immer weiter zurückgegangen — wir finden es u. a.heute noch auf Sumatra, welches als Mutterland des Matriarchats gilt, beimStamme der Minangkabau sowie auf auf der Halbinsel Malakka. Die Konkurrenzdes Islam (dem fundamentalistischsten Patriarchat überhaupt) sowie des Kapitalismushaben das dortige Matriarchatssystem jedoch zur eher kulturfolkloristischenVeranstaltung abgleiten lassen. Aber noch bis in die sechziger Jahre warendie Frauen der Minangkabau wirtschaftlich unabhängig, und das Eigentum wurdeausschließlich an die Töchter vererbt. (Eigentum schafft Einfluß und Macht.) DieEhemänner lebten nach der Hochzeit wieder bei der Mutter, arbeite-12


Abbildung 1Das „Glückliche-Kühe"-Syndrom als Sinnbild für die derzeitige Aufarbeitungder transsexuellen Thematik speziell in Fernseh-Talkshows — hierbei dominiertdas „dont worry - be happy"-Credo im Sinne des allesverheißenden Sofortismus-Prinzips. Der Hamburger Freizeitforscher Horst W. Opaschewski sagt diesbezüglichin seiner Studie „Schöne neue Freizeitwelt" (1994): „Wir werden zukonsumorientierten Egoisten. Die nahe Zukunft wird zum ,Erlebniszeitalter`werden, und es zählt dann nur noch die Inszenierung von Augenblicken." Wiewahr.Das Gemälde „Es lebe die Kuh" (1988) von Leszek M. Zigalski wurde alstypisch für die 93er „1. Realismus-Triennale" in Berlin charakterisiert. Dasdarauf abzielende „Die Zeit"-Feuilleton schrieb: „Zeigt sich da nun wiederumnicht das Unrealistische am Realismus, wir möchten sagen seine strukturelleAporie (Ausweglosigkeit), daß es zur Dauer nötigt, wofür die Natur nur einenalbernen Augenblick reserviert hat?"13


and woman.Abbildung 2:Die Evolution des Patriarchats als überaus charakterisierende Karikatur derGeschlechterverhältnisse(Aus: Die Zeit Nr. 11 vom 12.3.1993)ten für die Frauen auf den Feldern und durften nur ins Haus, wenn es der Ehefrauangenehm war. Diese war die absolute Herrin über ihren Clan („Soku") und diemächstigste Instanz in der Familie.Bezogen auf die westliche Gesellschaftsordnung heißt es im Buch derMatriarchats-Forscherin Sonja Rüttner-Cova, „Der Matriarch" (1988): „Matriarchensind Männer, die aus Angst vor einer mächtigen inneren Mutter ihreGeschlechtsrolle nicht akzeptieren können. Es fehlen ihnen die Riten der Altenoder fremden Völker, wo Männer zu Männern gemacht werden. Ein Matriarch istmutteridentifiziert, er liebt, haßt, sucht und flieht die Frau. Er ist an die innereMutter, an seine innere Mutter ausgeliefert, von der er sich nicht lösen kann.” Beieinem solchem Verständnis einer bestimmten Männlichkeit in unserer Kulturkönnten dann die Mann-zu-Frau-Transsexuellen - etwas plakativ formuliert - als die(biologisch-)homosexuellen Matriarchen bezeichnet werden. Denn wie dieMolekularbiologie inzwischen nachgewiesen hat , sind es die Sexualhormone, diedas ursprünglich weibliche Gehirn bei einem Mann vermännlichen. BeiHomosexuellen ist dieser Prozeß nicht vollständig abgelaufen oder - wie es derGehirnforscher Robert Gorsky formulierte -: „Schwule sind schwul, weil ihr Gehirnnicht völlig männlich geworden ist." Deswegen denken Homosexuelle „weiblich", d.h. mehr in Richtung „Mensch` (= Frau) als die heterosexuellen, „gelungenen"Männer, und das bedeutet für die gleichfalls biologisch-homosexuell veranlagtenMann-zu-Frau-Transsexuellen in ihrem Denken gleich-1 4


falls ein weiblich-kulturelles Reaktionsmuster. Das Ganze ist immer ein Prozeßder Wechselwirkungen, und da mischen die männlichen Transsexuellen nunmal entsprechend mit — wie biologische Frauen, aber mit kräftiger „männlicher"Sozialisation (zumindest bis zur frühen Pubertät). Die Kombination von „weiblichem"Denken und matriarchalem Charakterbild dürfte dann zu einem transsexuellenVerhalten führen. Eine transsexuelle Eigenständigkeit gibt es nicht!Von den kommenden Geschlechterverhältnissen sagt die amerikanischeZukunftsforscherin Faith Popcorn (sie erfand den Anfang der achtziger Jahre entstandenenBegriff des „Cocooning): „Die Zeit der Männerherrschaft geht zu Ende.Schon zur Jahrtausendwende wird es zu einem gewaltigen Machtkampf zwischenden Geschlechtern kommen, und die Frauen werden siegreich daraus hervorgehen.Nur die Männer, die sich der weiblichen Denkweise anpassen, haben eineChance mitzuziehen. Die Frau kommt in den neunziger Jahren nach oben undergreift die wirtschaftliche Macht. Unternehmen, die von Männern geführt werden,müssen mit Einbußen rechnen, denn das in diesen Betrieben herrschendeMacho-Denken hat keine Zukunft mehr. Karriere wird weniger zählen als Familieoder Glück in einer Beziehung. Frauen werden erfolgreicher sein, weil sie globalerdenken und versuchen, Familie und Arbeit zu verbinden. Die Firma der Zukunftist ein kleinerer Familienbetrieb, in dem die Frau der Boß ist." Eine mutigeAussage, die allerdings offenläßt, ob es sich bei diesem Phänomen um dieRückkehr des Matriarchats oder am Ende doch nur um die Zurückdrängung desPatriarchats handelt. Aber wie gesagt: Der Weg ist wichtiger als das Ziel.Auch im familiären Bereich müssen die Patriarchen bereits heute großeAbstriche ihrer einstigen Macht hinnehmen, jedenfalls im Westen. Die derzeitigeGeschlechter- und Familien-Krise ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daßdas Verlangen nach verläßlichen Beziehungen geblieben ist, aber die Bedingungen,unter denen die Familie sich entfalten kann, in dieser Zeit des Patriarchatszerfallsnoch nicht neu konstruiert werden konnten. Das Patriarchat blocktnoch immer ab, und dies führt zu solchen gesellschaftlichen Phänomenen wiehohen Scheidungsziffern (jede dritte Ehe scheitert), immer niedrigeren Geburtenratensowie ständig wachsenden Singlezahlen. Dennoch ist die Wertschätzungfür die herkömmliche Familie geblieben, und nicht umsonst meint die übergroßeMehrzahl aller Menschen, daß die Familie die alleinige Voraussetzung für einglückliches Lebensbild ist.In einem solchen riesigen Umwälzungsprozeß der Geschlechterbeziehungenmüssen — immer bezogen auf die Konstruktion der Familie — die Väter und diedazugehörige Männlichkeit im Grunde neu erfunden werden. Es fällt vielenMännern schwer, sich zu arrangieren, und die französische Philosophin ElisabethBadinter sagt dazu in ihrer Vision der „Revolution der Väter": „Die Frauen beobachtendiese Mutanten voller Zärtlichkeit und halten den Atem an ..." Ob dagegendie „transsexuelle Revolte" (Stefan Hirschauer) in diesem gewaltigenAnpassungsprozeß einfach so weitergeführt werden kann, ist allerdings eineandere Frage. Denn ist schon das Phänomen des heutigen Transsexualismus alspatriarchalisch initiierte Homosexualitäts-Vermeidungs-Strategie zu werten, so istdie gesetzliche Regelung der Geschlechtswandel-Thematik erst recht einepatriarchalische Angelegenheit: Die Konstituierung der geschlechtlichen15


Eindeutigkeit über den männlichen Machbarkeitswahn („illusio virilis"). Insofern lassensich die Emanzipation der Frau und die „Künstlichkeit der Geschlechter" nachpatriarchalischem Verständnis schlecht miteinander kombinieren — Alice Schwarzersfeministischer Zuneigung hin oder her.Es wird also abzusehen sein, daß der Transsexualismus von den geschlechtlichenUmwälzungsprozessen letztendlich nicht unberührt bleiben wird. Besondersdas Phänomen der männlichen, medizinischen Transsexualität wird — als patriarchalischesErbe par excellence — davon betroffen sein: Die männlicheHomosexualität als „Makel" der Männlichkeit über den Weg des binären Denkens(ja — nein, plus — minus, gut — schlecht, Mann — Frau und dazwischen nichtsmehr) paßt nicht mehr zum Zeitgeist des nun weithin aufgekündigten Diskursesder Geschlechter. Die Wahrung der geschlechtlichen Gegensätze in der traditionellenForm kann jedenfalls nicht mehr gefragt sein, und insofern glänzen dieTranssexuellen in diesem Prozeß der Emanzipation, des Freisetzens überholterRollenklischees, mit einer manchmal bis zur Karikatur gehenden Verinnerlichungderselben (Mimikry-Effekt) als „bunte Vögel". Es sollte an dieser Stelle deshalbnochmals ausdrücklich darauf hingewiesen werden, daß die Bezeichnung transsexuellin erster Linie für das Hineinwechseln in das gegengeschlechtlicheRollenverständnis angewandt werden sollte und erst in zweiter Linie — und nichtwie üblich ausschließlich — für die Vornahme der chirurgischen Geschlechtskorrekturals kategorisierend angesehen werden darf.In diesem Verständnis ist dann die Mann-zu-Frau-Transsexualität die primäreFolge der kulturellen Verneinung der biologisch-männlichen Homosexualitätdurch das manifest- bzw. latent-homosexuelle Patriarchat (Situationsheterosexualität)und die Frau-zu-Mann-Transsexualität die kulturelle Revanche desheterosexuellen Patriarchats (Neigungsheterosexualität) für die Gleichstellungsgelüsteder „Emanzipations-Weiber". Die Mann-zu-Frau-Transsexuellen als eigene,künstliche „Frauen nach Maß" und die Frau-zu-Mann-Transsexuellen als völligchancenlose, konkurrenzlose „Pseudo-Männer" (denn das patriarchalischeMann-Sein ist in erster Linie ein Gruppenerlebnis der direkten Konkurrenz) —welch eine (männliche) Hybris liegt dem Ganzen zugrunde.Die moderne Gentechnik schließlich hat den Niedergang des Patriarchats auch imwissenschaftlichen Sinne besiegelt — die Molekularbiologie hat endgültigbewiesen, daß die Natur ganz anders aufgebaut ist, als die Kultur des Patriarchatsbisher (erfolgreich) suggeriert hat. Nicht „Eva aus Adam" (Bibel-Überlieferung),sondern „Adam aus „Eva" (Natur-Gesetz) lautet die Devise bzw. kann jetztschwarz auf weiß nachvollzogen werden. Und in diesem Neuen Denken wird esdann auch plötzlich völlig klar, daß die männliche Homosexualität — aus welchenGründen dann auch — im Werdungsprozeß des Mannes aus der weiblichenUrstruktur heraus bereits einkalkuliert ist. Sie ist also weniger ein „Makel" der(sekundären) Männlichkeit, sondern eher ist die Männlichkeit — zugegebenermaßenetwas plakativ formuliert — als „Makel" der (primären) Weiblichkeit anzusehen.Mal was anderes! In diesem natürlichen Entwicklungsschema ist deshalbabsolut kein Platz für ein Transsexualitätsdenken, das auf das „Im-falschen-Körper"-Konstrukt aufgebaut ist und als Begründung für die moderneGeschlechtschirurgie herhalten muß. Das Phänomen der Transsexualität ist16


keine eigenständige Sexualität, sondern ist und bleibt der Konflikt zwischenBiologie und Kultur, d. h. zwischen biologischer Veranlagung und kulturellenNormierung, Erbe und Umwelt, dabei eine erhebliche, vom Patriarchat inszenierteEigendynamik und Gesetzmäßigkeit entwickelnd.Die Mann-zu-Frau-Transsexualität ist in diesem Konzept als Flucht vor derbiologischen Homosexualität in die kulturelle „Heterosexualität" (Situationsheterosexualität)zu sehen, die Frau-zu-Mann-Transsexualität dagegen als Fluchtvor der biologischen Heterosexualität (als Auflehnung gegen das patriarchalischeBesitzdenken über die Schwangerschaft) in eine vermeintliche (kulturelle) Homosexualität.Aus dieser wird dann mittels der chirurgischen Geschlechtsumwandlungdie erneute Flucht zurück in die biologische Heterosexualitätgesucht, allerdings jetzt in einem umgekehrten, patriarchalisch-orientiertenRollenverständnis. Diesbezüglich wird also bei der männlichen Geschlechtsumwandlungsthematikein Wechsel der sexuellen Orientierung (bewußt) inszeniert,während bei der weiblichen Geschlechtschirurgie (lediglich) die Umkehr dersexuellen Orientierung im heterosexuellen Bereich suggeriert wird. Im biologischenDenken einfach konzipiert, wird das Ganze im patriarchalisch-kulturellenDenkmodell mehr als nur kompliziert...Zu dieser Vernebelungstaktik des Patriarchats hinsichtlich der biologischenSexualität paßt ferner die Tatsache, daß für das Transsexualismusphänomen einenahtlose Vermischung auch mit der biologischen Intersexualität (Hermaphroditismus)inszeniert wird. Ebenso gehört die sich immer stärker manifestierendeAbspaltung des Faktums der chirurgischen Geschlechtsumwandlung als alleinigesZiel, ohne das „Er-leben" der Transsexualität als (möglichen) Weg dorthin,zur Strategie des Patriarchats und seinen vielen Helfershelfern (nicht zuletzt dervielen Transsexuellen selbst) — das kulturelle Konstrukt der patriarchalischenSexualität soll möglichst lange nicht von der biologischen Wahrheit überrolltwerden.Hierbei ist auch die Funktion der Medien — als überaus mächtiges Patriarchatsreliktnoch immer umfassend installiert — nicht zu unterschätzen. DieEntlarvung des transsexuellen Märchens „Des Kaisers neue Kleider" (HansChristian Andersen) mit dem Ausruf: „Aber er hat ja gar nichts an", dürfte deswegennoch wohl einige Zeit auf sich warten lassen — allzusehr sind bei denVerantwortlichen die patriarchalischen Denkschemen eingeschliffen bzw. diePotemkinschen Dörfer der transsexuellen Philosophie mit unsäglichen Klischeefassadengeschmückt. Dies alles, obwohl die Grundsätze des sogenannten„unscharfen Denkens" (Fuzzy-Logic) beispielsweise in der Computerwelt bereitsdie alte Wahr-falsch-Logik ins Wanken gebracht hat — die neuen, sogenannten„denkenden" Computer beruhen auf diesem „fuzzy-logic"-Prinzip der Abstufungzwischen den Extremen: Das Ziel orientiert sich am Weg und nicht umgekehrt...!Ebenso kann im religiösen Bereich beispielsweise der (derzeitige) Siegeszug desBuddhismus über das christliche Denken in einem solchen Sinne eingeordnetwerden. Denn der Buddhismus als solcher (über 400 Millionen Gläubige weltweit)kennt keinen absoluten Gott wie das Christentum und auch kein Paradies. Ist fürdas Christentum das Paradies etwas sehr Lebendiges (die unsterbliche Seele undder vergängliche Körper werden wiedervereinigt: Auferstehung der Toten), so ist17


Abbildung 3:„Des Kaisers neue Kleider" von Hans Christian Andersen, illustriert von KarlLagerfeld (1992). Der nackte Kaiser ist das Opfer seiner Eitelkeiten geworden,und alle schauen zu, ohne etwas zu sagen. Bis das kleine Mädchen kommt undsagt: „Aber er hat doch gar nichts an?"es für den Buddhisten dagegen das höchste Glück, im „Nirwana" aufzugehen:Sein ganzes Wesen und seine Persönlichkeit erlöscht, und er ist befreit von denweltlichen Qualen — er ist im höchsten Zustand ein Nichts. Die buddhistischePhilosophie sieht hierzu die vier Weisheiten: Leben ist Leiden, und Ursache fürdas Leiden ist die Begierde. Die Aufhebung der Begierde führt zur Abwesenheitdes Leidens (!). Der Weg dahin geht über einen achtteiligen Pfad, und solangeder Gläubige nicht die Erleuchtung gefunden hat, bleibt er im Kreislauf der18


Wiedergeburt, mal als Tier, mal als Pflanze, mal als Mensch (als Teil und nichtals Herrscher der Natur = indianisches Denken!) — als Symbol dazu dient dasRad. Der Buddhismus lehrt: „Wer seinem Herzen freien Lauf läßt, ohne es zuzügeln, wird das Nirwana nicht erreichen; deshalb müssen wir das Herz imZaume halten, uns von den Aufregungen der Welt fernhalten und die Ruhe desGemütes suchen." Der Weg zum Ziel ist wichtiger als das Ziel selbst.In einer solchen Religion der Liebe, der Sanftheit, hat ein so völlig künstliches,unnatürliches Konstrukt wie die chirurgische Geschlechtsumwandlung, das denMenschen physisch und psychisch kaputt macht, logischerweise nichts zusuchen. Die Geschlechtschirurgie ist ein christlich-patriarchalisches Erbe, und nurder Weg des transsexuellen („menschlichen") Erlebens kann als Möglichkeit einerpersönlichen, individuellen Lebensform akzeptabel sein (und nicht nur das Ziel derchirurgischen Geschlechtsumwandlung als alleinige Voraussetzung).In diesem Sinne ist das Phänomen der Transsexualität als „besondereAusprägung einer Persönlichkeit" (Volkmar Sigusch) zu respektieren, und keinmedizinisch-chirurgischer Experimentierbereich, schon gar keine Krankheit (wiedies die TSG-Transsexuellen — im Kampf um staatliche Gelder und Pfründen —unbeirrbar, dem homosexuellen Verständnis diametral entgegengesetzt, für sich inAnspruch nehmen). Die Eigendynamik des heutigen Transsexualitätssyndromsund die Suggestivkraft der modernen Medien — das Thema ist „in” — haben allerdingsbesonders in letzter Zeit dazu geführt, daß eine derart vom Patriarchat inszenierteStörung der Geschlechtsidentität individueller Natur vorwiegend zu einerauf Sex, „Perversitäten", Klischees und Vorurteile reduzierten „Störung derMediennormalität" auf kollektiver Voyeurismusgrundlage umstrukturiert wordenist — der vorgegebene „Zoo-Effekt" schließt dabei offenbar jegliche Homosexualitätskomponenteaus. Und um den Unterhaltungswert des Phänomens Transsexualitätnochmals ausdrücklich zu illustrieren, tönt es dann aus der Patriarchen-Hochburgdes „stern" (13/93): „Im Salambo ist ein Gutteil der Artistinnenerst durch Operation zur Frau geworden und arbeitet noch die Rechnung desChirurgen ab. Transvestiten (!), heißt es, könnten auch sechs Nummern am Abendbesser wegstecken (!)." Wie lange muß eine solche Ansammlung vonpatriarchalischer Hybris, von Sexismus und Zynismus noch hingenommen werden?Ebenso wie in den Medien ist das Patriarchat auch in Medizin und Wissenschaftnoch immer überaus stark vertreten — besonders die deutsche Ärzteschaft istdiesbezüglich überaus patriarchalisch organisiert — und hat — aus welchenGründen dann auch — in der Folge die Konstituierung der medizinischenTranssexualität (in Deutschland vor allem Prof. Eberhard Schorsch) entscheidendbeeinflußt. Und wie sehr sich die Öffentlichkeit inzwischen dieser patriarchalischmedizinischenAbhängigkeit bewußt wird, zeigen solche Formulierungen wie:»Artisten mit dem Skalpell", »Feudale Strukturen im Gesundheitswesen",„Gesundheitsindustrielle", „Medizinische Experimentier-Künstler" sowie „Patientenals Versuchskaninchen". Nicht zuletzt sind solche Verhältnisse in der Realisierungder heutigen Geschlechtschirurgie als festinstitutionalisiertes Ritual gleichfallsimmer manifester geworden. Denn oft scheint nur das Resultat zu zählen, dieMomentaufnahme wird gezeigt und der Mensch anschließend ver-19


Deutschlands ArztePatienten sollennoch mehr zahlenVon MAX CONRADTH a mb ur g — Ü b er d e n s c ho n ho he n K r a nke nka s s e nb e i tr a g hi na us s o l le n d i e P at i e nt e nkü n ft ig b e l A r zt bes uc he n und K r a n ke nh a us -A u fe nt ha l t e n no c h e i n ma l w e i t me hr d a z ube za hl e n a ls b is he r. D as s ie ht d as „ G es und he i tspol it is c he P rograigt m d er de uts c he nA r zt escha ft" v o r, d as b e i m D e ut s c he n A r zt et a g v o m 1 0 . b is 1 4 . M a l i n K ö l n be r a te n un dv er a bs c hi e d et w er d e n s o l l. D i eses P ro g r a mm s o l l d e m V er s i c he rt e n i m K r a nk he i ts fall„ d as me d i zi ni s c h N o tw e nd i g e, A us r e i c he nd e und Zw e c k mä ß ig e" g a r a nt i er e n.Abbildung 4:Titelseite-Artikel imHamburger Abendblatt HAvom 19.4.94 über diewichtigsten Punkte des„GesundheitspolitischenProgramms der deutschenÄrzteschaft" im Rahmen der2. Stufe des aktuellen„Gesundheitsstrukturgesetzes"(GSG)Aus diesem Programm gehtinsbesondere hervor, daß dieEigenverantwortlichkeit derKassenmitglieder betont werdensoll und bewußt eingegangeneGesundheitsrisiken (wozu ganzbesonders die Vornahme derKastration gehört) reduziertwerden sollen.Die vorzeit ige Veröffentlichung des 88 Seit en u mfassendenProgramm-E nt wurfs vier Wochenvor dem Arzt etag ist die Antwortauf die Forderung vonBu nd es ges u ndheits mi nist erH orst S eeh ofer (CS U), die Arzt es oßt en für die zweit e Stu fe d esGesundheitsstrukturgesetzes(GSG) auch eigene Anregungenvorlegen.Die sechs wichtigsten Punktedes Arzte-Programms umfassenfolgende Vorschläge:• Die von den Krankenkassenbisher solidarisch finanziertenLeistungen sollen auf das medizinischNotwendige beschränktwerden. Die Arzteschaft meintdamit Leistungen, „die für einein ihrer Qualität gesicherte undwirksame Prävention, Krankenbehandlungund Rehabilitationunverzichtbar sind".• Alle darüber hinausgehendenLeistungen sollen, sofern diesdem einzelnen Kassenmitgliedfinanziell zumutbar ist, in die „individuelleVerantwortung verlagert",also selbst bezahlt werden.• Öffnung der gesetzlichenKrankenversicherung zu einemSystem mit Wettbewerb und mitder Möglichkeit des Mitglieds,entsprechend seiner finanziellenSituation individuelle Verträgemit seiner Kasse abschließen zukönnen, vergleichbar in etwadem Vertragssystem der privatenKrankenversicherung.rung, genutzt wird.Um eine höhere Beitragsgetechtigkeit zu erreichen, will dieArzteschaft die Beitragspflicht aufdas gesamte Einko mmen einesMitgliedes (also auch Mieten,Zinseinnahmen und ähnliches)erweitert haben. Außerdemsoll geprüft werden, ob dieBeitragsbemessungsgrenze(5700 Mark in den alten, 4925Mark in den neuenBundesländern) erhöht werdenkann, die Mitglieder mitdarüberliegendem Emkotmnenalso auch mehr Beitragbezahlen müssen. Die Arztetreten zudem für dieEinführung eines Ehegatten-Splittings und für das sogenannteVerursacher-Prinzipein, das heißt, daßGesundheits-Risiken wiebeispielsweise gefährlielseSportarten und grobes gosundheitsschädigendesVerhaltennicht mehr über die Krankenversicherungwerden sollen.abgedeckt• Schließlich plädieren dieÄrzte für mehr Wettbewerb inder Krankenversicherung mitdifferenzierterVertragsgestaltung,Einführung von Wahltarifenund mit der Erprobung neuerVersorgungsmodelle, zumBeispielfestenVergütungsbeträgen bei derBehandlung von Krebskranken.Diabetikern und anderenPatien ten.In einer Pressemitteilung derBundesärztekammer wird zu demProgramm-Entwurferklärt, dieanhaltende Sparpolitik dürfe nichtzu einer Zuteilung von Gesundheitsleistungenführen.„Die medizinisch-ethische Dimensionmuß immer Vorrang vorder ökonomischen Ausrichtungdas Patienteninteresse immer Vorrang vor dem WirtschaRlichkeitsgehothaben", heißt es inder Stellungnahme.Die Bundesärztekammer, Berufsvertretupgvon rund30(1(10)1 deutschen Arztinnenund Ärzten, fordert eineRückbesinnung auf dieEigenverantwortung, die derSelbstbestimmung des mündigenBürgers entspreche. Mehr eigeneVerantwortung helfe, bewußteingegangeneGesundheitsrisiken7i1 rednzirrrn.2 0


B U N D E S A R Z T E K A M M E R( A R B E I T S G E M E I N S C H A F T D E R D E U T S C H E N Ä R Z T E K A M M E R N )GESCHÄFTSFÜHRUNGFrau 26. April 1994<strong>Johanna</strong> <strong>Kamermans</strong> Az.: 111.020Große Bergstraße 160St/M522767 Hamburg Tel.: 0221/4004-256Gesundheitspolitisches Programm der deutschen ÄrzteschaftSehr geehrte Frau <strong>Kamermans</strong>,vielen Dank für Ihre Anmerkungen zum Entwurf des "Gesundheitspolitischen Programms derdeutschen Ärzteschaft". Sie fordern, daß im Rahmen der Überprüfung des Leistungskatalogsder gesetzlichen Krankenversicherung auch der Leistungsbereich "Geschlechtsumwandlung"mit seinen Folgeleistungen zur Disposition gestellt wird. Dies ist eine Anregung, die sicherlichbedenkenswert ist, Bei der Überprüfung des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherungdarf es in der Tat keine Tabus geben und es muß vorbehaltlos geprüft werden,welche Leistungen zu Recht zulasten der Solidargemeinschaft erbracht werden und welcheLeistungen als individuelle Angelegenheit zu betrachten sind.Bitte haben Sie Verständnis, wenn wir im derzeitigen Stadium der Beratungen des"Gesundheitspolitischen Programms der deutschen Ärzteschaft" auf solcheDetailfragen noch nicht eingehen. Wir werden Ihre Anregung - wie eine Reihe anderer- aufnehmen und zu gegebener Zeit in die Diskussion einbringen.Mit freundlichen Grüßen(Dipl.rer.so .h gemânn)HERRERT.LEWIN.STRASSEI50931 KÖLN (Lind


gessen. In einem solchen „Fortschritts"-Denken patriarchalischer Natur kommt esdann dazu, daß viele geschlechtswandelnde Operationen an Betroffenen durchgeführtwerden, die überhaupt nicht „reif" für einen solchen Lebenseinschnittsind. Parallel dazu hat sich weiter auch das damit zusammenhängende bzw. extradazu installierte Gutachtertum zu einem überaus lukrativen „Pfründe"-Phänomen(als Papierkrieg getarnt) entwickelt: Transsexuelle sind eben „pathologischwertvoll" im Gesundheitswesen geworden. Es wird Zeit, die darin innewohnendeDiskrepanz aufzuzeigen: Einerseits wird die „Krankheit Transsexualität" über das„Im-falschen-Körper"-Konzept mehr oder weniger wegoperiert und dann nahtlos —und offensichtlich widerspruchslos — durch eine immens lange Liste neuer,echter Krankheiten, als direkte Folgen der Kastration und der Hormonmedikation,ersetzt — welch ein Wahnsinn wird dort eigentlich inszeniert!Das von der Autorin propagierte Neue Denken soll deshalb dazu beitragen,daß die vorgenannten Verhältnisse und Gegebenheiten ins Bewußtsein derÖffentlichkeit dringen — es ist höchste Zeit dazu. Statt Erbe und Umwelt inbiologistisch-fundamentalistischer Absicht auseinanderzudividieren, soll dasZusammengehen beider Einflußbereiche im menschlichen Werdungsprozeßdagegen sichtbar gemacht werden: Nur der (denkende) Mensch ist das Produktder Wechselwirkung zwischen (biologischem) Erbe und (kultureller) Umwelt. DieZuweisung der beiden Komponenten als jeweils alleinige Ursache für dasbisherige Zustandekommen des Homo sapiens ist immer grundsätzlich falschund das, obwohl die Stimmungsschwankungen zwischen Erbe und Umweltmanchmal rational nicht nachzuvollziehen sind — da schwankt aber dannhauptsächlich der Zeitgeist und nicht die Forschung. Daß diese in den letztenJahren echte Fortschritte, besonders in der Genetik, gemacht hat, steht dabeiaußer Frage. Die Gene bilden in dieser Forschungsodyssee das letzte große Rätselder Menschheit, und dieser Herausforderung nur dem Patriarchat — wie bisher— zu überlassen ist eine überaus riskante Angelegenheit. Es betrifft diesinsbesondere das Phänomen der männlichen Homosexualität auf biologischerGrundlage, welches in der Erbforschung — wenn falsch gehandhabt — Anlaß zuBesorgnis geben könnte (dies aber nicht muß), während die weiblicheHomosexualität davon im biologischen Sinne weniger betroffen sein dürfte(Überraschungen nicht ausgeschlossen!). In einem Leitartikel der Zeitschrift fürSexualmedizin mit der Überschrift „Das Monster Mensch" (12/1982) wurde einesolche mögliche medizinische Apokalypse der Menschheit aufgezeigt.Es heißt dort u. a.: „Wer vom Wesen Mensch redet, sollte sein Unwesen nicht verschweigen.Hielt sich der Mensch lange Zeit für die Krone derSchöpfung, so mehren sich heute Stimmen, die ihn eher alsAusgeburt, wenn schon nicht der Hölle, dann wenigstens derNatur bezeichnen würden."Und:„Aber der Mensch schafft sich ja für alles Ersatz: so denKonflikt im Ich. Dann wird der Instinkt zum Trieb, derZwang zur Motivation, der Drang zum Bedürfnis. Kanalisationist alles oder Kompensation oder Sublimation. DerGeist, die Psyche bedarf des Konflikts; denn das Tier kenntkeine, hat es doch für alles seinen Instinkt."22


Sowie:„Doch die Spezie Mensch kennt keine Grenzen, weder nachaußen noch nach innen, weder im Makrakosmos noch in derMikrobiologie, weder psychisch noch somatisch. So schafft ersich selbst zum Monster. Mary Shelley hat es in ihrem Frankenstein-Romananno 1818 schon vorweggenommen. Inzwischenhaben sich in allen Medien Nachahmer gefunden. Heutescheint ihre Schauer-Utopie Wirklichkeit zu werden:Genmanipulation, Embryotransfer, Psychochirurgie und — lastnot least — `geschlechtsumwandelnde` Operationen noch (!)des äußeren Genitale, das sind nur einzelne Stationen auf einembeängstigenden Weg; aber sie deuten die Richtung an, in dersich der Mensch zu bewegen droht: ins Unberechen — undUnbeherrschbare."Im letzten Absatz heißt es schließlich:„Sie (die Menschheit!) wird auch die Zukunft meistern können— wenn sie auf ihre mahnenden Rufer und berufenen Mahnerhört. Einer hat sich jetzt zu Wort gemeldet: Der FrankfurterPsychoanalytiker Reimut Reiche hat operierte Transsexuelle alsvon Menschen kreierte Monster bezeichnet. Ihm wurde vielfachwidersprochen — widerlegt werden konnte er nicht."Harte Worte — gewiß doch. Aber mit dem gegenwärtigen Beibehalten einerpotemkinschen Scheinwirklichkeit auf Kosten der betroffenen Menschen kann demGeschlechtsumwandlungs-Phänomen auch nicht gedient sein. Ansonsten entstehenVerhältnisse, wie sie leider immer noch beim diffusen Dopingproblem im Sportüblich sind: Ausklammern und Ausblenden jeglicher gesundheitlicherKonsequenzen und zu erwartender Spätfolgen, nur der Resultate wegen — das alteSchema patriarchalisch-künstlicher Verdrängungskultur im Sinne der „illusiovirilis".Dieses Buch will einen Beitrag zum so dringend erforderlichen Prozeß desUmdenkens in der transsexuellen Problematik liefern, die Koordinaten wiedergeraderücken und vor allem die Kriterien neu setzen. In diesem Sinne hat sich dieAutorin die Mühe gemacht, vor allem die biologischen Fakten und die kulturellenSurrogate (speziell die gesellschaftlichen Scheinwirklichkeiten) akribisch zuuntersuchen. Herausgekommen ist wieder ein Netzwerk und vor allem eineFundgrube homosexueller und transsexueller Gegebenheiten. Eine gute Sache!2 3


Trennblatt:Kim: Junge Mann-zu-Frau-Transsexuelle mit sozialem Geschlechtswandelund voller beruflicher Integration — zudem anerkannte PorträtundBühnenmalerin.24


KAPITEL 1DIE ANDERUNG DES <strong>DEN</strong>KENSNeues Denken und HomosexualitätBesonders in den letzten Jahren häuften sich die naturwissenschaftlichenErkenntnisse, nach denen angenommen werden kann (wie auch bereits lange vermutetworden war), daß es für die sexuelle Orientierung des Menschen eine biologischeBasis gibt, d. h. die sexuelle Identität als solche ein unveränderbares Teil dermenschlichen Natur bildet und nicht (nur) die Kultur als prägendes Elementangesehen werden sollte bzw. darf. Speziell im Jahre 1993 überschlugen sich dierecht schlagzeilenträchtigen Meldungen in den Medien der westlichen Welt undaufgrund der häufigen Bezugnahme auf die Ursache für das vermutete Zustandekommeneiner homosexuellen Identität speziell beim Manne, breiteten sich in derweltweiten Homosexuellenszene einerseits Euphorie, andererseits Beklemmung aus:Es haben sich zum Teil sich heftig bekämpfende Fronten aufgbaut, und besonders inden USA schlagen die Wellen hoch — die (End-?)Lösung der (männlichen)Homosexualität als politischer Zankapfel.............. '7In Deutschland machte sich dagegen (wieder mal) Beklemmung breit, und alssymptomatisch für diese Art deutscher Bedenken gab es 1993 dann seitens der »DeutschenGesellschaft für sozialwissenschaftliche Sozialforschung" die nachfolgendePresseerklärung zu dieser Thematik:„1. Spezifische biologisch-genetische Theorien zur Entstehung der Homosexualtätwerden seit einiger Zeit auf dem Wissenschafts-Markt wieder verstärktangeboten. Sie waren 1990 auf der III. Internationalen Berliner Konferenz fürSexualwissenschaft besonders heftig umstritten und wurden nicht nur vonSozialwissenschaftlern, sondern auch von namhaften Biologen undNeuroendokrinologen aufgrund von Mängeln in Fragestellung und Methodik kri-2 5


tisiert. Mit Hinblick auf die Auto-, Hetero-, Bisexualitäten z. B. konnte dieFrage, ob demnächst mit der Entdeckung jeweils spezifischer Gene für dieunterschiedlichen Sexualitäten zu rechnen sei, von den Verfechtern solcherTheorien nicht beantwortet werden.2. Zur historischen Einordnung sei daran erinnert, daß biologisch-genetischeTheorien zur Entstehung der Homosexualität schon im 19. Jahrhundert vondeutschen Schwulen (Ulrichs, Hirschfeld) zur eigenen Entlastung wie zumSchutze vor Verfolgung entwickelt und propagiert worden waren. Leider erwiesensie sich zumindest im letzten Punkt als wirkungslos bis kontraproduktiv: Sieverhinderten weder das ,gesunde Volksempfinden` noch KZ- undVernichtungslager. Wen man als biologisch ,anders` ansieht, den grenzt man (nurin Deutschland?) anscheinend bei Bedarf leichter aus (Umfragen im Auslandscheinen allerdings auf eine andere Tendenz zu deuten) — insofern birgt einschwul machendes Gen politischen Sprengstoff.3. Über die Gültigkeit wissenschaftlicher Theorien entscheidet aber nichtihre politische Erwünschtheit oder Unerwünschtheit, sondern das fortgesetzterfolgreiche Bestehen von Falsifikationsversuchen. Davon sind wir im Fall desjetzt angeblich entdeckten „schwulen Gens" allerdings noch weit entfernt.4. Als sozialwissenschaftliche Sexualforscher halten wir es für grundsätzlichunzulässig, ein so hochkomplexes Phänomen wie die menschlicheSexualorientierung allein mit dem Verständnis und dem Instrumentarium derNaturwissenschaften zu erklären — mit dieser Aussage soll die Bedeutung vonBiologie und Genetik für unsere Sexualität allerdings keineswegs geleugnet werden.5. Empirisch gesicherte Tatsache ist aber, daß vielfältige nichtbiologischeFaktoren menschliches Sexualverhalten beeinflussen, überformen und bestimmen.Kulturelle Definitionen, gesellschaftliche Normen, individuelle Erfahrungen— diese und andere soziale wie höchstpersönliche Einflußgrößen ,konstituieren`in hohem Maße unsere Sexualitäten, ob wir dies nun bewußt wahrnehmen(wollen) oder nicht. Dabei kann es im Laufe des individuellen Lebens durchauszu Veränderungen und Präferenzwechseln kommen, die nicht willentlichsteuerbar sind. Deshalb ist die sozialwissenschaftliche Sexualforschungskeptisch gegenüber den alle Jahre wieder auftauchenden Ansprüchen,Homosexualität allein biologisch (genetisch, hormonell, hirnanatomisch usw.)dingfest machen zu wollen.6. Wer die Herkunft der Homosexualität ernsthaft erforschen will, mußzugleich die Entstehung sexueller Orientierungen insgesamt thematisieren,also der verschiedenen Erscheinungsformen von Auto-, Hetero-, Homo- undBisexualität — oder sich kritische Fragen nach seiner Forschungslogik bzw.seinem Erkenntnisinteresse gefallen lassen.7. Auf der erwähnten III. Internationalen Berliner Konferenz für Sexualwissenschaftim Reichstag wurden von den teilnehmenden Natur-, Sozial- undVerhaltenswissenschaftlern aus 18 Staaten ungeachtet der unterschiedlichenFachdisziplinen Forschungsansätze und Theorieverständnisse am Ende eineResolution mit zwei Kernsätzen verabschiedet:26


,Heterosexualität, Homosexualität und Bisexualität sind alle dreiakzeptable Varianten menschlicher Sexualität. Homosexuelle oder bisexuelleMenschen dürfen in keiner Weise, weder gesellschaftlich noch rechtlich,Vorurteilen oder Diskriminierungen ausgesetzt werden. Sie sindheterosexuellen Menschen in jeder Hinsicht gleichwertig.'Dem ist auch heute nichts hinzuzufügen." (aus DAW 9/93)Dem ist nun aber wirklich nichts mehr hinzuzufügen, denn aus dieser Presseerklärungspricht eindeutig das Patriarchat, und es wird uns in aller Deutlichkeitder männliche Blick auf Natur, Evolution und Sexualität vorgeführt — nicht maldie doch offensichtliche homosexuelle Urheberschaft ändert daran etwas. Ganzverräterisch diesbezüglich dürfte hierbei der Satz „Insofern birgt ein schwulmachendesGen politischen Sprengstoff" sein, denn hier wird doch ganz deutlich dieAngst vor einem Männlichkeitsverlust im Zusammenhang mit dem PhänomenHomosexualität sichtbar — vom hohen Roß der (patriarchalischen) Männlichkeitaus betrachtet wird geradezu ein Anschlag darauf vorzelebriert. Der Mann als dasMuß aller Dinge und die Frau von ihm abgeleitet (und ihm untertan ...), Adam alsdie Krönung der Schöpfung, Eva aus seiner Rippe geformt, und so ist ein für alleZeiten feststehendes Weltbild eingraviert: Zweifel nicht erwünscht...!Die Möglichkeit, daß dem vielleicht nicht so sein könnte, wird überhauptnicht einkalkuliert, und deshalb müssen diese kürzlichen Entdeckungen seitensder Naturwissenschaft, die dieses uralte Denkmodell nun endgültig in Fragestellen, wohl als ein Schockerlebnis par excellence zu gelten haben — dasPatriarchat verweigert sich, und die (offiziellen) Schwulen blocken gleichfalls ab:Andersdenkende sind out. Basta!Homosexualität als MännlichkeitsmakelDem patriarchalen Establishment sollte heutzutage natürlich zugute gehaltenwerden, daß es ja auch nicht leichtfällt, anzuerkennen, daß man sich geirrt hat undes in der Natur — dem kulturellen Denkmodell diametral entgegengestellt —geradezu umgekehrt zugeht. Nicht der Mann ist der Mittelpunkt der Schöpfung,sondern in Wirklichkeit die Frau: Sie steht im Mittelpunkt der Biologie, und dieganze Evolution — damit im direkten Zusammenhang stehend auch die Sexualität— geht primär von der weiblichen Urstruktur aus. Also nicht „Eva aus Adam",sondern „Adam aus Eva": Das männliche Element spielt in Wirklichkeit in derNatur (nur) eine untergeordnete Rolle, ist im Grunde (nur) als Derivat desWeiblichen anzusehen und absolut nicht das „tragende" Element aller natürlichenWerdungsprozesse.Es ist einfach alles ganz anders, als bis jetzt — bewußt oder unbewußt sei dahingestellt— postuliert worden ist, und deshalb sollte — damit endlich die Biologie dieihr zustehende Rolle im Entwicklungsprozeß der menschlichen Natur, desMenschen, zugewiesen werden kann — in erster Linie das Denken geändert wer-27


Abbildung 5:Homosexualität und MännlichkeitDer 1991 verstorbene finnische Zeichner Tom of Finland ist ein Künstler, derweltweit einen überaus starken Einfluß gehabt hat auf die schwule Männlichkeits-Asthetik.Seine seit den 40er Jahren zu Papier gebrachten Männerphantasiendurchkreuzen das Klischee des femininen Schwulen vollends —seine Zeichnungen zeigen den maskulinen, muskel- und vor allem „schwellkörperstrotzenden"Schwulen, der sich in jeder Lebenslage hemmungslos dem(männlichen) Sex hingibt. Seine Holzfäller, Soldaten, Cowboys, Matrosen undspeziell auch Ledermänner kennen keine Tabus — kein anderer Künstler hat dasSelbstbild der Schwulen derart in Richtung » Männlichkeit" geprägt wie Tom ofFinland (bürgerlich Touku Laaksonen). In dem vom finnischen Regisseur IlppoPohjola inszenierten Dokumentarfilm „Daddy and the Muscle Academy" (1992)wurde das Schaffen des Künstlers Tom of Finland (über 3000 erotische Bilderund Zeichnungen) überaus euphorisch gewürdigt. Interessant in diesemZusammenhang dürfte noch sein, daß der vom gleichen Regisseur stammendeKurzfilm „Plain Truth", welcher den Transformationsprozeß einer Frau zumMann behandelt, auf der Berlinale 93 mit dem Gay Teddy Bear für den bestenlesbisch/schwulen Film prämiert wurde. Ironie oder Zufall?2 8


den. In diesem ganz bewußten Wechsel des gesellschaftlichen Denkens ist derSchlüssel zum Verständnis aller bisherigen bzw. noch kommenden, revolutionärenEntdeckungen gentechnischer bzw. naturwissenschaftlicher Art, verborgen, und esist tatsächlich höchste Zeit, daß dies endlich auch im schwul-patriarchalischenBereich so gesehen wird. Besonders die deutsche schwule Presse, wie Magnus,Gay Express usw. tut sich hierbei extrem schwer, ihre Rolle vor allem als„Meinungsmacher" zu überprüfen.Wie bereits oben erwähnt, ist die betreffende Presseerklärung der „DeutschenGesellschaft für sozialwissenschaftliche Sozialforschung" ein symptomatischesBeispiel für das (bis heute) nahezu unveränderte (männliche) Denken diesbezüglich— man tut sich schwer mit der (biologischen) Wahrheit.Ein anderes Denken muß also her, damit solche Presseerklärungen künftig ganzanders formuliert werden können — nicht mehr aus dem nur-männlichenBlickwinkel heraus (Homosexualität als Makel der Männlichkeit ...), sondern ausder Perspektive eines menschlichen Herangehens an das so vielseitige Spektrumder Sexualität. Nicht mehr aufgrund irgendwelcher Wertung biologischerGeschlechtlichkeiten und ohne irgendwelche Bevorzugung kultureller Identitäten,sondern ganz einfach im Sinne der (einfachen) biologischen, evolutionsbedingtenGrundlagen der Natur. Homosexualität als Folge der (sekundären) Werdung desMannes aus der Frau (und nicht als „Makel" der (angeblich primären) Ur-Männlichkeit, d. h. die Männlichkeit höchstens als „Makel" der Weiblichkeit,wenn man dann soweit gehen möchte...Es ist dieses (umgekehrte) Denken, welches — obwohl bereits seit Jahrengreifbar in vielen Köpfen und Denkrichtungen eingelagert — dennoch auch in dieöffentliche Auseinandersetzung um Segen oder Fluch der Naturwissenschaft fürdie Menschheit nur sehr zögernd Einlaß begehrt bzw. Zugang findet. Die öffentlichen(Denk-)Mühlen arbeiten äußerst langsam und zeitraubend, und es ist überausmühsam, auf das Schlüsselverständnis für das (erwünschte) Verstehen undEinordnen der überaus vielfältigen, teilweise revolutionären Entdeckungen ausBiologie, Gentechnik usw., mit welchen uns die Medien fast ununterbrochen bombardieren,hinzuarbeiten. Und last but not least sollte hier auch im gesellschaftlichenSinne angesetzt werden, um die gerade zur Zeit wieder voll entbrannte,geradezu unselige Diskussion über Sinn und Unsinn naturwissenschaftlicherForschung als ein im Grunde rein patriarchalisches Syndrom zu entlarven. Hierzusollte es als durchaus gesichert gelten, daß die (menschlichen) Gedanken in denletzten Jahrzehnten ohnehin bereits wesentlich weiter gediehen sind, als dasPatriarchat (bisher) erlaubt. Die gesellschaftliche Gleichstellung von beiden(biologischen) Geschlechtern hat, zumindest in der westlichen Welt, bewirkt, daßdie bisherige Vorherrschaft des Mannes vor allem im kulturellen Sinne inzwischendoch weitgehend untersucht worden ist: Die jetzt anstehende Überprüfungder männlichen Position im biologischen Sinne dürfte nur die logischeErgänzung einer solchen Bestandsaufnahme sein. Deshalb muß das Neue Denkenher — es ist höchste Zeit dazu. Packen wir's an.29


Trennblatt:„Der Zauberer von Hiva Oa", entstanden auf einer der Marquesasinseln in derSüdsee, eines der letzten Werke Paul Gauguins (1848-1903). Im Besitz der StadtLüttich. In der Nazizeit galt das Bild als „entartet" und wurde 1939 in derSchweiz versteigert.3 0


KAPITEL 2DIE MACHT DER GENE„Am Anfang war das Weib"„Am Anfang war also das Weib", zeigen uns die gemachten Ausführungen undeigentlich müßte deshalb nach den neuesten Erkenntnissen der Naturwissenschaftdas erste Kapitel der Bibel grundlegend umgeschrieben werden — die Schöpfungmuß gerade umgekehrt verlaufen sein: Adam entstand aus Eva und nicht Eva ausAdam. Darauf gekommen ist die Forscherfalange bei der Suche nach denBausteinen des Lebens, den Genen. Dieselben sind bekannterweise die kleinsten,noch weitgehend rätselhaften Erbsubstanzteile, die über Gesundheit (und einenTeil des Charakters wohl) bestimmen und an deren Entschlüsselung in der ganzenWelt unzählige Wissenschaftler bzw. wissenschaftliche Zentren unter Hochdruckarbeiten. In einem gewaltigen, weltumspannenden Projekt namens HUGO (HumanGenome Organization) ist man dabei, die zeitraubende, komplette Analyse dermenschlichen Erbsubstanz, in der Fachsprache Genom genannt,vorwärtszutreiben, und diesbezüglich sind gerade in letzter Zeit wahrhaft aufsehenerregendeEntdeckungen ins Licht der Öffentlichkeit gerückt worden. Es gilthierbei, die etwa 100.000 menschlichen Gene — und deren Aufbau mittels etwadrei Milliarden „Buchstaben" des menschlichen Erbguts (DNS) — zu analysieren, zulokalisieren und daraus die erste Genkarte des Menschen zu erstellen. FranzösischenForschern ist so bereits Ende 1993 die detaillierte Kartierung jedes einzelnenmenschlichen Chromosoms gelungen, wobei man davon ausgeht, daß es alsResultat der weltweiten Anstrengung möglich sein wird, ein Modell zu erstellen, dasso präzise ist wie die bereits allgegenwärtige Satellitenvermessung der Erde. Hierbeiist es das Ziel dieser französischen Wissenschaftlergruppe um die „FoundationJean Dausset — CEPH" in Paris, die Identifikation von Gendefekten spürbar zuerleichtern, das Spektrum der Erbkrankheiten auszuforschen und den31


Weg zu einer vollständigen „Sequenzierung" (Bestandsaufnahme) der DNS (Desoxyribonukleinsäure)zu ebnen: oder, in Zahlen ausgedrückt, die menschlichenErbanlagen, die in jeder menschlichen Zelle (sichtbar) in 46 Chromosomen paarweisevorhanden sind, aufzuteilen auf die darin nach einem bestimmten Schemaenthaltenen 100.000 Gene bzw. die für diesen spezifischen Aufbau der jeweiligenGenstrukturen erforderlichen ca. drei Milliarden DNS-Buchstaben entsprechendzu identifizieren — ein wahrhaft gigantisches Vorhaben der Wissenschaft. Hierzusei noch ergänzend vermerkt, daß die letzteren, allerkleinsten Bausteine — aussogenannten Basenpaaren bestehend — in riesigen Computerdatenbanken gespeichertwerden können und Speziallaser in der Lage sind, hierbei selbständig bis zu1000 DNS-Buchstaben in der Sekunde zu analysieren — das „Genjäger"-Fieber istdamit voll ausgebrochen, und es werden in allernächster Zukunft noch viele aufsehenerregendeund wohl auch bahnbrechende Erkenntnisse die Aufmerksamkeitder Öffentlichkeit fesseln.Als Beiprodukt dieser emsigen, konzentrierten Suche nach dem Ursprung desLebens ist es inzwischen aber auch zur Gewissheit geworden, dass – wie bereitsoben gesagt - , dabei am Anfang des Lebens immer die weibliche Urstruktur steht.Alle männlichen Lebewesen entwickeln sich aus der weiblichen und diebiologische Wahrheit lautet deshalb auch unüberhörbar für den Menschen: „AmAnfang war das Weib“ (uns nicht umgekehrt). patriarchalischen Struktur unserer(westlichen) Gesellschaft nicht gerne wahrgenommen wird, dürfte verständlich sein— sie tut sich demzufolge dann auch außerdordentlich schwer, in die Wirklichkeitder Menschheit einzudringen. Allzusehr ist in den vergangenen Jahrtausenden diekulturelle Gesellschaftsstruktur auf der Dominanz der männlichen Anteileentwickelt worden, und dabei ist — was absolut nicht von der Hand zu weisen ist— auch eine gewisse gesellschaftliche Ordnung hergestellt worden, die für vieleBeteiligte doch etliche ganz bestimmte Vorteile mit sich bringt — das Patriarchateben. Hierbei müssen die besonders in den letzten Jahrzehnten aufkeimendenTendenzen zur feministischen Ausbalancierung des männlich-weiblichenGleichgewichts allerdings — nicht zuletzt auch im zeitlichen Sinne — wohl dochnur als ein „Wind des Aufbegehrens" betrachtet werden, schon gar jedoch nicht,wie von fanatischen, interessierten Feministinnen (z. B. Alice Schwarzer inDeutschland) gerne allzuoft postuliert, als ein „Wind of Change" verstanden werden— zu tief sind die Spuren des männlichen Vorherrschaftsdenkens im Leben derMenschheit eingegraben, daß solche „unangenehme, harte Wahrheiten" („AmAnfang war das Weib") kurzerhand zum Allgemeingut werden (können). Hierzu istweiter zu sagen, daß, wenn nach der Konstruktion der Natur die „Männchen" alsoim Grunde keine (ursprüngliche) Eigenständigkeit besitzen und eigentlich (nur)nachgeordnete Abkömmlinge der „Weibchen” sind, die (kulturelle) Konstruktiondes Patriarchats damit auch wieder nachvollziehbar wird, als daß auf diese Art undWeise die (biologische) Abhängigkeit des Mannes von der weiblichen Urstrukturübertüncht werden sollte. Ob dies nun aus bewußten oder unbewußtenErkenntnissen erfolgt ist, sei (vorläufig) noch dahingestellt.3 2


Abbildung 6:Aufbau der menschlichen Erbsubstanz aus Chromosomen und DNS-Strukturen inelektronenmikroskopischer bzw. graphischer Darstellung.Die verknäulten Moleküle der Erbsubstanz Desoxyribonukleinsäure (DNS - imEnglischen DNA [A von acid]) lassen sich auf einer entsprechenden Unterlage„glatt ziehen" (Darstellung rechts oben) — die Anwendung als Maske für dieMassenfertigung von elektronischen Chips (mit bis zu 100mal feinereChipstrukturen als bisher möglich) ist eine der erstaunlichsten Resultate derrasanten Molekularbiologie-Entwicklung der letzten Jahre(Aus: Advanced Materials", Bd. 5, S. 384, 1993)3 3


Adam aus EvaWir müssen uns in der Folge damit vertraut machen, daß die Biologie desMenschen, des Mannes und der Frau also, in der Folge etwas ganz anderes aussagt,als die Kultur der menschlichen Gemeinschaft, also die Konstruktion der(kulturellen) Männlichkeit und Weiblichkeit darin, uns suggeriert. Allein dieseschon erwähnte Diskrepanz ist dann auch dafür verantwortlich, daß dieSexualität des Menschen zum Spielball vielfältigster, wohl auch politischerInteressen geworden ist und die von vielen (interessierten) Beteiligtenhochgehaltene Aussage „Kultur statt Biologie" wohl am ehesten artikulierterscheint beim Phänomen der Transsexualität, d. h. der (kulturellen)Identifizierung mit dem (biologischen) Gegengeschlecht — dem (völligkünstlichen) sogenannten „psychischen Geschlecht" wird die geschlechtlicheDominanz eingeräumt. Es dürfte jedoch gleichzeitig aus einer solchen Sicht derDinge auch verständlich werden, daß das Phänomen der Transsexualität inerster Linie ein patriarchalisches, d. h. ein männliches Konstrukt darstellt: die(männliche) Korrektur der Natur über das (vermeintliche) Diktat der Kultur.In diesem Denken steht dann bei der männlichen Transsexualität dieAblehnung einer biologischen „Negativ"-Komponente (angeborene Homosexualität)im Vordergrund, bei der weiblichen Transsexualität dagegen (nur) die Ablehnungeiner biologischen „Positiv"-Komponente (angeborene Heterosexualität),sozusagen als kulturelle Entscheidung der sexuellen Orientierung. IrreführendeRedewendungen, wie „im falschen Körper" usw., sollen dabei für die nötigeRückendeckung sorgen und gleichzeitig damit dem als vorrangig suggerierte„psychische Geschlecht" endgültig zu seinem (biologischen?) Recht verhelfen —ein künstliches Denken par excellence und zutiefst eingeschliffen.Bevor wir jedoch die Macht der Gene für die Entwickung eines Menschen speziellin14,?ezug auf das Entstehen einer transsexuellen Identität näher untersuchen,müssen wir nochmals etwas ausführlicher zurückkommen auf die Entdeckung derweiblichen Urstruktur des Menschen und die Tatsache, daß nur ein einziges Genaus der Frau den Mann macht: unglaublich aber wahr. Es waren britischeForscher vom Nationalen Krebsforschungsinstitut in London, welche — wie 1992im berühmten englischen Wissenschaftsmagazin „Nature" berichtet wurde — dieaufsehenerregende Entdeckung machten, daß das männliche Geschlecht erst zweiMonate nach der Zeugung festgelegt wird, und zwar durch ein einziges Gen: dassogenannte SRY-Gen (SRY für Sex-determining Region Y Gene). Wenn es auf denChromosomen fehlt oder beschädigt ist, bekommen die Mütter automatisch nurMädchen. So würde jedermann als Mädchen zur Welt kommen, wenn es nicht imGenprogramm der Embryonen eine Art Schalthebel gäbe. Nur wenn dieser in dersiebten Schwangerschaftswoche betätigt wird, kann der bis dahin weibliche Fötusmännliche Geschlechtsmerkmale entwickeln: mittels einer Kette von biochemischenReaktionen entstehen aus ursprünglich weiblichen Organanlagenspezifisch männliche, aus den vorgesehenen Eierstöcken entstehen Hoden undaus primär weiblichen Embryonen entwickeln sich schließlich erwachseneMänner. Wie bereits schon vermerkt, irrt sich die Bibel bezüglich der34


Menschwerdung also gewaltig, und nicht Adam war als erster da, sondern Eva. Diebiblische Geschichte, nach welcher Gott aus „Erde vom Ackerboden" einenMenschen, den Mann, schuf, ihm eine Rippe entnahm und daraus ein (fast) baugleichesZweitexemplar („Männin" genannt, weil „vom Manne" genommen) formte,muß neu geschrieben werden — daran geht kein Weg vorbei. Den wissenschaftlichenNachweis ihrer Entdeckung erbrachten die Forscher hierbei durch ihrExperiment, einem winzigen weiblichen Mäuseembryo das neuentdeckte SRYGenzu injizieren, wobei sich prompt aus dem ursprünglichen Mäuseweibchen einMäuserich entwickelte — die jetzt männliche Maus, die eigentlich ein genetischesWeibchen war, folgte nach ihrer Geschlechtsumwandlung im embryonalen Statuseinen völlig normalen Männlichkeitsprogramm, begleitet von allen typischenCharakteristiken wie Gewicht, Körpergröße und Paarungstrieb (allerdings mitUnfruchtbarkeit gekoppelt): Es gab keine (feststellbaren) Unterschiede. Wie derbeim schon erwähnten Experiment maßgeblich beteiligte Wissenschaftler, derMolekularbiologe Dr. Robin Lovell-Badge, erklärte: ,,... werden wir künftig in derLage sein, bei bestimmten Säugetieren eine rein männliche Nachkommenschaft zusichern." Als erstes ist hierbei ein Einsatz in der Rinderzucht vorgesehen, sei esweil mitunter ein höherer Anteil von Stieren erwünscht ist, sei es — indem einVerfahren entwickelt wird, mit dem der betreffende Genschalter blockiert werdenkann — die Produktion von mehr Milchkühen angestrebt wird.In der Humanmedizin dürfte das Sex-Gen allerdings (noch) keine Anwendungfinden — es wird dies allgemein nicht nur als ethisch fragwürdig, sondern auch alsmedizinisch gefährlich eingestuft: Genetische Manipulationen an sieben Wochenalten Embryos könnten unter Umständen zu unkontrollierbaren Entwicklungsschädenführen! Ob und wie lange diese Sicht der Dinge jedoch Bestand habenwird, kann nicht vorausgesagt werden — dafür ist die derzeitige Entwicklung in derGentechnik allzu rasant.Beim SRY Gen haben wir es somit mit dem Einfluß eines einzelnen Gens fürdie Weichenstellung in die Geschlechtsentwicklung zu tun, aber die Macht derGene wird beispielsweise auch auf dem Gebiete vieler Erbkrankheiten sichtbar:Auch hier sind oft einzelne (allerdings defekte) Gene der auslösende Faktor fürerblich indizierte Krankheiten. Bereits für über sechshundert von ihnen sindinzwischen die auslösenden Gene bzw. Gengruppen lokalisiert worden (davonallein 111 auf dem X-Chromosom). Wir erinnern hier diesbezüglich an das ApoE-4-Alzheimer-Gen (auf dem Chromosom 19), das Chorea-Huntington-Gen (aufdem Chromosom 4, eine schlimme Nervenzerfallskrankheit auslösend), dasDarmkrebs-Gen (auf dem Chromosom 2) sowie das Hämophilie B-Gen (auf demX-Chromosom).Viele Wissenschaftler (in Deutschland u. a. Prof. Ernst Ludwig Winnaker,Leiter des Genzentrums der Universtität München) sind jedoch der Meinung, daßabsolut nicht gesichert sei, ob immer nur die einzelnen Gene oder Gengruppen fürdie endgültige Auslösung bestimmter erblicher bzw. genetisch mitbedingtenKrankheiten in Frage kommen bzw. Weichenstellungen für gewisse biologischeEntwicklungsrichtungen vornehmen: Zu komplex sei das Zusammenwirken vielerFaktoren, als daß angeblich gesicherte Erkenntnisse nicht immer wieder überprüftwerden sollten. Ein überaus richtiger Gedankenansatz. So verhält es sich35


Abbildung 7Ca. 20.000 Jahre alte Steinfigur als Urbild der„Großen Mutter"(Aus: P. M. — Perspektive „Mann und Frau", Nr.93/032/, S. 82 - 85) sowie diverse Schlagzeilenaus der jahrtausendealten AuseinandersetzungBibelillustration von JuliusSchnorr von Carolsfeld (1860)(Aus: Spiegel 52/1992)Bevor es einenGott gab,herrschteeine Frauim HimmelimmelPriester-Streit im Vatikanist Gott eine Frau?oder ?Veer Oder ein Zell- eel hotte mutt starke În Liebet.rTDelnrPrleateretreltrn. Bela." Ruhrr Buchcrechiru Einer let der Praaniakane. im Quertnlenatiering In Pater Richard Rohr. Era eat: Rom; derPapal gab reliseaBotte. Charaktereigen. Sc ( in,pp I, tur - ).schonen:verantwortlich, Hat der Vatikan w..granbcheldungahendig.Len Frauen? Celle 1nzwischen weiblichem undmännlichem Prinzip„Gott ist Gott. Er hatkein Geschlecht!"3 6


Abbildung 7: „Am Anfang war das Weib”Diese biologische Wahrheit ist im patriarchalischen Denkmodell vor allem imreligiösen Sinne verneint worden — entsprechend sind dann auch — wie aus derCollage ersichtlich — die Reaktionen.Erste Darstellungen der „Ur-Mutter" wurden vor ca. 30.000 Jahren gefertigt: Dieberühmteste ist die » Venus von Willendorf' (Fundort in Niederösterreich).In vorgeschichtlichen Zeiten waren Natur und Weiblichkeit eins — die „GroßeMutter" wurde dabei in erster Linie als Erhalterin des Lebens, aber nicht zuletztauch als Todesgöttin dargestellt. Fruchtbar und furchtbar zugleich waren Begriffe,welche die babylonische Ischtar, die semitische Astarte, die syrische Anat, diegriechische Artemis, die keltische Andrata oder die germanische Freya durchweggekennzeichnet haben. Die uralten Fruchtbarkeitsgöttinnen forderten dabeibesonders Opfer, auch Menschenopfer. Der Historiker Erich Neumann sagt hierzu:„Tötung, Opfer, Zerstückelung und Blutdarbringung sind magische Instrumente derFruchtbarkeit" (und des TS-Kults?). Zur neu aufgeflammten Natur-Kultur-Diskussion im religiös-geschichtlichen Sinne formuliert die amerikanischeFeministin Camille Paglia:„Das Buch der Genesis ist eine männliche Unabhängigkeitserklärung von denuralten Mutterkulturen. Am Anfang war nicht das Wort, sondern die Natur.Deren unermeßlicher und unergründlicher Charakter wurde nicht von einem,Männer-Gott` verkörpert, sondern durch die Fruchtbarkeit einer ,GroßenMutter`."beispielsweise bei der Suche nach den genetischen Ursachen für den menschli chenAlterungsprozeß ähnlich. Besonders viele USA-Forscher tun sich dabei her vor,und etliche voreilige Schlußfolgerungen (Altenforscher Dr. Tom Johnson: „Baldwerden wir die Gene für den Alterungsprozeß gefunden haben und dann werdenwir sie alle nacheinander abschalten") sowie aufsehenerregende Laborexperimente(Dr. Michael Rose von der Universität von Kalifornien verdoppelte mitgentechnischen Mitteln die Lebensspanne von Fruchtfliegen) haben viele Menschenverschreckt, hier und drüben. Das Ziel aller diesbezüglichen Anstrengungen liegthierbei auf der Identifikation des sogenannten „Zählers" für die Zellteilung — alleOrgane sind mit unterschiedlichen biologischen Teilungszahlen ausgestattet(Hirnzellen z. B. teilen sich nie, Leberzellen insgesamt achtzigmal, undembryonales Bindegewebe verweigert nach der fünfzigsten Reproduktion dieTeilung) — und es gilt, diesem Mechanismus auf die Spur zu kommen bzw., sofernüberhaupt möglich, abzuschalten. Hierbei geht es den meisten Altersforschern undMedizinern weniger um die Verlängerung der Lebenserwartung als um dieSteuerung eines möglichst beschwerdefreien Alterungsprozesses. Denn es sollte,wie bereits bemerkt, nicht vergessen werden, daß die von etlichen Gentechnikerngemachten Versprechungen, die Lebenszeit gleich um Jahrzehnte zu steigern,wahre Schreckensszenarien hervorgerufen haben hinsichtlich der möglichensozialen Auswirkungen einer dann zu befürchtenden Überbevölkerung (und einesallmählich langweilig werdenden „ewigen Lebens"). Auch die Existenz derMenschheit wäre bei solchen Eingriffen in den Evolutionsablauf bedroht: Nur beider (geschlechtlichen) Fortpflanzung haben die Gene die Möglichkeit, sich ineinem „kontrollierten" Lotteriespiel neu zu mischen und die biologische Artevolutionsmäßig so zu verändern, daß dadurch eine Anpassung an eine sichverändernde Welt kontinuierlich erfolgen kann. Hierbei ist die ständige Erneuerungdas Grundprinzip, das biologischen Organismen überhaupt ein längeresÜberleben sichert: Der menschliche Körper beispielsweise erneuert inner- 3 7


halb eines Jahres 98 Prozent seiner Zellen. Aus der zugeführten Nahrung baut derKörper ständig neue Zellen auf, die durch Zellteilung entstehen, während die altenausgeschieden werden: „Es ist alles im Fluß" (wie wir dies auch im alt-chinesischenTao-Denken ausgedrückt finden). Alle fünf Tage entsteht beispielsweise eine neueMagenschleimhaut, alle vier Monate sind die roten Blutkörperchen vollständigausgetauscht — bis sich Fehler einschleichen oder die Teilung einfach aufhört...Wir sind auf diese nun skizzierten Besonderheiten menschlich-biologischerAlterungsprozesse so ausführlich eingegangen, um vor allem aufzuzeigen, wie komplexdie Natur den Menschen in bezug auf die für die Evolution erforderlichenAnpassungsprozesse konzipiert hat — es dürfte deshalb als nicht gegeben erscheinen,einfach irgendwelche Gene ab- oder auszuschalten und dann dadurch gewisse„weichenstellende" oder „krankmachende" Prozesse zu unterbrechen bzw. positiv zubeeinflussen. Denn es wird sich immer mehr herausstellen (und tut dies bereits auchausgiebig), daß es doch einiges mehr braucht, um durch gezielte, von außen, d. h.menschlicherseits vorgenommene Eingriffe in den Code der Natur irgendwelche(gewollte?) dauerhaften Änderungen herbeizuführen — von den zu erwartendenvielfältigsten Nebenwirkungen und Langzeitrisiken ganz zu schweigen. In diesemZusammenhang sei noch vermerkt, daß allerdings für die weibliche Homosexualität bisheute keine genetische Komponente ausfindig gemacht worden ist. Sie wird zwar vonetlichen Molekularbiologen gesucht, muß jedoch — aus der Sicht des Neuen Denkensjedenfalls — als eher unwahrscheinlich eingestuft werden: Die weibliche Urstrukturmüßte dafür völlig andere Gründe haben als bei der Entwicklung der genetischmännlichenHomosexualität. Aber da das Gebiet der Verhaltensgenetik mitScheinentdeckungen übersät ist, wird die weibliche Homosexualität wohl noch weiterdas Interesse der (vorwiegendmännlichen) Naturwissenschaftler aufsich ziehen. Dies würde abergleichzeitig bedeuten, daß ab sofort dieWege der männlichen und weiblichenHomosexualität sich getrennt haben: derbiologisch-homosexuelle Mann hier, diekulturell-homosexuelle Frau dort.Dieser Unterschied wird dann besonderswichtig, wenn es um den Transsexualismusbeider Geschlechter geht (siehehierzu speziell Kapitel 8).3 8Abbildung 8:Das „Adam aus Eva"-Prinzip veranschaulichtin der » Eins gegen Eins"-Situation im Basketball zwischenSuper-Model Cindy Crawford undUS-Basketball-Idol Shaquille O'Neal(2,16 m)


KAPITEL 3EVOLUTION UND SEXUALITÄTUrweiblichkeit als ErbeIn Kapitel 1 haben wir darauf hingewiesen, daß für das Verständnis der vielfältigenrund um uns ablaufenden Prozesse in erster Linie ein anderes Denkenerforderlich ist. Neben der Erkenntnis, daß man lernen sollte, die Natur schlicht alsWunder zu begreifen, das sich um so besser bestaunen und vor allem respektierenläßt, je mehr man die Finger davon läßt, sollte auch die Einsicht stehen, daß derMensch nicht der „Herr der Schöpfung" sei und der Mann schon gar nicht. DieAusformung der ungeheuer komplizierten biologischen Prozesse im bisherigenEvolutionsablauf von Natur und Mensch geht dabei unübersehbar von derweiblichen Urstruktur aus: Das männliche Element ist im Grunde nur zusätzlichvorhanden und vom weiblichen abgeleitet. Die eigentliche Berechtigung desMännlichen geht dabei ausschließlich von der Funktion desselben bei derFortpflanzung, d. h. über die biologische Sexualität somit, aus. Die ungeschlechtlicheFortpflanzung in der Natur geht dagegen — über das Phänomen der Teilung— nur von der weiblichen Urstruktur und ihren Grundlagen exklusiv aus — dasmännliche Geschlecht ist grundsätzlich nicht aus sich selbst fortpflanzungsfähig,und der männliche „Gebärneid" — als kultureller Ausgleich für ein entsprechendesmännliches Anspruchsdenken (nicht zuletzt beim transsexuellen Denken!) —kommt dabei nicht von ungefähr.Ist somit die geschlechtliche Fortpflanzung speziell im Rahmen der menschlichenEvolution nur über das Phänomen der Sexualität zwischen Mann und Frau(= Heterosexualität) grundsätzlich möglich, so ist für die Sexualität von Mann undFrau als solche insbesondere auch die Gleichgeschlechtlichkeit (= Homosexualität)eminent wichtig — sie bildet einen integrierenden Teil der menschlichenSexualität und nimmt darin auch einen überaus sinnvollen Platz ein — obman dies nun wahrhaben will oder nicht. Daß dennoch besonders das Phänomen39


der männlichen Homosexualität im Laufe der Jahrtausende menschlicherGeschichte Anlaß gewesen ist zur Aufstellung der abenteuerlichsten Denk- undHandlungsmodelle, dürfte deshalb weniger zusammenhängen mit den tatsächlichenbiologischen Abläufen als mit den kulturellen Konstrukten männlich-patriarchalischerDenkart — nur das Patriarchat konnte aus seinem bisherigenEinzigartigkeitsdenken heraus zu einer solchen Diffamierung der Homosexualität,wie bisher fast überall gang und gäbe, gelangen. Die (männliche) Homosexualitätals Makel der Männlichkeit war für das Patriarchat im Laufe seiner Geschichte —aber ganz besonders im christlichen Abendland — immer der willkommeneVorwand, ganz massiv dagegen anzugehen Sehr oft wurde (und wird) dabei dieHomosexualität als „unnatürlich" und „krankhaft" eingestuft, weil sie auf denersten Blick nicht der Fortpflanzung und Arterhaltung zu dienen scheint — diesnicht zuletzt, weil die natürliche Auslese im Rahmen der Evolution eigentlich nurVerhaltensmerkmale fördert, welche der Vermehrung ihrer Träger dienlich sind,und gleichgeschlechtliche Verhaltensweisen scheinen hierzu nicht beizutragen:Eine solche, offensichtlich „nicht-reproduktive" Sexualität macht (auf den erstenBlick) wenig Sinn, jedenfalls nach den gängigen Denkarten.Wenn wir uns jedoch unsere in Kapitel 1 und 2 erworbenen Kenntnisse hinsichtlichbiologischer Männlichkeit und Weiblichkeit vor Augen führen, muß dieDauerexistenz speziell der männlichen Homosexualität jetzt in einem ganz anderenLicht erscheinen. Denn dann dürfte uns klar werden, daß die Phänomene iermännlichen Homosexualität, wie auch der Männlichkeit als solcher, eigentlichüberaus logische Folgeprodukte der geschlechtlichen Fortpflanzung aus der weiblichenUrstruktur heraus darstellen — die Männlichkeit als solche und die männlicheSexualität sind in erster Linie Abkömmlinge der Ur-Weiblichkeit als solcher.Hierzu sei vermerkt, daß gerade im Jahre 1993 etliche bahnbrechende Entdeckungenhinsichtlich der biologischen Grundlagen der (männlichen)Homosexualität gelungen sind. In der Folge haben tiefgehende und zum Teil sehrvehement ausgetragene Dispute wissenschaftlicher und öffentlicher Natur eingesetztüber die Frage, ob Homosexualität vererbt oder erworben sei — „schwulgeboren oder nicht", lautet die Frage unentwegt. Angefangen hatte das Ganzejedoch bereits etwa zwei Jahre vorher, als die amerikanischen WissenschaftlerSimon LeVay (Salk-Institut in San Diego, Kalifornien) und Robert Gorsky(Universität von Kalifornien) herausfanden, daß eine bestimmte Gehirnregion beiden (männlichen) Homosexuellen nur etwa halb so groß sei als bei den (männlichen)Heterosexuellen — worauf prompt die alte, schlummernde Endlosdiskussionwieder aufbrach: „Ist Schwulsein angeboren oder anerzogen?" Ein Schwarz-weiß-Denken par excellence. Le Vay trat dabei mit seiner Aussage „Homosexualität beiMännern ist rein biologisch bedingt" eine heftige Auseinandersetzung — nichtzuletzt in homosexuellen Kreisen — los, indem er diese These gezielt wissenschaftlichuntermauerte. Er sagte: „Homosexuelle Männer unterscheiden sich im Gehirn— genauer gesagt, im Hypothalamus, also dort, wo die Steuerung desSexualsystems angelegt ist — strukturell von ihren heterosexuellen Geschlechtsgenossen."Überaus publikumswirksam wurde damit der weitverbreitetenMeinung, gleichgeschlechtliche Liebe unter Männern sei vor allem durch äußereEinflüsse aus der Lebenssituation — also aus dem Umfeld des jeweils betroffenenMannes — bedingt, lautstark widersprochen: für viele bekennende Schwule eine40


schlimme Blasphemie. Besonders Gorsky jedoch relativierte die von ihm initiierteSuche nach der Rolle des Gehirns für die sexuelle Orientierung dann aber wieder,indem er darauf hinwies (u. a. in einem Vortrag über die „sexuelle Differenzierungvon Gehirnstrukturen" auf dem Symposium der deutschen Gesellschaft fürEndokrinologie in Berlin Anfang 1993), daß die verschiedenen daran arbeitendenForschergruppen gelegentlich auch unterschiedliche Ergebnisse erzielten — wodie eine Gruppe einen Unterschied in den Hypothalamus-Kernstrukturen vonMann und Frau feststellte (zwei Zellgruppen, die Kerne INAH 2 und 3, wären beiMännern etwa doppelt so groß wie bei Frauen), fand die andere wiederum keinesolch nennenswerten Unterschiede. Interessant war weiter, daß sich bei Experimentenmit Ratten als Versuchstieren herausstellte, daß die Unterschiede hierwesentlich deutlicher ausgeprägt waren: Die männliche Ratte besitzt Kerne vomsiebenfachen Ausmaß der Kerne im Gehirn der Weibchen.Die von Gorsky in der Folge immer stärker vertretene These impliziert dannauch, daß das Gehirn in seiner ursprünglichen Form weiblich sei undSexualhormone das ursprünglich weibliche Gehirn bei einem Mann entsprechendvermännlichen. Bei Homosexuellen sei dieser Prozeß nicht vollständig abgelaufen,und, wie der Wissenschaftler es formulierte: „Schwule sind schwul, weil ihrGehirn nicht völlig männlich geworden ist." Allerdings will Gorsky die sich dabeiausbildende Kausalkette:— das Y-Chromosom als Auslöser der Hodenentwicklung— die Hoden als Produzenten des männlichen Geschlechtshormons Testosteron— dieses Hormon als formende Kraft in den Hypothalamus-Kernen für diemännliche Sexualität— die abweichenden, nur halb so großen Kerne bei Homosexuellen alsUrsache schwuler Orientierungaus zwei Gründen so nicht gelten lassen. Zum einen ist Testosteron nicht dasmännliche Sexualhormon schlechthin, genauso wie auch Östrogen nicht das reinweibliche Hormon ist (eine der größten Ostrogen-Quellen ist beispielsweise derPferdehoden) — beide Geschlechter hätten vielmehr auch beide Hormone, allerdingsin unterschiedlichen Mengen (und Konzentrationen). Zum anderen werdedie sexuelle Orientierung statt von einer solchen Kausalkette eher von einemKausalnetz bestimmt: Umwelt, Hormone und Gehirn sind Faktoren, die sichgegenseitig beeinflussen und bedingen. Von einem Schwul-Zentrum im Gehirnvon Homosexuellen könne in einem solchen einseitigen, bestimmenden Sinnewohl nicht die Rede sein. Siehe hierzu auch die weitergehenden Ausführungen inKapitel 12.4 1


„Das schwule Ei”Wir sind hier derart detailliert auf die Studien Le Vays und Gorskys eingegangen,um aufzuzeigen, wie mit der einfachen Behauptung in den Medien, einebestimmte Gehirnregion bei den Homosexuellen sei nur etwa halb so groß wie beiden („normalen") Heterosexuellen (und damit einem weiblichen Gehirn ähnlich)die patriarchalischen Wellen, ob nun heterosexuellerseits oder homosexuellerseits,gleich wieder hochschlagen. Die alte Frage, ob die Homosexualität vererbtoder erworben wird, ist für das Patriarchat als solchem immer noch ein heiklesThema, und dementsprechend waren dann auch die Reaktionen, als etwa Mitte'1993 der amerikanische Molekularbiologe Dean Hamer die bereits doch allmählichin Gang gekommene Diskussion mit einer aufsehenerregenden Entdeckungnoch weiter anheizte. Hamer gab sozusagen die Antwort auf die Thesen Le Vaysund Gorskys, indem er auf die dabei gestellten Fragen eine kurze (medienwirksame!)Formel präsentierte: X q 28. Dieses einprägsame Kürzel bezeichnet einen derEndabschnitte des Geschlechtschromosoms X und „Irgendwo in diesem Bereich",so versicherte Hamer, muß das Gen liegen — ein Gen, das „Männer Männerlieben läßt". Und prompt wurde dann auch seitens des Kollegenforschers Le Vaydiese Antwort zur »wichtigsten wissenschaftlichen Entdeckung" erklärt, „die jeüber sexuelle Neigungen gemacht worden ist", und das Hamburger Magazin „DerSpiegel", eine Patriarchen-Hochburg, tönte entsprechend in der Ausgabe 30/1993mit den Schlagzeilen: „Trieb in der Wiege. Ist Homosexualität vererbt oder erworben?Die Entscheidung zum Schwulsein fällt in der frühen Kindheit, sagen diePsychoanalytiker. Jetzt triumphiert die Fraktion der Biologen: US-Wissenschaftlerfanden ein Gen für die Veranlagung zur Homosexualität. Beginn einer neuenSchwulenhatz oder Hoffnung auf mehr Toleranz?" Oder ließ sich gar im Textteilverführen zu solchen Bonbons: „Hamers Entdeckung klingt für vieleungeheuerlich: Die Entscheidung über die Triebrichtung eines Menschen, so folgtdaraus, fällt schon im Eileiter der Mutter. Gänzlich ohne Einfluß des väterlichenErbguts stünde dort bereits fest: Dies ist ein schwules Ei."Hierzu ist festzuhalten, daß Hamers wichtige Feststellung — die Veranlagungzur (männlichen) Homosexualität wird von den Müttern an die Söhne vererbt —durch weitläufige US-Familienstudien in die Wege geleitet wurde. Die Folgerung,daß die zuständigen Gene dann auf dem X-Chromosom zu suchen seien, ergabsich automatisch daraus: Mit unseren Kenntnissen der weiblichen Urstrukturals dem Ausgang allen Lebens ist dies wohl auch als völlig logisch anzusehen.Wie aus einem Bericht in der Zeitschrift „Medical Hypotheses" fast gleichzeitigzudem hervorging, haben Wissenschaftler der Hebräischen UniversitätJerusalem weiterhin herausgefunden, daß es vorrangig die weiblichen Gene sind,die die Entwicklung eines Embryos steuern und keineswegs alles Zufall ist.Einige „eingeprägte" Gene sind nicht austauschbar, und ein Teil von ihnen kannnur von der Mutter, ein anderer nur vom Vater vererbt werden. Daß die biologisch-männlicheHomosexualität damit stets nur über die mütterliche X-Linievererbt wird, dürfte damit erklärbar werden (schließlich werden X-Chromosomen— als die eine Hälfte aller Samenzellen — auch väterlicherseits eingebracht).42


Zurückkommend auf die Entdeckung Hamers ist noch als interessant zu vermerken,daß für die Lokalisierung des Erbfaktors, der bei Männern die homosexuelleVeranlagung mit sich bringen soll, allerdings vorerst nur ein grobes Arealabgesteckt werden konnte: Der Chromosomenabschnitt X q 28 umfaßt einigeHundert Gene mit rund vier Millionen Basenpaaren (Buchstaben). Ob und wieschnell das Gen, das zur Veranlagung von Homosexualität führt (nicht unbedingtVerhalten!) exakt lokalisiert werden kann, steht allerdings noch in den Sternen —so hat beispielsweise die Suche nach dem Gen für die Nervenkrankheit ChoreaHuntington nach der groben Ortung noch fast zehn Jahre gebraucht.Bei der Wertung der vorgehenden Erkenntnisse müssen wir immer wiederbedenken, daß, wie bei den menschlich-biologischen (natürlichen) Alterungsprozessendokumentiert, die Natur den Menschen bezüglich der im Rahmen derEvolution erforderlichen Anpassungsprozesse, außerordentlich komplex konzipierthat. Einzelne Gene können dabei zwar als Auslösemechanismen dienen fürbestimmte Entwicklungsprozesse, jedoch können — über Wechselwirkungen mitdurch anderweitige Vorgänge ausgelöstc,. fationen — die davon ausgehendenEinflüsse dieselben auch wieder neutralisieren: Die in Gang gesetzten Prozessezeigen keine spezifische Wirkung. So ähnlich dürfte es sich auch beim Phänomender männlichen Homosexualität verhalten: Veranlagung ist nicht gleich Verhalten,d. h. angeborene Homosexualität muß und kann verhaltensmäßig — aus dochvielerlei gesellschaftlich indizierten, „kulturellen" Gründen — durchaus entsprechend„umgeleitet werden (Asexualität, Bisexualität, Transsexualität usw.) —wir werden an anderer Stelle noch näher auf diese Verhaltenskomplexe eingehen.Es dürfte weiter auch wenig hilfreich sein, wenn in den Medien die Homosexualitätsproblematikimmer noch ganz nach Belieben vereinfacht wird und esbeispielsweise (leider) in der Bild-Zeitung vom 2.8.93 dann solche Schlagzeilengibt wie: „Bald möglich! Spritze ,heilt` Schwule" und es in der Wochenzeitung „DieZeit" in ihrer Ausgabe vom 27.8.93 heisst: „Gene schuld an Homosexualität". Auchder schon erwähnte Spiegel-Artikel trägt mit solchen darin verwendetenSprachschöpfungen wie „schwules Ei", „Schwulen-Gen", „Klären, ob es möglich ist,einen abnormen Trieb zu normalisieren" usw. nicht dazu bei, die ganze Problematik,die für sehr viele Menschen mit den derzeitigen Entdeckungen in derGentechnik verbunden ist, unvoreingenommen einzuordnen. Diesbezüglich istsehr zu hoffen, daß das ausgebrochene Genfieber wieder abflaut und die ganzeDiskussion um die biologischen Komponenten der Homosexualität auf den Bodender Tatsachen, der Vernunft und vor allem der Ethik zurückkehrt: Das NeueDenken bietet hierzu ausgezeichnete Ansätze.43


203 AgdistisParis, Bibliothèque Nationale, Inventaire duDon Lequeu du Cabinet des Estampes, Inv.Ae 15 Lir.: Duboy 1986, 8. 291In dieser Gestalt leitet Lequeu seine latenteBisexualität (vgl. Kat. 465) vom griechischenMythos ab. Agdistis war ein von Zeusabstammendes Zwitterwesen, das auch alsGroße Mutter verehrt wurde (vgl. Hunger1981, S. 80). Die Attribute erhellenDoppelnatur und Rollenverteilung: Die Roseverweist auf das Geschlecht der Frau, derflammende Pfeil auf das des Mannes. Dieeinladende Armhaltung geht auf tanzendeBacchanten und Satyrn zurück.Der Zwitter ist zweifach doppeldeutig.Einmal ist er aus der Sicht des 18.Jahrhunderts ein Capriccio, eine Laune derNatur, die damit ihre eigenen Normenüberlistet. Auch hier setzen die Aufklärer denexperimentellen Denkansatz durch. Diderots„Traum d'Alemberts" (ein Dreigespräch),dreht sich um die Entstehung undVerwandlung der Arte* Zwar unterscheidetDiderot zwischen der organischen Ganzheitund den Sprüngen der Natur, wie sie auchder Mensch bewirken kann, wenn er diegenetischen Fäden verwirrt — aber woverlaufen die Grenzen zwischen Norm undMißbildung? Ist nicht, wie Mllede l'Espinasse vermutet, der Mann dasMonstrum der Frau und die Frau dasMonstrum des Mannes? Lequeu wäredemnach die Überwindung dieserMonstrosität.Daran knüpft ein anderer Aspekt an, derins Auge springt, wenn wir dieZweigeschlechtlichkeit auf die triumphierendeErweckungsgeste beziehen. Agdistis verliertdann die.gdfährliche Leidenschaft, die ihr/ihmder Mythos nachsagt, und wird zu einemSymbol der Versöhnung, in dem Pfeil undRose, Waffe und Fruchtbarkeitfriedlich koexistieren. Wir dürfen dabei auchan Runges „Morgen" (Kat. 537) denken:Wieder ein Kompositgeschöpf, in dem Venusmit Maria und Aurora verschmilzt. Venus istüberdies sowohl Urania wie Anadyomene,himmlische und irdische Liebe in einerGestalt. Runge bedient sich einer ähnlichenErweckungshaltung wie Lequeu. Noch etwasverbindet die beiden Präzisionisten. WennRunge einen Freund um botanische Darstellungenbittet, weil er sich genau über den„Charakter der Geschlechtsteile" unterrichtenwill (HS I, 239), erinnert das an den Blick,den Lequeu auf das weibliche Genital richtet. W. H.2 0Trennblatt: Agdistis, von Zeus abstammend, aus dessen im Schlaf entflossenenSamen entstanden, von den Göttern entmannt und zur „Großen Mutter" Kybelegeworden - aus seinem Glied erwuchs ein Mandelbaum4 4


KAPITEL 4HOMOSEXUALITÄT UND GESELLSCHAFTStatistik eines PhänomensBereits in der in Kapitel 1 zitierten Presseerklärung der » Deutschen Gesellschaftfür sozialwissenschaftliche Sozialforschung" haben wir das ganzeSpektrum bezüglich der Homosexualität-Problematik in der Gesellschaft sowie inallen Zeiten kennengelernt. Gleichzeitig wiesen wir darauf hin, daß aus dergenannten Erklärung eine überaus einseitige, vor allem patriarchalische Sicht derDinge klar hervorgeht und — logischerweise — der direkte sozialwissenschaftlicheAspekt darin sehr stark dominiert: Man tut sich schwer mit der(biologischen) Wahrheit ...! Darauf bezugnehmend muß für das Faktum derHomosexualität deshalb immer unterschieden werden zwischen Veranlagung undVerhalten — die gesellschaftlichen und sozialen Verhältnisse zwingen in derfolge deshalb fast automatisch zu den ausgeklügelsten Homosexualitäts-Vermeidungsstrategien: Nach außen muß (wenigstens) der Schein gewahrtbleiben. Siehe hierzu auch die Ausführungen im Kapitel 16 über die Fassaden-Existenz des deutschen Kultliteraten Thomas Mann.Geschockt über die Häufigkeit des homosexuellen Verhaltens in der menschlichenGemeinschaft wurde die Öffentlichkeit vor allem, als bald nach dem zweitenWeltkrieg die beiden Kinsey-Reports erschienen: im Jahre 1948 » Das sexuelleVerhalten des Mannes", im Jahre 1953 „Das sexuelle Verhalten der Frau". Dasdarin vom amerikanischen Zoologen Alfred Kinsey anhand von detailliertenFragebogenstudien seit Ende der dreißiger Jahren ausgearbeitete Zahlenmaterialschockierte die (amerikanische) Öffentlichkeit sogar derart, daß die SeriositätKinseys von seinen Kontrahenten mehrmals in Zweifel gezogen wurden (genausowie wir es jetzt mit der Kritik an dem Faktum der Transsexualität erleben: Kritikerwerden als Nestbeschmutzer persönlich desavouiert und niedergemacht.) Obwohlspätere Studien die Kinsey-Daten wieder teilweise revidierten (u. a. im4 5


Hite-Report), sind sie dennoch im großen und ganzen bestätigt worden. Aus dengenannten Reports ging dabei in allererster Linie hervor, daß sehr vieleMenschen homosexuelle Kontakte haben — diese Zahlen erreichen vielfachMillionenhöhe. Je nach Einrechnung von speziell sexuellen Phantasien undVerlangen ergab sich, zusammen mit der Registrierung von solchen Kontakten,die zum Orgasmus führen, sogar die Feststellung, daß über fünfzig Prozent allerMänner eine homosexuelle Komponente in ihrem Verhalten hätten. In einererneuten Kinsey-Studie aus dem Jahre 1970 und folgend (allerdings erst 1988publiziert) ergaben sich dann wieder etwas niedrigere Zahlen: Danach hättenmindestens zwanzig Prozent aller Manner zumindest eine homosexuelle, zumOrgasmus führende Erfahrung und mindestens 3,3 Prozent aller erwachsenenMänner hätten gleichgeschlechtliche Kontakte in der Abstufung „sehr oft" (1,4Prozent) oder „gelegentlich" (1,9 Prozent). Diese 3,3, Prozent bilden wohl diebekennende Schwulen-Szene, wie sie allernorts vorgefunden wird.Zum Sexualverhalten von Frauen belegten die betreffenden Studien, daß 28Prozent aller Frauen in ihrem Leben verschiedenartig gelagerte psychischeund/oder physische homosexuelle Kontakte hätten. Tatsächliche Orgasmuskontaktewurden mit rund 13 Prozent eingeordnet, 1 bis 3 Prozent wurden zu irgendeinemZeitpunkt als „vorwiegend" oder „ausschließlich" homosexuell eingestuft.Typisch für die Kinsey-Reports war auch, daß nicht schwarzweiß zwischen„homosexuellen" und „heterosexuellen" Personen unterschieden wurde (wie diesleider immer wieder bei transsexuellen Vorgängen der Fall ist), sondern daß sichherausstellte, daß sehr viele Menschen beiderlei Kontakte hätten, sei es in denunterschiedlichen Lebensphasen, sei es im gleichen Lebensabschnitt.Um diesen unterschiedlichen Einschätzungen homosexueller und heterosexuellerKontakte gerecht zu werden, entwickelten Kinsey und seine Mitarbeiterdie inzwischen allseits bekannte Kinsey-Skala des heterosexuell-homosexuellenKontinuums. Siehe hierzu auch Abb. 9Aus dem von Alfred Kinsey gegründeten Institut für Sexualforschung derUniversität von Indiana wurde dann 1978 noch der spezielle „Kinsey-Institut-Report über weibliche und männliche Homosexualität" (man beachte dieReihenfolge) publiziert, in welchem ausschließlich über die Lebensgewohnheitenhomosexueller Männer und Frauen berichtet wurde. Der Schwerpunkt dieserStudie lag dabei weitgehend in der riesigen Schwulen- und Lesbenszene in undrund um San Francisco, wo bis zum Aids-Ausbruch besonders im Castro-BezirkSan Franciscos die sexuellen Aktivitäten nahezu marktmäßig (»Orgasmus gegenOrgasmus") in den speziellen Homosexuellentreffpunkten wie Klappen, Saunas,Parks, Kinos, Darkrooms usw.) ausgelebt werden konnten. Die im Report enthaltenenDaten lieferten die ersten Schlüsselerkenntnisse überhaupt über dasVerhalten homosexueller Menschen in einer Kultur und dürften — obwohlkeineswegs als schlüssig repräsentativ für andere Kulturen und andere Zeitengeltend — dennoch sehr hohe Aussagekraft haben im prinzipiellen Sinne. Auchfür andere homosexuell organisierte Milieus gab es in den siebziger Jahrensolche Untersuchungen: Hier lieferte die Studie „Der gewöhnliche Homosexuelle"von den beiden Sexualwissenschaftlern Martin Dannecker und Reimut Reiche imJahre 1974 für Deutschland ungewöhnlich repräsentative Daten.4 6


heterosexuellhomosexuell0 = ausschließlich heterosexuell1 = vorwiegend heterosexuell, aber mit gelegentlicher homosexuellerBetätigung2 = vorwiegend heterosexuell, aber mit deutlicher homosexuellerBetätigung3 = heterosexuell wie homosexuell4 = vorwiegend homosexuell, aber mit deutlicher heterosexuellerBetätigung5 = vorwiegend homosexuell, aber mit gelegentlicher heterosexuellerBetätigung6 = ausschließlich homosexuell0 1 2 3 4 5 6ZuordnungAbbildung 9: (beim Enscannen sind diverse Informationen verloren gegangen)Kinsey-Skala des heterosexuell-homosexuellen Kontinuums(Aus Sommer, V.: „Wider die Natur — Homosexualität und Evolution", S. 21Hierbei wurden die von den homosexuellen Männern und Frauen praktiziertenGeschlechtstechniken unterschieden in:- Orgasmus durch rhythmisches Reiben von Penis und Klitoris am Körperdes Geschlechtspartners (Tribadismus)- Orgasmus durch gegenseitige manuell-genitale Stimulation (Masturbation)- Orgasmus durch oral-genitale Stimulation (Fellatio bei Männern,Cunnilingus bei Frauen)- Orgasmus durch Analverkehr (Penetration)Aufschlußreich war auch die Unterscheidung in „aktives" und „passives"Rollenverhalten. Es ergaben sich dabei sieben Praktiken für Männer: fünf47oder


mehr davon wurden fast immer praktiziert, alle sieben von durchschnittlich einemViertel der befragten Männer. Bei Frauen wandten immer etwa drei Viertel vonihnen alle fünf abgefragten Sexualpraktiken an. Die absolute Einschränkung aufnur ein ganz bestimmtes Sexualverhalten war für beide Geschlechtsgruppen eherselten, das Repertoire von Jüngeren meist größer als das der Älteren. Bei denFrauen fiel noch auf, daß die Verwendung von etwaigen Penissubstituten (Dildos,vom italienischen „diletto" = Lust) bei lesbischen Kontakten nur eine relativgeringe Rolle spielt und ihr häufiges Vorkommen in der Pornographie wohl ehermännlichen „Hirngespinsten" von der „unbefriedigten" Frau entgegenkommt.Bezogen auf die Frau-zu-Mann-Transsexualitäts-Thematik wäre diese Tatsacheauch als Bestätigung dafür anzusehen, daß die Möglichkeit der Penetration durchdie weiblichen Transsexuellen zwar gewünscht wird, die effektive (wohl immerunlösliche) Realisierung über auch in psychosexueller Hinsicht funktionierendenPenisimplantaten für das Mannsein nicht als unabdinglich betrachtet wird. VieleFrau-zu-Mann-Transsexuelle geben sich mit der Ausschaltung ihrer»Weiblichkeit" zufrieden, bei den Mann-zu-FrauTranssexuellen spielt jedoch dieKonstruktion einer „funktionierenden" Vagina (Penetrationsmöglichkeit =männlicher Gedanke) eine überaus dominierende Rolle beimUmwandlungsverlangen, wohl auch deswegen, weil ein solcherPenetrationsvorgang als „heterosexueller" Beweis gewertet wird. Auch das speziellbei Transsexuellen beiderlei Geschlechts beliebte Klischee der speziellenRollenzuweisungen beim Sex wurde in den genannten Untersuchungengrößtenteils widerlegt. Hierbei werden dann homosexuelle Männer in » aktive"(ejakulierende) und „passive" (nicht-ejakulierende) Typen eingeteilt und vorallem bei lesbischen Kontakten durchwegs die Modellbeziehungen einesheterosexuellen Paares zugrundegelegt, d. h. der einen Partnerin („butch") wirddie » aktivmännliche" Rolle zugewiesen und der anderen die » passiv-weibliche”(„femme"). Dieses letzte Klischee-Konstrukt kann für Partnerschaftsverhältnissevon Frauzu-Mann-Transsexuellen allerdings wieder als typisch angesehenwerden: Die weibliche Partnerin darf nur im ganz begrenzten und genauvorgeschriebenen Rahmen agieren. Siehe hierzu auch die diesbezüglichenAusführungen in Kapitel 13 „Homosexualität und Transsexualität" und in Kapitel14 „Transsexualität und Emanzipation".Bei männlich-homosexuellen Kontakten konnte weiter die Schlußfolgerunggezogen werden, daß die Mehrzahl der Homosexuellen eine Vielzahl vonTechniken benutzt und auch die „Rollen" relativ häufig gewechselt werden, somitkeine stereotype Rollenverteilungen (wie diese für viele Mann-zu-Frau-Transsexuelle, auch in ihren „lesbischen” Verhältnissen, wiederum typisierendsind) normalerweise vorlagen. Das allerdings wiederum in anderen Kulturkreisenbzw. in anderen Zeiten (beispielsweise in der Antike) eher solche stereotypeVerhaltensweisen üblich waren (denken wir nur an das griechischePäderastieverhältnis: [aktiver] Erastes und [passiver] Eromenos), mag selbstverständlichmit den zu jenen Zeiten völlig anderen sozialen Gesellschaftskonstellationenzusammenhängen — es gab auch damals ja beispielsweise noch keine solchenneuzeitlich-typischen Großstädte mit ihren weitverzweigten homosexuellenNetzwerken. Auch sollte unterschieden werden zwischen den Begriffen » aktiv"und „passiv" im sozialen und im sexuellen Sinne — die undifferenzierte Ver-4 8


wendung derselben für die Kategorisierung von Sexualpraktiken in früheren undheutigen Zeiten dürfte ansonsten problematisch werden. Aktiv-Sein im Sinne von„bestimmend" agieren bzw. Passiv-Sein im Sinne von „unterwürfig", „uninteressiert",„verführt", „unwillig", » weiblich", kann — aus männlich-patriarchalischemBlickwinkel der (gewollten) Rollenverteilung durchaus bewußt ins historischeQuellenmaterial eingebracht — im sexualpraktischen Sinne wieder ganz andersgemeint sein. Denn es ist ein offenes Geheimnis, daß beispielsweise die martialischenLeder-Schwulen mit ihrem „männlichen" Auftreten nach außen im Bett oftdie größten Tunten sind bzw. in ihrer Ablehnung jeglicher „Weiblichkeit" (besondersder transsexuellen) gleichzeitig den schlagkräftigsten Beweis dafür bilden,wie stark die patriarchalische Dominanz auch im homosexuellen Bereich durchschlägt.Nach außen jedenfalls besonders „männlich" wirken und bloß nicht„weiblich" dürfte übrigens der Grund dafür sein, daß die Mann-zu-Frau-Transsexuellen auch bei den bekennenden Homosexuellen ihre Heimat verloren:„Frauen" haben bei Schwulen nichts verloren, „Tunten nur im (abgeschirmten)Bett!" Auf diese Konstellation gehen wir an anderer Stelle noch ausführlicher ein.Hierbei erscheint dann die Transsexualität als exklusive „Homosexualitäts-Vermeidungsstrategie" in eigendynamischer Wechselwirkung zwischen der latenten(eigenen) und der manifesten (fremden) Ablehnung: letztere somit sowohl imheterosexuellen als auch im homosexuellen Sinne.Aufschlußreich für das sexuelle Verhalten homosexueller Männer und Frauen sindsodann die untenstehenden tabellarischen Ergebnisse als Antwort auf die Frage:„Welche sexuellen Praktiken haben Sie im letzten Jahr ausgeübt?":Homosexuelle MännerweißschwarzHomosexuelle Frauenweißschwarz(n = 575) (n = 111) (n = 229) (n = 64)Körperreiben 41 % 53 % 46 % 77 %Aktiv manuell-genital 83 % 91 % 79 % 88 %Passiv manuell-genital 85 % 88 % 82 % 89 %Aktiv oral-genital 95 % 89 % 78 % 80 %Passiv oral-genital 94 % 96 % 75 % 84 %Aktiver Analverkehr 78 % 90 % - -Passiver Analverkehr 67 % 78 % - -4 9


sowie bezüglich der Gesamtzahl der Geschlechtspartner von homosexuellenMännern und Frauen diesseits und jenseits des Atlantiks:Anzahl BRDMännerweißUSAMännerschwarzFrauenweiß schwarz1- 9 3% 6% 58% 54%a10 - 99 56 % 23 % 35 % 39 % 44 %100- 499 29% 32%a 26%a 2% 4%500+ 15%a 43% 33% 0% 0%(aus Sommer V.: „Homosexualität und Evolution", S. 24 u. S. 25)Für eine akzeptable Definition der Homosexualität und ihre individuellen undgesellschaftlichen Ausgestaltungen müssen wir beim Menschen also differenzierenzwischen mehr oder weniger spontaner Betätigung und dauerhafter Neigung.Dabei darf nicht übersehen werden, daß auch insofern ein großer Unterschiedbesteht zwischen der Homosexualität und der Heterosexualität, als letztere normalerweisenicht verborgen zu werden braucht. Die Heterosexualität gilt als die„normale" geschlechtliche Betätigung und Neigung, während die homosexuelleVariante von den betroffenen Individuen üblicherweise nicht an die große Glockegehängt wird, obwohl in den letzten Jahren immer mehr das Coming-Out vonhomosexuell veranlagten Personen, die in hochrangigen gesellschaftlichen oderkünstlerischen Positionen zu finden sind, zum Durchbruch kommt. Denken wirhierbei an solche Namen wie Liberace, Elton John, Yves St. Laurent, KarlLagerfeld oder auch Madonna und Martina Navratilova. Im kleineren persönlichenRahmen jedoch muß meistens Rücksicht auf die Umwelt genommenwerden, von gelegentlichen Ausnahmen abgesehen, wie sie beispielsweise füretliche Berufe und Tätigkeiten im Kreativbereich (Mode, Kosmetik, Medien,Unterhaltung, Kunst) zutreffen können. Erhebliches Aufsehen erregten auch dieAussagen der damaligen französischen Premierministerin Edith Cresson im Jahr1992, als sie in einem Interview mit dem hochangesehenen britischen „Observer"sagte: „In den USA sind schon 25 % aller Männer homosexuell, und in Englandund Deutschland ist es so ziemlich das gleiche..."Ebenso gilt es natürlich, darauf hinzuweisen, daß für viele Jugendliche diepubertäre Phase im sexuellen Sinne recht orientierungslos vor sich geht undgeschlechtlich indifferent durchlaufen wird, ob nun bei den Naturvölkern (mitihren darauf abgestimmten Initiationsriten) oder in den heutigen modernenIndustrie- und Agrargesellschaften. Gleichgeschlechtliche spontane Kontakte sindin der Pubertätsphase die Regel, auch wenn dieselben im späteren Verlauf in undnach der Pubertät dann durch entsprechende heterosexuelle Dauerkontakteabgelöst werden bzw. solche früheren Erlebnisse im homosexuellen Sinne (vor-50


erst) mehr oder weniger stark verdrängt werden. Auch die Flucht in die sexuelleEntsagung kann die Reaktion auf das Bewußtwerden einer homosexuellenVeranlagung sein — wie dies beispielsweise der Schriftsteller Julian Green(„Tagebücher 1926 - 1942") beschrieben hat. Eine solche Flucht in die sexuelleEntsagung, ob nun im intimen, persönlichen Bereich (Masturbationsabneigung)oder in partnerschaftlicher Hinsicht, dann wiederum als typischer (Klischee-)Hinweis für eine transsexuelle Veranlagung (Sexualforscher Erwin Haeberle) zudeuten, kann — gestützt auf die inzwischen erkannten Steuerung seitens desPatriarchats hinsichtlich der Eigenständigkeit des Phänomens Transsexualität —nur entschieden widersprochen werden.In die Kategorie der spontanen Situationshomosexualität sind auch die homosexuellenAktivitäten einzuordnen, die häufig in Internaten, Gefängnissen, psychiatrischenKliniken, Straflagern bzw. beim Militär praktiziert werden (hier ist diefranzösische Fremdenlegion ein berüchtigtes Beispiel). Es regiert dort normalerweisedas Recht des Stärkeren, und üblicherweise „heterosexuelle" Männervergewaltigen, speziell in freiheitsberaubenden Situationen, gleichfalls eingesperrtePersonen, sei es nun aus Frustration, Angst, Dominanzdenken oder auchKampf um die Vorherrschaft. Manchmal arten bei feminin-passiv veranlagtenMännern solche Kontakte in eine Art homosexuelle Sklaverei aus, an welcher vielepsychisch zugrundegehen. Im Kinofilm und Theaterstück „Der Kuß derSpinnenfrau” von Edward Molina wird ein solches Spannungsverhältnis imGefängnis eindrücklich nachgezeichnet. Auch unter den weiblichen Insassen vonVollzugs- und Besserungsanstalten herrscht meistens eine ausgeprägte Verhaltenshomosexualität,die gleichfalls mehrheitlich (allerdings ausgeprägter hervortretend)situationsbedingt ist. In diesem Sinne ist noch darauf hinzuweisen, daßdie homosexuelle Prostitution von jungen Männern bzw. Jugendlichen vorwiegendgleichfalls solche situationsbedingten Aspekte aufweist und die meisten anBahnhöfen anzutreffenden „Strichjungen" bzw. „Stricher" sehr oft „heterosexuell"veranlagt sind. Sie handeln vorwiegend aus finanziellen Motiven (nicht zuletzt oftinfolge Drogenabhängigkeit), und das leicht verdiente Geld („die schnelle Mark")läßt über vieles hinwegsehen: Der Niedergang ins soziale Elend ist allerdingsmeistens vorprogrammiert, denn aus der Sicht der Gesellschaft ist die männlicheProstitution noch tiefer angesiedelt als die weibliche. Im Fernsehfilm »Die Kindervom Bahnhof Zoo" bzw. im gleichnamigen Erfolgsbuch ist dieser Sachverhalt sehrdrastisch und offen aufgearbeitet worden: Sexualität und Drogen als Mittel imÜberlebenskampf. Auch die transsexuelle Prostitution ist in den Augen derÖffentlichkeit gleichfalls auf dieser untersten Stufe angesiedelt. Hier spielenallerdings noch weitere Aspekte eine Rolle, besonders im Verdrängungsbereich derBeteiligten. Siehe hierzu auch „Mythos Geschlechtswandel", siebtes Kapitel,Abschnitt 15: „Doppelgeschlechtlichkeit im Sexgewerbe bzw. in der Prostitution"(speziell hinsichtlich des Partnerverhaltens).51


Manifestation und VermeidungZum besseren Verständnis der männlichen Sexualität in ihrer Gesamtheitkommen wir jedoch nicht umhin, darauf hinzuweisen, daß — ähnlich wie bei derHomosexualität — auch die Heterosexualität zu unterteilen ist, und zwar in dieBereiche Neigungs-und Situationsheterosexualität. Für die Unterscheidung beiderArten von Sexualität ist immer das sexuelle Verhalten in den Vordergrund zustellen und nicht die sexuelle (angeborene) Veranlagung. Ausgangspunkt istdabei wiederum das soziale Auftreten. Gleichzeitig müßte für dasGesamtverhältnis beider Arten männlicher Sexualität das Phänomen dermännlichen Homosexualität als eine sozusagen evolutionsbedingte, relativkonstante Konsequenz des natürlichen Fortpflanzungsprozesses betrachtetwerden — und zwar rein biologisch definiert, wie wir bereits gesehen haben. Dievielen physiologischen Vorgänge im embryonalen Entwicklungs- undWachstumsprozeß hinsichtlich Kapazitäten und Funktionen männlicher undweiblicher Steuerungssysteme können dann später über die „Verlegung derGleise" die Voraussetzungen für latente oder manifesteHomosexualitätserscheinungen jeglicher Art in künftigen Leben schaffen.Wenn nun für das Verständnis der männlichen Sexualität das geschlechtlicheVerhalten, die dauerhafte geschlechtliche Betätigung somit, als Maßstabherangezogen wird, kann im gesellschaftlichen Sinne die nachfolgendeschematische Vorstellung entwickelt werden:ca. 5 % NeigungshomosexualitätVeranlagung und Verhalten deckungsgleich.ca. 15 % StituationshomosexualitätHomosexuelles Verhalten bei gleichzeitig vorgegebenerheterosexueller Veranlagungca. 15 % SituationsheterosexualitätHeterosexuelles Verhalten bei gleichzeitig vorgegebenerhomosexueller Veranlagungca. 65 % NeigungsheterosexualitätVeranlagung und Verhalten deckungsgleich.Hierbei wäre dann bei der Situationshomosexualität die Abgrenzung zurNeigungsheterosexualität bzw. bei der Situationsheterosexualität die Abgrenzungzur Neigungshomosexualität eine jeweils fließende, und zwar vor allem inAbhängigkeit vom späteren Wettkampf zwischen Biologie und Kultur, also zwischenangeborenen und erworbenen Eigenschaften. Denn in beiden Bereichen derSituationssexualität sind, wie uns inzwischen bewußt geworden ist, die biologischen„Gleise" zur jeweiligen geschlechtlichen Veranlagung zwar angelegt worden,sie können jedoch oft aufgrund bestimmter allgemeiner oder individuellerUmwelteinflüsse nicht in eindeutiger Art und Weise bzw. nicht auf Dauer befahrenwerden. Das betroffene Individuum wird hierbei sozusagen mehr oder wenigerzwingend davon abgehalten, sich in seiner biologisch vorgegebenen Sexualität zumanifestieren. Im Falle einer biologisch-homosexuellen Veranlagung des52


Mannes, die sich erst nach etlichen Verzögerungen bzw. Umwegen Bahn bricht,spricht man vom „Coming-Out-Effekt": Der Betreffende identifiziert sich mit seinerVeranlagung. In das oben aufgeführte Schema der verschiedenen Arten vonSexualität kann gleichfalls auch die so gern und oft zitierte Bisexualität desMannes eingeordnet werden: Wir müssen hierzu sowohl die Bereiche derSituationshomo- als auch der Situationsheterosexualität heranziehen: Beide bietensich an. Demnach wäre die Bisexualität — so wie sie heutzutage verstandenwird — genauso wenig wie die Transsexualität als eine sozusagen eigenständigebiologische Veranlagung zu verstehen, sondern als eine ständige, unbewußte,manchmal auch bewußte, d. h. mehr oder weniger antrainierte Auseinandersetzungim jeweiligen Individuum zwischen seiner eigentlichen, biologischvorgegebenen (oft weggedrückten) Veranlagung und den verschiedenen, je nachden Umständen dominierenden kulturellen Einflüsse seiner direkten Umwelt.Üblicherweise wäre hier wohl von einer primär homosexuellen Veranlagungauszugehen, und im Grunde dürfte es sich dabei gleichfalls um die Konzeptioneiner Art von „Homosexualitäts-Vermeidungsstrategie" handeln — wie dies auchbei der Transsexualität der Fall ist. Der Betreffende wird mit seiner biologischenHomosexualität konfrontiert und versucht darauf eine kulturelle Antwort zugeben, die sein Verhalten nach außen irgendwie plausibel machen soll bzw. kann.„Frauenverschleiß" beispielsweise kann oft eher als Hinweis auf ein solches„Ablenkungsmanöver" und weniger als Beweis für die heterosexuelle Potenzgewertet werden. Machotum und latente Homosexualität lassen sich oft ganzanders miteinander verbinden, als es der Augenschein auf den ersten Blick vermittelt— nicht umsonst sind (nach außen) „heterosexuelle" Kiez-Zuhälter diebesten Kunden von transsexuellen Prostituierten...!Für das Phänomen der männlichen Transsexualität ist somit eine solche„Homosexualitäts-Vermeidungsstrategie" wohl als charakterisierend anzusehen:Sie ist zweifellos — gemäß dem vorhin aufgeführten Schema der männlichenSexualität — in dem Bereich der sogenannten Situationsheterosexualität anzusiedeln.Das kulturelle Verhalten überspielt in der latenten Phase die biologischeVeranlagung, und oft versuchen Mann-zu-Frau-Transsexuelle (wie die Autorinauch) durch martialische „Heterosexualitäts"-Manifestationen (Heirat, Kind[er],Karriere, Alkohol) von der sich immer hartnäckiger meldenden „inneren Stimme"abzulenken — überaus tragische Entwicklungen, speziell wenn soziale und familiäreKomplikationen sich einstellen, können die „Angst vor der Angst" (homosexuellzu sein) zur Obsession werden lassen.Homophobie und Transsexualität gehen dabei oft seltsame Wege, und mancheeingefleischten „Berufs"-Transsexuelle im Rahmen der transsexuellen Selbsthilfebzw. Logistik (Augstein) lassen diesbezüglich tiefe Einblicke gewähren: bis zumpathologischen Haß auf alles Männliche überhaupt. Da tun sich Welten auf.Ausschlaggebend für das Abdriften in die Transsexualität — sozusagen als diefür viele Betroffene überaus logische „heterosexuelle" Konsequenz aus diesemKonflikt zwischen Biologie (Normen der Natur) und Kultur (Normen desMenschen) — ist allerdings noch das Vorhandensein weiterer typischer Gegebenheiten.Dazu gehören im Sinne der Androgynität eine „passive" Veranlagung undein absolutes „Schwarz-weiß-Denken", durch falsche Interpretationen des kulturellenUmfeldes inszeniert, sowie manchmal auch die (unstillbare) Sehnsucht,5 3


nochmals „ganz von vorne" anfangen zu können (Abschütteln einer banalen Biographie!).Parallel zu dieser Konstellation werden dann in einer Art Eigendynamik,die manchmal höchst pragmatisch-individuellen „Zurechtlegungen"des Transsexuellen hinsichtlich seines Status als männliches Individuuminnerhalb der Gesellschaft als sozusagen absolut unumstößliches „Weltbild" („imfalschen Körper") präsentiert, manchmal bis zur völligen Verkennung dertatsächlichen Gegebenheiten (Körpersignale, sexuelle Vorgänge, Äußeres,familiäre oder soziale Einstufung usw.). Weitergehende Ausführungen hierzusind enthalten in Kapitel 13, „Homosexualität und Transsexualität", während dieweibliche Transsexualität in Kapitel 14: „Transsexualität und Emanzipation"inhaltlich vertieft wird. In einem solchen Zusammenhang sei deshalb — inHinblick auf die nachfolgenden Ausführungen — abschließend nochmalsausdrücklich betont, daß die (übliche) Mann-zu-Frau-Transsexualität auf dieAblehnung der homosexuellen Biologie gelagert ist, während die Frau-zu-Mann-Transsexualität in erster Linie die Ablehnung der heterosexuellen Biologieimpliziert. Es sind dies überaus grundsätzliche Unterschiede beiderErlebnisbereiche, die auch ein getrenntes Herangehen erforderlich machen.Die Akzeptanz der ToleranzDie gesellschafliche Ablehnung der Homosexualität als solcher kann dazuführen, daß es vielen Eltern immer noch wie ein Schock trifft, wenn der Sohn oderdie Tochter sagt: „Ich bin homosexuell." Fast alle stellen sich ratlos die gleichenFragen, suchen nach Ursachen, machen sich Vorwürfe. Die geheime Elternhoffnung,sich in den Kindern zu „verewigen", ist abrupt unterbrochen, und dieeigenen Vorurteile machen Angst. Ein solches jugendliches „Coming-Out" kannallerdings auch viel Unheil verhüten und manchmal auch transsexuelle „Vermeidungsstrategien”überflüssig machen. Sehr aufschlußreich für diesen Aspekt derHomosexualität ist das Interview des Hamburger Diplom-Psychologen ThomasGrossmann (42), Autor des Buches „Eine Liebe wie jede andere" (1993), imHamburger Abendblatt vom 5./6.6.93: „Es gibt keine Schuldfrage."H. A.:T. G.:H. A.:T. G.:Jugendliche und junge Erwachsene bekennen sich heute zu ihrerHomosexualität, die Eltern haben Schwierigkeiten. Woran liegt das?Es ist mehr als ein Generationsproblem. Viele Eltern sind zwar nochin einer Zeit aufgewachsen, in der Homosexualität als Thema tabuwar. Aber Ältere und Jüngere haben die gleichen Probleme: dieAngst vor dem sozialen Ausgegrenztsein, für sich und ihre Kinder.Die Sorge um das Wohlergehen und Glück. Die Angst vor Aids.Gibt es „Signale", an denen Eltern erkennen können, ob ihre Kinderhomosexuell sind?Damit sollte man sehr vorsichtig umgehen. Symptome sind nichtverläßlich und machen nur im Gesamtbild einen Sinn. Das Rollenbild„typisch männlich" oder „typisch weiblich" hat sich zu sehr verändert.Ernst muß man es nehmen, wenn die Kinder von sich aus das Thema54


H . A . :T . G . :H. A.:T. G.:H. A.:T. G.:ansprechen.Wenn Kinder nicht darüber sprechen wollen, sollten Eltern dennoch daraufdrängen?Wenn es die Eltern sehr belastet und beschäftigt, sollten sie es ansprechen.Dann müssen sie aber auch die Antwort ernstnehmen, sei es ein„Ja" oder „Nein".Schuldgefühle, Selbstvorwürfe, wie können sich Eltern davon freimachen?Sie können nichts dazu tun, ob ihr Kind hetero-, homo- oder bisexuellist. Damit wird die Schuldfrage hinfällig. Sie sollten es positiv sehen,als die Fähigkeit, einen anderen Menschen zu lieben. Eltern könnennur schuldig werden, indem sie ihrem Kind einen anderen Lebensstilaufzwingen (!). Vor allem sollten sie sich informieren: durch Bücher,in Gesprächen mit Homosexuellen, in Elterngruppen. Sie sollten sichnicht abkapseln, sondern mit dem Partner, mit Freunden darüberreden.Was können Eltern für ihr Kind tun?Es erst nehmen, auf seine Probleme eingehen, Vertrauen zeigen.Akzeptieren, daß Kindern die Eltern-Erwartungen nicht erfüllen. Mitihnen über die eigenen Sorgen und Ängste reden, ohne Vorwürfe. DasGespräch suchen, aber auch den Rückzug akzeptieren.Aus den vorgenannten Worten geht ganz klar hervor, daß eintranssexuelles Verhalten meistens ganz ähnlich gelagert sein dürfte — derbetreffende Jugendliche sucht allerdings jetzt die Flucht in die kulturelleKünstlichkeit. Für den männlichen Transsexuellen bedeutet dies die Ablehnungder originären, homosexuellen Orientierung und über das (irreale) Konstrukt desGeschlechtswechsels (zuerst des Rollenwechsels) die (angebliche) Akzeptanz der„heterosexuellen" Orientierung. Für den weiblichen Transsexuellen dagegen folgtaus der Ablehnung der originären, heterosexuellen Orientierung einehomosexuelle Verhaltenslage, aus der dann wieder über das (irreale)Geschlechtswechselkonzept ein Ausweg gesucht wird in die originäre (allerdingsjetzt seitenverkehrte) Heterosexualität. Erfolgt bei Mann-zu-Frau-Transsexuellenalso ein (angeblicher) Wechsel der sexuellen Orientierung, so unterbleibt derselbebei den Frau-zuMann-Transsexuellen: Die homosexuelle Orientierung bei Frauenist rein kulturell bedingt (von hermaphroditischen „Irrtum-der-Natur"-Ausnahmenlogischerweise abgesehen), bei Männern rein biologisch indiziert.Zu der derzeitigen Akzeptanz der Homosexualität durch die Kirchen istschließlich zu vermerken, daß die katholische Kirche in dem jetzt neu vorgelegtenWeltkatechismus immer noch den gleichen mittelalterlichen, starrenGlaubendogmen nachhängt. So heißt es (in der deutschen Fassung): „... homosexuelleHandlungen ... verstoßen gegen das natürliche Gesetz, denn die Weitergabedes Lebens bleibt beim Geschlechtsakt ausgeschlossen." Die verschiedenenprotestantischen Kirchen zeigen diesbezüglich mehr Toleranz: So heißt es indiversen Grundlagenpapieren, Bibelstellen, die Homosexualität ablehnen, müßtenin ihrem geschichtlichen Zusammenhang begriffen werden. Es sei nicht statthaft,biblische Texte aus ihrem Zusammenhang herauszunehmen und „als5 5


Waffe" gegen Menschen zu benützen — es gelte, dem „unseligen Schweigen undVerdammen" ein Ende zu bereiten (Nordelbische Kirche, 1993). Siehe hierzuauch „Mythos Geschlechtswandel", siebtes Kapitel, Abschnitt„Geschlechtswandel und Christentum", S. 301 - 311 (speziell bezüglichkirchlicher Toleranz und christlicher Bigotterie in vergangenen Jahrhunderten).Alles in allem kann gesagt werden, daß die religiöse Seite des Patriarchats, dasChristentum somit, viel dazu beigetragen hat, daß es in der neueren Zeit zu einerderart nahtlosen Institutionalisierung des derzeitigen Geschlechtsumwandlungs-Phänomens („im falschen Körper") gekommen ist. Zu tief ist seitens desChristentums die Angst vor der Homosexualität bei den Menschen eingestanztworden — die Flucht in die Transsexualität ist dabei als Tarnung einer regelrechten„Homosexualitäts-Vermeidungsstrategie" ausgearbeitet worden, und das typischepatriarchalisch-wissenschaftliche Allmachtsdenken hat gerne von dieserKonstellation Besitz ergriffen: ein wahrer „Teufelskreis” der Konspiration.Wieder zurückgehend auf die in den vorigen Kapiteln dieses Buches gesammeltenErkenntnisse über die biologischen Grundlagen der (männlichen)Homosexualität und das darauf beruhende Neue Denken, können diese natürlichnicht darüber hinwegtäuschen, daß trotzdem noch viele Fragen offenbleiben hinsichtlichder Einordnung der Homosexualität in die Gesellschaft — zu komplex istwohl das Ganze ausgeformt. Die damit zusammenhängende Problematik dürftesich dabei am deutlichsten artikulieren in der Frage nach dem Sinn des PhänomensHomosexualität — wie dies bereits im Spannungsfeld zwischen Evolutionund „nicht-reproduktiven Verhaltensmerkmalen" kurz angegangen wurde. Ebensomuß diesbezüglich gleichfalls auf das (häufige) Vorkommen homosexuellenVerhaltens im Tierreich hingewiesen werden: Dies wird bis heute viel zu wenig(an-)erkannt. So gibt es beispielsweise bei den Möwen „lesbische" Partnerschaften,in denen umbalzt, gemeinsam gebrütet und Jungen aufgezogen werden. Und nurseltene Augenblicke der Untreue führen dazu, daß zumindest einige der Eierbefruchtet werden: Die „lesbische" Möwenliebe könnte deshalb eine Notstrategiebei Männchenmangel sein. Ebenso seien auch besonders Affen des öfteren zugleichgeschlechtlichem Verhalten veranlaßt, wie beispielsweise bei den Bonobos(eng mit den Schimpansen verwandt), die im zentralafrikanischen Urwald SanFrancisco-Verhältnisse erahnen lassen. Der niederländische VerhaltensforscherFrans de Waal sieht in der Sexbesessenheit der Bonobos eine Art Gruppenkittnach dem Motto: „Sex für den Frieden" — Konflikten wird oft im voraus durchsexuelle Befriedigung vorgebeugt bzw. werden sie zumindest gemildert (Sex alsEnergieverschwendung). Dem Ganzen etwas näher kommen wir auf jeden Fall,wenn — im soziobiologischen Sinne — der Aspekt der „Fortpflanzung aufUmwegen" als Berechtigung für die (fortdauernde) genetische Komponente der(männlichen) Homosexualität eingebracht wird. Denn, wie wir gesehen haben,erfolgt die Weitergabe der Homosexualität des Mannes nur über das X-Chromosom mütterlicherseits, und es muß Gründe haben, daß die gleichgeschlechtlicheOrientierung über Jahrtausende derart hartnäckig — und wohlauch relativ konstant — überdauert hat. Denn das, was mit dem einst vonCharles Darwin geprägten Schlagwort „Der Kampf ums Dasein" benannt wird, istja im Grunde ein Kampf um Fortpflanzung — das Überleben der Bestangepaßten( »survival of the fittest", wie Darwin es gleichfalls einst formulierte) ist dieGrundlage56


der biologischen Evolution, d. h. die Langzeitkonsequenz einer solchen, auf reproduktiver„Fitness" beharrlich aufgebauten, evolutionstypischen Selektion. Ineinem solchen System müssen die Gene — um zu überleben — deshalb zweifellosso strukturiert sein, daß sie nur physische Merkmale ausprägen, die ihrenTrägern im Bestreben nach Fortpflanzung dienlich sind. Und wie bereits gesagt,kann dies auf das Phänomen der Homosexualität nicht zutreffen, da es sicheindeutig um ein offensichtlich nicht-reproduktives Verhalten handelt. Die Fragelautet also: Wie kann ein solches Verhalten dann von der natürlichen Auslesegefordert werden bzw., welche versteckten Vorteile einer solchen „nichtreproduktiven"Sexualität gilt es dabei zu beachten?Ge schichte u nd Do p pelmoralDas am meisten und durch alle Zeiten hindurch gängige Erklärungsmodell istwohl, daß in der Homosexualität ein natürlicher Mechanismus der Populationsregulierunggesehen wird. Wie ein roter Faden zieht sich der vermutete direkteZusammenhang zwischen der Häufigkeit des homosexuellen Verhaltens und derBevölkerungsdichte durch die Kulturgeschichte der Menschheit. Speziell wenn dieAbnahme der eigenen Bevölkerung als bedrohlich erschien oder wenn Soldatengebraucht wurden, galt die gleichgeschlechtliche Liebe als verpönt bzw. wurdeaufs heftigste verfolgt. Beispiele gibt es dafür bereits aus der Antike (Sparta,Aristoteles, Roms Kaiser Augustus usw.) bzw. den Maya-, Inka- und Aztekenkulturensowie im Dritten Reich. Umgekehrt haben beispielsweise Experimente imTierreich (mit Ratten) wiederum homosexuelles Verhalten als eine eindeutigeReaktion auf Überbevölkerung aufgezeigt. In seinem Buch „Wider die Natur?Homosexualität und Evolution" macht der Anthropologe Dr. Volker Sommer(Institut für Anthropologie der Universität Göttingen) allerdings darauf aufmerksam,daß — wie auch bereits schon erwähnt — Homosexualität von einer ganzenReihe von Genen nach allerhöchster Wahrscheinlichkeit abhängt und nicht voneinem einzelnen Gen. Der genetische Einfluß ist zwar vorhanden, kann aberdurch Umweltbedingungen und -einflüsse entsprechend verstärkt oder abgeschwächtwerden — das Zusammenwirken zwischen allen beteiligten Faktoren istjedoch schwer zu (er-)klären und wohl auch nicht zu generalisieren: zu stark differierendie jeweiligen individuellen oder auch kollektiven Verhältnisse. Die vonVolker Sommer diesbezüglich eingebrachten Theorien über solche Ursachenkomplexesind allerdings überaus interessant und bieten gute, einleuchtendeErklärungsansätze. Wir denken hier beispielsweise an die Überlegungen hinsichtlichder Möglichkeiten bezüglich Mischerbigkeits-Vorteilen, Helfer-am-Nest-Syndrom, Verwandtschaftsunterstützung, Eltern-Manipulation, Kultur- undReligions-"Gene" (Meme) sowie an die bereits für das Tierreich angedeuteteMöglichkeit des „Sex als Energieverschwendung". Die Fähigkeit zu homosexuellenBeziehungen hätte zudem — wie etliche Sexualforscher annehmen — eine wichtigesoziale Funktion. Als eines der Indizien für diese Annahme kann die Tatsache57


gewertet werden, daß bei vielen Völkern homosexuelle Beziehungen für jungeMänner ein wesentlicher, oft streng ritualisierter Vorgang des Mannwerdens bilden.Beim Stamme der Sambia auf Neuguinea beispielsweise müssen die Jungenmittels Mundverkehr bei älteren Stammeskriegern zuerst ausreichend Spermaschlucken, bis sie als vollwertige Männer gelten. Ebenso denken wir an dasErastes-Eromenos-Ritual bei den alten Griechen. Im Zusammenhang mit demPhänomen der Transsexualität werden wir später noch auf die jeweiligen Aspektenäher eingehen.Gleichzeitig machen wir an dieser Stelle noch einmal darauf aufmerksam —wie auch bereits in der betreffenden Presseerklärung zu Anfang vermerkt —, daßdie Art, wie die Gesellschaft Homosexualität betrachtet (und Ursachen dafürsucht) sowie schwules Verhalten bewertet (und Konsequenzen daraus zieht), sichim Verlauf der Geschichte mehrmals radikal geändert hat. Die verklärendePäderastie der alten Griechen wechselte im Christentum zur mittelalterlichen„scheußlichen Entartung" (Sodomie als Todsünde gewertet Täter undProzeßakten wurden gleichzeitig verbrannt), während der Krankheitsbegriff sicherst im Zeitalter der Aufklärung durchsetzte. Hierbei wurden, meist gerichtlicherseits,für die „conträr Sexualempfindenden" des 19. Jahrhunderts in ersterLinie anatomische Unterschiede gesucht — eine Gerichtsakte aus dem Jahre1881 vermerkt beispielsweise: „Ein solcher Hintern zeigt nicht die gewöhnlicheHalbkugel, sondern die Innenseite ist 1,5 bis 2 Zoll vom After abgeplattet..."Wurde die Homosexualität zuerst noch vorwiegend als Verbrechen und Lasterbezeichnet (Paragraph 175 stellt(e) seit der Gründung des Deutschen Reichs in1871 die [männliche] Homosexualität unter Strafe), so wertete Ende des 19.Jahrhunderts der Berliner Arzt Magnus Hirschfeld die Homosexualität als „einevon der Natur tief in einer Anzahl von Menschen wurzelnde Gefühlsrichtung".Diese (biologistische) Sichtweise, für jene Zeit überaus revolutionär, war seitensHirschfelds (und davor z. B. auch Ullrichs) in erster Linie im politischen Sinne alsArgument gegen den Paragraph 175 gedacht, ebenso wie das psychoanalytischeDenkmodell Sigmund Freuds kurz darauf. Dieses besagt(e), daß jeder Mensch beider Geburt im Grunde bisexuell veranlagt ist und die spätere Triebrichtung erstvon den Erfahrungen und Einflüssen in der frühen Kindheit bestimmt wird —diese These hat Welten bewegt ... Doch bereits zu jener Zeit wurden die (unbewiesenen)Thesen Hirschfelds und Freuds zum Spielball zwischen den unterschiedlichstenInteressengruppen, und ein jeder bediente sich — wie auch jetzt wieder— ganz nach Wunsch. So glaubten Ärzte und Öffentlichkeit, man müsse künftigHomosexuelle nur zum Psychoanalytiker schicken, damit die „Triebverirrung"ausgetrieben werde, während die immer stärker werdende (internationale)Schwulenbewegung Gefallen fand an der Idee einer ursprünglich gleichen Ausgangslagefür alle Menschen — entsprach sie doch dem Bestreben nach uneingeschränkterAkzeptanz der abweichenden Lebensart.Als dann in den fiinziger Jahren, diesmal jedoch in den USA, die Kinsey-Reports— die erstmals die sexuellen Gewohnheiten der Amerikaner erfragt hatten, wir wirgesehen haben — zu wahren Schockresultaten bezüglich des homosexuellenVerhaltens gelangten (über ein Drittel der aller Männer zwischen 16 und 55 Jahrengab an, zumindest vorübergehend schwule Kontakte gehabt zu haben),58


kamen die ersten Zweifel an den Krankheitsthesen auf. Und als in den nachfolgendenJahren der psychische Abnormitätsansatz immer mehr zerbröckelte, verlordie Homosexualität allmählich das Stigma einer Krankheit. Es dauerte jedochnoch bis 1974, bis sie aus dem Register der »psychischen Erkrankungen" deramerikanischen Psychiatrischen Gesellschaft gestrichen wurde, die WeltgesundheitsorganisationWHO verabschiedete sich sogar erst 1992 von dieserEinordnung.Veranlagung und VerhaltenAls dann aber in den achtziger Jahren die Molekularbiologie mit derEntdeckung des genetischen Codes immer tiefer in das Rätsel Mensch einzutauchenvermochte, wurde auch beim Faktum Homosexualität der Grundstein gelegtfür den Siegeszug der Biologie über die Psychologie — letztere hatte insbesonderein den sechziger und siebziger Jahren wahre Triumphe gefeiert und zu denmanchmal abenteuerlichsten Theorien geführt. Dabei wurden die Umweltbedingungenals entscheidend für das effektive Verhalten des Menschen eingestuftund das Gleichheitsprinzip zwischen den Menschen (Sozialismus) bzw. zwischenden Geschlechtern (Feminismus) zum Dogma erhoben — indem man dieVerhältnisse änderte, könnten auch die Menschen geändert werden...Bei diesem Denken wurden die biologischen Komponenten immer mehr in denHintergrund gedrängt und — bezogen auf die Sexualität des Menschen — konsequenterweiseauch die Geschlechter als solche in Frage gestellt. BesondersSimone de Beauvoirs Aussage: »Man wird nicht als Frau geboren, sondern manwird dazu gemacht" konnte in diesem Denken konsequenterweise dann auch fürdie Entwicklung von Männern angewendet werden — in Deutschland vermochtemit dieser Philosophie vor allem Alice Schwarzer („Der kleine Unterschied") entscheidendeAkzente zu setzen bzw. Diskussionen zu schüren (siehe hierzu ihrebezeichnende Transsexualitäts-Stellungnahme in Kapitel 14).Bezüglich des Phänomens Homosexualität setzte sich so in den sechziger undsiebziger Jahren — mit dem Behaviorismus-Denkschema im Rücken — die überausweit verbreitete Auffassung, nicht zuletzt auch bei den Homosexuellen selbst, einererworbenen Neigung durch: Es fiel vielen auch wesentlich leichter, für ihremanifeste, abweichende sexuelle Orientierung vor allem eine eigenverantwortliche,eigenständige Entscheidung dafür ins Feld führen zu können. Der Gedanke, einembiologischen Zwang unterliegen zu können, wurde zwar auch nicht vollendsverworfen, jedoch dominierte, vor allem in Deutschland, die Bedeutung derUmwelteinflüsse und der Erziehungsfaktoren. Dies führte auch dazu, daß vieleEltern fürchten mußten, für die homosexuelle Neigungen ihrer Kinder sei nur ihreErziehung verantwortlich. Ebenso hielt sich ganz hartnäckig die Mär derVerführung von Kindern durch Erwachsene, ein Tatbestand, der für die Abschaffungdes Paragraphen 175 immer noch ein wesentlicher Hinderungsgrund darstellt(e).Ärztlicherseits schließlich glaubten noch immer viele Therapeuten an59


den alleinigen Segen der Psychotherapie, und auch heute — in Kenntnis dervielen biologistischen Beweise — wird immer noch versucht, die Homosexualitätwegzutherapieren — mit allen Folgen.In den USA lösten, wie bereits gesagt, die Entdeckungen Le Vays, Gorskysund vor allem Hamers überwiegend Euphorie aus — die großen amerikanischenSchwulengruppen reagierten vorwiegend positiv, und der »Fonds fürMenschenrechtskampagnen", eine der größten Lobbygruppen von Schwulen undLesben in den USA, sah darin sogar (und in erster Linie) politische Hilfe: »EinMeilenstein auf dem Weg zu mehr öffentlicher Unterstützung für die Rechte vonLesben und Schwulen." Umfragen ergaben, daß die eine Hälfte der Amerikanerheutzutage Homosexualität für erblich hält, während die andere Hälfte derMeinung ist, sie bilde sich erst im Laufe des Lebens aus.In Deutschland dagegen — wir sahen dies bereits bei der schon erwähntenPresseerklärung — ist seitens der Schwulenbewegung vorwiegend Abwehr festzustellen— die Frage nach dem Ursprung eines homosexuellen Verhaltens inRichtung Biologie ist hier immer noch suspekt: Sie wird einfach verdrängt. Dashängt selbstverständlich mit der fragwürdigen Rolle der Naturwissenschaften imDritten Reich zusammen, aber auch damit, daß man sich weigert, sich erneut alsForschungsobjekt betrachtet zu sehen: Die Assoziation aus Krankheit undAbnormalität (aufgrund der früheren »staatlichen" Erfahrungen) verstärkt hierbeidas alte, typisch deutsche Mißtrauen, daß, wenn die Ursachen entdeckt sind, in derFolge auch das Phänomen beseitigt werden kann (wie der BundesverbandHomosexualität BVH es umgehend formulierte). Daß unter dieser Prämisse ja auchin der NS-Zeit geforscht wurde, beweist die 1936 vom NS-Erbbiologen Theo Langformulierte These, nach welcher in den meisten Fällen von Homosexualität eineStörung des Chromosomensatzes vorliege. Noch schlimmer hört sich dieBegründung des dänischen Arztes Carl Peter Jensen an, als dieser an homosexuellenKZ-Häftlingen Hormonversuche durchführte. In einem Brief an die NS-Auftraggeber schrieb „Carl Vaernet", wie er sich tarnend nannte: „Die Versuchesollen auf breiter Basis feststellen, ob es durch Implantation einer künstlichenSexualdrüse möglich ist, einen abnorm gerichteten Sexualtrieb zu normalisieren."Andererseits muß jedoch auch festgestellt werden, daß die Furcht vor neuenManipulationsversuchen, speziell in der deutschen Homosexuellenszene, rechtheuchlerische Züge aufweist, da inzwischen das Phänomen der Transsexualität (inder Euphorie der Nachkriegszeit in den USA »entdeckt") in der naturwissenschaftlichenForschung, speziell der endokrinologischen, den Platz derHomosexualität bereits weitgehend — jedenfalls nach außen — eingenommen hat.Dabei ist im Grunde alles beim alten geblieben, und die entsprechendenVersuchsreihen (u. a. an der Charité in Berlin) haben wissenschaftlicherseits nurdie Etikettierung gewechselt, bzw. die aufgeschreckte (homosexuelle) Öffentlichkeitverlagert einfach ihre Empörung darüber (Zeitschrift »Wiener" 12/92) — aufdiesen Sachverhalt wird an späterer Stelle noch ausführlicher eingegangen.Ebenso merkwürdig mutet es dann diesbezüglich an, wenn in der deutschenPresse zudem solche lakonischen Berichte erscheinen wie:»Operation. ER wurde zur Frau, SIE zum Mann. Peking — Rollentausch unterdem Skalpell. 2 Transsexuelle. Er (30) möchte zur Frau werden. Sie (24) will Mann60


sein. Ein Medizinprofessor spielt Gott, operiert beide um. 19 Stunden im OP. DieEierstöcke der Frau wurden ihm eingepflanzt, seine Hoden wurden ihr angenäht.Prof. Xia Zhaoji: ,Beide entwickeln sich ohne Sexualhormone normal.`" (Bild-Zeitung, 10.3.93)oder„Professor tauschte Sexualorgane aus. Peking; In einer 19stündigen Operationhat der Pekinger Professor Xia Zhaoji die Sexualorgane eines Mannes und einerFrau ausgetauscht. Dem 30jährigen wurden die Eierstöcke der Frau, der 24jährigendie Hoden des Mannes eingesetzt. Der ,Es-Mann', so die NachrichtenagenturXinhua, habe ohne die Einnahme von Sexualhormonen weibliche Körperformenund ein sanftes Gemüt entwickelt. Die frühere Frau bekam einen ,kühnenCharakter` und einen Schnurrbart. Bei beiden Patienten wurde vor dem Eingriffschwerer Transsexualismus diagnostiziert." (Hamburger Morgenpost, 10.3.93)Die Sprache dieser Berichte sagt alles aus über die derzeitige Doppelmoralbezüglich Homosexualität und Transsexualität in Deutschland: Sie ist heuchlerisch,und in der Folge ist auch deswegen das Neue Denken dringend angebracht.Das Patriarchat, ob nun schwul oder nicht, darf nicht länger, sozusagen in eigenerRegie, die Phänomene Homosexualität und Transsexualität für sich beanspruchenbzw. nach Belieben ausschlachten. Solange diese überaus (männliche) Sicht derDinge unwidersprochenes, vorbehaltlos akzeptiertes Allgemeingut bildet und inder gesellschaftlichen Beurteilung des Phänomens Transsexualität umfassenddominiert, wird sich im immer stärker ausufernden, transsexuellen Anspruchsdenkenunserer Tage auch keine Vernunft durchsetzen können. Die Tatsache, daßdas transsexuelle Erleben keine (ausschließlich) kulturelle Eigenständigkeitbesitzt, sondern in erster Linie als (sehr tiefeingeschliffener) Konflikt zwischenbiologischer Veranlagung und kultureller Normierung zu gelten hat, bedeutet nochfür allzuviele Menschen — nicht zuletzt für die männlichen Betroffenen — dieVerweigerung der primären Auseinandersetzung mit dem Phänomen der biologischenKomponente der (männlichen) Homosexualität. Hierbei wird nicht akzeptiert,daß für die männliche Transsexualität die Flucht vor der manifesten, biologisch-homosexuellenVeranlagung (in einer Pseudo-Heterosexualität als » falsche"Realität gesucht) im Vordergrund steht und die (suggerierte) Dominanz des „psychischenGeschlechts" auf einer Fiktion beruht. Diesbezüglich sei allerdings andieser Stelle nochmals darauf hingewiesen, daß für die weibliche Transsexualitätja anders gelagerte Kriterien angelegt werden müssen: Diese beruht in erster Linieauf der Flucht vor einer patriarchalisch-kulturell dominierten, biologischheterosexuellenVeranlagung. Die Auseinandersetzung mit den kulturellen (vonvielen durchaus wohl gewollten) Konsequenzen der Geschlechterungleichheit imPatriarchat wird dann fälschlicherweise auf die Ebene des gleichfalls nicht akzeptierten,kulturell-homosexuellen Verhaltens eingeordnet — das „psychischeGeschlecht" schlägt einen wahrhaft doppelten „salto mortale". Und wie bereitsgesagt: Solange dieses (männliche) Denken in der Akzeptanz des PhänomensTranssexualität die Oberhand besitzt, wird sich die Faszination des (chirurgischen)Geschlechtswechsels auf falsche, nicht mit der (biologischen) Realität inÜbereinstimmung stehende Grundlagen stützen und zu Als-ob-Eindeutigkeitenführen, die die davon betroffenen Transsexuellen im Grunde nicht verkraften können(„Du hast doch erreicht, was Du wolltest"). Im Rausche des Jetzt, der sicht-61


aren Sofortergebnisse („Sofortismus"), wird das Später der unsichtbaren,unwiderruflichen Langzeitkonsequenzen nicht wahrgenommen, scheint dieTechnik über die Natur zu siegen und wird dennoch der Mensch vergessen. Dennim Endeffekt entscheidet immer die Biologie und nicht die Psyche, auch wenn diesanfänglich bzw. zeitweise im umgekehrten Sinne so erscheinen mag. DieKonsequenzen des Auswechselns des biologischen, natürlichen Geschlechts in einpsychisches, künstliches Geschlecht werden sich aber immer nur dem jeweilsbetroffenen transsexuellen Menschen in voller Stärke und Konsequenzanschließend präsentieren — da muß dann auch die beste „Technik" im Abseitsbleiben, denn: „Les jeux sont faits!" Daran können vor allem auch die etlichenpost-operativen Langzeituntersuchungen, wie sie in den einschlägigen medizinischenZeitschriften — meistens nach statistisch kühlen Kriterien verfaßt — immerwieder auftauchen (wie beispielsweise jene von Dr. Friedemann Pfäfflin und Dr.Astrid Junge: „Langzeitergebnisse nach operativer Geschlechtsumwandlung" inuni hh Forschung. Nr. XXVI/1991, S. 81 - 88) wenig ändern. Da wird nur registriertund nicht informiert — Zahlen statt Menschen!62


KAPITEL 5HOMOSEXUALITÄT UND TRANSSEXUALITÄTDie „Im-falschen-Körper"-SuggestionAls die männliche Homosexualität sich im Laufe der letzten Jahrzehnte — unddies speziell in den USA — zu emanzipieren begann und danach strebte, denMakel der „Unmännlichkeit", der ihr in den Jahrtausenden des Patriarchatsangehängt worden war, langsam abzulegen, geschah Erstaunliches. Die Tatsache,daß — zumindest nach außen, jedoch in zunehmender Weise auch nach innen —in diesem Männlichkeitsdenken für „sichtbare Weiblichkeit" kein Platz mehr blieb,führte dazu, daß diese in der sichtbaren „männlichen" Homosexualität mehr undmehr ausgegrenzt wurde. Die individuelle Entscheidung, sich homosexuell zuorientieren, sollte — wie bereits dargelegt — rein kulturell indiziert sein: Sie sei eineeigenständige, eigenverantwortliche (freie) Festlegung und fixiert auf eine Sexualitätunter Männern. In einem solchen Denkschema wurde dann auch für dieHomosexualität das heterosexuelle Männlichkeitsbild zum absoluten Dogmaerhoben, und in der Folge wurden die »weiblichen" Männer als „störende" Elementefür das Öffentlichkeitsbild des Phänomens der (männlichen) Homosexualitätbetrachtet. Sie wurden einfach ausgegrenzt: Sie paßten in das männlichhomosexuelleRahmenbild absolut nicht mehr rein. Diese Sicht der Dinge wurdenoch verstärkt durch die Tatsache, daß die Entscheidung, sich als Mannhomosexuell zu orientieren, nahtlos vermischt wurde mit der (scheinbar eigenständigen)transsexuellen Entscheidung, als Frau zu leben — beide wurden als„kulturelle" Festlegungen verstanden, und — wie wir bereits gesehen haben —dabei wurden jegliche biologischen Komponenten verneint: Der Transsexualismuswar geboren. Das homosexuelle Coming-Out wurde nur noch auf das Männlichkeitsbild(jedenfalls in der Öffentlichkeit) ausgerichtet und das transsexuelleComing-Out gerade auf die Verneinung der Männlichkeit abgestellt — die Redewendung„im falschen Körper" später implizierte im Gegenteil das Vorhandenseineiner originären Weiblichkeit im Manne.63


Gleichzeitig bzw. in Wechselwirkung damit bemächtigte sich die Wissenschaftdes Phänomens des Transsexualismus, weil sie in dieser Entwicklung die Chancesah, den uralten Wunschtraum des Patriarchats nach Beherrschung der Natur auchbei der Spezies Mensch zu verwirklichen — das (männliche) „Gläubigkeitsdenken"an die Macht der (männlichen) Technik über die (weibliche) Natur in dieTat umzusetzen. Künstliche Frauen aus natürlichen Männern „konstruieren" zukönnen: die Verlockung war allzugroß. Zudem konnte durch die Trennung derTranssexuellen von den Homosexuellen erreicht werden, daß viel latent-homosexuelleWissenschaftler sich ungeniert mit einem Phänomen beschäftigen konnten,das — zumindest nach Kräften suggeriert — nichts mit dem mit dem Makelder Unmännlichkeit behafteten traditionellen Homosexualitätsbild zu tun hatte.Zudem darf nicht übersehen werden, daß hierbei auch sehr oft homophobtypischeGründe eine Rolle spielen dürften — nicht zuletzt darf auch auf deranderen Seite, auf der „Opferseite", nicht verhehlt werden, daß auch dort sehrviele homophobe Ängste anzutreffen sind: die „Angst vor der Angst" sitzt hiersehr oft besonders tief.Dies nur zu der Tatsache gesagt, daß gerade in den USA — im Land der unbegrenztenMöglichkeiten — das Phänomen Homosexualität (immer noch) extremstarke puritanische Abwehrmechanismen in Gang setzt (was beispielsweise zueiner anfänglichen, völligen Verdrängung des indianischen Berdachentums [die„männlichen Frauen" der Indianer] führte). Die neugeschaffene, » soziale Konstruktionder Transsexualität" (Stefan Hirschauer) erleichterte die Beschäftigungmit einem eigentlich biologischen Problem und führte dazu, daß sogar ein solchrenommierter amerikanischer Transsexualitätsforscher wie Robert Stoller denBegriff des „biological force" (in der von ihm so benannten „core genderidentity") prägte: der klägliche Versuch des Hinüberrettens einer Fiktion in dieWirklichkeit. Angstbesetztes Denken, ob dies nun eine Rolle spielt bei derKlärung eigener Schwierigkeiten oder der anvertrauter Menschen, kann offenbarbeim Phänomen Transsexualität zu den gewagtesten Handlungsweisen undErklärungsmodellen führen, welche auch dann noch durchgehalten werden, wennbereits lange das Gegenteil bewiesen worden ist.Dies trifft beispielsweise auch zu auf den deutschen Transsexuellen-„Papst”Wolf Eicher, der in seinem Werk „Transsexualismus" („Der Eicher” in der Transsexuellenszenegenannt) die verschiedenen Geschlechtsumwandlungs-Technikenin allen Einzelheiten beschreibt und abbildet. Wolf Eicher hat (typischerweise) dietranssexuelle Chirurgie nahtlos in seinen eigenen Fachbereich der Gynäkologieund Frauenheilkunde integriert und vielfach hartnäckig versucht, u. a. über dieangebliche Existenz des HY-Antigens, genetisch-biologische „Beweise" fürTranssexualität zu finden bzw. auch zu lancieren. Siehe hierzu auch die entsprechendenAusführungen im Kapitel 13 (Guru-Kritik ohne Ende).Das beschriebene Spannungsverhältnis zwischen Homosexualität und Transsexualitätberuht also in erster Linie darauf, daß für beide Phänomene von völligfalschen, künstlich konstruierten Grundlagen ausgegangen wird und die eigentlichen(biologischen), realen Bezugspunkte außen vor gelassen werden. Denn: „DieEntwicklung eines Verhaltens, die Realität zu verändern, ist immer gebunden andie eigene Entscheidung, durch Beobachtung und Vergleich die Wirklichkeits-6 4


verfremdung angenehmer zu empfinden als die jetzige Wirklichkeit. Fokussiertwird alles getan, um in der neuen Wirklichkeit mit neuen Wahrnehmungen existentzu sein." (Marcus Wawerzonnek, „Wissenschaftliche und therapeutischePrinzipien", S. 16, unveröffentlicht)Erschwerend kommt noch hinzu, daß die Definitionen von Männlichkeit undWeiblichkeit in erster Linie kulturell indiziert sind — es sind dies Schwarzweißbegriffe,die Normstellungen beinhalten, welche auf von den Menschen inJahrtausenden erlebter Sexualität vor allem basieren. Die heutigen geschlechtlichenVerhaltensnormen sind auf die „Gesetze" des Patriarchats ausgerichtet unddiese wiederum auf die Gesetzmäßigkeiten der Heterosexualität, d. h. auf dasVerhältnis Mann — Frau.Es ist in einer solchen Ausgangslage für das Funktionieren der Gesellschaftsehr gefährlich — wie dies leider beim Phänomen der Transsexualität der Fall ist—, wenn ein solch feinstrukturiertes Gefüge aufgebrochen wird und die Verhältnisseeinfach umgekehrt werden, d. h. nicht die Normen sich nach den Sexualitätenrichten, sondern die Sexualitäten nach den Normen. Diese Loskoppelung vonUrsachen und Folgen bewirkt, daß das eigene Empfinden nicht mehr an der realenWirklichkeit festgemacht wird, sondern eine Fixierung auf die Irrealität erfolgt:„so, wie es sein müßte" (statt „so, wie es ist").Die unselige Hilfskonstruktion „im falschen Körper" gehört zu diesen überausfatalen Chimären transsexueller Herkunft und hat bewirkt, daß — völlig losgelöstvon der biologischen Realität — ein kultureller Wunschgedanke beispielsweise beiden Mann-zu-Frau-Transsexuellen, in der Folge bereits als Frau geboren zu sein,jedoch (nur) im vermeintlich „falschen" Körper, dominierend geworden ist. Daßdie Aussage „weibliche Seele im männlichen Körper" bereits vor über hundertJahren für das Phänomen der (männlichen) Homosexualität eingesetzt wurde,scheint die vielen transsexuellen Apologeten des „Im-falschen-Körper"-Bildesoffensichtlich wenig zu stören. Siehe Interviewtext.(Badische Zeitung v. 7.12.93)Gespräch mit der Transsexuellen <strong>Johanna</strong> <strong>Kamermans</strong>Gibt es „falsche Körper"?Bis 1975 hieß er Johannes <strong>Kamermans</strong>.Seitdem heißt sie <strong>Johanna</strong>. Sieist transsexuell, hat sich aber nichtoperieren lassen. Die Dokumentation_Freier Fall: <strong>Johanna</strong> K.", die KlausWildenhahn vom NDR über sie gedrehthat, eröffnet heute im FreiburgerKommunalen Kino eine Filmwochezur Transsexualität. Danach stelltsich <strong>Johanna</strong> <strong>Kamermans</strong> der Diskussion.Mit ihr sprach Hilmar Höhn.Frau <strong>Kamermans</strong>, wie haben Sie ihre Transsexualität entdeckt?KAMERMANS: Ich war so Ende20, meine Versuche mit der Heterosexualitätgingen immer mehr schief. Inden 70er Jahren lebte ich in Basel. Dagab es tolle Kabaretts in Weil amRhein, Golden Apple hieß eins. Daswar die Sensation. Da gab es, wie mansagt, geschlechtsgewandelte Frauen.Ich war so fasziniert Ich war fastjeden Abend dort. Irgendwann6 5


in ich dann selbst als Striptease-Tänzerin aufgetreten. Erst als meinVater gestorben war, habe ich michgetraut, auf Dauer Frau zu sein. 1973habe ich den Absprung gewagt. Bisdahin war ich Bauingenieur, verheiratetund hatte einen Sohn.Hatten Sie das Gefühl, dap sie denKörper eines Mannes ablegen undstatt dessen—durch eine Operation —den einer Frau annehmen müßten?KAMERMANS: Ich wollte das zunächst.,weil ich hoffte, dadurch akzeptiertzu werden. Ich hatte zweimaleinen Termin bei einem Chirurgen.Aber ich bin nicht hingegangen.Warum?KAMERMANS: Ich hatte Kontakt zuTranssexuellen in den Kabaretts. Diewaren alle operiert. Ich habe dortsehr viel Elend gesehen. Daß ichmich nicht habe operieren lassen —ich glaube, diese Erkenntnis, die ichjetzt in meinem Buch „Mythos Geschlechtswandel'niedergeschriebenhabe, habe ich schon früher gehabt:,Mit der Geschlechtsumwandlung jagtman nur einem Yhantom nach.Sie haben ein Duch geschrieben,Sie haben an der Dokumentation Ih-'res Lebens mitgespielt. Warumdrängt es Sie in die Öffentlichkeit?KAMERMANS: Ich habe sehr daruntergelitten, daß man mich alsnicht operierte Transsexuellen in dieperverse Nische abgestellt hat. Ichwende mich dagegen, daß diese Operationzum Dogma wird. Und ichwürde gerne sehen, daß das Bild vonTranssexuellen korrigiert wird.in welche Richtung?KAMERMANS: Es geht um die Eigenverantwortlichkeitim Leben vonTranssexuellen. Also jetzt ist es so:Wer seine Transsexualität erkennt,glaubt, er hat keine \Vahl, als sichoperieren zu lassen. In Wirklichkeitwird er von der gesellschaftlichenNorm, im „richtigen" Körper zu leben,zueiner Operation gezwungen.„Ihr" Film ist mittlerweile auf einerReihe von Festivals gezeigt worden.Wie sind die Reaktionen?KAMERMANS: Die Leute könnenteils nachvollziehen, daß mit demSelbstverständnis der Transsexuellenwas nicht stimmen kann. Es gibtaber auch eine Front gegen mich.Warum?KAM ERMANS: Zum Beispiel: MitTranssexualität wird sehr viel Geldverdient. Da sind Ärzte mit Wahnsinns-Honoraren für Geschlechtsumwandlungen,Gutachter, Anwälte—das kostet ja alles Geld.Grundsätzlich lehnen Sie Geschlechtsumwandlungennicht ab?KAMERMANS: Wenn derjenige, dersich dazu entschließt, informiert ist..Wenn er weiß, was er seinem Körperund sich da antut. Er wird ja kastriert.Die Folgen können verheerendsein: Der Mensch fällt in sichzusammen, körperlich oder psychischoder beides. Natürlich: Wenn eine festdran glaubt, sie ist jetzt eine Frau.dann ist sie unter Umständenglücklicher als vorher. Aber man darfnicht sagen: Du lebst im falschenKörper, und wir holen dich da raus..denn damit wäre ja Transsexualitäteine Krankheit, die man mehroder weniger„wegoperiereni"kann...KAMERMANS: Ich will wegkommenvon dem Begriff Krankheit. Wenn sichzum Beispiel in HamburgTranssexuelle als behindert deklarierenlassen — das ist doch ein totalverqueres Denken. Nach meinemDafürhalten ist Transsexualität einKonflikt zwischen einer Homosexualität,die man nicht durchkommenläßt,und der kulturellen Norm.Wenn es keinen „falschen Körper"gibt, kann es überhaupt einen „richtigen"geben,in dem der Rest der Gesellschaf(glaubt zu leben?KAMERMANS: Richtig und falsch —das gibt es eben nicht. Was Transsexuellebetrifft Statt „Ich lebe in einemfalschen Körper" finde ich es richtigerzu sagen, „ich bin fremd im eigenenKörper". Und das Bild vom „falschenKörper", das haben ja nicht nurTranssexuelle. Das ist ja ein gesellschaftlichesMißverständnis.6 6


Eigenverantwortlichkeit und SelbsthilfeWie aus diesem Interview vor allem auch hervorgeht, wird beim Phänomender Transsexualität der Krankheitsbegriff — und dies besonders in Deutschlandseit dem Transsexuellengesetz ab 1.1.1981 — großgeschrieben — ganz imGegensatz zum Faktum der Homosexualität. Besonders in den USA führten diefortwährenden Bestrebungen zur Krankheitseliminierung dazu, daß schließlich1974 die Homosexualität aus dem „Register der psychischen Erkrankungen"gestrichen wurde und 1992 die Weltgesundheitsorganisation WHO sich vondieser Einstufung verabschiedete. Den Krankheitsbegriff loszuwerden hat alsosehr lange gedauert. Für die Länder mit Transsexualitätsgesetzen allerdingskommt noch erschwerend hinzu, daß der transsexuelle Krankheitsbegriff jetztauch aus Kostenübernahmegründen angefangen hat, eine überaus wichtigeRolle zu spielen — er ist also dort ganz anders strukturiert als beispielsweise inden USA, wo üblicherweise jeder Transsexualitätseingriff vom Individuum undnicht vom Kollektiv, d. h. von der Gemeinschaft, bezahlt werden muß. Denn dasbesonders in Deutschland aus der erwähnten TSG-Konstellation resultierendetranssexuelle Anspruchsdenken (Augstein) führt in der Folge (meistens) dazu,daß die transsexuelle Diagnose noch mit zusätzlichen, oft überaus illegitimenMitteln (Selbstmorddrohungen, stromlinienförmige Lebensläufe mit dengutachterlicherseits gewünschten »typischen" Transsexualitätssymptomen,unentwegte Gutachterbedrängung bzw. -nötigung usw.) herbeigeführt wird.„Koste es, was es wolle", wird in der Folge ein Leidensdruck für die Außenwelterzeugt (aber oft auch ein solcher nach innen), urn über diesen eine öffentlicheKostenübernahme sicherzustellen. Wird also, wie aufgezeigt, schon bei dergrundsätzlichen Definition des Transsexuellensyndroms von völlig schiefen,irregulären Positionen und Konstellationen ausgegangen, so wird für dieErlangung der finanziellen Mittel zur (möglichst raschen, durchorganisierten)„Geschlechtsumwandlung" noch zusätzlich mit völlig unzutreffenden bzw.irreführenden Argumenten gearbeitet: Die absolute Fiktion wird über ein totales„Wahnverhalten" wirkungsvoll etabliert, Widerspruch nicht geduldet.Zusammenfassend kann also gesagt werden, daß das Phänomen der Transsexualitätfür viele Beteiligte eine ideale Projektionsfläche bietet: für dasPatriarchat die Möglichkeit zur Schöpfungshybris („Eva aus Adam"), für dieGruppe der (vorwiegend männlichen) Wissenschaftler, Mediziner undTherapeuten die Chance, mit einer „Homosexualitäts-Verdrängungs-Strategie" andas Faktum des transsexuellen Erlebens herangehen zu können (sozusagen alsAlibi für eigenes manifestes bzw. latentes homosexuelles Empfinden) sowie für dieGruppe der Beteiligten und Betroffenen das Alibi, sich auf „andere” berufen zukönnen (Etablierung des „Opfer"-Syndroms). Die immer breiter werdende Kluft inder transsexuellen Wahrnehmung unserer Tage ist nicht zuletzt die leidige Folgedieser Vorgänge: einerseits die jeweils eigene, reale Wirklichkeit in derPrivatsphäre und andererseits die illusionäre, „vermittelte Wirklichkeit" in denKöpfen des „Publikums", der Öffentlichkeit somit.67


Auf diese Weise wird deutlich, daß das Faktum Transsexualität nicht nurgefangen ist ein einer unseligen Allianz von wahrhaft unterschiedlichstenInteressen — zwecks bewußter Tarnung der eigentlichen Zielvorstellungen —,sondern gleichzeitig auch die Begriffe Transsexualität undGeschlechtsumwandlung sich auseinanderdividiert haben. Nicht mehr der Wegdorthin (das transsexuelle Erleben) steht im Vordergrund, sondern nur noch dasZiel (die Operation = OP). Viele Transsexuelle machen sich nicht mehr die Mühe,sich in erster Linie selbst zu testen, ihre selbstzugeschriebene Transsexualitätauch wirklich verhaltensmäßig in die Gesellschaft einzubringen bzw. ihr„Fremdsein im eigenen Körper" nach tatsächlichen (nicht eigenmächtigen)Kriterien wahrheitsgemäß zu ergründen. Dies führt dazu, daß der chirurgischeGeschlechtswechsel als alleiniges Dogma des Handelns eingeführt wird und dersoziale Geschlechtswandel vernachlässigt wird: „Irgendwie wird manzurechtkommen...! Daß eine solcherart focussierende Sicht der Dinge nichtunmaßgeblich durch die gezielten Aktivitäten etlicher sogenannterTranssexualitäts-Selbsthilfegruppen — ob dies nun bewußt oder unbewußtgeschieht — herbeigeführt wird, sei hier nur am Rande vermerkt. Jedenfalls hatdie Kollektivierung individueller Wünsche, nicht zuletzt anschließend über dienun reichlich gegebenen gesetzlichen Möglichkeiten, heutzutage dazu geführt,daß viele Transsexuelle in Positionen gedrängt werden, die sie überhaupt (nochtnicht) in der Lage sind, entsprechend (lebenslang!) auszuleben. Dieverschiedenen, oft sektenartig organisierten, transsexuellenSelbsthilfeorganisationen (wie sie in verschiedenen deutschen Großstädten schonlänger vorhanden sind) können auf diese Weise zu einem nicht zu unterschätzendenGefahrenmoment in der persönlichen, individuellen Realisierung einer transsexuellenIdentität werden. Maßlos überhöhtes Anspruchsdenken verschiedenertranssexueller Gurus und cs. (denken wir nur an die Aktivitäten der emsigen,transsexuellen Rechtsanwältin Maria Sabine Augstein) beherrscht (leider) dietranssexuelle Szene in Deutschland bzw. das Wirken nach außen — Forderungskatalogejeglicher Art sind „in". Vor allem die Medien sind fest eingebunden indiesem Konzept der Irreführungen, Täuschungen und Vorspiegelungen, und einekleine elitäre Clique maßt sich an, ihre eigenen, völlig überzogenen (und zumeistauch irrealen) Transsexualitätskonzepte unentwegt in die Öffentlichkeit zu tragen— derart ist der Kreis der Suggestionen und Illusionen inzwischen festgeschlossen, und die „Opfer" werden allmählich zu „Tätern". MarcusWawerzonnek (Institut für interdisziplinäre Sexualforschung, Hamburg) schreibthierzu treffend:„Detaillierte Beschreibungen der ,ärztlichen Betreuung' in Fachartikeln,Büchern und Zeitschriftenartikeln und ,Gremienarbeit` fundamentieren diesmalparadoxerweise in unserer Demokratie für das Verhalten angstvoller und entsprechendin ihren Handlungen verzerrter Menschen nicht die direkte ,Bestrafung`durch einen Sexualstrafrechtsparagraphen, sondern durch den ,ersten Sexualrechtsparagraphen`in Form des ,Transsexuellen-Gesetzes` (... für das,Rechtswohl' ... sic!), das seit dem 1.1.1981 an in der BRD gültig ist.Die würdelose ,Strafe` wird erst dann erkannt, wenn nach dem ,Beweis` der,Festigkeit des Wahns' durch den im Transsexuellengesetz vorgeschriebenen,Alltagstest` mit begleitender ,Kontrolle des Gutachters und der homosexuellen,transvestitisch fixierten, ,transsexuellen` oder noch ,schwächeren` ,Freunden` — oft68


unterstützt von ,Medienereignissen` über Transvestiten bis hin zu Transsexuellenin Dokumentation und Unterhaltung (!) — und Menschen mit ,Wissen` überandere Erfolge, sowie von angstvollen Eltern,die entweder das System ihrereigenen Unzulänglichkeit nicht aufbrechen wollen oder wissenschafts- undmediengläubig den gesellschaftlich — per Gesetz — anerkannten ,Transsexuellen'lieber haben als den — per Strafgesetz — in gesellschaftlicher Ächtung stehendenHomosexuellen, der wahrhafte ,Schmutz` der ,transsexual community' mitsamtder beteiligten ,Sexualwissenschaftler, Mediziner und auch Juristen, durchehrliche Beschreibung der ,Wirklichkeit` durchbrochen wird." (sic!)Dem ist gleichfalls nicht mehr hinzuzufügen, und insbesonderer dürfte ausdiesen Zeilen klarwerden, daß das transsexuelle Phänomen, wie bereits gesagt,wahrhaft übergreifend jetzt eingebunden ist in dem gesellschaftlichen, patriarchalischgesteuerten Bestreben nach einer wirksamen „Homosexualitäts-Verdrängungsstrategie", jedenfalls nach außen: Die gedankliche „Einbetonierung"ist fast perfekt geworden.69


HypophyseSehoervkreuzungHypothalamusTrennblatt:Querschnitt durch das menschliche GehirnDas Gehirn läßt sich funktionsmäßig in drei Bereiche gliedern— Stammhirn —Kleinhirn— Groß- oder VorderhirnIm Stammhirm finden die unbewußten Steuerungsabläufe statt, welche mittelsReflexen die (über-)lebenswichtigen Funktionen des Organismus regulieren. Esbesteht aus Nachhirn (als verlängertes Rückenmark), Mittelhirn (Wach-Schlaf-Rhythmus) und Zwischenhirn (Thalamus und Hypothalamus).Das in zwei Hälften unterteilte Kleinhirn ist das effektive Koordinationszentrumdes Organismus und steuert insbesondere die schnellen, feinabgestimmtenBewegungsabläufe des Körpers.Im gleichfalls in zwei sogenannte Hemisphären unterteilten Großhirn liegenauf der Oberfläche der etwa 4 mm dicken Hirnrinde die Nervenzellenkörper,welche in den Anfängen des Lebens die Denkbahnen bilden, die ein Leben langdie Leistungsfähigkeit des Gehirns ausmachen („die Gleise werden gelegt").Hierbei werden dann in erster Linie über den Prozeß des „Lernens" dieGehirnzellen verknotet (1000 Billionen Knotenpunkte sind möglich) — dieserPrägungsvorgang ist etwa bis zum dritten Lebensjahr abgeschlossen. In dieserZeit verfügt das kindliche Gehirn über etwa doppelt soviele Gehirnzellen wie imErwachsenenstadium — werden diese Zellen nicht genutzt, sterben sie allmählichab. (Aus Telekolleg II, Band 2, S. 16)7 0


KAPITEL 6GEHIRN UND SEXUALITÄTDie Kultur des PatriarchatsWir haben in den vorgehenden Kapiteln gesehen, daß das unsererseits propagierteNeue Denken automatisch mit sich bringt, Abschied nehmen zu müssen vonverschiedenen, tiefeingeschliffenen (patriarchalischen) Denkmodellen bezüglichder Entwicklung der Geschlechter. Nicht „Eva aus Adam", sondern „Adam ausEva" ist die (biologische) Realität, und die vorherrschende (kulturelle) Dominanzder Männlichkeit beruht auf dieser (gewollten?) jahrtausendealtenFehleinschätzung dieses Naturgesetzes: Die „illusio virilis" als hartnäckiges„Hirngespinst" (männlichen) Denkens ist allgegenwärtig. Diese männlicheDominanz in der menschlichen Gesellschaft — vermittelt über das alles durchdringendeSystem des Patriarchats — hat jedoch besonders in den letzten Jahrzehntendieses „Jahrhunderts der Illusionen" erheblich an Kraft verloren — eine doch überausernstzunehmenden Identitätskrise der Männlichkeit (nicht der Weiblichkeitjedoch!) war die Folge. Denn es ist ja auch nicht leicht — vom Feminismus hartbedrängt —, sich in so wenigen Jahren von einem doppelten Trugbild verabschiedenzu müssen. Erstens von der Herrlichkeit des Zustandes, » als der Mensch nochein Mann war" (Elisabeth Badinter), und zweitens von der damit verknüpftenAnnahme, daß dies gleichfalls im biologischen Sinne so vorgesehen sei. Auch inder Sprachkultur der verschiedensten Völker finden wir dieses (männliche) Denkentief verankert, so beispielsweise in der französischen Sprache, wo ein und dasselbeWort, l'homme, sowohl den Mann als auch den Menschen bezeichnet — ebenso inder englischen Sprache, wo „manhood" sowohl für Mannheit (virility) als auch fürMenschheit steht. Gleiche Assoziationen gibt es für das in sprachlicher Hinsichttiefeingeschliffene Personalpronomen „man" (man sagt, man tut usw. —feministischerseits neuerdings mit „frau" sagt usw. ergänzt) im Hochdeutschenbzw. „man" im norddeutschen Sprachgut als „nur"-Bekräftigung des Gesagten(„Laß man gutsein!"). Bezogen auf die sprachlichen Assoziationen im7 1


Zusammenhang mit der Bezeichnung „Homosexualität" (abgeleitet von „homo" für„gleich" aus dem Griechischen) sei noch darauf hingewiesen, daß im Lateinischen»homo" gleich Mann bzw. Mensch bedeutet und Ausdrücke wie Homo sapiens (derdenkende Mensch) oder Homo ludens (der spielende und dadurch schöpferischeMensch) überaus positiv besetzt sind. Im Volksmund dagegen ist dieKurzbezeichnung Homo für einen männlichen Homosexuellen durchaus bzw.vorwiegend im abwertenden Sinne gebräuchlich. Dieser Sachverhalt dürfte nichtzuletzt dazu beigetragen haben, daß — zusammen mit einem in den letzten Jahrenimmer stärker werdenden Hang zur Identitätsabgrenzung —, die deutschehomosexuelle Szene dazu übergegangen ist, die (ursprünglich amerikanische)Bezeichnung „gay" (lustig, heiter, bunt, lebhaft, glänzend, ausschweifend, im„slang" frech) bzw. die Bezeichnung „schwul" generell einzuführen — homosexuellund heterosexuell werden als eher klinische Begriffe verstanden. Hierbei gehtschwul (als die ältere Form von schwül) auf das niederdeutsche „swul" bzw.„swol" (verwandt mit schwelen) zurück. „In Schwulitäten stecken" hat allerdingsmit dem Schwulenbegriff, wie er sich aus der homosexuellen Emanzipation entwickelthat, nichts zu tun: Die Schwulenbewegung hat über diese selbstgewählteSzene- und Gruppendefinition ganz bewußt den Versuch zum gezielten Aufbaueines positiven Images — weg vom alleinigen sexuellen Identitäts-Aspekt —gestartet. Diesbezüglich ist neuerdings festzustellen, daß auch im transsexuellenSektor ähnliche Bestrebungen („Transgenderismus") im Gange sind.Zurückkommend auf die in den dargelegten Ausführungen skizzierteAusgangslage, daß der eigentliche Mensch also nicht der Mann, sondern die Frausei, ergibt sich aus dieser (realen) Konstellation, daß das Faktum der (männlichen)Homosexualität dadurch ganz anders eingestuft werden kann, als dies im„klassischen" Sinne — als Abwertung der Männlichkeit — empfunden wird. Dakann dann die Bezeichnung „Schwuler” übrigens ganz schnell wieder zumSchimpfwort werden — die Gratkante dazu ist im Volksmund äußerst schmal undriskant angelegt.Wie bereits ausführlich in Kapitel 2 dargelegt, gehen die amerikanischenWissenschaftler Simon Le Vay und Robert Gorsky immer gefestigter davon aus,daß das Gehirn in seiner ursprünglichen Form weiblich sei bzw. zumindest — wievon einigen anderen Forschern favorisiert — von einer geschlechtlichenNeutralität auszugehen ist. Der Le Vay-Gorsky-Argumentation folgend, würdendann Sexualhormone — in Abfolge einer genetisch programmierten Kausalkette(XY-Chromosomenpaar — Hodensynthese — Sexualhormone [Testosteron] —Hypothalamus [Sexualitätsausrichtung]) das ursprünglich weibliche Gehirn beieinem Mann vermännlichen. Bei Homosexuellen sei dieser Prozeß nicht vollständigabgelaufen oder — wie Gorsky es in einem Interview formulierte:„Schwule sind schwul, weil ihr Gehirn nicht völlig männlich geworden ist."Allerdings machte Gorsky nochmals ausdrücklich darauf aufmerksam, daß solcheEntwicklungen von vielerlei Faktoren gesteuert werden, viele Wechselwirkungenauftreten (Kausalnetze statt Kausalketten) und vor allem Testosteron nicht dasmännliche Sexualhormon schlechthin sei bzw. Östrogen nicht das rein weibliche.Ein Beispiel für das Ineinandergreifen dieser beider Hormone dürfte diesbezüglichdas Faktum der testikulären Feminisierung bei Männern mit dem (männlichen)Chromosomenbild 46XY — als das in der medizinischen Literatur am mei-7 2


sten beschriebenen (biologischen) Intersexualitätssyndrom — aufzeigen. DieBindungsdefekte der Androgenrezeptoren (Testosteronresistenz) werden dabeiaufgewogen durch einen nahezu vollständigen Umwandlungsprozeß der genetischproduzierten Testosterone zu Ostradiolen — die betroffenen Intersexuellen sindnach außen nicht von biologischen XX-Frauen zu unterscheiden.Viele Menschen befürchten nun, daß, wenn die Wirkung der Hormone auf dasGehirn noch besser erforscht sein wird, Eltern vielleicht auf die Idee kommenkönnten, mit Hormonkuren die femininen Elemente im Wesen ihres Sohnes auszumerzen,um den „Mann" im Jüngling zu wecken. Hiezu meint derWissenschaftler Gorsky, daß die Prägung sich in der Entwicklung sehr früh vollziehe(mit zehn Jahren wäre es schon zu spät), Manipulationen theoretisch jedochmöglich wären und beispielsweise auch vorurteilsfreie Eltern zur gezieltenSteuerung der sexuellen Neigung ihres Kindes in die Versuchung geraten könnten.Allerdings würden Hormone, u. a. vor allem zur Therapie von WachstumsoderStoffwechselstörungen, nur im medizinischen Sinne eingesetzt, und„Schwule seien nun mal nicht krank". Allerdings gelte auch hier die Grundideeder Ethik: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser." Denn der zunehmendeVorwurf an die Wissenschaftler, daß sich ihr Nutzen nur zu leicht ins Gegenteilverkehren lasse und gerade die Erfüllung der Ansprüche weltweit wachsenderMenschenmassen die weitere Realisierung eben dieser Ansprüche unmöglichmachen würde, mahnt diesbezüglich zur äußersten Wachsamkeit — gerade derheutige Zeitgeist der Konzeptlosigkeit begünstigt Scharlatanerie, speziell auf demGebiete der Hormonforschung, ungemein. Hierbei geht es nicht darum, ob Fluchoder Segen überwiegen, sondern darum, ob nicht gerade der Segen der Fluch ist— genauso wie wir dies beispielsweise bei den Dopingmanipulationen im Sportsehen: Die Leistungsgrenzen sind schon längst künstlich.H o m o s e x u a l i t ä t s f o r s c h u n gIn Deutschland ist vor einiger Zeit diesbezüglich viel Aufregung entstandenüber ein Forschungsprojekt des Endokrinologen Professor Gunter Dörner vonder Charité (Institut für experimentelle Endokrinologie) im ehemaligen Ost-Berlin. In einem aggressiv-dumpfen Artikel im Zeitgeist-Magazin „Wiener" 12/92hieß es schlagzeilenmäßig: „Er will sie schon bei Ungeborenen im Mutterleibbehandeln. Schwule Gene. Die Katholiken drohten mit dem Fegefeuer, die Nazismit dem KZ — alles vergebens. Trotz jahrhundertelanger Repression ließ sich dieHomosexualität nicht ausrotten. Nun glaubt ein Berliner Mediziner, dieSchwulen-Frage genetisch lösen zu können. Erste Versuche an Transsexuellenhaben bereits begonnen."und„Schon seit 30 Jahren versucht Professor Dörner nachzuweisen, daß eine homosexuelleVeranlagung genetisch vorbestimmt ist. Bestimmte Gene verursachen,73


davon ist Dörner überzeugt, untypische Konzentrationen von Sexualhormonen imBlut eines Fötus. Das könne während einer kritischen Phase der Schwangerschaftzur Homosexualität führen. Eben diesen ,Hormonstörungen` hat der streitbareProfessor den Kampf angesagt. ,Eines Tages wird es möglich sein, daß eineMutter mitentscheiden kann, ob sie ein homosexuelles Kind haben will odernicht.' Professor Dörner träumt von einem Leben, ,das weder durch organischeErkrankungen noch durch später einsetzende psychische Belastungen gestört ist.'Schlechte Zeiten für schwulen Nachwuchs. ,Dörner spielt mit der Möglichkeit derHomosexualität`, meint dazu die Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung."Zusammen mit weiteren Zitaten wie „Sollte der homophobe Arzt recht haben,brauche man nur regelmäßig schwangere Frauen zu erschrecken, um die homosexuelleNachkommenschaft wirksam zu sichern" bzw. „Bisher steht nur eines fest:Sollte der Professor Erfolg haben, rückt die Endlösung der Schwulenfrage in greifbareNähe — sie würde einfach wegbehandelt", kommt hier ein überaus schlimmes,völlig unqualifiziertes Befindlichkeitsbild der typisch deutschen Lust amDiffamieren sowie am Verdrängen gesicherter (biologischer) Erkenntnisse zusammen— Patriarchen unter sich streiten über (männliche) Hybris. Einfach unerträglich!Hierzu ist zu bemerken,daß Professor Dörner für sein hormonelles Forschungsprojektdavon ausgeht, daß seine Hormontests bei siebzig Prozent dervon ihm untersuchten männlichen (aber auch weiblichen [!]) Transsexuelleneinen Enzymdefekt aufweisen, der genetisch indiziert sei und dadurch eineAbweichung von der heterosexuellen Norm zur Folge habe. Allerdings könnenur die manifeste Enzymstörung als solche festgestellt werden, d. h., es könnezwar der ganze Komplex festgestellt werden (und dann anschließend eineKeimdrüsenstörung oder auch Homo- oder Transsexualität diagnostiziertwerden), jedoch könnten dafür keine pränatalen (= vorgeburtlichen)Behandlungsmöglichkeiten etabliert werden.Weiter geht das sogenannte Dörnersche Phasenmodell, das nicht als Schubfachmodellzu verstehen ist, davon aus, daß zwar eine zeitliche Abfolge derPrägung der Gonadotropinsekretion (= Keimdrüsenhormonproduktion) — mitpositivem oder ohne positives Ostrogenfeedback —, der sexuellen Orientierungund der Geschlechtsidentität existiert, jedoch Übergangsbereiche zwischen deneinzelnen Phasen als auch Überschneidungen aller drei Bereiche gefunden werden.Ein positives Ostrogenfeedback ist beispielsweise hormonanalytisch beimännlichen Homosexuellen, aber auch bei Mann-zu-Frau-Transsexuellen oftnachweisbar (!). Eine sozialpsychische Modifizierung kann die primäre Prägungdann zwar noch verschleiern, aber nicht grundlegend mehr ändern. Interessant anDörners Denkmodell ist weiter die Tatsache, daß er dasselbe für beideGeschlechter gelten lassen will, obwohl (wie wir gesehen haben) die weiblicheHomosexualität nicht von den Entdeckungen Le Vays und Gorskys — aber nochmehr Hamers — in dem Maße profitieren kann wie die männliche Homosexualität.Weiter ist es absolut unverständlich, daß Professor Dörner — zumindest nachaußen — noch immer einen Unterschied macht zwischen den PhänomenenHomosexualität und Transsexualität und gar für letztere eine (rechtzeitige) hormonelleKorrektur des Hormonspiegels für angebracht hält. Seine (richtige)7 4


Annahme, daß durch einen veränderten Hormonspiegel im Mutterleib (infolgegenetischer und/oder auch äußerer Einflüsse, wie beispielsweise durch Streß derMutter bedingt) das Gehirn eines Föten eine andere Entwicklung — nämlichzumindest teilweise die des anderen Geschlechts — nimmt, wird — aus welchenGründen dann auch — für das Faktum der Transsexualität allerdings in einemvöllig unlogischen Sinne weiterentwickelt. Professor Dörner führt hierzu aus, daßdiese (an sich eindeutig biologisch-homosexuelle) Entwicklung bis zurTranssexualität gehen kann, das heißt, ein Mensch ist körperlich eindeutig männlichoder weiblich, fühlt sich jedoch psychisch in jeder Hinsicht dem anderenGeschlecht zugehörig. Und erst jetzt spricht Professor Dörner vorsichtigerweisevon einer Krankheit, einer Störung des psychischen und sozialen Wohlbefindensals einem echten Leiden, wofür er auch einen Eingriff, beispielsweise also einerechtzeitige Korrektur des Hormonspiegels, für angebracht hält. Ob in einem solchen(männlichen) Denken dann die Mutter, d. h. die Frau, zur Biologie oder zurUmwelt (Schöpfungshybris!) gerechnet wird, bleibt dahingestellt ... — die„künstliche" Gebärmutter steht jedenfalls bereits zur Diskussion, und die Mutter-KindEinheit wird hierbei immer weiter demontiert. Wie allerdings über einesolche Enzymstörung Homosexualität und Transsexualität voneinander zuunterscheiden seien, bleibt ein weiterer (offensichtlicher) Schwachpunkt inDörners Überlegungen — das transsexuelle Leiden als solches entsteht ja ebengerade aus der Auseinandersetzung der individuellen, biologischen Veranlagungmit der kollektiven, kulturellen Normierung der Gesellschaft. Und dies istgleichzeitig auch genau der (patriarchalische) Denkfehler Professor Dörners: DieBiologie beruht nicht auf der (männlichen) Kultur, sondern die (menschliche)Kultur beruht auf der (weiblichen) Natur. Die männliche Transsexualität ist undbleibt der (logische) Versuch des Patriarchats, über dieses Phänomen der(biologisch indizierten) Homosexualität — als Makel der Männlichkeit — einenkulturellen Anstrich zu geben. Das dringend erforderliche Neue Denken wird(hoffentlich) jedoch bewirken, daß dieses Denkmodell bald ad acta gelegt werdenkann und das Phänomen der Transsexualität auf seine wahren Grundlagen(Konfliktsituation zwischen Biologie und Kultur: abgelehnte biologischeHomosexualität beim Mann, abgelehnte biologische Heterosexualität sowieabgelehnte kulturelle Homosexualität bei der Frau) zurückgeführt werden kann.HomosexualitätsvermeidungWir haben hier über das Dörnersche Denk- und Phasenmodell wiederum sehrweit ausgeholt, um (erneut) aufzuzeigen, zu welchen wirklich aberwitzigenGedankenkonstruktionen immer noch in deutschen Gefilden gegriffen wird, umdie typisch deutsche Verdrängungskultur rund um die Homosexualität „koste es,was es wolle" aufrechtzuerhalten. Das neugeschaffene Faktum der Transsexualitätist dabei als eine kulturell indizierte Tarnung des vom Patriarchat so empfundenenMännlichkeitsmakels der (biologischen) Homosexualität zu sehen: Hier7 5


läßt sich vortrefflich ansetzen im Bestreben, Kultur und Natur auszutauschen. Indiesem Zusammenhang sei bereits an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß dasPhänomen der weiblichen Transsexualität gleichfalls einer solchen (männlichen)Überheblichkeit zuzurechenen ist, und zwar — wie uns hier vorexerziert wird —ebenfalls auf biologischen Grundlagen (Enzymstörung!). Daß die weiblicheHomosexualität jedoch nicht genetisch vorprogrammiert ist bzw. sein kann, sondernin ihrer „menschlichen" Konditionierung zu suchen ist (und nur rein kulturelleBeziehungsmuster aufweist), wird beim Dörnerschen Phasenmodell nahtlosauf die Ebene der biologischen Intersexualität — wie dieselbe sichbeispielsweise beim AGS-Syndrom (Androgenüberschuß in der fötalen Phase)manifestiert —, übertragen. Eine solche Vermischung von biologischerIntersexualität (Hermaphroditismus) und psychischer, d. h. kulturell indizierterIntersexualität (Transsexualismus) ist jedoch strengstens abzulehnen und ist dererneute Beweis für die These der Autorin, nach der die männliche und dieweibliche Transsexualität zwei getrennte Komplexe sind. Die männlicheTranssexualität entsteht hierbei in einer Konfliktsituation mit einer biologischhomosexuellenKomponente, die weibliche Transsexualität jedoch (nur) auskulturell indizierten Komponenten im Zusammenhang mit dem(patriarchalischen) Gesellschaftssystem: Der weibliche und auch der männlicheHermaphroditismus müssen dafür ausgeschlossen werden.In diesem Zusammenhang weisen wir noch darauf hin, daß der bei beidenGeschlechtern immer so sehnlichst erwünschte „heterosexuelle" Partner für denmännlichen Transsexuellen immer eine gleichfalls biologisch-homosexuelleAusgangslage (allerdings meistens latent vorliegend) impliziert, für den weiblichenTranssexuellen jedoch in der Folge (logischerweise) immer einen biologischheterosexuellenStatus aufweist. Ob und wieweit sich aus den genanntenKonstellationen vielleicht auch Erklärungsmodelle für die Tatsache ableiten lassen,daß in den Partnerschaftsverhältnissen von männlichen Transsexuellen sehr oftFrauen dominieren, sei an dieser Stelle vorläufig dahingestellt — denkbar wärejedoch durchaus, daß auch hier im kulturellen Sinne äußerst tief eingeschliffene,Homosexualitäts-Vermeidungsstrategien" gewohnheitsmäßig (noch) weiter wirken.Daß allerdings geschlechtsgewandelte Frauen kaum Partnerschaften eingehenmit wiederum biologisch-homosexuellen Männern dürfte jetzt gleichfallsnachvollziehbar werden — die männliche Homosexualität ist in erster Linie biologischindiziert und nicht, wie bei den Frauen, rein kulturell.Das (männliche) Denken in der Gesellschaft ist ist somit noch immer verantwortlichfür überaus weitgehende Fehlinterpretationen beiderlei Geschlechter —zu tief sind die seitens des Patriarchats inszenierten Verhaltensschemata imDenken und Handeln der Menschen wohl eingraviert.Als symptomatisch für diesen Sachverhalt könnte dafür ein Leserbrief sein, dervon zwei Schwulenreferenten im AStA der Universität Hamburg zu einem Artikelim Hamburger Abendblatt vom 26./27.5.1992 mit dem (bezeichnenden!) Titel „DerSchock im Mutterleib" abgefaßt wurde: „Wenn der Autor empfiehlt, homosexuellerVeranlagung vorzubeugen, dann kommt gerade das dem Versuch gleich, einen Teilunserer menschlichen Kultur abzutreiben (sic!). Dieser dumpfe Denkansatz fügt sichgut in das nur zu bekannte Verhaltens-Schema, gesellschaftliche7 6


Probleme durch die Beseitigung störender Minderheiten zu lösen. Homosexualitätist also keine Frage der Hormone, sondern der Demokratie." Und desPatriarchats, wäre allerdings noch zwingend hinzuzufügen, denn wiederum gehtaus den vorigen Zeilen das falsche Denken hervor, Natur und Kultur seien (nur)„männlich" konstruiert. Daß dem nicht so ist, sollte inzwischen dem Leser klargewordensein — daß ein solcher Prozeß im öffentlichen Denken jedoch äußerstlangsam und vor allem sehr mühsam fortschreiten wird, dürfte gleichfalls verständlichsein. Denn wenn den (männlichen) Menschen die Idee überkommt, ersei „Herr der Schöpfung", dann packt ihn auch gleichzeitig der „Eifer", und dasdarauffolgende „dynamische Walten" wird dann gern „Fortschritt" genannt — jeglicherWiderstand dagegen wird als „umstürzlerisch" empfunden...Gesetzüber die Änderung der Vornamenund die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen(Transsexuellengesetz — TSG)Vom 10. September 1980Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates dasfolgende Gesetz beschlossen:Erster AbschnittÄnderung der Vornamen§ 1Voraussetzungen(1) Die Vornamen einer Person, die sich auf Grund ihrertranssexuellen Prßgung nicht mehr dem in ihrem •Geburtseintrag angegebenen, sondern dem anderenGeschlecht als zugehörig empfindet und seil mindestens dreiJahren unter dem Zwang steht, ihren Vorstellungenentsprechend zu leben, sind auf ihren Antrag vom Gericht zuändern, wenn1. sie Deutscher im Sinne des Grundgesetzes ist oder wenn sieals Staatenloser oder heimatloser Ausländer ihrengewohnlichen Aufenthalt Oder als Asylberechtigter oderauslandischer Flüchtling ihren Wohnsitz im Geltungsbereichdieses Gesetzes hat.2. mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist daß sich ihrZugehörigkeitsempfinden zum anderen Geschlecht nichtmehr ändern wird. und3. sie mindestens fünfundzwanzig Jahre ait ist.(2) In dem Antrag sind die Vornamen anzugeben. die derAntragsteller künftig führen will.§2Zuständigkeit(1) Für die Entscheidung über Antrage nach § 1 sindausschließlich die Amtsgerichts zustindig, die ihren Sitz am Orteines Landgerichts haben. Ihr Bezirk umfaßt insoweit den Bezirkdes Landgerichts. Haben am Orte des Landgerichts mehrereAmtsgerichte ihren Sitz. so bestimmt die Landesregierung durchRechtsverordnung das zustandige Amtsgencht. soweit nichtdas zustandige Amtsgericht am Sitz des Landgerichts schonallgemein durch Landesrecht bestimmt ist. Die Landesregierungkann auch bestimmen, daß ein Amtsgericht lür de Bezirkemehrerer Landgerichte zuständig ist. Sia kann77


d.a Ermachtigungen nach Satz 3 und 4 durch Rechtsverordnungauf die Landesjustizverwaltung übertragen.(2) Ortsich zuständig ist das Gericht. in dessen Bezirk derAntragsteller seinen Wohnsitz oder, falls ein solcherGeltungsbereich dieses Gesetzes fehlt, seinen gewohnlichenAufenthalt hat; maßgebend ist der Zeit- punkt. in dem der Antrageingereicht wird. ist der Antragsteller Deutscher und hat er imGeltungsbereich dieses Gesetzes weder Wohnsitz nochgewöhnlichen Aufenthalt, so ist das Amtsgericht Schöneberg inBerlin zuständig; es kann die Sache aus wichtigen Gründen anam anderes Gericht abgeben; die Abgabeverfügung ist Fürdieses Gericht bindend.§ 3Verfahrensfähigkeit, Beteiligte(1) In Verfahren nach diesem Gesetz ist eine in derGeschäftsfähigkeit beschränkte Person zur Vornahme vonVertahrenshanaIungen fähig. Für eine geschäftsuntähigePerson wird das Verfahren durch den gesetzlichen Vertretergerührt. Der gesetzliche Vertreter bedarffürmundsc.haftsgerichts.einen Antrag nach § 1 der Genehmigung des Vor-(2) Beteiligte des Verfahrens sind nur1. der Antragsteller,2. der Vertreter des öffentlichen Interesses.(3) Der Vertreter des öffentlichen Interesses in Verfahrennach diesem Gesetz wird von der Landesregierung durchRechtsverordnung bestimmt.§ 4Gerichtliches Verfahren(1) Au( das gerichtliche Verfahren sind die Vorschriftendes Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligenGerichtsbarked anzuwenden, soweit in diesem Gesetz nichtsanderes bestimmt ist.(2) Das Gericht hört den Antragsteller persönlich an.!3) Das Gericht dart einem Antrag nach § 1 nur stattgeben,nachdem es die Gutachten von zwei Sachverständigen eingeholthat, die auf Grund ihrer Ausbildung und ihrer beruflichen Erfahrungmit den besonderen Problemen des Transsexualismusausreichend vertraut sind. Die Sachverständigen müssenunabhängig voneinander tätig werden; in ihren Gutachten habensie auch dazu Stellung zu nehmen, ob sich nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft das Zugehörigkeitsempfindendes Antragstellers mit hoher.'laHrscreinlichkeit nicht mehr ändern wird._ 4) Gegen die Entscheidung, durch die einem Antrag nach §1 stattgegeben wird, steht den Beteiligten die sofortigeBeschwerde zu. Oie Entscheidung wird erst mit derRechtskraft wirksam.§5Offenbarungsverbot(1) Ist die Entscneidung, durch welche die Vornamen desAntragstel'ers geandert werden, recntskraftig, so dunen d.e zurZeit der Entscheidung gefuhnen Vornamen onne Zustimmungdes Antragstellers nicht often-bart oder ausgeforscht werden, es sei denn, daß besondereGründe des offenttichen Interesses dies erfordern oder einrechtliches Interesse glaubhaft gemacht wird.(2) Der frühere Ehegatte. die Eltern, die Großeltern und dieAbkömmlinge des Antragstellers sind nur dann verpflichtet, dieneuen Vornamen anzugeben, wenn dies für die Führungöffentlicher Bücher und Register erforderlich ist. Dies gilt nicht futKinder, die der Antragsteller nach dar Rechtskraft derEntscheidung nach § 1 angenommen hat.(3) In dem Geburtseintrag eines leiblichen Kindes desAntragstellers oder eines Kindes, das der Antragsteller vor derRechtskraft der Entscheidung nach § 1 angenommen hat, sindbei dem Antragsteller die Vornamen anzugeben, die vor derRechtskraft der Entscheidung nach § 1 maßgebend waren:gleiches gilt für den Eintrag einer Totgeburt.§6Aufhebung auf Antrag(1) Die Entscheidung, durch welche die Vornamen desAntragstellers geändert worden sind, ist auf seinen Antragvorn Gericht aufzuheben, wenn er sich wieder dem inseinem Geburtseintrag angegebenen Geschlecht alszugehörig empfindet.(2) Die §§ 2 bis 4 gelten entsprechend. In der Entscheidungist auch anzugeben; daß der Antragsteller künftigwieder die Vornamen führt, die er zur Zeit der Entscheidung,durch welche seine Vornamen geändert worden sind, geführthal. Das Gericht kann auf Antrag des Antragstellers dieseVornamen ändern, wenn dies aus schwerwiegenden Gründenzum Wohl des Antragstellers erforderlich ist.§ 7Unwirksamkeit(1) Die Entscheidung, durch welche die Vornamen desAntragstellers geändert worden sind, wird unwirksam, wenn1. nach Ablauf von dreihundertzwei Tagen nach derRechtskraft der Entscheidung ein Kind des Antragstellersgeboren wird, mit dem Tag der Geburt des Kindes, oder2. bei einem nach Ablauf von dreihundertzwei Tagen nachder Rechtskraft der Entscheidung geborenen Kind dieAbstammung von dem Antragsteller anerkannt odergerichtlich festgestellt wird. mit dem Tag, an dem dieAnerkennung wirksam oder die Feststellung rechtskrahigwird, oder3. der Antragsteller eine Ehe schließt. mit der Abgabe derErklärung nach § 13 des Ehegesetzes.(2) Der Antragsteller führt künftig wieder die Vornamen, dieer zur Zeit der Entscheidung, durch die seine Vornamengeandert worden sind, geführt hat. Diese Vornamen sind1. im Fall des Absatzes 1 Nr. 1 und 2 in das Gebunenbuch.bei einer Totgeburt in das Sterbebuch,2. im Fall des Absatzes 1 Nr. 3 in das im Anscnluß an dieEheschließung anzulegende Farne enbucheinzutragen.7 8


(3) In Fallen des Absatzes 1 Nr. 1 kann das Gericht dieVornamen des Antragstellers auf dessen Antrag wieder in dieVornamen Andern, die er bis zum Unwirk;amwerden derEntscheidung geführt hat, wenn festge;tellt ist, daß das Kindnicht von dem Antragsteller abstammt, oder aus sonstigenschwerwiegenden Gründen anzunehmen ist, daß derAntragsteller sich weder dem nicht seinem Geburtseintragentsprechenden Geschlecht als zugehörig empfindet. Die §§ 2,3, 4 Abs. 1, 2 und 4 sowie § 5 Abs. 1 gelten entsprechend.§ 10WIrkungen der Entscheidung(1) Von der Rechtskraft der Entscheidung an, daß derAntragsteller als dem anderen Geschlecht zugehöriganzusehen ist, richten sich seine vorn Geschlecht abhängigenRechte und Pflichten nach dem neuen Geschlecht, soweitdurch Gesetz nichts anderes bestimmt ist.(2) § 5 gilt sinngemäß.Zweiter AbschnittFeststellung der Geschlechtszugehörigkeit§8Voraussetzungen(1) Auf Antrag einer Person, die sich auf Grund ihrerIranssexueilen Prägung nicht mehr dem in ihrem Geburtseintragangegebenen, sondern dem anderen Geschlecht als zugehörigempfindet und die seit mindestens drei Jahren unter dem Zwangsteht, ihren Vorstellungen entsprechend zu leben, ist vomGericht festzustellen, daß sie als dem anderen Geschlechtzugehörig anzusehen ist, wenn sie1. die Voraussetzungen des § 1 Abs.1 Nr, 1 bis 3 erfÜlIt.2. nicht verheiratet ist,3. dauernd fortpflanzungsunfähig ist und4, sich einem ihre äußeren Geschlechtsmerkmale veränderndenoperativen Engntt unterzogen hat, durch den eine deutlicheAnnäherung an das Erscheinungsbild des anderenGescnIecnts erreicht worden ist.(2) In dem Antrag sind die Vornamen anzugeben, dieder Antragsteller künftig führen will; dies ist nicht erforderlich,wenn seine Vornamen bereits auf Grund von § 1gelindert worden sind.§9Gerichtliches Verfahren•(1) Kann dem Antrag nur deshalb nicht stattgegebenwerden, weil der Antragsteller sich einem seine äußerenGeschlechtsmerkmale verändernden operativen Engritt nochnicht unterzogen hat, noch nicht dauernd fortpflanzungsunfähig istoder noch verheiratet ist, so stellt das Gericht dies vorab test.Gegen die Entscheidung steht den Beteiligten die sofortigeBeschwerde zu.(2) Ist die Entscheidung nach Absatz 1 Satz 1 unanfechtbarund sind die dort genannten Hinderungsgriindeinzwischen entfallen, so lnfft das Gericht die Endentscheidungnacn § B. Dabei ist es an seine Feststellungen in derEntscheidung nach Absatz 1 Satz 1 ge-bunden.(3) Die §§ 2 bis 4 und 6 gelten entsprechend; die Gutachtensind auch darauf zu erstrecken, ob die Voraussetzungennach § 8 Abs. 1 Nr. 3 und 4 vorliegen. In derEntscheidung auf Grund § 8 und in der Endentscheidungnach ACsatz 2 s.rd auch h e Vornamen des Antragsteilerszu andern es sei denn, daß diese bereits auf Grund von § 1gear..m .,orden sind.§ 11EI tern-K Ind-Verhäitn IsDie Entscheidung, daß der Antragsteller als dem anderenGeschlecht zugehörig anzusehen ist, laßt das Rechtsverhältniszwischen dem Antragsteller und seinen Ettern sowie zwischendem Antragsteller und seinen Kindern unberührt, beiangenommenen Kindern jedoch nur, soweit diese vorRechtskraft der Entscriefdung als Kind angenommen wordensind. Gleiches gilt im Verhältnis zu den Abkömmlingen dieserKinder,§ 12Renten und vergtetchbare wiederkehrendeLeistungen(1) Die Entscheidung, daß der Antragsteller als demanderen Geschlecht zugehörig anzusehen ist, läßt seine beiRechtskraft der Entscheidung bestehenden Ansprüche aufRenten und vergleichbare wiederkehrende Leistungenunberührt. Bel der Umwandlung solcher Leistungen wegeneines neuen Versicherungsfalles oder geänderter Verhältnisseist, soweit es hierbei auf das Geschlecht ankcmmt, weiter vonden Bewertungen auszugehen, die den Leistungen beiRechtskraft der Entscheidung zugrunde gelegen haben.(2) Ansprüche auf Leistung aus der Versicherung oderVersorgung eines früheren Ehegatten werden durch dieEntscheidung, daß der Antragsteiler als dem anderenGeschlecht zugehörig anzusehen ist, nicht begründet.Dritter AbschnittÄnderung von Gesetzen§ 13Anderung des Rechtsp}tegerqesetzesIn § 14 des Recht sptlegergesetzes vom 5. November 1969(BGBl. I S. 2065), zuletzt geändert durch § 174 Abs. 4 desBundesberggesetzes vom 13. August 1980 (BGBI. I S. 1310),wird nach der Nummer 20 eingefügt„20 a. die Genehmigung nach § 3 Abs. t Satz 3 sowie nach § 6Abs. 2 Satz 1, § 7 Abs. 3 Satz 2 und § 9 Abs. 3 Satz 1,jeweils in Verbindung nut § 3 Abs. 1 Satz 3, desGesetzes uber d-e Anderung der Vornamen und dieFeststellung der Geschlechtszugehdrigked inbesonderen Fällen vom 10. September 1980 (9GBl. IS. 1654):".7 9


§ 14Anderung der KostanordnungIn die Kostenordnung In der im Bundesgesetzblatt Tell Ill,Gliederungsnummer 361.1, veröffentlichten bereinigtenFassung, zuletzt geandert durch Artikeln § 32Sozialgesetzbuch 1SGB) — Verwaltungsverfahren— vom 18.August 1980(BGBI. I S. 1469), wird nach § 128 eingelügt:„§ 128 aAnderung der Vornamen und Feststellungder Geschlachtszugehorigkeil in besonderen F3llen(1) In Verfahren nach dem Gesetz über die Anderung derVornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeitin besonderen F511en vorn 10. September 1980 (BGBI.I S.1654) wird erhoben1. das Doppelte der vollen Gebühra) für die Anderung der Vornamen nach § 1 des Gesetzes,b) für die Aufhebung der Entscheidung, durch welchedie Vornamen geändert worden sind, nach § 6 desGesetzes,c) far die Feststellung, daft der Antragsteller als demanderen Geschlecht zugehörig anzusehen ist, nach§ 8 oder § 9 Abs. 2 des Gesetzes; eine nachNummer 2 entstandene Gebühr wird angerechnet.d) für die Aulhebung der Feststellung, daß der Antragstellerals dem anderen Geschlecht zugehöriganzusehen Ist, nach § 9 Abs. 3 in Verbindung mit § Bdes Gesetzes;2. das Eineinhalblache der vollen Gebühr für die Feststellungnach § 9 Abs. 1 des Gesetzes.(2) Der Geschäftswert bestimmt sich nach § 30 Abs.2."§ 15Anderung des PersonenstandsgesetzesDas Personenstandsgeselz In der im BundesgesetzblattTeil Ill, Gliederungsnummer 211.1, veröffentlichten bereinigtenFassung. zuletzt geandert durch Artikel 11 des Gesetzes vom2. Jull 1976 IBGBI. I S. 1749), wird wie folgt geandert:1. In § 30 Abs. 1 Satz 1 werden nach den Worten „derPersonenstand" ein Komma und die Worte ,.die Angabedes Geschlechts" eingefügt.2. An § 81 wird folgender Absatz 4 angefügt:„(4) Sind bei einer Person auf Grund des Gesetzes überdie Anderung der Vornamen und die Fest stellung derGeschlechtszugehörigkeit in besonderen Fallen vom 10.September 19801BGB1. IS. 1654) die Vornamengeandert oder Ist testgestellt worden, daß diese Personals dem anderen Geschlecht zugehörig anzusehen Ist, sodart nur Behörden und der betroffenen Person selbstEinsicht in den Geburtseintrag gestattet oder einePersonenstandsurkunde aus dem Geburtenbuch erteil)werden. Ist die betroffene Person in einem Familienbuchein;etragen, so gilt hinsichtlich des sie betreffenden E -traps für die Ein-sichlnahme in das Familienbuch und lùr die Erteilungeiner Personenstandsurkundo aus diesem FamilienbuchSatz 1 entsprechend. Diese Beschränkungenentfallen mit dem Tod dieser Person; § 5 Abs. 1 and §10 Abs. 2 in Verbindung mil § 5 Abs. 1 dos Gesetzesüber die Anderung der Vornamen und die Feststellungder Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällenbleiben unberührt."3. In § 62 Abs. 1 Nr. 1 werden nach den WOrton ..desKindes" die Worte ..und sein Geschlecht" eingelCrgf.4. § 65 a wird wie lolgt geändert:a) Der bisherige Wortlaut wird Absatz 1.b) Folgender Absatz 2 wird angefügt:„(2) Wird im Fall des § 61 Abs. 4 Cuf die betrolfenePerson ein Familienbuch gelùhrt, so kann aufAntrag des früheren Ehegatten. der Eltern, derGroßeltern oder eines Abkömmlings ein Auszugaus dem Familienbuch erteilt werden, in den Angabenüber die Anderung der Vornamen nicht nulgenommenwerden."Vierter AbschnittUbergangs- und Schtußvorschrilten§ 16llbergangsvorschrrtt(1) Ist vor Inkrafttreten dieses Gesetzes auf Grunddes § 47 des Personenstandsgesetzes wirksam angeordnet,daß die Geschlechtsangabe Im Goburtsointrageiner Person zu ändern Isl. weil diese Person nunmehrals dem anderen Geschlecht zugehörig anzusehen ist. sogelten auch tOr diese Person die §§ 10 bis 12 diesesGesetzes ° sowie § 61 Abs. 4 und § 65 a Abs. 2 des Personenstandsgesetzesin der Fassung des § 15 Nr. 2 und 4dieses Gesetzes.(2) Ist die Person im Zeitpunkt der gerichtlichenAnordnung verheiratet gewesen und ist ihre Ehe nichtinzwischen tOr nichtig erklärt, aufgehoben odergeschieden worden, so gilt die Ehe mit demInkrafttreten dieses Gesetzes als aufgelöst. Die Folgender Auflösung bestimmen sich nach den Vorschrillenaber die Scheidung.(3) Hat eine Person vor Inkrafttreten denen Geselzesbel dem nach § 50 des Personenstandsgesetzes zuständigenGericht beantragt anzuordnen, daß die Geschlechtsangabein ihrem Geburtseintrag zu andern Isl.weil diese Person nunmehr als dem anderen Geschlechtzugehörig anzusehen ist, und ist eine wirksame Anordnungbei Inkrafttreten des Gesetzes noch nicht ergangen, so hatdas damit befaßte Gericht die Sache en das nach § 9 Abs.3 in Verbindung mit § 2 dieses Gesetzes zuständigeGericht abzugeben. fur das weile-re Verfahren gellen dieVorschnhen dieses Gesetzes.§ 17Berlin.KlauselDieses Gesetz gilt nach Massgabe des § 13 Abs. 1des Dritten Überleitunsgesetzes auch im Land Berlin8 0


Bundesgesetzblatt, Jahrgang 1980, Ted I§ 18Inkrafttreten§ 2 Abs. 1 Satz 3 bis 5, § 3 Abs. 3 und § 9 Abs. 3 Satz 1,sowed er auf § 2 Abs. 1 Satz 3 bis 5 und § 3 Abs. 3 verweist,treten am Tage nach der Verkündung in Kraft. Im übrigen trilldas Gesetz am 1. Januar 1981 in Kraft.Das vorstehende Gesetz wird hiermit ausgefertigt undwird im Bundesgesetzblatt verkündet.Bonn, den 10. September 1980Oer BundespräsidentCarstensDer BundeskanzlerSchmidtDer Bundesminister des InnernBaumDer Bundesminister der JustizDr. VogelFür den Bundesministerfür Arbeit und SozialordnungDer Bundesministerfür Jugend, Familie und GesundheitAntje HuberDer Bundesministerfür Jugend, Familie und GesundheitAntje HuberEntscheidung des BundesverfassungsgerichtsAus dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom18. März 1982-1 BvR 938/81 -, ergangen auf Verfassungsbeschwerde,wird folgende Entscheidungsformelveröffentlicht§ 8 Absatz 1 Nummer 1 des Gesetzes über die Anderung derVornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit Inbesonderen Fällen (Transsexuellengesetz - TSG -) vorn 10.September 1980 (Bundesgesetzbl. I S.1654) ist mit Artikel 3Absatz 1 des Grundgesetzes insoweit unvereinbar und dahernichtig, als auch bei Erfüllung der übrigen gesetzlichenVoraussetzungen die gerichtliche Feststellung über dieAnderung der ursornnglichen Geschlechtszugendrigked vorVollendung des 25. Lebensjahres ausgeschlossen ist.Die vorstehende Entscheidungsformel hat gemäß § 31Abs. 2 des Gesetzes über das BundesverfassungsgencntGesetzeskraft.Bonn, den 11 'Aal 1982Der Bundesminister der JustizSch coude8 1


Trennblatt:Ein Patriarch und seine (künstlichen) Frauen: Dr. Stanley Biber aus dem MountSun-Rafael-Krankenhaus in Trinidad (Colorado)Im diesbezüglichen „stern"-Bericht (42/1985) hieß es: „Mehr als eintausenddreihundertmalhat der Chirurg Dr. Stanley Biber der Natur ins Handwerk gepfuscht."Biber selber sagte: „Nach 1300 Umwandlungen kann ich nur sagen,solange es keine andere, nachweisbar bessere Methode gibt, werde ich den transsexuellenKörper (!) den Anforderungen der Psyche anpassen. Ich kann denLeuten helfen. Das ist mein Job." sowie: „Auf Las Vegas Bühnen tanzen einigemeiner Mädels (!) in der ersten Reihe."8 2


KAPITEL 7TRANSSEXUELLENGESETZ UND GESELLSCHAFTEntstehung, Interpretation, AusnützungDas zur Zeit gültige deutsche Transsexuellengesetz (TSG) — oder, wie esgenauer heißt, „Gesetz über die Änderung der Vornamen und die Feststellungder Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen „ — wurde 1980 in derdamaligen Bundesrepublik Deutschland von einer SPD-FDP-Regierung unterBundeskanzler Helmut Schmidt verabschiedet und trat per 1.1.1981 in Kraft. Zudiesem Gesetz gab es dann im Jahre 1983 eine Entscheidung desBundesverfassungsgerichts, nach der § 8 des TSG mit Artikel Absatz 1 desGrundgesetzes insoweit unvereinbar und daher nichtig sei, als auch beiErfüllung der übrigen gesetzlichen Voraussetzungen die gerichtliche Feststellungüber die Änderung der ursprünglichen Geschlechtszugehörigkeit vor Vollendungdes 25. Lebensjahres ausgeschlossen sei. Diese von der transsexuellenRechtsanwältin Maria Sabine Augstein durchgeboxte Entscheidung hat zu dermerkwürdigen Situation geführt, daß für die Umsetzung des TSG in die Praxisjetzt zwei Altersvoraussetzungen (18 bzw. 25 Jahre) geschaffen wurden oder, wieder Soziologe Stefan Hirschauer es in seinem Buch „Die soziale Konstruktion derTranssexualität" (S. 309) formuliert: »Ein Transsexueller braucht zur Zeit die Reifeeines Volljährigen, um sich operieren zu lassen und die eines 25jährigen, umeinen anderen Vornamen zu verlangen." Wie recht er hat.Die geschilderte Konstellation ist ein deutlicher Hinweis auf die mühsameKünstlichkeit des Transsexuellengesetzes — es wurde ganz einfach auf den falschenGrundlagen basierend geschaffen, und je mehr man an diesem Gesetz „herumbastelt",umso fiktiver wird das Ganze: „Stückwerk" par excellence. Wie aufgrundder bisherigen Kapitel klargeworden ist, beruht das TSG auf einem männlichenDenken in der geschlechtlichen Thematik, und genauso, wie wir dies u. a.beim Dörnerschen Phasenmodell gesehen haben, ist auch bei der Entstehung des83


TSG von völlig falschen Voraussetzungen hinsichtlich der Ursachen für dieTranssexualität eines Menschen ausgegangen worden. „Was nicht sein darf, kannauch nicht sein" war das Motto, und im Bestreben, die Kultur von der Biologieabzukoppeln, wurde dann „das fortschrittlichste Gesetz der Welt" (SPD-Abgeordneter Meinecke im Bundestag 1979) geschaffen — die Patriarchen tobtensich aus in ihrem Bemühen, Fiktionen zu Realitäten zu machen.Es würde zu weit führen, alle Bedenken hinsichtlich der vielen Ursachen undKonsequenzen einer solchen Gesetzeskonstituierung zu durchleuchten — wirbeschränken uns deshalb auf einige spezielle bzw. kuriose Gegebenheiten rundum das Transsexuellengesetz in Deutschland. Im Abschnitt über diePersonenstandsänderung (Zweiter Abschnitt — Festlegung derGeschlechtszugehörigkeit § 8 - 12) heißt es so beispielsweise: „Auf Antrag einerPerson, die sich aufgrund ihrer transsexuellen Prägung nicht mehr dem in ihremGeburtseintrag angegebenen Geschlecht als zugehörig empfindet und die seitmindestens drei Jahren unter dem Zwang steht, ihren Vorstellungen entsprechendzu leben, ist vom Gericht festzustellen, daß sie als dem anderen Geschlechtzugehörig anzusehen ist", wenn auf sie die nachfolgenden Voraussetzungenzutreffen:— Sie muß die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen bzw. asylberechtigt oderstaatenlos sein.Ausländische Staatsangehörige mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschlandkönnen somit vom TSG keinen Gebrauch machen.— Sie muß mindestens 25 Jahre als sein.Diese Bestimmung hat zur Folge, daß sehr oft im Ausland (London, Lausanne,Singapur) — unter Umgehung dieser Altersgrenze — diegeschlechtskorrigierende Operation durchgeführt wird und dadurch — nachRückkehr in Deutschland — die Personenstandsänderung (mit Altersgrenze 18Jahre) zum dominierenden Faktor wird — die gesetzlichen Abläufe des TSGinkl. Alltagstest werden ad absurdum geführt. Schlimm ist, daß diesesVorgehen des öfteren von ganz bestimmter Seite auch noch propagiert wird...— Es wird mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen, daß sich ihr Zugehörigkeitsempfindenzum anderen Geschlecht nicht mehr ändern wird.Diese Vorschrift wird dann problematisch, wenn — auf Antrag einesgeschlechtsgewandelten Transsexuellen — eine erneute Begutachtung des(wieder geänderten?) Zugehörigkeitsempfindens zu erfolgen hat. Saltomortale der Gutachter oder Irrtum des Menschen?— Sie muß „dauerhaft fortpflanzungsunfähig" sein.Die hier geforderte Kastration verstößt gegen die Würde des Menschen — eshandelt sich um eine „unmenschliche" Vorschrift. Siehe hierzu speziellKapitel 8: „Tabu Unfruchtbarmachung".— Sie muß sich einem ihre äußeren Geschlechtsmerkmale veränderndenEingriff unterzogen haben, durch den eine deutliche Annäherung an dasErscheinungsbild des anderen Geschlechts erreicht worden ist.Da für Frau-zu-Mann-Transsexuelle eine nur bedingte Befolgung dieserVorschrift möglich ist (eine funktionierende, psychisch-erektive Penis-8 4


Konstruktion wird wohl nie gelingen), ist im Grunde eine solche unvollständigeAnnäherung an das gewünschte Geschlecht auch für Mann-zu-Frau-Transsexuelle einforderbar (alleinige Hoden-Kastration als Befolgung derUnfruchtbarkeitsauflage zwecks Personenstandsänderung). Eine solcheAuslegung ist deshalb auch im erwähnten Sinne möglich, weil das TSGgeschlechtsneutral („die Person") abgefaßt ist, obwohl — wie wir gesehen haben— die männliche und die weibliche Transsexualität völlig getrennte Komplexedarstellen — die derart unterschiedlichen Ausgangslagen müßten — wennschon — in der Folge eigentlich zwei separate Transsexualitäts-Gesetzgebungenmit sich bringen.Für biologische Intersexuelle (Hermaphroditen) ist das deutsche Gesetz — wiebeim schwedischen und italienischen TSG — nicht anwendbar (warum eigentlichnicht?), während gleichzeitig auch versäumt wurde, darin ein Recht aufGeschlechtsidentität zu etablieren. Ebenso wurde (typisch für den deutschenObrigkeitsstaat der „Väter") nicht die Möglichkeit wahrgenommen, wie beispielsweisein den Niederlanden, auf jegliche Altersgrenzen zu verzichten. Denn mit 18Jahren ist in einer transsexuellen Entwicklung — als Konfliktzustand zwischenBiologie und Kultur — eine vollkommen willkürliche Grenze gezogen worden —wiederum werden die biologischen Komponenten völlig übergangen bzw. wird vonganz schiefen (kulturellen) Gründen ausgegangen.Wie schief die sind, kann man beispielsweise beim langen Entstehungsprozeßdes TSG bestens feststellen, indem die vielen Stellungnahmen von Parlament,Regierung und Gericht herangezogen werden — die patriarchalischenVerrenkungen und konsequenten Selbsttäuschungen sind dort häufig völlig illusorisch.Im Streit um das Argument der Neigungsförderung des Gesetzes sagte soim Bundestag der Abgeordnete Meinecke 1980: „Hier liegen Sie juristisch möglicherweiserichtig, naturwissenschaftlich ist das totaler Unfug. Denn es ist keineNeigungsangelegenheit. Sie müssen sich einmal die Bücher (sic!), von denen Sieund auch der Bundesrat behaupten, daß es sie noch nicht gebe, zu Gemüteführen. Dort wird klar, daß es sich hier um eine hormonelle Fehlsteuerung imganz frühen embryonalen Stadium handelt... Dies hat nichts mit Neigung zu tun,dies ist Malheur." (sic!)Wiederum kommt hier ganz eindeutig die Angst vor der Homosexualität als„Makel" (Malheur hört sich auch gut an) der Männlichkeit zum Vorschein — da dieHomosexualität als kulturelle Neigung zu gelten hatte, sollte für dieTranssexualität unbedingt eine biologische Ursache geltend gemacht werden können.Womit wir wieder bei den hartnäckigen Versuchen vieler patriarchalischerWissenschaftler und Mediziner (wir erinnern an unsere Ausführungen zu Dömer,Eicher u. cs.) sind, die Transsexualität als biologisch begründbare Krankheit einordnenzu können — den homosexuellen Bestrebungen geradezu diametral entgegengesetzt.Aufschlußreich sind auch die Ausführungen hinsichtlich der unbedingtenNotwendigkeit genitaler Operationen bei Transsexuellen, wobei für diemännlichen Transsexuellen wahre Bocksprünge gemacht wurden, um die Gefahr„homosexueller Handlungen" im Sinne des § 175 zu eliminieren. So sagte derBundesgerichtshof 1971: Keinesfalls dürfte eine Geschlechtsumwandlung ange-85


nommen werden, solange die betroffene (männliche!) Person noch übereinigermaßen funktionstüchtige äußere Geschlechtsorgane in der Lage wäre, mittelsderer die Straftatbestände des § 175 StGB zu verwirklichen; auch würde esnicht angehen, ihm (!), solange er sich auf dem geschlechtlichen Gebiet noch alsMann betätigen kann, die Eheschließung mit einer anderen Person männlichenGeschlechts zu ermöglichen. Man ging in seinen Überlegungen hinsichtlich den„Tatwerkzeugen", mit denen „homosexuelle Handlungen unter Männern" (wie §175 es formuliert) begangen werden konnten, so weit sogar Sexualpraktiken wieHand- und Mundverkehr sowie Zungenküsse als strafbar zu definieren. Es wurdedeswegen in Gesetzeskommentaren daran gezweifelt, ob eine operierte, aberrechtlich nicht anerkannte transsexuelle Frau ein » Mann im Sinne des § 175" sei.Arme (patriarchalische) Juristen: Quo Vadis! Und alles, weil das kulturelle „paychischeGeschlecht" (Kultur ist » männlich" ...) keine Rücksicht nehmen mochteauf das biologische „körperliche Geschlecht" (weil die Natur „weiblich" ist ...) —das Patriarchat macht(e) einfach die Augen zu.Die „kleine Lösung" und ihre KonstituierungNoch wesentlich verwirrendere Überlegungen wurden angestellt, als es darumging, die sogenannte „kleine Lösung" gemäß TSG (Vornamensänderung ohneOperation) zu kreieren: Sie ist tatsächlich juristischerseits im „therapeutischen"Sinne gedacht. Im Bundestag hieß es 1979/80 (Parlamentarischer Staatssekretärvon Schoeler): „Die Ärzte haben uns doch gesagt: wenn das, was der Mann (!)tagtäglich an Diskriminierungen durch seinen von ihm als falsch empfundenenVornamen erfährt, nur abgestellt werden kann, daß eine Operation durchgeführtwird, stehen wir als Ärzte, als Therapeuten vor der Situation, daß der Patient aufnichts anderes als auf die Operation wartet." Hat sich da bis heute etwas geändert?Besonders vom Bundesrat wurde äußerst typische (patriarchalische) Argumentegegen eine Vornamensänderung ohne Operation ins Feld geführt:„Die Rechtsfolgen im Familien- und Adoptionsrecht, bei der Wehrpflicht (!) undAusübung bestimmter Berufe sowie bei Internierungen in Kliniken oderGefängnissen seien bei einer Vornamensänderung ohne Personenstandsänderungnicht zu regeln. Überdies erwecke die ,kleine Lösung' den falschen Eindruck, esgäbe zwei Gruppen von Transsexuellen, und erhöhe so die Gefahr, daß nebenJugendlichen mit transsexuellen Neigungen auch Personen das Transsexuellengesetzin Anspruch nähmen, die gar nicht transsexuell seien(!). Der Paragraphzur Aufhebung einer Vornamensänderung durch den Antragsteller suggerieredann auch, daß der über die ,Voraussetzungen` nicht so ernst zu nehmen sei. DieBundesregierung verwies in ihrer Gegenäußerung darauf, daß die ,kleine Lösung'für verschiedene Gruppen von Transsexuellen nötig sei, ,die sich aus medizinischenoder anderen anerkennenswerten Gründen einer Operation nicht unterzie-8 6


hen können oder wollen (!).` Das gelte für inoperable Transsexuelle, fürsolche, die ihre Ehe fortsetzen wollen (!) und für weibliche Transsexuelle, die,aufgrund der biologischen Gegebenheiten einen weniger stark ausgeprägtenDrang zur Operation haben`." (Zitat Bundesregierung 1979)In der zweiten Beratung des Parlaments resümierte dann die CDU ihreEinwände: „Die kleine Lösung leide an einer ,Überschätzung der Möglichkeitender Gesetzgebung zur Korrektur von Absonderlichkeiten (!) in der Schöpfung'(Zitat Bundestag 1979/80). Sie berge nicht nur Gefahren für die Ehe, sondernschaffe auch eine Kategorie von Transsexuellen, bei denen der Vorname über dasGeschlecht hinwegtäusche. Der Einklang von Vorname und Geschlecht dürfenicht einer höchst zweifelhaften Therapiemöglichkeit geopfert werden."(übernommen aus Stefan Hirschauer: „Die soziale Konstruktion derTranssexualität", S. 310)Weiter argumentierte der Bundesrat 1970 — im Bestreben, die „kleine Lösung"für das TSG nicht vorzusehen — nur mit dem absoluten Operationswunsch alsKriterium gesetzlicher Maßnahmen. Er war der Meinung, daß mit der „kleinenLösung" der Eindruck geweckt würde, es gäbe zwei Gruppen von Transsexuellen:„In Wahrheit ist für alle Transsexuelle charakteristisch, daß sie ... eine Anpassungan das andere Geschlecht erstreben" bzw. „Personen, die eine Operation nicht nurdringend wünschen, sondern sogar ablehnen, können nach bisherigenErkenntnissen nicht als transsexuell bezeichnet werden." (!)Harte Worte also bereits damals, und daran hat sich bis heute auch nicht vielgeändert (siehe hierzu auch Kapitel 13). Bezeichnend für eine solche unermüdlicheEinstellung seitens des Patriarchats dürfte der Umstand sein, daß in denneuen EG-Pässen, die ab 1992 für sämtliche EG-Mitgliedsländer einheitlichgestaltet herausgegeben werden, in der Rubrik 10 jetzt wieder die Geschlechtszugehörigkeitzu vermerken ist. Mit dieser Regelung dürften die in den Ländern mitTranssexualitätsgesetzen vorgesehenen Sonderregelungen bei der Gestaltung derdirekten Ausweispapiere (wie dies eben in Deutschland mit der „kleinen Lösung"vorgesehen ist) ausgegrenzt werden. Es ist zu befürchten, daß aus diesem Grunddie Suggestivwirkung der „großen Lösung" (operative Angleichung) noch erheblichverstärkt wird — eine überaus fatale Entwicklung in der transsexuellen Thematik.Auch hier wird wieder überdeutlich, welche tief eingeschliffenen(patriarchalischen) Kräfte das Syndrom Transsexualität beherrschen, da partoutnicht eingestanden werden kann, daß es sich bei allen Bemühungen um eineausgeprägte Homosexualitäts-Vermeidungsstrategie handelt und es deswegennahezu unmöglich sein wird, nach allen Seiten befriedigende (kulturell indizierte)Lösungen zu finden. Deswegen kommt man logischerweise auch nicht daranvorbei, nur den Operationswunsch für eine transsexuelle Identität als Kriteriumeinzusetzen — die Kastration wird zum Mittel, die homosexuellen (männlichen)Ängste (Genitalien als „Tatwerkzeuge") chirurgisch zu beseitigen. Oder wieHirschauer es — bezugnehmend auf das (haarsträubende) BGH-Urteil (1971)hinsichtlich den Assoziationen zwischen § 175 und Genitaloperationen —formulierte: „Mit dieser Assoziationen offenbarte die aufgeklärte bundesdeutscheRechtsprechung87


gegenüber den ,Tatwerkzeugen einen Zerstörungswillen, der der Blutrünstigkeitislamischer Rechtsprechung in nichts nachsteht." Kommentar überflüssig!Die Definition der TranssexualitätEs sei an dieser Stelle nochmals darauf hingewiesen — wie es das NeueDenken ja impliziert —, daß die Transsexualität keine Eigenständigkeit besitzt,wie es Medizin und Rechtswissenschaft nahelegen, sondern als Konfliktzustandzwischen Biologie und Kultur zu gelten hat und deswegen eine Diskrepanzentstanden ist zwischen der angeborenen Veranlagung (biologisch-homosexuellfür den Mann, biologisch-heterosexuell für die Frau) und dem erworbenen (d. h.kulturell indizierten) Verhalten des betreffenden Menschen. Die Transsexualitätist in erster Linie eine Flucht — eine Flucht vor sich selbst und seinerangeborenen Sexualität — und entwickelt dabei ein beträchtliches Walten derEigendynamik, genau so wie wir dies bei den medizinischen Leitlinien (Sigusch)und rechtswissenschaftlichen Kriterien (BGH) in ihrer „auslösenden" Funktionbereits als typisch für die Entwicklung des Faktums Transsexualität speziell inDeutschland erkannt haben (Der Kampf ums [staatliche] Geld). Es wird an derZeit, dies alles zu erkennen und sicherzustellen, daß ein individuelles Verhaltennicht länger auf kollektive Grundlagen gestellt werden kann. Daß allerdings derunbedingte Krankheitsbegriff sowie die Verneinung bzw. Bagatellisierung dergesundheitlichen Operationsfolgen (speziell die der biologischen Kastration) fürdas vorher aufgezeigte Festhalten an der (patriarchalischen) Fiktion herhaltenmüssen, um das Neue Denken gezielt zu unterlaufen, ist eine schlimme Sache.Dies in seinem Wirkungsmechanismus aufzuzeigen ist die Absicht dieses Buches,aber es wird ein harter, mühsamer Kampf werden.Weiter sei noch vermerkt, daß der Rechtswissenschaftler Alfred Schneider, dessenBuch „Rechtsprobleme der Transsexualität" (1977) zur gesetzlichen Regelungdes Phänomens Transsexualität entscheidende Impulse setzte — darin kategorischerklärte, daß der Operationswunsch die stärkste Manifestation des Zugehörigkeitsempfindenssei und die konsequente, bewußte Vornahme der Operationgleichfalls der beste Beweis für diese Zugehörigkeitsbeständigkeit sei: Es hättenoch kein operierter Transsexueller ein Rückumwandlungsbegehren geäußert...Typisch männlich wohl auch sein diesbezüglicher Operationskommentar. „Einederartig operativ geschaffene Vagina ist ein dauerhaftes, „körpereigenes" Gebilde,das nur unter großen Schwierigkeiten wieder entfernt werden kann, so daß diekünstliche Scheide der natürlichen Vagina ohne weiteres gleicht." (Schneider, S.50) ... „Illusio-virilis"-Hybris par excellence!Wie bei Dörner sind wir auch hier wieder derart ausführlich auf die verschiedensten(patriarchalischen) Aussagen im Zusammenhang mit der Entstehungdes TSG eingegangen,weil dieselben sich in der Zielsetzung weitgehend decken.Aufgrund von völlig schiefen biologischen Ausgangspositionen werden kulturelleKonstrukte konzipiert, welche diese falschen Voraussetzungen unter-8 8


mauern bzw. „beweisen" sollen: „Koste es, was es wolle."In einem solchen Bestrebenhat man sich in der Folge immer mehr von den eigentlichen Wahrheiten entferntund sich nicht gescheut, völlig abstruse und künstliche Legitimationendafür zu schaffen, daß es sich ganz besonders nicht um das Faktum der Homosexualitäthandele (weil das TSG in seiner Ausgangslage im Grunde nur für denmännlichen Transsexuellen geschaffen wurde, obwohl die weiblichen Transsexuelleninzwischen ziemlich gleichgezogen sind). Und da das Ganze natürlichunbedingt als etwas ganz Neues — als eine einmalige »männliche" Schöpfung —etabliert werden sollte, wurde flächendeckend gleich noch (nach außen) dieAbgrenzung von Transvestititsmus, Bisexualität und Hermaphroditismus betont.Oder wie es Alfred Schneider auf S. 179 seines Buches artikulierte: »Wie dienaturwissenschaftliche Beschäftigung mit dem Phänomen der Transsexualitätgezeigt hat, ist jedoch die Identifizierung Transsexueller mit demGegengeschlecht völlig losgelöst von einer willkürlichen Beeinflussung; nicht dereigene Wille ist Basis einer transsexuellen Entwicklung." Genauso formulierte esbeispielsweise auch der Oberste Gerichtshof in Paris 1988, als er entschied, daßdie Manifestation des jeweiligen Geschlechtswechsels die Wirkung einer vomeigenen Willen unabängigen Kraft darstellt ( »cause étrangère à sa volonté") — die»Gehirnwäsche" war damit grenzüberschreitend geworden.Aus sämtlichen vorherigen Ausführungen und Zitaten spricht somit ganzunverhohlen das Patriarchat: Die männliche Sicht der Dinge dominiert dasRegelwerk der (menschlichen) Verhaltenssexualität ohne jegliche Rücksichtnahmeauf die wahren Verhältnisse. Gleichzeitig jedoch hat das auf diese Weiseentstandene TSG eine überaus intensive Wechselwirkung gehabt auf dieKriterienbereitstellung für die Inanspruchnahme der darin angebotenen gesetzlichenMöglichkeiten. Sei es, daß dies über das weidliche mediale Ausschlachtender »kleinen Lösung" als die Tatsache der Existenz des ersten (!), offiziell miteinanderin Deutschland verheirateten »lesbischen Paares" (ARD — Boulevard Bio)geschieht. Sei es, daß — um eine vorher geschlossene Ehe aufrechtzuerhalten —die Personenstandsänderung, die eine geschlechtskorrigierende Operation unabänderlichmit sich bringen sollte, beim zuständigen Standesamt nicht eingetragenwird. Sei es, daß von männlichen Transsexuellen versucht wird, nur über eineKastration der Hoden — unter Beibehaltung der äußeren Genitalien — die Auflageder Unfruchtbarmachung (zwecks Personenstandsänderung) zu erfüllen, jedochweitere „anpassende" Maßnahmen zu unterlaufen mit dem Hinweis auf diegleichfalls „unvollständige" Ausformung des »männlichen" Genitals beigeschlechtsgewandelten Frauen. Stets steckt die Absicht dahinter, das TSG undseine Rechtsfolgen — entgegen den ursprünglichen Intentionen — auszuhöhlenbzw. mit untauglichen Mitteln für ganz bestimmte Interessen „auszuschlachten",seien diese nun profilneurotischer, finanzieller oder sonstiger Natur. Ein„Pfründe"-Gesetz eben.Es kann nur noch wiederholt werden, daß das TSG von Anfang an falsch konzipiertworden ist. Und wie zu Anfang der (leidigen) Transsexualitätstypisierung dievielfältigsten medizinischen „Leitkonzepte" (man denke speziell an die inDeutschland überaus prägenden „Leitsymptome der entfalteten und typischenTranssexualität bei beiden Geschlechtern" des Frankfurter SexualwissenschaftlersVolkmar Sigusch) entwickelt wurden, welche gerade erst den nach allen89


Richtungen (meist unbeirrbar) selbst diagnostizierenden „Stromlinien"-Transsexuellen hervorbrachten, so treffen wir heute, nach der inzwischen nahtlosen„sozialen Konstruktion der Transsexualität" (Hirschauer) wieder genau diegleichen Mechanismen an für die Inanspruchnahme der entstandenen gesetzlichenMöglichkeiten. Derart hat das TSG anschließend den mit allen „technischen"Finessen vertrauten bzw. einem nicht enden wollenden Anspruchsdenken ausgestatteten„Berufs"-Transsexuellen (speziell in Selbsthilfeorganisationen oder alsjuristische Berater exponiert) auf den Plan gebracht. In externen, eigenen, vomStaat unterstützten Beratungsstellen (u. a. in Hamburg) werden demnächst wohlauch noch Gutachterfunktionen bzw. Medizinerinstruktionen erarbeitet werden —die Transsexuellen sind dabei, das Heft in die eigenen Hände zu nehmen unddamit die natürlichen Gegebenheiten — wie bereits vom Patriarchat entsprechendinszeniert — nun vollends auf den Kopf zu stellen. Patriarchen und patriarchalischeTranssexuelle (ob nun dabei „Mann" geblieben oder zum „Mann" geworden)in einem Boot der Hybris und der Uneinsichtigkeit — noch nie war die Gefahr sogroß, daß der » Betrug am Menschen" (denn was ist eine so abstruse Verneinungder natürlichen Wirklichkeit sonst?) nun endgültig seine (homosexuelle)„Unschuld" zu verlieren droht. In einem solchen Sinne kann in der Folge das vonder Autorin propagierte Neue Denken sehr viel dazu beitragen, daß es nicht soweit kommen wird und wieder auf den Boden der (natürlichen) Tatsachen zurückgekehrtwird — es ist wahrlich höchste Zeit dazu. Dennoch darf nicht vergessenwerden, daß viele der im Prozeß der Transsexualitätskonstituierung beteiligtenPersonen (seien diese nun patriarchalischer Natur oder nicht) sich allzutief in dieMaterie vorgewagt bzw. festgelegt haben — dieselben können (mangelsEinsichtigkeit) oder wollen (aus patriarchalischer Hybris) einfach nicht umkehren.Auch dieser Sachverhalt ist ein überaus sichtbarer, wichtiger Grund für das(immer noch) sehr starke Abwehrdenken gegen neue (biologische) Erkenntnisseseitens Wissenschaftlern, Medizinern und Juristen — offensichtlich muß es fürviele Menschen doch sehr schwierig sein, offen einzugestehen, daß man sich geirrthat. Erkenntnis: ja! (An-)Erkenntnis: nein! Ebenso dürfte zu diesem unentwegtenBlockieren neuer Gedanken in der transsexuellen Thematik unserer Tage auch der(wichtige) Faktor eine Rolle spielen, daß — besonders seit es die unseligeTranssexuellengesetzgebung gibt — allzuviele Beteiligte (und inzwischen auchetliche Betroffene!) gutes Geld mit der Transsexualität machen — sie ist zu einerüppigen Geldquelle für die verschiedensten Interessen geworden. Alle verdienenam Geschäft mit der Sexualität, warum dann nicht auch an dem mit der (Trans-)Sexualität? Die Voraussetzungen dazu sind inzwischen voll gegeben, und werwill schon Warnsignale hören, wenn es darum geht, die geschichtsträchtigenWorte Michael Gorbatschows, „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben", indie (lukrative) Tat umzusetzen? Symptomverwaltung statt Ursachenforschung —es läßt sich inzwischen gut leben von den Folgen dieser kollektiven Ausblendung(die ja hauptsächlich Männern eigen ist!). „Après nous le déluge" („Nach uns dieSintflut"), sagte einst der französische Sonnenkönig Louis XIV, und so denkenwohl auch viele kleine Transsexualitäts-"Könige" unserer Zeit. Für wie langenoch?9 0


K APITEL 8TABU UNFRUCHTBARMACHUNGDas körperliche DenkenWir haben nun dargelegt, wie die Transsexualitätsdefinition sich — als direkteFolge der transsexuellen Gesetzgebung — geändert hat und und von der früherenmedizinischen Charakterisierung des Phänomens (welche noch zwischen primärerund sekundärer Transsexualität einen feinen Unterschied machte), ausGründen der „juristischen Kanalisierung" des transsexuellen Syndroms imGrunde nur noch die (möglichst rasch herbeizuführende) chirurgischeGeschlechtsumwandlung als Ziel geblieben ist. Hierbei wurde das ursprünglichetranssexuelle Erleben (der soziale Geschlechtswandel ist so alt wie dieMenschheit) immer mehr abgedrängt von der resolut-patriarchalischen Mann-Frau-Definition nach (juristischem) Schwarz-weiß-Muster (Eindeutigkeits-Prinzip): ein fast zwangsläufig ablaufender Prozeß... In einem solchen (männlichen)Denken war es deshalb nicht mehr als logisch, daß hierin der Vorgang derKastration eine dominierende Rolle spielen sollte: Die mit dem Ausdruck „dauerndfortpflanzungsunfähig" noch milde umschriebene Unfruchtbarmachung destranssexuellen Menschen (TSG § 8, Absatz 1 Pkt 3) wurde — weil es ja auch imhormonellen Sinne die Form der „chemischen Kastration" gibt — ergänzt mitder „Eliminierungs"-Auflage gemäß TSG, § 8, Absatz 1 Pkt 4, „sich einem ihreäußeren Geschlechtsmerkmale verändernden Eingriff unterzogen hat, durch deneine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechtserreicht worden ist." Eine Art juristischer Bildhauerei sozusagen.So wurde das menschliche Baukastensystem der willkürlichen Auswechselbarkeiteingeführt — genau wie dies im tief-patriarchalischen Denken desNeuzeitphilosophen René Descartes (1596 - 1650) gleichfalls als Trennungvon Körper und Seele etabliert worden war: fortan sollte die Chirurgie zum91


Allheilmittel ausgerufen werden. Siehe hierzu Abbildung 10 „Torsen — zweigeschlechtlicheModelle" an einem Katalog für anatomische Modelle und Lehrtafeln: Dienüchterne, lakonisch-kalte Fachsprache ist gleichfalls typisch für das irreale „Teile"-Denken in der Transsexualitäts-Chirurgie. Auf S. 249 (Abb. 25) wird als Gegensatz hierzudas Psychsomatik-Denken erörtertWie bereits aufgezeigt, hat diese (konstruierte) Diskrepanz zwischen transsexuellemEmpfinden und erwünschter Umsetzung in die gesellschaftlicheWirklichkeit dazu geführt, daß — aufgrund kollektiver, von außen aufgelegterVerhaltensschemata — sehr viele Transsexuelle zu Schritten veranlaßt werden,für die sie entweder gar nicht „geeignet" oder (noch) nicht „reif'sind. Die„Operation", in Selbsthilfekreisen kurz als OP bezeichnet, ist zum fast ausschließlichenTranssexualitätsdogma geworden von sowohl Gesellschaft als auch Betroffenen undganz besonders in der Transsexuellen-Selbsthilfe ist die „OP" inzwischen allernorts zumheiß ersehnten Statussymbol erhoben worden — die transsexuelleZweiklassengesellschaft ist in dieser (rührigen) Szene damit bereits voll durchgeschlagen(ähnlich dem medizinischen Denken der primären undB V Torsen - zweigeschlechtliche ModelleTorso Models - BisexualAbbildung 10Abb. 10: Torsen — zweigeschlechtliche Modelle in natürlicher Größe und mitauswechselbaren männlichen und weiblichen Geschlechtsorganen (AusFirmenkatalog für den gehobenen Schulunterricht)9 2


sekundären Transsexualität). Ein fast groteskes Konkurrenzdenken, inzwischenfast typisch geworden für viele TS-Selbsthilfeorganisationen, hat (leider) weit umsich gegriffen bzw. beherrscht das Wirken. Hierbei drehen sich alle Diskussionennur noch um die „OP": » Wer macht sie am besten, bzw. wer ist schneller bei deneinzuholenden OP-Gutachten, Kostenübernahmezusagen bei den Krankenkassensowie den eigentlichen OP-Terminen" — alles nach dem fatalen „Qualitäts"-Denkmuster:„Wer ist transsexueller?" Die Frage nach dem „Warum" des transsexuellenEmpfindens wird übertönt durch die Frage nach dem „Ob" oder „Ob nicht" desalleinigen körperlichen Eingriffs. Eng damit verbunden ist dann auch die in derGesellschaft — sowohl seitens der Unbeteiligten als besonders der Beteiligten —tief verankerte Transsexualitätsdefinition, nach welcher man nur transsexuell ist,wenn die (schnellstmögliche) chirurgische „Anpassung" das Ziel ist. Wir habenhier diesen Ausdruck verwendet, da das Wort Geschlechtsumwandlung einenVorgang impliziert, der — wie wir wissen — nur eine Mogelpackung darstellt: Eswerden nur äußerliche „Körper"-Komponenten geändert, wie dies ja ganz besondersim Schwarz-weiß-Denken des » falschen" bzw. „richtigen" Körpers zumAusdruck kommt (siehe hierzu auch Kapitel 5: Interview „Gibt es falscheKörper?). In diesem Falsch-richtig-Symbolismus kommt ganz klar zum Ausdruck— und damit für viele Transsexuelle auch zur (kritiklosen) Annahme —, daßdurch die Vornahme des Eingriffes der Kastration aus einem „falschen Körper"(welcher allerdings im biologischen Sinne nicht falsch sein kann) automatisch ein„richtiger Körper" wird — eine wiederum groteske Hybris des (patriarchalischen)Denkens und Waltens außerhalb der Natur. Die Akzeptanz eines „Fremdseins imeigenen Körper", die der Schlüssel zum transsexuellen Empfinden im Konfliktzwischen Biologie und Kultur bildet, wäre dann andererseits wieder dieBestätigung der Tatsache, daß der Mensch eine psychosomatische Einheit bildetund Körper und Geist nicht zu trennen sind. Das „Im falschen Körper"-Credo isteine bewußt kalkulierte Täuschung der (biologischen) Wahrheit, daß dieGeschlechter niemals austauschbar sein werden (warum auch?) — in diesem Sinnekann es auch keine „Fremdkörper" geben. Da aufgrund dieser biologischenGrundsätze in der Folge auch die männliche Transsexualität (Abwehr der biologischenHomosexualität) und die weibliche Transsexualität (Abwehr der biologischenHeterosexualität) zwei unterschiedliche Komplexe darstellen, werden indiesem Kapitel die mit der „Unfruchbarmachung" von Mann und Frau imZusammenhang stehenden Phänomene auch getrennt behandelt. Hierzu ist weiternoch zu bemerken, daß das in Deutschland geltende „Gesetz über die freiwilligeKastration und andere Behandlungsmethoden" (vom 15.8.1969) allerdings nicht,wie das TSG, geschlechtslos abgefaßt ist, sondern in erster Linie für denStrafvollzug männlicher Sexualtäter gedacht ist: In § 1 heißt es » die Keimdrüseneines Mannes", während in § 4 die Rede ist von der „ärztlichen Behandlung einesMannes oder einer Frau (in allen anderen Paragraphen lautet die jeweiligeBezeichnung immer „der Betroffene"). Dies dürfte auch wohl nicht zuletzt damitzusammenhängen, daß die Monographie A. Langelüddekes, „Die Entmannung vonSittlichkeitsverbrechern" (1963), die Grundlage für diese Kastrationsgesetzgebungbildete — von einer „Entfrauung" ist dort nirgends die Rede (!). Die Thematik derUnfruchtbarmachung von Mann und Frau ist deshalb — weil ja patriarchalischorganisiert — logischerweise auch noch zusätzlich aus diesem Grunde getrennt zubehandeln.9 3


Die Kastration des MannesSeit Jahrtausenden sind Kastrationen aus den unterschiedlichsten Motiven infast allen Kulturen an männlichen Personen (und vor allem auch an Tieren) vorgenommenworden. Neben der Selbstkastration oder wahlweise Fremdkastrationaus religiösen, künstlerischen oder medizinischen Gründen (die sogenannte einoderzweiseitige „Testikelexstirpation" zählte zu den ersten chirurgischenEingriffen dieser Art) spielte auch die unfreiwillige Fremdkastration als Folgevon Kampf- oder Rachehandlungen in der Vergangenheit eine überausdominante Rolle. Im fernen Mittelalter noch wurden etwa bei Delikten wieNotzucht oder Ehebruch Kastrationen durchgeführt, die ganz im Zeichen desTalionsprinzips (Vergeltung muß Tat entsprechen) standen. Im islamischenDenken finden wir solche körperlichen Vergeltungsakte noch immer(Handabhacken bei Diebstahl, Steinigung bei Ehebruch usw.), und vollerErstaunen stellt der heutige Mensch fest, daß die Kastration des Mannes sowohlein Medienereignis sein kann (USA — Bobbitt-Prozeß 1994 wg. von Ehefraunach Vergewaltigung abgeschnittenem Penis des Ehemannes) als auch überausgrausame Kriegswirklichkeit im Bosnien-Krieg (KZ-Gefangene zum Abbeißender Hoden von Zellengenossen gezwungen).Im Zeitalter der Aufklärung erfolgten in Europa Ende des 19. Jahrhunderts dieersten Kastrationen (Hodenentfernung) aus modernen psychiatrischen Gründen,während im Strafrecht Kastrationen von Sexualstraftätern seit 1906 bekannt sind(ebenso von Gewalttätern in verschiedenen europäischen Ländern). Zu denLändern, die zwischenzeitlich über die meisten Erfahrungen auf diesem Gebietverfügen, zählen neben Norwegen, Dänemark und der Schweiz vor allem auchDeutschland (und neuerdings auch die [ehemalige] Tschechoslowakei). In ersterLinie Autoren dieser europäischen Länder haben sich (seit längerer Zeit) mit derThematik der Kastration als „therapeutischem" Verfahren beschäftigt (abgerundetmit psychochirurgischen Methoden und chemischer Kastration mittelsAntiandrogene).Der bekannte deutsche Sexualwissenschaftler Prof. Volkmar Sigusch, Leiter derAbteilung für Sexualwissenschaft des Klinikums der J.-W.-GoetheUniversität inFrankfurt, verfaßte in 1978 für die Zeitschrift „Sexualmedizin" einen langenBeitrag mit dem Titel „Die Kastration des Mannes" (S. 984 - 993) zur(selbstgestellten) Frage: „Gibt es eine sexualmedizinische Indikation?" DieBibliographie dieser Arbeit weist eine Unmenge an Literatur auf und die imAufsatz enthaltenen Fakten und Studienergebnisse im Zusammenhang mit dermännlichen Kastration sind Legion — etliche davon sind verarbeitet worden imSachbuch „Mythos Geschlechtswandel" der Autorin, ganz speziell im Abschnitt„Medizinische Transsexualität auf Kastrationsgrundlage" (S. 250 - 268). Ebensosind weitere interessante Hinweise vor allem bezüglich der physiologischenAuswirkungen und der ensprechenden psychosomatischen Langzeitkonsequenzeneiner Entmannung (auch Emaskulation genannt) noch ausführlicher enthalten inProf. Alfred Springers Sachbuch „Pathologie der geschlechtlichen Identität" (19819 4


Gesetzüber die freiwillige Kastration und andere BehandlungsmethodenVom 15. August 1969Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:§ 1BegriffsbestimmungKastration im Sinne dieses Gesetzes ist eine gegendie Auswirkungen eines abnormen Geschlechtstriebesgerichtete Behandlung, durch welche dieKeimdrüsen eines Mannes absichtlich entfernt oderdauernd funktionsunfähig gemacht werden.auch dann nicht als Körperverletzung strafbar, wennbei dem Betroffenen ein abnormer Gesdhledststriebgegeben ist, der nach seiner Persönlichkeit und bisherigenLebensführung die Begehung rechtswidrigerTaten im Sinne des § 175 Abs. 1 Nr. 1 sowie der §§176, 177, 178, 183, 211, 212. 223 bis 226 des Strafgesetzbucheserwarten läßt, und die Kastration nachden Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaftangezeigt ist, um dieser Gefahr zu begegnen unddamit dem Betroffenen bei seiner künftigen Lebensführungzu helfen.§ 2Voraussetzungen der Kastration(I) Die Kastration durch einen Arzt ist nicht alsKörperverletzung stratbar, wennI. der Betroffene einwilligt (§ 3),2. die Behandlung nach den Erkenntnissen dermedizinischen Wissenschaft angezeigt ist, um beidem Betroffenen schwerwiegende Krankheiten,seelische Störungen oder Leiden, die mit seinemabnormen Geschlechtstrieb zusammenhängen, zuverhüten, zu heilen oder zu lindern,3. der Betroffene das lüntundzwanzigste Lebensjahrvollendet hat,4. für ihn körperlich oder seelisch durch die Kastrationkeine Nachteile zu erwarten sind, die zudem mit der Behandlung angestrebten Erfolgaußer Verhältnis stehen, und5. die Behandlung nach den Erkenntnissen der medizinischenWissenschaft vorgenommen wird.(2) Unter den Voraussetzungen des Absatzes 1Nr. I, :1 bis 5 ist clic Kastration durch einen Arzt§ 3Einwilligung(1) Die Einwilligung ist unwirksam, wenn derBetroffene nicht vorher über Grund, Bedeutung undNachwirkungen der Kastration, über andere in Betrachtkommende Behandlungsmöglichkeiten sowieüber sonstige Umstände aufgeklärt worden ist, denener erkennbar eine Bedeutung -für die Einwilligungbeimißt.(2) Die Einwilligung des Betroffenen ist nichtdeshalb unwirksam, weil er zur Zeit derEinwilligung auf richterliche Anordnung in einerAnstalt verwahrt wird.(3) Ist der Betroffene nicht fähig, Grund und Bedeutungder Kastration voll einzusehen und seinenWillen hiernach zu bestimmen, so ist die Kastrationnur dann zulässig, wenn1. der Betroffené mit ihr einverstanden ist, nachdemer in einer seinem Zustand entsprechenden Weiseaufgeklärt worden ist und wenigstens verstandenhat, welche unmittelbaren Folgen eine Kastrationhat, und9 5


2. der Betroffene einen Vormund oder Pfleger erhaltenhat, zu dessen Aufgabenbereich die Angelegenheitgehört, und dieser in dieBehandlung cuhwilligt, nai.hdem er im Sinne desAbsatzes 1 aufgeklärt worden ist.(4) Ist der Betroffene unfähig, die unmittelbarenFolgen einer Kastration zu verstehen, so ist dieKastration durch einen Arzt unter den Voraussetzungendes Absatzes 3 Nr.2 zulässig, wenn sie nachden Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaftangezeigt ist und vorgenommen wird, um einelebensbedrohende Krankheit des Betroffenen zuverhüten, zu heilen oder zu lindern. § 2 Abs. 1 Nr. 3ist nicht anzuwenden.§ 4Andere Behandlungsmethoden(1) Die §§ 2 und 3 Abs. 1 bis 3 gelten entsprechendfür eine gegen die Auswirkungen einesabnormen Gesc ledhtstriebes gerichtete ärztlicheBehandlung eines Mannes oder einer Frau, mit dernicht beabsichtigt ist, die Keimdrüsen dauernd funktionsunfähigzu madhén, die aber eine solche Folgehaben kann. Die Behandlung ist auch zulässig, wennder Betroffene noch nicht fünfundzwanzig Jahre altist.(2) Ist der Betroffene unfähig, die unmittelbarenFolgen der Behandlung und einer etwaigen Funktionsunfähigkeitder Keimdrüsen einzusehen, so ist dieBehandlung Im Sinne des Absatzes I unter denVoraussetzungen des § 3 Abs. 3 Nr.2 zulässig, wennsie nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaftangezeigt ist und vorgenommen wird, umeine schwerwiegende Krankheit des Betroffenen zuverhüten. zu heilen oder zu lindern.(3) Ist der Betroffene minderjährig, so ist dieEinwilligung seines gesetzlichen Vertreters in jedemFalle erforderlich. § 3 Abs. 3 Nr.2 ist nichtanzuwenden. Steht dem gesetzlichen Vertreter einesMinderjährigen nicht gleichzeitig die Sorge für diePerson des Minderjährigen zu oder ist neben ihm nochein anderer sorgeberedhtigt, so ist auch dieEinwilligung des Sorgeberedhtigten erforderlich. DieEinwilligung ist unwirksam, wenn der Einwilligendenicht im Sinne des § 3 Abs. 1 aufgeklärt worden ist.§ 5Gutachterstelle(1) Die Kastration darf erst vorgenommen werden,nachdem eine Gutachterstelle bestätigt hat, daß"1. ein ärztliches Mitglied der Gutachterstelle denBetroffenen untersucht sowie die in diesem Gesetzvorgeschriebene Aufklärung des Betroffenenund anderer Personen vorgenommen hat und2. die Voraussetzungen der §§ 2 und 3 vorliegen.(2) Absatz 1 ist bei einer Behandlung nach §4 entsprechend anzuwenden, wenn der Betroffene9 6nicht fähig ist, Grund und Bedeutung der Behandlungvoll einzusehen und seinen Willen hiernach zbestimmen, oder das einundzwanzigste Lebensjahrnoch nicht vollendet hat.(3) Einrichtung und Verfahren derGutachterstelle bestimmen sich nach dem Landesrecht.§6Genehmigung des VormundschaftsgerichtsIn den Fällen des § 3 Abs. 3, 4 sowie des § 4Abs. 2 bedarf die Einwilligung der Genehmigung desVormundschaftsgerichts. Das Vormundschaftsgerichthat den Betroffenen persönlich zu hören. DieVerfügung, durch die es die Genehmigung erteilt,wird erst mit der Rechtskraft wirksam.§7StrafvorschriftWer als Arzt unter den Voraussetzungen der §§2 und 3 einen anderen kastriert oder im Sinne des §4 behandelt, ohne daß1. die Gutachterstelle die nach § 5 notwendige Bestätigungoder2. das Vormundsdhaftsgeridst die nach § 6 erforderlicheGenehmigungerteilt hat, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahroder mit Geldstrafe bestraft.§ 8Andernng des Strafgesetzbuches§ 228 des Strafgesetzbuches erhält folgende Fassung:,§ 228Sind mildernde Umstände vorhanden, so ist inden Fällen des § 223 Abs. 2 und der §§ 223 a, 223b Abs. 1 auf Gefängnis bis zu drei Jahren oderGeldstrafe, in den Fällen der §§ 224, 227 Abs. 2auf Gefängnis nicht unter einem Monat, im Falledes § 225 auf Gefängnis nicht unter sechs Monatenund 1m Falle des § 226 auf Gefängnis nicht unterdrei Mo- naten zu erkennen.'§9Andertng des RedhtspflegergesetzesDas Rectspflegergesetz vom B. Februar 1957(Bundesgesetzbl. I S. 18), zuletzt geändert durchdas Einführungsgesetz zum Aktiengesetz vom6.September 1965 (Bundesgesetzbl. I S.1185),wird wie folgt geändert:In § 12 wird hinter der Nummer 10 a folgendeNummer 10 b eingefügt:.10 b. die vormundsthaftsgeridstlidheGenehmigung nach § 6 des Gesetzes über diefreiwillige Kastration und andereBehandlungsmethoden vom 15. August 1969(Bundesgesetzbl. I S. 1143);'.


§ 10Aufhebung von Vanduiften§ 14 Abs. 2 des Gesetzes zur Verhütungerbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933 inder Fassung des Gesetzes vom 26. Juni 1935(Reidasgesetzbl. I 5.773) wird aufgehoben. §14 Abs. I desselben Gesetzes sowie die Artikel3 und 4 der Vierten Verordnung zur Ausführungdes Gesetzes zur Verhütung erbkrankenNachwuchses vom 18. Juli 1935 (Reichsgesetzbt.IS. 1035) sind auf die Entfernung derKeimdrüsen nicht .anzuwenden.§ 11Geltung In BerlinDieses Gesetz gilt nach Maßgabe des § 13 Abs. 1des Dritten Überleitungsgesetzes vom 4. Januar 1952(Bundesgesetzbl. I S. 1) auch im Land Berlin.§ 12InkrafttretenDieses Gesetz tritt sedts Monate nach seinerVerkündung in Kraft.Die verfassungsmäßigen Redete desBundesrates sind gewahrt.'Das vorstehende Gesetz wird hiermit verkündet.Bonn. den 15. August 1969Der, BundespräsidentHeinemannDer BundeskanzlerKiesingerDer Bundesminister der JustizHorst EhmkeIm Abschnitt „Somatische Methoden", S. 154 - S. 193) in diesem Werk wird auch dieAnalogie von (männlicher) Homosexualität und Transsexualität aufgezeigt.Zurückkommend auf die Ausführungen von Prof. Sigusch müssen die nachfolgendenTextstellen dann auffallen:- „Das mag einerseits darauf verweisen, wie sehr sexuelles Erleben und Verhaltenvom Psychosozialen, beispielsweise von der Güte der Partnerschaft und derinneren Funktion des Sexuellen, abhängt und wie wenig von den Sexualhormonen(!). Andererseits drängen uns solche Befunde zu der Annahme, Sexualverhaltenauch als erlerntes und auf diese Weise abgesichertes Verhalten zu begreifen. DieVorstellung, man könne jemanden durch das Entfernen der Keimdrüsen totalentsexualisieren, ist jedenfalls als Illusion entlarvt worden.(!)"- „Als unüberprüfte, aber allgemeine Erfahrung gilt übrigens, daß die sexuellenFunktionen um so länger erhalten bleiben, je früher die Entfernung derKeimdrüsen erfolgt. Fast überflüssig zu betonen: Art und Weise der sexuellenWünsche und Präferenzen und damit die sogenannte Triebrichtung (!) werdennatürlich nicht verändert."- „Von den unkritischen Anhängern der Entmannung selber stammen dieseResultate: Ein erheblicher Prozentsatz der kastrierten Männer sei später gegen9 7


den Eingriff eingestellt, verbittert, voller Gefühle der Verlassenheit undMinderwertigkeit. Einige entwickelten Genitalhypochondrie. Viele klagten übermangelnde Initiative, Energie, Ausdauer, über Vergeßlichkeit, Reizbarkeit,Stimmungsschwankungen, Hitzewallungen, Schweißausbrüche, Schwindelgefühle,Herzbeschwerden, ,Anfälle`, rheumatische Beschwerden usw. Undman müsse ,nach den vorliegenden Berichten' namentlich mitDepressionszuständen rechnen, die zum Suizid führen können (Langelüddeke,1971, S. 1043). Welche seelische Bedeutung und soziale Auswirkung dieserEingriff aber tatsächlich hat, erfahren wir nicht. Symptome werden unsaufgezählt und Wortmarken, mehr nicht."sowie als sogenannte » Eigene Position":- „Die chirurgische Kastration ist ein irreversibler und verstümmelnderEingriff, dessen körperliche, seelische und soziale Auswirkungen wissenschaftlichvöllig unzureichend untersucht worden sind. Zwangsläufige somatischeFolgen sind ausschließlich die Fortpflanzungsunfähigkeit und allgemeinkörperlicheVeränderungen, die sich aus dem Ausfall der KeimdrüsenAndrogeneergeben. Für den sexuellen Bereich sind mit einiger Evidenz ausschließlichBeeinträchtigungen einiger sexueller Funktionen belegt worden." und- "Schwieriger wird es dagegen, wenn es um kranke, schwer persönlichkeitsgestörteMenschen geht, die, obwohl nicht straffällig geworden, unbedingtkastriert werden möchten, weil sie hoffen, dann Ruhe finden zu können (!). Ichkann nur sagen, welche Erfahrungen wir gemacht haben: Nicht nur aus prinzipiellen,vom einzelnen Patienten abgehobenen Gründen haben wir unter keinenUmständen eine Kastration als indiziert angesehen, auch nicht im Sinne einer —wie es Schorsch einmal genannt hat — ärztlichen Verzweiflungstag. Das gilt,anders als bei Giese, auch für süchtig-perverse Patienten. Unsere Ultima ratio istdie Antiandrogen-Behandlung unter stützender Psychotherapie."Es sind dies alles höchst aufschlußreiche Feststellungen, die jedoch gleichzeitigdie Frage auslösen, weshalb Prof. Sigusch eine solche einschränkende„Kastrations"-Sicht der Dinge nicht für transsexuelle » Patienten" (denn kranksollten diese schon sein) hat gelten lassen? Was ist da soviel anders gewesen, alsdaß man (Mann!) erst 14 Jahre später mit der Herausgabe des (grünen) Buches„Geschlechtswechsel" (1992) eingesteht: „Kurzum, wir sollten theoretisch nocheinmal von vorne anfangen." Was ist damit gemeint? Mit allem?Ist diese Götterdämmerung eines renommierten Sexualwissenschaftlers, derinzwischen seiner eigenen homosexuellen Ausrichtung nicht mehr kritisch undveränderungswürdig gegenübersteht, ein erster Hinweis darauf, daß die durch seine(im nachhinein auch als unselig zu bezeichnenden) transsexuellen „Leitsymptome"zubetonierte Homosexualitäts-Grundkomponente wieder zum Tragen kommt? Eswäre von ganzem Herzen zu hoffen, daß Prof. Sigusch seinesexualwissenschaftliche Reputation und Kompetenz — allerdings jetzt im Rahmendes Neuen Denkens — für die Wahrheit einsetzt und sich nicht damit begnügt, inTalkshows mit lauter „glücklichen Transsexuellen" medienwirksam sein neuesBuch in die Kamera zu halten. Gerade von ihm wären ehrliche, klärende Worte9 8


über die patriarchalische Hybris — gerade auf dem Gebiete der Sexualwissenschaft —sicherlich notwendig, um das Phänomen der Transsexualität wieder auf den Boden der(biologischen) Tatsachen zu stellen.Damit auch vor allem Klarheit zustande kommt über die Risiken und Konsequenzeneiner chirurgischen Kastration des Mannes die anschließende Aufzählung der damitverbundenen körperlichen, psychosomatischen und psychischen Langzeitfolgen einessolchen Eingriffs:- Fettleibigkeit (Adipositas)- feinere, glattere und weichere Haut, speziell im Gesicht- frühzeitige Ergrauung der Kopfhaare- übermäßiges Wachstum von Nebennierenrinde und Hypophyse- übermäßiges Wachstum der Pankreas-Inseln der Bauchspeicheldrüse (Hypoglykämie) inRichtung Diabetes (Zuckerkrankheit)- Veränderung des HVL (Hypophyse-Vorderlappen) mit ständig erhöhtem Ausstoß vongonadotropen Hormonen (Gonadotropinen) wie LH und FSH- Abnahme der 17-Ketosteroide auf 2/3 sowie Zunahme der Glykosteroide derNebennierenrinde (Steroide: bestimmte chemische Verbindungen, zu denen auch dieSexualhormone gehören). Hier besteht auch die Gefahr, daß bei einer plötzlichenAbsetzung einer langfristigen gegengeschlechtlichen Hormonverabreichung, die durcheine solche Medikation geschrumpfte Nebennieren sehr oft dadurch — in Kombinationmit der Kastrationswirkung — die Fähigkeit verlieren, kurzfristig (d. h. in Notfällen)Cortisol zu erzeugen: lebensbedrohende Stoffwechselstörungen können die Folge sein.- Leber fettarm, jedoch glykogenreich (Glykogen ist ein sogenanntes Polysaccharid, inLeber und Muskeln als tierische Stärke gespeichert)- Herabsetzung des Stoffwechselgrundumsatzes (Schilddrüsenwirkung und spezifischdynamischeEiweißumsetzung gestört)- Zunahme vegetativer Symptome wie Hitzewallungen, Schweißausbrüche, abwechselndeKälte- und Hitzegefühle, Schwindel, Ohnmacht, Augenflimmern, Kopfschmerzen,schneller Herzschlag, Herzbeschwerden ohne organische Ursache, Zirkulationsstörungen(Kribbelgefühle in den Gliedmaßen) usw., oft einhergehend mit Bluthochdruck(Hypertonie)- Extreme Fettvermehrung im Blut (Hyperlipämie)- Stark erhöhte Cholesterinwerte (Hypercholesterinämie) mit erheblichemHerzinfarktrisiko- Beschleunigung des Altersprozesses in Richtung Arteriosklerose- Erhöhte Krebsdisposition (Leberkarzinome)- Rheumatische Veränderungen der Gelenke (Arthrose)- Magen- und Darmbeschwerden (Gastritis)- Gesteigerte Speichelsekretion (Zahnarzt!)- Abbau von Knochensubstanz (Osteoporose)- Appetit-und Schlafstörungen- Muskeldegeneration infolge Androgenmangels (Gegenteil von Doping)- Längeres Jungbleiben, schnelleres Altwerden.- Allgemeine Beruhigung (palliativer Effekt) mit Zunahme der Stetigkeit, Lenkbarkeitund Verträglichkeit (wie im Tierreich bei kastrierten Hun-9 9


den,Katzen oder Zugtieren)- Abnahme von gewalttätigen und aggressiven Handlungen- Minderung von Affektexplosionen (Jähzorn)- Haß- und Rachegefühle gegenüber der gesamten Welt, insbesondere den tätigenÄrzten- Verstimmung dysphorischen Charakters (Übellaunigkeit, Gereiztheit)- Minderwertigkeitsgefühle bzw. Gefühle der Selbstwertbeeinträchtigung- Depressions- und Suizidgeneigtheit- Vermehrte Reizbarkeit, Empfindlichkeit und Ermüdbarkeit (hyperästhetischasthenischesSyndrom)- Unbegründete Eifersucht und querulatorisches Verhalten, besonders „intakten"Personen gegenüber- Antriebsmangel (sogenanntes hypophrenes Zustandsbild)- Mißbrauchsneigung hinsichtlich der Einnahme von Sexualhormonen, insbesondere beiEigenmedikationen- Drogenanfälligkeit sowie Schmerz- und Schlafmittel-Mißbrauchsneigung- Alkoholunverträglichkeit(Übernommen aus <strong>Kamermans</strong>, J.: „Mythos Geschlechtswandel", S. 253 - 255)Die Gesamtheit der hier angeführten Kastrationsfolgen stelt in der Folge einenerheblichen Eingriff in die Gesundheit des operierten (männlichen) Transsexuellendar und bedeutet — im Zusammenwirken mit den sehr oft vorhandenenoperationstechnischen Komplikationen des Eingriffs — eine lebenslänglicheBedrohung des derart attackierten Organismus. Vor allem solche Faktoren wieWunschintensität, Zwangsabstinenz, Zeitdauer und Wissensstand spielen für dasVerarbeiten aller dieser Beeinträchtigungen des körperlichen und psychischenWohlbefindens eine große Rolle. Und am Anfang bzw. besonders in jungen Jahrensieht sowieso alles anders aus, dominiert (einstweilen) noch die „Kraft der Illusion"und übernimmt das „psychische Geschlecht" die Führung. Aber für wie lange? Ineinem solchen Zusammenhang wird dann auch klar, daß die medizinischeNachsorge für geschlechtsgewandelte Transsexuelle nicht nur im endokrinologischenSinne, aber ganz besonders für die körperlichen Kastrationsfolgen unddie operationstechnischen Resultate ein unbedingtes „Muß" darstellt. Ebensowichtig dürfte hierzu jedoch gleichfalls eine psychoanalytische bzw. psychischeBegleitung notwendig sein, nicht zuletzt dann, „wenn die Erkenntnisse kommen".Daß dies oft erst nach vielen Jahren geschieht, erleichtert nicht gerade — alsGenerationenkonflikt getarnt — die Weitergabe der Resultate eines solchen (Nach-)Denkens (wo ein alternatives [Vor-]Denken ja offensichtlich immer weniger möglichist...).100


Die Kastration der FrauFür das Verständnis der weiblichen Unfruchtbarmachung über dieKeimdrüsen müssen wir uns klarmachen, daß — im Gegensatz zum Manne —ihre Stillegung im menschlichen Fortpflanzungsprogramm als solchem aufnatürliche Weise vorgesehen ist: Die sogenannte Menopause beendet dieFruchtbarkeit der Frau ohne Eingriff von außen. Sie ist das Stadium im Lebeneiner Frau, in dem die Ovulation (Eisprung) und die Menstruation aufhören unddamit die fortpflanzungsfähigen Jahre beenden. Die Menopause, auch weiblichesKlimakterium genannt, hat jedoch, obwohl als medizinischer Begriff definiert,heutzutage im allgemeinen eher eine psychosoziale als eine klinische Bedeutung.Im Verständnis der Gesellschaft ist die Menopause verbunden mit etwas, das zuEnde geht — die Menstruation und das „Kinderkriegen", die Jugendlichkeit unddie Attraktivität —, bzw. das Alter endgültig beginnt. Allerdings hat sich derpsychische Charakter des Phänomens Menopause in relativ kurzer Zeit radikalgeändert: Betrug noch um die Jahrhundertwende das durchschnittliche Alter fürdie Menopause 46 Jahre und die durchschnittliche Lebenserwartung der Frau 51Jahre, so hat sich bis heute die Lebenserwartung der Frau auf 78 Jahre erhöht,das Durchschnittsalter für die Menopause jedoch nur auf etwa 51 Jahre.Die erheblichen biologischen Auswirkungen der Menopause sind allerdings diegleichen geblieben — sie ist ein allmählicher Prozeß, der sich über fünf bis zehnJahre erstrecken kann und mit der völligen (natürlichen) Stillegung der Eierstöckeendet. In diesem Zusammenhang sei noch darauf hingewiesen, daß dieProduktion der weiblichen Geschlechtszellen ganz anders gelagert ist als beimManne. Bei diesem fängt die Spermiensynthese erst in der Pubertät an und dauertdann, meist nur geringfügig reduziert, das ganze Leben an (es ist eher das„Rundherum" der Sexualität, welches nachläßt: Potenz, Libido, Prostatafunktion):Zudem werden die Spermien in unvorstellbaren Mengen (bei jedem „Schuß" bis zu400 Millionen Samenzellen — ca. 20.000 „Schüsse" gelten als möglich)unaufhörlich produziert bzw. zwischengelagert. Die Frau dagegen hat bei derGeburt rund zwei Millionen Follikel (Ovarienzellen, in denen die Eier in einemReifungsprozeß gebildet werden), wovon die meisten im Laufe der Jahre schrumpfenund absterben: In der Pubertät sind dann ca. 300.000 Follikel übriggeblieben.Ab diesem Zeitpunkt reifen im sogenannten menstruellen Zyklus ein oder zweiFollikel heran (insgesamt etwa 400mal), während andere absterben — bis kurzvor der Menopause nur noch etwa 8.000 Follikel verbleiben.Dieser Reifungsprozeß geht in einer natürlichen Menopause — ganz imGegenteil zur künstlichen, operativ herbeigeführten Stillegung — somit ganzallmählich zu Ende, wobei dann noch wieder eine Unterscheidung in dreiStadien den Vorgang verdeutlichen kann:- PrämenopauseDie Ovarien beginnen ihre Funktion nach und nach einzuschränken, unddie Perioden werden unregelmäßiger (Progesteron-Stop)101


- Menopause selbstDie Ovarien lassen in ihrer Funktion weiter nach (reagieren nicht mehr aufFSH [Follikel stimulierende Hypophysehormone]) und die Perioden hörenganz auf.- PostmenopauseDieses Stadium ist erreicht, wenn ein Jahr lang keine Blutung mehr aufgetretenist.Die mit der Menopause zusammenhängenden Symptome und Anzeigen könnendabei tabellarisch wie folgt zusammengestellt werden:- Autonome Merkmale (vegetative Fehlregulationen):- Hitzewallungen bzw. Kälteschauern- Schwitzen, Nachtschweiß- Herzklopfen, Schwindelgefühle- Juckreiz, Kribbeln- Körperliche und mit dem Stoffwechsel verbundene Merkmale:- Aufhören der menstruellen Perioden- Austrocknen, Schrumpfen und Jucken der Vagina (das durch Ostrogenverlustdünner gewordene vaginale Gewebe kann zu starken Schmerzen beim Ge-. schlechtsverkehr führen)- Fehlfunktionen der Harnblase bis zur Inkontinenz- Osteoporose (Schwund der Knochensubstanz)- Atherosklerose (Verhärtung der Arterien durch fettreiche Ablagerungen)- Unterleibsaufdunsung- Gewichtszunahme („mollig” werden)- Kopfschmerzen- Gelenkschmerzen, Gelenkdegenerationen- Muskelschwäche- Erschlaffung und Schrumpfung der Brust- Austrocknung und Runzelung der Haut- Schütterwerden des Kopf- und Schamhaares- Zunahme der Gesichtsbehaarung (Hirsutismus)- Brüchige, langsam wachsende Nägel- Psychologische Anzeichen- Wechselnde Stimmungen (Launen)- Reizbarkeit, Empfindlichkeit- Depressionen bzw. depressive Verstimmungen- Schlaflosigkeit- Angstzustände- Vergeßlichkeit- Libidoveränderungen(Übernommen aus Jovanovic, Gene11, Subak-Sharpe: „Hormone — das medizinischeHandbuch für Frauen", S. 188)102


Zu den psychischen Folgen des Abschlusses der Menopause sei noch gesagt,daß natürlich damit die ganze Problematik der (meistens der Frau überlassenen)Geburtenkontrolle gleichfalls entfällt und viele Frauen dies als eine echteBefreiung erleben, die in Wirklichkeit ihr Sexualleben intensiver machen kann.Hinzukommt, daß der Androgenspiegel im Blut — aufgrund der von denNebennieren abgegebenen, zum Teil im Fettgewebe in Ostrogene umgewandeltenmännlichen Hormone — erheblich ansteigen kann und viele Frauen deshalb nachder Menopause ein erhöhtes Interesse an Sex haben. Etliche streitbareFeministinnen (Gloria Steinem, Camille Paglia, Alice Schwarzer) sprechen geradezuvon einer „Befreiung der Frau" aus dem „Zwangsprozeß" der (natürlichen)Fortpflanzung, wobei eine solche Sicht der Dinge im Rahmen der Frau-zu-Mann-Transsexualität durchaus gleichfalls eine Rolle spielen dürfte.Männliche KastrationsphänomeneBiologisch betrachtet, kann das langsame, unmerkliche, im Laufe der Zeit aberdoch spürbare Nachlassen der Keimdrüsenfunktionen des Mannes natürlich nichtmit dem eben beschriebenen weiblichen Klimakterium verglichen werden, denn esendet nicht mit einem der Menopause gleichzusetzenden Ende derSamenproduktion. Organisch gesunde Greise (Charlie Chaplin wurde mit 74 nochVater) können durchaus noch zeugungsfähig sein — der Begriff der „männlichenWechseljahre" („Klimakterium virile") ist dann auch sehr umstritten. Überspitztkönnten Männer allerdings (patriarchalisch) argumentieren, daß das Klimakteriumerst nach dem vierzigsten Lebensjahr beginnt, während bei Männern die Potenzdurchaus schon ab 20 nachlasse. Es gibt deshalb etliche Mediziner, die einmännliches Klimakterium nicht nur in den Fällen annehmen, bei denen es durchbeschleunigtes Altern jenseits der Lebensmitte zur abnorm stark verringertenProduktion männlicher Geschlechtshormone kommt, sondern auch bei einergrößeren Anzahl völlig gesunder Männer zwischen dem vierzigsten und sechzigstenLebensjahr. Die dann ablaufenden Erscheinungsbilder könnten sehr oft alseindeutig klimakterisch eingestuft werden, werden jedoch meistens als solche nichterkannt. Es sind dies in erster Linie „Versagenserlebnisse" im Zusammenhang mitdem nachlassenden Leistungsvermögen (u. a. Impotenz) zwischen dem vierzigstenund fünfzigsten Lebensjahr (der sogenannte „Leistungsknick” der Lebensmitte).Dieses Syndrom ist sehr individuell gestaltet und der Verlauf hängt sehr ab von derPersönlichkeit des Betroffenen sowie seiner Reife, zu den erforderlichenErkenntnissen des „Zurücksteckens" zu kommen. Für den einen bedeutet einVersagenserlebnis eine Katastrophe, weil in der patriarchalischen LeistungsgesellschaftMännlichkeit meist mit hoher Leistungsfähigkeit gleichgestelltwird (obwohl das eine mit dem anderen nichts zu tun hat), ja geradezu einLeistungskult vorherrscht und das (kulturell indizierte) Selbstverständnis als Manndabei tief erschüttert werden kann. Die sogenannte „Midlife-crisis" des Mannes,ausgelöst vor allem durch Vergleich gesellschaftlich erreichter Resultate, kanndann — zusammen mit den durch Selbstbeobachtung noch wechselseitig verstärktenVersagenserlebnissen persönlicher Art — zu einem äußerst resignativen103


Prozeß von Verkrampfungen, Unsicherheiten und Kurzschlüssen führen. Damuß dann ein völlig neues Lebensbild entworfen werden, ein »neues Denken" istauch hier in der Folge notwendig, und mancher Mann erlebt dann in einersolchen Phase sein „schwules" bzw. öfter auch „transsexuelles" Coming-Out. DerBegriff einer „psychischen Kastration" ist für etliche solcher festgefahrenenMänner durchaus stimmig anwendbar, wenn radikale (transsexuelle) Lösungengesucht werden.Aber auch in früheren Zeiten gab es die verschiedensten Kastrationsphänomene:In seinem Buch »Engel wider Willen — die Welt der Kastraten" (1993) setztsich Hubert Ortkemper überaus vielschichtig mit dem Phänomen der „castrati"auseinander, die besonders im 18. Jahrhundert zu den Superstars der Barockoperwurden. Diese vor allem in Italien fast dreihundert Jahre lang übliche Kastrationjunger Knaben — um ihre hohen Stimmen zu erhalten — beherrschte in jener Zeitdas Geschehen auf den Opernbühnen Europas — statt Operntenören gab esHeldensoprane, die die höchsten Gagen erhielten und sich die Allüren einer DivaIeisten konnten. Der berühmteste von allen, Farinelli (1705 - 1782), war sogar alspersönlicher Gesangsfavorit des depressiven spanischen Königs Philipp V überzwanzig Jahre der einflußreichste Mann Spaniens (siehe Abbildung 11) Ursprünglichvon der päpstlichen Kirche inszeniert (sie brauchte die „engelsgleichen"Stimmen dieser jungen Sänger als Frauenersatz für ihre Chöre), wurde ihredurchaus nicht wegoperierte (männliche) Sexualität eher zunehmend von derKirche „als sündige Brunst" verdammt, und manchmal heftige Diskussionen entbranntenüber die (juristische) Gültigkeit der von Kastraten geschlossenen Ehen.Die Diskriminierung in gesellschaftlicher Hinsicht stand in schwerer Diskrepanzzum umjubelten Ansehen auf der Bühne (nicht viel anders als heute!). DasEintrittsalter der „castrati" in den italienischen Konservatorien des 17. und 18.Jahrhunderts lag zwischen zwischen acht und zehn Jahren, und meistens wurdedie Kastration entsprechend früh bereits vorgenommen. Obwohl die Operationjahrhundertelang tausendfach ausgeführt wurde, sind bis heute darüber nahezukeine Beschreibungen überliefert worden — auch hier also wieder ein überaus„männliches" Verdrängungsphänomen der besonders in jenen Zeiten äußerst starkausgeprägten väterlich-patriarchalen Gesellschaftsordnung. In einem 1707erschienenen „Traité des Eunuques — Abhandlung über die Eunuchen" schreibtder französische Autor Ancillon: „Der Knabe wurde mit Opium oder anderenNarkotika betäubt und einige Zeit in eine sehr heißes Bad gesetzt, bis er in einemStadium ziemlicher Gefühllosigkeit war. Dann wurden die Kanäle, die zu denHoden führen, durchgeschnitten, so daß die Hoden im Laufe der Zeit zusammenschrumpftenund verschwanden." Und in der 1841 in Leipzig erschienenen„Encyklopädie der gesammten Medizin" heißt es unter dem Stichwort Castration:„Entmannung, Ausrottung der Hoden. Es soll hier nicht von der in Italien zurErhaltung der Sopranstimme ehemals mehr als jetzt gebräuchlichen, dasMenschengefühl im höchsten Grade verletzenden Entmannung die Rede sein,sondern von derjenigen Operation, welche zur Erreichung eines Heilzweckes in derHinwegnahme eines oder beider Hoden besteht. Die große Wichtigkeit dieserOrgane in geschlechtlicher Beziehung und in Beziehung zum übrigen Organismusund selbst zum Seelenleben, machen ihre Entfernung auf operativem Wege immerzu einer der bedeutendsten und folgenreichsten Operationen. Sie ist104


tiAbbildung 11Der berühmteste aller italienischen Gesangskastraten, Farinelli, auf einemGemälde des spanischen Hofmalers Jacopo Amigono, um 1750, im Besitzeder Staatsgalerie Stuttgart. Die im 1730 entstandene Karikatur von MarcoRicci zeigt Farinelli (Mitte) und seine Proportionen auf der Bühne(Aus Ortkemper, H.: »Engel wider Willen", S. 163 u. S. 126)höchst schmerzhaft und hat bisweilen gefährliche Nervenzufälle zur Folge, diedurch eine aufmerksame Nachbehandlung aber sehr vermindert werden. Diedurch die Operation gesetzte Verwundung ist auch an und für sich nicht sobedeutend, daß sie gefürchtet werden könnte, und die mit ihr verbundeneBlutung aus den verletzten Gefäßen kann zwar sehr bedeutend und gefährlichwerden, ist aber meistens von der Art, daß sie durch geeignete Mittel zumStillstand gebracht wird.105


Die nöthigen Instrumente und Verbandsgegenstände sind folgende: ein convexesund ein gerades Messer, eine Schere mit stumpfer Spitze, eine Hohlsonde, diezur Unterbindung blutender Gefäße nöthigen Werkzeuge, eine krumme Heftnadel,nebst mehreren Heftfäden, ein spitzer Haken, Schwämme mit kaltem undwarmem Wasser, ein ausgefasertes Leinwandstreifchen, Heftpflasterstreifen, eineKompresse und eine Binde. Gehilfen sind ungefähr vier nöthig: zwei fixieren denKranken, zwei assistieren dem Operateur. Nach vorläufiger Entleerung desDarmkanals und der Harnblase legt man den Kranken (!) quer über eine mitWachsleinwand bedeckte Matratze und entfernt die Beine voneinander, oder mansetzt ihn auf den Tischrand mit voneinander entfernten Schenkeln und aufStühlen ruhenden Füßen; Kopf und Brust müssen zurückgebeugt und mit Kissenunterstützt werden." (Siehe hierzu auch Abbildung 12)Der zu jenen Zeiten durchaus übliche Eingriff (auch zu anderen Zwecken alsangegeben) wurde als extrem „unmännliche" Tat eigentlich nur im Geheimen undunter vollster Verdrängung der damit zusammenhängenden Konsequenzen fürLeib und Seele der Betroffenen durchgeführt. Sie hat zur Folge, daß durch diesefrühzeitige operative Entfernung der Keimdrüsen der Prozeß der (männlichen)geschlechtlichen Entwicklung nahezu ausgeschaltet wird: Gleichzeitig wird der inTauuL.XU51,NEN I I~I IBIfl~~l~~l~6~NIVU@WNILm IWIUy IjAbbildung 12„Die Kastrierung oderHoden-außschneidung"nach Johannes Scultetus:Wundt-ArztneyischesZeug-Hauss, Frankfurt amMain 1666(Aus Ortkemper, .: „Engelwider Willen", S. 20)106


der Pubertät einsetzende Wachstumsstoß erheblich gebremst, wodurch sichinsbesondere Kehlkopf und Stimmlippen weniger stark vergrößern — derStimmbruch wird vermieden, und die hohe „Knabenstimme" bleibt erhalten.Dabei geht jedoch die übrige körperliche Entwicklung weiter, und da der kindlicheBrustkorb — allerdings erst nach entsprechender zeitlicher Verzögerung — dasVolumen eines erwachsenen Mannes erreicht, kommt in der Folge eine Stimmemit der Kraft und der Resonanz eines Mannes, jedoch mit der Höhe eines Knabezustande — das Opernpublikum jubelte: „Evviva il coltello!" („Es lebe dasMesserchen!") Hierzu sei noch vermerkt, daß normalerweise die Stimmbändereiner Frau etwa 12 mm lang sind, und die männlichen Stimmbänder sich imVerlaufe der Pubertät vom etwa 10 mm auf etwa 18 mm verlängern — das (unterEinfluß der Geschlechtshormone) sehr starke Knochenwachstum bewirkt eine(sichtbare) Vergrößerung des Kehlkopfes (Adamsapfel — wird bei Transsexuellenoft chirurgisch [nicht ungefährlich!] weggeschliffen). Durch diese Vorgängeverringert sich die Schwingfrequenz der Stimme, sie wird voluminöser, und dieSprechstimmlage sinkt um etwa eine Oktave. Gleiche Vorgänge spielen sich(meistens) auch ab bei Frau-zuMann-Transsexuellen, wenn eineAndrogenbehandlung (Testosteron) längere Zeit fortgeführt wird — die dabeierreichten (stimmlichen) Resultate sind oft frappierend.Zurückkommend auf die „castrati", hatte die frühzeitige Kastration weiter zurFolge, daß — infolge der Ausschaltung der Keimdrüsen — auch das Längenwachstumgestört wurde: Der starke Wachstumsschub in der Pubertät blieb aus,und die Knochenreifung wurde verzögert, was wieder mit sich brachte, daß dasLängenwachstum sich auch ab dem 20. Lebensjahr, manchmal bis ins vierteLebensjahrzehnt fortsetzte: Die „castrati" wurden oft sehr lang und dürr mit — imauffälligen Verhältnis zum Körper — zu langen Armen und Beinen. Auf die verbliebenen,überaus zahlreichen Karikaturen des 18. Jahrhunderts wurden dieKastraten entweder als „spindeldürre Latten" oder „kugelrunde Fettwänste”(Ortkemper) abgebildet. Das letztere Phänomen trat auf, wenn bei einem Kastraten,der bereits in seiner frühesten Jugend zur Korpulenz neigte, das Längenwachstumdann allmählich zu Ende ging. Da es keine „castrati" im erwähntenSinne mehr gibt — der letzte sang 1906 in der Sixtinischen Kapelle in Rom —und, wie bereits gesagt, die Umstände rundherum eifrigst verdrängt wurden (nachdem Motto: „Der Zweck heiligt die Mittel..."), ist man für die übrigen Auswirkungender damaligen Frühkastrationen auf unsicheres Quellenmaterial angewiesen.Dort ist vermerkt, daß die sekundären Geschlechtsmerkmale, speziell Bartwuchsund Körperbehaarung, nicht oder nur schwach ausgebildet waren. Ebenso ergabdie veränderte Fettverteilung im Körper entsprechende „weibliche Rundungen",und von etlichen Kastraten hieß es, sie seien sehr gut aussehend, bisweilen schöngewesen. In der Folge wurden sie, da sie ihre Zeugungsfähigkeit zwar verlorenhatten (aber ihr übriges Sexualleben meistens durchaus nicht lahmgelegt war)speziell von Frauen — aber auch von Männern (!) — sehr begehrt alsLiebespartner. Auch heute ist festzustellen, daß etliche Mann-zu-Frau-Transsexuelle mit weiblichen Partnerinnen zusammenleben ... (allerdings jetzt mitvöllig veränderter Ausgangslage).Nach diesen Ausschweifungen zum Thema „castrati" müssen wir allerdingsnatürlich auch anmerken, daß, wenn heutzutage — beispielsweise durch medizi-107


nisch notwendige Operationen oder einen Unfall — eine Kastration im Kindesaltererforderlich wird, die Folgen durch künstliche Hormone erheblich reduziert werdenkönnen. (Siehe hierzu besonders Kapitel 10.)Schließlich kommen wir noch zu sprechen auf die beiden für Männer geschlechtsspezifischenTumorerkrankungen: das Hoden- und das Prostatakarzinom.Während das Hodenkarzinom die Männer im jugendlichen Alter treffenkann (u. a. Hodenhochstand als auslösende Komponente), ist das Prostatakarzinom(Krebs der Vorsteherdrüse) ganz vorwiegend eine Erkrankung im letztenLebensabschnitt des Mannes.Das Hodenkarzinom ist dabei eine eher seltene Erkrankung, die nur einProzent aller bösartigen Tumorbildungen bei Männern ausmacht. Im Alter zwischen20 und 35 Jahren ist das Hodenkarzinom allerdings die häufigsteKrebstodesursache bei Männern. Die Gefahr, an einem Prostatakarzinom zuerkranken nimmt dagegen etwa ab dem fünfzigsten Lebensjahr mit zunehmendemAlter laufend zu. Je älter der Mann wird, umso häufiger tritt die Erkrankung auf.Nach dem Lungenkarzinom ist das Prostatakarzinom bei Männern übrigens diezweithäufigste Krebsart, ab dem sechzigsten Lebensjahr sogar die häufigsteKrebsart geworden.Durch die Entfernung des erkrankten Hodens bzw. beider Hoden (und übereine intensive, mehrmonatige Chemotherapie) wird eine hohe Heilungsrate (biszu 95 Prozent) möglich — allerdings kann die Zeugungsfähigkeit im ersten Falledurch die Entfernung von Lymphknotenmetastasen aus dem Bauchraum unddurch die Chemotherapie sehr oft erheblich beeinträchtigt werden. Für denProstatakrebs ist dagegen vor allem das Stadium der Erkrankung von ausschlaggebenderBedeutung.Wichtig ist, daß der Tumor die Kapsel der befallenen Vorsteherdrüse nochnicht durchbrochen hat und keine Metastasierung im Gange ist. In einem solchenFalle wird eine Hormontherapie notwendig, deren Ziel die Ausschaltung dermännlichen Geschlechtshormone ist (Antiandrogene, Ostrogene): Der Betroffenewird chemisch kastriert, und die Potenz nimmt merkbar ab. Die sogenanntealtersbedingte Prostatavergrößerung („Altmännerkrankheit” oder „benigneProstata-Hyperplasie" [BPH], also die gutartige Vergrößerung der Vorsteherdrüse)ist gleichfalls Gegenstand intensiver Behandlungsmaßnahmen — weltweit müssenDreiviertel der Männer über sechzig mit einer mehr oder weniger gutartigvergrößerten Prostata (macht starke Beschwerden, weil durch die Einengung derHarnröhre das Wasserlassen zur Qual wird und größere Mengen Restharns in derBlase [Nierenvergiftung] zurückbleiben) leben. Entdeckt hat man nun, daß dieProstata sich nicht entwickelt oder verkümmert, wenn von Geburt an oder alsFolge von Operationen (also beispielsweise Kastration) gewisse Enzyme undHormone nicht mehr einwirken (können). Das in der Prostata produzierte FermentAromatase beispielsweise bewirkt die Umwandlung des männlichenSexualhormons Testosteron in Ostrogene, die als solche wieder in der Prostata dasWachstum des Stützgewebes stimulieren. Eine zweite Substanz aus der Prostata,das 5-Alpha-Reductase-Enzym, verwandelt sodann Testosteron inDihydrotestosteron, welches gleichfalls das Stützgewebe der Prostata zurGewebswucherung veranlaßt — Testosteron als solches vergrößert dagegen die108


inneren, eher drüsigen Anteile. Eine gutartige Prostatawucherung, auchAdenonom genannt, entsteht also immer dann, wenn das Hormon- und Enzymgleichgewichtaus den Fugen gerät — aus welchen Gründen dies geschieht, istallerdings immer noch nicht genau bekannt. Über den neu entwickelten 5-Alpha-Reductase-Hemmer „Finarid" wird nun neuerdings versucht, die Wandlung vonTestosteron in Dihydrotestosteron zu unterbinden — und damit das Wachstumder Prostata — zu stoppen — angeblich ohne Einfluß auf Libido, Potenz undZeugungsfähigkeit, wie dies bei den anderen, bisher bekannten Verfahren(Skalpell, Hobel, Hitze) sehr oft der Fall ist.Wie die bei Mann-zu-Frau-Transsexuellen jeweils erforderliche Hormontherapiedie Prostata allerdings beeinflußt, dürfte individuell verschieden sein — jedenfallssind auch hier Beschwerden vorprogrammiert, speziell bezüglich möglicherLangzeitfolgen (beispielsweise bei unregelmäßiger bzw. nicht fachgemäßerVerabreichung von Ostrogenen oder Antiandrogenen). Als direkte Folge einer solchenHormontherapie geht bei nicht operierten männlichen Transsexuellenzudem die Spermaproduktion (95 Prozent der Flüssigkeit stammt aus derProstata, nur 5 Prozent sind Samenzellen) extrem zurück, und — speziell inspäteren Jahren — werden „trockene Orgasmen" die Regel. Hierbei könnteallerdings auch ein Teil des Sekrets nach rückwärts in die Blase entleert werden— eine solche „retrogade Ejakulation" kann auch bei Prostataoperationen alssolcher auftreten. Schließlich sei noch festgehalten, daß — obwohl keinewissenschaftlichen Beweise bis heute vorliegen — es Erkenntnisse darüber gibt,daß regelmäßiger Sex (auch speziell analer Sex) einem Prostataadenom vorbeugenkann, da der Sex eine bessere Druchblutung der Vorsteherdrüse bewirkt. DieseFeststellung kann allerdings nur für Männer gelten: Frauen haben keine Prostata... (jedenfalls nicht die biologischen!).„Witz der Woche" in einer großen Illustrierten:Nach dem Stierkampf betritt der Tourist ein Restaurant und verlangt etwas Ortstypisches.„Dann nehmen Sie ColOnes!" sagt der Kellner und kehrt mit einem Teller zurück, auf dem zweidampfende kokosnußartige Gebilde liegen. » Was ist das?" fragt der Tourist.„Nun", antwortet der Kellner, „wenn Stier verlieren Kampf, werden seine Hoden erstem Gastserviert." Zuerst ekelt der sich, stellt dann aber fest, daß es ausgezeichnet schmeckt. EineWoche später ist er wieder da und bestellt weltmännisch Coj6nes. „Hören sie mal", mäkelt er,als der Kellner den Teller bringt, » letztes Mal waren die aber viel größer."„Na ja", sagt der Kellner, „Stier verlieren nicht immer!"109


Weibliche KastrationsphänomeneIn den USA haben bereits viele Millionen Frauen - wie auch viele europäische -sich einer sogenannten Hysterektomie unterzogen, d. h. einer operativen Entfernungder Gebärmutter, die also verfrüht die Zeit der Menstruation beendet. Sehr oft wirddabei auch der empfindliche Zervix (Muttermund) und der obere Abschnitt derVagina entfernt (sogenannte Totaloperation), manchmal zusätzlich auch noch dieOvarien. Letzteres wird speziell empfohlen, wenn die Frau älter als vierzig Jahr ist— die Gründe dafür (u. a. zwecks Vorbeugung von Ovarialkrebs) sind allerdingsvon Fall zu Fall sehr umstritten. Logischerweise ist die operative Entfernung derOvarien somit Anlaß zu einer abrupten (weil jetzt künstlich) herbeigeführtenMenopause, die unabänderlich von Hitzewallungen, Stimmungsschwankungen undanderen „Wechsel"-Symptomen (meistens in überaus verstärkter Form) verbundenist — wir erinnern daran, daß bei der natürlichen Menopause ein sehr allmählichverlaufender Prozeß vonstatten geht, der Körper sich also darauf einstellen kann.Auch die Wirksamkeit der natürlichen Hormone sollte deshalb so lange wie möglichausgenützt werden — es gilt als bewiesen, daß bei in früheren Jahren „kastrierten"Frauen eine viel höhere Gefahr besteht, eine schwere Osteoporose (Schwund derKnochenmasse) zu bekommen. Ebenso nimmt die Gefahr zu, einen Herzanfall zuerleiden.Für eine Hysterektomie bestehen normalerweise die nachfolgenden medizinischenIndikationen:- Krebs der Fortpflanzungsorgane- nicht mit anderen Mitteln behandelbaren Erkrankungen der Eileiter bzw. derOvarien- große Bindegewebstumoren (Myome)- überstarke Blutungen, die mit anderen Mitteln (Erweiterung und Ausschabung derGebärmutter) nicht bekämpft werden können.- aus Sterilisierungsgründen (allerdings heute nicht mehr als Rechtfertigung für eineHysterektomie angesehen)Das Vorhandensein von Myomen ist nicht immer ein Grund zur Entfernung derGebärmutter — manchmal kann der als störend empfundene Bindegewebstumorauch operativ herausgeschält werden. Myome (Myoma laevicellulare) an sichbestehen aus glatten Muskelzellen fibroiden Charakters und treten am häufigstenab 30 bis 35 Jahren auf (in manchen ethnischen Gruppen sind bis zu fünfzigProzent der Frauen davon betroffen). Die meisten Myome bleiben klein (oderwachsen nur langsam) und werden selten bösartig — allerdings gibt es auchFibroidformen, die sehr groß werden können (und dann mehrere Kilo wiegen).Im generellen Sinne kann sodann noch festgestellt werden, daß nach Eingriffenim Genitalbereich der Frau sexuelle Funktionsbeeinträchtigungen wesentlich seltenerund diffuser (im Sinne der Symptome) auftreten. Sie sind also eher psychosozialerNatur, ganz im Gegensatz zu den Gegebenheiten beim Mann, wo durchNervenverletzungen sehr häufig sexuell-funktionelle Störungen organischer Natur(speziell Potenz- und Orgasmusprobleme) auftreten können. Zudem können solcheGenitaloperationen, wie die Hysterektomie bzw. die Ovarektomie, auch110


des öfteren einen überaus positiven Einfluß auf das Sexualleben haben, weilbeispielsweise Ängste im Zusammenhang generell mit der Fortpflanzung — undspeziell mit einer ungewollten Schwangerschaft —, die für das Sexualleben derFrau wesentlich bedeutsamer sind als das bloße Vorhandensein vonGebärmutter oder Eierstöcken, erheblich gemildert werden bzw. komplettverschwinden. Insofern bedeutet im patriarchalischen System der westlichenGesellschaften — und dies speziell in den USA — für viele Frauen die Tatsacheeiner „Kastration" eine ganz andere Wertstellung als für den Mann: Eine solchverschiedenartige Abwägung der Auswirkungen von genitalen Operationenseitens der beiden Geschlechter dürfte auch für den Transsexualismusbereicheine nicht unwesentliche Rolle spielen.Bei der in außereuropäischen Kulturen (speziell in West- und Ostafrika) nochweit verbreiteten Praxis der Beschneidung der (weiblichen) Geschlechtsorgane (inMali, Sierra Leone und Somalia ist beispielsweise fast jede Frau betroffen) ist dieserEingriff Grund für die verschiedensten, teils überaus einschneidendenKomplikationen. Viele Frauen werden unfruchtbar, andere sterben auch an denFolgen, und oft kommt es zu schweren Blutungen, Wundstarrkrampf und andereInfektionen. Als Spätfolgen drohen häufig Blasen- und besonders Niereninfektionen.Die deutsche Forscherin Hanny Lightfoot-Klein befragte im direktenAuftrag der Weltgesundheitsorganisation WHO (immerhin sind rund 100 MillionenFrauen in dreißig Staaten betroffen) während dreier Aufenthalte im Sudan mehrals dreihundert Frauen aus allen Schichten der Bevölkerung. Dabei galt ihrInteresse vor allem den Auswirkungen der Beschneidung auf das Gefühls- undSexualleben der betroffenen Frauen (publiziert u. a. im Fischer-Taschenbuch „Dasgrausame Ritual", 1992 und in Sexualmedizin, Bd. 22, 1993) — die nachfolgendenInformationen vermögen jedoch nur einen Auszug daraus zu bieten. Das nicht nurfür westliche Begriffe grausame Ritual der Beschneidungszeremonien hat sich —typisch für die Kraft solcher patriarchalischer Traditionen — vor allem unter denArmen und Analphabeten in Afrika über Jahrtausende gehalten — angeblich gabes die Klitorisbeschneidung bereits in pharaonischen Zeiten, doch sehr viel mehrist über Ursprung und frühere Bedeutung nicht bekannt. Oft glauben vor allemeinfachere Leute, die Beschneidung werde aus religiösen Gründen von ihnen verlangt;aber der Islam hat damit genausowenig zu tun wie Christentum oderJudentum. Trotzdem beschneiden etwa zwanzig Prozent der Moslems in Afrikaund Asien, aber auch christliche und sogar jüdische Gemeinschaften ihre weiblichenNachkommen. Diesbezüglich ist noch festzuhalten, daß die Wahrung diesesJahrtausende alten Brauchtums in erster Linie den Frauen — und insbesondereden alten Frauen — obliegt — im privaten (Frauen-)Bereich haben die Männernichts zu melden. Zudem kommt hinzu, daß der „Liebesakt" als solcher mit einerweitgehend zugenähten und (meistens) vernarbten Frau auch für den Mann einedoch überaus schmerzhafte Angelegenheit ist — es sich also um einen von beidenSeiten ungeliebten Brauch handelt. Hierbei stützen sich die Clans der alten Frauenund der Hebammen sehr oft auf vielerlei wirre Vorstellungen über die weiblicheSexualität. Einer unbeschnittenen Frau mit intakten Genitalien hingegen wirdunersättliche sexuelle Gier nachgesagt, die unweigerlich zur Prostitution führe: InBurkina Faso glauben viele Menschen überdies, die Klitoris könne Männerimpotent machen, und in vielen ländlichen Gebieten speziell Ägyptens111


und des Sudans ist man überzeugt, die weiblichen Genitalien müßten entferntwerden, sonst würden sie der Frau später zwischen den Beinen baumeln. DieTagouana an der Elfenbeinküste behaupten, eine unbeschnittene Frau könne nicht„empfangen", während die Bambara am oberen Niger die Klitoris für so giftighalten, daß sie einen Mann töten (!) würde, wenn er während des Liebesakts mitihr in Berührung käme. Neuere Begründungen, speziell unter derLandbevölkerung Ägyptens und des Sudans, suggerieren schließlich die genitaleVerstümmelung der Frau als „modern" und „hygienisch" — denheranwachsenden Mädchen wird die Illusion vermittelt, nach der (blutigen)Beschneidung würden sie „sauber" sein, vor allem „gut riechen" und dadurch„attraktiver" für den Mann werden, ihre Ehechancen würden somit steigern.Die Beschneidungsvorgänge umfassen normalerweise die Amputation derKlitoris sowie der kleinen und großen Schamlippen — bei der sogenanntenpharaonischen Beschneidung (auch Infibulation genannt) geht dieVerstümmelung jedoch noch bedeutend weiter: Von den äußeren Genitalienbleibt praktisch nichts mehr übrig...Diese sogenannte „radikale" Beschneidungsoperation schließt sowohl dieAusschneidung der Klitoris und der kleinen Labien (Schamlippen) als auch dieEntfernung der inneren Schichten der großen Labien ein: Anschließend werdendie verbleibenden äußeren Ränder der großen Schamlippen so zusammengenäht,daß nur eine wenige Millimeter große Öffnung verbleibt. Nach den Erfahrungenvon Hanny Lightfoot-Klein wird diese Prozedur nur in den größeren Städten inklinikähnlichen Einrichtungen vorgenommen — auf dem Lande hingegen sind inaller Regel nur unzureichend ausgebildete Hebammen dafür zuständig. Ebensowurde offensichtlich, daß die Menarche (Einsetzen der Blutungen) für die heranwachsendenMädchen ein immenses Problem darstellt, da die nach der Beschneidungverbliebene Öffnung kaum für den Abfluß der Monatsblutung ausreiche.Depressionen seine keine Seltenheit, und später stelle vor allem die Hochzeitsnachtein seelisches und körperliches Trauma dar. Der Geschlechtsverkehrist erst mal kaum möglich bzw. kann nur unter großen Schmerzen (auch für denMann) erfolgen. Oft wird das vernarbte Gewebe wieder aufgerissen oder neu aufgeschnitten,damit die Ehe vollzogen werden kann (Penetration!). Ebenso ist imFalle einer Schwangerschaft der nächste Horror vorprogrammiert: Durch dieInfibulationsnarben ist das Gewebe nicht mehr dehnbar genug für eine normaleGeburt, und es muß erneut aufgeschnitten bzw. zugenäht werden — fast immerohne Betäubung oder wirksame Schmerzmittel. Andererseits bestehen in vielenFällen die jungen Mütter sogar auf einer solchen „Refibulation" nach der Geburt,damit sie für ihre Männer ein möglichst „enges Futteral" haben. Viele Sudanesinnensind überzeugt, daß ihr Ehemann sich eine andere Frau nehmen würde,wenn sie sich nicht nach jeder Geburt wieder „reparieren" lassen. Die im Grundepatriarchalisch initiierte Beschneidungstradition erreicht auf diese Weise, daßtypischerweise gerade die Opfer dieses Rituals, also die Fauen selbst, denEingriff vehement verteidigen (auch im transsexuellen Sektor, speziell bei Frauzu-MannTranssexuellentrifft man gleichfalls des öfteren eine solche kuriose„Opferlogik" an).112


Erstaunlich in der WHO-Untersuchung sei jedoch auch die Feststellung gewesen,daß — im Gegensatz zu den Erwartungen der Forscherin Hanny Lightfoot-Klein — die meisten aller von ihr befragten Frauen angaben, während desGeschlechtsverkehrs „Höhepunkte" zu erleben. Auch hier sei wieder — wie in derTranssexualitäts-Thematik — die (objektive) Fragestellung erlaubt: „Wahr odernicht wahr?, Realität oder Phantasie?" Denn wir treffen ein solches höchst individuellesInterpretationsdenken über psychosomatische (subjektive) Vorgängebesonders auch bei vielen geschlechtsgewandelten Mann-zu-Frau-Transsexuellenan — es gibt sogar solche, die darüber lyrische Abhandlungen (!) veröffentlichen -„illusio virilis" also immer wieder, „koste es, was es wolle" (sogar dieGlaubwürdigkeit...). Nicht umsonst hat die bekannte Schauspielerin Zsa ZsaGabor mal gesagt: „Der Jammer mit den Männern ist, daß sie von sich auf Frauenschließen." Wie recht sie hat!113


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KAPITEL 9AUßERE GESCHLECHTSMERKMALEVERÄNDERNDE OPERATIVE EINGRIFFERechtfertigung und KritikWir müssen für die (Kurz-)Beschreibung transsexueller Operationstechnikennochmals ausdrücklich darauf hinweisen, daß ein grundsätzlicher Unterschiedgemacht werden sollte zwischen biologischer Intersexualität(Hermaphroditismus: „Irrtum der Natur") und psychischer Intersexualität(Transsexualität: „Irrtum des Menschen"). Dies ist in erster Linie deshalb erforderlich,um die heutzutage (aus welchen Gründen dann auch) üblicheVermischung beider sexuellen Erscheinungsformen entgegenzutreten, die dazugeführt hat, daß in der Öffentlichkeit (und wohl auch bei vielen Betroffenen) einüberaus konfuses Bild entstanden ist — Transsexualität wird (je nach Bedarf) alsHermaphroditismus verkauft und umgekehrt. Bezeichnend für eine solch gewollteVerlagerung der Modalitäten sei hier der nachfolgende Artikel von der transsexuellenRechtsanwältin Maria Sabine Augstein zitiert (aus: „Sexualmedizin"7/1983, S. 307 - 308):115


In seinem Leitartikel »Das Monster Mensch« (Sexualmedizin, Dez.1982) hat Heinz Schestak geschlechtsangleichende Operationenan Transsexuellen zu den Erscheinungen gerechnet, die eineSchauer-Utopie Wirklichkeit werden lassen, und mitGenmanipulationen und Psychochirurgie auf eine Stufe gestellt.Mit dieser Zuweisung wird den geschlechtsangleichend operiertenTranssexuellen (richtiger: ehemaligen Transsexuellen) in letzterKonsequenz das Menschsein abgesprochen.TS-Operation keinmedizinischer SonderfallGesellschaftliche Integration steht im VordergrundEine solche Auffassung verteufeltdiese Operationen auf eine Art, dieschon medizinisch nicht haltbar ist.Die einzelnen Verfahren, die angewendetwerden, sind zu anderen Indikationenund wesentlich früherentwickelt worden, ehe die Operationenan Transsexuellen zur Debattestanden. Bereits 1817 wurde das Problem,einer Frau ohne Scheide einesolche anzulegen, chirurgisch zu lösenversucht (1). Operationen, umdie Brust zu vergrößern oder zu verkleinern,wurden im Zuge der kosmetischenChirurgie entwickelt. EineHysterektomie wird aus allenmöglichen Gründen vorgenommen.Über die Penisnachbildung beiMännern mit entsprechenden UnfalloderKriegsverletzungen hat sich dieMedizin schon lange Gedankengemacht, bevor sich diese Frage tarFrau-zu-Mann-Transsexuelle stellte.Auch findet niemand etwas dabei,wenn genau dieselben Ein-griffe an dem Personenkreis der Intersexedurchgeführt werden.Nehmen wir z.B. einen Fall von Klinefelter-Syndrom:Bei äußeremmännlichen Genitale besteht einXXY-Chromosomensatz, so daßsich in der Pubertät eine weiblicheBrust bildet (2). Ist die Geschlechtsidentitätpsychosexuell männlich,werden männliche Hormone verabreicht,und die eventuell vorhandeneBrust wird reduziert. Umgekehrtwerden bei einer psychosexuellweiblichen Geschlechtsidentitätweibliche Hormone gegeben, und wiebei Mann-zur-Frau-Transsexuellenwird ein weibliches Genitalegeschaffen. Die an Transsexuellendurchgeführten Operationen stellenalso keinen medizinischen Sonderfalldar.Die Unterschiede zwischen geschlechtsangleichendenOperatio-116


nen und den geschilderten Horrorvisionenspringen doch ins Auge. Dertransferierte Embryo. der genmanipulierteoder psychochirurgisch amGehirn operierte Mensch werden zubloßen Objekten degradiert. Hingegenerstreiten sich Transsexuelleeine operative Geschlechtsumwandlung(die ihnen ja nicht aufgedrängtwird - ganz im Gegenteil!) als handelndeSubjekte. Diese Operationendienen denn auch dem Interesse desIndividuums an dem sie durchgeführtwerden, im Gegensatz zu denanderen Phänomenen. Und last notleast: Die Transsexualität ist keineneuzeitliche Erscheinung. Es gab siezu allen Zeiten. in allen Kulturen(3). Sie ist nicht erst das Ergebnisder modernen chirurgischenMöglichkeiten. Wie kann all dasübersehen werden?Den Gegnern solcher Operationen.etwa Reimut Reiche, geht es nicht umden Eingriff als solchen, sondern umdie damit geschaffene Möglichkeit.sein Geschlecht zu wechseln. DieseVorstellung ängstigt die Gemüter undwird deshalb abgelehnt. Man weißsehr wohl. daß ohne die geschlechtsangleichendeOperationdie empfundene Geschlechtsidentitätsozial und gesellschaftlich nichtanerkannt wird. Transsexuellekönnten immer auf ihr biologischesGeschlecht verwiesen werden. undder Gesellschaft bliebe eine Auseinandersetzungmit der Transsexualitäterspart. Ein Blick in die Geschichtezeigt. daß eine Gesellschaft ohne dieMöglichkeit der operativen Geschlechtsumwandlungdas Phänomender Transsexualität nicht einmal zurKenntnis nimmt. Die Dämonisierungdieser Operationen wird als Mitteleingesetzt, den unerwünschtenGeschlechtswechsel zu bekämpfen.Ein anderes Mittel ist. dieMöglichkeit eines Geschlechtswechsels- also auch nach den geschlechtsangleichendenOperatirnen- überhaupt zu leugnen. Es ist keinZufall. daß beides oft zusammentrifft.Bezeichnenderweise wirdder Begriff »Transsexualität« auchdann noch bei Personen angewandt.wenn sie bereits geschlechtsangleichendoperiert sind. So kann sich dieGesellschaft bequem ausgrenzen.Wem es wirklich nur um die geschlechtsangleichendenOperationengeht. der/die akzeptiere Transsexuelleauch ohne diese Eingriffeentsprechend dem gefühlten Geschlechtvorbehaltlos als Frauenbzw. Männer. Dazu gehören dannaber auch intime Beziehungen. Einheterosexueller Mann mag sich z.B.ehrlich fragen, ob er mit einer nichtoperierten Mann-zur-Frau-Transsexuellenauch auf Dauer eine sexuelleBeziehung haben könnte.Vielleicht wird es einmal eine Gesellschaftgeben, in der es nicht mehrnotwendig ist, die geschlechtsangleichendenOperationen durchzuführen,damit ein Geschlechtswechselanerkannt wird. Dann wird man sehen,ob trotzdem ein Bedürfnis danachbestehen bleiben wird odernicht. Jedenfalls ist es voreilig anzunehmen,der Wunsch nach operativerGeschlechtsumwandlung sei nurneuzeitlich-gesellschaftlich bedingt.Von den Gegnern dieser Operationenerwarte ich mindestens die Einsicht,daß eine Dämonisierung derOperationen nicht die Gesellschaft,sondern deren Opfer - die Transsexuelleneben - trifft. Deshalb ist eineVerteufelung unverantwortlich.Anmerkungen:I. vgl. Hunt. N.: Mirror Image. S. 9, New York: Holt.Rinehart and Winston (1978); zum Mayer-Rokitansky-Kilster-Hauser-Syndrom: Eicher. W. u. I. Schmid-Tannwald: Intersexualität und Transsexualismus. In:W. Eicher (Hrsg.): Sexualmedizin in der Praxis. Einkurzes Handbuch. S. 228ff.. Stuttgart. New York: G.Fischer (1980); 2. vgl. Eicher. W. u. I. Schmid-Tannwald, in t„ S. 214f .; 3. vgl. Baumann. H.: Dasdoppelte Geschlecht. Abschnitt l: Der kultischeGeschlechtswandel. S. 14f .. Berlin: Dietrich-Reimer (1955); Hierzu sei bemerkt, daß es Heilkräuter mit derWirkung gegengeschlechtlicher Hormone .chon immergegeben hat, und daß die Entfernung des mannlichenGenaales als rudimentäre Form einer operativenGeschlechtsangleichung von männlich nach weiblichschon immer zur Verfügung gestanden hat und auchso eingesetzt wurde.RA in Maria Sabine AugsteinGartenstr. 128000 München 40 117


Die nahtlose Vermischung von hermaphroditischen Phänomenen (Klinefelter-Syndrom), medizinisch bedingten Eingriffen (Hysterektomie) sowie zudem solchenaus Unfall- oder Kriegsverletzungen als Begründung für transsexuelleOperationen ist der typische Beweis für die bereits früher von der Autorin aufgestellteVermutung ganz gewollter Täuschungsmanöver in der Transsexualitätsthematik:Ein „Das-Mittel-wird-zum-Zweck"-Denken greift immer mehr um sich.Auch die öfter gebräuchliche „Rechtfertigung" bei operierten Transsexuellen,„man hätte ja beides gehabt", paßt in einer solchen Verschleierungstaktik nachaußen, wie wir sie bereits an anderer Stelle kennengelernt haben —Hermaphroditentum allenthalben... Homosexuelle Konstellationen werdendagegen einfach nicht zur Kenntnis genommen.Der nachfolgende Artikel seitens der beiden Psychotherapeuten Meyenburgund Ihlenfeld bezieht sich auf eine ähnliche, überaus kritischeStellungnahme Augsteins in „Sexualmedizin 12/1982" bezüglich einer ihrerPublikationen in „Sexualmedizin 7/1982" — die Konfrontation beiderDenkrichtungen in der transsexuellen Thematik wird hierbei überdeutlich.118


Unser Bericht über den gegenwärtigen Stand psychotherapeutischerArbeit mit geschlechtsidentitätsgestörten Patienten in den USA(Sexualmedizin, 7/1982) wurde von der Rechtsanwältin MariaSabine Augstein in der Dezember-Ausgabe kritisiert. Sie fürchtet,daß die »medizinische Meinung in Richtung Psychotherapieumschlägt« und »daß auch die Rechtsprechung zuungunsten derTranssexuellen umkippt und eine Kostenübernahme für dieOperation grundsätzlich nicht mehr zu erhalten sein wird«.Psychotherapiefür TranssexuelleGeschlechtsangleichende Operation prinzipiell unerwünschtEs ist absurd und entbehrt jederGrundlage, wenn uns Maria SabineAugstein vorwirft, wir würden nichtüber transsexuelle Patienten. sondernüber »Patienten mit einer originärenhomosexuellen Geschlechtsidentität«berichten. Offenbar wurde nichtverstanden, was »Geschlechtsidentität«ist. »Homosexualität« isteine Form der Objektwahl. Die sexuelleObjektwahl ist grundsätzlich zuunterscheiden von der Geschlechtsidentität,welche ein fundamentalerBaustein der Persönlichkeitsstrukturist. Ist die Geschlechtsidentität gestört,liegen fast zwangsläufig tiefgreifendePersönlichkeitsstörungen vor. Da einegestörte Geschlechtsidentität dieLösung eines schwerenintrapsychischen Konfliktes ist, hältdie betroffene Person an diesem Lösungsversuchfest und denkt in allerRegel nicht daran, den oft resultierendenWunsch nach Geschlechtswechselaufzugeben oder sich gar ei-ner langdauernden, meist schmerzlichen und teuren Psychotherapie zuunterziehen. Dies erklärt die äußerstkleine Zahl von Patienten, die einpsychotherapeutisches Arbeitsbündniseingeht.Wir möchten durchaus nicht alle geschlechtsidentitätsgestörtenIndividuenpsychotherapieren. Das wird sicherauch niemals möglich oder garwünschenswert sein. Der Wert insbesondereder Psychoanalyse liegt ineinem besseren Verständnis der psychodynamischenProzesse, die zumWunsch nach Geschlechtswechselführen, und weniger in einer allgemeinanwendbaren Therapiemethode. Wirhaben deutlich gesagt, daßgeschlechtsverändernde medizinischeund chirurgische Therapien hilfreichsein können und nach wie vor in denUSA angewendet werden.Anscheinend meint Frau Augstein, wirseien unseren transsexuellen Patientengegenüber feindlich eingestellt.Tatsächlich ist es so, daß wir im119


esten Interesse unserer Patienten zuhandeln suchen, was viele bekräftigenkönnen.Ganz richtig hat uns die Kritikerinverstanden, daß geschlechtsveränderndeOperationen prinzipiell unerwünschtsind. Sie sind in der Tateine grausige Therapie tür ein Leiden,das eben nicht in einer simplenFehlschaltung besteht, die einerKorrektur bedürfe. Es sind nichttragischerweise »richtige« Hirne im»falschen« Körper gelandet. DerWunsch nach Geschlechtswechsel istdie Lösung eines tiefen intrapsychischenKonfliktes, der nach unseremheutigen Wissensstand seineWurzeln in der frühesten Mutter-Kind-Beziehung hat.Es ist zu begrüßen, daß sich die medizinischeLehrmeinung allmählichändert. Diese Entwicklung begannnicht erst vor kurzem, sondern schonvor vielen Jahren - auch in Europa,wie der von Frau Augstein zitiertenArbeit von V. Sigusch et a1. zu entnehmenist. Begrüßenswert ist, daß -unter bestimmten Bedingungen - einepsychotherapeutische Arbeit mitgeschlechtsidentitätsgestörtenMenschen als möglich erkannt wurde.In unserer eigenen psychotherapeutischenArbeit zählen zu solchenBedingungen schwere Depressionenmit wiederholten Suizidversuchenoder sekundäre Konflikte mit derFamilie, mit der sozialen Umweltoder mit der eigenen religiösen Oberzeugung.gestörten Geschlechtsidentität zu leben.ohne sich den - doch! - verstümmelndenund gefährlichen medizinischenund chirurgischen geschlechtsveränderndenEingriffenunterziehen zu müssen. Einen aus.führlichen Bericht über eine solchetherapeutische Arbeit bereiten wirgegenwärtig vor.Dr. Bernd MeyenburgDept. of Child and AdolescentPsychiatrySt. Luke's-Roosevelt HospitalCenter 428 West 59th Street NewYork, N.Y. 10019Charles L. Ihlenfeld, M. D.Dept. of PsychiatrySt. Luke's-Roosevelt Hospital CenterAmsterdam Avenue at 113 1 h StreetNew York, N.Y. 10025Ja. es ist ein humanes und realistischesTherapieziel. Patienten zu befähigen,mit den Problemen ihrer120


Geschlechtsanpassende Maßnahmen bei Mann-zu-Frau-TranssexuellenDie heutzutage übliche Operationstechnik bei transsexuellen Männern geht imGrunde aus von einem (uralten) männlich orientierten Denkmodell, daß Frauen imPrinzip die gleichen Genitalien wie Männer haben, nur im statt außerhalb des Körpers.Hierbei wurde die letzte Konstellation damit begründet, daß Frauen an sich»minderwertige Männer" wären (nur » geringere" Körperteile), so daß die Ovarien nochim 19. Jahrhundert als weibliche „testiculi" (Hoden) bezeichnet wurden. Der römischeArzt Galen (129 - 199 n. Chr.), von griechischer Herkunft und neben Hippokrateseiner der bedeutendsten Ärzte der Antike, arbeitete das vorgenannte Denkmodell amweitesten aus. Er forderte in seinen über Jahrhunderte die Heilkunst beherrschendenSchriften die (damaligen) Ärzte auf, die weiblichen Genitalien als lediglichumgestülpte männliche Geschlechtsorgane zu betrachten: Penis zur Vagina undSkrotum (Hodensack) zum Uterus (Gebärmutter) umgewandelt. Es ist dies einErklärungsschema, das in der damaligen „Säfte"-Lehre die Vermischung dermännlichen und weiblichen Samenzellen (von weiblichen Eizellen wußte man nichts!)sicherstellen sollte: Hierfür wurde die jeweilige sexuelle Erregung derGeschlechtspartner („Hitze") als erforderlich erachtet.In diesem (männlichen) Denken der spiegelbildlichen Gleichheit der Körper(sogenanntes Homologie-Modell) konnte in der Folge das Faktum der direktenGeschlechtsumwandlung deshalb als durchaus reale Normalität erfahren werden.Besonders im Volksglauben (siehe hierzu » Wörterbuch des deutschen Aberglaubens")und in Halluzinationen wurden — ähnlich wie bei vielen Naturvölkern — irrealeLösungen diesbezüglich gesucht (unter einem Regenbogen hindurchgehen oder auch,wie in der griechischen Mythologie, in einem Jungbrunnen baden usw.). Erst imZeitalter der Aufklärung wurde ein neues Eindeutigkeitsdenken eingebracht, dasdavonausging, daß die alte Annahme der „Doppelgeschlechtlichkeit” (welches speziellauch Zwitter tolerierte) in der menschlichen Bewertung der Geschlechter nicht mehr zurechtfertigen sei. Das Modell der sogenannten Geschlechterdifferenzierung wurde —über die besonders jetzt gesellschaftliche Höherbewertung des Mannes nochpatriarchalischer als bis dahin — allmählich zum bis heute immer noch dominierendengesellschaftlichen Kulturaxiom. Besonders biologische Intersexuelle (siehe hierzu auchKapitel 14) wurden in diesem neuen Denken nun aus dem bisher gültigen Status derDoppelgeschlechtlichkeit (wobei, wie in der griechischen Antike, die Existenz beiderGeschlechter in einer Person mit einem jeweiligen Überwiegen derGeschlechtsmerkmale als Richtschnur für die gesellschaftliche Einordnung galt) in einePosition der geschlechtlichen Ungewißheit verlagert, welche künftig hauptsächlich imgesellschaftspolitischen Sinne zu regeln sei — die Moral würde fortan über dieToleranz siegen, die Kultur über die Natur. Ähnlich verfuhr man ab jenen Zeiten auchmit den bis dahin mehr oder wenig tolerierten (häufigen) Phänomenen der Gleichgeschlechtlichkeitspeziell des Mannes (Sodomie). Hierbei ist ganz besondersinteressant festzustellen, daß im Mittelalter (wie jetzt auch noch beispielsweise inarabischen Ländern oder auch bei vielen rezenten Naturvölkern) die „Somomiten", diebis dahin sexuelle Beziehungen zu männlichen Jugendlichen121


wie zu Frauen hatten, ihre „Männlichkeit" dabei absolut nicht einzubüßen drohten.Denn dies geschah erst, als im 19. Jahrhundert die (europäische) Homosexualitätdes Mannes unter das Zeichen der Verweiblichung und die Altersbzw.die Aktiv-passiv-Einstufung im unterscheidenden Sinne immer mehr unterdie gesellschaftlichen Räder gerieten. Der frühere „unnatürliche" Gebrauch derZeugungsglieder wurde im aufkommenden Bürgertum nun zum Politikum eines„Verbrechens gegen die Natur" umfunktioniert. Und dort sind wir, in den Köpfender Menschen zutiefst eingeschliffen, immer noch stehengeblieben — obwohl esdie Wissenschaft (in den letzten Jahrzehnten) und die Natur (schon immer)besser wußten. Die bis heute nahtlose, widerspruchslose Konstituierung desFaktums einer eigenständigen Transsexualitätsveranlagung in diegesellschaftliche Wirklichkeit ist der beste Beweis dafür, daß das alte AktivpassivHomosexualitätsdenkensich (wieder) zu etablieren angefangen hat —Mittelalter statt Hirschfeld ist angesagt!In diesem inzwischen sehr populären Denkmodell bedeutet dann — von derschwulen Szene ganz bewußt kolportiert und inszeniert — Homosexualität inerster Linie Sexualität unter Männern: „Männlichkeit" ist Trumpf. Alles (Passiv-)„Weibliche” wird (zumindest nach außen) ausgegrenzt, die traditionelle „Tunte"nach Möglichkeit unterdrückt bzw. als „Transsexualität" neu definiert und eingeordnet.Das alte (ausgleichende) Homologie-Modell der Geschlechter finden wir beiden heutigen, darauf abzielenden geschlechtskorrigierenden Operationstechnikengleichfalls wieder — in Casablance fing Dr. Charles Burou mit der Technik des„Stülpens" (jedenfalls für die männlichen Transsexuellen voll ausgearbeitet) Endeder fünfziger Jahre an, und inzwischen sind fast alle Geschlechtschirurgen inseine Fußstapfen getreten (einer der zur Zeit wohl bekanntesten europäischenGeschlechtschirurgen ist Dr. Paul Daverio in Lausanne, Schweiz). Das Prinzip derbeschriebenen Operationsmethodik besteht in der Folge darin, daß der Penis vollständigausgehöhlt wird und dann durch einen Einschnitt im Dammbereich handschuhartigumgestülpt wird — dabei dient die solcherart gewendete Penishaut alsAuskleidung der chirurgisch neu geschaffenen Vaginaöffnung. Wenn die so umgestülptePenishaut flächenmäßig nicht ausreicht, um eine ausreichend tiefe undweite Vagina herzustellen, wird zur jeweiligen vaginalen Auskleidung auchSkrotumhaut verwendet. Ebenso können zu einem solchen Zweck auch Hautlappenaus dem Unterarm oder sogar Darmsegmente verwendet werden: Dieseletztere Operationsmethode bietet die besten funktionsbezogenen Resultate(natürliche, funktionelle Gleitfähigkeit, keine Vaginalverengungen bzw. -schrumpfungen, kein Dauertragen von Bougierprothesen), gilt jedoch (ausGründen der höheren Blutungs- und Vergiftungsgefahr) als recht risikoreich. Ineinigen Operationsverfahren werden sodann noch die Eichel oder auch Teile vonihr als Klitoris (-"Andeutung") verwendet, während die beiden Penisschwellkörperals Schamlippenauspolsterung fungieren — eine künstliche Vagina (Neovagina)kann diesbezüglich (natürlich auch patientenabhängig) sehr aufwendig(und damit relativ „echt" nach außen) „konstruiert" werden. Siehe für ausführlicheInformationen auch <strong>Kamermans</strong>, J.: „Mythos Geschlechtswandel", S. 219 223sowie Abbildung 13: „Operations-Bilder-Collage"122


15.000 kroner er, hvad John Dubai,2 ,-ddg ddllgera prefeulonel guided, hair betaft foretfà drat tkirat at For at mkshe pie og noses, widenahanes for nagensinda at fit dent Won. Per at te ankunatlg eked*, to tad patter og Ildt rundere hotter.lived Ville du give for at fa lov a dinflaaamandl Nvle nog barberélada-akarpville


Abbildung 13: Foto-Collage einer geschlechtskorrigierendenOperation (aus einer Fotoreportage in der skandinavischen Presse 1989)Siehe vorstehende Seite 122Leider hat es auch hier erhebliche Einscan-Probleme gegeben123


Die operative BrustkorrekturDa bei männlichen Transsexuellen die durch Verabreichung von gegengeschlechtlichenHormonen erreichte Brustvergrößerung sehr oft recht unbefriedigendausfällt („Trichter"-Brust) gehört die brustkorrigierende Operation gleichfallszum Geschlechtschirurgie-Repertoire. Sofern beide Operationen kombiniertwerden (geringerer operativer Gesamtaufwand), können wegen der dann manchmalsehr langen, intensiven Operationszeiten (bis zu sieben Stunden) vielfachNarkoseprobleme auftreten: Darauf abgestimmte individuelle Vorgehensweisenwerden dann unbedingt erforderlich.Zum Zwecke einer entsprechend weiblichen Formbildung der Brust werden beieinem solchen operativen Eingriff Kunststoffimplantate eingebracht (meistensSilikonkissen, gefüllt mit Silikongel, Kochsalzlösungen oder neuerdings auchSojaöl), sei es über einen Schnitt in der Brustfalte, sei es über den aufgeschnittenenVorhof bzw. seitlich aus der Achselhöhle. Die Verträglichkeit von Silikonimplantatenist sehr umstritten, und besonders Anfang der neunziger Jahre wurdenin der Presse immer wieder entsprechend groß aufgemachte, alarmierende Berichtegebracht über die Risiken und möglichen Folgewirkungen von Gelbusenimplantaten.Mit diffundierendem bzw. durch Gewalt auslaufendem Silikon werdenetliche Allgemeinerkrankungen wie beispielsweise Gelenkschmerzen und -schwellungen, Hautveränderungen, speziell Bindegewebsentzündungen bzw. -wucherungen, Gelenkerkrankungen, Muskelschmerzen, Erschöpfungszustände alsauch Beeinträchtigungen des Immunsystems sowie Magengeschwüre undKrebserkrankungen in Verbindung gebracht. In den USA gibt es diesbezüglichbereits ein Reihe von Prozessen gegen führende Hersteller solcher Kissen (u. a.Dow Corning, einem Tochterunternehmen der Dow Chemical) bzw. wurden diedarin geltend gemachten Schadensersatzforderungen anerkannt (Bereitstellungeines gemeinsamen Entschädigungsfonds von 4,25 Milliarden Dollar). In einemsolchen Sinne hat eine Expertenkommission in Washington einstimming empfohlen,daß Silikonimplantate künftig nur noch Krebspatientinnen nach Operationenoder Frauen mit deformiertem Busen eingesetzt werden dürfen.In Deutschland hat sich das inzwischen aufgelöste Bundesgesundheitsamt BGAden diesbezüglichen Empfehlungen der amerikanischen Food and DrugAdministration FDA weitgehend angeschlossen. In der entsprechenden BGA-Pressedienst-Erklärung 12/1994 vom 7.3.94 hieß es:124


herausgehec relerar presse . öfkndichkeirsarbeir — bundcsgesundheirsamr — rhiclallee 88-92 — 14105 berlin — ml : 8308.2775 , 2776 /2777 presserahdi


Bei den Brustimplantaten handelt es sich nicht um zulassungspflichtigeFertigarzneimittel, daher können diese durch den Herstellerohne vorherige Überprüfung durch das Bundesgesundheitsamtvertrieben werden. Das Bundesgesundheitsamt hat den zuständigenLandesgesundheitsbehörden seine Empfehlungen übermittelt, damitdort über die Notwendigkeit eventl. Sicherheitsmaßnahmen entschiedenwerden kann. (Mammaendoprothesen, die mit Polyurethanschaumbeschichtet sind, gehören im übrigen nach Ansicht des Amtes zu denzulassungspflichtigen Arzneimitteln, sie sind in der BundesrepublikDeutschland gegenwärtig nicht zugelassen).Anlaß der BGA-Empfehlungen an die Landesgesundheitsbehördenwaren im Jahre 1991 bekanntgewordene Zwischenfälle in den USA,wo die Brustimplantate offenbar weitere Verbreitung haben als inDeutschland. Das Bundesgesundheitsamt hatte sich seinerzeit deramerikanischen Behörde angeschlossen, die Brustimplantate bisauf weiteres nicht mehr anzuwenden (bga-pressedienst 3/92). Inder Zwischenzeit hat das Bundesgesundheitsamt weitere Unterlagenüberprüft und den Sachverhalt mit Experten abgeklärt.Ende bga-pDie überaus rührige amerikanische Patientenorganisation Command Trust Networkshat in einer Aufklärungsbroschüre mit dem Titel „Breast Implant Information" sämtlicheRisiken und Komplikationen im Zusammenhang mit der Verwendung vonSilikonimplantaten aufgelistet. Darin wird vermerkt:126


**********************************************************KOMPLIKATIONENChirurgie für Silikon Brustimplantate wurde ursprünglichals eine "einmal auf Lebenszeit nötige Prozedur" auf denMarkt gebracht. Das FDA erkennt heute, daß diedurchschnittliche Lebensdauer eines Silikon GelImplantates 10 Jahre beträgt. Normale Abnutzung desSilikon Brustimplantates wird unvermeidlich zukörperlichen Schaden führen, welche den Austausch oderdie Entfernung des Implantates nötig machen.********************************************************Körperliche Defekte des Silikon Brustimplantats können folgendesbeinhalten:∗∗∗∗∗∗∗∗∗∗Die Verwendung von Silikon für die HülleAltern und degenerieren der SilikonhülleBruch des Implantates (Bruch der Silikonhülle)Auslaufen des Implantates (Loch in der Silikonhülle)Austritt von Silikon aus einem intakten ImplantatAbwanderung des Silikons zu nahegelegenem Gewebe unddurch den ganzen KörperAbwanderung des Implantates (das Implantat selbst wird deplaziert)Rissig werden oder Auflösung der Polyurethan SchaumumhüllungAusstoß von TDA (Nebenprodukt beim chemischen Zerfall vonPolyurethan)Chirurgisches VersagenSchäden, die Silikonimplantaten eigen sind, ob sie nun mit Silikongel odermit Kochsalzlösung gefüllt sind, setzen den Körper einer gefährlichen Stufevon Silikon aus. Es ist jetzt bekannt, daß dies zu einer Vielzahl vonKrankheiten führen kann wie Krebs und Bindegewebskrankheiten. MitPolyurethan-Schaum umhüllte Silikongelimplantate ergeben ein zusätzlichesKrebsrisiko, da der Körper der giftigen Chemikalie TDA ausgesetztwird. Es wurde berichtet, daß die Reaktionen des Körpers aufSilikon und/oder TDA die Gründe für eine lange Liste von körperlichenLeiden sind. Diese körperlichen Beschwerden sind nicht nur Anzeichen fürbeschädigte Implantate, sondern können auch Zeichen und Symptome fürernsthafte fortschreitende Krankheiten sein.127


Körperliche Zeichen und Symptome, die anzeigen können, daßImplantate defekt sind, beinhalten folgendes:∗ Ödem/Schwellung (Brüste, Arme, Beine, Hände usw.)∗ Unregelmäßige Form der Brüste (Falten/Umrisse)∗ Uterine, vaginale und Menstruationsbeschwerden∗ Probleme der Blutgefäße (vaskulär)• Blutungen, Blutergüsse, Infektionen∗ Taubheit der Brustwarzen/Brust∗ Empfindlichkeit gegenüber Hitze und Kälte (Reynaud Syndrom)∗ Sonnenempflindlichkeit∗ ,Kapselkontraktion∗ Chronische Müdigkeit (CFIDS)∗ Schmerzen, Versteifung und Schwellung der Gelenke∗ Schwäche und Schmerzen der Extremitäten (Schultern, Arme,Hände, Beine)∗ Muskelschmerzen irgendwo im Körper (Schwäche, Brennen,Zuckungen)∗ Haut- und Gewebestörungen (verstärkte Dicke, Rötung, Straffung,Ausschläge, Trockenheit, wunde Stellen, Entzündungen,Verfärbungen, Narbenbildung)∗ Verhärtung (Bindegewebsentzündung) und Funktionsstörungvon Organen und Gewebe∗ Geschwollene Lymphknoten∗ Gefühl des Hautbrennens irgendwo am Körper∗ Ungewöhnlicher Geruch des Urins∗ Chronische und/oder starke Kopfschmerzen∗ Niedriges Fieber, Schwitzen, Frösteln∗ Übelkeit, Erbrechen, Syndrome von reizbaren Eingeweiden∗ Trockene, brennende Augen, trockener Mund und Nase, Sehstörung∗ Orale Probleme (Wunden, Trockenheit, zurückweichendesZahnfleisch)∗ Schmerzen im Brustkorb, Herzrhytmusstörungen∗ Probleme der Lunge (Lungenentzündung, chronischeBronchitis, Kurzatmigkeit)∗ Psychologische Bedingungen (Ängste, Depressionen,Gedächtnisverlust, Verlust der Sprache)Wenn Sie unter irgendeinem dieser hier aufgelisteten Symptome leiden,sollten Sie Ihren Arzt konsultieren. Wenn Sie Ihrem Arzt Ihre Krankengeschichtemitteilen, versichern Sie sich, daß alle Einzelheiten über IhreSilikon Brustimplantate darin enthalten sind.Abhängig von der Art Ihrer Beschwerden, wird der Arzt Sie möglicherweisezu einem Spezialisten schicken und/oder weitere Untersuchungen vornehmen.Denken Sie daran, daß anfängliche Laboruntersuchungen nichtendgültig sein müssen. Die obengenannten Symptome könnten auch diePräsenz eines chronischen körperlichen Problems anzeigen. Die neuestemedizinische Literatur beinhaltet zahlreiche Berichte über ernsthafteKrankheiten, die aus Silikon Brustimplantaten resultieren.


Konsequenzen von fehlerhaften Silikon Brustimplantaten beinhaltenfolgendes:∗ Bindegewebskrankheiten/autolmmune Störungeneinschließlich: Rheumatische Arthritis Reynaud'sPhänomen SklerodermieLupus erythematosus (tuberkulöser Hautausschlag)Sjögren's Syndrom∗ Brustkrebs (carcinoma/sarcoma)∗ Krebs im ganzen Körper∗ Verfälschung der Ergebnisse von Mammographien, Elektrokardiogrammenund Echokardiogrammen∗ Freisetzen von Karzinogenen (Silikon/TDA) in die Muttermilch∗ Krebsrisiko beim ungeborenen Fötus∗ Brustkrebs durch Eindringen von Silikon in das Brustgewebe∗ Unfruchtbarkeit, Fehlgeburten, Totgeburten∗ Nervenschäden (Nervengeschwulst/Nerventumor,neuromuskuläre Störung)∗ Geschlossene/offene Capsulotomy∗ Kalziumablagerungen∗ Operative Entfernung des Silikons von bedeutenden Organeneinschließlich Brustgewebe, Brustmuskeln, Lymphknoten undLunge∗ Kardiovaskuläre Störungen (Mitralkapselvorfall, Herz-Rhytmusstörungen,Schlaganfall)∗ Augenkrankheiten (Muskelabbau, Beschädigung der Netzhaut)∗ Mineralablagerungen nahe den Gelenken∗ Knochentod∗ Metabolische Störungen, die Gewicht, Schilddrüse und Hormonebeeinflussen∗ Diabetis∗ Erhöhter Prolaktinspiegel∗ Urologische Störungen (Fehlfunktion von Nieren und Blase)∗ Interstitielle Zystitis (Blasenentzündung, -katarrh)∗ Leberschäden (erhöhte Enzyme)∗ Psychologisches TraumaC : / W P 5 1 / B R E A S T / B I129


Alles in allem — ähnlich wie bei den übrigen begleitenden Maßnahmen in derGeschlechtsumwandlungs-Therapie (Kastration, Chirurgie, Medikation, operativeNachsorge) — wiederum ein wahres Horrorgemälde an körperlichen bzw. psychischenKonsequenzen und Langzeitwirkungen. Insofern kann auch bezüglichdes Einsatzes von Silikonmaterial in der Medizin — und speziell im Rahmen derTranssexualität — festgestellt werden, daß die Abschätzung von Risiko undNutzen derartiger Eingriffe — wie so oft — weitgehend doch den Betroffenen überlassenwird — der hippokratische Eid bleibt außen vor...Bezüglich der frühzeitigen Erkennung von Brustkrebs gibt es zudem noch dieSchwierigkeit, daß wegen der eingesetzten Brustimplantate die angeordnetenMammographien meistens wirkungslos bleiben. Die üblichen Röntgenuntersuchungenversagen diesbezüglich auch bei jüngeren Frauen, deren Brustgewebemeist zu dicht ist, um kleinste Knoten aufzuspüren: Hier werden erst bei Frauenab fünfzig Jahren zuverlässige Ergebnisse geliefert. Über die neuerdings eingesetzteMagnetresonanz-Tomographie können allerdings solche Kleinstknotensichtbar gemacht werden — die Methode ist jedoch sehr teuer und wird nur vonwenigen Spezialkliniken beherrscht. Professor Roland Felix von der Strahlenklinikder Freien Universität Berlin (einer der Pioniere) meint hierzu, daß das Verfahrenin etwa zehn Jahren Routine sein wird: „Immer mehr Frauen werden dann diesediagnostische Chance nutzen. Und sie werden auch Gentests machen, wenn essie einmal gibt."Zu dieser Aussage sei angemerkt, daß inzwischen auch für Brustkrebs eineRegion im Erbgut des Menschen entdeckt worden ist, der für das bedrohlicheLeiden verantwortlich zeichnet: Die kalifornische Genetikerin Marie-Claire Kingberichtete Ende 1993 über eine von ihr entdeckte Genkombination, die dasWachstum von Brusttumoren und Eierstockkrebs steuert. Allerdings sei für denAusbruch von Brustkrebs auch wiederum das Zusammenspiel von genetischenund äußeren Faktoren (Umweltbedingungen) eminent wichtig. Viele Forschervermuten, daß es im Sinne der Fortpflanzungsbiologie beispielsweise vorteilhaftwäre, nicht zu spät schwanger zu werden und möglichst mehr als ein Jahr gestilltzu haben. Immerhin ist das Risiko bei einer Veranlagung zu Brustkrebs zuerkranken sehr groß: Bei 59 Prozent aller Frauen, die das Krebsgen in sich tragen,entwickelt sich bis zum fünfzigsten Lebensjahr ein Tumor und bis zum Altervon siebzig Jahren beträgt das Risiko bereits 82 Prozent. Die Schätzungen, wieviele Frauen in Deutschland das Gen in sich tragen, schwankt zwischen 40.000und 140.000. Inzwischen haben amerikanische Forscher zudem herausgefunden,daß Brustkrebs im Frühstadium sich auch über Blutuntersuchungen feststellenläßt — sie fanden in den weißen Blutkörperchen eine Substanz, welche dannerhöhte Werte aufweist. Diese Methode hat den Vorteil, daß Tumore noch früherentdeckt werden können als durch die Mammographie — die Heilchancen sindalso wesentlich besser.Besonders in den USA hat die Gewißheit einer genetischen Veranlagung zuBrustkrebs dazu geführt, daß — speziell in Risikofamilien — viele an sichgesunde Frauen ihre Brust haben amputieren lassen. Eine solche Aktion beiFrau-zuMann-Transsexuellen allerdings wieder als „berechtigtes" Mastektomie-Argument gelten zu lassen (wie dies manchmal in der entsprechenden Literatur130


erichtet wird), grenzt jedoch wiederum ans besonders Zynische. Typisch fürdie amerikanische Art, Probleme in die Medien zu bringen, ist dann wieder die„Story" der brustamputierten Bildhauerin Matuschka. Siehe Abbildung 14Schließlich sei noch angemerkt, daß auch Männer Brustkrebs bekommen können.In den meisten Ländern der Welt ist der „weibliche" Brustkrebs dreimal häufigerals in Deutschland (einige hundert Männer erkranken jährlich in Deutschland)— besonders gefährdet sind Männer, die eine weibliche Busenformhaben. Neuerdings gibt es auch, wie bei den Frauen, Behandlungsmethoden mitHormonpräparaten — diese können gleiche Resultate erreichen wie bei HodenundNebennierenoperationen. Auch diesbezüglich sind bei Mann-zu-Frau-Transsexuellen— gerade wenn die Brust mit Implantaten weiter aufgebaut wurde —regelmäßige Nachuntersuchungen zwingend erforderlich.Titelbild ties t ew York Tirnes Magazine'YoubetLookAwayAnymore'flt3~e~,~.rwix ,) 1 .tirrb°~atuschka, 34, brustamputierte Bildhauerinund Aktisistinchdekiertc ieamerikanische Nation. Die Künstlerinhaute sich halb entblößt per Sellntauslöserfotografiert und das Foto derserinsen New York Tirnes eingesandt, die esals Tïtelhild ihres Wo honend-Magatinsveröffentlichte, Matusehka ist Mitgliedeiner der in den Vereinigten Staa- tenrasch zahlreicher werdenden Selhsthilfegruppen,in denen sich Kreb-Übet•!ehende zusammengeschlossen haben,um für mehr Geld, mehr Forschung undfür mehr Respekt vor den Lridcnden zuwerben. Die Bildhauerin hat, nachdemihr die rechte Brust abgenommen wordenwar, autlerdem einen Lehm-Torsoihres entstellten Körpers angefertigt.Ihre Selbstponrits werden dcmnlichst aufPostkarten in den Handel kommen. zurnNutzen der Kranken und Geheilten. Jett..kann man nicht Itinger verdringen".was der Krebs anrichtet. rechtfertigtdie Künstktin ihre Selbstentblößung.Abbildung 14Titelbild New York Times Magazine (1993) mit der New Yorker BildhauerinMatuschka, welche sich — wie die ehemalige First Lady Nancy Reagan — öffentlichzu ihrer Amputation bekannte und damit schockartig ein Tabu gebrochenhatte. Auch in Deutschland ist die öffentliche Diskussion um eine präventiveBrustamputation im Zusammenhang mit einer genetischen Brustkrebsveranlagung(Vorhandensein des Brustkrebs-Gens BrCA1) inzwischen (medienmäßig)voll entbrannt.131


Als weitere, die äußere Geschlechtsmerkmale verändernde Eingriffe bei Mannzu-Frau-Transsexuellenkommen noch solche (eventuellen) Operationen wie dasAbschleifen des Adamsapfels und die Korrektur harter, kantiger Gesichtsformen(Nase-Lippen-Kinn-Profil) in Frage — die gesamte Palette der heutigen kosmetischenChirurgie kann diesbezüglich herangezogen werden, um „weichere"Gesichtszüge zu erreichen. Die besonders in Transsexuellenkreisen beliebten„Aufpolsterungen" mit Siliconöl, sei es nun im Gesicht oder im Gesäß, sind ausden erwähnten Risikogründen (und nicht zuletzt auch wegen der damit sehr oftzusammenhängenden Verlagerungen bzw. Hautverkraterungen) entschiedenabzulehnen. Leider hat sich hier (wie bei den Hormonen) auch die völlig unkontrollierteEigenmedikation als sehr kontraproduktiv in bezug auf die möglichenLangzeitfolgen geschlechtsanpassender Eingriffe erwiesen — die Unvernunftscheint auch hier grenzenlos zu sein. Siehe hierzu auch <strong>Kamermans</strong>, J.: „MythosGeschlechtswandel", sechstes Kapitel, Absatz 7, Seite 238 - 240 bezüglichphysiologischer Komplikationen bei Silikonanwendungen.Geschlechtsanpassende Maßnahmen bei Frau-zu-Mann-TranssexuellenBei Frau-zu-Mann-Transsexuellen ist das Homologie-Prinzip des Stülpens derGeschlechtsteile wie bei den männlichen Transsexuellen, nicht konform anwendbar— in der Folge kommen auch ganz andere Operationskriterien zur Geltung.Hierbei muß nochmals darauf hingewiesen werden, daß weder in die eine noch indie andere Richtung Transsexuelle durch eine Operation einen Genitalapparat mitnormaler, biologischer Funktionsfähigkeit erhalten können — es kann also keineswegsvon einer „operativen Geschlechtsumwandlung" bzw. von einer„geschlechtsumwandelnden Operation" gesprochen werden. Im Sinne des„Kolben-Zylinder"-Prinzips ist eine solche Korrektur der geschlechtlichenMöglichkeiten deshalb am ehesten noch bei Mann-zu-Frau-Transsexuellen zuverwirklichen, bei weiblichen Transsexuellen muß die Methode aus naheliegendenGründen besonders im funktionalen Sinne („Kolben") versagen.Die Entfernung der Eierstöcke und Eileiter sowie der Gebärmutter (Hysterektomie)kann entweder durch die Vagina (im gynäkologischen Sinne) oder durch dieBauchdecke (Laparotomie) wahlweise erfolgen. Hierbei wird meistens die vaginaleMethode bevorzugt, da mit weniger Komplikationen behaftet und keineBauchnarben zurückbleiben — ein Eingriff von außen über die Bauchdecke ist nurbei eingeschränkter Beweglichkeit der Gebärmutter infolge größerer Myomeund/oder Verwachsungen der inneren Genitalien angezeigt. Anschließend werdendie Scheidenwände chirurgisch abgetragen und die Vagina verschlossen. Auch dieBildung eines Klitorispenoïds auf chirurgischem Wege — wobei die Harnröhredurch die (infolge Androgen-Therapiemaßnahmen) bereits vergrößerte Klitorisgeführt wird — gehört noch zum geschlechtschirurgischen Standardrepertoire.Mittels in die Haut der großen Schamlippen eingeführten Silastic-Gel-Kugeln alsHodenersatz wird dann auf diese Weise ein einigermaßen „männliches" Gesamtbilderreicht, während gleichzeitig auch (normalerweise) im Stehen uriniert wer-132


den kann. Dieses ist für das Selbstverständnis von Frau-zu-Mann-Transsexuellensehr wichtig — es gilt generell als ein Merkmal der Männlichkeit. Oder wie es dieamerikanische Feministin Camille Paglia sagte: „Männer pinkeln einenTranszendenzbogen, Frauen bewässern (nur) wie eine Gießkanne den Boden." Eineüberaus provozierende Aussage, die u. a. in der „taz" (1994) dann als flammendesPlädoyer fürs „Stehend-Pinkeln" im männlich-patriarchalischen Sinne umgemünztwurde — es hieß dort wörtlich: „Der Steh-Piß ist die vielleicht wichtigste Bastionzur Verhinderung der permanent versuchten Gleichmacherei." Nun ja, auch eineAussage: Den Transsexuellen jedenfalls wird sie wenig freuen. Siehe hierzu auchAbbildung 15 und 16.Die operative PeniskorrekturDie Bildung von sogenannten Phalloplastiken dagegen beruht mehr auf dem(variablen) Erfindungsreichtum der jeweiligen Geschlechtschirurgen —Versuche, aus körpereigenem Material eine Art künstlichen Penis aufzubauen,werden wegen der unzulänglichen Operationsergebnisse relativ seltendurchgeführt. Es ist dies auch ein Grund, weswegen, in Deutschland zumindest,die meisten Frauzu-Mann-Transsexuellen (noch) auf die Phalloplastik verzichten:Außer den funktionellen Unzulänglichkeiten (keine ausreichende Versteifung)gibt es auch sehr oft medizinische Probleme (Wundheilungsstörungen,Harnwegsinfektionen, Absterben von Gewebsteilen usw.). Neben derVerwendung sogenannter Rundstiellappen (röhrenförmige Rotationslappen) ausBauchhaut (bereits 1936 durch den Chirurgen N. Borgoras praktiziert —„Penisplastica totalis") werden neuerdings auch solche konstruiert mit freienTransplantaten aus dem Fußrücken oder dem Unterarm. Hierbei werden dannbeispielsweise noch Knorpelstrukturen der Rippen sowie Knochenstücke desUnterarms — in Kombination mit mikrochirurgischen Maßnahmen zurRekonstruktion von Blutgefäß- und Nervenverbindungen — eingesetzt. Dem(männlichen) Homologie-Modell folgend, gibt es sogar jetzt (allerdings nochsehr experimentelle) Operationstechniken, bei denen der Hautschlauch derVagina zur direkten Verlängerung der Harnröhre in einer Vorderlappenplastikverwendet wird. Die Versteifung der Phalloplastik erfolgt sodann, ähnlich wiedies bereits seit zwanzig Jahren für unter Impotenz leidenden Männern möglichist, mittels Penisimplantaten aus Silikon, mit Silberdrahtgeflechteinlageentsprechend verstärkt. Hierzu ist noch zu bemerken, daß in den USA, woschätzungsweise 350.000, und in Deutschland, wo mehrere zehntausend Männermit einem Penisimplantat leben, Zweifel an der Sicherheit derselbenaufgekommen sind — viele Männer, die wegen Impotenz „technisch" behandeltwurden, klagen inzwischen über heftige Beschwerden, die amerikanischeArzneimittel-Kontrollbehörde FDA vermutet Silikon (ähnlich wie bei denBrustprothesen) als Ursache für diese oft diffusen Krankheitsbilder.Als weitere geschlechtskorrigierende Maßnahme werden bei Frau-zu-Mann-Transsexuellen üblicherweise die Brüste entfernt (Mastektomie), wobei weiterdanach gestrebt wird, durch chirurgische Mamillenverkleinerung, Entfernung desBrustdrüsengewebes sowie Hautabtragung eine männliche Bruststruktur zuerreichen. Bei größeren Brüsten wird sehr oft auch eine Verlegung der Mamillen133


Abbildung l5„Männlichkeits-Kult" als Gruppenerlebnis von Anfang an ...Abbildung 16:Unter Denkmalschutz gestelltes Pissoir aus dem Jahre 1899 an der Pier von Rothesay beiGlasgow mit Fußbodenkeramik und Bewässerungsanlage aus Messing —Gruppenerlebnis pur(Aus: Der Spiegel 20/1993)134


mittels freier, sogenannter Retransplantation praktiziert, während durch freieTransplantation von Hautstückchen, die den kleinen Schamlippen entnommenwerden, normalerweise (beispielsweise beim Absterben von Gewebsteilen) jederzeiteine neue Mamillenstruktur rekonstruierbar ist. Siehe hierzu auch die vorgehendenAusführungen über den „weiblichen" Brustkrebs.Die chirurgische Anpassungsmaßnahmen für männliche und weiblicheTranssexuelle miteinander vergleichend, kann alsdann noch festgestellt werden,daß es — zumindest nach außen — unproblematischer ist, Frauen für Männer zuhalten als umgekehrt. Der Perfektionsdrang männlicher Transsexueller läßt sichdabei allerdings wieder leichter und imponierender — jedenfalls bei derAusgestaltung der (sichtbaren) Genitalien — verwirklichen, als dies bei FrauzuMann-Transsexuellenmöglich ist. Es dürfte dies auch einer der Gründe seinfür die Tatsache, daß die Kastration als solche für männliche Transsexuellemehr oder weniger aufgewogen wird durch den Erhalt eines funktionstüchtigen,weiblichen Äquivalente (Penetrationsmöglichkeit im Sinne eines „männlichenDenkens"!), für weibliche Transsexuelle ein solcher Tauschhandel gemäßpatriarchalischem Verhaltensmuster offensichtlich wesentlich weniger insGewicht fällt. Allerdings ist es für Frau-zu-Mann-Transsexuelle wiederumbedeutend leichter, durch die Hormontherapie die „Männlichkeit" nach außen zudemonstrieren, also „Mann" zu sein im Sinne der patriarchalisch-gesellschaftlichenSpielregeln, bzw. dem kulturell geprägten (männlichen) Normengefüge zugenügen und „Männlichkeit" in Aussehen und Verhalten zu gewinnen, als umgekehrt.Für Mann-zu-Frau-Transsexuelle dagegen ist es viel einschneidender, ihreMännlichkeit nach außen zu verlieren, nicht mehr » Mann" zu sein gemäß demuns bekannten patriarchalischen Denkmodell: Der unbedingte, „nahtlose"Wunsch vieler männlicher Transsexueller nach dem anatomischen » Frau-Sein"ließe sich dann auch in einem solchen Sinne erklären. Die „Im-falschen-Körper"-Chimäre dürfte in der Folge die (logische) Fortsetzung eines dreifach „falschenDenkens" im männlich-patriarchalischen Sinne sein:— „Eva aus Adam" statt umgekehrt— Homologie-Modell für Mann und Frau (Transformation der [homosexuellen]„Tatwerkzeuge" ergibt ein gleichwertiges [heterosexuelles] Äquivalent...]— Gleichstellung des „Nicht-Mann-sein-Wollens" mit „Frau-Sein" („Illusio-virilis"-Hybris)Nicht der Körper ist also falsch (transsexuelles Credo!), sondern — wie bereitsmehrmals aufgezeigt — das Denken: Das „männlich-patriarchalische", kulturellindizierte Wunschdenken speziell hinsichtlich Transsexualitäts-Genese und Geschlechtswechsel-Realisierung(als Homosexualitäts-Vermeidungsstrateigegetarnt) führt dabei die Regie. Statt „Im falschen Körper" sollte es somit treffender„Im falschen Denken" heißen, und so dürfte es auch nicht verwundern, daß imschon erwähnten Sinne für die weibliche Transsexualität gleichfalls „männliche"Ausgangskriterien dann aufgestellt worden sind — diesmal jedoch in eher zynischem,typisch männlich-patriarchalischem Sinne des „Keine-Konkurrenz"-Denkens. Denn das patriarchalische Mann-Sein ist in erster Linie ein Sich-Behaupten im Wettstreit mit anderen Männern, bzw. Mann-Sein bedeutet, sich135


zuallererst gegenüber Männern durchsetzen zu müssen: Es ist primär einGruppenerlebnis, und darin haben Frau-zu-Mann-Transsexuelle nun mal (als „Alsob"-Männer)von vornherein schlechte (Konkurrenz-) Karten — die Biologie istnicht auswechselbar...136


KAPITEL 10HORMONE UND SEXUALITÄTDie Vermeidung als StrategieWir haben in den vorigen Kapiteln gesehen, wie der Mann aus der weiblichenUrstruktur entsteht, indem sozusagen das auf dem männlichen Y-Chromosomliegende SRY Gen die eingelagerte „männliche Software" in Gang setzt. Ebensowurde aufgezeigt, wie die Veranlagung zur männlichen (biologischen) Homosexualitätüber die nur auf dem mütterlichen X-Chromosom mögliche GenstrukturX q 28 weitergegeben werden kann — die weibliche Linie somit für die Weitergabeder männlichen Homosexualität verantwortlich zeichnet. Ob allerdings auseiner solchen Veranlagung auch ein homosexuelles Verhalten wird, hängt wiedervon kulturellen Faktoren ab: Das lebenslange Zusammenspiel von Erbe undUmwelt bestimmt das menschliche Tun und Lassen, und so hängt es von vielerleiFaktoren ab, ob aus einem an sich homosexuell veranlagten Mann auch ein„Coming-Out-Schwuler" wird. Meist sind die kulturellen Normsetzungen derartstark in Richtung Heterosexualität wirksam, daß völlig andere Wege gegangenwerden müssen: Situationsheterosexualität bzw. Pseudoheterosexualität,Asexualität, Bisexualität und auch Transsexualität werden dann zu gesellschaftlichanerkannten Möglichkeiten, die biologisch-männliche Homosexualität —sozusagen stellvertretend — in die menschliche Gemeinschaft zu integrieren. Daßhierbei der Faktor Zeit eine wichtige Rolle spielt, aber auch das Mann-Frau-Geschlechter-Verhältnis solche Aus- bzw. Umwegmöglichkeiten wiederum geradezubegünstigen kann, dürfte gleichfalls verständlich sein. Wir zitieren hierzufolgendermaßen:„,Impotenz ist für jeden betroffenen Mann eine schwere narzißstische Kränkung`,konstatiert der Psychoanalytiker Diederichs. Die Initiative, dem empfundenenMangel abzuhelfen, geht deshalb in der Regel vom Patienten selbst, selten vonseiner Partnerin aus. Alle Therapeuten achten jedoch darauf, die Frau in das137


N4iatten ron,CP'RYtda,ensTEMPO:Gus Van SantGyie M1Gaogoeit Sander f•BretEaston Leonard Cohen,A4wt saw',411.0110DO1t4ttMQE88A.ND41.L4MABUA U.VtM't124WGRG MELEEANNETTE HAVEFemmenielle inNeapel Amanda LearCaroline CosseyEin ,,neuer Körper" rettet aus:der Seelen-Krise:it Lao mhdae.ta4tMn•OutCnMpN-Uni na.CVpM10nCM1 M.7roC4omu-CXithRh whew Openbn''''''''" . " . " — """=":Z."1"'" ." .. . .Medien-Patriarchen unter sich:- das „aufregende" Geschlecht- das „falsche" Geschlecht- das „ganzweibige" GeschlechtAber das eigene ist es jedoch keinesfalls.Etwa vom anderen Stern?Stern? Stern?..t,,...AI:Sm.N1!iy!Entewpmarm;.«,:..««...»»A.«»«..«138


Behandlungskonzept zu integrieren, schon um die Akzeptanz zu verbessern.Selbst das konservative amerikanische Journal of Urology mahnt seine Leser,an die ,Verflochtenheit der erektilen Dysfunktion in psychologische undallgemeine Lebensbezüge` zu denken.Tabu bleibt dabei wieder die Ehe, das von Staat und Kirchen abgesegnete Gebotder Monogamie. In den sechziger Jahren, als die weltweiten Studentenrevolte,unterstützt von Hippies und Blumenkindern, die sexuelle Befreiung aufs Paniergeschrieben hatte, wurde die ,altbekannte Impotenz verheirateter Männer` vonden meisten Sexualtherapeuten schlicht auf das sexuelle Einerlei des Ehelebenszurückgeführt. Jetzt gibt es in den Leserbriefspalten des deutschen FachblattsSexualmedizin schon einen kleinen Aufstand, wenn die Redaktion den Satzdurchgehen läßt: ,Trotz leidenschaftlichen Beginns: Zweierbeziehungen lassensich mit intensiver Sexualität auf Dauer nicht vereinbaren.'Dabei gilt als gesicherte Erkenntnis, daß Triebhandlungen von Mensch und Tier— dazu gehören das Fressen und das Begatten — aus zwei Quellen gespeistwerden: dem äußeren Reiz und der inneren Triebstärke. Das Ganze funktioniertnach dem ,Gesetz der doppelten Quantifizierung`, welches der HeidelbergerWissenschaftler Felix von Cube so erläutert: ,Eine Triebhandlung erfolgt, wenndie Triebstärke hoch ist — dann genügt auch ein niedriger Reiz — oder wenn derReiz hoch ist, dann genügt auch eine niedrige Triebstärke.'Die Regel erklärt umstandslos die Attraktivität junger Frauen für alte Männer, dieWirkungen des Dekolletés und der heißen Höschen, auch die nachlassendeAppetenz im Laufe eines (Ehe-)Lebens — aber sie kränkt zugleich die Vorstellungvom freien Willen und seiner normativen Kraft. So, wie es ist, soll es nicht sein.Im Alltag werden die sexuellen Konflikte zwischen Mann und Frau deshalb seltenoffen, meist verdeckt ausgetragen. Die beiden norddeutschen SexualtherapeutenGerd Arentewicz und Gunter Schmidt unterscheiden vier typische ,partnerdynamischeProzesse':> die Delegation — der oder die ,Ungestörte hat ein Interesse an der Funktionsstörungdes Partners, zum Beispiel um eigene Probleme zu verdecken;> das Arrangement — beide Partner ziehen einen Nutzen aus der Störung;> die Wendung gegen den Partner — ein Kampf um die Macht, auf sexuellerEbene exerziert;> das Ambivalenzmanagement — über die Sexualstörung wird, ganz nachWunsch, mehr Nähe oder mehr Distanz zum Partner hergestellt.Jeder dritte deutsche Mann und jede vierte Frau empfinden, so habenDemoskopen herausgefunden, das eigene Sexualleben als unbefriedigend.Während beim Mann die Erektion besonders leicht störbar ist — Liebeslust(,Libido`) und Samenerguß (,Ejakulation`) hingegen stabile Funktionenbleiben —, sind bei der Frau eher Libido und Orgasmus gefährdet, währenddie vaginale Bereitschaft (,Lubrifikation`) erhalten bleibt.Der Begriff ,Frigidität` für weibliche Gefühlskälte deckt alles zu. Dabei ist dieDiagnose ,Frigidität` häufig schon eine Parteinahme für den Mann. Positivinterpretiert, wie es der Sexualwissenschaftler Nossrat Peseschkian tut, wirdFrigidität zur Fähigkeit, ,mit dem Körper nein zu sagen', wenn man dieGefühle nicht verbalisieren kann oder will.139


Nein sagen läßt sich auf vielerlei Weise. Beim ,Dornröschen`-Syndrom nehmen die(meist attraktiven) Frauen zu keinem ihrer Verehrer sexuelle Kontakte auf — dererträumte strahlende Märchenprinz kommt nie. Selbstbewußte Frauen vom Typ,Bienenkönigin` wünschen sich zwar Kinder, aber keinen (Ehe-)Mann, ,Brunhilde`-Typen sind so dominant, daß sich kein Mann findet, der sie bezwingen kann —jeder reale Partner wird zum Schwächling.Wenn auch noch stimmt, wovon manche intelligenten Frauen ausgehen — ,Männer sindnicht monogam; wenn sie monogam sind, sind sie keine Männer` —, ist die Sache völligverfahren.Hilft statt technischer Aufrüstung des Penis also eigentlich nur seine liebevolleAbrüstung?,Eine Entmythologisierung des Koitus tut not', mahnt der Münchner DiplompsychologePaul Kochenstein seine Kollegen Sexualtherapeuten. Man dürfe sichals Helfer, nur weil der ,Patient König ist', nicht der Zielsetzung der Klientenunterwerfen."(Der Spiegel 11/1993, S. 245 - 246)Wir haben auf diesen Artikelausschnitt deshalb auch hingewiesen, weil vielzu wenig erkannt wird, daß die darin beschriebenen Symptome geschlechtlicherDisharmonie zwischen Mann und Frau sehr oft auch auf verdeckteHomosexualität (speziell des Mannes) zurückgehen können.Das schon erwähnte „Nein-sagen" kann in einem solchen Falle sehr subtilgeschehen und eine (oft allseits willkommene) transsexuelle Wendung der Dingeist inzwischen als » Umweg" heutzutage im gesellschaftlichen Sinne durchaus realisierbar:Aus (vermeintlicher) Heterosexualität wird Transsexualität, und dereigentliche Grund, d. h. die Homosexualität bleibt außen vor. Aus diesen Ausführungenläßt sich gleichfalls ableiten, daß die (patriarchalische) Verdrängungskulturbiologischer Tatsachen somit durchaus in der Lage ist, Verhaltensweisenzu etablieren, welche nur noch (nach außen jedenfalls) einen „Als-ob"-Scheincharakterpar excellence hinsichtlich der tatsächlichen Sexualität besitzen. Wirhaben an anderer Stelle bereits auf die verschiedenen Homosexualitäts-Vermeidungstechnikenhingewiesen.Das psychische GeschlechtEbenso haben wir in den vorangehenden Kapiteln gesehen, daß es dieSexualhormone in erster Linie sind, welche die genetischen Voraussetzungen indie biologische Realität umsetzen. Hierbei zeichnen diese Hormone nicht nur verantwortlichfür die (körperliche) Ausprägung der primären und sekundärenGeschlechtsmerkmale, sondern ganz besonders auch für die zentralnervöseAusgestaltung der menschlichen Sexualität bzw. der jeweils geschlechtstypischenDenkstrukturen. Oder wie der Präsident der deutschen Gesellschaft für sozial-140


wissenschaftliche Sexualforschung, Prof. Erwin Haeberle, es formulierte: „InWirklichkeit spielt sich doch alles im Kopf ab: Das größte Sexualorgan ist dasGehirn." Damit dürfte er weitgehend Recht haben. Dazu kommt noch, daß imZeitalter der sexuellen Revolution der sechziger und siebziger Jahre sich zudemdie optimistische Grundstimmung herausbildete, nach welcher frühzeitige undgezielte Aufklärung einen Abbau der puritanischen Doppelmoral, eine positiveGrundeinstellung zu vorehelichem Geschlechtsverkehr und sexuellenMinderheiten sowie Freigabe „erotischer Phantasieprodukte" (sprich Pornographie)eine Humanisierung der Sexualität und eine Verfügbarkeit sexuellerPotenz ganz generell herbeiführen würden. Dachte man wenigstens... Gleichzeitighat das Zeitalter der sexuellen Freiheit aber auch bewirkt, daß das psychosomatischbedingte „Ganzheits"-Denken immer mehr ersetzt wurde durch die Annahmeder x-beliebigen Auswechselbarkeit des Menschen, ob nun seinerKörperteile oder sogar seines Geschlechts (Konstituierung des Begriffes des„psychischen Geschlechts"). Und in einem solchen Klima der Euphoriehinsichtlich der „Machbarkeit" (männlicher) Wunschvorstellungen in der(menschlichen) Sexualität kam es dann — sozusagen nach dem „Laissez-faire"-Motto — zur nahtlosen Institutionalisierung des eigenständigenTranssexualitätssyndroms bzw. zur wahrhaft rücksichtslos-konsequentenGeschlechtswechsel-Realisierung. Daß der (erforderliche) Einsatz vonGeschlechtshormonen darin eine überaus entscheidende Rolle spielen würde, wardabei den Verantwortlichen bereits zu jenen Zeiten sonnenklar: Die damitzusammenhängenden Risiken und Langzeitfolgen wurden allerdings — demdamaligen Zeitgeist folgend — maßlos unterschätzt. Denn die Natur erlaubt nurbis zu einem gewissen Grade Korrekturen von außen, und gerade beim unendlichfein abgestimmten menschlichen Regulierungssystem der Hormone sind derartmassive Eingriffe auf Dauer, so wie diese in den Behandlungstherapien fürTranssexuelle etabliert wurden überaus fatal — die Biologie läßt sich einfachnicht ungestraft ins Handwerk pfuschen. Wir sahen dies bereits hinsichtlich dervielfältigen Kastrationskonsequenzen bei Mann und Frau: Sie zeigen nur allzudeutlich auf, welche ernsthaften gesundheitlichen Störungen zu erwarten sind.Genauso sind die für Transsexuelle beiderlei Geschlechts erforderlichenHormonmedikationen als im Grunde überaus einschneidende Beeinträchtigungender körperlichen (aber auch psychischen) Funktionskomplexe anzusehen: Dashormonelle Gleichgewicht wird massiv gestört bzw. kann dabei völlig aus denFugen geraten (besonders bei unfachgemäßer, unregelmäßiger Verabreichung derHormone). In diesem Zusammenhang sei gleichfalls noch darauf hingewiesen, daßdie Sexualhormone nicht zuletzt auch verantwortlich zeichnen für diegeschlechtsspezifische Art des Denkens beider Geschlechter: Die doch „eherweibliche" und „eher männliche" Denk-Intelligenz-Merkmale sind wohl imwesentlichen hormonell geprägt. So haben Humanbiologen der UniversitätHamburg über zweihundert Manner und deren Testosteron-Werte untersucht, alsodie Werte des als männlich geltenden Sexualhormons. Hierbei stellte sich heraus,daß, je weniger Testosteron vorhanden war, sich umso mehr „typisch weibliche"Intelligenzmerkmale bei den Versuchspersonen manifestiert. Offenbar stelle sichdas menschliche Gehirn auch bis ins Erwachsenenalter je nach Ausschüttung der(natürlichen) Hormone noch mehr oder weniger laufend ein. Genauso wie dieser141


Mechanismus, allerdings in erster Linie jetzt im prägenden Sinne („die Schienenwerden gelegt"), beim menschlichen Embryo bereits nachgewiesen wurde: Daszunächst „geschlechtsneutrale" Gehirn des männlichen Ungeborenen bekommtwesentliche Impulse durch die »männlichen” Sexualhormone (Androgene). Gibt esdavon in gewissen Stadien zu niedrige Konzentrationen, wird die Entwicklung desGehirns in die männliche Richtung nicht weiter verfolgt bzw. das Gehirn entwickeltsich wieder in die weibliche Richtung zurück. Denn die Natur bevorzugtdas weibliche Geschlecht — wie wir inzwischen wissen — und wenn diehormonelle Steuerung, die zu einem männlichen Phänotyp führen soll, gestört ist(aus welchen Gründen auch immer), entwickelt sich im Sinne der körperlichenAusgestaltung das Phänomen des Hermaphroditismus (biologische Intersexualität)bzw. im Sinne der psychischen Orientierung das Phänomen der männlichbiologischenHomosexualität. Der Begriff der Androgynität des Menschen istdagegen vor allem im charakterlichen Sinne des jeweiligen Individuums angelegt:Er äußert sich in erster Linie über die seelische Verfassung (Verhalten) desEinzelnen und hat mit einer körperlichen, sexuellen oder auch optischenAusgestaltung als Alleinzweck nichts gemeinsam. Insofern hat das Aktiv-passiv-Verhalten des Menschen auch nichts mit seiner biologisch-sexuellen Orientierungim ursächlichen Sinne — wie oft angenommen — zu tun. Siehe hierzu auch<strong>Kamermans</strong>, J.: „Mythos Geschlechtswandel", Erstes Kapitel, Biologie derGeschlechter, S. 15 - 54 u. S. 103 - 109.Wenn also nun festgestellt wurde, daß die männlichen und weiblichen HormoneSexualität und Denken des Menschen (Männer beispielsweise können — imstatistischen Durchschnitt — besser räumlich denken als Frauen, während Frauenwieder sprachbegabter sind usw.) beeinflussen, sollte dennoch besonders daraufhingewiesen werden, daß diese unterschiedlich wirkenden Sexualhormone inbeiden menschlichen Geschlechtern anzutreffen sind — nur die Mengen bzw. dieKonzentrationen sind jeweils verschieden.. So sind im männlichen Hormonsystemauch normalerweise kleinere Östrogenmengen vorhanden (da solche Östrogenebeispielsweise im Fettgewebe produziert werden, tritt bei korpulenten männlichenPersonen eine „Verweiblichung" [Gynäkomastie] auf) bzw. sind im weiblichenHormonsystem mehr oder weniger große Mengen auch an Androgenen anzutreffen(Virilisierungsphänomen). Die gerne im kulturellen Sinne suggerierte Existenz dessogenannten „psychischen Geschlechts", d. h. die Vorstellung, Männer und Frauenkönnten gleich sein, wenn die Gesellschaft sie nur ließe, muß jedoch weitgehendverneint werden — die Fähigkeiten beider Geschlechter sind von Natur aus überausunterschiedlich ausgelegt, und die gesellschaftliche Gleichstellung von Mann undFrau über das „psychische Geschlecht" wird wohl immer ein Traum bleiben. Dieenglische Genetikerin Dr. Anne Moir (Universität Oxford) stellte hierzu in einer1993 erschienenen wissenschaftlichen Abhandlung fest: „An der Auffassungfestzuhalten, daß Frauen und Männer in ihren Fähigkeiten, Fertigkeiten undNeigungen gleich sind, bedeutet, eine Gesellschaft auf einer biologischen undwissenschaftlichen Lüge aufzubauen. Es ist an der Zeit, den Mythos zu zerstören,daß Männer und Frauen in der Gesellschaft austauschbar sind (!)". Ihredazugehörige These lautet: Schon die Hormonzufuhr im Mutterleib legt Männerund Frauen auf bestimmte Talente fest — die geheimnisvolle Kraft, die männlicheund weibliche Gehirne auf überaus unterschiedliche142


Weise ausbildet, ist — wie wir bereits öfter schon erfahren haben - das HormonTestosteron. Interessant ist, was Anne Moir dazu über die Männer sagt: „Siesind eher dazu veranlagt, Genies zu werden — oder kriminell. Männer sind vonNatur aus bessere Schachspieler, Mathematiker, Mechaniker, Komponisten,Wissenschaftler, Ingenieure oder Erfinder. Sie sind polygam, neigen zuSeitensprüngen, und die Hormone, das Gehirn, der Körper machen den Mannbesonders aggressiv." Und über Frauen: »Sie sind besser in der Lage, Problemedurch Intuition zu lösen. Bei Frauen sind die allgemeine Sprachfertigkeit unddie Fähigkeit, Fremdsprachen zu lernen, ausgeprägter. Sie sind von Natur ausmonogam und treu. Frauen können den Charakter von Mitmenschen bessereinschätzen, sind bessere Ärzte, Pfarrer oder Richter als Männer. Durch ihreVeranlagung tendieren Frauen zu sozialen Aufgaben und Berufen wieKindererziehung und Krankenpflege."Auch diese Aussagen untermauern die in diesem Buch bereits mehrfacherwähnte wissenschaftliche Feststellung, daß — je nach Geschlecht — dem Embryoschon in den ersten Wochen seiner Existenz ganz gezielt unterschiedliche Mengendes Hormons Testosteron zugeführt werden und damit das Gehirn — nicht nur imsexuellen Sinne — überaus divergierend (vor-)programmiert wird. Nicht zuletzt führtauch die daraus entstehende Tatsache, daß Frauen im „corpus callosum" mehrVerbindungen zwischen der rechten und linken Gehirnhälfte haben als Männer, zueinem besseren Zusammenspiel beider Hälften — Frauen sind sensibler fürSinneseindrücke wie Geräusche, Gerüche, Geschmäcke und vor allemBerührungen (siehe hierzu besonders Kapitel 3).Zum allseits akzeptierten gesellschaftlichen Bild der „Karrierefrau" sagtAnne Moir schließlich: „Karrierefrauen werden mit ,Männerhirnen` geboren —bei diesen Frauen hat es bei der Hormonzufuhr im Mutterleib eine Pannegegeben. Viele klinische Untersuchungen beweisen, daß Frauen, deren Mütterin der Schwangerschaft männliche Hormone verabreicht bekamen, häufigdazu neigen, besonders dominant und karriereorientiert zu werden."Es sind dies überaus bezeichnende Aussagen und Feststellungen für dasVerhältnis Mann — Frau und nicht zuletzt auch für das Phänomen der männlichenund weiblichen Transsexualität — diese sind einfach grundverschiedengelagert. Beim Mann führt ein Testosteron-Defizit zu einer sofortigen Rückkehrin die „weibliche" Richtung der Gehirnprägung („Adam aus Eva") und damit zurUmkehr der sexuellen Orientierung (= biologisch-homosexuelle Veranlagung), beider Frau dagegen ist ein Testosteron-Überschuß immer gleichbedeutend mit„Störung", weil nicht im Sinne der Natur — oft landen wir, je nach Zeitpunkt undStärke, im Bereiche des Hermaphroditismus (AGS-Syndrom usw.): Hierauf wirdspäter noch eingegangen. Ebenso verweisen wir diesbezüglich auf die umfassendenAusführungen in <strong>Kamermans</strong>, J.: „Mythos Geschlechtswandel", ZweitesKapitel, „Biologische Intersexualität — sexuelle Zwischenstufen beim Menschen",S. 55 - 73.Abschließend kann jedenfalls festgehalten werden, daß die in der Transsexualitätsproblematikso überaus gängigen Begriffe „im falschen Körper" und„psychisches Geschlecht" auf völlig falschen, kulturell indizierten (männlichen)Vorstellungen der Natur beruhen — diese geht jedoch ihre eigenen Wege, und143


daran kann noch soviel „illusio virilis" nichts ändern. Daß dies dennoch aufvielerlei Gebiet unentwegt weiter versucht wird, werden die nachfolgendenInformationen und Erkenntnisse überaus klar zum Ausdruck bringen.Hormone, Männlichkeit und DopingÜber den Einsatz von weiblichen Geschlechtshormonen bei Mann-zu-Frau-Transsexuellen wurde erst 1953 im Falle Christine Joergensen ausführlichberichtet. „Transsexualitäts"-Papst Harry Benjamin setzte sich dann ab 1966intensiver mit diesem Indikationsbereich auseinander. Es wird hierbei angenommen,daß die Östrogene im männlichen Organismus zwei mehr oder wenigergleichzeitige Wirkungen entfalten: Eine hormonell-kastrierende Wirkung undeinen feminisierenden äußerlichen Effekt. Durch die Wirkung der Östrogene wirddie Androgenproduktion, d. h. hauptsächlich die des Testosterons und seineraktiven Derivate, reduziert, und aus diesem Grunde tritt eine Art Beruhigung ein.Die dabei erreichte Ausgeglichenheit ist allerdings auch psychisch bedingt aus derGewißheit heraus, nun auf dem Wege zum „weiblichen" Status zu sein (Placebo-Effekt). Als weitere Folge einer solchen Hormonverschreibung (meistens desSchering-Produkts Progynon-Depot-100 mg zur intramuskulären Injektion oderoraler Präparate [„Diane"] kommt es zu Brustwachstum, Vergrößerung derBrustwarzen, Reduktion der Körperbehaarung, oft auch Zunahme der Kopfbehaarungsowie Umverteilung der Fettpolster („weibliche Rundungen") — die äußereErscheinung wird weicher und „fraulicher". Ebenso kommt es zu einer erheblichenReduzierung des Geschlechtstriebs sowie zu mehr oder weniger starkenSchrumpfungserscheinungen an Hoden und Prostata, manchmal auch — allerdingsmeist nach relativ langdauernder Behandlung — am Glied. Diese Schrumpfungsprozessesind normalerweise nicht mehr reversibel, und in der Folge nehmenanschließend auch die spontanen Erektionen ab, bzw. absichtlich herbeigeführteErektionen brauchen länger, und die Menge des Ejakulats nimmt gleichfallsallmählich ab. Der Bartwuchs wird etwas weniger stark, jedoch bleibt einegesonderte Epilationsbehandlung (Elektrolyse) normalerweise mehr oder wenigerzwingend erforderlich. Die Stimme wird allerdings unter Hormoneinfluß höherund weicher, es stellt sich meistens eine typische „Transenstimme" ein, woranfast jeder Mann-zu-Frau-Transsexuelle augenblicklich — jedenfalls vom geübtenOhr — zu erkennen ist. Im Szene-Kult-Film »Paris is burning" (1990, Regie JennieLivingstone) macht der witzige Stranddialog zwischen zwei jungen geschlechtsgewandeltenTranssexuellen dies besonders deutlich. Bereits Harry Benjaminsprach im Zusammenhang mit einer Östrogen-Medikation bei Mann-zu-Frau-Transsexuellen von der Möglichkeit von Leberschäden — hier müssen vor allemdie Abbauprodukte der betreffenden Hormone (inklusive Antiandrogene), auchMetaboliten genannt, erwähnt werden, die — genauso wie bei Anabolika undderen körperlichen Verwertung — die Leber außerordentlich belasten. Diesbezüglichsei vermerkt, daß bei Athleten, die Anabolika verwenden, ähnliche144


Effekte auftreten, wie bereits beschrieben, d. h. Hodenschrumpfungseffekte (biszur Hälfte der ursprünglichen Größe), weniger Sperma und Abnahme derSpermienzahl bzw. der Spermienbeweglichkeit. Ebenso wird berichtet von individuellvöllig unterschiedlichen Änderungen des Geschlechtstriebs: Das Spektrumreicht von Dauererektion (Priapismus) bis zu Impotenz, während — meist irreversibel— durch die Anabolika-Metaboliten, ähnlich wie bei der Ostrogen-Medikation, das Phänomen des Brustwachstums (Gynäkomastie) ganz ausgeprägthervorgerufen wird. So ist aus ehemaligen DDR-Stasi-Dokumenten der Fallüberliefert, wo bei fünf Gewichthebern, deren Muskeln durch Anabolika-Mißbrauch unnatürlich angeschwollen waren, in einer Berliner Klinik regelrechteBrustoperationen durchgeführt werden mußten.Interessant in diesem Zusammenhang ist diesbezüglich auch die Tatsache, daß— besonders nach der Überführung des 100 m-Weltrekordläufers Ben Johnson —man vermehrt nach Möglichkeiten sucht, Anabolika-Mißbrauch im Sportnachzuweisen.Nach Ansicht des Düsseldorfer Doping-Experten, Professor Friedhelm Beuker,gibt es beispielsweise ganz bestimmte, entlarvende Merkmale am Körper desSportlers, der Anabolika zur absoluten Leistungssteigerung einsetzt. Bei einerkürzlichen Untersuchung von über 2000 gedopten Bodybuildern ergab sich, daß85 Prozent mindestens ein oder zwei solcher Merkmale hatte:— Glotzaugen: Aufgrund des veränderten Wasserhaushalts durch Anabolikasaugt sich das Fettgewebe hinter den Augen mit Wasser voll und drücktden Augapfel nach vorn.— Quellmuskulatur: Anabolika ziehen Wasser in den Muskel hinein. Eskommt zur Aufschwellung, die Muskulatur ist nicht scharf gezeichnet,sondern wirkt verquollen.— Steroidakne: eine Nebenwirkung des Anabolikamißbrauchs; sie trittüberwiegend im Gesichts-, Hals- und Oberkörperbereich auf.— Verweiblichung des Mannes: Auf die Einnahme von Mitteln, die das männlicheSexualhormon Testosteron beinhalten, reagiert der männliche Körper durchvermehrte Eigenproduktion des weiblichen Sexualhormons Ostrogen. DieFolgen sind: Vergrößerung der Brustwarzen, sogenannte »big tits", Schrumpfungder Hoden, Haarausfall und Glatzenbildung. Siehe hierzu Abbildung 17— Vermännlichung der Frau: Im weiblichen Körper bewirken testosteronhaltigeMittel wiederum das Gegenteil: Verkümmerung der Brust, Klitoriswachstum,Kehlkopfvergrößerung mit Stimmabsenkung als Folge, übermäßige Behaarungim Bein-, Brust- und Schambereich (siehe hierzu auch Abschnitt »Hormoneund Weiblichkeit").Diese typischen Anabolika-Mißbrauchs-Merkmale sollen künftig vermehrt zurDopingkontrolle im Sport eingesetzt werden — sie begründen einen sogenannten„Ermittlungsverdacht", das heißt, weist ein Athlet drei solche Symptome auf,kann er verpflichtet werden, weitergehende Untersuchungen zu erdulden. Beispielsweiseeine eindeutige Geschlechtsbestimmung oder die Anlage einesSteroidprofils, das die körpereigene Hormonproduktion überprüft: Wurden überlange Zeit fremde Hormone eingenommen, kommt die eigene Hormonproduktionzum Stillstand und wird nicht angezeigt...145


HORMON SYSTEMBildungsort Hormon FunktionHypothalamusAdenohypophyseAdenohypophyse ACTHFSHabgabefördernde und abgabe- Regulation derhemmende Hormone(Releasing- und Inhibiting-Hormone) (GnRH)WachstumshormonLHProlactinKontrolle der NebennierenrindeRegulation der KeimdrüsenStimulation des WachstumsRegulation der KeimdrüsenAnregung der MilchproduktionTSHNeurohypophyse Vasopressin Kontrolle des WasserhaushaltesOxytocinMilchflußUteruskontraktion undSchilddrüse Thyroxin Kontrolle desStoffwechselumsatzesNebenschilddrüse Parathormon Regulation desCalciumhaushaltesDarm Darmhormone Verdauung der NahrungBauchspeicheldrüse Insulin -J} GlucosestoffwechselGlucagonNebennieren Cortisol Dauerstreß,EntzündungshemmungEierstöckeAldosteronAdrenalinOstradiolProgesteron J }ElektrolythaushaltStreßreaktionAusbildungweiblicherGeschlechtsmerkmaleGeschlechtsmerkmaleHoden Testosteron Ausbildung männlicherAbbildung 17Hormone - Entstehungsorte und Funktionen (ausCrapo, L.: „Hormone", S. 21)Die Sexualhormone bewirken bei Männern und Frauen eine geschlechtstypischeAnsammlung von Fett an unterschiedlichsten Stellen des Körpers. Die Weichenhierfür werden in der Pubertät gestellt — bei Kindern sind die Unterschiede nochnicht ausgeprägt. Hierbei bewirkt Ostrogen, daß bei Frauen Fett an Hinterbackenund Hüften gelagert wird, während das „männliche" Hormon Testosteron dieFettansammlung an der Taille begünstigt. Testosteron fördert ferner den Abbau146von Fett am Hinterteil, Östrogen reduziert es wiederum am Unterleib.Forschungsergebnisse (US-Wissenschaftlerin Devendra Singh, Universität


Texas, 1994) haben in diesem Zusammenhang gezeigt, daß Frauen mit dem idealenVerhältnis von Hüftumfang und Taillenweite (0,67 - 0,80) gesünder sind alsandere Frauen und — in männlichen Augen — den meisten Sex-Appeal besitzen.Es ist die Taille der Frau, welche die Männer in erster Linie „anmacht"...


Ebenso gehört zur endgültigen Überführung eines dopingverdächtigen Athletendie Bestimmung des Wasserhaushalts. Saubere Sportler haben einen Wasseranteildes Körpers von 60 bis 62 Prozent, Anabolikasportler dagegen von 67 Prozent.Denn die anabolen Steroide bauen beim erwachsenen Menschen keine echteMuskelmasse auf, sondern ziehen lediglich Wasser in den Muskel: Die einzelnenMuskelfasern haben mehr Platz, reiben sich weniger aneinander und könnenmehr Leistung bringen. Oder, wie Professor Beuker es sagte: „Setzt der Athlet dasPräparat ab, läuft er aus wie eine Badewanne, aus der man den Stöpsel zieht. DieWirkung der leistungsfördernden Mittel hält bis zu sechs Wochen allerdingszuerst an, der Urin wird aber rein, und Doping kann nicht nachgewiesen werden(Absetzen zwischen drei Wochen und drei Tagen, je nach Präparat, vor demWettkampf).Nicht alle Merkmale des Anabolikakonsums verschwinden so schnell undspurlos aus dem Körper. Besonders die nicht sichtbaren Nebenfolgen könnenzu dauerhaften Schädigungen führen: vermindertes Wachstum beiJugendlichen, Leberschäden, Impotenz, frühzeitige Vergreisung, Depressivität,Fehlgeburten, Herzinfarkt. Professor Beuker: „Das diffuse ,KrankheitsbildAnabolika-Mißbrauch' ist erst langsam im Entstehen, denn die langfristigenWirkungen machen sich erst jetzt — zehn Jahre nach der flächendeckendenVerbreitung — bemerkbar." Und was ist mit dem »Krankheitsbild Hormon-Mißbrauch" im Transsexualitätsbereich? Denn genauso fragwürdig ist diehormonelle Therapie von Mann-zu-Frau-Transsexuellen mit beispielsweiseAntiandrogenen wie Cyproteronacetat (Androcur), ein sehr starkes Gestagen derBerliner Scheringwerke. Hierzu zitieren wir wieder ausführlich aus einemArtikel des Sexualwissenschaftlers Professor Volkmar Sigusch in der ZeitschriftSexualmedizin 1/1979, S. 13 - 19:„Die Behandlung mit AntiandrogenenUltima ratio bei sexuellen Problemen?Sexualhormone, also Ostrogene, Gestagene und Androgene, werden seit Anfangder 30er Jahre intensiv erforscht. Zunächst galt das Interesse ihren physiologischenund patho-physiologischen Wirkungen, ihren pharmakologischen Effekten,ihrer Struktur und ihrer Synthese. Bald jedoch begann die Suche nachAntagonisten der Sexualhormone, nach ,Antihormonen`, um mit ihrer Hilfe denWirkungsmechanismus und die physiologische Bedeutung der Sexualhormonenäher aufklären zu können. Weil schon damals angenommen wurde, bestimmteErkrankungen, z. B. das Prostata- und Mammakarzinom, könnten durch Sexualhormonegefördert werden, bestand auch ein großes praktisches Interesse an dieserForschung. Außerdem würden effektive Antiöstrogene und Antigestagene neueMöglichkeiten der Fertilitätskontrolle eröffnen.Bisher ist die Suche nach Antiöstrogenen und Antigestagenen wenig erfolgreichgewesen (Neumann et al., 1968). Nur für die Androgene sind Antogonisten imstrengen Sinne gefunden worden,die als Antiandrogene bezeichnet werden. Ganzallgemein versteht man darunter Substanzen, die die Wirkungen natürlicher undsynthetischer männlicher Sexualhormone in irgendeiner Weise an den Erfolgsorganenaufzuheben vermögen. Substanzen, die lediglich über eine Beeinflussung147


der gonadotropen Hypophysenfunktion die testikuläre Synthese von Androgenenhemmen, werden nach der heute allgemein akzeptierten Definition nicht denAntiandrogenen zugerechnet (Dorfman, 1971). Sonst müßten beispielsweise auchÖstrogenen den Antiandrogenen zugeschlagen weren.Obwohl schon vor 40 Jahren von Antiandrogenen gesprochen wurde, habendiese Substanzen bis Anfang der 60er Jahre keine größere experimentelle oderklinische Bedeutung erlangt. Die bis dahin bekannt gewordenen Antiandrogenewaren entweder in ihrer Wirkung zu schwach oder zu toxisch, oder sie zeigtennur in bestimmten Dosierungen antiandrogene Effekte, oder sie waren nur inbestimmten Tiermodellen bei bestimmten Spezies wirksam. Diese Antiandrogenegehörten verschiedensten Stoffklassen an (Wiechert et al., 1967; Dorfman, 1969).Cyproteronacetat1962 entdeckten dann Neumann und seine Mitarbeiter (Hamada et al., 1963)zufällig, daß ein starkes Gestagen, das von Wiechert ein Jahr zuvor in denSchering-Laboratorien synthetisiert worden war, auch starke antiandrogeneWirkungen hat. Es handelt sich bei dieser Substanz um ein Steroidhormon, dasstrukturell dem Gelbkörperhormon, dem Progesteron, verwandt ist. Seine chemischeBezeichnung ist 6-Chlor-17-hydroxy-la, 2a-methylen-pregna-4,6-dien-3,20-dion-acetat. Der ,generic name' ist Cyproteronacetat. Seit 1973 ist es in Tablettenformals Androcur® (1 Tabelette enthält 50 mg Cyproteronacetat), seit 1977auch als injizierbares Depotpräparat — Androcur® Depot — im Handel (1Ampulle zu 3 ml enthält 300 mg Cyproteronacetat in öliger Lösung).Cyproteronacetat ist das stärkste Antiandrogen, das bisher bekannt ist. Wie alleAntiandrogene ist es kein natürlich vorkommendes Hormon, sondern ein synthetischerStoff. Obwohl bisher einige hundert Substanzen, Steroide undNichtsteroide, mit antiandrogenen Eigenschaften bekannt sind und ständig neuebeschrieben werden, haben neben dem Cyproteronacetat nur wenige eine experimentelleoder klinische Bedeutung erlangt. Als Wirkungsmechanismus wirdheute angenommen, daß Cyproteronacetat die endogen gebildeten und exogenzugeführten Androgene kompetitiv an den Rezeptoren der Erfolgsorgane hemmt.Prinzipiell beeinflussen Antiandrogene alle funktionell oder morphologischirgendwie androgenabhängigen Organe und Organsysteme. Die Wirkungen aufdie Funktion der akzessorischen Geschlechtsdrüsen, die Funktion der Hoden,auf die Haut und ihre Anhangsorgane, darunter besonders die Talgdrüsen, aufdie Knochenreifung, verschiedene Stoffwechselprozesse, embryonale Differenzierungsvorgängeund das sexuelle Verlangen sind im Tierexperiment eingehenduntersucht worden (Übersicht b. Neumann u. Steinbeck, 1974).Endokrinpharmakologisch werden drei Partialwirkungen des Cyproteronacetatsunterschieden: antiandrogen, gestagen und antigonadotrop. Das Cyproteronacetatist also nicht nur ein starkes Antiandrogen, sondern auch ein starkesGestagen und aufgrund seiner gestagenen Eigenschaften von antigonadotroperWirkung. Auf weitere Einzelheiten soll hier nicht eingegangen werden.148


Aus den tierexperimentell gewonnenen und theoretisch gedachten Wirkungendes Cyproteronacetats ergaben sich bisher, teilweise in Kombination mit anderenPharmaka, folgende therapeutische Indikationen beim Menschen, derenVertretbarkeit oder Bedeutung hier nicht erörtert werden kann: Pubertas praecoxideopathica bei Kindern beiderlei Geschlechts; Hirsutismus, androgenetischeAlopezie, schwere Formen von Akne und Seborrhö sowie Zyklusregulierung undKontrazeption bei der Frau; palliative Therapie des Prostatakarzinoms sowie —wenig aussichtsreich — Kontrazeption beim Mann (vgl. Graf et al., 1974). Wir selberbenutzen das 1978 in den Handel gekommene Präparat Diane®, das nebeneinem Ostrogen auch Cyproteronacetat als Gestagen enthält, unter bestimmtenBedingungen zur oralen Hormontherapie bei biologisch männlichen transsexuellenPatienten (Sigusch et al., 1978).Wenngleich andere Untersucher eine solcherart durchgehende Wirksamkeitkeineswegs beobachten konnten (Übersicht bei Horn, 1974), ist sicher, daßCyproteronacetat beim Mann eine starke Wirkung auf sexuelle und generativeFunktionen hat. Immer wieder ist eine Beeinträchtigung bzw. Hemmung bisAuslöschung der sexuellen Appetenz, der sexuellen Exzitation, der Erektion,der Ejakulation, des Orgasmus und der Satisfaktion sowie derSpermatogenese beschrieben worden.Unter welchen Bedingungen die Behandlung mit Cyproteronacetat ärztlich zurechtfertigen ist und für den Patienten überwiegend günstige Auswirkungenhat, kann den bisher vorgelegten Behandlungsberichten kaum entnommenwerden. Die meisten Untersuchungen genügen keineswegs den Standards, diean eine systematische und kontrollierte Therapieforschung zu stellen sind. DieDiagnostik ist regelhaft oberflächlich, lückenhaft, von moralischen Vorurteilenentstellt.Inzwischen haben die Antiandrogen-Therapeuten ihren Indikationskatalogbeschnitten. Homosexualität, Transvestitismus, Fetischismus und schuldhafterlebte Masturbation sowie generell Störungen im Kindes- und Jugendalter nehmensie im allgemeinen ausdrücklich heraus. Sie betonen auch, diese Therapiemüsse mit einer psychotherapeutischen Beratung oder Behandlung ,kombiniert`werden. Für Fähndrich (1974, S. 241) kommt ,die bloße Verabreichung desMedikamentes' einem Kunstfehler gleich — womit er zweifelsohne recht hat.Einen Ansatz, der sich zur leichtzüngigen Forderung nach ,Kombination` eherinvers verhält, teilte Petri (1975) ausführlich mit.Ferner gehen die Antiandrogen-Therapeuten heute überwiegend davon aus, daßnur eine langdauernde, oft über Jahre, wenn nicht lebenslänglich durchgeführteBehandlung den gewünschten Effekt hat. Voraussetzung für einen Behandlungserfolgseien Einsichtsfähigkeit, Mitarbeit und Zuverlässigkeit des Patienten.Einheitliche Indikationskriterien fehlen aber nach wie vor. Während einigeAutoren den ,Leidensdruck` der Patienten herausstellen, behandeln andere, wennder Wunsch nach Entlassung aus der Strafhaft als Behandlungsmotiv im Vordergrundsteht (z. B. Hiob, 1975). Von einer ,freiwilligen` Entscheidung des Gefangenenfür diese Therapie kann natürlich gar nicht gesprochen werden.149


Da die Cyproteronacetat-Behandlung die Keimdrüsen des erwachsenen Mannesnach allen bisherigen Kenntnissen nicht dauernd funktionsunfähig macht, kommtdas Gesetz über die freiwillige Kastration und andere Behandlungsmethoden vom15.8.1969 nicht zur Anwendung. Das bedeutet vor allem: Der nach diesem Gesetzeingesetzte Gutachterausschuß braucht nicht, wie bei der chirurgischenKastration, eingeschaltet zu werden. Allerdings gilt das dann nicht, wenn — waswir prinzipiell ablehnen — vor Abschluß der körperlichen Pubertät mitAntiandrogenen wegen der ,Auswirkungen eines abnormen Geschlechtstriebes`behandelt werden soll, weil noch keine ausreichenden Erfahrungen darüber vorliegen,wie sich bei Jugendlichen die Antiandrogen-Behandlung auf die Fertilität imErwachsenenalter auswirkt. — Die Kontraindikationen sind in der Übersicht aufder nächsten Seite zusammengestellt.Unerwünschte WirkungenJede Antiandrogen-Behandlung hat sogenannte Nebenwirkungen. (Ich sprecheübrigens immer, weniger verharmlosend, von unerwünschten Wirkungen.) Dieunabdingbaren somatischen Kontrolluntersuchungen sind in der nachfolgendenÜbersicht zusammengestellt (S. 16). Eine dieser unerwünschten Wirkungen, diebereits erwähnt wurde, ist die Hemmung der Spermatogenese. Im allgemeinenkommt es zu einer Arretierung der Spermatogenese auf der Stufe der primärenSpermatozyten. Die Reduktionsteilung läuft also nicht mehr ab. Andrologischgesprochen, kommt es innerhalb von vier bis acht Wochen zu einer hochgradigenOligozoospermie oder Azoospermie. Der Patient wird im allgemeinen zeugungsunfähig.Gleichzeitig verringert sich das Ejakulatvolumen erheblich bis hin zurEjaculatio deficiens, d. h. bis hin zum völligen Ausfall der Ejakulation. Nach einigenBeobachtungen kann es jedoch bereits während der Langzeitbehandlung mit50 bis 150 mg/die Cyproteronacetat zu einer ,Refertilisierung` kommen. EinigeFrauen, deren Männer nur noch mit dieser Dosis behandelt worden waren, sindgravide geworden. Die Kinder sind gesund. ,Es gibt auch sonst weder klinischnoch tierexperimentell einen Anhalt dafür, daß in solchen Fällen aus derAntiandrogenwirkung auf die Spermien embryonale Mißbildungen resultierenkönnen. Dagegen wären Mutationseffekte in der zweiten oder drittenTochtergeneration denkbar' (Arzneimittelbrief 1973, S. 56). Biopsien haben eineAtrophie der Hodentubuli ergeben. Die Reaktion der Leydig-Zellen wird dagegenunterschiedlich beurteilt. Alle genannten Veränderungen sind nach den bishervorgelegten Untersuchung voll reversibel. Im allgemeinen entspricht derSpermiogrammbefund ungefähr ein halbes Jahr nach Absetzen von Androcur®wieder dem Ausgangsbefund. Es kann aber auch bis zu zwanzig Monaten dauern,bis die Spermatogenese wieder normal ist.150


Kontraindikationen• Die Herstellerfirma gab 1977 als Kontraindikationen an: Leberkrankheiten,idiopathischer Schwangerschaftsikterus oder schwerer Schwangerschaftspruritusin der Anamnese, Dubin-Johnson- und Rotor-Syndrom, konsumierendeKrankheiten, außer Prostatakarzinom, schwere chronische Depressionen, vorausgegangeneoder bestehende thromboembolische Prozesse, Sichelzellenanämie,Schwangerschaft, Herpes gestationis in der Anamnese.• Nach unseren Informationen betrachten einige Untersucher ferner endokrineErkrankungen und starke Adipositas sowie Psychosen, chronischen Alkoholismus,organische Hirnschäden und Schwachsinn als absolute oder relativeKontraindikation, entweder wegen der speziellen unerwünschten Wirkungen desPräparats oder wegen der zu erwartenden Therapieresistenz (vgl. dagegen z. B.Saba et al., 1975).• Bekannt ist, daß die appetenzdämpfende Wirkung unter Alkoholeinflußvermindert sein kann.• Kinder und Jugendliche sollten nach unserem Dafürhalten aus prinzipiellenGründen überhaupt nicht wegen sexueller Abweichungen mit Antiandrogenenbehandelt werden. Außerdem ist sicher, daß Cyproteronacetat die Knochenreifungund das Längenwachstum verzögert. Inwieweit die Keimdrüsenentwicklungbeeinflußt wird, und ob auch vor Abschluß der körperlichen Entwicklung dieWirkung des Präparats auf die Keimdrüsen reversibel ist, kann gegenwärtig nochnicht beantwortet werden. Über den Mißbrauch der Antiandrogene zur,Behandlung` von sexuell ,auffällig` gewordenen Kindern und Jugendlichen berichtetePetri (1975). Weitere Vorkommnisse dieser Art sind uns jedoch nicht bekanntgeworden, obwohl seit Jahren jeder Arzt über Androcur® frei verfügen kann.• Gelegentlich sind auch Frauen — mit ,geringerem Erfolg' als Männer — aussexualtherapeutischer Indikation mit Cyproteronacetat behandelt worden. Es sollsich dabei um ,hypersexuelle` Frauen oder sogenannte Nymphomaninnen gehandelthaben. Wir kennen diese diagnostischen Kategorien nicht und lehnen solcheBehandlungen daher grundsätzlich ab. Krause (1972) hat übrigens öffentlichangeregt, auch bei Frauen, die Eigentumsdelikte begehen, nämlich beiLadendiebinnen ,mit sexueller Komponente, Cyproteronacetat einzusetzen. Dasist exakt die gefährliche Richtung im Denken und Handeln, die wir gegenwärtig imZusammenhang mit psychochirurgischen Eingriffen beobachten und bekämpfenmüssen. Mit ärztlichen Anliegen hat das nichts zu tun.• Nach meiner Auffassung wäre eine Antiandrogen-Behandlung von Frauen nurdann zu erörtern, wenn quälende sexuelle Spannungen nachweislich auf einepathologisch gesteigerte endogene Androgenproduktion zurückgingen und psychotherapeutischnicht zu beherrschen wären. Eine Schwangerschaft müßtedann auf jeden Fall ausgeschlossen werden, weil Antiandrogene die männliche151


Geschlechtsdifferenzierung stark beeinflussen, d. h. beim männlichen Fetenzu einer Feminisierung führen. Außerdem dürften diese Frauen imgebärfähigen Alter nur dann behandelt werden, wenn die Therapie gleichzeitgeine 100%igen Kontrazeptionsschutz gewährleistete. Solche Überlegungensind aber theoretischer Natur; sie ergeben sich nach meiner Kenntnis nichtaus der klinischen Wirklichkeit.Als weitere unerwünschte Wirkungen werden vor allem beträchtliche Schwankungendes Körpergewichts, im allgemeinen Gewichtszunahmen bis zu 20 kg unddarüber, sowie in etwa 20 % eine teils passagere, teils persistierende Gynäkomastiegenannt (Raspé, 1972). Gelegentlich bestand ferner eine starke Berührungsempfindlichkeitder Mamillen, bildeten sich gutartige, aber gleichfalls starkdruckschmerzhafte Knötchen in den Mamillen oder trat eine Galaktorrhö auf.Etwa 30 % der Patienten sollen am Beginn der Behandlung über Müdigkeit,Adynamie und allgemeine körperliche Leistungsminderung geklagt haben. Beieinzelnen Patienten schließlich sind flächenhafte Haarausfälle am Körper, verminderteAxillarbehaarung, verminderter Bartwuchs, Pruritus, Exantheme,trockene Haut und Striae cutis, stechende und ziehende Schmerzen imGenitalbereich, Hitzewallungen, Kopfschmerzen, Ohrensausen, Schwindelgefühleund ähnliche Beschwerden beobachtet worden.Die Befürchtung, es könnte nach Langzeitbehandlungen aufgrund eines gestörtenKalzium- und Phosphathaushaltes zu osteoporoseähnlichen Veränderungen kommen,ist bisher nicht belegt worden. Am Beginn der Therapie besteht zwar eineleicht katabole Stoffwechsellage, die sich aber bald normalisieren soll.Im Vergleich mit den biochemisch-körperlichen Befunden sind, wie gesagt, diepsychischen Veränderungen höchst unzulänglich erfaßt worden. Es wirdlediglich deskriptiv berichtet, einige Patienten seien ,innerlich unruhig`,andere ,depressiv verstimmt' gewesen.Somatische Kontroll-Untersuchungen• Die FertilitätBei Männern im zeugungsfähigen Alter, für die die Fertilität von Bedeutungist, sollte vor Beginn der Behandlung zumindest ein Spermiogramm zurKontrolle angefertigt werden, sofern es zumutbar ist.• Die Leber- und NNR-FunktionenDie Funktionen von Leber und Nebennierenrinde sollten überwacht werden, weilBeeinträchtigungen bisher nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden konnten.• Der KohlenhydratstoffwechselBei Diabetikern muß der Kohlenhydratstoffwechsel besonders sorgfältig kontrolliertwerden, weil gelegentlich Blutzuckeranstiege beobachtet worden sind.152


• Das rote BlutbildWeil sich gelegentlich unter einer langfristigen Behandlung der Hämoglobingehaltvermindert, sollte das rote Blutbild überwacht werden. Da Androgeneeinen fördernden Einfluß auf die Erythropoese haben, ist mit der inversenWirkung der Antiandrogene zu rechnen. Es sind jedoch auchHämoglobinanstiege beobachtet worden.Abschließend kann ich sagen: Cyproteronacetat ist eine medizinische Waffeschwersten Kalibers. Im Gegensatz zu vielen Pharmaka, die hierzulande reicheVerwendung finden, entfaltet es tatsächlich Wirkungen im Körper des Menschen,die in der Richtung liegen, die therapeutisch ins Auge gefaßt ist. Art und Ausmaßder unerwünschten, schädlichen und störenden Wirkungen übersteigen angesichtsder radikalen Natur des therapeutischen Zieles und einer ausweglosentherapeutischen Situation im allgemeinen nicht das Maß des Erträglichen. Alleunerwünschten körperlichen Wirkungen sind nach allem, was wir bisher wissen,bei einem erwachsenen Menschen reversibel; sie bilden sich mehr oder wenigerschnell zurück, wenn das Präparat abgesetzt wird. Durch diese Behandlung werdendie sexuellen und generativen Funktionen weder für alle Zeiten unwiderrufbarausgelöscht noch muß sexuelle Betätigung unter der Medikation ganz und garunmöglich sein. Auch bei einer Langzeitbehandlung kann an einem geeignetenPunkt das Mittel abgesetzt werden, wenn ein Kinderwunsch besteht. Das alleskann von keinem der irgendwie vergleichbaren oder konkurrierenden somatischenBehandlungsverfahren gesagt werden.Für mich ist die im Rahmen einer supportiven Psychotherapie erfolgendeAntiandrogen-Behandlung aus den genannten Gründen bei gewissenhafterund zurückhaltender Indikationsstellung ethisch und ärztlich vertretbar.Kastration (vgl. Sigusch, 1978) und psychochirurgischer Hirneingriff (vgl.Sigusch, 1977, 1979) sind demgegenüber inhumane Torturen, die operativdie Integrität der Person irreversibel verletzen.Diese Einschätzung soll nicht die Gefahren verharmlosen, die mit der bloßenMöglichkeit der Antiandrogen-Therapie verbunden sind. Petri (1975) hat eindrücklichdarauf hingewiesen. Er hat aber zugleich mögliche therapeutischeChancen gezeigt, die diese Mittel in der Hand des Therapeuten eröffnen können.Ich wollte auch nicht den Eindruck erwecken, als sei die Frage der Reversibilitätund die Frage der körperlichen Verträglichkeit des Cyproteronacetats heute schonabschließend zu beantworten. Dazu sind wir auch nach zwölf Jahren nicht in derLage. Die Frage aber, die dieser Arbeit als Untertitel vorangestellt wurde, bejaheich zur Zeit mit Wenn und Aber."Dieser Artikel sagt alles aus über die überaus brüchige Rechtfertigung derVerwendung eines solchen Präparats für Mann-zu-Frau-Transsexuelle — es isteinfach ein Horrorgemälde. Man beachte auch die Bemerkungen über dasHormonpräparat „Diane", das in Transsexuellenkreisen besonders beliebt ist.Interessant in dem erwähnten Zusammenhang ist, daß im Sommer 1994, imRahmen einer bundesweiten Medienkampagne, alle Frauen und alle Männer, die153


eines der beiden Schering-Medikamente „Diane 35" (seit 1985) und „Androcur"einnehmen, von der Bundesärztekammer aufgefordert wurden, mit den behandelndenÄrzten über eine Fortsetzung oder eine Änderung der bisherigenMedikation zu sprechen. Dies, da neuerdings beide Präparate vom Bundesinstitutfür Arzneimittel (BGA-Nachfolgerin) angeschuldigt worden sind, die Entwicklungvon Leberkrebs zu begünstigen. Die Anti-Baby-Pille „Diane 35" wird dabei vorallem Frauen verschrieben, die aufgrund eines ungewöhnlich hohen Anteilsmännlicher Sexualhormone im Blut an starker Körperbehaarung (Hirsutismus) undan einer schweren Form der Akne leiden — der Cyproteronacetat-Anteil in einer„Diane 35-Pille" (21 Stück kosten DM 20,47) beträgt allerdings nur zweiMilligramm. Bei Androcur sieht dies schon ganz anders aus: Das Mittel ist derzeitin zwei Stärken erhältlich, und zwar mit 10 und 50 Milligramm Cyproteronacetat(15 Stück ad DM 26,78 bzw. 20 Stück ad DM 75,92). Wie bereits des öfteren angemerkt,ist die gezielte Eigenmedikation gang und gäbe, nicht zuletzt auch, da sichein regelrechter Schwarzmarkt dafür inzwischen entwickelt hat bzw. die betreffendenMittel recht preiswert sind. Bis heute weigerte sich die HerstellerfirmaSchering AG in Berlin, die beiden Produkte vom Markt zu nehmen (Stand: August1994)...! Wie lange noch?Diese Tatsachen, von denen hier berichtet wurde, dürften in der Folge einenüberaus markanten Hinweis dafür sein, daß ohne weiteres festgestellt werden darfbzw. kann, daß die Wirkung von weiblichen Hormonen, Antiandrogenen undAnabolika — und dies wiederum beesonders über deren Abbauprodukte — in bezugauf die Leber außerordentlich schädigend ist. In der Weltliteratur sind bösartigeLebertumoren (Leberkrebs) infolge der längeren Einnahme von Anabolika bereitsdes öfteren dokumentiert (dies trifft auch für die gutartigen Veränderungen zu), sodaß hinsichtlich einer Dauermedikation mit Östrogenen und/ oder Antiandrogenenmit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit solche Folgen wie Leberkrebs —meist verbunden mit Bauch- und Lungenmetastasenbildung — einzukalkulieren sind.Bereits auch aus diesem einen Grund ist die in § 8 Abs. 4 des TSG enthalteneAufforderung zur „deutlichen Annäherung an das Erscheinungsbild des anderenGeschlechts" menschenverachtend, und welche gesundheitlichen Folgen damit fürdie betroffenen Transsexuellen vorprogrammiert sind, ist wohl absolut nichtbedacht. Auch hier findet wieder eine Verdrängungskultur allerersten Grades stattnach dem Motto: „Operation gelungen, Patient tot!" Kann eine Medienkampagnevielleicht auch etwas bewirken?Ebenso aufschlußreich über die übliche Vernebelungstaktik, wenn es um dieWirkungsrisiken von Hormonpräparaten geht, ist die nachfolgende Korrespondenzdes Bundesgesundheitsamts und der Berliner Schering-Werke, als dieAutorin versuchte zu erfahren, weshalb 1992 in Deutschland der Vertrieb vonProgynon-Depot-100 mg-Injektionslösung (am meisten in der Transsexuellenszene,speziell auch für die (preisgünstige) Eigenmedikation, verbreitet) überNacht eingestellt wurde.154


SCHERINGFrau<strong>Johanna</strong> <strong>Kamermans</strong>Große Bergstr. 160Schering AklicnqcsellsclriltW-2000 Hamburg 50/r///)/üJl'hnnun I )eulr.rhlanc In,,..l.,,,io.,,•i,~i.,~ .i.~„its1'1 ,n0 1 1 1 1 ) 1 0 0 1 1 125.01.93 pet-kt 148 03.02.93Sehr geehrte Frau <strong>Kamermans</strong>,vielen Dank für Ihre Zuschrift und das uns damit entgegengebrachte Vertrauen.Unser Präparat Progynon-Depot-100 war ausschließlich für die Behandlung von Tumoren derProstata des Mannes geprüft und zugelassen. Es steht darüber hinaus Jedem Arzt frei, ein bestimmtesArzneimittel auch bel anderen behandlungsbedürftigen Erscheinungen einzusetzen.Da Jedoch für die Behandlung der Prostata-Erkrankung heutzutage andere Arzneimittel bevorzugtwerden, haben wir uns entschlossen, den Vertrieb von Progynon-Depot-100 In Deutschlandeinzustellen.Fast täglich erreichen uns Zuschriften von Patienten mit dieser oder Jener Frage. Wir sindauch bemüht, Jedem Anfragenden eine Antwort zu geben, Behandlungsvorschläge könnenwir aber von hier aus und ohne Kenntnis näherer Einzelheiten nicht machen. Darüber hinausverbieten uns die Bestimmungen des Arzneimittelgesetzes, Patienten gegenüberPräparateempfehlungen auszusprechen und damit In eventuell laufende ärztlicheBehandlungen einzugreifen. Letztlich müssen wir also immer wieder raten, doch zunächstden behandelnden Arzt aufzusuchen, der sich dann, wenn noch weitere Fragen bestehen,gern mit uns In Verbindung setzen kann.Mit freundlichen GrüßenSchering AktiengesellschaftI. V. Brill I. A. H.Petschick, Ärztin1 5 5


BundesgesundheitsamtbgaBundaspecundheitsamt. Paetlach 770013, D 1000 Berlin 33Frau<strong>Johanna</strong> <strong>Kamermans</strong>Große Bergstr. 1602000 Hamburg 50BundesgesundheitsamtPostanschrift:Postfach 33 00 13D-1000 Berlin 33TTX-Nr. 1171 308062 BGESATobten: 10301 4502 207Wir kitten, alle Zuschril• tenan des BOA nicht nnEin,elpersnrrnrr 711 richten.Ihre Zeichen und Nachricht vom02.02.1993Gesch.-Z.: Bins nei Armor u.peueeTrlr(nn: (0i0) 4S02 - tt IirrlinG V 8-7251-01- 4502 148067960/93Zulassung von Arzneimitteln / Progynon-Depot (Estradiol)2 3 , 2 . '3Sehr geehrte Frau <strong>Kamermans</strong>,wir bedanken uns für Ihre Anfrage und möchten Ihnen dazugerne folgende Informationen geben.Zur Aktualisierung der Packungsbeilagen von oralenKontrazeptiva ("Pille"), die das Bundesgesundheitsamt Ende1992 vorgenommen hat, möchten wir Ihnen die beigefügtePresserklärung zur Kenntnis geben. Die vorgenommenenÄnderungen in den Packungsbeilagen entsprechender Arzneimittelbeziehen sich jedoch nur auf diese Arzneimittelgruppe.Andere Estrogen- oder Gestagen-haltigen Arzneimittel, wie z.B. Estradiol-haltige Arzneimittel zur Injektion, sind vondiesen Änderungen nicht betroffen. Ihre Anwendung bei Frauenerfolgt in der Regel nur über einen kurzen Zeitraum.Auch Progynon-Depot zur Injektion mit verschiedenenWirkstoffmengen ( 10, 40 und 100 mg Estradiol) ist von denjetzigen Entscheidungen des Bundesgesundheitsamtes nichtbetroffen. Für die Injektionslösung zu 40 und 100 mgEstradiol hat der pharmazeutische Unternehmer, die Fa.Schering AG, im April 1990 auf die Zulassung verzichtet,diese Arzneimittel dürfen spätestens seit dem 01. Januar 1993nicht mehr in den Verkehr gebracht werden. Für Progynon-Depot10 mg Injektionslösung hat Schering die Verlängerung derZulassung beantragt, über die aber noch nicht entschiedenist. Das Arzneimittel kann danach weiterhin in den Verkehrgebracht werden.Die Erkenntnisse über eine Erhöhung des Risikos, an Brustkrebszu erkranken, im Zusammenhang mit der Anwendung von oralenKontrazeptiva über einen langen Zeitraum stützen sich vor allemauf epidemiologische Untersuchungen, deren Ergebnisse einensolchen Zusammenhang nicht vollkommen ausschließen. Das Risiko156


für Männer allgemein, an Brustkrebs zu erkranken, ist deutlich,etwa um den Faktor 100, geringer als bei Frauen. Ob die häufigpraktizierte hochdosierte Gabe von Estradiol bei Mann-zu-Frau-Transsexuellen eine Erhöhung dieses Riskos bedeutet ist unseresWissens nicht untersucht worden.Wir möchten Sie darauf aufmerksam machen, daß die früher oftgeübte Praxis hochdosierter Estradiol-Gaben bei Mann-zu-Fra-Transsexuellen (z.B. mit Progynon-Depot) inzwischen nicht mehrempfohlen wird. Stattdessen wird eine tägliche niedrig dosierteorale Gabe vorgezogen, weil damit eine gleichmäßigereKonzentration von Estradiol im Blut bei gleichem erwünschtenEffekt erreicht werden kann. Die Hormonkonzentrationen im Blutmüssen bei diesem Dosierungsschema jedoch auch regelmäßigkontrolliert werden.Wir hoffen, Ihnen einige hilfreiche Erläuterungen und Hinweisegegeben zu haben.Mit freundlichen GrüßenIm AuftragDr. Ulrich HagemannWeiter sei noch ergänzend gesagt, daß dagegen bei Frauen eine Ostrogentherapie- und hier besonders in bzw. nach den Wechseljahren - außerordentlich positiveWirkungen mit sich bringt. In diesem Falle heißt es sogar, Östrogen sei derTreibstoff für den weiblichen Körper an sich, und obwohl damit die Wechseljahrenicht wegkuriert werden sollten, könnten diese mit einer Östrogen-Therapie dochweitgehend behoben werden. Etwa jede dritte Frau zwischen 45 und 65 Jahren inDeutschland nimmt nach dem Ausbleiben der Monatsblutungen Sexualhormoneein - eine Kombination von Östrogen und Gestagen hat sich dabei durchgesetzt.Auf diese Weise wird das Krebsrisiko der Brust, der Eierstöcke, der Gebärmutterund des Dickdarms sowie der (krankhafte) Abbau der Knochensubstanz(Osteoporose) verhindert bzw. das Herzinfarktrisiko gesenkt. In einem157


„Workshop” im Hafen-Klub Hamburg (!) sagte Prof. Wolf Eicher, Chefarzt derFrauenklinik des Diakonissenhauses Mannheim (gleichzeitig DeutschlandsTranssexualitäts-Papst) Anfang 1994: „Mit der Gabe von Östrogen als Treibstofffür den Körper kann die mangelnde Durchblutung wieder verdoppelt werden,auch nervlich-seelische Störungen werden positiv beeinflußt." Gerade weilProfessor Eicher sich in der Transsexuellen-Thematik nicht nur chirurgisch, sondernauch im hormonellen Sinne profiliert hat, sei die Frage erlaubt, weshalb dietranssexuelle Anwendung von Östrogenen und Gestagenen in einem solchen„Workshop" anscheinend völlig übergangen wird (obwohl das TSG ja die völligeGleichstellung von „künstlichen" und biologischen Frauen impliziert). Jedenfallssollte man erwarten dürfen, daß für die Öffentlichkeit differenziertere Interview-Erklärungen abgegeben werden seitens derart engagierter Mediziner...Als ebenso bezeichnend für die Komplexität von künstlichen Eingriffen insmännliche oder weibliche Hormonsystem darf auch die Entwicklung der „Pille fürden Mann" gelten. Hierbei wird seitens der Wissenschaftler vor allem abgestritten,daß es deshalb noch immer keine solche Pille für den Mann gibt, weil sichhauptsächlich Männer mit der Verhütungsforschung beschäftigen. Die effektivenmedizinischen Anforderungen an die »Pille für den Mann" sind dabei die gleichenwie bei den (weiblichen) Ovulationshemmern: Sie muß sicher sein, darf dasLiebesverlangen und die Potenz nicht herabsetzen und sollte die sekundärenGeschlechtsmerkmale nicht beeinflussen, d. h. der Bartwuchs muß bleiben, undein Brustwachstum ist unerwünscht, während nach dem Absetzen dieFruchtbarkeit vollständig wiederkehren soll. Bei irgendeinem dieser Punkte hates allerdings bis heute immer wieder gehapert:— Der Einsatz weiblicher Hormone hemmt zwar beim Manne, wie wir gesehenhaben, die Funktionen der Hoden, hat aber deutlich spürbare Nebenwirkungenund führt zur Brustbildung— Antiandrogene als Gegenspieler der männlichen Geschlechtshormone beeinträchtigendie Lust— die ebenfalls getestete hormonähnliche Substanz Danazol führt zuLeberschäden— Anabolika vermindern zwar die Anzahl und die Beweglichkeit der Spermien,wirken jedoch stark gewichtssteigernd (im Durchschnitt sechs Kilo).An die erwähnte Problematik — d. h. die Fruchtbarkeit auf Null zu senken,aber gleichzeitig Libido und Potenz nicht zu beeinträchtigen — sind bislang fastalle Versuche gescheitert, ein solches Empfängnisverhütungsmittel für Männer zuentwickeln. Allerdings ist 1993 vom amerikanischen Gynäkologen Spyros Pavlouam Beth Israel Hospital in Boston ein Zwei-Komponenten-Mittel entwickelt worden,wobei der eine Bestandteil, Nal-Glu genannt, die Spermienproduktionblockiert und der andere Wirkstoff, das männliche Hormon Testosteron, Libidound Potenz erhält — allerdings bei täglicher Injizierung. Da sich nach demAbsetzen der Verhütungsspritzen bei allen Testpersonen die Spermienproduktionetwa zehn bis zwölf Wochen später wieder normalisiert hatte, laufen derzeit beietlichen Pharmafirmen und Hochschulinstituten intensivierte Versuche, einPräparat zu entwickeln, das weniger häufiger injiziert werden muß oder sogar nurper Nasenspray (!) verabreicht werden kann. Der aus dem 01 von Baumwollsamengewonnene Wirkstoff Gossypol weist zwar auch hervorragende Ergebnisse158


ei der Reduktion der Spermienzahl (auf unter vier Millionen pro Milliliter) bzw.deren Beweglichkeit, jedoch ist die Fruchtbarkeit nach dem Absetzen bei vielenMännern beeinträchtigt (Azoospermie, d. h. Fehlen jeglicher Spermien in derSamenflüssigkeit noch nach drei Jahren).Ebenso treten erhebliche Nebenwirkungenauf: Bis zu zehn Prozent der getesteten Männer klagten über Müdigkeit,Magen-Darm-Beschwerden sowie Libido- und/oder Potenzverlust.Wir sind wiederum derart ausführlich auf die behandelte Materie eingegangen,um aufzuzeigen, wie subtil und kompliziert das hormonelle Gleichgewicht vonMann und Frau konzipiert ist — jegliches Eingreifen von außen stößt auf überausernstzunehmende Hindernisse und Beeinträchtigungen seitens des Regelsystems.In Anbetracht aller diesbezüglich aufgezeigten Komplikationen und Risiken fürden männlichen Organismus beim übermäßigen bzw. lebenslänglichen Einsatzvon weiblichen Hormonen, Antiandrogenen und Anabolika kann an dieser Stellenur nochmals dringend davor gewarnt werden, diese bei der Hormontherapie speziellfür männliche Transsexuelle mehr oder weniger einfach zu übergehen bzw.entsprechend zu bagatellisieren. Auch aus diesem Gesichtspunkt ist die medizinischeNachsorge für Transsexuelle eminent wichtig — die hormonellen Eingriffesind und bleiben unnatürliche Vorgänge mit völlig künstlichen Resultaten. Daßhierüber auch ganz anders gedacht werden kann, beweist Prof. Eicher in seinemBuch „Transsexualismus" (S. 86), wenn er schreibt: „Die Hormonbehandlung beimTranssexuellen hat zum Ziel, den Körper dem von dem Patienten ersehntenGeschlecht anzugleichen. Eine gleichgeschlechtliche Hormonbehandlung mit derIdee, die Geschlechtsidentität dem Körper anzupassen und dem Patienten dadurchzu helfen, ist illusorisch" (d. h. Testosteronpräparate bei Mann-zu-Frau-Transsexuellen und Ostrogenmedikamente bei Frau-zu-Mann-Transsexuellen)und darauf abzielend: „Solche Behandlungsversuche grenzen an einenKunstfehler (!), da sie die spätere Transformation erschweren können, da dasKrankheitsbild in seinem Wesen nicht erkannt ist und da sie das Leiden derPatienten vermehren." Wird durch solche Außerungen nicht ganz besonders kraßbetont, wie die „illusio virilis" den (ärztlichen) hippokratischen Eid ins Gegenteilverkehren kann, wenn es um das Faktum Transsexualität und seine medizinischeBegründung geht? Geht aus diesen Worten nicht hervor, wie Professor Eicher dem»vom Patienten ersehnten Geschlecht" die Priorität über dem tatsächlichenGeschlecht einräumt, der „falsche Körper" also (nur) angeglichen werden muß,weil alle andere Hilfe „illusorisch" ist? (Männliche) Hybris par excellence!Ebenso sei an dieser Stelle noch auf die sogenannte „Schlüssel-Funktion" vonHormonen hingewiesen. Aus den uns bekannten Gründen („Adam aus Eva")haben Männer und Frauen grundsätzlich die gleichen Hormone — sie unterscheidensich allerdings stark in ihrer Konzentration: Der weibliche Körper produziertzwischen zwei- und zehnmal soviel Ostrogene wie der männliche. Hierbei ist in derersten Hälfte des Menstruationszyklus der Ostrogenspiegel der Frau besondershoch — es sorgt für den erneuten Aufbau der Gebärmutterschleimhaut undbeeinflußt ein weiteres Hormon, das seinerseits das „Startsignal" für den Eisprunggibt — jedenfalls bis zu den Wechseljahren. Menschliche und tierische, selbstpflanzliche Hormone gleichen sich oft sehr stark: Sie sind die „Boten” (vom griech.„hormao") der Drüsen, die ihrerseits — neben anderen Regulatoren — die Tätigkeitder Organe aufeinander abstimmen. Hormon und Organ finden zuein-159


ander, weil das Hormon und Stellen an der Organoberfläche wie Schlüssel und Schloßzueinander passen („Schlüssel"-Prinzip des Andockens).Es hat sich nun herausgestellt, daß gewisse, industriell-synthetisch hergestellteSubstanzen (beispielsweise die Allerwelts-Chemikalie Nonylphenol, die u. a. zurProduktion von Reinigungsmitteln eingesetzt wird) eine ähnliche Wirkungsweisehaben können, und zwar im östrogenen Sinne — sie passen auch in das jeweilige„Ostrogen-Schloß". In einigen Fallen ist es nun möglich, daß der Körper denIrrtum nicht bemerkt und wie auf eine Ostrogen-Gabe reagiert, in anderen Fällenblockieren die fremden Substanzen die „Schlösser" und dadurch auch die normalenhormonellen Reaktionen des Körpers — das natürliche Gleichgewicht desRegelsystems gerät in beiden Fällen durcheinander. Besonders betroffen seiendabei die Fortpflanzungsorgane, und Schäden können deshalb an Ungeborenenbereits im Mutterleib entstehen: Während die natürlichen Östrogene der Mutterdem Fötus nicht schaden können (siehe Phänomen der testikulären Feminisierung),können hormonartige Chemikalien seine Entwicklung durchaus erheblichbeeinträchtigen. Englische und amerikanische Studien deuten darauf hin, daßselbst Chemikalien, die bislang in ihrer Umweltverträglichkeit als absolut harmlosgalten, gravierende Auswirkungen auf Mensch und Tier haben können. Sie wirkenwie das Hormon Ostrogen und stehen im Verdacht, deswegen einekrebsbegünstigende Wirkung zu haben: Die amerikanische Forscherin Ana Sotoentdeckte, daß das schon erwähnte Nonylphenol im Labor Brustkrebs-Zellkulturenwachsen ließ. Ebenso konnten britische Forscher feststellen, daß inAuslaufbereichen von Klärwerken vermehrt Zwitterfische, die sowohl weiblichewie männliche Geschlechtsmerkmale aufwiesen, jetzt vorkommen. Der anfänglicheVerdacht, daß die Antibabypille schuld sei an dieser östrogenen Wirkung — indemderen synthetisches Ostrogen via Urin und Kläranlagen in die Flußgewässergelangen würde — mußte fallengelassen werden — es wurden keine Pillenhormoneim Kläranlagenabwasser gefunden, andere Schadstoffe müssen für dieZwitterwirkung verantwortlich zeichnen. Insofern stellt die Tatsache, daßUmweltgifte eine hormonelle Wirkung auf Mensch und Tier ausüben (und beispielsweisedie Zeugungsfähigkeit beeinträchtigen können) eine enorme Herausforderungfür die Forschung (und die Verantwortung seitens der Industrie) dar.Angesichts mehrerer Millionen künstlicher Stoffe ist dies, selbst bei einerBeschränkung auf bestimmte Stoffgruppen, eine unglaubliche Sisyphusarbeit —mit unbekanntem Ausgang. Gleichzeitig sind die geschilderten Vorgänge auchwiederum ein weiterer Beweis dafür, daß es einfach nicht möglich ist, natürlicheGegebenheiten ohne weiteres „künstlich” zu ersetzen. Schon gar nicht, indem imtranssexuellen Bereich die jeweiligen Hormonsituationen auf extrem künstlichemWege und auf Dauer (und meistens mehr oder weniger unkontrolliert) nachgeahmtwerden (siehe auch die Ausführungen über Androcur [Sigusch-Zitat]).Im Spiegel-Artikel „Ein Ozean von Hormonen" (20/1994) hieß es sogar:„Impotente Panther, transsexuelle Fische (!), Alligatoren mit verkrümmtemPenis" sowie „In der Nähe von Kläranlagen, deren Abflußrohre in Flüsse undBäche münden, entdeckten britische Wissenschaftler Forellen- und Karpfenmännchen,die zu Transsexuellen (!) mutiert waren." Männlich-patriarchalischer„Gag" oder schlicht journalistische Ignoranz im „illusio-virilis"-Wahn? Einsolcher Fauxpas sollte dem Spiegel eigentlich nicht passieren dürfen.1 6 0


Hormone, Weiblichkeit und AnabolikaDie übliche Hormonbehandlung von Frau-zu-Mann-Transsexuellen erfolgt überdie intramuskuläre Verabreichung von Testosteron-Präparaten (meistensTestoviron-Depot-250 mg), üblicherweise alle 14 Tage. Im Gegensatz zur vorhererwähnten Ostrogenmedikation bei Mann-zu-Frau-Transsexuellen, wo besonderszu Anfang durchaus mit überhöhten Dosen gearbeitet werden kann (ganz besondersüblich bei „wilden" Eigenmedikationen in der Transsexuellen-Rotlichtszene),wird durch eine höhere Testosteron-Dosierung keine wesentlich schnellereVermännlichung erreicht (da die Wirkung durch die Zahl der Androgenrezeptorenbestimmt wird). Eine solche Vorgehensweise führt lediglich zur extremen Leberbelastung.Ebenso sind auch keine oralen Präparate (wie z. B. bei der Ostrogenverabreichungfür Mann-zu-Frau-Transsexuelle) anwendbar bzw. wirksam geeignet.Die direkten Folgen einer solchen Testoviron-Behandlung sind (im transsexuellenSinne):— Einstellung der monatlichen Blutungen (Amenorrhoe) und eine Rückbildung (Atrophie)der Gebärmutter— Funktionseinstellung der Eierstöcke (Ovarien)— Rückbildung der Scheidenflora— Stimmbruch, über Heiserkeit nach einigen Wochen (manchmal auch erst nacheinige Monaten) zu einer tieferen Stimme führend (sogenannte Stimmbänder-Hypertropie)— Bartwuchs (Bartflaum), individuell verschieden— Zunahme der Körperbehaarung nach vorwiegend männlichem Behaarungsmuster(speziell Brusthaare und T-förmiger Schamhaarabschluß)— Abnahme des Brustvolumens mit Rückbildung der Drüsenstruktur (bis zurGewebewucherung)— Zunahme der Muskulatur (durch gezieltes, entsprechendes Training noch weiterforcierbar)— Vergrößerung der Klitoris (meistens bis 1- 2 cm Länge, seltén über 3 cm zunehmend)— Effektivitätssteigerung (Aggressivität, Optimismus, Durchsetzungsvermögen, Ausdauernehmen zu)(aus Eicher, Wolf: „Transsexualismus", S. 94 - 98)Diese gezielte, massive Anwendung von Testosteron für transsexuelle Zwecke(„Transsexuellen-Droge") ist jedoch nur die eine Seite der Medaille. Die andereSeite davon ist namentlich die Tatsache, daß „Testosteron-Doping" inzwischen zumgesellschaftlichen Allgemeingut geworden ist — in der modernen Leistungsgesellschaftist der Versuch geistiger und körperlicher Kraft mit pharmazeutischenWirkstoffen nachzuhelfen — also das, was im Sport „Doping” genannt wird —völlig legitim. Und besonders deutlich wird das gesellschaftliche Paradoxon desDoping-Verbots für Spitzensportler am Beispiel des männlichen SexualhormonsTestosteron — wir sahen dies bereits im vorhergehenden Abschnitt „Hormone undMännlichkeit" über die Wirkungen und Risiken von Anabolika (die nichts anderessind als chemisch abgewandelte Formen des Testosterons) zwecks Muskelbildung161


Abbildung 18Fleischgewordener (Anabolika-)Alp-Traum auf der Bühne.Im dazugehörigen Textteil heißt es lakonisch („stern” 38/94): „An denAusstellungsständen im Foyer türmen sich Wunder-Pulver (!) mit so martialischenNamen wie ,Anabolic Mass' (!), ,Mega Ripped' oder ,Nitrofuel'. Diemeisten hier sehen jedoch so aus, als würden sie regelmäßig Mittelchen (sic!)schlucken, die es nicht im offiziellen Fitness-Handel gibt." Und: „Bei einigenerinnert nur das Bikini-Oberteil daran, daß es sich um Frauen handelt"...1 6 2


und sportlicher Höchstformlenkung. Aber auch völlig unsportliche „Karriere-Frauen" können mit Testosteron(-Tabletten) ihre beruflichen Wettkampfchancenverbessern. So meint der bekannte Ulmer Gynäkologe Professor ChristianLauritzen, daß „Frauen im Berufsleben, vor allem in führenden Positionen, mitHilfe des männlichen Sexualhormons grundsätzlich besser mit Männern zurechtkommen".Und auch — so rät beispielsweise der Wiesbadener Frauenarzt Dr.Wolfgang Cyran — Frauen jenseits der Mitte vierzig kann mit Testosteron geholfenwerden, wenn „besonderer Wert auf eine Verbesserung des Geschlechtstriebs"gelegt wird. Damit bekommt man Depressionen in den Griff, und die körperlicheKraft nimmt zu — die Verabreichung erfolgt übrigens kombiniert mit dem weiblichenSexualhormon Östrogen (!). Lakonisch bemerkt Professor Lauritzen über diemöglichen (meistens tatsächlichen) Nebenwirkungen, wie unerwünschterHaarwuchs, Akne, fettige Haut, männlicher Haarausfall und tiefere Stimme: „DerNutzen ist mit diesem Risiko in Beziehung zu setzen." Außerdem verschwindensolche störende Nebenwirkungen (angeblich) wieder, wenn das Hormonpräparatabgesetzt wird — die meistens besonders bei Sportlerinnen zu beachtendeVergrößerung der Klitoris sei dagegen mehr oder weniger irreversibel. Alsaußerordentlich wirksam bei mangelndem Geschlechtstrieb und fehlendemOrgasmus (!) habe sich auch die Implantation von sogenannten „Preßlingen"(Mini-Testosteron-Tabletten zusammen mit den Hormonen Progesteron undEstardil) im übrigen erwiesen: sozusagen der »Höhepunkt aus der Retorte"! Hierbeiist die Grundlage einer solchen Therapie in der Tatsache gelegen, daß auchder weibliche Organismus — wie wir inzwischen bereits behandelt haben —männliche, natürliche Sexualhormone produziert. Erst aus dem Testosteron wirdnämlich bei der Frau das weibliche Sexualhormon Östrogen gebildet (siehe hierzuauch Kapitel 11: „Hormone und Hermaphroditismus) und ein Minimum anTestosteron braucht jede Frau, um gesund zu bleiben. Diese weiblicheAndrogenproduktion erfolgt üblicherweise in der Nebennierenrinde und zeichnetinsbesondere auch verantwortlich für die Ausgestaltung der Körper- undKopfbehaarung der Frau.Übrigens können von einer solchen gezielten Testosteron-Behandlung Männerähnlich profitieren wie Frauen — selbst wenn ihr Organismus noch ausreichendeMengen davon produziert, kann die zusätzliche Hormongabe „müde Männer" wieder„empfänglicher" machen, wie bereits vor mehreren Jahren Pariser Forscherder Descartes-Universität in Paris herausfanden. Denn mit dem üblicherweiseallmählich abnehmenden Hormonspiegel im Blut sinke auch die Leistungsfähigkeitder Muskeln, was beim älteren Mann im allgemeinen schnellereErmüdbarkeit, weniger Widerstandsfähigkeit gegen Streß sowie eine höhereKrankheitsanfälligkeit (allerdings auch durch „Sünden" in der bisherigenLebensführung maßgeblich beeinflußt) bedeutet. Deshalb — und nicht nur wegender möglichen Potenzsteigerung — wird älteren Männern etwa ab fünfzig Jahrenzunehmend Testosteron verordnet. Prostatakrebs werde durch Testosteron zwarnicht direkt ausgelöst, könne allerdings durch eine solche erhöhte Dosierung imWachstum gefördert werden. Daß Testosteron künftig möglicherweise auch beiEntfettungskuren hilfreich sein kann, haben wiederum neueste Untersuchungender Universität von Rochester (New York) ergeben: Testosteron ist ein starkerMuskelbilder, wobei zugleich das Körperfett deutlich abnimmt („Traumkörper"-163


Suggestion). Bekanntlicherweise schätzen auch besonders Sportler die muskelbildendenEffekte des Hormons durch die längerfristige Einnahme kleinerer Hormonmengenwährend des Trainings, während die größere Hormonmenge — kurzvor oder sogar noch während des Wettkampfs genommen — die Kraftreservensowie die psychische Belastungsfähigkeit erheblich steigert.Zu welchen Auswüchsen die Anwendung von Testosteron im Sport — undhier wiederum speziell im Spitzensport der überaus verschiedensten Bereiche(Leichtathletik, Schwimmen, Wurfdisziplinen) — inzwischen geführt hat, wissenwir spätestens seit den spektakulären Dopingvorfällen rund um Weltsportidolewie Ben Johnson, Katrin Krabbe und Diane Williams, um einige zu nennen. DerZusammenhang zwischen Anabolika-Konsum und dem Risikolebensbedrohlicher Spätfolgen zählt allerdings zu einem der hartnäckigstenTabus des Leistungssports — genauso wie es dies auch im transsexuellenAnwendungsbereich der Fall ist (die nüchterne Fachsprache in Professor EichersBuch „Transsexualismus" [1984/93] ist hierfür charakteristisch). Ebensobezeichnend für diese „Anything goes"-Moral sind die Feststellungen imSpiegel-Artikel „Harte Waden" (5/1993), wo es heißt:„Während die Öffentlichkeit für die muskelbepackten Dopingfrauen inzwischensensibilisiert ist, gilt die Hormonkur bei Männern weiter als Kavaliersdelikt.Ungerührt verharmlosen Funktionäre und Mediziner die Gefahren. Doch derAnabolika-Tod kommt immer häufiger. Gerstenberg (1993 im Alter von 35 Jahrenverstorbener Ex-DDR-Hammerwerfer) ist der vorläufig letzte einer langen Reihevon Athleten, die zu Opfern ihres eigenen Ehrgeizes und der Skrupellosigkeit (!)ihrer Betreuer wurden. Allein aus den letzten zehn Jahren sind 19 Sportlernamentlich bekannt, deren Exitus auf die übermäßige Einnahme anaboler Steroidezurückzuführen ist; wissenschaftliche Aufsätze berichten von weiteren elfanonymen Todesfällen.Experten wie der Heidelberger Krebsforscher Professor Werner Franke vermuten- insbesondere in der Ex-Sowjetunion — eine enorme Dunkelziffer: ,Sicher überhundert Doping-Tote`. Rund um den Globus und durch alle Sportarten zieht sich dieTodesspur der Hormonpräparate. So starben


englische Publikation den tödlichen Riß im Lebertumor eines aus Indien stammendenBodybuilders.Bei Anabolika-Konsumenten stellten die Mediziner häufig alle Arten desGewebezerfalls, Fibrosen und Zirrhosen sowie Zysten und Tumore fest, da dieSteroide in der Leber wie eine Zeitbombe wirken. Lebensgefährlich ist der Angriffauf die Leber, wenn weitere Belastungen des Körpers durch Hepatitis, Pharmakaoder Alkohol (wie bei Gerstenberg) hinzukommen. Die Funktionsstörungen derLeber können auch ursächlich für den ,sudden cardiac death of athletes' sein, derin zahlreichen wissenschaftlichen Untersuchungen beschrieben wird. Weil wenigerBlutfett bindende Eiweiße produziert werden, bilden sich Ablagerungen an denBlutgefäßen. Andere Studien berichten von direkten Einwirkungen anabolerSteroide auf die Herzmuskelstruktur. In den USA warten etliche Football-Profisauf Herztransplantationen, bei Kraftsportlern sind Bypass-Operationen in jungenJahren keine Seltenheit. Vor allem der Narzißsport Bodybuilding fordert ständigneue Opfer."In ihrem Buch „Doping — Von der Forschung zum Betrug" (1993) weist dieAutorin Brigitte Berendonk darauf hin, daß die gesundheitsschädigendenWirkungen der „unterstützenden Mittel" (wie es in der DDR für anabole Steroidehieß) besonders im Osten durchaus nicht verborgen geblieben sind. Speziell inder DDR waren ganze Forschungsrichtungen mit der Entwicklung und Erprobungimmer neuerer anaboler Wirkstoffe beschäftigt: Vom VEB Jenapharm stammt dieProduktion des DDR-eigenen anabolen Steroids Oral-Turinabol (OT). Diebekannte DDR-Olympiasiegerin Marita Koch (16 Weltrekorde) antwortete einst— nach dem Geheimnis ihrer Rekordjagd gefragt —: „Das ist wie im Märchenaus Tausendundeine Nacht."Diese Aussage legt nahe, daß, wo die Medizinstudentin Koch offensichtlichgenau wußte, woher sie ihre Ausdauer und Schnelligkeit (sie war 400-Meter-Läuferin) bezog, andere Sportlerinnen in der ehemaligen DDR durchaus alslebende Versuchskaninchen mißbraucht wurden. Es wurden dabei sogar weiterealternative, nicht zugelassene Steroide ausprobiert (beispielsweise das klinischnicht zugelassene, hochpotente Androgen Mestanolon). Hierzu zitieren wir wiederden Spiegel (37/1991):„Zur Freude der Doktoren fiel der Anstieg der Leberwerte nicht mehr so hoch aus.Dafür erhöhte sich aber der Gehalt von freiem Testosteron in Kerstin BehrendtsKörper rapide — und damit ,die Gefahr einer Virilisierung`. Man ließ die dunkelhaarigeLeipzigerin also über Jahre auf einem schmalen Grat wandeln: „zwischenTod und Vermännlichung".Speziell diese letzte Aussage beweist die ungeheure Problematik, die auf derüberaus kritiklosen Verabreichung von männlichen Hormonen für Frau-zu-Mann-Transsexuelle lastet: Sie ist genauso gelagert wie beim Sport-Doping (mit ihrendavon abgeleiteten Anabolika-Präparaten) und genauso gefährlich. Diesbezüglichsei noch vermerkt, daß für die Kontrolle des Hormonspiegels über speziell eineUrinprobe eine Art hormoneller Fingerabdruck eines jeden Menschen ermitteltwerden kann. Hierzu wird der sogenannte Steroid-Quotient ermittelt, der dasVerhältnis von Androsteron (AN) und Etiocholanolon (ET) angibt und für jedenMenschen völlig individuell ausfällt. Hieraus wurden beispielsweise für die des165


Dopings überführten Sprinterinnen Katrin Krabbe und Grit Breuer die auffälligenManipulationen bei den monierten Urinabgaben sichtbar. Der Kölner Experte undDopinganalytiker Professor Manfred Dönicke vermerkte in seinem diesbezüglichenBericht für den DLV-Rechtsausschuß zu den doch offensichtlichenSelbstmanipulationen der Athletinnen mit „Anti-Baby-Pille"-Präparaten (Trisiston,Minisiston, Gravistat, Diane): „Es gibt keinen schriftlichen Beleg in denbekanntgewordenen DDR-Dokumentationen, daß Ovulationshemmer als leistungssteigerndanzusehen sind und daß insbesondere Gravistat als leistungssteigerndempfohlen wurde. Gravistat enthält eine geringfügig höhere Dosierungan Ethinylestradiol, ein Ostrogenderivat. Östrogenderivate werden als nachteiligfür die Leistungsfähigkeit, insbesondere bei hohen Belastungen angesehen." (DerSpiegel, 16/1992). Hierzu sei gesagt, daß gerade Mittel wie Diane und Gravistatsolchen Frauen empfohlen werden, die zu starker Aknebildung neigen. Und Aknewiederum blüht besonders nach Anabolikakonsum...Wir finden hier somit (ärztlicherseits) wiederum eine bewußte Verharmlosungder Wirkungen von Hormonen auf die physische und psychische Verfassung desMenschen: Nur das Resultat zählt, und was auf dem Wege dorthin passiert, wirdbewußt nicht wahrgenommen, ignoriert oder verharmlost — ein Vorgang, der —wie wir inzwischen mehrmals gesehen haben, auch besonders typisch ist für dietranssexuelle Problematik jeglicher Art. Dies weniger bezogen auf die grundsätzlicheIndikation als vermehrt auf das Ausmaß der Hormonverabreichungbzw. die (meistens unumgängliche) lebenslängliche Zeitdauer derselben beigeschlechtsgewandelten Personen. Wie aber speziell in den USA — als Heimatder Transsexualismus-Ideologie — der intensive, gesellschaftliche Verdrängungsprozeßhinsichtlich des auch dort offensichtlichen Doping-Sumpfsfunktioniert, zeigen wiederum die Vorgänge rund um die farbige amerikanischeTopsprinterin Diane Williams, als sie vom Justiz-Senat der USA in denZeugenstand gerufen wurde. Angesprochen darauf, was ihr seitens des berühmtenUSA-Trainers Chuck DeBus, der auch die Weltrekordlerin Merlene Otteybetreute, Anfang der 80er Jahre verabreicht worden war, sagte sie: »Er gab mireine weiße Plastikflasche ohne Aufschrift. Da waren so 50 bis 100 Pillen drin.Pro Tag mußte ich zwei nehmen, sechs bis acht Wochen lang. Ich konnte längerund härter trainieren, was auch meine Leistung verbesserte. Ich bekam sofortAkne. Ich war nun eine Frau, die stark wurde wie ein Mann. Ich fand heraus,was die kleinen Pillen waren: Anavar." Hierzu sei gesagt, daß die Firma Searledieses Anabolikum 1988 wegen Mißbrauchs im Sport vom Markt nahm. Anavarwar in Deutschland nie zugelassen, wurde aber durchaus auch von deutschenSportlern benutzt.Weiter sagte Diane Williams aus: „DeBus gab mir dann Dianabol, das sei das i-Tüpfelchen für meine Form. Nach acht Wochen, im März 1988, hatte ich keineMenstruation mehr. Mir wuchsen ein Schnurrbart und Flaum am Kinn. MeineKlitoris wuchs auf peinliche Ausmaße an. Ich bekam eine tiefere Stimme, männlicheKörperbehaarung. Die Steroide veränderten mein Sexualverhalten. Oft war ichwie eine Nymphomanin. Später kriegte ich eine UCG-Injektin mit einer langenNadel in die rechte Hüfte, und das kostete 100 Dollar pro Woche. Ich bekamKörperjucken, Heiserkeit, Depressionen, Vaginalblutungen. Ich habe heute nochSchmerzen im Unterleib."1 6 6


Es ist diese Art von einerseits skrupellosen Sport-Dopings im Interesse einerLeistungssteigerung »koste es, was es wolle" und andererseits öffentlicherVerharmlosung, speziell seitens der Medizin, die dazu beigetragen hat, daß die„Allianz des Schweigens" (Omerta!) sich nicht nur im früheren Ostblock durchsetzenkonnte, sondern ganz besonders auch im Kapitalismus. Der von der„Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (FAZ) geprägte Begriff des „demokratischenDopings" demonstrierte hierbei die als harmlos eingeschätzte kapitalistischeVariante gegenüber den zentralistischen, östlichen Manipulationssystemen(inklusive China!), wie dies noch bis vor kurzem die übliche Sicht der Dinge war.In beiden Systemen zählt(e) der Mensch als solcher jedoch weniger als das zuerreichende Ziel bzw. Endresultat, und dieses Denken ist nicht zuletzt Schuld daran,daß die hormonelle Indikation in der Transsexualitäts- bzw. Geschlechtswechselthematikbis heute gleichfalls derart bagatellisiert worden ist. Ja, wie wirbereits vermerkten, betrachtet Professor Eicher — wohl im Bestreben nach transsexuellerRechtfertigung seines Handelns — die allfällige Verabreichung vongleichgeschlechtlichen Hormonen sogar als „Kunstfehler", dagegen die überausgezielte, lebenslänglich erforderliche Dauermedikation von gegengeschlechtlichenHormonen als (offensichtlich) völlig problemlos bzw. jederzeit angebracht (bei als„echt" erkannten Transsexuellen!). Es sei deshalb nochmals betont, daß seit mehrals dreißig Jahren (genau die Zeit, in der der Transsexualismus seine „Triumphe"der [patriarchalischen] Hybris über die Natur feiert) klar ist, daß anabole Steroideschädlich, im schlimmsten Falle tödlich sind, und dies insbesondere gilt für dieAuswirkungen auf Leber und Blutgefäße. Ebenso ist bekannt, daß bei Einnahmevon anabolen Steroiden die HDL-Eiweißstoffe, die Blutfette binden, aus demKörper verschwinden, was im Extremfall bis hin zum Herzinfarkt führt bzw. geradebei Frauen eine Vielzahl von Erkrankungen, wie gesteigerte Aggressivität,Leberkrebs, Hirnschlag usw. die wohl unausbleiblichen Langzeitfolgen sind.Weshalb wird dann auch für den Einsatz von Hormonen und ihrer Derivate imtranssexuellen Bereich nicht endlich seitens der Medizin und Pharmaindustrie nachMöglichkeiten gesucht, „Schadensbegrenzung" zu betreiben? Denn dieUnwissenheit der mit einer lebenslänglichen Hormontherapie konfrontiertenTranssexuellen über die Folgen und Risiken (aber noch mehr die unübersehbarenNebenwirkungen und Langzeitfolgen) ist nahezu grenzenlos: „Die Götter in Weißwerden es wohl richten." Das diesbezügliche „Gläubigkeitsdenken" an dieSegnungen der Medizin speziell im Transsexualitäts- und Geschlechtswechselbereichist geradezu erschreckend und darf auch nicht weiter einfach sowiderspruchslos hingenommen werden. Auch hier ist das von der Autorin propagierteNeue Denken dringendst erforderlich, um die immer stärker werdendenAusuferungen in den genannten, zur völligen „Normalität" hochgeputschtenIrrealitäten wieder in den Griff zu bekommen. Die Eigenverantwortlichkeit derBetroffenen muß dabei (erneut) im Vordergrund stehen und nicht dieUnverantwortlichkeit vieler der „Macher", seien diese nach außen noch so edel undselbstlos. Denn solange die eigentlichen Motivationen zu einer transsexuellenLebensform bzw. zum unbedingten chirurgischen Geschlechtswechsel — wie wirdies bereits ausführlich dargelegt haben —, nicht anerkannt werden und statt dessenvöllig künstliche, rein (männlich)-kulturelle Erklärungsmuster (von den etlichenangeblich eigenständigen genetisch-biologischen Gründen ganz zu schweigen)gesucht werden, wird auch die Unvernunft weiter „siegen".167


Das Neue Denken will die „menschliche" (und nicht die „männliche") Sicht derDinge in der transsexuellen Thematik unserer Tage wieder in den Vordergrundstellen, es will ein „back to the roots" und dadurch vor allem verhindern, daß dieKoordinaten in Gesellschaft und Sexualität völlig aus den Fugen geraten. Mit derVerneinung bzw. Bagatellisierung der Hormontherapie — und Kastrationsrisikenbei der bisherigen Etablierung der Transsexualität — im Sinne einer „Homosexualitäts-Vermeidungsstrategie"— kommen wir nicht weiter. Wahn,Sinn undWirklichkeit des transsexuellen Syndroms liegen hier wahrhaft dicht beieinander.Und so wie wir heute wissen, was „Umweltverschmutzung" bedeutet, werden wirgleichfalls lernen müssen, „Innenweltverschmutzung" durch (Hormon-)"Drogen"jeder Art zu vermeiden. Schon aus Egoismus, der Gesundheit zuliebe, aber nochmehr, weil es so (einfach) nicht weitergehen darf. Die Sucht nach Perfektion injedem Bereich des menschlichen Lebens muß wieder Platz machen für dieEinsicht, » Leistungen" (wie immer auch gestaltet) auf ihr „natürliches" Maßzurückzudrehen und sich — und darauf kommt es in allererster Linie an — auchwieder damit zufrieden zu geben. Im transsexuellen Sinne würde dies dann wiederheißen:- mehr „kleine Lösung" als „große Lösung"- wieder mehr Mensch als Geschlecht- mehr „Er-Kennen", weniger „Er-Leiden"- mehr (biologische) Veranlagung als (kulturelles) Verhalten oder auch kurzgesagt:- mehr (homosexuelle) Natur — weniger (transsexuelle) Kultur1 6 8


KAPITEL 11HORMONE UND INTERSEXUALITÄTDie Genese der AusleseWie wir gesehen haben, wird das genetische Geschlecht zum Zeitpunkt derBefruchtung festgelegt, wobei die Entscheidung für die männliche oder die weiblicheEntwicklungsrichtung durch die Paarung der Geschlechtschromosomen (XY fürmännlich, XX für weiblich) fällt. Die Bildung von Hoden oder Eierstöcken alsnächster Schritt der geschlechtlichen Differenzierung ist gleichfalls genetisch vorprogrammiert:Das Y-Chromosom steuert über das von ihm codierte H-Y-Antigen(und mögliche andere Faktoren — wir erinnern uns an das hartnäckige SuchenProfessor Eichers nach einer solchen, chirurgische Maßnahmen rechtfertigenden,biologisch-physiologischen Begründung der Transsexualität) die Entwicklung derHoden, während das Fehlen des H-Y Antigens zur Entstehung von Eierstöcken führt.Siehe hierzu auch <strong>Kamermans</strong>, J., „Mythos Geschlechtswandel", erstes Kapitel,„Biologie der Geschlechter", S. 14 - 54.In diesem Zusammenhang verdient der Respekt vor der Natur allerdings denHinweis, daß — bevor es zum kaskadengleichen Ablauf der geschlechtlichenEntwicklung besonders des Mannes kommt („Adam aus Eva") — auf dem Weg insLeben ungeahnte Gefahren und Unwegbarkeiten drohen: Ein wahres Roulette derWerdungsrisiken beginnt. Hierzu sei zu allererst festgehalten, daß — heutzutage inimmer steigendem Ausmaß — die Potenz eines Mannes („Manneskraft") nichtsaussagt über seine Fortpflanzungsfähigkeit ( » Zeugungskraft"). Die Samenflüssigkeiteines Mannes (Ejakulat) besteht fast vollständig aus Sekreten der Samenbläschenund der Prostatadrüse — pro „Schuß" von vier bis fünf Milliliter Ejakulat galten bisvor wenigen Jahrzehnten dabei bis zu 400 Millionen Samenzellen als normal. Der inden vierziger Jahren übliche Durchschnittswert von 113 Millionen Samenfäden proMilliliter Flüssigkeit ist jedoch heutzutage auf etwa 66 Millionen abgesunken — bis1960 beobachteten Ärzte nur bis fünf Prozent169


der Männer Spermienzahlen unter zwanzig Millionen, heute bereits bei fünfzehnProzent. Für eine Befruchtung können jedoch bereits zwanzig Millionen zuwenigsein, da nur höchstens eines von 100.000 Spermien den Eileiter erreicht. Für dieBeschaffenheit von Spermaproben zwecks Aufbewahrung in der Samenbank bzw.zur künstlichen Befruchtung werden deswegen sehr hohe „Qualitäts"-Anforderungengestellt: Mehr als vierzig Millionen Spermien muß ein einziger MilliliterSamenflüssigkeit mindestens enthalten, rund sechzig Prozent der Samenfädenmüssen reif und beweglich sein — dann ist die Probe des Spenders brauchbar.Einen der Gründe für die zunehmende Anzahl von unfruchtbaren Männern(Infertilität) sehen viele Ärzte im gestiegenen Heiratsalter — das beste Reproduktionsalterliegt zwischen 18 und 25 Jahren. Und bereits danach geht es rapidebergab: Schon mit dreißig Jahren kann sich die Samenzahl drastisch verringerthaben, ja sogar schon das Hodengewebe erste Zeichen von „Vergreisung" aufweisen.Sodann gibt es viele weitere Ursachen für die männliche Unfruchtbarkeit, wiebeispielsweise (als „Tribut des Mannes an den aufrechten Gang") Krampfadern im(meist linken) Teil des Hodensacks. Hierbei fließt das Blut daraus über dienahegelegen linke Nierenvene ab, und die wird beim Gehen oft von denKörperschlagadern zusammengedrückt. Dadurch kommt es zu einem Rückstau desBlutes, die Hodenvene weitet sich zur Krampfader, und die Wärme kann nichtmehr so gut abfließen. Die Temperatur in den Hoden — normalerweise zwei Gradniedriger als im übrigen Körper — steigt darauf an, und die wärmeempfindlichenSamenzellen sterben ab. Eine Verödung der Krampfadern stellt die Zeugungsfähigkeitwieder her. Alkohol, Streß und Überhitzung der Keimdrüsen (sieheKastrations-Ausführungen) durch häufige Saunabesuche und heißes Baden geltengleichfalls als Gründe dafür, daß die Spermienzahlen absinken können (Rauchenwird nur bei älteren Männern als Risikofaktor gesehen). Aber insbesondere auchUmweltgifte sind als mögliche Ursachen im Gespräch — Experimente mitSchleimproben aus dem Gebärmutterhals der Frau (die Hauptbarriere für dieSpermien auf dem Wege zur Eizelle) deuten darauf hin (Zervix-Verhütungsmöglichkeit).Sind dies alles sozusagen „hausgemachte" Beeinträchtigungen für dasZustandekommen einer Befruchtung, d. h. für die Konstituierung des genetischenGeschlechts, so gibt es sowohl davor als danach noch unzählige Ausleseprozesse,bis die Natur entscheidet, das Ganze „weiterlaufen" zu lassen. Hierzu gehört, daßdie männlichen Samenzellen, bevor sie sich auf „Reise" begeben könne, eine etwadreimonatige Entwicklungszeit durchmachen, in der aus kleinen, rundenVorläuferzellen die zahllosen schlangenartigen Spermien werden, die sich mitpeitschenartigen Schwanzschlägen vorwärtsbewegen. Siehe hierzu Abbildung 19.Der Entwicklungsprozeß fängt hierbei an in etwa 800 hauchdünnen Samenkanälender Hoden (Gesamtlänge etwa 500 Meter) und wird nach 73 Tagen in densechs Meter langen Nebenhodenkanälen während einer zweiwöchigen Reifezeitabgeschlossen. In dieser Zeit müssen die Samen zwei „Qualitätskontrollen"durchlaufen, in denen viele Fehlbildungen bereits aussortiert werden. DieseAuslese kann aber dennoch nicht verhindern, daß sogar bei den meisten jüngeren,voll zeugungsfähigen Männern sehr oft nur die Hälfte aller Spermien intakt ist,während die restlichen bewegungsunfähig oder mißgebildet sind (deformierteKöpfe bzw. geknickte Schwänze). Zum Vergleich mit dem Tierreich: Bei Pavian-Männchen sind normalerweise alle Spermien intakt, und bei Zuchttieren führt1 7 0


Mißgebildete Spermien, die demnatürlichen „Prinzip der Auslese"zum Opfer fallen.Abbildung 19Kappe mil Enzymes,die das Durchdringende Eihûtle ermöglichen£netgiespeicherDarstellung eines der etwa 1000 Spermien, die jede Sekunde in den Hoden eines(jungen) Mannes produziert werden: Die Variationsmöglichkeiten sind dabeienorm.(Aus „stern" 44/93)171


eine einzige Besamung in drei von vier Fällen zum gewünschtenBefruchtungsergebnis. Diesbezüglich gehen Evolutionsforscher sogar davon aus —um den Unterschied zwischen Mensch und Tier zu erklären —, daß für denmenschlichen „Samenmüll" sogar ein „Trick der Natur" deswegen vermutet wird.In jenen Urzeiten, als die Spezies Mensch noch als affenähnliches Wesen in denafrikanischen Savannen herumturnte, hatte die Sexualität für den Menschen eineneue Bedeutung bekommen. Sie diente nicht mehr allein der Fortpflanzung,sondern auch als „Geschlechterkitt" um die familiäre, soziale Bindung zu stärkenbzw. für die Nachwuchspflege der Kindern den „Macher" einzubeziehen (der»Macho" ist daraus geworden...): Nur häufiger Sex sollte fortan zum Fortpflanzungserfolgführen. Die soziale Komponente des Mensch-Seins wurde (angeblich)so etabliert inklusive der für das menschliche Sexualleben typischen Gegebenheitenwie den Geschlechtsverkehr von Angesicht zu Angesicht und die aufAttraktivität ausgerichtete Ausformung des weiblichen Busens als Hinterbackenersatz(Desmond Morris).Aber auch nachdem der Vorgang der „Besamung" stattgefunden hat, ist die„Odyssee der Manneskraft" noch nicht zu Ende: Im (natürlichen) Normalfallgewinnt nur eine Samenzelle unter Millionen den Wettlauf zur Eizelle. Hierbeidringt der torpedoähnliche Kopf der Spermie durch die Eihülle (mittels Enzymen),und nach wenigen Stunden schon vereinigen sich das mütterliche und väterlicheErbgut: Die Zygote ist entstanden. Der Rest der drei- bis vierhundert MillionenSpermien bleibt auf dem (mühsamen) Weg im Eileiter auf der Strecke: „Rien ne vaplus" heißt die Devise. Nach etwa dreißig Stunden, d. h. noch während derWanderung aus dem Eileiter (in dem der Vorgang der Befruchtung, wie schonbeschrieben, stattfindet) in die Gebärmutter, beginnt das befruchtete Ei sich zuteilen. Es entstehen Zellklumpen aus zwei, vier, acht, sechzehn, zweiunddreißigusw. Zellen, und jede dieser Zellen enthält bereits den kompletten genetischen„Bauplan" des — möglicherweise — entstehenden Menschen. Für viele Menschen(auch für die katholische Kirche) ist dieser Vorgang der Entstehung des Lebensbereits bei der Befruchtung oder zum Zeitpunkt der ersten Teilung anzusetzen.Diesbezüglich hat dann auch Ende 1993 die weltweite Verkündung der Tatsache,daß der US-Forscher Jerry Hall von der George-WashingtonUniversität inWashington erstmals einen menschlichen Embryo geklont hat, für weltweiteSchlagzeilen (und vor allem viel Aufregung) gesorgt. Bei diesem Klonen wird derChromosomenstrang einer befruchteten Zelle (Zygote) geteilt, wobei die eine Hälftein dieser Zelle verbleibt, während die zweite in eine andere Zelle übertragen wird.So können sich zwei identische Embryos entwickeln, und es kann auf diese Art undWeise mehr Sicherheit bei der künstlichen Befruchtung („in vitro"-Methode)erreicht werden. Bisher sind solche Klon-Experimente beim Menschen jedoch ausethischen Gründen tabu, aber viele Gegner diese genetischen „Kunstgriffes”befürchten dennoch, daß die damit beschäftigten (männlichen) Wissenschaftler derSchöpfung ins „Handwerk zu pfuschen" drohen, um sich so ihren eigenen „idealenMenschen" zu schaffen. Denn wenn im Rahmen der „in vitro"-Technik diebefruchtete Eizelle wieder vom Körper der Frau (die bis heute noch nicht „ersetzt"werden konnte!) abgestoßen werden würde, hätte der behandelnde Arzt ja nochweitere, völlig gleiche „Mehrlings-Exemplare" auf „Vorrat", um den Versuch zuwiederholen — der natürliche Mechanismus der Fortpflanzung1 7 2


könnte in jegliche Richtung manipuliert werden. Hierzu zitieren wir einen Artikeldes Dr. Johannes Pechstein, Professor für Kinderheilkunde an der UniversitätMainz und Direktor des Kinderneurologischen Zentrums des Landes Rheinland-Pfalz, in der Welt am Sonntag vom 30.10.93:Der geklonte MenschEin Aufschrei muß die Antwort seinVon JOHANNES PECHSTEINPrometheus. zu deutsch„Vorbedacht", der Titanengottdes griechischen Altertums,brachte den Menschen derSage nach das Feuer — alsAnstoß auch, über Grenzenhinaus zu denken.Aber wie weit darf derMensch gehen in seinem Forscherdrang?An das Wort „Klonen"knüpfen sich in diesemZusammenhang nicht erst seitdieser Woche erschreckendeVisionen.Das Wort, das im GrimmschenWörterbuch von 1873noch nicht auftaucht, ist einBegriff des naturwissenschaftlichenZeitalters — es stammtvom griechischen klon, derZweig. Klon bedeutet in derGentechnik die Gesamtheit allerLebewesen, die sich ungeschlechtlichaus einem Individuumvermehrt haben. „Klonen"ist die Gesamtheit allerVorgänge und Manipulationenam Erbgut von Pflanze undTier, um Vermehrung ohne geschlechtlicheZeugung zu bewirken.An der George WashingtonUniversity ist es jetzt einerForschungsgruppe um denWissenschaftler Jerry Hall„gelungen", menschliche Embryonenzu Zwillingen undDrillingen zu klonen. Aus 17Embryonen wurden im Reagenzglaseine größere Zahlvon Geschwistern „gezeugt"— eines die identische Kopiedes anderen. Die Nachrichtwar die beklemmendste derWoche.Die Überschreitung transzendentalgesetzter Grenzen,der Sündenfall des Menschengeschlechtsvon Anfang an,erreicht uns als Heimsuchungmit allen Angsten, Schmerzenund Schrecken seit der „Vertreibungaus dem Paradies".Auch der Ungläubige in derheutigen multikulturellen Ge-173


sellschaft spürt mit dieserNachricht, daß eine neue Dimensionerreicht ist. Menschenschicken sich an, Menschenzu duplizieren oder zuvervielfachen, nach Beliebeneinzufrieren und willkürlichspäter in die weitere Entwicklungzu schicken (oder auchnicht). Sie spielen damit,„Herr" über Leben und Todsein zu können. Welches Menschenbildtritt da zutage!Uns umhüllt der eisigeHauch eines Machbarkeits-Größenwahns dessen, der nur„Abbild Gottes" sein sollte.Das vor kurzem noch Undenkbarewird um des Experimentswillen eben „gemacht", ohneEhrfurcht, ohne ethische Besinnung.Wird „Machen" und„Wegmachen" schicksalbestimmendfür die menschlicheExistenz, für künftige Generationen?Dabei wissen wir genau, daßdie Menschen immer dann Unheilund Tod ereilte, wenn siedie von den Geboten gesetztenNormen mißachteten. Das hatauch die Wissenschaft bittererfahren, wenn man etwa anden Mißbrauch der Kernspaltungzur Herstellung von Waffendenkt. Die Besinnung aufHandlungsgrenzen, auf Geboteund die alte ,,Tugend" desMaßes ist nötig.In Deutschlancc hat dieseBesinnung in der Fortpflanzungsforschungimmerhin zueinem sehr differenzierten„Embryonen-Schutzgesetz"geführt, das seit dem 1. Januar1991 in Kraft ist. Es ist allerdingskein Trost, daß es denamerikanischen Forschernhierzulande mindestens eineFreiheitsstrafe von fünf Jahreneingebracht hätte. Denn dasGesetz besagt im „§6 Klonen":„Wer künstlich bewirkt, daßein menschlicher Embryo mitder gleichen Erbinformationwie ein anderer Embryo,ein Fötus, ein Mensch oder einVerstorbener entsteht, wird .bestraft."Dieses Gesetz verdientweltweite Verbreitung. Der„menschliche Forschergeist"— von Prometheus symbolischauf den Weg gebracht — hatvor allem die Verpflichtungzur metaphysischen Reflexion.Er hat die ethische Tatsacheanzuerkennen und zu achten,daß wir Menschen nur Geschöpfesind und nicht Gottspielen dürfen. Die Grenzendes Zugemessenen dürfen nichtübertreten werden.Das gilt auch für den Schutzdes werdenden Lebens, für dieAbtreibungs-Gesetzgebung,bei der das Verfassungsgerichtdie reine Fristenlösung verworfenhat. Es ist noch heuteunverständlich, daß vielfachdieselben Abgeordneten, diesich 1991 durch die Verabschiedungdes Gesetzes so verdientgemacht haben um de..Schutz des Embryos, ja sogarauch der „menschlichen Keimbahnzellen",nur wenig späterbereitstanden für die Verabschiedungeines Gesetzes zurfristenbestimmten willkürlichenTötung. Vielleicht wirddie Horrornachricht aus Amerikaauch noch ihre Bedeutungerlangen für die Neufassungdes künftigen Paragraphen218.Niemand darf widerspruchsloszusehen, wenn die Schrekkensvisionaus der „schönenneuen Welt" des Aldous Huxleyzur Wirklichkeit von Zauberlehrlingenwird, die einesTages jener Geister, die sie riefen,nicht mehr Herr werdenkönnten. Ein Aufschrei derEmpörung muß deshalb dieAntwort sein auf das Experimentvon Washington.Dr. Johannes Pechstein ist Professorfür Kinderheilkunde an der UniversitätMainz und Direktor des KinderneurologischenZentrums des LandesRheinland-Ptalz


Wir können Professor Pechstein für diese überaus klaren und deutlichen Wortenur dankbar sein, unterstreichen sie doch in eindeutiger Art und Weise die vonder Autorin gegen die Auswüchse des Machbarkeitswahns gleichfalls vorgebrachtenBedenken im Rahmen des medizinischen Transsexualismus. Die von ihmgestellte Frage, ob „Machen" und „Wegmachen" zur Schicksalsbestimmung für diemenschliche Existenz bzw. für künftige Generationen schicksalbestimmend wird,kann auch für den Geschlechtswechselbereich gestellt werden — es geht um diegleiche (ethische) Dimension der „Machbarkeit" bzw. die Verschiebung „natürlicher"Koordination zugunsten „künstlicher" Bedürfnisse. Diesbezüglich ist nochzu anzumerken, daß die vom Vatikan verhängte Fruchtbarkeits-Diktatur imRahmen der Geburtenkontrolle noch immer von der bereits lange widerlegten,mittelalterlichen These ausgeht, daß ein männliches Spermium allein schon dervolle Samen sei („semen verum"), der alleinige Lebensspender. In diesem Denkensind dann Kondome „Lebensvernichter" (oder wie es Papst Johannes Paul II. sagt:„Kondome sind Werkzeuge des Satans.") und wird die biologische Realität, daßerst die Vereinigung des Spermiums mit der weiblichen Eizelle zwei halbeChromosomensätze zu einem kompletten Bausatz menschlichen Lebensverschweißt, ignoriert. Auch hier somit wiederum die uns nun bereits hinlänglichbekannte männlich-pateriarchalische „illusio-virilis"-Hybris nach dem Motto: „Wasnicht sein darf, kann auch nicht sein." Ob wohl die „in-vitro"-Methode deswegenim Vatikan als Fortschritt angesehen wird?Zurückkehrend auf die (wohl noch gottseidank dominierende) natürlicheFortpflanzung des Menschen sei noch vermerkt, daß die Reise der befruchtetenEizelle selbstverständlich danach noch weiter geht: Nach sechs bis sieben Tagennistet sich die nur etwa einen Zehntelmillimeter große Zygote in der nährendenSchleimhaut der Gebärmutter ein. Um die sechzig Prozent aller befruchteten Eieraber schaffen es aber gar nicht bis hierher: Sie sterben — meist wegen genetischerFehler — vorher ab und werden anschließend „periodisch" ausgeschieden. Aberauch die Zeit unmittelbar nach der Einnistung in die Gebärmutterschleimhaut istwiederum mit vielen Risiken verbunden. Denn die Zellen, die zwecks Schutz undErnährung immer tiefer dort hineindringen wollen, sind für die Immunabwehr derMutter „Fremdlinge". Gelingt es dem werdenden Embryo nicht, auf chemischenWege einen Nichtangriffspakt mit dem mütterlichen Gewebe zu schließen, so wirder unweigerlich wieder ausgestoßen.Für die nun rasch fortschreitende Entwicklung des Embryos ist dann wiederbesonders die Zeitphase zwischen der vierten und achten Woche äußerst gefährlich:Darin bilden sich ansatzweise sämtliche Organe und Gliedmaßen desMenschen aus, und der Embryo reagiert in dieser Zeit folglich besonders auf Gifteund Medikamente sehr empfindlich (Beispiel Contergan). Etwa zehn Wochen nachder Befruchtung ist eine ebensolche entscheidende Phase für den Embryo erreicht:Frühestens zu diesem Zeitpunkt werden die Nervenzellen über die „Schaltstellen"des Nervensystems, die sogenannten Synapsen, miteinander verbunden. Vorherwar es dem Embryo nicht möglich, Außenreize aufzunehmen, weiterleiten und aufsie zu reagieren. Die viel verbreitete Meinung, daß das individuelle Leben seineWurzeln in der Funktion des Nervensystems hätte, basiert auf diesem Vorgang der„Nervenverdrahtung” als der eigentliche Beginn dieses Lebens — ein vielumstrittene These. Für die eigentliche Thematik dieses Buches175


ist jedoch die Tatsache von Bedeutung, daß zwar die Richtung derKeimdrüsenentwicklung im genetischen Sinne bei der Befruchtung festgelegt wird,in der Frühphase der embryonalen Entwicklung zwischen den männlichen undweiblichen inneren Geschlechtsorganen jedoch noch keine Unterschiede vorhandensind: Während der ersten acht Wochen ist der menschliche Fötus geschlechtsneutral.Die identisch erscheinenden undifferenzierten Fötusstrukturensind hierbei sowohl mit den beiden Wolffschen Gängen als mit den beidenMüllerschen Gängen ausgestattet, aus denen jeweils bei der Wanderung derUrkeimzellen zur Genitalleiste die jeweiligen inneren und äußeren Geschlechtsorganeentstehen. Siehe hierzu Abbildung 20.Das Dogma der geschlechtlichen Entwicklung lautet jetzt — wie wir bereits ananderer Stelle entsprechend gesehen haben —: „Das Geschlecht der Keimdrüsenwird durch die Kombination der Geschlechtschromosomen bestimmt. Wenn sichEierstöcke bilden, aber auch wenn die Keimdrüsen als solche fehlen, entwickeltder Fötus einen weiblichen Phänotyp (Gesamtheit aller spezifischenGeschlechtsmerkmale). Sind jedoch die Keimdrüsen zu Hoden ausgeformt,veranlaßt die Ausschüttung bestimmter Hodenhormone, daß die geschlechtlicheEntwicklung des Fötus zu einem männlichen Phänotyp führt." Die Natur bevorzugtalso das weibliche Geschlecht, wenn nicht die Hormone aus den fötalenHoden die Entwicklung in die männliche Richtung lenken. Die jeweiligeEntwicklung in die weibliche Richtung setzt im übrigen auch beim Fehlen derEierstöcke ein — an den weiblichen Hormonen alleine kann es also nicht liegen.Es dürfte dieser Vorgang aber auch ein erneuter Beweis für die Tatsache sein,daß die Natur in erster Linie primär weiblich konstruiert ist und die „Adam ausEva"-Doktrin, bezüglich der weiblichen Urstruktur als die Ausgangsbasis allesWerdens, seine Richtigkeit auch hier wiederum bewiesen bekommt.Für die männliche Geschlechtsentwicklung gelten allerdings ganz andereAbläufe als für die weibliche Werdungsprozesse: Es müssen wahre Kaskaden an„männlichen" Entwicklungsschritten durchlaufen werden, und vieleDifferenzierungskomplikationen sind — genauso wie wir dies bereits beim Vorgangder Gestaltung der Spermienauslese gesehen haben — möglich. Denn jetzterfolgt die Kriteriensetzung für den menschlichen Fortpflanzungsprozeß nichtmehr über die „Grundsteine" des „Hauses", sondern über die Ausgestaltung des„Hauses" selber, d. h. über die geschlechtlichen „Ausbauformen" von jeweilsMann und Frau. Siehe hierzu auch <strong>Kamermans</strong>, J.: „MythosGeschlechtswandel", erstes Kapitel, Absatz 2, „Hormone", S. 19 - 27, für dieverschiedenen somatischen Entwicklungsstadien des weiblichen und männlichenFötus sowie S. 27 - 30 für die entsprechenden zentralnervösenGestaltungsabläufe (speziell Gehirndifferenzierung).Sofern bei diesen Vorgängen jetzt Störungen im somatischen Sinne auftreten,kommen wir bei den jeweiligen körperlichen Ausgestaltungsformen in den Bereichder sogenannten biologischen Intersexualität (Hermaphroditismus) — wenn solchedagegen (nur) im psychischen Sinne sich manifestieren, könnte man — wiebeispielsweise beim Phänomen des Transsexualismus — von psychischerIntersexualität sprechen. Leider werden diese beiden Manifestationsbereiche in derheutigen Transsexualitäts-Euphorie immer öfter (wir machten bereits darauf1 7 6


männlich + weiblichundifferenziertes Stadiummännlich + weiblichGeschlechtsfalteUrogenitalmembranGeschlechtshöckerKloakenmembranAfterhöckerSchwanzPhallusGeschlechtsfalteGeschlechtswulstAftermembranNebenhodenHodenSamenleiterSamenbiaschenProstataweiblichmännlichweiblichmännlichKitzlerGeschlechtswulstGeschlechtsspalteAfterEichelGeschlechtsfalteGeschlechtswulstAfterKitztereichelHarnröhrenöfnungkleine Schamtippegroße SchamlippeScheideneingang Jungfern-Matches AfterEichelRaphepenisHodensackRaphescrodRapheperineiAfterAbbildung 20Entwicklungsstadien der äußeren Genitalien bei Mann und Frau im embryonalenErstzustand.Bis zur achten Schwangerschaftswoche ist der sich bildende Organismusgeschlechtlich undifferenziert. Anschließend bilden sich unter Androgeneinflußmännliche Sexualorgane, ohne einen solchen entwickeln sich weibliche.Das „Adam-aus-Eva"-Prinzip impliziert somit, daß weibliche Embryos ohnebesonderes Zutun zu Frauen werden, genetisch männliche Embryos jedochimmer etwas „Hinzukommendes" brauchen, um zu Männern zu werden.(Aus Sommer, V.: „Homosexualität und Evolution", S. 101 und Sommer, K.: »DerMensch", S. 358)177


aufmerksam) bzw. immer mehr miteinander vermischt: Der „Irrtum der Natur"(biologische Intersexualität) wird zum Vorwand für den „Irrtum des Menschen"(psychische Intersexualität) genommen, Hermaphroditismus nahtlos mit Transsexualismusin Verbindung gebracht. Hierbei scheut man sich nicht — besondersvon interessierter Transsexuellen-Selbsthilfe-Seite — die gesellschaftlicheHäufigkeit des transsexuellen Syndroms (1 : 10.000 ist die üblicheVerhältniszahl) mit Hilfe der hermaphroditischen Verhältniszahlen (dieseschwanken je nach Typus um 20 - 30 : 10.000) auf abenteuerliche Höhen zupuschen. So geistert durch die Medien beispielsweise für Deutschland die Zahlvon 400.000 Transsexuellen, was eine an sich völlig haltlose Verhältniszahl von50 : 10.000 (das heißt 1 : 200 [!]) ergeben würde. Geschlechtsidentitätsproblemesind jedoch in den wenigsten Fällen auf biologische Intersexualitätzurückzuführen — sie sind in den allermeisten Fällen „hausgemacht" und könnenund dürfen nicht zum Gegenstand bzw. Spielball bestimmter (transsexueller)Interessen werden. Ist es schon schlimm genug, daß beim Phänomen derTranssexualität „Ghetto"-Bestrebungen immer erfolgreicher artikuliert werden(„Transsexuelle beraten Transsexuelle"), so kann es doch nicht Aufgabe derGesellschaft (also der Gemeinschaft) sein, eine derartige „Nabelschau" auch nochzu finanzieren. „Mens sana in corpore sano” — wieweit ist der heutige Menschbereits von den grundsätzlichen Koordinaten des „natürlichen" Mensch-Seinsentfernt, daß dieser jahrtausende alte Grundsatz speziell über die „Im-falschen-Körper"-TranssexualitätsPhilosophie ins Gegenteil verkehrt wird.Biologische Intersexualität — HermaphroditismusWie bereits erwähnt, gibt es in der geschlechtlichen Ausgestaltung des Menschenunendlich viele Variationen und Möglichkeiten — in einem solchen Sinneist die Natur im biologisch-physiologischen Sinne absolut nicht zwingendperfektionistisch strukturiert: Es finden (sehr) viele „Natur-Experimente" mit„Unfall"-Charakter statt, über deren Sinn und Nicht-Sinn menschlicheErklärungsmuster wohl normalerweise versagen müssen.Die Biologie des Menschen ist mit der Komplexität der hormonellen Steuerungab der genetischen Grundlagen also gut für viele Überraschungen — es kann abernicht Aufgabe dieses Buches sein, die vielen Störungen der Bildung undAusgestaltung der Differenzierungsmerkmale beider Geschlechter zu definierenbzw. die jeweiligen körperlichen Merkmalsebenen auszuarbeiten: Dies würde zuweit führen. Für Einzelheiten siehe hierzu auch <strong>Kamermans</strong>, J.: „MythosGeschlechtswandel", zweites Kapitel, „Sexuelle Zwischenstufen beim Menschen",S. 55 - 73.Wie wir jedoch in den Kapiteln 8 und 10 dieses Buches gesehen haben, vermögenhormonelle Medikationen zu den verschiedensten Zeitpunkten der natürlichgeschlechtlichenEntwicklung des Menschen durchaus noch beträchtliche Änderungenim Prozeßablauf des biologischen Regelwerks hervorzurufen. Im jugendli-178


chen Alter kann dabei sehr oft noch bleibend, d. h. im Sinne eines sich einstellenden„natürlichen" Gleichgewichts, gesteuert werden — im pubertären Alter bzw.danach kann mit zunehmendem Alter nur noch Unordnung hervorgerufen werden,d. h. das — manchmal mit Überdosierung erreichte — „künstliche" Gleichgewichträcht sich mit einer Flut von Gegen- bzw. Nebenwirkungen oder, wie esSigusch so treffend formulierte, „unerwünschten Wirkungen" (von wem unerwünscht?).Die Folgen können, wie mehrmals aufgezeigt, verheerend sein, und dereinst „intakte" Mensch wird zu einem geschlechtlichen Zombie — alles im Namenund mit Duldung des (patriarchalischen) Wissenschaftsdenkens. PatriarchalischeStrukturen und medizinische Feudalsysteme haben dazu geführt, daß ein NeuesDenken nach Belieben blockiert werden kann bzw. die Natur des Menschenwissentlich verleugnet wird — künstliche Experimente stehen dabei imVordergrund. Daß die Natur aber bei ihren eigenen, überaus vielfältigen „Unfall-Experimenten" durchaus in der Lage ist, „Reparaturarbeiten" ganz besondererQualität durchzuführen, werden wir anhand der nächsten hermaphroditischenErscheinungsbilder des Menschen auswahlmäßig demonstrieren: Es sind dies diePhänomene mit den Bezeichnungen:- Hermaphroditismus masculinus- Hermaphroditismus feminus (AGS-Syndrom)- Testikuläre Feminisierung.Alle drei Erscheinungsformen der biologischen Intersexualität beruhen hierbeiauf hormonellen Störungen bei an sich mehr oder weniger stark entwickelten eindeutigenKeimdrüsenanlagen — im Gegensatz zu genetischen Zwittern (Störungenin den chromosomalen Strukturen) bzw. zu „echten" Zwittern, wo die männlichenund weiblichen Geschlechtsdrüsen nebeneinander vorhanden sind. Auf dieseWeise kommen die verschiedensten Kombinationsmöglichkeiten der menschlichen,biologischen Intersexualität zusammen — uns interessieren hier jedoch inerster Linie die diesbezüglichen hormon-bedingten Varianten.Hermaphroditismus masculinusIm Falle des Hermaphroditismus masculinus liegt eine unvollkommeneMaskulinisierung der äußeren und inneren Genitalien vor — man spricht in diesemFalle von männlichen Scheinzwittern. Verantwortlich hierfür zeichnet einDefekt im Stoffwechsel des männlichen Hormons Testosteron. Hierbei ist dieUmwandlung von Testosteron in Dihydrotestosteron (DHT) wegen eines Mangelsan dem Enzym 5-Alpha-Reductase gestört, und der DHT-Spiegel im Blut liegtweit unter dem Wert, der für die männlich-normale Ausbildung der äußerenGenitalien erforderlich ist. Bei einer solchen Störung entstehen dann im fötalenStadium weibliche äußere Geschlechtsmerkmale (die Natur kehrt bei einemMangel auf dem Wege zur „Männlichkeit" sofort um), die inneren Strukturen(basierend auf dem männlichen Genotyp XY und männlichen Keimdrüsen) sindjedoch völlig männlich ausgebildet.Wenn nun in der Pubertät vermehrt Testosteron (und damit DHT) produziertwird, kann es zum sogenannten „guevedoce-"Syndrom kommen (wurde erstmals179


in der Dominikanischen Republik entdeckt). Hierbei entstehen männliche,äußere, (sogar manchmal) funktionstüchtige Geschlechtsorgane, auch wenn derDefekt in der Wirkung des 5-Alpha-Reductase-Enzyms immer noch nichtregelgemäß funktioniert. Ein solcher Spontan-Geschlechtswechsel wird an dortigerStelle — typisch für viele Naturvölker — erstaunlich lakonisch toleriert: Diesozialen Anpassungsprobleme für die sogenannten „machihembras" (»erst Frau,dann Mann) werden dabei auch seitens der Gemeinschaft ohne nennenswerteFolgewirkungen verkraftet.Die Resistenz gegen nicht umgewandeltes Testosteron bzw. ein zu niedrigerDHT-Spiegel im Blut sind jedoch nicht die einzigen Ursachen für den männlichenPseudo-Hermaphroditismus. Auch in den davor gelagerten Prozeßvergängenkann es zu Problemen kommen, wenn Enzymdefekte (siehe Dörner-Experimente)auftreten — insgesamt sechs Syntheseschritte müssen dabei durchlaufenwerden, und ein jedes der dafür codierten DNA-Abschnitten kann durchgenetische Mutationen bzw. durch prozessuale „Unfälle" die dafür zuständigenEnzyme beeinträchtigen. Ebenso kann es in einer noch früheren Phasevorkommen, daß die Leydigschen Zellen (wo die Samenzellen produziert werden)selber Schaden genommen haben, beispielsweise durch Erkrankungen, so daß —kombiniert mit den Enzymdefekten — Personen mit einem normalen weiblichenPhänotyp heranwachsen können. Die Natur legt quasi die Testosteronproduktionauf Eis, und es wird wieder die äußere weibliche Ausgestaltung favorisiert, trotzdes vorhandenen männlichen Karyotyps 46XY. Der Testosteronspiegel im Blut isthierbei jedoch deutlich niedriger als sonst.Hermaphroditismus feminusBeim Phänomen des Hermaphroditismus feminus, auch AGS-Syndromgenannt (siehe Legende zum Paracelsus-Titelbild) — man schätzt eine auffünftausend Geburten —, handelt es sich um Kinder oder Erwachsene mitweiblichem Genotyp, also 46 XX, sowie weiblichen Keimdrüsen, jedoch(teilweise) männlichen Geschlechtsorganen. Oft fehlen die weiblichensekundären Geschlechtsmerkmale wie Busen oder höhere Stimme, dafür istjedoch oft stärkere Körperbehaarung und kräftigere Muskulatur bei meistenskleinem, gedrungenem Körperbau feststellbar.Das AGS-Syndrom als solches beruht hierbei auf einem zu hohen Androgenspiegelwährend der embryonalen Enwicklung, speziell bezogen auf die hochempfindlichePhase vor der zwölften Schwangerschaftswoche. In diesem betreffendenEntwicklungsstadium bewirkt ein Überschuß von Androgenen gewisseAnomalien in den inneren und äußeren körperlichen Merkmalen: Es werden stattweiblichen männliche äußere Geschlechtsorgane differenziert. Fällt dagegen dieüberhöhte Zufuhr von Androgenen nach der zwölften Schwangerschaftswoche, soführt dies lediglich zu einer gewissen Vergrößerung der Klitoris bei ansonstennormal-intakten weiblichen Geschlechtsorganen. Der Zeitpunkt einer solchenAndrogenisierung spielt somit eine entscheidende Rolle, besonders auch wenndann darauf anschließend die zentralnervöse Entwicklung des Fötus noch zusätz-180


lich davon beeinflußt wird — hier gibt es vielerlei Konstellations-Möglichkeiten,nicht zuletzt für eine spätere (mögliche) Entwicklung im Rahmen der Frau-zu-Mann-Transsexualität (als Biologie-Milieu-Konflikt inszeniert) verantwortlichzeichnend.Die Ursachen für das Vorhandensein von überschüssigem Androgen im Fötuskönnen gleichfalls sehr vielgestaltig sein. So beispielsweise seitens der Mutter,wenn diese von außen mittels Spritzen oder Medikamenten Androgene zugeführtbekommt oder wenn ein Androgene produzierender Tumor in ihren Ovarien oderNebennieren vorhanden ist. Ebenso können jedoch auch die Nebennieren des(weiblichen) Fötus selbst einen Überschuß an Androgenen produzieren: Dies kannbeispielsweise der Fall sein, wenn die Synthese von Cortisol aus Cholesterin in derNebennierenrinde blockiert ist durch etwaige Enzymdefekte (siehe Dörner-Experimente!). Die Hypophyse reagiert dann auf den fallenden Cortisolspiegel imBlut und regt die Nebennierenrinde zu erhöhter Produktion an, wodurch wiederumdie Androgensynthese in den Nebennieren gesteigert wird — mit allen Folgeneiner abgestuften Vermännlichung des weiblichen Fötus. Es kommt zurAusbildung eines mehr oder weniger großen Penis sowie zu einer geschlossenenVagina, die inneren Geschlechtsorgane, wie Gebärmutter und Eileiter, bleibenjedoch erhalten, weil — da ja keine Hoden vorhanden sind — das (männliche)AntiMüller-Hormon, das eine rückbildende Wirkung auf die (ursprünglich ja auchweiblich angelegten) Geschlechtsorgane ausübt, nicht wirksam werden kann. SeitAnfang der fünfziger Jahre ist es möglich, bei solchen weiblichen Scheinzwitterndurch Cortisonbehandlung die Stoffwechselstörung auszugleichen — die unmittelbarnach der Geburt dementsprechend behandelten Mädchen weisen in späterenJahren jedoch häufig jungenhaftes Verhalten und Interessenbildung (Tomboy-Syndrom) auf. Die psychische Sexualität entspricht dabei in den meisten Fällendas Zuweisungsgeschlecht und der damit verbundenen anerzogenen kulturellweiblichenGeschlechtsrolle. Es gibt jedoch auch Fälle, wo nicht behandelte, weiblicherzogene Mädchen mit dem AGS-Syndrom in oder nach der Pubertät eineGeschlechtsumwandlung vornehmen, weil sich ein männliches Rollenverständnisund eine auf Frauen ausgerichtete sexuelle Orientierung herausgebildet hat. Hierkönnen jedoch auch öfter dominante kulturelle Einflüsse, Umwelteinflüsse also,als bestimmend angesehen werden: Familiendynamische Entwicklungen(Sohnersatz, Vaterabstinenz) sind hier sehr häufig wirksam. Keinesfalls darf einesolche Konstellation („Irrtum der Natur") jedoch mit dem Phänomen derTranssexualität („Irrtum des Menschen") verwechselt werden — wie dies oft derFall ist. Schließlich sei, noch ergänzend angemerkt, daß die Mikrochirurgie auchfür die frühzeitige operative Behebung der anatomischen „Mißbildungen" eineFülle von Möglichkeiten bereithält — die Palette der möglichst im Frühstadiumder kindlichen Entwicklung vorzunehmenden chirurgischen Eingriffe ist dabeiäußerst vielfältig.In der Natur als solcher lassen sich gleichfalls höchst interessante Beispielefinden hinsichtlich der maskulinisierenden Wirkung des Testosterons auf weiblicheIndividuen. So beispielsweise bei der afrikanischen Fleckenhyäne (Crocutacrocuta), wo die Klitoris des Weibchens zu einem Pseudo-Penis verlängert ist undaus faserreichem Gewebe ein Pseudo-Hodensack gebildet wird. Die Klitoris istextrem groß ausgebildet und erigiert zu Penisgröße — auch der Harngang führt181


hindurch. Indem die weit nach außen gewölbten Schamlippen zusammengewachsensind, gleichen die sichtbaren Geschlechtsteile der weiblichen Fleckenhyänendenen der männlichen: Bis in die sechziger Jahre hat sich deswegen die Märgehalten, Fleckenhyänen seien Hermaphroditen im wahrsten Sinne des Wortes.Eine weitere auffällige Tatsache ist, daß die frühkindliche Aggressivität der Tiereungeheuer ist: Statt im Bauchfell der Mütter nach Milchdrüsen zu suchen,werden die rivalisierenden Geschwister angegriffen und getötet. Man führt diesefrühkindliche Mordlust zurück auf die ungewöhnliche Flut des männlichenGeschlechtshormons Testosteron in der Gebärmutter der Hyänen: Während ihresrund 100tägigen Aufenthaltes im Mutterleib sind die Föten der Fleckenhyäneneinem wahren hormonellen Bombardement ausgesetzt.Auch sind die Hyänenweibchen Zeit ihres Lebens aggressiver und aktiver alsdie Männchen, denn ein hormonelles Ungleichgewicht zwischen den Geschlechternsorgt für einen ernormen Überhang an weiblicher Aggressivität undFreßgier: Männliche Hyänen werden von der Beute verscheucht, ihnen bleibennur die Reste. Auch die Clanordnung ist streng matriarchalisch organisiert — dieWeibchen bilden das Rückgrat der Gemeinschaft, in der (hierarchisch)Schwestern, Tanten, Mütter und Töchter jagen und gemeinsam dafür sorgen,daß die Menge der Männchen auf die notwendige Anzahl zur Sicherung derNachkommenschaft beschränkt bleibt. Wissenschaftler führen dieses Phänomender weiblichen Aggressivität und Dominanz nicht nur auf das Übermaß anembryonalem Testosteron zurück, sondern auch — analog zum (weiblichen)Menschen — auf das bisher wenig erforschte, in den Eierstöcken und von denNebennieren abgegebene Hormon Androstenedion. Forscher vermuten hier eineweitere biochemische Erklärung für die offensichtlichen Vorzüge einerausgeprägten weiblichen Aggressivität — es gibt also auch „natürliches Doping".Testikuläre FeminisierungDie am meisten beobachtete und wohl auch beschriebene Erscheinung der(menschlichen) biologischen Intersexualität ist das Phänomen der sogenanntenTestikulären Feminisierung. Bei diesem Syndrom tritt bei Personen mit demmännlichen Karyotyp 46XY eine Testosteronresistenz in den Zellen der Zielgewebeauf, das heißt, obwohl der Testosteronspiegel im Blut normal ist, manchmal sogaretwas erhöht (wegen vielerlei Rückkopplungseffekten), kann das zirkulierendeTestosteron dort nicht wirksam werden. In diesem Falle ist der intrazelluläreAndrogenrezeptor R (siehe hierzu Abbildung 21) defekt, was sich gleichfalls wiederverschiedenartig manifestieren kann, bis zur völligen Resistenz gegenüberTestosteron und Dihydrotestosteron (DHT). Dies wiederum hat zur Folge, daß diegenannten Hormone auch nicht wirksam werden können und sich die WolffschenGänge wieder zurückbilden: Es können keine Samenleiter entstehen. Ebenso bildensich infolge der fehlenden DHT-Akzeptanz keine männlichen äußeren Geschlechtsorganeheraus, sondern — zusammen mit noch nicht ganz geklärterUmwandlung des Testosterons in Östrogene — weibliche äußere Genitalien. Dajedoch die funktionierenden Hoden das Anti-Müller-Hormon weiter produzieren,182


Rezeptorvorgang in der ZelleTestosteron~äusserlicheVirilisierungDifferenzierung derWolffschen GängeAbbildung 21Der Androgenrezeptor R bindet im Zellplasma das Testosteron T bzw. dessenMetaboliten Dihydrotestosteron DHT. Die dabei entstehenden Verbindungenwandern anschließend in den Zellkern hinein, wo an der DNS die Wirkung entfaltetwird. Dabei können an drei Stellen im Wirkmechanismus Störungen auftreten,d. h. erstens bei der Umwandlung von T in DHT, (Bereich 1), zweitens beiden Rezeptoren, wenn die ordnungsgemäße Bindung von T und DHT verhindertwird (Bereich 2), und drittens direkt im Zellkern, wenn der Hormon-Rezeptor-Komplex dort wirkungslos bleibt. (Bereich 3) (aus Crapo: "Hormone" S. 93)degenerieren auch die diesbezüglichen Müllerschen Gänge, und es können in derFolge wiederum keine weiblichen ableitenden Geschlechtswege entstehen. Derursprünglich männlich angelegte Fötus entwickelt sich also nach der Geburt zueinem Individuum mit normalem weiblichem Phänotyp und Habitus, d. h. mitVagina und weiblicher Brust, jedoch ohne Eileiter und Gebärmutter: Die Hor-183


mone überlisten die Genetik. Als normal erscheinendes Mädchen geboren und mitweiblichem Zuweisungsgeschlecht, wächst es auch wie ein solches heran. Und dadie Hoden, die solche Personen durch ihren XY Genotyp als Keimdrüsen besitzen,im Bauch oder im Leistenkanal zurückgezogen sind, können keine äußeren,abweichenden Erscheinungen anders als völlig weiblich festgestellt werden. Erst inder Pubertät werden die als Mädchen erzogenen Personen auf das Ausbleiben derMenstruation aufmerksam, und bei einer entsprechenden ärztlichen Untersuchungwird sich dann die biologische Intersexualität herausstellen. Dies ist keineswegsselten der Fall, sie bildet die dritthäufigste Ursache für das Ausbleiben derMenstruation in der Pubertät — eine an sich doch erstaunliche Feststellung. Wennman davon absieht, daß diese Frauen aus sich kinderlos bleiben müssen, läßt sichoffenbar ein Leben ohne größere Komplikationen doch führen. Allerdings müssendie sich im Unterleib befindenden Hoden normalerweise operativ entfernt werden,da sie zur Bildung bösartiger Tumoren führen (können).Andere Auffälligkeiten bei diesem Syndrom der testikulären Feminisierungsind ein hoher bis sehr hoher Testosteronspiegel, ein ebenso erhöhter LH-Hormonspiegel (Hypophyse-Steuer-Hormon) und eine abweichende Körperbehaarung.Die überhöhte Konzentration des LH-Hormons kommt dabei zustande,weil in der Hypophyse gleichfalls anormale Androgenrezeptoren vorhanden sindund deswegen der hohe Testosteronspiegel keine entsprechende Rückkopplungswirkungauf die Hypophyse ausüben kann. Ebenso wirkt sich die Androgen'resistenz bei der Körperbehaarung aus: Es findet sich weder eine Behaarung imGesicht noch in der Achselgegend und - noch auffälliger - auch nicht in derSchamgegend. Da die Natur sich jedoch erstaunlich auf die vorhandenen Defektein der Folge vermag einzustellen (indem das Testosteron aus den Hoden in derLeber und in anderen Geweben in Östradiol umgewandelt wird) werden normaleweibliche sekundäre Geschlechtsmerkmale ausgebildet. Die betreffenden Frauenbesitzen in der Folge völlig weibliche Konturen, sind großgewachsen und schlankund entsprechen häufig dem (gegenwärtigen) weiblichen Schönheitsideal(Mannequin- und Model-Typus), das heißt, man könnte wirklich sagen: „Männersind eben doch die schönsten Frauen."Die testikuläre Feminisierung ist, wie bereits angedeutet, keineswegs selten: Manschätzt eine Häufigkeit von etwa 1 : 2.000 (Transsexuelle 1 : 10.000!).Zweifel an der weiblichen Identität treten dabei normalerweise nicht auf, auch insexueller Hinsicht nicht — wo diese Frauen sich eher als erlebnisfähig einschätzen— während auch in psychischer Hinsicht oft eine völlige Unauffälligkeit festzustellenist (obwohl im Kindesalter häufig eine Vorliebe für motorische Spiele undKnabengesellschaft auftreten kann). Es ist also erstaunlich für die natürlichenMöglichkeiten der menschlichen Biologie-Manifestation, welche Korrekturleistungdie Natur imstande ist vorzunehmen, wenn gewisse Störungen in der embryonalenWachstumsperiode derart angelegt sind. Hier wird wieder eindeutig bewiesen, daß— sofern die männlichen Geschlechtshormone nicht wirksam werden können — dieNatur Mittel und Wege findet, ihre primäre Vorliebe für das Weibliche abermalsdurchzusetzen: Das Männliche wird zum Weiblichen, vor allem äußerlich undpsychosexuell — nur noch wenige abweichende Erscheinungen deuten auf dieseLeistung der Natur hin. Die Bindungsdefekte der184


Androgenrezeptoren auf der einen Seite werden gleichwertig aufgewogen durchden Umwandlungsprozeß des Testosterons zu Ostradiol, welches dann durch dieungestörte Bindung an die Ostrogenrezeptoren einen entsprechenden, natürlichenFeminisierungsprozeß in Gang setzen kann: Der „Irrtum der Natur" wird indiesem frühen Stadium der menschlichen Werdung zur „Glanzleistung der Natur"umfunktioniert.In Kenntnis dieser Gestaltungsmöglichkeiten der Natur muß auch der gewaltigeAufwand an hormonellen, chirurgischen als auch speziell psychischen Leistungengesehen werden, welche die Therapie der heutigen Transsexualität in seinerExtremform des chirurgischen Geschlechtswandels verlangt, speziell wenn derKörper in bzw. nach der Pubertät bereits entschieden hat und nur noch imnachträglichen Sinne hormonell angegangen (nicht mehr korrigiert) werden kann.Und wie auch das Guevedoce-Syndrom beim Phänomen des Hermaphroditismusmasculinus beweist, ist die Biologie immer (schließlich) maßgebend, und diePsyche paßt sich an — nicht umgekehrt. Dies impliziert aber, daß beim Phänomendes (männlichen) Transsexualismus jedoch kein „Irrtum der Natur" vorliegen kann,da der zugrundeliegende Konflikt zwischen Biologie und Kultur des (männlichen)Menschen ja auf der biologischen Homosexualität des Transsexuellen beruht —diese ist jedoch eine (biologisch indizierte) sexuelle Orientierung und sozusageneher eine „Laune der Natur". Die Transsexualität eines (männlichen) Menschencharakterisiert sich jedoch gerade durch die Nicht-Akzeptanz dieser (biologischen)„Laune" und den (individuellen) Entschluß zur Akzeptanz bzw. Konstruktion eines(künstlichen) „Irrtum-der-Natur"-Denkens für das daraus resultierendeKonfliktverhalten in der Gesellschaft. In einem solchen offensichtlichenZusammenhang muß es auch als blanker Unsinn gelten, wenn in Transsexuellen-Selbsthilfekreisen das Phänomen der (männlichen) Transsexualität auf dergleichen Grundlage gestellt wird wie das vorher beschriebene Phänomen dertestikulären Feminisierung (sogenannte „Schnittstellen"-Theorie). SolcheBestrebungen decken sich nahtlos mit der bereits anderweitig erwähnten Suchenach „Irrtum-der-Natur"-Ursachen für das Transsexualismus-Syndrom. Daß es sichdabei um einen „Irrtum des Menschen" handelt, kann offensichtlich nur im NeuenDenken erfaßt werden: Das „alte" patriarchalische Denken sieht in ihremmännlichen Denkmuster keine solchen „Irrtümer des (männlichen) Menschen" vor,dafür aber den unbezwingbaren Drang nach Manipulation der (weiblichen) Natur.Eben die Korrektur des vermeintlichen „Irrtums der Natur".Eine solche Anpassungsleistung kann jedoch im Grunde nur über die (individuelle)Natur des Menschen, jedoch nicht über die (kollektive) Kultur der Gemeinschaft,erreicht werden: Die Gesellschaft besitzt für die persönlichen Irrtümer desMenschen keine entsprechende allgemeine Verantwortung, schon gar nicht imgesetzgeberischen Sinne. Über diese kollektive Komponente der Gemeinschaftsordnungkönnen lediglich die (hermaphroditischen) „Irrtümer der Natur" (alsZufallsexperiment verstanden) Anspruch auf eine entsprechende, möglichstrechtzeitige „Reparaturleistung" erheben (selbstverständlich unter der Anlegungreeller menschlich-ethischer Maßstäbe). Irgendwelche (männliche) „Korrektur-Hybris" ist und bleibt für den Gesamtkomplex des Transsexualismus („Irrtum desMenschen") dagegen völlig fehl am Platze. Die immer mehr um sich greifendeGeschlechtswechsel-Automatik im chirurgischen Sinne — für Mann zu Frau -185


Transsexuelle getarnt als „Heilung" der männlich-biologischen Homosexualität —bzw. das gentechnische Denkmodell zur allfälligen „Vermeidung" der männlichbiologischenHomosexualität, sind im anstehenden Zeitalter des Neuen Denkensabsolut nicht mehr zeitgemäß. Die Position des Phänomens der (männlichen)Transsexualität innerhalb der menschlichen Gesellschaft darf nicht auf derGrundlage einer Alibibeschäftigung mit dem Phänomen der männlich-biologischenHomosexualität etabliert werden — Patriarchat hin oder her: Der Mensch darfdabei nicht zugrundegehen. „Nobis bene — nemini male" (uns Gutes und niemandemBöses): Wieweit sind wir inzwischen mit diese wissenschaftlichenAnspruch (Uni Hamburg) gekommen?Biologische Intersexualität und VariationWir haben in den vorhergehenden Kapiteln gesehen, daß die Natur aufReproduktion eingestellt ist und die Evolution sich dabei sowohl der ungeschlechtlichenFortpflanzung (Teilung) als auch der geschlechtlichen Fortpflanzung(Befruchtung) bedienen kann — Grundlage bleibt jedoch immer dieweibliche Urstruktur. In einem solchen Sinne müssen wir uns bewußt sein, daß inder Folge sich in der Natur viele Arten von Pflanzen und Tieren fortpflanzen können,ohne daß irgendwelche Geschlechtszellen oder zwei Geschlechter oder überhauptetwas Geschlechtliches dabei mitwirken. Die Fortpflanzung als solche ist einüberaus ursprünglicher Lebenstrieb und kann, muß aber durchaus nicht nur vonweiblicher Eizelle und männlichem Spermium abhängen. Es gibt vieleOrganismen, die sogar beide Möglichkeiten gleichzeitig besitzen, sich fortzupflanzen:Einmal bringen sie in der üblichen Weise Eier und Samen hervor, undzum Zweiten stoßen sie kleine Gewebestückchen ab (die sogenannte Knospung),die sich zu vollständig neuen Organismen entwickeln, ohne daß irgendwelcheGeschlechtszellen damit etwas zu tun haben. Bei beiden Fortpflanzungsverfahrenentstehen völlig identische Nachfolgeorganismen, beispielsweise bei etlichenWürmer- und Quallenarten, jedoch haben beide im evolutionstechnischen Sinneauch wieder ihre eigene spezifische Bedeutung. Diese liegt darin, daß beimVorgang der Teilung (Knospung) jeder einzelne Nachkomme völlig identisch istmit seinem Nachbarn: Es findet keine Variation statt. Wir verweisen hier nochmalsauf die diesbezüglichen Ausführungen im vorhergehenden Abschnitt diesesKapitels über die Klonexperimente an Menschen, welche auf den oben erwähntenTeilungsvorgängen beruhen. Die Lebewesen, die alternativ aus demBefruchtungsvorgang zwischen Eizellen und Samenzellen stammen (geschlechtlicheFortpflanzung) sind stets jedoch ein wenig voneinander verschieden, selbstdann, wenn sich die Eier selbständig — also ohne die Hilfe von Sperma — weiterentwickelthaben (Parthenogenese = Jungfernzeugung). Am größten sind jedochdie Variationen, wenn Eier und Spermien von verschiedenen Geschlechtszellenträgern(Eltern) zusammenkommen. Die besondere Aufgabe von gegengeschlechtlichenGeschlechtszellen (es gibt in der Natur auch hermaphroditische Wesen, die186


sowohl weibliche als männliche Keimdrüsen nebeneinander besitzen, wie beispielsweiseSchnecken, Seescheiden usw.) ist dabei die Weiterentwicklung derGattung, d. h. die Anpassung an veränderte Lebensbedingungen bzw. dasHervorbringen neuer Formen, ob nun besser als ihr Vorfahren oder nicht. Kurzzusammengefaßt, kann damit gesagt werden, daß die geschlechtliche Fortpflanzungein Kunstgriff der Natur ist, um einen zweifachen Effekt zu erzielen. Siesorgt für den erforderlichen Nachwuchs und erreicht gleichzeitig, daß die Nachkommenjedes Elternpaares unter sich wieder verschieden sind. Eine Generationbringt die nächste hervor, und jedesmal zeigen sich neue Eigenheiten. Darin liegtdie doppelte Aufgabe, die die Geschlechtszellen zu erfüllen haben, und alle übrigenKennzeichen der Geschlechtlichkeit sind in diesem einen Sinne zu verstehen:Die Variation ist das oberste Ziel aller geschlechtlichen Vorgänge und Stadien inder Natur.Dies trifft beispielsweise in ganz besonderem Ausmaße auf die Verschiedenheitder Geschlechtszellen nach Bauart, Größe, Zahl und vor allem Funktion zu. Die(weibliche) Eizelle speichert hierbei die (Lebens-)Substanz, ist relativ unbeweglich,während die (männliche) Samenzelle beweglich ist, nur mit einem langenSchwanz zum Schwimmen ausgestattet, alles andere ist auf ein Minimum reduziert.Weiter müssen wir für das Kriterium der Größe noch ihre Zahl hinzunehmen.Gilt für die Samenzelle der Grundsatz: Größtmögliche Zahl und deshalbkleinstmöglicher Umfang, so stellt sich das Problem bei der Eizelle ganz anders.Jedes Lebewesen kann nur eine bestimmte Menge an Material bereitstellen, umGeschlechtszellen zu erzeugen. Andererseits gilt, daß je größer ein einzelnes Eiwird, umso weiter kann es sich entwickeln, ehe es als irgendwie selbständigerOrganismus hinaus ins Leben tritt. Größere Eier heißt also gleichzeitig wenigerEier, während wiederum eine größere Zahl von Eiern die Wahrscheinlichkeiterhöht, daß einige am Leben bleiben, um die Gattung fortzuführen. Hier habenNatur und Evolution eine unglaubliche Vielfalt von Lösungen und Entwicklungsstufenhervorgebracht. Jedenfalls liegt hier bereits eine der Ursachen für dieVerschiedenheit der Geschlechter als solche bzw. für dieselbe der Geschlechtsindividuenan sich. Dies wird uns noch bewußter, wenn für die Ei- und Samenzellennicht nur die unterschiedliche Größe und Beweglichkeit als Kriterien genommenwerden, sondern auch die Funktion. Und hier kommen die betreffenden männlichenGeschlechtszellen gar nicht so gut weg, ja es geht gar manchmal auch völligohne sie: Das häufige Vorkommen des Phänomens der Parthenogenese(Jungfernzeugung) in der Natur ist der überzeugende Beweis dafür.Interessant ist diese beispielsweise zu beobachten bei Seesternen undFröschen. Erstere entwickeln sich beispielsweise lediglich durch Hinzufügungvon etwas organischer Säure in ihrem Lebensraum, völlig ohne Mitwirkung vonSpermatozoen — das Seesternei bringt somit bereits sämtliche Voraussetzungenfür die Entwicklung und das Entstehen eines neuen Seesterns mit: Es ist nur nochein kleiner Anstoß dazu nötig. Bei Froscheiern sodann kann erst durch vorsichtigesAnstechen mit einer feinen Nadel eine Teilung der Eier erreicht werden,das heißt, die Eier können auch hier (noch) ohne Mitwirkung von Spermienveranlaßt werden, sich zu entwickeln — es entstehen dabei ausschließlich Weibchen,also Individuen mit nur X-Chromosomen. Der gleiche Effekt kann allerdingsauch mit einer Erhöhung der Wassertemperatur erreicht werden:187


Männliches Zutun ist nicht erforderlich. Bei höher entwickelten Gattungen,beispielsweise bei Säugetieren, kann eine solche Parthenogenese sogar noch beiKaninchen hervorgerufen werden. Dem Vater der Pille für die Frau, Dr. GregoryPincus, gelang es bereits vor Jahren aus unbefruchteten Kanincheneiern imReifezustand (allerdings nicht in einem normalen, natürlichen Entwicklungsablauf)weibliche Kaninchen zu züchten. Auch beim Menschen könnten hermaphroditische45 XO-Frauen (sogenanntes Turner-Syndrom), wo also ein ungepaartes X-Chromosom vorliegt, im parthenogenetischen Sinne verstanden werden. DasTurner-Syndrom gehört hierbei zu den am häufigsten vorkommendenChromosomenanomalien bei Frauen (man schätzt im Verhältnis von acht auf tausendBefruchtungen). Die Sterblichkeitsrate der damit behafteten Embryos istallerdings sehr hoch: Nur zirka drei Prozent überleben bis zur Geburt, so daß dieHäufigkeit des Turner-Syndroms mit zirka 1 : 3.000 festgelegt werden kann. Dieüberlebenden 45 XO-Frauen haben zwar einen weiblichen Phänotyp, sind jedochgekennzeichnet durch Kleinwüchsigkeit, (häufig) körperliche Mißbildungen,Skelettanomalien, unterentwickelte Genitalien, funtionsunfähige Eierstöcke sowieleichte intellektuelle Beeinträchtigungen. Oft kann der damit einhergehendeschwache und verzögerte Entwicklung in der Pubertät durch eine gezielteÖstrogentherapie nachgeholfen werden. Bei der Untersuchung der Ovarien vonvorzeitig abgegangenen 45 XO-Föten wurde festgestellt, daß diese zu Anfang völligausgebildet sind, jedoch ab einer bestimmten embryonalen Wachstumsphasedegenerieren: Es verbleiben dabei nur noch Eierstöcke aus gestreiftem, fibrösemGewebe. Ohne das zweite X-Chromosom bilden sich in der Restphase der fötalenEntwicklung somit die Ovarien wieder zurück: Das Individuum als solches bleibtjedoch — wie gesagt — vereinzelt lebensfähig. Im Gegensatz dazu gibt es jedochkeine Menschen mit dem 45 OY-Karyotyp: Sie werden nicht geboren, da sie absolutnicht „natürlich" sind. Für die embryonale, primäre Lebensfähigkeit ist also dieExistenz des weiblichen X-Chromosoms absolut unverzichtbar: In der Natur gehtnichts ohne die weibliche Urstruktur, von dieser ist alles abgeleitet.Eine bemerkenswerte Feststellung ist schließlich noch zu machen: TrotzBenachteiligung in vielen Bereichen sind Frauen den Männern in einem Punkt weitvoraus — in der Lebenserwartung. Diese Phänomen, die sogenannteGeschlechterlücke, ist eine Erscheinung des 20. Jahrhunderts und tritt weltweitauf: Frauen leben im Schnitt sechs bis sieben Jahre länger als Männer. Regionalgibt es Unterschiede, beispielsweise beträgt die „Lücke" in Finnland 8,3 Jahre, inIsrael jedoch nur 3,3 Jahre (WHO 1993). Einige Forscher, wie Roy Collins von derUniversität Oxford (England), sehen die Gründe in der grundsätzlich anderenBiologie des mänlichen Geschlechts. „Auch bei Säugetieren, Vögeln, Reptilien,Fischen und selbst primitivsten Lebensformen kommen die Männer schlechterweg", heißt es im britischen Wissenschaftsmagazin „New Scientist" (23.10.93, S.45). Diesbezüglich wird nun neuerdings auch über eine allfällige genetischeProgrammierung in den Chromosomen für ein „schnelleres" und damit kürzeresLeben diskutiert. Denn die Sterberaten der Menschen werden stark von Krankheitenbeeinflußt, und dabei hält der Mann vor allem bei Herz- und Kreislaufleidendie traurige Spitze. Alle gesundheitlichen Probleme, die beispielsweise auf eindefektes X-Chromosom zurückzuführen sind, können dagegen bei Frauen vonihrem zweiten X-Chromosom ausgeglichen werden. Männer haben aber nur eins188


neben ihrem geschlechtsbestimmenden Y-Chromosom (inklusive SRI'-Gen), undauch bei den 45 XO-Frauen sehen wir die dabei auftretenden Defekte — die weiblicheUrstruktur ist mit XX offensichtlich optimal konstruiert, das (männliche) XY-Derivat ist „minderwertiger". Andere Forscher vermuten für die Geschlechterlückewieder, daß männliche Hormone das „schlechte" Cholesterin (LDL) im Blutbegünstigen, weibliche Hormone dagegen das Niveau des „guten" Cholesterins(HDL) anheben. Die vielfältigen Cholesterin-Risiken bei übermäßigem Anabolikakonsumhaben wir hierzu bereits an anderer Stelle kennengelernt.Die gleichfalls aufgebrachte wissenschaftliche These der die Lebenszeit verkürzendenmännlichen Hormone als solche hat man versucht anhand der (wenigen)Lebensdaten von Kastraten zu untersuchen. Mediziner der Universität Münsterhaben hierzu, wie die Zeitschrift „Nature" 18.12.93 berichtete, die Lebensdatenvon fünfzig Kastraten, die zwischen 1581 und 1858 gelebt hatten, mit denen von200 intakten Männern aus ähnlichem sozialen Umfeld jener Zeit verglichen. DasErgebnis war, daß keine signifikanten Unterschiede in der Lebenszeit feststellbarwaren, obwohl andere Forscher wiederum herausgefunden haben wollen, daßKastraten ebenso lange wie Frauen leben. Die Schlußfolgerung der englischenWissenschaftler um Roy Collins war dennoch, daß die „Gefräßigkeit" der Männerzu Herzerkrankungen führe und sie eher sterben lasse. Es liege am unbekümmertenLebensstil, daß die Männer früher dahingerafft werden: Sie essen, trinken undrauchen mehr als Frauen und gehen seltener zum Arzt. Außerdem würden mehrMänner in Kriegen, bei Verbrechen und Verkehrsunfällen sterben, wasforschermäßig sogar als kräftezehrendes Balz- und Werbungsverhalten interpretiertwerden könne. „Schaut her, wie fit ich bin", ist die Devise an Tischen und Theken,hinter dem Lenkrad und im Sport. Und groß und stark zu sein koste nicht nurMühe und Kraft, sondern offensichtlich auch kostbare Lebenszeit — der Mannbezahlt sozusagen für seine (kulturelle) Hybris, der bessere Mensch zu sein. ImNew Scientist vom 11.12.93, S. 18, hieß es dazu noch ergänzend: Von Anfang an,wenn der Embryo gerade aus zwei Zellen besteht, entwickelten sich diezukünftigen Manner schneller als die Frauen. Männliche Embryonen müßten dabeistark gegen die Abwehrkräfte der Mutter gegen das andere Geschlecht ankämpfen:das koste Kraft und gehe auf Kosten der begrenzteren Lebenszeit der Männergegenüber den Frauen. Auch hier also wieder die (berechtigte) Annahme, daß dieReproduktion in der Natur über die geschlechtliche Fortpflanzung eine einseitigeAngelegenheit seitens der weiblichen Urstruktur ist. Das „Adam aus Eva"-Prinzipbeinhaltet automatisch die „Geringerstellung" des männlichen Prinzips und nicht— wie im patriarchalischen Gesellschaftssystem im kulturellen Sinne „verewigt"— umgekehrt. In diesem Sinne könnte das von der Autorin propagierte NeueDenken sicherlich dazu beitragen, für das Verhältnis der Geschlechter zueinander— aber nicht zuletzt auch für die „natürliche Berechtigung" der geschlechtlichenVariationsabstufungen, seien diese nun biologisch oder psychisch bedingt —wesentlich zutreffendere Kriterien zu finden.Wir sehen aus diesen Ausführungen, daß sich unendlich viele Komplikationenergeben, wenn — auf irgendeiner Stufe der natürlichen Evolution — der männlicheImpuls in die weibliche Ur-Prozeßstruktur eingepaßt werden soll. Hierbei kann eszu den vielfältigsten Erscheinungsformen im Sinne der biologischen Intersexualitätkommen, je nachdem inwieweit dieser (männliche) Variationsimpuls in189


den Fortpflanzungsprozeß integriert werden soll. Siehe hierzu auch <strong>Kamermans</strong>,J.: „Mythos Geschlechtswandel", zweites Kapitel, „Sexuelle Zwischenstufen beimMenschen", S. 55 - 73 für die überaus zahlreichen und verschiedenartigen hermaphroditischenAusgestaltungen im geschlechtlichen Fortpflanzungsprozeß.Insbesondere erinnern wir an dieser Stelle gleichfalls daran, daß — je nach Weiterentwicklungder Evolutionsstufe, Gattung und Art — die Geschlechtsdifferenzierungsich normalerweise über die Ausarbeitung der Geschlechtsmerkmaleimmer stärker manifestiert bzw. rückwärts verschiebt: Die Hormone werden — alsBotenstoffe der geschlechtlichen Entwicklung — immer wichtiger. Bei Fröschenbeispielsweise dauert dieser Prozeß sehr lange, und es wird erst eine sehr späteEntscheidung für das eine oder das andere Geschlecht gefällt — bis dahin findetwährend der Wachstumszeiten ein regelrechter Kampf um die Vorherrschaft in derdoppelgeschlechtlich angelegten Urkeimdrüse eines jeden Tieres statt — dieUmweltbedingungen entscheiden letztendlich darüber (abweichende Temperaturverhältnissebeispielsweise), und so kann es durchaus zu sehr ungleichenGeschlechterverhältnissen kommen. Bei niedrigen Temperaturen wächst stets dasKerngewebe langsamer als die Rinde, und es überwiegen dann jeweils dieWeibchen; bei ungewöhnlich hohen Temperaturen dagegen tritt gerade dasGegenteil ein: Die Rinde der Urkeimdrüse schrumpft zusammen, und es entwickelnsich lauter Froschmännchen. Und da es nur die Männchen sind, die jenach Größe nur krächzen bzw. laut brüllen können, werden nun auch dieüberaus lauten Froschkonzerte an warmen Sommerabenden verständlich. Esquaken eben zu viele Männchen — sie sind „hoffnungslos" in der Überzahl undkönnen nur so im geschlechtlichen Sinne auf sich aufmerksam machen. Denn dieWirkungsdauer der Hormone ist bei den Fröschen in der Folge sehr kurz, und soist — weil die eindeutigen Geschlechtsmerkmale deswegen nicht genügend ausdifferenziertwerden können — eine überaus mühsame Partnerwahl die Folge (essehen alle Frösche gleich aus...!).Bei den Hühnern, auf einer höheren Evolutionsstufe somit, ist dies schon ganzanders geregelt: Hier ist die Geschlechtsdifferenzierung bereits sehr stark rückwärtsverschoben, und die deswegen sehr wichtig werdenden Geschlechtshormone(welche die Geschlechter nach außen unterscheidbar machen) übernehmen dasabsolute Kommando. Die jeweiligen, aus der Urkeimdrüse entstandenenKeimdrüsen bringen dann nicht nur mehr Eier oder Spermien hervor, sondernauch jene spezifischen geschlechtsdifferenzierenden Hormone. Hierbei sind imembryonalen Stadium beim Federvieh die Keimdrüsen bei allen mehr oder wenigergleich — beimVlännchen entwickelt sich die Außenrinde der Urkeimdrüse nichtweiter, wohl aber der Kern, und es bilden sich ein Paar Hoden heraus, die an derursprünglichen Stelle im Unterleib, d. h. im Körper (in direkter Nähe der Nieren),bleiben. Der linke Hoden wird dabei um einiges größer und schwerer, genauso wiedies auch beim (männlichen) Menschen der Fall ist — auch beim Mann hängt derlinke Hoden tiefer. Bei den Weibchen dagegen wird dieser Unterschied zwischen derrechten und der linken Drüse noch erheblich größer: Bei der rechten Drüseverschwindet die äußere Rinde genauso wie bei den Hoden der Männchen,während die linke besonders stark wächst und den eigentlichen Eierstock bildet.Sowohl von außen herbeigeführte Experimente, aber auch natürliche Vorgängekönnen nun etliche Geschlechtsumwandlungs-Stadien hervor-190


ufen, die durchaus auch für das Verständnis vielerlei geschlechtlicher Vorgängebeim Menschen (siehe Prostata-Wachstums-Prozesse) aufschlußreich sind. So kannman beispielsweise den großen linken Eierstock, der also die Eier erzeugt,herausoperieren, und in der Folge fängt dann die verkümmerte rechte Drüse wiederan zu wachsen: Allerdings wächst statt eines neuen Eierstocks jetzt ein(manchmal) funktionstüchtiger Hoden heran, und dann ist die Boulevardpressewieder in ihrem Element, wenn sie berichten kann: „Geschlechtsumwandlung aufdem Hühnerhof, Henne wird zum Hahn!". So kann also aus einem unscheinbarenHuhn ein imponierender Hahn werden — sowohl die Geschlechtsdrüsen als auchdie dazugehörigen Hormone sind in diesem Prozeß somit (noch) wandelbar. Imumgekehrten Fall jedoch, jetzt ausschließlich experimentell erreichbar, kann einHahn wiederum zum Huhn werden. Hierbei werden die Hoden entfernt und einEierstock eingesetzt (wir erinnern an die chinesischen Experimente an Transsexuellen):Der einst stolze Hahn kräht nicht mehr, bekommt stumpfe Federn unddie Unterwürfigkeit der Hennen bzw. wandert in der Hackordnung ganz nachunten. Werden jedoch nur die Hoden des Hahnes entfernt — was häufig geschieht—, um sogenannte Kapaune zu erzeugen, bleiben seine Federn fast unverändert,jedoch Kehllappen und Kamm schrumpfen. Das Federviehexemplar, der Kapaunalso, bleibt nach wie vor schön anzusehen, hat jedoch seine primären und sekundärenmännlichen Geschlechtsmerkmale verloren: Es hat aufgehört, ein„Männchen" zu sein, ohne jedoch ein „Weibchen" geworden zu sein. Ein „echtes"Huhn wird es nur, wenn noch ein Eierstock eingepflanzt wird. Die an andererStelle bereits erwähnten Gesangskastraten („castrati") der vergangenenJahrhunderte wurden in der deutschen Umgangssprache (und beim Gericht) übrigensals „Kapaune" tituliert — Volkes Stimme eben!Schließlich gibt es noch eine weitere Geflügelvariante, nämlich die sogenanntePoularde, wenn beim Huhn nicht nur einer der Eierstöcke, sondern gleichzeitigbeide entfernt werden, also kein Hoden nachwachsen kann. Poularde und Kapaunsind dabei oft nicht mehr voneinander zu unterscheiden: tierische Eunuchen untersich! Man kann aber auch noch weitergehen mit Experimentieren, indembeispielsweise der Poularde weibliche Hormone eingespritzt werden. Dann wirddas Hahnengefieder nach und nach durch Hennenfedern ersetzt, hört man mit denHormoninjektionen wieder auf, wächst das bunte Federkleid umgehend nach, dasheißt, die äußere Ausgestaltung der Hühner ist hormonell direkt regelbar.Wir können nun die Frage stellen, ob es vermessen ist, gewisse Parallelen zurhormonellen und vor allem chirurgischen Geschlechtsumwandlung bei der heutigenmedizinischen Transsexualität zu ziehen, besonders bei den Mann-zu-Frau-Transsexuellen. Auch wenn es vielleicht manchem nicht passen wird, daß dasVerhalten von Hühnern in einem solchen Fall mit dem Verhalten von Menschenverglichen werden soll bzw. kann („illusio virilis” ...). Es sei jedoch bereits andieser Stelle darauf hingewiesen, daß bei den höheren Säugetieren dasNachlassen der Herrschaft der Hormone zugunsten des Einflusses des Großhirnsund seine Steuerungsmechanismen über Hypothalamus und Hypophyse vielerleiFragen aufwirft. Denn wenn die Lenkung und Steuerung des (menschlichen)Sexualverhaltens zuungunsten der Hormone dabei nachläßt und die Bedeutungder Erziehung, d. h. des Lernens und Erfahrens kultureller Errungenschaftenzunimmt, dann sollte die Beeinflussung der transsexuellen Psyche zwar über191


Hormone, aber doch eher auch über Argumente (speziell bezüglich ererbter, biologischerAnlagen) geführt werden können. Das so oft praktizierte Vollstopfen mitweiblichen Hormonen wäre demnach auch aus solchen evolutionstechnischenGründen überaus fragwürdig. Denn damit wäre die Nähe zu den oft kritisierten„Rattenexperimenten" Professor Dörflers im Grunde wieder hergestellt, bzw. istdann plötzlich wieder „Natur" gefragt und wird die Evolution, je nach Bedarf, einfachrückwärts interpretiert. Hierbei kann dann zwar als gesicherte Erkenntnisgelten, daß männliche Hormone Kraft, Ausdauer und Kampfgeist zunehmen lassen(wie wir dies ja beim Anabolika-Doping sehr aufschlußreich feststellen konnten),während weibliche Hormone dagegen die „weibliche" Neigung zur Unterordnungund ähnlicher passiver Verhaltensweisen, wie beispielsweise zurFluchtbereitschaft (Transsexualität ist Flucht), entsprechend verstärken, diebeliebige Auswechselbarkeit ist jedoch nicht mehr gegeben.Diesbezüglich wären die verheerenden Auswirkungen von gegengeschlechtlichenHormonen auf den körperlichen Gesamtzustand bei Frau-zu-Mann-Transsexuellen durchaus als rückwärts gerichtete evolutionstechnischbeabsichtigte „Zerstörung" der weiblichen Urstruktur anzusehen. Siehe hierzuauch <strong>Kamermans</strong>, J.: „Mythos Geschlechtswandel", drittes Kapitel„Geschlechtliche Zwischenstufen in der Natur", S. 75 - 91.Die Natur steckt somit wirklich voller Überraschungen bezüglich ihrer Strukturund Vielfalt, und was uns beim Menschen als etwas Besonderes erscheinenkönnte, ist im Pflanzen- oder Tierreich — als evolutionsbedingte Vorstufen —bereits mannigfach vorhanden bzw. vorexerziert worden. Und besonders die verschiedenenKonstellationen in Sachen Zwittertum und Geschlechtswechsel sindbeim Menschen — in Kenntnis der vielen in der Natur existierenden Phänomene— nun doch mit etwas anderen Augen zu betrachten als allgemein üblich. DerMensch und die ihn umringende Natur sind keine getrennten Einheiten, sondernder Mensch ist Teil der Natur und deshalb gleichfalls Teil des ewigenNaturkreislaufs (Paracelsus-Grundsatz). Aus diesem Grunde dürfen wir deshalbauch die menschliche biologische Intersexualität durchaus im Lichte der übrigen(Evolutions-)Vorgänge in der Natur untersuchen bzw. entsprechende Vergleicheanstellen. Daß die Gattung Mensch auf die höchste Evolutionsstufe gewandert ist,darf sie nicht davon abhalten, sich mit ihren „Vorgängern" abzugeben. In Gegenteil,durch solche Erkenntnisse, wie wir sie uns inzwischen angeeignet haben,können wir lernen, Mensch und Natur besser in Einklang zu bringen.Insbesondere soll durch die Aufzählung verschiedener, in der Natur anzutreffendengeschlechtlichen Vor- und Zwischenformen verständlich gemacht werden, daßdie menschliche Gesellschaft nicht aus homogenen Gruppen von Männern bzw.Frauen besteht, sondern daß es ungemein viele Variationen, Zwischenabstufungenund vor allem abweichende Ausgestaltungen in biologischer Hinsichtgibt und es deshalb fraglich ist, ob und wann der Körper bzw. die Psyche in einemIndividuum als allein ausschlaggebend erkannt werden soll, also die ausschließlicheDominanz des „Eindeutigkeitsprinzips" Vorrang haben sollte. Je nachdem,wie weit wir die „Normalitäts"-Schablone in der unendlichen »Variabilität" derNatur anlegen, erhalten wir auch ein entsprechendes Spektrum der geschlechtlichen„Normalität" — die menschliche Charaktervielfalt nicht ausgenommen. Vonaußen ist sehr oft jedenfalls nicht feststellbar, welche Eindeutigkeitsmerkmale1 9 2


eim jeweiligen Menschen vorliegen. Und nur das betreffende Individuum kannerahnen, weshalb auf es die (manchmal willkürlich) für die Mehrheit derMenschen geltenden Kriterien nicht völlig zutreffen bzw. es davon abweicht. Esdürfte jedoch gleichzeitig wichtig sein zu wissen, welche überaus vielfältigen undungemein komplizierten Evolutionsstufen es in der Natur gibt und daß es bereitsaus diesem Grunde absolut keine gleichen Menschen geben kanil bzw. geben darf(siehe Klon-Experimente!). Zu wissen, warum und wieso dies so ist, kann zudemsehr viel dazu beitragen, seine persönlichen Probleme, besonders wenn man sich„Trans" glaubt, nicht so „tierisch" ernst zu nehmen, denn „echte Transsexualität"(Definition nach Eicher) besteht auch darin, über sich selber lachen zu können,und nicht nur darin, sich unbedingt chirurgisch umbauen lassen zu wollen,„koste es, was es wolle". Die Entscheidung des Transsexuellen zur „Möglichkeitdes Anderssein", ohne Skalpell und Couch, sollte in der heutigen Zeit wieder ihreBerechtigung finden können. Die Bereitschaft vieler Transsexualitäts-Patriarchen,ob nun Beteiligte oder Betroffene, diese Lebensform nicht als Transsexualitätanzuerkennen, kann deshalb — angesichts der überaus vielen bis hieraufgezeigten natürlichen Realitäten — nur als Fortsetzung der uns inzwischensattsam bekannten, männlichen Hybris ohne Ende bezeichnet werden. Es wirdlangsam Zeit, daß das Neue Denken die Überhand gewinnt — dieses Buch ist derVersuch dazu.Menschwerdung und HormoneEmbryonale EntwicklungAuf dem Weg ins Leben muß ein Mensch viele Hürden überwinden undüberall drohen Gefahren — besonders für den männlichen Menschen kannunendlich viel schief gehen. Hierbei haben wir weiter gesehen, daß sich imLeben einer Frau — im Rahmen der weiblichen Fortpflanzungsfunktion —Monat für Monat — insgesamt etwa vierhundertmal — der gleiche Vorgangwiederholt: Es kommt zum Eisprung, einem dynamischen Prozeß, der inwenigen Minuten abläuft. Die im Eierstock gereifte Eizelle wird dabei im Trichterdes Eileiters aufgefangen und bleibt, umgeben von vielen Nahrungszellen, etwa24 Stunden befruchtungsfähig. Dietaeisten Frauen verspüren in dieser für dieBefruchtung günstigen Zeit sinnvollerweise auch eine ausgeprägte sexuelle Lust.Beim Geschlechtsverkehr schickt dann der Mann etwa 300 bis 400 Millionenmännliche Samenfäden (Spermien) auf den Weg von der Scheide zum Eileiter:eine relativ kurze Entfernung von rund zehn Zentimetern, wofür schnelle („fitte")Spermien eine halbe Stunde brauchen, andere dagegen mehrere Stunden odersogar Tage (die Lebensdauer von männlichen Samenzellen wird heutzutage biszu sieben Tagen angesetzt).Aber, wie wir wissen, kann nur einer das Rennen machen, das heißt, in derRegel gelingt es nur einem einzigen der Millionen Samenfäden am Ende der193


Abbildung 22Elektronenmikroskopische Aufnahme von Samenzellen, die — nach der Odysseedurch Hoden, Nebenhoden, Samenleiter, Harnröhre, Scheide, Zervix, Gebärmutterund Eileiter — die Eizelle erreicht haben.Damit letztere befruchtet werden kann, muß eine der Samenzellen mit Hilfe ihrerEnzyme im Kopfteil die dicken Eihüllen durchstoßen. Wenn dies erreicht ist, verstärkenchemische Reaktionen die Eihüllen, und der Eintritt weiterer Samenzellenwird verhindert. Größenverhältnisse Samenzelle: Gesamtlänge 50 - 70 pm,Kopfteil 4 - 6 pm und Eizelle: Durchmesser 120 - 150 pm(Aus HA 66/1993)1 9 4


Odyssee in das Innere der weiblichen Eizelle vorzustoßen: Hierzu müssen diedrumherumliegenden Schutzschichten enzymatisch abgebaut werden. Die anderenSpermien bemühen sich zum Teil noch tagelang, ebenfalls in die Eizelle zugelangen, doch sie sind, bedingt durch chemische Veränderungen an der Eihülle,gewissermaßen vom Wettbewerb ausgeschlossen. Von diesem Moment an, da dieSamenzelle des Mannes in die Eizelle eingedrungen ist, beginnt der Embryo zuleben, und bereits in den ersten Wochen der Schwangerschaft entsteht der kleineMensch komplett: Schon vier Wochen nach der Befruchtung schlägt das Herz desnoch winzigen Embryos, und viele Organe und Körperteile sind zwar noch sehrklein, aber komplett angelegt: Das Gesicht mit Nase, Augen, Ohren, Mund,Lippen, Zunge und Milchzahnansätzen, ebenso Anne, Beine, Hände und Füße.Nur das Geschlecht ist noch neutral angelegt, und erst ab der achten Schwangerschaftswoche,also nach 56 Tagen, erfolgen über die abrupte Aktivierung der demgenetischen Geschlecht zugehörigen Geschlechtsdrüsen die geschlechtlichenDifferenzierungsphasen. Daß dieser Vorgang speziell für die Geschlechtsfindungdes Mannes mit unendlich vielen Komplikationen verbunden sein kann, haben wirbeim Faktum der biologischen Intersexualität gesehen. Daß die dabei entstehendenAbstufungsmöglichkeiten seitens der Natur nicht als Fehler im Sinneeines Schadens, sondern offensichtlich als Experiment im Sinn der Variation eingestuftwerden müssen, ist uns gleichfalls klargeworden. Die Natur findet Mittelund Wege, solche Experimental-Individuen lebensfähig zu erhalten bzw. diese fürden Kampf mit der Umwelt entsprechend zu präparieren (wir denken hierbeispielsweise an das Phänomen der testikulären Feminisierung).Aber auch mit den vorstehend beschriebenen Abläufen ist der Menschwerdungsprozeßnur in ganz geringem Maße absolviert: Die „Irrtümer der Natur"sind damit zwar im somatischen Sinne entwickelt, aber für die letztendlicheFunktion des neugeschaffenen Individuums im ewigen Evolutionskreislauf sindanschließend noch überaus zahlreiche „Rechtfertigungs"-Kriterien — genauso wieim Prozeßablauf vorher — zu erfüllen. Jedes so entstandene neue Leben ist zwareinzigartig, aber das „Wunder der Natur" ist nun mal auf Wiederholung konzipiertund im System der geschlechtlichen Fortpflanzung der Gattung Mensch (aberauch natürlich in der übrigen Natur) als zwar einerseits sinnvolle, aberandererseits auch experimentelle Episode einzustufen: Es gibt viele Wege nachRom. So verhält es sich auch mit dem Aufbau des sogenannten zentralnervösenSteuerungssystems des Menschen, dessen geschlechtsspezifische Ausarbeitunggleichfalls wieder von Hormonen (von griechischem „hormao" = ich rege an)abhängt, bzw., wenn einmal installiert, wiederum über Steuerungsbotenstoffe ausHypothalamus und Hypophyse entscheidenden Einfluß ausübt auf die vielen körper-und geisterhaltenden Lebensprozesse des Menschen.Wie wir gesehen haben, gibt es ein männlich geprägtes zentralnervöses System,dessen primäre Ausbildung im Normalfall von fatalen Androgenen abhängig ist,während das weibliche Gegenstück in seiner Entwicklung von fötalen Ostrogenenbeeinflußt wird. Beim Fehlen embryonaler Keimdrüsen tritt im übrigen, wie bereitsvermerkt, ebenfalls eine weibliche Entwicklung ein: ein erneuter Beweis für diegrundsätzlich weibliche Urstruktur des Menschen. Eine männliche Entwicklungtritt nur ein, wenn (normalerweise) ein Y-Chromosom dazukommt bzw. dieSynthese des H-Y-Antigens von einem anderen als dem typi-195


schen Geschlechtschromosom in Gang gesetzt wird, beispielsweise verursachtdurch den Austausch von nicht ganzen, sondern nur noch bruchstückhaften Chromosomen(Mutationen). Diesbezüglich wurde Ende der 80er Jahre von einerinternationalen Forschergruppe über die neuesten Befunde bei biologisch intersexuellenMenschen mit sogenannter „Geschlechtsumkehr" berichtet, d. h. XX-Männer und XY-Frauen. Die XY-Frauen hatten ein Teil-, aber kein ganzes Y-Chromosom (Mosaizismus-Syndrom), und so ergab sich die Erkentnis, daß dasGen für die Entwicklung des H-Y-Antigens auf dem langen Arm des Y-Chromosoms oder in der Centromer-Region liegt, während der hodenbestimmendeFaktor TDF (Testis-Determinating-Factor) weit entfernt im äußersten Abschnittdes kurzen Y-Arms lokalisiert werden konnte. In einem solchen Mutation-GeschlechtsumkehrProzeß gibt es dann Menschen mit dem weiblichen Karyotyp46 XX, die trotzdem eine völlig männliche Entwicklungsrichtung durchgemachthaben und über normal funktionierende Hoden verfügen inklusive Vorhandenseinsdes H-Y-Antigens auf dem entsprechenden Zielgewebe (siehe auch dieentsprechenden Ausführungen in Kapitel 2 über das SRY-Gen auf dem Y-Chromosom als „Männlichkeits"-Schalter). Offensichtlich ist hier die Synthese desH-Y-Antigens und die Bildung des Hodengewebes, in der Wirkung ähnlich dem Y-Chromosom (inklusive SRY-Gen) auf ein anderes Chromosom mutiert undwirksam geworden. Denn auch bei den Mutationen im genetischen Sinne gibt esunendlich viele letztendlichen Ausgestaltungsmöglichkeiten, die durchausgleichfalls (wie bei den Pseudo-Hermaphroditen mit [nur] hormonellen Defekten)von der Natur als lebensfähig eingestuft werden (können): Diesbezüglich wirft diebiologische Intersexualität über das Wie, Weshalb und Warum solcher Vorgänge(noch) sehr viele Fragen auf. Andererseits dürfte es auch als angebrachterscheinen, daß — einmal auf gewissen Forschungsstufen angelangt — ausethischen Gründen, ohne Rücksicht auf irgendwelche „illusio virilis" (und weil dieNatur es nun mal so eingerichtet hat!) Halt gemacht bzw. die Macht der Naturanerkannt wird. Das von der Autorin propagierte Neue Denken könnte in diesemSinne viel zu einer neuen Koordinatenstellung beitragen und speziell auch imtranssexuellen Bereich für realitätsbezogenere Aspekte verantwortlich zeichnen.Zurückkommend auf die Entwicklung des zentralnervösen Systems desMenschen, d. h. in erster Linie des männlichen oder weiblichen Gehirns, müssenwir insbesondere den jeweiligen Entwicklungsstand des menschlichen Embryosbeachten. Hierbei sind im Blutkreislauf desselben Embryos auch immer geringereKonzentrationen der gegengeschlechtlichen Hormone vorhanden, sei es aus eigenerProduktion, sei es von der Mutter. Ob ein Gehirn sich sexuell männlich oderweiblich entwickelt, hängt nun entscheidend von der Konzentration des sogenannten„männlichen" Hormons Testosteron im frühembryonalen Blutkreislauf ab.Die Entwicklung der zerebralen Steuerungszentren für die spätere geschlechtlichePartnerwahl als auch das damit zusammenhängende Sexualverhalten werden davonüberaus maßgeblich bestimmt. Und wie bereits bei der Entwicklung der primärenSexualorgane gezeigt, ist auch die anfängliche Richtungsentwicklung für dieFestlegung der zentralnervösen Sexualzentren in erster Linie immer primärweiblich indiziert: Die weibliche Urstruktur ist vorgegeben. Die männlicheEntwicklungsrichtung bzw. die männlich geprägte Sexualität wird erst durch dieProduktion des Hormons Testosteron in den Hoden des männlichen Embryos ein-1 9 6


geleitet. Hierbei scheint es für eine normale Sexualentwicklung von eminenterWichtigkeit zu sein, daß die individuelle spezifische Testosteronkonzentrationin den verschiedenen embryonalen Lebensphasen rhythmisch fein dosiert undabgestimmt stattfindet. Ist dies nicht der Fall — aus welchen Gründen auchimmer —, können die verschiedenen dabei auftretenden Abweichungen zuähnlichen „Konstruktions"-Ergebnissen führen wie im somatischen Bereich desMenschen — es finden keine vollständigen Wandlungsprozesse statt, wie dies— im Raster des derzeit dominierenden, kulturellen (männlichpatriarchalischen)Oberheblichkeitsdenkens — als absolut vorausgesetzt wird.Daß es sich dabei um ein falsches Denken handelt, weil die männliche Strukturals Ausgang allen Werdens vorausgesetzt wird (und Abweichungen deshalb als„Mängel", als Beeinträchtigung der absoluten Männlichkeit angesehen werden),dürfte inzwischen gleichfalls klargeworden sein. Männlichkeit ist ein Derivatder primären Ur-Weiblichkeit und als solche bereits deswegen eher als»sekundär" (im Sinne der Evolution) einzuschätzen, d. h. wenn man esgenaunehmen möchte, sozusagen als »Mangel der Weiblichkeit" (stattumgekehrt, wie uns seit Jahrtausenden suggeriert) anzusehen.Wie bereits gesagt, können wir aus einer solchen natürlichen (richtigen) Sichtder Dinge ableiten, daß für die physiologischen Aufbauprozesse in der embryonalenGehirnstruktur im Falle irgendwelcher intersexueller Differenzierungen ähnlicheFolgewirkungen zu erwarten sind wie im somatischen Bereich des Menschen.Hierbei müssen wir immer wieder davon ausgehen, daß — unter der Prämisse derVorliebe der Natur für die primär weibliche Ausbildung ihrer Anlagen —irgendwelche Störungen im embryonalen Aufbau des zentralnervösen Systems, wieim somatischen Bereich, gleichfalls immer wieder zu einer Retourentwicklung indie weibliche Anlage führen: Es werden sozusagen die Gleise dazu angelegt(Veranlagung). Ob sie dann in der späteren Entwicklung des männlichenIndividuums auch tatsächlich befahren werden (Verhalten), hängt nicht zuletztauch vor allem von denjenigen Umwelteinflüssen ab, denen es dann später, mehroder weniger, ausgesetzt wird (Familie, Erziehung, Schule, Gesellschaft,Kulturkreis). Daß die in den letzten Jahren gewonnenen Erkenntnisse der Molekularbiologienatürlich — wie wir gesehen haben — im patriarchalischen Sinneauch derart verfremdet werden (können), daß durchaus Kritik wiederum geübtwerden kann an dem Ausmaß des derzeit grassierenden biologisch-genetischenFundamentalismus, haben wir bereits mehrmals verdeutlicht. Die Gesellschaft gibtsich gerne zufrieden mit einem „Kästchen-Denken" bzw. gibt nicht eher Ruhe, biswahrhaft „einfache", einleuchtende und auch schlichten Gemütern leicht verständlicheErklärungsmuster für alles vermeintliche „Abweichende" schnellstensgefunden sind. Daß jedoch nicht die „Abweichungen" als solche, sondern die inihnen zugrundeliegenden Bewertungssysteme fehlerhaft sind — weil » falsch"gedacht wird —, scheint vielen Menschen (und ganz besonders vielen männlichpatriarchalischenWissenschaftlern) immer noch nicht klar zu sein. Tatsächlich istes für viele kein Problem, ein Verhalten als angeboren anzusehen, solange es sichdabei um Ratten oder Hühner handelt. Wird jedoch der Mensch in diewissenschaftliche Betrachtung mit einbezogen, wird plötzlich alles zu einerGlaubensfrage erklärt: wie sich dies speziell im Falle des Angeborenseins dermännlichen Homosexualität geradezu kreuzzugmäßig manifestiert. Deswegen197


sind solche Stimmungsschwankungen zwischen Erbe und Umwelt auch rationalso schwer nachvollziehbar, weil eigentlich dabei wohl hauptsächlich derZeitgeist schwankt und nur teilweise die Forschung: Die von ihr gemachtenFortschritte, speziell bezüglich der Genetik, sind ja zeitlos und im Grunde nurder Institution des Patriarchats entgegenlaufend. Wenn also in derSchwulenbewegung derart laut und autistisch-unzugänglich artikuliert wird(wie wir in den ersten Kapiteln dieses Buches aufgezeigt haben) und ganz davonunabhängig die Etablierung der Transsexualität überaus verzerrt unduneinsichtig betrieben wird, dann wehrt sich eigentlich (nur) das Patriarchat —sei es nun schwul oder transsexuell organisiert.Bezogen auf schon erwähnten physiologischen Aufbauprozesse beginnen beimmännlichen Fötus ab der achten Schwangerschaftswoche die Hoden mit derTestosteronproduktion. In einer ersten Phase dient hierbei das in der Plazentaproduzierte Hormon Progesteron als Grundstoff. Hatten wir bereits darauf hingewiesen,daß um den siebzigsten Tag herum — also etwa zehn Wochen nach derBefruchtung — der Vorgang der „Nervenverdrahtung" (die Nervenzellen werde überdie Synapsen, die „Schaltstellen" des Nervensystems, geschaltet) einsetzt, so werdenauch im geschlechtlichen Sinne wichtige Prozesse in Gang gesetzt. Jetzt ist esdem Embryo möglich, Außenreize aufzunehmen, weiterzuleiten und auf sie zureagieren (Beginn des „individuellen Lebens"), und nach der elften Woche pumptdas Herz des Embryos schon Blut durch den etwa fünf bis sechs Zentimetergroßen Körper. Ebenso ist das genetisch festgelegte Geschlecht von außen perUltraschall erkennbar, während bereits zwölf Wochen nach der BefruchtungMuskeln und Gehirn erfolgreich zusammenarbeiten: Der Embryo kann beispielsweisesaugen, schlucken und die Zehen krümmen. Im Sinne der Fristenregelungendet hier auch die Zwölf-Wochen-Frist, in der straflos (aber „rechtswidrig") abgetriebenwerden kann. Schließlich mißt der Embryo um die dreizehnte Woche, etwadrei Monate nach der Befruchtung somit, fast zehn Zentimeter und ist zu diesemZeitabschnitt im Grunde komplett: ein kleines Menschlein. Alle lebenswichtigenOrgane sind ausgebildet und müssen nur noch wachsen: Schon nach dervierundzwanzigsten Woche ist ein solches sogenanntes „Frühchen" überlebensfähig.Es ist schon gelungen, Frühgeborene am Leben zu erhalten, die nur600 Gramm wogen, aber auch bei einem Geburtsgewicht von 1000 Grammbeträgt die Überlebenschance normalerweise trotzdem nur zehn bis zwanzigProzent. Bis 2500 Gramm gelten hierbei Neugeborene als Frühgeburt und müssenentsprechend „brutkastenmäßig" gepflegt werden, um zu überleben.Zwischen der 10. und 16. Woche entwickelt sich zudem die Zahl der Testosteronproduzierenden Leydigschen Zellen erheblich, und es kommt dann zum erstaunlichenRestultat, daß in dieser Zeit die meßbare Testosteronkonzentration im Blutdes Embryos annähernd gleich hoch ist wie bei erwachsenen männlichenPersonen. Zu Beginn der 17. Schwangerschaftswoche nimmt die Testosteronproduktionjedoch wieder mehr oder weniger stark ab: Jetzt hemmt ein sich entwickelnderRückkopplungsmechanismus die Produktion von zuviel Testosteron inden Hoden. Hierbei hat sich nun eindeutig herausgestellt, daß nur das Ausmaß derjeweiligen Testosteronkonzentrationen in den verschiedenen aufeinanderfolgendenSchwangerschaftswochen für die spätere Sexualentwicklung des männlichenIndividuums (aber auch die des weiblichen) veranwortlich zeichnet.198


Diesbezüglich wird während der 13. bis 15. Woche das Programm der sexuellenOrientierung festgelegt, während von der 20. bis zur 25. Woche das typisch männlichebzw. typisch weibliche Programm des Sexualverhaltens entwickelt wird. Wirdnun für den männlichen Embryo in der erstgenannten Phase zu wenigTestosteron produziert — aus welchen Gründen auch immer (genetisch oder nichtzuletzt variationsmäßig indiziert) —, kann sich im Zwischenhirn, d. h. im Hypothalamus,kein männlich geprägtes Steuerungssystem ausprägen. Der männlicheEmbryo entwickelt sich dann, der Vorliebe der Natur für die primär weiblicheAusbildung ihrer Anlagen folgend, nicht in die gewünschte „männliche" Richtung:Das betreffende Individuum ist später, wie eine Frau, auf Männer geprägt undentwickelt in der Folge homosexuelle Begehren (ob die Umwelt ein homosexuellesVerhalten später ermöglicht, steht wieder auf einem anderen Blatt geschrieben).Ähnlich verhält es sich mit der Entwicklung eines absolut „männlichen" Sexualverhaltensim biologischen Sinne, d. h. bezüglich der Prägung auf das weiblicheGeschlecht im Sinne der Fortpflanzung (Werbe- und Imponierverhalten,„Sexualität"). Hierzu müssen für die Entwicklung eines solchen absolut männlichenSexualverhaltens, das — wie bereits erwähnt — zwischen der 20. und 25.Schwangerschaftswoche angelegt wird, wiederum ganz bestimmte Testosteronkonzentrationenim embryonalen Blutkreislauf vorherrschen. So müssen zwischender 20. und der 22. Schwangerschaftswoche vom ursprünglich hohen.Testosteronspiegel noch mindestens neunzig Prozent vorhanden sein, während in400-Testosteron (in ng / 100 ml Blut)300-20010spätere heterosexuelleMännerspätere homosexuelle MännerPartnerprogrammFrauenSexualverhaltenRaumdenken1--IGefühlsbereich12. 14. 16. 18. 20. 22. 29. 26. 28. 30. 31.SchwangerschaftswocheAbbildung 23Der Einfluß des Testosteronspiegels auf die Gehirnprogrammierung imMutterleib.Durch einen zu niedrigen Testosteronspiegel werden manche sexuelle Steuerungszentrennicht ausreichend männlich aktiviert und die Steuerung für dieweibliche Sexualität automatisch weiterentwickelt.: Diese wird nur durchausreichend hohe Testosteronkonzentrationen unterdrückt. Die in derGraphik angegebenen Kurven entsprechen Mittelwerten im Sinne derVariation. (Aus Kaplan, L.: »Das Mona Lisa Syndrom", S. 66)199


der weiteren Phase bis zur 25. Schwangerschaftswoche dieselbe Konzentrationnicht unter achtzig Prozent fallen darf. Nur bei einem derart zeitlich genaudosierten Testosteronspiegel im embryonalen Blutkreislauf werden in der Folgedie entscheidenden Steuerungszentren für die maskuline Sexualität angelegt,andernfalls erfolgt eine mehr oder weniger automatische Aktivierung bzw.Rückführung in die feminine Richtung. Hierbei kann dann die ganze Skala derindividuellen Androgynität geprägt werden, die das spätere sexuelle Verhaltendes betreffenden Menschen, vor allem ab der Pubertät, maßgeblich kennzeichnenwird. Es soll an dieser Stelle allerdings noch einmal darauf hingewiesen werden,daß, wenn Androgynität als abgestufte Skala des „Maskulin-feminin"-Verhaltenseines Menschen, d. h. seiner Aktiv-passiv-Einstellung bezüglich Sexualitätsmanifestationen,verstanden wird, es im Grunde immer um Kontrolle geht. Kontrolleist ein überaus direkter Abkömmling von Macht und Dominanz, also demPotential, andere zu beeinflussen und sie zu dem zu zwingen, was man selbst will.Hierbei muß dann als effektivste Strategie im Werbe- und Imponierverhalten vonMann oder Frau die individuelle sexuelle Manifestation im Sinne von, wer nunwen kontrolliert, so erfolgen, daß der Partner bzw. die Partnerin wirkungsvollüberzeugt wird, daß er bzw. sie eben das wollte, was im Moment aktiv oderpassiv, direkt oder indirekt passiert. Androgynität hat somit mit direkter sexuellerOrientierung nichts zu tun, sondern bezieht sich auf das charakterlicheEmpfindens-Spektrum und die Selbsteinschätzung hinsichtlich der jeweiligenRangordnung in der (menschlichen) Gesellschaft. Dies hängt, wie gesagt, zusammenmit dem Dominanzstreben eines jeden einzelnen Individuums, ob es bezwingenwill oder bezwingen werden möchte. Dabei ist es auch ganz unabhängigdavon, ob der/die Betreffende heterosexuell oder homosexuell veranlagt ist —aktiv oder passiv zu sein, hat nichts mit der Triebrichtung zu tun. Passiv-Sein istdeswegen kein absolut weibliches Sexualmonopol, und in einem solchen Sinnedürfte es falsch sein zu sagen, daß es eine weibliche Eigenschaft eines Mannesist, einen Mann zu lieben. Es dürfte jedoch richtig sein zu sagen, daß es eineweibliche Eigenschaft des Mannes ist, einen anderen Mann in passiver Form zulieben. Wir kommen auf diesen für das Verständnis der Transsexualität alsHomosexualitätsVermeidungsstrategie wichtigen Sachverhalt später noch zurück.Insbesondere auch auf die weitverbreitete Ansicht, daß Männlichkeit undPassivität nicht zu kombinieren seien.Wie gesagt, werden bei den oben behandelten physiologisch-biologischenVorgängen in den jeweiligen embryonalen Stadien des Individuums die dadurchgeschaffenen biologischen Ausgangspositionen sozusagen nur vorgegeben. Fürdie darauffolgende, jeweils unterschiedliche Ausgestaltung des individuellenEntwicklungsweges des betreffenden Menschen spielt jedoch ganz besondersauch der Einfluß seines Milieus in weitestem Sinne eine überaus wichtige Rolle:Die sogenannten (persönlichen) Umweltbedingungen werden dabei vorwiegendvon den kollektiven Normstellungen der Gesellschaft (als die Gemeinschaft allerIndividuen) vorgegeben. Es werden in den jeweiligen embryonalen Stadien desIndividuums faktisch nur die entsprechenden Gleise gelegt, und ob diese im späterenLeben dann jeweils auf Dauer (oder auch nur temporär) befahren werden(oder auch befahren werden können), dafür zeichnen letztendlich dieUmweltbedingungen eines jeden Menschen und deren individuelle Verarbeitung2 0 0


verantwortlich: eben der Kampf zwischen Erbe und Umwelt, ob nun individuelloder kollektiv (TSG!) ausgetragen. Deswegen dürfte es gleichzeitig jetzt klarerscheinen, daß bei einem derart komplizierten Konfliktwerdegang eines menschlichenIndividuums die verschiedensten Begleitphänomene (wiederum gleichfallsim Sinne der Variation wie bei den somatischen Abläufen) zur Geltung kommenkönnen. Hier braucht man nur an die verschiedenen Ausgestaltungsformen derHeterosexualität und der Homosexualität in der menschlichen Gesellschaft imFalle des Auslebens (Neigungsheterosexualität, Neigungshomosexualität,Coming-Out-Phänomen) bzw. Nicht-Auslebens (Situationsheterosexualität, Situationshomosexualität,Bisexualität, Transsexualität, Vermeidungsstrategien) zudenken. Ebenso verweisen wir nach den bereits behandelten Auseinandersetzungenüber die (doch) gravierenden Unterschiede zwischen Männern undFrauen, die sich im Verhalten und Denken und Fühlen zeigen und durchHormone, Gehirnstrukturen, Vererbtes und Angeborenes bestimmt werden.Unterschiede, die in den letzten dreißig Jahren meistens vehement bestrittenworden sind. Wir erinnern diesbezüglich beispielsweise an Simone de BeauvoirsAusspruch: „Biologie ist nicht Schicksal" bzw. an ihr unvergleichliches Credo:„Man kommt nicht als Frau zur Welt, sondern wird es." Diese Thesen, enthaltenin ihrem 1951 erschienenen Werk „Das andere Geschlecht — Sitte und Sexus derFrau", wurden richtungweisend für viele feministische (aber auch davon profitierendepatriarchalische) Denkrichtungen. Eines dieser (kulturellen) Konstrukteführte zur Konstituierung des (angeblich) völlig eigenständigen Transsexualismus-Phänomensheutiger Prägung — hier haben Feminismus undPatriarchat, sei es nun unbewußt oder bewußt, Hand in Hand gearbeitet und einegeschlechtliche Grauzone geschaffen, in der jeder seine Ängste und Vorliebenhineinprojizieren konnte: Die Folgen sind bekannt.Pubertäre EntwicklungDas Erwachsenwerden, die Reife, konstituiert sich bei Jungen und Mädchenunterschiedlich, doch das Ganze beginnt sozusagen irgendwann im Schlaf, wenndas Zwischenhirn das Gonadotropin-Releasing-Hormon (GnRH) als Botenstoff andie Hypophyse (Hirnanhangdrüse) schickt: Ab jetzt stimuliert die Ausschüttungder jeweiligen Sexualhormone das Wachstum vom Jungen zum Mann bzw. vomMädchen zur Frau — die pubertäre Entwicklung ist in Gang gekommen.Bei Jungen zeigen sich meist im neunten Lebensjahr die ersten Anzeichen desaktivierten Testosteronspiegels: Hoden und Penis werden größer, der Körper„schießt in die Höhe" und wird muskulöser, Spermien reifen heran, und bald kommendie ersten, spontanen (meist nächtlichen) Samenergüsse. Gegen Ende derPubertät — meist mit 15, 16 Jahren — vertieft sich mit zeitweiligen Dissonanzendie Stimme (der sogenannte Stimmbruch), und der erste Bartschnitt wird normalerweisefällig. Hierbei gibt es vielerlei stufenartige Entwicklungsverläufe.Bei Mädchen dagegen verläuft die Zeit der Reife etwas komplizierter. Sie werdennoch früher betroffen, und bereits mit acht macht sich die Wirkung der Östrogenebemerkbar: Die Brüste schwellen, das Becken verbreitert sich, und die2 0 1


Hüften werden runder. Die Aktivierung der weiblichen Eizellen erfolgt ja, wie wirwissen, nicht ständig, sondern zyklisch, und bis das dafür notwendige hormonelleWechselspiel von Östrogenen und Gestagenen periodisch geworden ist, vergehenim Durchschnitt fünf Jahre. Die erste Regelblutung (Menarche) wird durchschnittlichmit zwölfeinhalb Jahren erlebt, gleichzeitig fängt auch die Klitoris an,sich allmählich zu wölben und zu vergrößern. Welche Prozesse im menschlichenKörper das GnRH und damit die Pubertät (vom lateinischen „pubescere" = sichmit Haaren bedecken) auslösen, ist noch nicht genau erforscht. Möglicherweiseliegt der Schlüssel in der Vorpubertät, der sogenannten Adrenarche (meist zwischendem sechsten und siebten Lebensjahr angesiedelt), wenn sich eine Zone derNebennieren entwickelt, die „männliche" Hormone hervorbringt. Man nimmt an,daß diese sogenannten Testosteron-Derivate (Dihydrotestosteron DHT), die beiMädchen später auch für das Wachstum der Schamhaare verantwortlich zeichnen,das noch wachsende und sich verzweigende Zwischenhirn (Hypothalamus)einsatzbereit machen. Diesbezüglich kamen Anfang 1994 amerikanischeNeurobiologen um den kalifornischen Forscherarzt Victor Henderson zu überausinteressanten Erkenntnissen. Sie stellten fest, daß im Zusammenhang mit dererblichen Veranlagung zur Alzheimerschen Krankheit der Östrogenspiegel imGehirn eine überaus wichtige Rolle spielt. In den Wechseljahren der Frau würdedann ein abrupter Hormonmangel im Gehirn die Nervenzellen für gewisse, nochnäher zu identifizierende, erbliche Risikofaktoren zugänglich machen: Offensichtlichsind Östrogene für die Herstellung lebenswichtige Enzyme im Gehirn sowiebeim Aufbau der Zwischenverbindungen von Nervenzelle zu Nervenzelle(Synapsen) entscheidend wichtig. Bei Männern dagegen, so wird vermutet, tretedie Alzheimer Krankheit deswegen seltener auf als bei den Frauen, da dieProduktion des männlichen Hormons Testosteron, welches im Gehirn zum schützendenÖstrogen umgebaut wird, im Laufe der Jahre nur graduell (und nichtabrupt wie im Falle der natürlichen Menopause) zurückgeht (Spiegel 11/1994).Und obwohl die genannten Erkenntnisse bezüglich der Umsetzungsvorgänge vonTestosteron in Östrogen (wir erinnern uns an das Phänomen der testikulärenFeminisierung beim Mann) im Sinne des Neuen Denkens („Adam aus Eva") nichtverwundern, werfen diese jedoch gleichzeitig vielfältige Fragen auf hinsichtlichspeziell der lebenslänglichen „künstlichen Hormonmedikation von Frau-zuMann-Transsexuellen. Auch hier sind die Langzeitrisiken absolut unerforscht, und eswerden nur die kurzfristigen Resultate des „Aufbäumens" in Rechnung gestelltbzw. als „Beweis” angeführt für die angebliche Austauschbarkeit derGeschlechter. Schon deswegen ist die Nachsorge für geschlechtsgewandeltePersonen eine unbedingte, lebenswichtige Notwendigkeit — Kastration undHormonmedikation zerschlagen das gesamte „natürliche" Regelsystem derBetroffenen: Der Organismus revoltiert massiv, und der (transsexuelle) Menschbleibt auf der Strecke.Zurückkommend auf die schon geschilderten Abläufe in der pubertärenEntwicklung beider Geschlechter ist sodann noch auf den damit einhergehendenabrupten Längenzuwachs hinzuweisen — in der Adrenarche können die Kinder, obnun männlich oder weiblich, manchmal bis zu sechs Zentimeter jährlich wachsen,in der Pubertät manchmal sogar bis zu zwölf Zentimeter jährlich. Reguliert wirddas Wachstum in dieser Zeit der Reifung durch ein überaus sensibles Gleich-2 0 2


gewicht der Hormone: Während das Somatropin, das eigentliche Wachstumshormon,die Länge bestimmt, sorgen die Sexualhormone dafür, daß dieKnochen reifen und die Wachstumsspalten sich schließen. Für die seelischenVeränderungen in der Pubertät sind gleichfalls die verschiedensten Sexualhormoneverantwortlich: Sie machen den Körper empfindlich für Reize undwecken vor allem das sexuelle Interesse. Weshalb die biologische Uhr derMenstruation von Generation zu Generation permanent zurückgedreht wird (vorhundert Jahren setzte die Menstruation erst im Alter von etwa 17 Jahren ein) unddie Pubertät immer früher beginnt, ist noch nicht völlig klar. Forscher derCornell-Universität in Ithaca/New York nehmen an, daß die Ernährung eine Rollespielt: Frühestens wenn das Fett ein Viertel des Körpergewichts ausmacht, kanndie Menarche eintreten. Denn im Fettgewebe, so lautet die aktuelle Theorie, werdenVorläufermoleküle ganz gewisser Bauart zu aktiven Botenstoffen umgebaut(beispielsweise bei übergewichtigen Jungen weibliche Hormone [Östrogene] imFettgewebe, die zur Brustbildung [Gynäkomastie] führen können). Andererseitskann nach zwei Wochen intensiven Hungerns bei Mädchen — bei MagersüchtigenTwiggy-Syndrom genannt — das Gehirn den Menstruationszyklus in der Pubertätwieder stoppen (Stern 41/1993).Wie bereits vorher angemerkt, endet die pubertäre Entwicklung bei männlichenJugendlichen mit 15, 16 Jahren, und damit sind die jeweiligen hormonellenKonditionierungsvorgänge weitgehend abgeschlossen — die natürlichen, hormonellenProzesse sind jetzt fest installiert, und jegliche künstliche Einwirkung vonaußen kann nur noch Unordnung hervorrufen. Inwiefern die speziell bei jüngerenMann-zu-Frau-Transsexuellen im Rotlichtmilieu zu beobachtenden maßlosenHormon-Eigenmedikationen doch gewisse Auswirkungen auf Dauer bzw. im prozessual-maßgeblichenSinne haben, dürfte in den Sternen stehen. Auffällig istjedenfalls das unentwegte und laute „Quasseln", aber das kann auch andereUrsachen haben (Rauschwirkung des übermäßigen Hormon-Dopings?) - „witzig"ist es allemal...Sind es in Deutschland noch die kulturellen Altersgrenzen des TSG, welchehormonelle Eingriffe von außen in die biologischen Prozesse der Heranwachsendennoch irgendwie zu steuern vermögen, so sieht dies in anderen Ländern schonwieder ganz anders aus. In Holland beispielsweise, wo das Transsexuellen-Gesetzkeine Altersgrenzen kennt, kann es dann diesbezüglich wieder zum Extremfallkommen, so daß sogar Kinder bereits in jungen Jahren operiert bzw. mitHormonen behandelt werden. In einem Spiegel-Artikel der Ausgabe 26/90 wirdbeispielsweise der Amsterdamer Sexologe Professor Louis Gooren zitiert —danach sei sein jüngster Patient sieben Jahre alt (und der älteste 78!). ProfessorGooren hat in dieser Funktion auch einen Lehrstuhl für Transsexologie an der(privaten) Freien Universität Amsterdam inne: eine offensichtlich überauslukrative Verknüpfung von wirtschaftlichen Interessen ( » Koste es, was es wolle")und medizinischer (patriarchalischer) Hybris („Was kümmert uns der Mensch.").Hierbei dürfte eine solche (ärztliche) Entscheidung wegen einer vermutetenTranssexualität derart frühzeitig in den Werdegang eines heranwachsendenIndividuums einzugreifen, gleichfalls einen „illusio-virilis"-Charakter par excellenceaufweisen, im stringenten Bestreben, die Natur auch im nachhinein noch immännlich-patriarchalischen Sinne („Homosexualitäts-Vermeidungsstrategie")2 0 3


korrigieren zu wollen. Denn in einem solch jungen Alter ist noch keine eigenständigesexuelle Orientierung sichtbar, und dann von sich aus — wohl aus derfalschen Annahme heraus, Transsexualität sei angeboren (siehe Dörner) —sozusagen in eigener Regie für das Kind zu entscheiden, ist pervers: Es sindeinfach sämtliche Begründungen in einem solchen Falle völlig künstlich undschief gelagert, während insbesondere auch die physiologischen Konsequenzender lebenslänglich erforderlichen hormonellen Medikation wohl gänzlich„unbedacht" bleiben werden.204


KAPITEL 12SEXUALITÄT UND UMWELTDie Funktion des GehirnsWie die moderne Hirnforschung festgestellt hat (wie in früheren Zeiten bereitsdie Anatomie), wohnen nicht — so sagte es Goethe einst — zwei Seelen in einerBrust, sondern zwei Seelen im Kopf. Das heißt, wir haben es im eigentlichen Sinnebei den beiden Großhirnhälften (Hemisphären) nicht mit einer scheinbarenVerdopplung zu tun, sondern mit zwei Gehirnen überaus unterschiedlicherFunktionen. Hierbei dominiert für den typischen Rechtshänder die linke Hemisphäre,die spezialisiert ist auf die Übersetzung der wahrgenommenen Umwelt inlogische, sprachsymbolische und phonetische Assoziationen auf der Grundlageeiner logisch-analytischen Denkweise. Man spricht auch öfter von einer verbalenoder auch digitalen Hemisphäre: Sie ist für die Details zuständig. Die Funktion derrechten Hemisphäre (wiederum bezogen auf den typischen Rechtshänder) kanndagegen wie folgt definiert werden: Sie ist hochgradig spezialisiert auf dieganzheitliche Erfassung komplexer Zusammenhänge, Muster, räumlicheAnordnungen und Strukturen, vor allem in dreidimensionaler Art. Dies ist nicht zuverwechseln mit dem mosaikartigen Zusammenfügen vieler Details zu einemGanzen durch die linke Hemisphäre. Dies ist beispielsweise aufzeigbar beiPatienten mit totaler linker Hemisphärektomie (chirurgische Entfernung der linkenGehirnhälfte): Solche Patienten können wohl noch einen Text im Rahmen einesLiedes singen, jedoch nicht die einzelnen Worte außerhalb des Zusammenhanges(Liedgestaltung) für sich verwenden. Die von Hirnforschern favorisierteVorstellung über die Arbeitsweise von Gehirn und Gedächtnis besagt hierbei, daßdie rechte Hirnhälfte ihre Aufgabe zur Gesamterfassung auf sozusagenholographischem Wege meistert, und zwar unter Wahrnehmung eines bestimmtenGegenstandes unter den verschiedensten (räumlichen) Gesichtspunkten und vorallem perspektivischen Verzerrungen (wie dies heutzutage auch bereits perComputer simulierbar ist). Dabei ist die rechte Hirnhälfte jedoch2 0 5


gleichzeitig in der Lage, die schlagartige Erfassung der Ganzheit aufgrund eineswinzigen Details derselben vorzunehmen (Pars-pro-toto-Prinzip, Aha-Effekt, Déjàvu-Gefühl).Das Gehirn bewahrt auch sämtliche Erinnerungsinhalte auf eineWeise auf, die den Grundprinzipien des Hologramms vergleichbar ist, jenerfotografischen Speichertechnik, bei der die Bildinformation mittels Laserlichtfestgehalten und hernach dreidimensional wiedergegeben wird. Hierbei ist eineder Holographie speziell zugrundeliegende Besonderheit, daß in jedem Punkt derFotoplatte sämtliche Bildinformationen (interferenzmäßig) enthalten sind — auseinem einzigen Bildpartikel läßt sich das gesamte holographische Bild rekonstruieren.Oder anders gesagt: Der Aufbau einer Karikatur beispielsweise wird dannvon der rechten Hirnhälfte schlagartig erfaßt, der Aufbau eines polizeilichenPhantombildes dagegen von der linken Hirnhälfte sukzessive bewältigt. Das heißt,in großen Umrissen ausgedrückt: links die Wortsprache, rechts die Bildsprache.Störungen in der rechten Hemisphäre wirken sich in der Folge aus auf die BildundRaumerfassung sowie auf die allgemeine Gestaltwahrnehmung: Gesichter,auch das eigene, werden in einem solchen Fall beispielsweise nicht wiedererkannt— es fehlt die Erkennung der typischen Einzelteile aus der linken Gehirnhälfte:„fremd im eigenen Körper" sozusagen. Zurückkommend auf die zentralnervöseOrganisation im Embryonalstadium erinnern wir uns weiter, daß dieNervenschaltungen für die Entwicklung der „männlichen" Gehirnstrukturennachweisbar bereits zwei Wochen vor den Nervenschaltungen der »weiblichen"Gehirnstrukturo angelegt werden. Bei Männern könnte dann eine Verlagerungdieser spezifischen Gehirnstrukturen stattfinden in dem Sinne, daß die typisch„männlichen" in die linke (die „männlich"-logische Hemisphäre) verlagert werdenund darauf folgend die typisch „weiblichen" Gehirnstrukturen in die rechte,„weiblich"-emotionale Hemisphäre. Bei Frauen dagegen, als ursprünglichereStrukturen, ist die Balance zwischen den weiblichen Gehirnstrukturen in beidenHälften wesentlich ausgeglichener. Eine vorwiegend weiblich geprägteGehirnstruktur würde in der Folge dann auch eine wohl gleichmäßigereVerteilung menschlicher (= urweiblicher) Eigenschaften über beide Gehirnhälftenbedeuten. Dies beispielsweise im Gefühlsbereich, der bei Frauen, im Gegensatzzu „normalen" Männern, als in beiden Hirnhälften gleichmäßig verteilt bzw.angelegt gesehen werden kann. Da die gleichzeitige Kommunikation beiderGehirnhälften in erwähntem Sinne besser funktioniert, würde es den Frauen —im Gegensatz zu den einseitig festgelegten Männergehirnen — auch deshalbleichter fallen, Gefühle bzw. Gefühlsregungen jederzeit auszudrücken:Emotionalität statt Kalkulation sozusagen.Bei biologisch-homosexuellen Männern haben wir dagegen gesehen, daß — daja die ursprüngliche Biologie die weibliche ist — die Gehirnstruktur, wenn keineweiteren bzw. ausreichenden männlichen Einflüsse eingebracht werden, sichautomatisch wieder in die weibliche Richtung weiter entwickelt. Dies geschieht indem Sinne, wie wir bereits an früherer Stelle — zugegebenermaßen etwas plakativ— formuliert haben: Der (genetische) Urmensch ist weiblich, der Mann eine vermännlichteFrau und (männliche) Homosexuelle unvollständig vermännlichteFrauen. Der sogenannte Balken („corpus callosum"), über welchen im Normalfallbeide Hemisphären in dauernder Kommunikation miteinander stehen, ist in derFolge bei Frauen — weil sie, im auffälligen Gegensatz zu den „echten" Männern206


— mit beiden Hirnhälften sprechen und „(be)-greifen", dabei wesentlich besser,dicker und stärker organisch entwickelt: Er umfaßt wesentlich mehr Nervenbahnen.Bei homosexuell veranlagten Männern (und damit auch bei Mann-zu-Frau-Transsexuellen) wäre eine ähnliche Konstellation als gegeben anzusehen —allerdings ist die zentralnervöse Struktur des (heutigen) Menschen keine statischeGröße und dauernden Anpassungen, speziell in jungen Jahren, wohl unterworfen.Denn inzwischen haben auch die Gehirnforscher umgedacht und mitinteressanten Entdeckungen den alten Disput um Biologie und Milieu, ererbte underlernte Verhaltenskomponenten — besonders im gehirnphysiologischen Sinne —aufs neue belebt. Von den ehemals simplen Schwarzweißmustern haben sich die„Geistes-Wissenschaftler" dabei weitgehend freigemacht — vor allem entdeckt manjetzt in der Natur wunderbare, diesbezügliche Beispiele dafür, wie das sozialeUmfeld die Biologie von Lebewesen zu beeinflussen mag. Positionswechsel in derHackordnung verändern beispielsweise bei Buntbarschen die Gehirnzellenentscheidend — dem „Macho" schwillt das Gehirn. Bestimmte Areale von Gehirnzellenim Hypothalamus des Zweikampfsiegers plustern sich zum Sechs- bisAchtfachen ihrer ursprünglichen Größe auf. Die dabei aufgeblähten Neuronenkurbeln wiederum die Produktion von Sexualhormonen in der mit dem Hypothalamusverbundenen Hypophyse an. Die Folge ist, daß auch die Hoden des Siegers(und schließlich des absoluten „Herrschers" in der Gruppe) gewaltig anschwellen— leuchtend organgefarbene Streifen machen ihn von weitem sichtbar. Im Gehirnder Positionsverlierer läuft unterdessen derselbe Mechanismus im umgekehrter.Richtung ab: Die hirnmäßige Befehlszentrale für die Sexualfunktionen schrumpft,und die Hoden welken wieder. Aus Mangel an Potenz und Libido sehen die vorherunterlegenen Männchen dem „Boss" teilnahmslos bei seinem weiterengeschlechtlichen Treiben zu. Nicht umsonst sagt der englische Volksmund zujemand, der dem Kampf aus dem Wege geht: „He didn't have the balls (Eier!) to doit." Bezeichnenderweise wird also nicht nur der (sichtbare) Phallus als primäres„Männlichkeits"-Attribut verstanden, sondern auch die Größe der Hoden. Indiesem Wechselspiel zwischen angeborener Prägung, Umwelt und Verhalten gibtes, wie die Forscher glauben (Stanford-Forscher Fernald im US-Fachblatt „TheJournal of Molecular Endocrinology", 1991) weder Anfang noch Ende, sonderneher eine endlose Abfolge von Rückkopplungsschleifen. In diesem System ist dannvor allem im Tierreich der Weg zur Macht mit Opfern verbunden. MännlicheHausmeerschweinchen beispielsweise, die ihren Führungsanspruch unablässiggegen aggressive Konkurrenten unter Beweis stellen müssen, halten den damitverbundenen Dauerbeschuß der Streß- und Geschlechtshormone nicht langedurch — bereits nach wenigen Wochen fordern Bluthochdruck und nicht zuletztArteriosklerose ihren Tribut. Interessant ist, daß die Natur es mit den Verlierern,beispielsweise bei den schon erwähnten Buntbarschen, trotzdem gut meint: ImTarnlook (sandbraune Farbe) sind sie gegen Nachstellungen ihrer natürlichenFeinde besser gefeit und überleben deshalb auch deswegen länger als der Macho— ihm droht normalerweise der frühe Tod in der Natur, wie wir vorgehend gesehenhaben (siehe auch später).Aber auch von der grundsätzlichen Struktur des menschlichen Gehirns istInteressantes zu vermerken: Die derzeit ablaufende »Revolution im Kopf' istdabei, die „technischen Daten" unseres Gehirn völlig zu verändern — die207


Anpassung an die selbstkonstruierte Umwelt läuft auf Hochtouren. SeitJahrtausenden hat das Gehirns mit seinen zwanzig Milliarden Zellen — noch mehrSchalt- und Speichermöglichkeiten als jeder Computer — sich scheinbar mühelosimmer neu der Umwelt angepaßt. Doch jetzt rebelliert das Gehirn: Die Hektik unddie atemberaubende Entwicklung der letzten Jahrzehnte ist einfach zu viel.Langzeittests haben bewiesen, daß der Grund für diese „Revolution im Kopf' dieÜberflutung der Sinne mit immer mehr und immer stärkeren Reizen ist. Dasmenschliche Gehirn „wehrt" sich, indem es schwächere Reize einfach ausblendet:eine Reaktion, die von der Natur für Notsituationen vorgesehen ist, doch jetzt —als sogenannte reaktive Bewußtseinsverengung — zum Dauerzustand zu werdendroht (Ausblendung als Patriarchats-Stütze?). Unsere Sensibilität für Reizereduziert sich dabei jährlich um etwa einen Prozentpunkt, und auch die einkommendenReize werden weniger vernetzt bzw. mit Emotionen oderBewertungen verbunden. Die höhere Reizschwelle gilt auch für die Sexualität —sogar der Spaß am Sex (auf einer standardisierten Erregungsskala meßbar, woHirnströme und andere Symptome registriert werden) kann schließlich verlorengehen.Ebenso wird der Mensch immer unsensibler, optische Reize steuern ohneUmwege direkt das zentrale Sehzentrum an: offensichtlich Bedingung, um imnächsten Jahrtausend zu überleben. Sonst wird der Mensch an den von einemweltweiten Mediennetz pausenlos gelieferten Gegensätze in der Welt zerbrechen.Nur mit dem solchermaßen organisierten „neuen Gehirn" (man nimmt an, daß dasGehirn sich bald nicht nur organisatorisch, sondern auch strukturell anpassenwird) sei beispielsweise so zu verarbeiten, daß Europäer sich den Bauchhedonistisch vollschlagen, während in den Hungergebieten Afrikas (sichtbar!)Hunderttausende von Menschen verhungern. Denn der heutige Mensch wirdoffensichtlich einfach überfordert mit dieser rasch wechselnden, unablässigen Flutvon Bildern jeglicher Art in den Medien, und das Gehirn paßt sich dementsprechendan — es erhöht einfach die Reizschwellen bzw. verkürzt deren Wegdurchs Gehirn ohne Links-rechts-Vernetzung. Ganz klar wird dies bei den täglichenSchreckensmeldungen vom Balkan und der Großstadtkriminalität — die„Realität der Dinge" wird immer mehr ersetzt durch den „Konsum der Bilder".Tierische KonsequenzenDie erwähnten Informationen über die Dynamik des menschlichen Gehirnskönnen selbstverständlich in diesem Buch nur marginal bleiben — wir würdensonst allzuweit doch abschweifen. Dennoch können wir nicht umhin, nochmals aufdie bereits an früherer Stelle erwähnte Tatsache hinzuweisen, daß das Gehirnsozusagen das größte Sexualorgan des Menschen ist. Hierzu sagt der französischeNeurophysiologe Jean-Didier Vincent von der Universität Bordeaux in seinemBuch „Biologie des Begehrens" (1993): » Sitz der Begierde, der Leidenschaft undder Liebe ist das Gehirn. Viel wichtiger als die Vorgänge in den peripherenSexualorganen ist, was einer an (erlernter) Sexualität im Kopf hat." Vmcent, der2 0 8


weit über Frankreichs Grenzen als Experte für die Sexualität des Menschen gilt,basiert seine (Er-)Kenntnisse auf den von ihm (wiederum wie bei Dörner) anRatten durchgeführten Experimenten — zum Teil mit überaus erstaunlichenResultaten. Dabei wurde speziell gezüchteten und dann anschließend kastriertenRatten mit feinen Sonden Testosteron ins Hirn gespritzt, und zwar die gleicheQuantität, die jeweils sonst die Hoden liefern. Es stellte sich heraus, daß dieWeibchen von den sogenannten „Casanova"-Ratten (solchen mit starkemgeschlechtlichem Trieb), unabhängig von der Kastration, nach wie vor (wieder)heiß umworben wurden, sich bei den sogenannten „Joseph"-Ratten (solchen mitschwachem geschlechtlichem Trieb) jedoch nur ganz wenig tat, obwohl dochTestosteron als „männliches" Hormon par excellence, ja als das wichtigste für dieSexualität des Mannes generell angesehen wird. In einem solchen Sinne ist dannauch zu verstehen, daß es falsch ist, sich das Gehirn nur als trockene, unwandelbare„Hardware" vorzustellen — mindestens so sinnvoll ist es, die darin enthalteneund überaus anpassungsfähige „Software" als ein im Grunde einzigartigesDrüsensystem zu (be-)greifen, das sich fortwährend an seine Umwelt anpaßt.Hierbei treten speziell im Hypothalamus (als „Thermostat der Gefühle") die somatischenNerven- und Hormonsysteme miteinander in Verbindung. Sensoren messendort den Hormonspiegel im Blut und ermitteln gleichzeitig Temperatur, Blutdruckund Wasserhaushalt des Körpers. Die daraus errechneten Korrekturbefehle werdenan die Hirnanhangdrüse (Hypophyse) und von dort in Form von feinausbalancierten Hormonsignalen an den Körper zurückgesandt (LH- und FSH-Hormone, sogenannte gonadotropine Steuerungshormone). Gleichzeitig schickt derHypothalamus Nervensignale an das eng mit ihm verdrahtete sogenannte„limbische System", das Gefühlszentrum des Gehirns", wo Empfindungen vonDurst, Hunger und Lust erzeugt werden. Aber ebenso werden die chemischenSendboten auch im Gehirn direkt erzeugt, wie beispielsweise das „Liebes"-hormonLuliberin, das in der Phase der höchsten sexuellen Erregung produziert wird.Gleiches trifft zu auf die Hormone Dopamin (das als „Begleithormon" jeglichersexueller Aktivität gilt) und Vasopressin (regt das [sexuelle] Gedächtnis an).In seinem „Institut für Biologie des Verhaltens" in Bordeaux konnte derHormon- und Verhaltensforscher Vincent wiederum bei Ratten — selbstverständlichnur über künstlich herbeigeführte Experimente — solche natürlichenWechselwirkungen zwischen der Sexualität des Gehirns und der Geschlechtsorganenachstellen. Hierbei wurde jungen Rattenmännchen kurz vor der Geschlechtsreifeeine Sonde ins Gehirn gepflanzt, die die Erzeugung des Dopamins genau messenkonnte. Es stellte sich dabei heraus, daß es keineswegs eine „Allmacht derHormone" gibt, sondern der Hormonhaushalt einen eigenen individuellen, sexuellenCharakter hat und vor allem auf Erfahrungswerten beruht. Die Dopamin-Experimente bei jungen Rattenmännchen zeigten beispielsweise auf, wie eine lebhafteWechselwirkung entstand zwischen den bei der hormonellen Reifung selbständigin den Kopf aufsteigenden Signalen und den — aufgrund des dadurchgeweckten Begehrens — mit der direkten Außenwelt (hier also das Gegengeschlecht)gemachten (unvorhersehbaren) Erfahrungen. Die Hormonerzeugung einesIndividuums ist somit offensichtlich die Folge eines sich im Laufe der Zeitallmählich ausbalancierenden Gleichgewichts zwischen der Hormonproduktion desKörpers und der Erfahrung des Gehirns (der Psyche also) — eine enge psycho-2 0 9


somatische Einheit somit in einem Bereich, welcher beispielsweise für dasPhänomen der Transsexualität bis heute überhaupt noch nicht untersucht wurde.Denn die einfache Auswechslung natürlicher Gegebenheiten durch künstlicheEingriffe (wie die von Menschenhand durchgeführte Kastration) führt zur(kulturellen) Konstruktion eines sogenannten „psychischen Geschlechts",welches dem eigentlichen psychosomatischen Erfahrungs-Geschlecht diametralentgegengesetzt steht. Daß im Falle der Transsexualität (als „Homosexualitäts-Vermeidungsstrategie") gerade die Verdrängung der männlich-biologischenHomosexualität — über die durch die Kulturdefinition des homosexuellenBegehrens entstehenden „Norm"-Ängste — eine überaus wichtige Rolle spielt,wird hierdurch um vieles klarer. Umso ärgerlicher muß es deshalb erscheinen,daß besonders in den Medien derart kritiklos und ohne jeglichen Tiefgang dieExistenz jeglicher Nähe zur Homosexualität nicht mal angedeutet wird — dasPatriarchat mauert hier gleichfalls gnadenlos.Wie bereits gesagt, kann die Angst vor der eigenen, spürbaren Homosexualitätein „Fremd-Sein im eigenen Körper" erzeugen, daß dann — über eine immenseDenkanstrengung übrigens — transformiert wird in das unsägliche Klischee des„Im-falschen-Körper"-Seins. Die dabei vorherrschenden Wirkungsmechanismensind die der Suggestion (über das bewußt vom Patriarchat in die Welt gesetzte„kulturelle" Denken) und der Eigendynamik der anschließend im (männlichen)Kinde ausgelöste psychosexuelle Entwicklung. Es ist in einem solchen Ablaufdeshalb auch wieder völlig verständlich, wenn der Berliner SexualwissenschaftlerErwin Haeberle — wie bereits an früherer Stelle vermerkt — die „Abscheu vorder Onanie" als typisch für ein transsexuelles Empfinden bezeichnet. Sozusagenbesser keine Sexualität als „Homo"-Sexualität lautet die Suggestion. Welch eineperverse Gedankenakrobatik verbirgt sich hinter einem solchen Wirkungsmechanismuspatriarchalischer Kulturgewalt: die somatische, kollektiveKastration als Konsequenz der psychischen, individuellen Eliminierung patriarchalischerHomosexualitätsängste. Auch diesbezüglich muß insbesondere dieMann-zu-Frau-Transsexualität in bezug auf die geradezu automatisch derzeitherbeisuggerierte „Geschlechtsumwandlungs"-Psychose unbedingt neu überdachtwerden. Die überaus zahllosen Nebenwirkungen und Spätfolgen einer Kastrationsowie der als Substitution gedachten hormonellen Medikationen (siehe Kapitel 8bis 10) zeigen auf, wie sehr der Mensch aus der Balance geraten kann, wenn dienatürlichen psychosomatischen Wechselwirkungen auf individueller Grundlagenicht beachtet werden. Wir wiederholen deshalb an dieser Stelle nochmals unsereKritik an der Transsexuellen-Gesetzgebung über das TSG: Es ist grundfalsch, dieBiologie des Individuums über die Kultur des Kollektivs kanalisieren zu wollen— dabei bleibt der (transsexuelle) Mensch auf der Strecke und das Patriarchat derSieger. Kann dies die Absicht des TSG sein?Bei seinen Rattenexperimenten konnte Vincent schließlich auch noch weitereinteressante Vorgänge verifizieren, bei welchen — über einen Eingriff ins Gehirnälterer, sexuell erfahrener (männlicher) Ratten — die Vasopressin-Produktiongedrosselt wurde. (Vasopressin ist ein Hormon, das nicht die Sexualität als solche,sondern das [sexuelle] Gedächtnis anregt.) Bei diesen Experimenten wurde beispielsweisefestgestellt, daß mit dem Gedächtnis auch das sexuelle Verlangenschwand, es allerdings wieder möglich war, bei älteren, kastrierten2 1 0


Rattenmännchen mit einem Stoß Vasopressin das (sexuelle) Gedächtnis wiederzurückzurufen — die Männchen wurden, wie in „unbeschnittenen", jüngerenJahren, wieder geschlechtlich überaus aktiv. Die Reduzierung des Geschlechtstriebsin späteren Jahren hat somit offensichtlich weniger zu tun mit Funktionsbeeinträchtigungder Hoden an sich, sondern eher — wie Professor Vincent es ausdrückt— mit einer „Vergreisung der neuronalen Strukturen des Begehrens imKopf". Hierbei lassen sich die Nervenstrukturen der Sexualität im Gehirn sogarsichtbar machen. Zu diesem Zweck werden die Sexualhormone mit Farbstoffenmarkiert, so daß die Nervenzellen, die auf die betroffenen Hormone ansprechen,auf dem Bildschirm sichtbar gemacht werden können. Die neuronalen Rezeptorenfür die hormonellen Botenstoffe sind dabei übers ganze Gehirn — wie in einer ArtMilchstraße — verteilt, aber dennoch präzise miteinander vernetzt: Gewisse sexuelleVorgänge können (künstlich über Gehirnsonden herbeigeführt) auch nur wiederan ganz speziellen Stellen im Gehirn hervorgerufen werden.Ebenso konnte Vincent anhand seiner Rattenexperimente gleichfalls überausüberzeugend beweisen, daß es zwischen weiblichen und männlichen Gehirnen imstrukturellen wie im organisatorischen Sinne erhebliche Unterschiede gibt. Aufden entsprechenden Fotografien menschlicher Gehirnvorgänge zeigt sich allerdingserst unter dem hochauflösenden Elektronenmikroskop, daß das männlicheGehirn anders gebaut ist als das weibliche — jedoch sind die Ergebnisse bei beispielsweiseRatten ungleich stärker differenziert vorhanden. Mit der evolutionärenHöherentwicklung des Menschen nimmt zwar die Sexualität im Gehirnoffensichtlich zu, jedoch die direkte Unterschiedlichkeit der Gehirne von Mannund Frau nimmt ab. Oder, wie es Vincent ausdrückt, „nicht die Unterschiedlichkeitder Gehirne von Mann und Frau, sondern ihre Ähnlichkeit undgroße Verwandtschaft (!) unterscheidet den Menschen vom Tier".Sexualorgan Gehirn und IdentitätWenn also abschließend geschlossen werden kann (und wohl auch muß), daßdie Sexualität des Menschen sich nicht nur über die Genitalien („Tatwerkzeuge")artikuliert, sondern gleichwertig über das Gehirn — als dem größten Sexualorganüberhaupt — (be-)greifbar wird, dann wird auch in bezug auf das Wissen um dieTranssexualität vieles wesentlich klarer. Insbesondere dürfte sich hier die wichtigeErkenntnnis herauskristallisieren, daß die Phänomene der körperlichen und derpsychischen Sexualität des Menschen nicht voneinander zu trennen sind. DasFaktum der derzeit grassierenden medizinischen Transsexualität glaubt, sich überwichtige biologische Gesetze des Lebens hinwegsetzen zu können, und manchmal— besonders bei jungen Mann-zu-Frau-Transsexuellen — scheint dies auch so zusein: daß die Psyche über die Biologie triumphiert. Jedoch gerade in späterenJahren werden sich die Konsequenzen des Auswechselns des biologischen„natürlichen" Geschlechts in ein psychisches „künstliches” (orientierungsloses)Geschlecht bereits aus dieser grundsätzlich psychosomatischen Einheit des211


Menschen in voller Stärke präsentieren. Denn es ist dies, neben der körperlichenKastration, auch eine psychische Kastration: Das „Im-falschen-Körper"-Denkenerweist sich in der Realität als ein „In-der-falschen-Sexualität"-Denken. Und da diemännliche Homosexualität biologisch bedingt ist, ist eine (psychische) Fluchtdaraus nicht möglich. Die dazu von vielen Mann-zu-Frau-Transsexuellen gegen alleVernunft und Logik zurechtgelegte persönliche „Gehirnwäsche" — über dieUmdeutung aller bisher erlebten Manifestationen und Sensationen im Zusammenhangmit der biologisch vorprogrammierten Homosexualität in die kulturellnachgearbeitete „Heterosexualität" — muß einfach scheitern. Der geschlechtsgewandelteMensch verliert seine ureigene „Ich"-Haftung, und darüber können dannnoch so viele Schein-Identitäts-Manifestationen (reelle Heiratsfähigkeit, angeblicheOrgasmusfähigkeit, fiktive Gesundheitsfähigkeit) nicht hinweghelfen. DieKastration wird die sexuelle Aktivität (früher oder später) lähmen, die erlernteErfahrung der psychischen Sinnlichkeit mag bleiben, aber um sich von den(homosexuellen) „Begierden des Fleisches" endgültig zu befreien, gibt es,neurophysiologisch gesehen, nur eine erfolgverheißende Methode: Kopf ab! Vielleichtist diese psychologische „Kopf-ab"-Suggestion die Erklärung dafür, daß vieleMann-zu-Frau-Transsexuelle Partnerschaften nur mit Frauen eingehen (bzw. dieseauch beibehalten): Jegliche „Homosexualität" (und das wäre in einem solchenextremen Denken die Partnerschaft mit einem Mann) muß jederzeit und überallvermieden werden. Daß solche Mann-zu-Frau-Transsexuelle dann sogar von„lesbischen Beziehungen" (Augstein) sprechen, zeigt die Schizophrenität solcherirrealer Zurechtlegungen auf. Homosexuelle Beziehungen als Mann: nein!Homosexuelle Beziehungen als „Frau": ja! Was soll da bewiesen werden?Die Diskrepanz eines derart umgeleiteten Denkens auf der transsexuellen Seiteliegt in der Folge wohl dann auch darin, daß erstere ungewollte, angstbesetzteAssoziationen individueller Couleur hervorrufen, letztere jedoch im Grunde nur dieFortsetzung gewollter, „heterosexueller" Beziehungen (gemäß dem Prinzip der unsbekannten Homosexualitäts-Vermeidungsstrategie) mit anderen Mitteln sind. Dasgesellschaftliche Mimikryspiel der unentwegten Tarnungen, einmal in Ganggekommen, ist wohl nur noch unter „lesbischen" Verrenkungen aufrecht zuerhalten. Hierbei dürfte nicht zuletzt auch die Tatsache eine Rolle spielen, daßviele (biologische) Frauen — sei es nun bewußt oder unbewußt — Partnerschaftenmit homosexuellen Männern eingehen, um sozusagen ihre (sexuelle) „Ruhe" zuhaben — für bestehende, aber noch mehr für kommende Partnerschaftsbeziehungendürften solche Überlegungen im partnerdynamischen Sinne durchaus einenbestimmten Charakter aufweisen. Andererseits dürften diesbezüglichtranssexuellerseits auch wiederum individuell gelagerte „Versagensängste" imAufbau „heterosexueller" Kontakte zu nach außen „heterosexuellen" Männernwichtig werden: „Es ist leichter, Frau zu werden, als Frau zu sein." Das Echo derGesellschaft kann bei einer solchen eigenmächtigen „Inszenierung" gnadenlos seinund zu vielen, überaus kontroversen Identitätsproblemen führen — eine „sozialeErwartungshaltung" kann so ungemein bedrückend werden. Dann allerdings zurückins „Reservat" zu gehen, das heißt, in eine „Ghetto"-Existenz ohneAuseinandersetzung mit der übrigen „Männlichkeit" draußen, dürfte jedoch nur einbeschränkte Lösung sein und keinesfalls — im Sinne pes „blutrünstigen` TSG(Hirschauer) — einer gesetzlichen Regelung unterworfen werden.212


Alles in allem kann festgestellt werden, daß die aufgezeigten Vorgänge bei derKonstitutionierung der (menschlichen) Sexualität auf jeden Fall aus demZusammenspiel ererbter und erworbener Eigenschaften hervorgehen. Es ist insbesonderedas unterschiedliche biologische Begehren des Mannes, das — ausfalsch verstandenen kulturellen Normierungen — für Verwirrung, Angst undKomplikationen in den zwischenmenschlichen Beziehungen sorgt: Wie wir inzwischenwissen, kann die angeborene Homosexualität eines Mannes zwar zumFaktum der gelebten Homosexualität führen, muß aber absolut nicht imautomatischen Sinne erfolgen. Zudem kann auch — als direkter Gegensatz zurMär der angeblich erworbenen Homosexualität des Mannes — dann die aufsheftigste, aus familiendynamischen Gründen bereits sehr früh artikulierteVerdrängung der angeborenen Homosexualität inszeniert werden. Die manifeste„Femininität" des Kindes wird dann als Transsexualität umgedeutet, sei es direktvor Ort seitens des Umfeldes, sei es später aus der Retrospektive desTranssexuellen. Zu welchem Spektrum von Verdrehungen, Verleugnungen undZurechtlegungen dabei üblicherweise gegriffen wird, zeigen die überausschönfärberischen Biografien und Talkshow-Aussagen vieler Transsexueller. Eswar alles möglich, nur nicht Homosexualität! Und wenn Professor Goorenbeispielsweise dann konsultiert wird, heißt die Diagnose ganz gewißTranssexualität: Eine Forschergruppe aus Utrecht in den Niederlanden (Leitung:Prof. Dr. P. Cohen-Kettenis, die als Expertin für Genderentwicklung und -identität einen Lehrstuhl an der Ryksuniversiteit Utrecht hat) hat bereits einganzes Diagnoseprogramm für angeblich transsexuelle Kinder (!) konzipiert.Wahn und Sinn eines solchen Denkens dürften hier ganz besonders nahaneinanderliegen, nicht zuletzt auch weil für die weibliche Transsexualität(normalerweise völlig unreflektiert) die gleichen Maßstäbe wie für die männlicheangelegt werden — Natur und Kultur des Menschen werden derart — auf Kostender betroffenen Transsexuellen — gnadenlos im männlich-patriarchalischenSinne ausgeschlachtet — und alle applaudieren...!213


Trennblatt: „Neue Männer braucht das Land”Umkehr der traditionellen Geschlechterrollen in der Werbung: Ein Pin-up-Boy soll denVerkauf von Damenstrümpfen ankurbeln...214


KAPITEL 13HOMOSEXUALITÄT UND TRANSFORMATIONHomosexuelle Traditionen bei NaturvölkernDas Zermürbende an den derzeitigen Auseinandersetzungen um die öffentlicheEinschätzung des Phänomens der Transsexualität bzw. die gesellschaftlicheRealisierung des Faktums der chirurgischen Geschlechtsumwandlung ist, daß sienur allzuoft in regelrechte Glaubens- und Grabenkriege auszuarten drohen. Dassogenannte transsexuelle Erleben bzw. das geschlechtswandlerische Verhaltenwerden sowohl von den meisten Beteiligten, aber auch von den Betroffenen alsvöllig exklusive Phänomene betrachtet und jegliche Nähe zum Transvestitismus,aber noch mehr zur Homosexualität (sowohl veranlagungs- als verhaltensmäßig)vehement abgestritten (Transsexualitäts-Abgrenzung über eine an Homophobiegrenzende Anti-Homosexualitätspsychose). Hierbei machten wir bereits daraufaufmerksam, welch (patriarchalische) Bocksprünge seitens der konstituierendenOrgane damals bei der Schaffung des TSG gemacht wurden. Aber auch in dendarauffolgenden Jahren hat sich dieses Trennungsdenken auch weiterhin mit aller(widersprüchlichen) Vehemenz durchgesetzt, und so ist es den interessiertenKreisen dann auch gelungen, in den vergangenen Jahren die offensichtlicheEigenständigkeit des Phänomens der westlichen Transsexualität (und davon jetztschon wieder fast abgetrennt die juristisch-chirurgische Vollrealisierung desGeschlechtsumwandlungsdenkens) nahtlos (und nahezu weltweit) zu konstituieren.Sogar in Ländern mit traditioneller Toleranz gegenüber den Phänomenen derHomosexualität und der Transsexualität als den beiden Seiten der gleichen(biologischen) Medaille finden wir eine immer stärkere Angleichung an die westlich-patriarchalischenMaßstäbe. Hierbei denken wir beispielsweise nicht nur andas uralte Phänomen der Katoi (Kattus) in Thailand, aber auch ganz besonders andie Verhältnisse in Indonesien (mit Sumatra als dem Mutterland des Matriarchats).Hierzu zitieren wir aus dem Artikel „Homosexualität in Indonesien" in der DAW-Ausgabe 8/93:2 1 5


Indonesien ist eine Republik mit einer Bevölkerung von 180Millionen Menschen, und über 300 ethnischen Gruppen, vonden Javanesen mit 80 Millionen, bis zu Gruppen mit nur 100Menschen.Homosexualität in IndonesienVon Mutter Kuh über Gemblak bis zum LudruktheaterAlle Hauptreligionen sind dort vertreten, wobei der Islamdominiert. 20 Prozent der Bevölkerung wohnen in Städten.Es gibt große Unterschiede im Bildungs-, Einkommens- und„Westemisi erungs-"niveau.3lede. Kultur definiert ihr geschlechtsspezifischesRollenverhalten. Es darf nicht• vergessen werden, daß mancheKulturen mehr als zwei Geschlechteranerkennen. Traditionelle indonesischeGesellschaften (fortan „ Nusantara"genannt) haben teilweisehomosexuelles/homoerotisches Verhalteninstitutionalisiert. Die moderne indonesischeGesellschaft kennt nicht nurmännlich und weiblich sondern auch band(fwariaj. Damit wird das Verhalten vonTransvestitismus, verbunden mit demWunsch nach der Zugehörigkeit zum anderenGeschlecht bezeichnet. Doch nicht allewaria Männer wünschen sich. Frauen zuwerden. Transvestitismus gibt selbst eineArt sexueller Zufriedenheit durch das Tragender Kleidung des anderen Geschlechts.Den meisten Indonesiern ist das Konzept -Schwulsein" fremd. Selten wird zwischenHomosexuellen und war`a unterschieden;ebenso selten wird die Existenz von nichttuntenhaftenHomosexuellen erkannt.Nusantara-Gesell scha ff enIn der traditionellen Minanglcabau Gesellschaft(Westsumatra — eine Gegend,die auch für ihr matrilineares Erhschaftssystembekannt ist) Ist das Verhältniszwischen einem erw ichsenen Minn (indukjawi/Mutter Kuh) und einem männlichenHeranwachsenden anerkannt. HomosexuelleVerhältnisse werden auch in derMadurese Gesellschaft voll anerkannt.Zwei Jungs, die die besten Freunde sind,werden als dalag bezeichnet — abgeleitetvon einem Begriff für Analverkehr.Einen anderen Hinweis auf homosexuellesVerhalten bieten die Berichtezeitgenössischer, westlicher/europäischerSozialwissenschaftler. Ein Holländerberichtete am Anfang dieses Jahrhundertsüber homosexuelle Beziehungen zwischenden aristokratischen uléébalanq und ihrenjugendlichen Dienern auf einer Insel (Nias)in der Nähe der Küste Nordsumatras,unter den Aceheneser Kaufleuten derOstküste, in Zentral-Java und inMinangkabau in Westsurnatra.Homosexualität und MagieTypisch für diese Form ist die Institutionalisierungdes Verhältnisses zwischen einemwarok, der magische Kräfte besitzt, undseinem gleichgeschlechtlichenjugendlichen Partner (Gemblak oderGemblakan) im Ponorogo-Gebiet, einerProvinz in Java. Da das Wort Gemblakauch in Ost-Java bekannt ist, wird angenommen,daß dieses Verhaltensmusterdort auch außerhalb seinesmagischen Umfelds existiert.2 1 6


Homosexuelle als Vorstehervon Heiligen Funktionen,Nach diesem Rollenmuster überträgtdie Gesellschaft die Funktion einesVorstehers bel heiligen Aktivitäten (odereines Mediums, das mit der GeisterweltKontakt aufnehmen kann) an Homosexuelle.Viele Beispiele dafür gibt es beiden Nusantara Stämmen, wie etwa derbasir des Ngaju Dajak Stammes vonZentral-Kalimantan (Borneo), oder dieLeibwache der Thronfolger in verschiedenen Königspalästen, wie die bissu derMakassar in Süd-Sulawesi. DieInstitutionalisierung dieses Rollenmustersschließt normalerweise Transvestitismusmit ein. In ihrer Funktionals Medium und Scharnane werden Homosexuelleals eine Vereinigung zwischenden männlichen und weiblichenElementen betrachtet, als ein harmonischerZustand der spirituellem Welt.Homosexualität in Initiations-RitualenDieses beinhaltet oralen oder analen Verkehrzwischen jungen Männern und reifen,erwachsenen Männern in Irian Jaja, Indonesien,und im naheliegenden Papua Neuguineà.Die Eingeborenen glauben. daß durchdieses Ritual die Gegensätze männlichweiblich,ost-west, Tag-Nacht in den Körpernder jungen Männer zusammenwachsen. Beieinigen Stämmen erreichen die jungen Mannererst durch den homosexuellen Verkehr miteinem älteren Mann. dessen Sperma in denKörper des jüngeren eindringt, ihre volleMännlichkeit. Ähnliche Phänomene bei Frauensind nicht bekannt.Homosexualität im traditionellenTanz und TheaterTänzer und Schauspieler, häufig Transvestiten,sind nach diesem Verhaltensmusterim traditionellen Tanz und Theatertätig. Es gibt mehrere Beispiele inNusantara Gesellschaften, einschließlichdes sadati Tanzes aus Nord-Sumatra(Aceh), einer Gegend, welche für den offenhomoerotischen Inhalt ihrer religiösen Lyrikbemerkenswert erscheint. Weitere Beispielesind das lenonq Theater von Betawi(Jakarta). der aandrunq Tanz inBanyuwangi (Ost-Java und West-Bali), dassandhurTheater von Madura und der masriTanz aus Makassar, Süd Sulawesi. EinBeispiel für königlichen Transvestitismus istin einem epischen Gedicht aus der Zeit desKaiserreiches von Majapahit (1293-1478) zufinden. König Hayam Wuruk(Regierungszeit 1350-1389) genoßdasTragen von Frauenkleidern, während ervor seinen Ministern tanzte; er hatte aucheinen weiblichen Tänzernamen. Diese undandere Beispiele von,.cross-dressing"(Transvestitismus) lassen darauf schließen,daß Homosexualität als Teil desTheaterlebens und möglicherweise auch alsallgemeine Lebensform akzeptiert wurde.Wir können mit Sicherheit dieSchlußfolgerung ziehen, daß Homosexualitätin den traditionellen Nusantara Gesellschaften4nerkannt und institutionalisiertist.Moderne indonesischeGesellschaftDie moderne indonesische Gesellschaft iststark beeinflußt durch die homophobenElemente der westlichen und islamischenKulturen. Datier verbietet und unterdrücktein Teil der modernen indonesischen CesellschallI lomosexualität. Sie leugnet sogar ihr weiteres Bestehen oder ihre Existenzüberhaupt. In einem solchen homophobenKlima geben Angehörige von2 1 7


Nusantara Gesellschaften, welche immer ;noch institutionalisiertes homosexuellesVerhalten ausüben, das Vorhandensein vonHomosexualität natürlich nur ungern zu.Die ursprüngliche Akzeptanz wurde durchAblehnung und Ekel ersetzt. Es istnotwendig daran zu erinnern, daß diewestliche Denkweise und die westlichenInstitutionen während des ViktorianischenZeitalters angenommen worden waren,welches für die strikte Einhaltung seinerextremen Anstandsformen bekannt ist.Sozialwissenschaftler, die über Homosexualitätforschen wollen, sind daher mitSchwierigkeiten konfrontiert. Ihre VersucheDaten und Informationen zusammenzutragenscheitern oft daran, daß sich dieInformanten weigern, offen über das Themazu reden. Beobachtungen bestätigenaber homosexuelles Verhalten innerhalbder Nusantara Gesellschaften.Aus unseren Forschungen ziehen wir dieSchlußfolgerung. daß Homosexualität vonder Mehrheit der modernen indonesischenBevölkerung als Tatsache hingenommenwird; daher werden Homosexuelle in Ruhegelassen, solange sie sich diskret verhalten.Selbst einige Beispiele offener Homosexualitätaus dem tradionellen Theater undTanz werden anerkannt. Ein hervorragendesBeispiel dafür sind die häufigen Sendungendes staatlichen Fernsehens über das lenongund- das ludruk Theater, das vonhomosexuellen: Transvestiten aufgeführtwird; oder das Sponsoring vonSchönheitswettbewerben für waria durchJugendorganisationen und örtliche Behörden.Insbesondere die unteren Schichten —wahrscheinlich aui Grund ihrer wenigerwestlichen Denkweise und ihrer geringerenHomophobie —zeigen Toleranz gegenübernicht-genital homosexuellem Benehmen..Offene Homosexuelle.-werden im - allgemei-'nen von den unteren Schichten mit, Respektbehandelt. Ein Stigma Homosexuell--len gegenüber besteht innerhalb derMittelschicht, unterstützt durch die traditionelleVerdammung von Homosexualität imChristentum und Im Islam.Wie im Westen ist offen homosexuellesVerhalten primär ein städtisches Phänomen.Die meisten indonesischen Homosexuellenziehen in eine Großstadt, um nicht Schandeüber ihre Familie zu bringen.Warias und GaysEs scheint, daß die meisten Indonesier,die sich als gays identifizieren, den oberenund mittleren Schichten angehören (lauteiner Umfrage über 92 Prozent). Andererseitskommen 97 Prozent der waria aus denunteren Schichten. Interessant scheint auchdie Tatsache, daß die schwule Szene vonIndonesier chinesischer Abstammungdominiert wird. Das kann daran liegen, daßdie Chinesen in der indonesischen Mittelschichtdominant sind. Als Randgruppe sind ihremoralischen Nonnen und Verhaltensweisenaußerdem nicht so starr wie die dereingeborenen Bevölkerung.In Indonesien besteht das hartnäckige Vorurteil,daß Schwule in .,schillernden" Berufen wieModedesign, Kunst und Unterhaltungbeschäftigt sind. Es ist Jedoch wahrscheinlich,daß die Mehrheit der indonesischenHomosexuellen ein wenig „schillerndes"Leben führt, in gewöhnlichen Berufenarbeitet, und nicht „out" ist.Die Unterschiede zwischen Schwulen und,waria sind zwar streng definiert, doch esgibt Variationen und Abweichungen.Schwule aus den unteren Schichten verkleidensich über längere Zeiträume als waria,wenn sie nicht in ihrer Heimatstadt sind.Transvestitismus hat durch westlichenEinfluß seinen Status inerhalb derNusantara Gesellschaften verloren. Vielleichtist dadurch die neue soziale Kategorieder waria enstanden. Ende der 60er Jahrefingen waria an Emanzipationsbewe-2 1 8


gungen zu gründen. Wie bei den neuen sozialeKategorien „Gays" und .Lesben" gibt es aucheine sexuelle Komponente in ihremIdentiiizierungsmodell. Die Öffentlichkeitkennrt waria eher als gay.Beiln einzelnen Homosexuellen in seinemVerriältnis zur Gesellschaft gibt es unzähligeVertrauensmuster. Bis 30 haben vieleden Kampf aufgegeben und unter demDruck vier Familie geheiratet. Unserer Erfahrungnach ist dieser Druck - neben derAngst. entdeckt zu werden - am schwerstenzu ertragen. Sehr wenige gays sindin allen Lebensbereichen .,offen" undNachforschungen in Surabaya haben gezeigt,daß 30 Prozent eine monogame Beziehunganstreben, 70 Prozent haben aberkeinen ständigen Partner.Die Akzeptanz der Homosexualität durchviele westliche Intellektuelle und die Betrachtungvon Homosexuellen als eine gültigeMinderheit hat viele gebildete Indonesierbeeinflußt.Am 1. März 1982 wurde Lambda Indonesienals möglicherweise erste homosexuelleBefreiungsorganisation Asiens gegründet.Bis 1985 gab es eine Zeitschrift, bis 1987weitere Ortsgruppen in einigen indonesischenStädten. Im Novenber 1987 wurde inPasuruan (Java) Kelompok Kerja Lesbian andGay Nusantara (KKLGN, Arbeitsgruppefür indonesische Lesben und Schwule) insLeben gerufen. Die Gruppe veröffentlicht einJournal (Gaya Nusantara), das alle zweiMonate erscheint.xuellem Verhalten innerhalb der indonesischenGesellschaft ist noch begrenzt, undviel Forschung ist dringend notwendig.Autoren: Dédé Oetomo und Bruce EdmondDédé Oetomo ist Assistenzprofessor fiirAnthropologie und Linguistik an der Universitätvon Airlangga, Surabaya, Indonesien,Gay Aktivist in KKLGN und vorher -beiLambda Indonesien.Bruce Edmond ist Student am Gr iJëUCollege und machte .1990 ein Praktikum beiKKLGN.PS: Während in modernen Gesellschaftendas Etikett ,.homosexuell" dazu benutztwird, eine ganze Persönlichkeit näher zubestimmen, definiert in vielen NusantaraGesellschaften der Begriff "homosexuell“nur ein abgegrenztes Handlungsfeld, andem die/der einzelne teilhat.Der steigende westliche und islamischeEinfluß am Anfang des Jahrhunderts• ändertedie traditionelle Akzeptanz vonHomosexualität. Ein wenig von dieser ursprünglichenHaltung findet sich noch in denunteren Schichten und in den kleinen Dörfernmit traditionellen Gesellschaftsstrukturen.Unsere Kenntnis von homose219


Wir haben diesen Artikel deshalb auch in volle Länge übernommen, weil daringanz deutlich die Wechselwirkungen zwischen dem traditionellen Toleranzverhaltenvieler (asiatischer) Naturvölker und dem neuzeitlichen Intoleranzverhaltenwestlicher (christlicher) Kulturen zur Homosexualität bzw. Transsexualitätsichtbar werden. In der häufig auch hier im europäischen Fernsehen gezeigteDokumentation „Ladyboys" (1992) vom englischen Regisseur Jeremy Marre wirddieser Sachverhalt beispielsweise für Thailand geschildert. Der störende,grundsätzliche Irrtum des Regisseurs besteht dabei vor allem in der Titulierungder darin vorkommenden transsexuellen Personen (sogar auch wenn diesegeschlechtsgewandelt sind) als Transvestiten bzw. mit männlichen Bezeichnungen.In einer 3 sat-Film-Diskussionsrunde am 7.3.94 wurde dagegen die ausBerlin stammende (sehr überzeugende) geschlechtsgewandelte Ines immer voll alsFrau (oder als „ehemalige Transsexuelle") bezeichnet. Der exklusive europäischeTranssexualismus muß und soll offensichtlich mit aller Gewalt als ein eigenständiges,stringent autonomes Phänomen anzusehen sein und absolut keinerleiAffinität zur Homosexualität aufweisen — es ist dies besonders in Talkshowsschon bald als Manie vieler Gesprächsteilnehmer zu erkennen. Noch direkterzeigt sich dieser unbedingte (westliche) Unterscheidungszwang, wenn beispielsweiseüber die riesigen Kasten der indischen Hrinjas berichtet wird (manspricht von mehreren hunderttausend Mitgliedern). In einer Filmreportage überBombay, wo mehr als 3000 Hrinjas als Frauen leben und der Prostitutionnachgehen (weil sie ja [über-]leben müssen), heißt es dann aus den Patriarchenhochburgen(u. a. Stern-TV): „Eunuchen — die kastrierten Männer". Und wenndann noch die Prostitution dazukommt, ist das Maß voll — unterste Stufe, auchin der Berichterstattung! Genauso wird übrigens auch aus anderen Ländern(Brasilien) diesbezüglich berichtet. Siehe hierzu gleichfalls <strong>Kamermans</strong>, J.:„Mythos Geschlechtswandel", siebtes Kapitel, Abschnitt 15, S. 349 - 360.Homophobie in DeutschlandWir haben in den vorigen Kapiteln bereits mehrmals darauf hingewiesen, daßbesonders in Deutschland viele männlich-patriarchalische Leitfiguren inWissenschaft, Medizin, Therapie und Recht, die sich mit dem PhänomenTranssexualität befassen, sehr oft homosexuell veranlagt sind. Einerseits bekennensich einige von ihnen auch immer mehr dazu, andererseits entfalten einige ofteine wahre Homophobie, wenn es um die (künstliche) Abgrenzung der Transsexualitätvon der Homosexualität geht: Sie sind überaus fanatische Multiplikatoren,die sich kaum zu erkennen geben, aber ihre extrem abgehobenen Wahnvorstellungenmit aller Macht durchzusetzen verstehen. Nicht zuletzt auch, wie wirgesehen haben, weil handfeste finanzielle Interessen im Spiel sind, von den entsprechendengagierten transsexuell Betroffenen in den vielen Selbsthilfegruppen,aber auch hinter den (juristischen) Kulissen (Augstein) ganz zu schweigen (Profibzw.Profit-Transsexualismus). So hat sich ein überaus flächendeckendes220


Konglomerat von (vorgefaßten) Meinungen und Sichtweisen gebildet, in denenein jeder versucht, seine Interessen, seine Autorität und sein Image zu retten —und am Ende sich doch alle gemeinsam im (künstlichen) Tollhaus wiederlinden...Hierbei ist dann nicht mehr die Menschenwürde (wie Artikel 1 Grundgesetz vor..gibt) höchstes Verfassungsprinzip, sondern offensichtlich allein der Besitzstand— so als gäbe es einen Verfassungsartikel mit dem Wortlaut: „Der wohlerworbenetranssexuelle Besitzstand eines jeden ist unantastbar." Die totale Ego-Gesellschaftmacht in der Folge auch hinsichtlich der Pfründe, die das PhänomenTranssexualismus verspricht, nicht halt und bekämpft einen jeden, der die absoluteKünstlichkeit des Transsexualitäts-Syndroms anprangert. „Anomie", alsSynomym für den Zusammenbruch der das soziale Verhalten regelnden Normen,nennen der französische Soziologe Emile Durkheim und seine Denkschule ein solchesStadium, das die Bundesrepublik Deutschland speziell im VerhältnisHomosexualität — Transsexualität inzwischen erreicht zu haben scheint. Wenn»die Systemvermittlung ... so viele Glieder durchläuft, daß Absender undEmpfänger einander weitgehend fremd" geworden sind, dann droht laut Durkheimder anomische Zustand: eine Norm- und Richtungslosigkeit — gültige, sozialeVerhaltensregeln werden nicht mehr befolgt. Der einzelne, ob nun Beteiligter oderBetroffener, versucht sich dabei gerade durch Abweichung von der Norm zuschützen. Normabweichung wird zur Normalität und Normen nicht mehr (wiebisher) auf Sexualität, sondern (Trans-)Sexualität nahtlos auf Normen aufgebaut.Getreu dem Motto „was nicht sein darf, kann nicht sein" wird das transsexuelleErleben völlig von der realen Wirklichkeit abgekoppelt. Hierbei wird auch dersogenannte „Instant-Effekt" beim Phänomen der Transsexualität immer offentsichtlicher:Zeit steht für Sinn, und Zeitersparnis wird zur Chiffre für kurzfristigeSinnerfahrung — „time is money". Geschwindigkeit als Ziel, weil wir vielleichtkeine anderen Bezugspunkte mehr haben? „Ich weiß nicht, wohin, aber ich binschneller dort." Dieses Graffito als durchaus charakterisierend für den neuenTranssexualitätsrausch, der alle mitreißt (im phonetischen Sinne kann „Trans"auch mit „Trance" umschrieben werden...)? Man möchte es bald meinen, besonderswenn das „Glückliche-Kühe"-Syndrom dem Ganzen noch zusätzlich die(gewollte) Eigendynamik verleiht und eigenes, kritisches Denken nicht mehrgefragt ist.Hinter einer solchen Gleichsetzung von Weg und Ziel steht die Dynamik desheutigen Zeitalters, in der alles der Beschleunigung und der Verknappung unterliegt:Der moderne Mensch bekommt (bzw. will) alles sofort und hat am Endetrotzdem nichts. Leasing statt Leben — es werden in diesem Denken nur noch solche„Dinge" (der Körper!) verbraucht, die man nie als Eigentum zu besitzen versuchthat. Zudem wird auch wohl wissentlich unterschlagen, daß niemals die ganzeRealität abgebildet wird, sondern immer nur Ausschnitte („JederNachrichtensendung ist ein verzerrter Ausschnitt aus der Wirklichkeit — nicht dieWirklichkeit selbst” [Vox-Fernseh-Kommentar]). Immer mehr Nachrichten —immer weniger Information. So will es der Zeitgeist, und der Mensch fällt daraufrein: Er kommt gar nicht mehr dazu, in sich selbst zu gehen und erst mal alles zuverarbeiten bzw. an sich selber zu arbeiten. Denn Tempo ist angesagt, körperlicheund psychische Erfahrungen müssen im Schnellverfahren vermittelt werden,Instant-Sexualität („es ist alles wie vorher, noch besser ...) und Sofort-Service sei-2 2 1


tens der Gesellschaft selbstverständlich sein („ansonsten klage man"). Die Fluchtin die Transsexualität beispielsweise ersetzt die individuelle Auseinandersetzungmit der eigenen spezifischen Homosexualität: Man will es nicht wissen, verschließtdie Augen vor der Realität, läßt die Suggestion der inzwischen mannigfaltigenÜberzeugungsmechanismen seitens Kultur und Gesellschaft auf sich einwirken undbeschließt — manchmal von heute auf morgen —, » ich bin nicht homosexuell,sondern ich bin transsexuell." Mit dem Transsexuellengesetz (TSG) im Rücken istes dann ein leichtes, seinen Forderungskatalog aufzustellen und sich nicht mehr insich selbst zu vertiefen (bzw. sein Wissen um das Phänomen Homosexualität zuerweitern), sondern sich nur noch auf » andere” zu verlassen. Nicht mehr dereigenen Intuition zu vertrauen, sondern das eigene, homosexuelle (wahre) Ichabzulehnen, zu verdrängen und (möglichst bald) geschlechtswandlerisch zueliminieren. Die Angst vor der Angst (homosexuell zu sein) steht im Vordergrund,und wenn sogar die direkte Umgebung eines homosexuell veranlagten Kindes voneiner solchen Homophobie befallen ist, kommen später viele der Gutachter„automatisch" zur Diagnose einer sogenannten » primären Transsexualität". Wobeivergessen wird, wie diese Angst vor der Angst vor allem seitens der Umwelt eineprägende Wechselwirkung auf die Selbsteinschätzung des betroffenen Kindesausübt. Eine mögliche homosexuelle Entwicklung des Kindes wird dann gar nichtmehr einkalkuliert: Das Kind wird als transsexuell erklärt, und, wie wir gesehenhaben, schreckt der holländische Transsexer Louis Gooren auch in ganz jungenJahren (mit 7) nicht vor geschlechtswandelnden Operationen zurück. Das Es-istanders-ach-so-anders-Geseirewird dabei zur pseudowissenschaftlichenLegitimation für Brandstiftung jeglicher Art, und als Folge davon werdenschließlich die Koordinaten von irgendwelchen psychologischen „Ratgebern"abgesteckt bzw. der Erfahrungs- und Empfindungsweg der (jugendlichen)Betroffenen entsprechend vorkanalisiert: „Wenn man als Mann irgendwann spürt,daß man eher wie eine Frau fühlt, bricht das Weltbild zusammen. Nach außen hinmag man sich nicht offenbaren, denn dafür herrschen in der Gesellschaft nochallzuviele Vorurteile gegenüber speziell männlichen Transsexuellen. Innerlich aberwill man seinem Drang nachgeben. Also leben die meisten ,Transis` einDoppelleben, von dem kaum ein Außenstehender etwas merkt. Die Folgen solcherUnehrlichkeiten können sich psychisch wie physisch bemerkbar machen: Wenn dieAngst, von Bekannten, Freunden und Verwandten erkannt zu werden, immer größerwird. Wenn man sich verliebt und den Geliebten nicht verlieren will (!). Wenn derWunsch nach einer Partnerschaft ohne Heimlichkeiten wächst. Dann hilft meist nurnoch eins: Sich selbst und der Umwelt gegenüber sein wahres ,Ich` zu offenbaren,um doch noch glücklich zu werden — so wie jeder andere Mensch auch."(Boulevard-Zeitungs-Ratgeber 1992) Aus diesen klischeeartigen Ausführungeneines (anonymen) „Ratgebers" zeigen sich die Voraussetzungen, unter denenbesonders bei jüngeren Menschen das transsexuelle Verhalten die Oberhandgewinnt gegenüber dem homosexuellen Erleben. Und es wird auch klar, daß dieTranssexualität in erster Linie eine Angelegenheit der Jugend ist und im Grundeauch deshalb bereits die Anlage eines Generationenkonflikts in sich trägt: DasErkennen der (homosexuellen) Zusammenhänge ist für einen jungen Menschen,dem fortwährend die transsexuellen Vermeidungstechniken angeboten werden,äußerst schwer: Das Patriarchat hat auch diesbezüglich leichtes Spiel. Dieses istauf Autorität aufge-2 2 2


aut, und Kenntnisse, die diesem System gefährlich werden bzw. dieIndoktrination vor allem junger Transsexueller stören könnten, werden gnadenlosbekämpft bzw. vom hohen Roß des Arzt-Patient-Verhältnisses bewertet. Hierzusind die nachfolgenden, überaus bezeichnenden Schreiben an die Autorin seitensder Transsexualitäts-Koryphäen Wolf Eicher und Volkmar Siguschaufschlußreich auf die Nachfrage bezüglich des Erfahrungsspektrums nach demInkrafttreten des TSG per 1.1.1981: (Siehe hierzu S. 224 und 225)Wie dominierend die Ablehnung der Homosexualität innerhalb der vomPatriarchat geschaffenen wissenschaftlichen, medizinischen und therapeutischenDomänen bzw. die Ächtung homosexueller Personen immer noch ist, zeigt dieTatsache, daß fast alle psychoanalytischen Ausbildungsinstitute in Deutschland(mit vereinzelten Ausnahmen) homosexuelle Kandidaten ablehnen. Wie derMünchner homosexuell-bekennende Psychoanalytiker Erhard Künzler betont,zähle mit einer solchen Diskriminierung die „Deutsche PsychoanalytischeVereinigung" zu den konservativsten Institutionen in Deutschland. Künzler war1993 zur Lindauer Psychotherapiewoche, der größten deutschen Psychotherapeutentagung,als erster Analytiker, der sich offen zu seiner Homosexualitätbekennt, eingeladen worden. Zuletzt war in der InternationalenPsychoanalytischen Vereinigung in 1921 (!) einem bekennenden homosexuellenArzt aus Gründen der Imagepflege die Aufnahme verweigert worden (Freudwandte sich zu jener Zeit öffentlich gegen diese Entscheidung). Seit damals wirdHomosexualität in der Psychoanalyse üblicherweise als kulturelle Fehlentwicklungangesehen, und oft wird beispielsweise für ihre Entstehung dieVerbindung einer dominanten Mutter mit einem abwesenden oder schwachenVater (Stollers Transsexualitäts-Vermutung!) veranwortlich gemacht. EineIdeologie, die den Homosexuellen zum Neurotiker erklärt, obwohl inzwischenauch einige zeitgenössische Psychoanalytiker davon sprechen, daß es auch einegesunde, nicht neurotische Homosexualität gebe. Biologische Komponenten werdenjedoch meistens immer noch mehrheitlich verneint, und es ist deshalb — ausder Sicht der Psychoanalyse — umso verständlicher, daß eine solche Auffassungauch für das Phänomen der männlichen Transsexualität zu gelten hätte — dieüberaus einleuchtende Erklärung, die Ursache für ein transsexuelles Erleben aufdie Verdrängung der angeborenen Homosexualität zurückzuführen, scheint fürviele Therapeuten jedenfalls immer noch ein (überaus lukratives?) Hindernis zusein.Allerdings wird von der Berliner Soziologin Gesa Lindemann in ihrem Buch„Das Paradoxe Geschlecht — Transsexualität im Spannungsfeld von Körper,Leib und Gefühl" (1993, S. 218 - 219) wiederum vermerkt: „Alle Gutachtendenhalten es zwar für möglich, daß transsexuelle Männer (Frau-zu-Mann-TS!) voreinem operativen Eingriff heterosexuelle Beziehungen zu Frauen haben können(?), schätzen aber die sexuellen Beziehungen transsexueller Frauen (Mann-zu-Frau-TS!) zu Männern vor der Operation grundsätzlich als homosexuell ein."Weiter zitieren wir (interviewmäßig aufgearbeitet):GL: » Die hatten auch ne Liebesbeziehung?"Gutachterin: „Ja. Mit festen Regeln, was sein darf und was nicht sein darf, also erhatte so ganz klare Regeln, er darf die Freundin überall anfassen. Und die Freundindarf ihn nur da anfassen, wo es nicht spezifisch weibliche Körperteile sind."2 2 3


KLINIKUM DER JOHANN WOLFGANG GOETHE-UNIVERSITÄTZentrum der PsychosozialenGrundlagen der MedizinDer Geschäftsführende DirektorFrau<strong>Johanna</strong> <strong>Kamermans</strong>Große B e r g s t r. 16oAbteilung für Medizinische PsychologieAbteilung für Medizinische SoziologieAbteilung für Psychosoziale ArbeitsmedizinAbteilung für SexualwissenschaftPoliklinik: Psychosoziale AmbulanzPoliklinik: Sexualmedizinische Ambulanz2000 Hamburg 5o SEXU"LMrPI r.P i3!Anmeldung Mo , itay 10.V0bis 12.00 Uhrï olafon: 059 / 6301 - 14 De z . 19896000 FraFrankfunkfurtam Main 70, denTheodor-Stern-Kai 7 • Telefon (069) 63011Ihre Zeichen: Ihre Nachricht' Meine Zeichen: Telefon bei Durchwahl (069) 163 01- 7 613R F / s c h wBetr.:Sehr geehrte Frau <strong>Kamermans</strong>,stellvertretend für Herrn Professor Sigusch möchte ichIhren Brief kurz beantworten. Ich bedaure, daß ich diesaus zeitlichen Gründen erst so spät tun kann und letzteresspricht leider auch dagegen, daß wir Ihnen derzeit fürInterviews zur Verfügung stehen könnten.Ich hoffe, Sie haben hierfür Verständnis und kann Sie auchin dem Punkt beruhigen, daß alle wichtigen Erkenntnisse zudiesem Thema entweder veröffentlicht sind oder werden.Mit freundlichen GrüßenRenate FrankeDipl. Psych.224


FrauenklinikChefarzt: Prof. Dr. med. Wolf EicherDiakonissenkrankenhaus MannheimDiakonissenkrankenhaus Mannheim • Postfach 100861 6800 Mannheim 1Frau<strong>Johanna</strong> <strong>Kamermans</strong>Große Bergstr. 1602000 Hamburg 50AkàdemischesLehrkrankenhausder Universität Heidelbergin der Trägerschaft desDiakonissenmutterhausesMannheimIhre Zeichen Ihre Nachricht vom Unsere Zeichen TeL Durchwahl DatumSehr geehrte Frau <strong>Kamermans</strong>,15.11.89meine Studien, die ich 1984 in einer Monographie publiziert habe unddie meine damals über zehnjährigen Erfahrungen zum Ausdruck bringen,sind auch heute noch gültig. Es gibt weder auf therapeutischem nochdiagnostischem Gebiet wesentliche Fortschritte. Ich glaube sehr kritischberichtet zu haben, auch über soziale Probleme, die auch nach der Operationbestehen können. Es gilt weiterhin, daß bei echter Transsexualitätdurch die hormonelle und chirurgische Angleichung eine deutliche Stabilisierungerreicht wird und daß die richtig ausgewählten Fälle nach dem Eingriffglücklicher sind als vorher, auch nach 20 Jahren. Die im Kapitel Sexualverhalten,Ehe und Partnerschaft geschilderten Verhältnisse sind auch heute nochgültig. Wenn Sie der Ansicht sind, daß "z. Z. medizinischerseits einemerkbare Ernüchterung eingetreten ist", so gehen Sie davon aus, daßvorher eine bestimmte Euphorie bestanden hat. Ich kann so etwas nichtfeststellen, da ich die Möglichkeiten und Grenzen der sogenannten Geschlechtsumwandlungimmer nüchtern gesehen habe und diese in meinem Buch undim speziellen gegenüber dem Patienten immer sehr nüchtern vertretenhabe. Wenn man die Erwartungen entsprechend niedrig ansetzt, kann esauch nicht zur Ernüchterung kommen, Wie dies in Ihrem speziellen Falleist kann ich nicht beurteilen.Mit freundlichen GrüßenProf. Dr. Eicher225


Zwischentext Gesa Lindemann:„Während transsexuellen Männern, deren Körper nicht operativ verändert sind,sexuelle Beziehungen möglich sind, ohne daß dadurch ihr Mannsein in Fragegestellt wird, verlieren transsexuelle Frauen ihr Frausein durch eine sexuelleErfahrung mit einem Mann endgültig. Vor der Operation können sie in den Augender Gutachterinnen zu Männern fast nur homosexuelle Beziehungen haben."Gutachterin: „Oder halt auch die große Angst vor der Homosexualität, was ja beivielen nach meiner Erfahrung, Mann-zu-Frau-Transsexuellen, wenn sie wasgegenüber einem Mann empfinden oder sich drauf einlassen, dann könnten sie jahomosexuell sein. (!) Erst recht wenn der Partner homosexuell ist, was ja dannnicht selten der Fall ist, weil soviel Heterosexuelle werden die nicht finden, diedann dazu bereit sind. Und das ist ja ne — da muß man ja auch sehr differenzieren,auch bei sich selber, ob man dann plötzlich meint, ja vielleicht is ers wirklich,sollte besser ein glücklicher Homosexueller werden, oder ist das eine wichtigeDurchgangsphase zum Experimentieren."Zwischentext Gesa Lindemann:„Der Verweis auf die wenigen Heterosexuellen, die zu einer sexuellenBeziehung mit einer transsexuellen Frau bereit sind, scheint mir eher einehypothetische Annahme zu sein, im Mittelpunkt steht auf jeden Fall derhomosexuelle Charakter einer solchen Beziehung."Soweit diese Ausführungen Gesa Lindemanns, die in wenigen Worten dieQuintessenz des transsexuellen Empfindens zum Ausdruck bringen: Die Angst vorder Angst, homosexuell zu sein, veranlaßt die (uneinsichtigen) Mann-zu-Frau-Transsexuellen ihr originäres Fühlen in die exklusive Empfindung des „Frau-Seins"umzuarbeiten. Weg vom eigenen belastenden, homosexuellen „Ich" im „richtigenKörper" zum (angeblich) befreienden, transsexuellen „Als-ob-Ich" im „falschenKörper" — die Kette der nahtlosen, unentwegten Selbsttäuschungen und Illusionenist in Gang gesetzt worden. Jegliche Möglichkeit die „Angst vor der Angst"endgültig abzuschütteln, wird unentwegt wahrgenommen: Die chirurgischeGeschlechtsumwandlung wird dabei zum absoluten Dogma. Solche Verdrängungender realen, homosexuellen Wirklichkeit können dabei so weit gehen, daß derAnalverkehr („machen ja auch echte Frauen") nahtlos als (normal) „heterosexuell"eingestuft wird, die Berührung der Genitalien durch den Partner dagegen alshomosexuelles Interesse („Schwule haben bei mir keine Chance") ablehnendinterpretiert wird bzw. die Verbindung augenblicklich abgebrochen wird. Eine solcherigorose, absolute Homosexualitäts-Vermeidungsstrategie ist selbstverständlichnur unter Verleugnung der elementarsten (psychosexuellen) Bedürfnisse zuerreichen und kann selbstverständlich bei labilen Personen durchaus zu einerernsten Suizidgefährdung führen. Aus einer solchen, selbst inszenierten„Zwangssituation" wieder herauszukommen, ist natürlich — besonders wenn nochdie direkte Umwelt (Familie, Schule, Beruf usw.) entsprechend verstärkend wirkt— eine immense psychologische Anstrengung, die meistens nicht ohne fremdeHilfe zu bewerkstelligen ist. Die klassische Aufarbeitungs-Psychoanalyse kann,falls freiwillig mitgearbeitet wird, durchaus gute Resultate bringen, doch häufigsind es nicht zuletzt die heutigen Transsexuellen-Selbsthilfegruppen, die mit ihrerneugeschaffenen Ghetto-Mentalität die psychoanalytischen Bemühungenuntergraben - der Weg zurück ins „Reservat" wird eine willkommene „Flucht"-2 2 6 Möglichkeit


...Als reelle Alternative bietet sich dann die Anwendung der therapeutischen Parspro-toto-Methode(nach dem amerikanischen Psychotherapeuten Paul Watzlawick)an, wobei durch kleine Verschiebungen der „Jetzt-und-hier"-Realität eineallmähliche Lockerung des festgefahrenen Weltbildes erfolgen kann: Sehr vieleTranssexuelle leben in wahren „Illusions-Situationen", und dies obwohl dieZeitgeist-Utopie der letzten Jahrzehnte von einem besseren Menschen, einer besserenWelt und einer absoluten Aufklärungs- und Fortschrittsgläubigkeit inzwischenstark am Zerbröckeln ist — der Motor dieses idealistischen Wunschdenkenshat sich lahmgelaufen, und die kollektive Begeisterung für „Träume" hat spürbarnachgelassen. Umso mehr sind individuelle Katastrophen (mangels irgendwelcherfester, natürlicher Koordinaten) in der Folge manchmal geradezu vorprogrammiert.Denn wie wir wissen, ist bei transsexuell empfindenden Männern die Ausarbeitungder zentralnervösen Organisation — gleichfalls wie bei homosexuellen Männern —in die (weibliche) Denkrichtung erfolgt, so daß im späteren Leben, wenn dieMilieueinflüsse sich aktualisieren, sich auch eine höhere (emotionale) Bereitschaftzur Reaktion auf die entsprechenden femininen Einwirkungen von außenfeststellen läßt — je passiver, je stärker, wie wir bezüglich der „Gehirntrainings"-Einflüsse bereits feststellen konnten. Das weibliche Reaktionsmuster wäre dann,wie gesagt, als künftig dominierend dabei anzusehen: Die Gleise werden befahren,und das betreffende Individuum ist in der Folge jeweils auf solche Reize undEinflüsse wesentlich stärker ansprechbar, welche diesem (entwickelten)Verarbeitungsmuster entgegenkommen bzw. entsprechen. Besonders diegefühlsmäßigen Komponenten kämen in der Folge wesentlich ausgeprägter zumTragen („himmelhochjauchzend, zu Tode betrübt") und würden dazu führen, daßgefühlsmäßige Belastungen bei Mann-zu-Frau-Transsexuellen — speziell imKonfliktfalle — zu wesentlich intensiveren, emotionalen Reaktionsmustern alsüblich führen. Dies geschieht nicht zuletzt, da die dabei im Laufe der Jahre nachSchwarzweißmuster unter den vielfältigen spezifischen Umwelteinwirkungenfestgelegte Pseudo-Weiblichkeit oft vielfach der letzte (manchmal „unumstößliche")Halt in der Komplexität des transsexuellen Erlebens darstellt bzw. noch irgendwieeine Orientierung ermöglicht. Die Auflockerung der dabei ausgearbeiteteneigenständigen, meistens selbstgesteuerten Transsexualitätsphilosophien (oft ohnejegliches „natürliches” Wissen oder auch nur auf Medien-KurzInfos aufgebaut),weg von der bereits in der frühen Kindheit eingeschliffenen Schwarzweiß-Fehlschaltungen (gut — schlecht, normal — abnormal, Mann — Frau,Männlichkeit — Weiblichkeit, aktiv — passiv usw.) muß dabei Vorrang haben.Selbst-(Er)Kenntnisse sind zu fördern: Auch der transsexuelle Jugendliche solllernen, nicht nur die medizinische bzw. sexuelle Seite seiner Problematik, sondern— neben den manchmal in bewundernswerter Weise gemeisterten sozialenAspekten seines Daseins — auch die biologischen, psychologischen, historischenund kulturellen Grundlagen seines „Andersseins" kennenzulernen. Er muß lernen,die individuell variable „Möglichkeit des Andersseins" in die für alle akzeptableRealität umzusetzen und nicht in einer Scheinwelt zu leben, die auf der Flucht vorder Verantwortlichkeit, nicht zuletzt auch sich selbst gegenüber, vor allem alsAbwehr aufgebaut ist. Können die dabei auftretenden Probleme in manchen227


Fällen aufgrund des in der Jugend (vielfach über Showbusiness oder Prostitution)leicht verdienten Geldes noch adäquat bewältigt werden, so wird dies beim Alterwerdendoch oft sehr problematisch. Das Wissen um sich und seinen Status in derWelt, ob nun körperlich angepaßt oder nicht, ist nun mal eminent wichtig für dasVerständnis von sich selbst sowohl in der Gesellschaft als auch durch diese. Dassich rechtzeitige Eingestehen der homosexuellen Verdrängungstendenzen imWeltbild und im realen Leben des Betreffenden sowie das Sich-Abfinden damit(indem die „Möglichkeit des Andersseins" zumindest erkannt wird und dadurchviele Komplikationen erspart werden) kann durchaus aus eigener Kraft erreichtwerden, man muß es nur wollen. Siehe hierzu auch <strong>Kamermans</strong>, J.: „MythosGeschlechtswandel", sechstes Kapitel, Abschnitt 5 „Die Möglichkeit desAndersseins", S. 200 - 219.Transsexuelles AnspruchsdenkenWie bereits mehrmals angedeutet, kann die transsexuelle Selbstfindung heutzutage immeröfter scheitern, wenn seitens der Transsexuellen-Selbsthilfegruppen die Informationen allzufocussiert und entsprechend indoktriniert verabreicht werden — oft werden dabei aus OpfernTäter, und der hilfesuchende Transsexuelle wird nur für gewisse (oft finanziell gelagerte)Zwecke ausgenützt: Der Beratungseffekt wird dabei geradezu zum Bumerang. Hierbei könnendann die von den Profi- bzw. Profit-Transsexuellen angelegten „Verhaltenskriterien" die genaugleichen negativ-kanalisierenden Wirkungen ausüben wie — in Deutschland jedenfalls — dieSigusch-Leitsymptome der siebziger Jahre („Stromlinien-Effekt"). Weiter darf diesbezüglichauch nicht unterschlagen werden, daß die neuzeitliche, „organisierte Transsexualität" nur denkleineren Teil des gesamten „transsexuellen Kuchens" bildet — die Mehrheit allerTranssexuellen geht ihren eigenen, individuellen Weg und ist an öffentlicher Zurschaustellungbzw. profilneurotischer Wichtigtuerei nicht interessiert: Sie orientiert sich anderweitig. Leidersprechen die Medien vorwiegend auf die Transsexualitäts-Klischees derSelbsthilfeorganisationen an, und deshalb kommt ein im Grunde völlig falschesTranssexualitätsbild in der Öffentlichkeit zustande.Eine interessante Publikation, die ganz besonders auf diese transsexuelle Problematik paßt,ist Charles Sykes' (38) Buch „Eine Nation von Opfern: Der Verfall des amerikanischenCharakters" (1994). Darin sieht Sykes einen dramatischen gesellschaftlichen Verfall, und ergeht davon aus, daß die Amerikaner mittlerweile glauben, daß sie ein Recht haben auf alleArten von Selbstverwirklichung, Gratifikationen und Erfüllung, ohne daß daran irgendwelcheAnstrengungen oder Verantwortung gebunden sind. „Jeder persönliche Fehler ist ein Fehler derGesellschaft und nicht mehr ein Resultat falscher Entscheidungen, die wir selbst getroffenhaben." (!) Die wahren Schuldigen sind immer die anderen — eine Ansicht, die sich inAmerika (und nicht nur dort) als kollektive Meinung durchzusetzen beginnt. Alle Bereiche deramerikanischen Gesellschaft seien betroffen,228


und im vergangenen Jahrzehnt (das Jahrzehnt der schrankenlosen Transsexualität!)hätten sich die amerikanische Kultur und das amerikanische Recht einem wahrenOpferkult hingegeben. Und was ist in Deutschland so vieles anders? Auch hier eintranssexuelles Anspruchsdenken ohnegleichen, nochmals erheblich verstärkt durchdie „Krankheitsfaktoren" (zwecks Kostenübernahme durch die Kassen), und exaktdiese Konstellation führt dazu, daß das Opfer-TäterPrinzip geradezuinstitutionalisiert wird: Die Transsexuellen nehmen das Heft in die eigenen Hände,und am liebsten möchte man auch noch selber medizinisch, therapeutisch undsozio-juristisch „tätig" werden. Eigene transsexuelle Erklärungsmuster (meistens injeder Selbsthilfegruppe wieder verschieden gestrickt, aber immer anti-homosexuell)werden als „die Wahrheit" verkündet und „die da oben" (Ärzte, Gutachter, Anwälteusw.) nach eigenem Gutdünken zurechtmodelliert. Dabei wird die Gruppenidentitätals existenzerhaltender Kitt für die auf der Suche nach dem Sinn des(transsexuellen) Lebens verzweifelnden „Opfer" immer wichtiger, und RobertLembkes „Was bin ich" wird allmählich mit „Was ich nicht bin" (homosexuell!)abgegolten: „Bin ich nicht wie die, bin ich." Transsexuelles Coming-Out wirdgepredigt, aber für viele Transsexuelle ersetzt das Leben in der Gruppe dann dochwieder das Leben „draußen". Eine erneute Scheinwelt wird über dieSelbsthilfeschiene institutionalisiert und das Gruppenimage zum oft einzigen Halt:Aus der Summe der Abgrenzungen gegenüber anderen entsteht eine pseudo-reale(Gruppen-)Identität, und die sinnstiftende Identitätszuweisung (die OP macht Dichendlich zur »Frau" bzw. zum „Mann") wird allesbeherrschend. MitUrsachenforschung wird sich nicht mehr aufgehalten, SymptombewältigungRichtung geschlechtskorrigierender Operation (wo, wieviel, wie tief, wie oft, wieorgasmusfähig, welche Technik, welche Gutachter, welche Terminierung, welcheKostenübernahme,welches Land usw.) wird zum täglichen Allerlei. Nur nochwenige setzen sich auch eingehend mit der eigenen oder der Angst des anderenauseinander, und was Selbsthilfegruppen an sich eigen ist (über sein eigenesEmpfinden und Erleben mit anderen zu sprechen, negatives Denken abzuschalten,sich nicht am Mißerfolg zu orientieren und seine Gefühle zu zeigen) geht imStatusdenken transsexueller Selbsthilfe sehr oft unter — da wird gnadenlos„zurechtgebogen": Koste es, was es wolle! So unterbleibt insbesondere auch dieAuseinandersetzung mit dem „Anders"-Sein über das originäre Faktum der biologisch-homosexuellenVeranlagung und das „Trans"-Sein als die andere Seite dergleichen Medaille: Mögliches „Schwul"-Sein ist einfach vom anderen Stern. ImGegenteil, es wird geradezu eine „transsexuelle Identität" herbeifabuliert. Hierbeiwird oft gar nicht verstanden, was „Geschlechtsidentität" überhaupt ist (siehehierzu auch in Kapitel 9 der Abdruck des Artikels „Psychotherapie fürTranssexuelle" in Sachen Vorwürfe Augsteins an die Therapeuten Meyenburg undIhlenfeld in Sexualmedizin 7/1983).Wenn in einem solchen Sinne Augstein sich dann darüber echauffiert, daß nichtüber transsexuelle Patienten, sondern über „Patienten mit einer originärenhomosexuellen Geschlechtsidentität" berichtet wird, so ist dies schlichtweg Nicht-Wissen. Denn auch eine „schwule Identität" gibt es diesbezüglich nicht bzw. wirdvon den meisten Schwulen als solche nicht akzeptiert. In einem Gay-Express-Interview (1992) sagt der Hamburger Psychologe Frieder Hentzelt hierzu u. a.:2 2 9


G. E.: Wie zeigen sich Abweichungen von der traditionellen Männerrolle?Hentzelt: Insgesamt findet eine starke Verunsicherung statt. Der Zugang zum eigenen Erlebenist durch Vorstellungen davon, wie man zu sein hat, blockiert. Das Gefühl, ich bin keinrichtiger Mann, entsteht auch dadurch, daß sich jemand nicht für bestimmte Themeninteressiert, die bei Jungen üblich sind.G. E.: Aber es gibt doch auch Untersuchungen, die belegen, daß die Unterschiede zwischenSchwulen und Heteros in Punkto Männlichkeit (!) verschwindend gering sind. (Die Autorin:eine für den Gay-Express und seinen „Männlichkeits-Kult" überaus typische Frage...)Hentzelt: Das ist für das eigene Empfinden gar nicht so entscheidend. Wichtiger ist dassubjektive Erleben. Es gibt genug Heteromänner, die dem männlichen Rollenbildgenausowenig genügen. Die legen aber auf diese Punkte kein besonderes Gewicht, weil ihrSelbstbild als Mann nicht infrage gestellt ist. Bei Schwulen ist aber typisch, daß sie aufscheinbare Defizite ganz großes Gewicht legen.G. E.: Wie verarbeiten Schwule diese Erleben ihrer „Unzulänglichkeit"?Hentzelt: Das geschieht durch ein schwules Selbstverständnis. Dadurch ist mitgesetzt, ichbin nicht so, wie Männer im allgemeinen sind. Dadurch treffen mich auch derenForderungen nicht mehr. Das ist die Erlaubnis, das zu fühlen, was man fühlt.G. E.: Aber die meisten verbieten sich doch viele Jahre, „so" zu empfinden. Hentzelt: Inder vorschwulen Phase kommt es zu Distanzierungen. Viele sagen: Ich will nicht schwulsein. Ein schwules Selbstverständnis kann aber irgendwie auch als Entlastung erfahrenwerden. Das eigene Empfinden wird durch das Wort schwul irgendwie sicherer,handhabbarer.Zwei meiner Interviewpartner, die sich sehr spät mit diesem Begriff belegt haben, meinten:endlich wußte ich, was mit mir los ist. Die Konflikte auf dem Weg dorthin können mörderischsein,und sie lassen sich später in der schwulen Sub nicht mehr erzählen, zumindest nicht in dervollen Dramatik und Schärfe. Das Sprechen übers Schwulsein hat keinen Ort. Einer meinerInterview-Partner sagte z. B., ich dachte damals, ich bringe mich um und erzählte das ganzlocker. G. E.: „Werden die eigenen Verletzungen nicht richtig wahrgenommen?"Hentzelt: „Die kollektiven Erfahrungen, z. B. die Einsamkeit und das Ausgeschlossensein,unterliegen einer kollektiven Verdrängung.Warum gibt es denn schwule Volleyballvereineoder schwule Chöre? Das Einsamsein soll damit überwunden werden. So nötig das natürlichist, wird damit doch auch der Zugang zu den erlebten Gefühlen der Einsamkeit noch nichtgefördert. Ein Beispiel ist auch die Promiskuität. Neben allem Schönen, was sie bedeutenkann, kann sie auch die Funktion haben vorzutäuschen, daß Einsamkeit beliebigüberwindbar ist. Das verdrängte Leiden derjenigen, die sich in der Schule, Familie oder beiFreunden nie zugehörig fühlten, wird dadurch leider nicht zugänglicher gemacht."G. E.: „Sie lehnen die ,schwule Identität` andererseits ab. Warum?"Hentzelt: „Ich möchte, daß Schwule das Identitätskonzept des Schwulseins ablehnen alsetwas, das uns aufgezwungen ist (!). Mir kommt das als Ersatz für den wirklichen Zugang zumeinem Erleben, meiner Geschichte vor. Wir sollten deshalb fragen was bedeutet eineschwule Identität als Kennzeichen der230


Diskriminierung."G. E.: » Worin besteht die Gefahr der schwulen Identität?"Hentzelt: „Die Frage, was empfinde ich als gut, darf nicht überlagert werden vonder Frage, was findet ein Schwuler gut. Das ist ein neuer Zwang und endet darin,daß jemand in einer statistischen Untersuchung über die Schwulen nachliest, waser empfindet. Wir laufen Gefahr, uns dem anzupassen, was Schwulsein anderenbedeutet, statt es selbst zu produzieren."Diese Ausführungen beziehen sich auf das Schwul-Sein, sind jedoch in vielenÄußerungen genauso anwendbar auf die transsexuelle Thematik wie auf dasTrans-Sein. Besonders der letzte Interviewabsatz trifft den Nagel auf den Kopf,und gerade das ist es, was an der Entwicklung der Transsexualität in Deutschlandso störend ist: Es ist eine exakte Wiederholung der homosexuellen Variante.Deswegen ist die derzeitige mediale Präsentation der transsexuellen„Unwirklichkeit" auch überaus vehement abzulehnen. Die vielen aktuellenFernsehsendungen bzw. -talkshows sind dazu angetan, ein völlig falsches bildvom Transsexuellen in der Öffentlichkeit zu etablieren. Die Leidensthematik undder Zoo-Effekt stehen im Vordergrund: Locker plaudernd wird überSuizidneigungen (grundsätzlich vorhanden!), Schon-immer-gewesen-Erinnerungen („spielte immer mit Puppen"), „Im-falschen-Körper"-Sein ( » warschon immer eine Frau"), „Glücklich-Sein" (kurz vor der Operation wird heftigstersehnt, kurz danach überbordend gestrahlt) und Ach-es-ist-alles-so-schwer-mitdieser-angeborenenVeranlagungein Leidensbild der Transsexuellen gezeichnet,in welchem für Lebensfreude, Bejahung der Doppelgeschlechtlichkeit und einealternative Lebensform („die Möglichkeit des Andersseins") wenig Platz ist.Eindeutigkeit, oder zumindest die absolute Absicht zur umgehenden Realisierungdes Geschlechtsumwandlungs-Rituals, ist gefragt, und so wird ein unentwegterForderungskatalog munter ausgebreitet, über den man nur noch den Kopf schüttelnkann. Die absolute Verneinung der Homosexualität wird in solchenFernsehpräsentationen konstant und aufs entschiedenste immer wieder betont,Andersdenkende diesbezüglich rüde zur Rechenschaft gezogen. Auch vieleTalkshow-Moderatoren reden völlig gemäß dem Wechselwirkungsklischee, undbei manchen Fragen spürt man geradezu das (gekünstelte) Um-den-heißen-Brei-Herumdrücken. Das „andere", das Homosexuelle, gehört nicht in die Sendung(oder auch ins Druckerzeugnis) und darüber nachzudenken bzw. sich zu äußern,noch weniger. Keine Biologie, nur Kultur — keine Komplexität, nurEigenständigkeit: die Exklusivität muß gewährleistet bleiben. Wir kommen diesbezüglichnicht umhin, nochmals ausdrücklich auf die überaus typische Berichterstattungbezüglich des Phänomens Transsexualität außerhalb Deutschlands inden Druckerzeugnissen solcher Patriarchats-Hochburgen wie „Spiegel" und„stern" hinzuweisen. Im Spiegel 8/1992 wurde über die Verhältnisse in Brasilienim Zusammenhang mit Aids beispielsweise berichtet: „Ohne Hemdchen. Bisexualität,in der brasilianischen Macho-Gesellschaft weit verbreitet, fördert die dramatischeZunahme von Aids” und „Hunderttausende verheirateter Männer führenein sexuelles Doppelleben. Rio und Sao Paulo gelten als Paradies für Schwuleund Transvestiten (!), zum Karneval reisen jedes Jahr Tausende von Bi-undHomosexuellen (!) aus der ganzen Welt an. Brasilianische Transvestiten2 3 1


eherrschen den Strich in Rom und Paris." bzw. „Der Machismo zwingt uns, denstarken Mann zu spielen", bekennt Alvaro Pereira: „Dabei würden viele Männerlieber die Rolle der Frau einnehmen. In einer homosexuellen Partnerschaft kannder Mann sich selbst aussuchen, ob er aktiv oder passiv sein möchte." Und zumgleichen Thema hieß es im „stern" (26/93): „Zwischen Gosse und Glamour. Dieschrägen Vögel der Nacht. In Brasilien sind Transvestiten (!) die Stars in TV-Shows, Nachtclubs und Revuen. Doch viele von ihnen landen in der Gosse undsterben an Aids (!)" sowie „Stricherleben: Früher war die Altstadt von Rioberühmt für ihre Boheme. Heute ist ,Lapa` zum Viertel der ,bonecas`verkommen, der Puppen, wie die käuflichen Transvestiten (!) heißen." Oder auch:„Die Travestis sind, so sehen es brasilianische Intellektuelle, Teil des,Tropicalismus`, des brasilianischen Lebensgefühls mit seiner Karnevalslust ander vulgären (!) Verkleidung und der sexuellen Komplizenschaft zu denTransvestiten und zu der Anarchie (!) der Vorstädte, ,in denen das Zweideutigeund Groteske zu Hause ist', so der Komponist und Musiker Gilberto Gil." Sowhat: In Deutschland gibt es schließlich noch die „exklusive" (TSG)-Transsexualität (die mit der „transponierten" Geschlechtsidentität) — ganz wasanderes ...! (Siehe hierzu speziell die nachfolgenden Ausführungen.)G u r u - K r i t i k o h n e E n d eDennoch kommt es auch in Deutschland dazu, daß gewisse transsexuelleGurus, wie beispielsweise Waltraud Schiffels von der TS-Beratung im Saarland— wohl aus längerfristigen Erkenntnissen des transsexuellen Erlebens —allmählich Abstriche machen von den bisher hochgehaltenen Credos. So heißt eshierzu beispielsweise in einem Schreiben der Selbsthilfe-Gruppe Ende 1992seitens Schiffels:„Wir müssen uns damit abfinden, daß ein realer Geschlechtswechsel nicht möglichist. (!) Das Gesetz spricht ja nicht umsonst von ,angleichenden` Maßnahmen undwo auch immer die Rede von ,Geschlechtsumwandlung` oder dergleichen ist, meintdas ja niemals eine reale Vertauschung des einen Geschlechts mit dem anderen.Dies bleibt ausgeschlossen,und das wissen wir ja auch alle. (Autorin: wirklichalle?) Möglich und durch das TSG legalisiert, ist der Tausch der einenGeschlechtsidentität mit der anderen. Wie wir ja oft genug erfahren haben, kanndieser letztlich nachahmende Wechsel so gut gelingen, daß nach außen hin keinwahrnehmbarer Unterschied zwischen dem veränderten Menschen und demdurchschnittlichen Erscheinungsbild der Phänotpyen seines Wunschgeschlechtsmehr besteht. Im Falle der Mann-zu-Frau-Transsexuellen bedeutet dies aber dochnicht, daß eine solche Neufrau je die zyklische Erfahrung der Lebenssituationender Frauen machen wird. Sie wird nie darüber zu entscheiden haben, ob sie einKind empfangen, tragen und gebären will oder nicht. Sie wird nie eine Menopauseerleben. Und vom biologischen einmal ganz abgesehen: Auch ihre Sozialisation2 3 2


wird in aller Regel die eines Mannes gewesen sein. Einen solchen Menschen,Frau` zu nennen, mag Sinn machen angesichts des Selbstgefühls der Betroffenenund in allen Situationen, in denen es um justitiable Sachverhalte geht. Und sicherwird dieser transsexuellen Frau niemand absprechen können und wollen, daß siesich ,als Frau` fühlt und als eine solche lebt. Nur biologisch bleibt sie, was siewar. Und allein um die biologische Befindlichkeit ging es bei der Beantwortungjener ominösen Frage: ,Sind sie nun eine Frau, ein Mann, oder was?' Daß auf derMännerseite die Entsprechungen zu denken sind, versteht sich von selbst. Wennviele Mitbetroffene zum Teil überaus heftig reagiert haben — das ging immerhinauch bis zum Androhen körperlicher Gewalt (!) — so haben sie sich wohl nichtausreichend klargemacht, daß es unsinnig und kontraproduktiv ist, wenn eineRepräsentantin der Transsexuellenszene in der Bundesrepublik vor aller Augenund Ohren so täte, als sei eine vollständige und tatsächliche Veränderung möglich.Ich hätte damit nur meine eigenen und unser aller Glaubwürdigkeit aufsSpiel gesetzt. Es geht nicht darum, Männer oder Frauen zu ,werden', es geht vielmehrdarum, unser Lebensrecht als Transsexuelle durchzusetzen, gerade auch fürdie, denen augenfällig eine ausreichende große Annäherung an die Erscheinungsweiseihres Wunschgeschlechts nicht möglich ist. Treten wir nicht auch fürdiese mit ein, die auffällig und eindeutig als Transsexuelle erkennbar bleiben, sogefährden wir auch das Lebensrecht derer, denen die Assimilation gelingt. Unddeshalb ist es letztlich auch taktisch klüger, das zuzugeben (!), was ohnehinTatsache ist: daß wir nämlich biologisch im ursprünglichen Sexus verbleiben unddie Veränderung lediglich im Bereich von Geschlechtsrolle und -sozialisation,also im ,gender`-Bereich, stattfindet. Der aber ist es, der unsere Geschlechtszugehörigkeitin der Gesellschaft prägt, und darauf kommt es an."Als Erklärung dafür, daß Waltraud Schiffels sich in einer RTL-Sendung („Derheiße Stuhl") 1992 als „eunuchisierter Mann" bezeichnet hatte, sind die obengenanntenAusführungen zu akzeptieren. Man möchte jedoch hoffen, daß solcheErkenntnisse auch in die breitere Transsexuellenszene eingehen werden — nötighat sie es. Unlogisch mag allerdings die Tatsache bleiben, daß noch kurze Zeitdavor Waltraud Schiffels beispielsweise in ihrem 1991 erschienenen Informationsbuch„Im falschen Körper — Alles über Transsexualität" (S. 227)postulierte: „Verdienen wir (!) noch Achtung, wenn wir alt sind oder schwanger(!) oder das Pech haben, häßlich zu sein usw." Oder sich auf S. 221 sogar auf dieAussage einläßt: „daß ja wir, die Frauen, es sind, die immer und sicher über ihreeigene Potenz verfügen, während die männliche Sexualität unser bedarf (oder anunserer Statt eines Fetischs oder Bilds oder sonst etwas dieser Art, was unsersetzt [!]), um überhaupt mit der eigenen Potenz ausgestattet zu werden" usw.,bzw. auf S. 222 (eigentlich unfaßbar) sich hinreißen läßt zu sagen: » uns, die wirdie Gattung reproduzieren (!), uns, die ihnen wegen des unvergleichlichenVergnügens, daß nur wir ihnen bieten können (!), der wichtigste ,Besitz` undTauschgegenstand sind" usw.Es sind dies alles Beispiele überaus diametraler Aussagen zum kurz darauffolgendenRTL-Eingeständnis des „eunuchisierten Mannes" (siehe auch die vorherigenÄußerungen) über die indischen Hrinjas und ihren Eunuchen-Status): einmal2 3 3


so, einmal anders. Ebenso unverständlich müssen aus der heutigen Perspektiveauch solche Äußerungen Waltraud Schiffels erscheinen, welche ihrerseits 1990,kurz nach dem geschlechtskorrigierenden Eingriff, voll euphorisch in einemInterview mit der DAW-Zeitung (9/90, S. 20 - 23) gemacht wurden. So heißt es u.a.: „Und ich verkörpere auch keine Frauenrolle, sonder ich bin eine Frau undich verkörpere nicht, sondern habe den Körper einer Frau usw." Besonders fürjüngere Transsexuelle, die sich geradezu an transsexuelle Leitfiguren (diePersonifizierung des Erlebens ist ein Zeitphänomen) klammern, sind solcheSuggestivaussagen überaus gefährlich: „Die Legende druckt." Denn es ist dochgerade die konsequente Abfolge von schmerzlichen (Lebens-)Erkenntnissen, die sotypisch ist für das transsexuelle Erleben und Empfinden im Laufe der Jahre:Kommt Zeit, kommt Rat, kommt (vielleicht) Frau. Alles andere ist gewolltes, puresWunschdenken: „Im-falschen-Körper"-Sein, „Wir"-Gefühl, „Schwanger"-Sein,„Eunuchisierter-Mann"-Sein. Was ist mit „Mensch"-Sein als erstes Ziel?Ein Mensch zu sein, der nebenher auch noch transsexuell ist: Nur das kann das„Leit"-Bild sein. In erster Linie jedoch (nur) Transsexuelle(r) zu sein und danebenauch noch als Mensch erkannt zu werden — das kann dann nicht das (transsexuelle)„Leid"-Bild bleiben. Sich (wieder mal) mißbrauchen zu lassen alsProjektionsfläche für die unterschiedlichsten Interessen, welche aus den verschiedenstenMotivationsbereichen stammen, kann nicht Sinn und Zweck einer solchenSelbstdarstellung sein — die Aktivitäten der Selbsthilfegruppen und ihrer Guruskönnen jedenfalls, so wie sie jetzt erfolgen, dem Gesellschaftsbild der (deutschen)Transsexuellen nur schaden. Dieses in der nächsten Zeit unter Kontrolle zu haltenund sich nicht nur damit zufrieden zu geben, daß über die Transsexuellenvorwiegend als „Opfer" berichtet wird, muß das vorrangige Ziel aller Aktivitätenbleiben. Auch hier bewährt sich wieder, daß Wissen Macht bedeutet und mannicht einfach alles „den anderen" überlassen darf — das Neue Denken kann hierzuviel beitragen. Das traditionelle Design der Künstlichkeit muß gegen die neuartigeKonstruktion der Realität ausgewechselt und das transsexuelle Selbstverständnisdarauf abgestellt werden. Was die Psychiater mit dem Begriff „Pseudologicaphantastica" umschreiben — die Fähigkeit, unbeirrbar an die eigenen Lügen zuglauben —, kann nicht zum Credo der Transsexuellenbewegung werden. WaltraudSchiffels hat bewiesen, wie es, allerdings gezwungenermaßen, auch geht (wobeiman sich fragen muß, ob es denn unbedingt RTL, der „Heiße Stuhl" und dasbewußte Mann-Frau-Liebesthema sein mußten), aber alles in allem ist und bleibtdie geschilderte Abfolge konträrer öffentlicher Aussagen (Bücher, Fernsehenusw.) eine im Grunde höchst unerfreuliche Inszenierung einer maßlosenSelbstüberschätzung im Sinne der uns bereits sattsam bekannten „illusio virilis"— Selbstkritik hin oder her (diese hätte ohnehin bereits viel früher mit dem(irreführenden) „Im-falschen-Körper"-Buchtitels anfangen müssen — eineFiktions-Suggestion par excellence).Weiter muß auch davon Abstand genommen werden, daß nur das „Pfründe"-Denken in der transsexuellen Problematik die Akzente setzt. Leider hängen diesbezüglich,wie bereits des öfteren festgestellt, zu viele Positionen, Ämter und Einkommenan der (transsexuellen) Unwahrheit, aber auch hier beginnen sich dieersten Absetzbewegungen zu manifestieren. So beispielsweise beim FrankfurterSexualwissenschaftler Volkmar Sigusch, „Trans"-Pate Deutschlands, wenn er in2 3 4


seinem neuesten Buch „Geschlechtswechsel" (1992), S. 120 anmerkt: »Kurzum, wirsollten theoretisch noch einmal von vorne anfangen." Waren seine „Leitsymptomefür die transsexuelle Diagnostik" zu Anfang der TranssexualitätsPsychosegleichzeitig „Steckbrief` (Reimut Reiche), so ist auch Volkmar Sigusch inzwischenzu der Erkenntnis gelangt, daß die Transsexuellen zu jenen Zeiten nur alsProjektionsflächen für patriarchal-wissenschaftliche Interessen gedient haben(inklusive solcher patriarchalisch-schwuler Intentionen) — die „Menschen" warennur zweitrangig. Dieses klinische Bild der Transsexualität sollte endlich weichen,und so, wie die Homosexuellen sich als (bewußte) Schwule definieren, als „gays",so müßte auch bei den Transsexuellen ein solches positives Denken die Oberhandgewinnen: weniger klinische „Gläubigkeit" (an „andere"), mehr menschlicher»Glauben" (an sich selbst) und mehr persönlicher Stolz (nicht »abhängig" von der„Droge" Transsexualität bzw. von Dritten zu sein). Sehr gut gefallen hat diesbezüglichder Autorin auch, wie Volkmar Sigusch in seinem Buch „Geschlechtswechsel"(1992) im Kapitel »Ein typisches Wissenschaftsmärchen" mit Wolf Eicherumgeht: Da hackt doch tatsächlich die eine Krähe der anderen ein Auge aus! (S. 70- 73). Es heißt dort nämlich: „Ja, was geht wohl im Kopf jener Forscher vor, die einpsycho-sozial Zusammengesetztes und gesellschaftlich Vermitteltes wie dieGeschlechtsidentität auf eine körperliche ,Ursache` zurückführen wollen? Konkretdenke ich an jenen ,Brief an den Herausgeber', dem viele Artikel in allen möglicheund unmöglichen (!) Zeitschriften und Sammelbänden folgten, mit dem Eicher undMitarbeiter im ,Lancet`, also einem der feinsten medizinischen Blätter, Wasser aufdie unermüdlich mechanisch mahlenden Mühlen des morphomorphenMedizinbetriebs (Autorin: „Feudalsystem könnte man auch sagen!") gegossenhaben, indem sie das angeblich Y-chromosomal kodierte GenproduktHistokompatibilitätsantigen Y, kurz H-Y-Antigen genannt, ein in seiner Wirkungundurchschautes Zellmembranglykoprotein, das Eichwald und Silmser 1955 erstmalsbeschrieben, mit der Entstehung des Transsexualismus in einen ursächlichenZusammenhang brachten." usw. Gut gebrüllt, Volkmar Sigusch! Jetzt noch etwasHomosexualität hinzumischen, wie es im Kapitel „Die unstillbare Suche nach denUrsachen" (S. 78 - 86) geschieht, und dann kann endlich festgestellt werden: „Nunrede sich niemand ein, mit dem Ausspionieren und Pathologisieren derHomosexuellen sei es generell vorbei, heute werde statt dessen vor allem gegenTranssexuelle ermittelt (!). Die Suche nach den ,Ursachen` geht natürlich weiter,humangenetisch, neuroendokrinologisch, psychoanalytisch usw. und natürlich sindauch neueste Hypothesen, die, ganz homosexuellen-freundlich (Volker Sommer!),der Abweichung einen ,Sinn` geben wollen oder sie aus heuristischen Gründeneinfach einmal als ,angeboren` voraussetzen, vom allgemeinenPathologisierungsdruck gezeichnet." Frage: Warum wird hier endlich, nach sovielUmfallen, Revidieren und Theoretisch-noch-einmal-von-vorne-Anfangen, nichtendlich mit der Wahrheit herausgerückt: Transsexualität ist ein individuellerKonflikt zwischen Biologie (angeborener sexueller Veranlagung) und Kultur(erworbenem gesellschaftlichem Verhalten) des Menschen und besitzt keine (kollektive)Eigenständigkeit, bzw. die männliche Transsexualität geht auf das Faktumder Verdrängung einer biologisch-homosexuellen Veranlagung zurück und istinsofern die andere (verneinende) Seite der gleichen (biologischen) Medaille. Esgibt keine Exclusiv-Transsexualität!2 3 5


Es ist diese Art von diffuser Verallgemeinerung — so daß schließlich keinermehr durchblickt —, welche das Transsexualismus-Syndrom für die Außenstehenden,aber noch mehr für die Betroffenen so suspekt macht. Wenn schon diePatriarchen sich nicht (mehr) einig sind, wie sollten dann die patriarchalischen„Konstrukte" es sein — der Gedanke des antiken „mens sana in corpore sano"muß unter solchen (Nebel-)Verhältnissen wohl endgültig kapitulieren, nichtzuletzt wenn dann die „Stromlinien"-Transsexuellen auch noch selbst die Regiedas Ganzen übernehmen.Wenn sich also alles im Grunde um die biologische Homosexualität des Mannesdreht, ergibt sich allerdings hinsichtlich der überaus konsequent und vehementbetriebenen Ablehnung durch das Patriarchat, bzw. das schwule Patriarchat, dannwieder die logische Gegenüberstellung der Transsexualitäts-Akzeptanz bei sehrvielen Frauen - als Patriarchatsopfer sozusagen Denn es ist ja eine bekannteTatsache, daß das Interesse von Frauen an den TranssexualitätsBetroffenen überausintensiv ist. Die Patriarchen sind dabei die (männlichen) Macher und die Frauen die(menschlichen) Partner der „Als-ob"-Geschlechter im Rahmen der Transsexualität— die Frauen spüren, daß bei den Schwulen und den Transsexuellen dieemotionalen Komponenten — wie bei ihnen selbst — wesentlich gefühlsintensiver(weil, wie wir wissen, gleichfalls auf beiden Hemisphären ansprechbar) aktiviertwerden können. Frauen lieben Schwule als „ungefährliche" Männer undTranssexuelle als » entwaffnete" Männer: Nun geht sowohl im patriarchalischen alsim männlichen Sinne keine „Gefährdung" (Penetration, Schwangerschaft) mehr vonihnen aus. Es dürften auch hier wieder etliche der Gründe liegen, weshalb Frauenso oft Scheinehen mit homosexuellen Männern (ob nun manifest oder latenthomosexuell) eingehen bzw. Partnerschaften mit Mann-zu-Frau-Transsexuellenanstreben. Auch die Partnerschaften von Frau-zuMann-Transsexuellen sind wohlauch unter diesem „Ungefährlichkeits"-Aspekt zu betrachten: die allgemeine Furchtbzw. Flucht vor der Penetration. So dürfte auch wohl die weitere Chimäre der„lesbischen Transsexualität" konstitutiert worden sein. Dazu sagt beispielsweise„Guru" Maria Sabine Augstein, die Tochter der „Spiegel"-Herausgebers RudolfAugstein, in einem Interview mit der Hamburger Morgenpost: „Ich gehöre gleichzwei Minderheiten an: den Lesben und den Transsexuellen." Ebenso lesen wir ineinem ihrer Briefe an die Autorin vom 16.10.92: » Sie machen den Fehler, IhreLebenserfahrung mit Ihrer Person zu verallgemeinern. Ihnen geht es um eineLebensform zwischen den Geschlechtern (!) und nicht um die Identifizierung miteinem Geschlecht. Darum geht es aber den Transsexuellen nicht — hier bestehteine vollständige und dauerhafte Transposition der Geschlechtsidentität, einevollständige Identifikation mit einem Geschlecht." Auch in AugsteinsDiskussionsbeitrag in der Zeitschrift für Sexualforschung „Transsexuelle sindMänner und Frauen" (5/1992, S. 255 - 260) heißt es gleich im ersten Satz:„Transsexualität bedeutet, daß sich die Betreffenden voll und ganz als dem anderenGeschlecht zugehörig erleben; in diesem Sinne ist die Transsexualität einevollständige und dauerhafte Transposition der Geschlechtsidentität." sowie: „Nachvollzogenem Geschlechtswechsel aber sind Transsexuelle keine Transsexuellenmehr und stehen auch nicht zwischen den Geschlechtern (!), und (völligunakzeptabel seitens der Autorin): »Transsexuelle müssen während desÜbergangsstadiums vom alten zum neuen Geschlecht die2 3 6


Rolle des neuen Geschlechts betonen, um der Umwelt den Identitätswechseldeutlich zu machen. Nach der Operation besteht mehr Freiheit, mit denGeschlechts-rollen kritisch umzugehen und alternative Lebensführungen zuwählen (!). Und auch Sigusch hat nun (1991) zur Kenntnis genommen, daß esunter den (ehemaligen) (?) Transsexuellen auch lesbische Frauen und schwuleMänner gibt." Bezeichnenderweise heißt es in Wolf Eichers „Transsexualismus"(1984), S. 21, ganz ähnlich: „Die Beispiele zeigen, daß die Geschlechtsidentitäteindeutig, dauerhaft und total transponiert ist. Die Patienten sind in der Regel alsheterosexuell (!) zu bezeichnen. Wir haben zum ersten mal bei einem Mann-zu-Frau-Transsexuellen auch eine doppelte Transposition der Geschlechtsidentität (!)beschrieben (1977) in dem Sinne, daß die transponierte weiblicheGeschlechtsidentität zusätzlich partiell gestört war, d. h. daß ein körperlichmännlicher Transsexueller sich als lesbische Frau empfindet und den Kontaktmit lesbischen Frauen sucht. Dies ist durchaus denkbar. Wenn es in derNormalbevölkerung, die heterosexuell veranlagt ist, einen bestimmtenProzentsatz von Homosexuellen gibt, so ist auch anzunehmen, daß es unter denheterosexuellen Transsexuellen einen Prozentsatz von homosexuellenTranssexuellen gibt (?). Der Prozentsatz der von uns operierten und auchbetreuten lesbischen bzw. bisexuellen Mann-zu-Frau-Transsexuellen liegt bei 15Prozent. Von Hoenig et al. (1970) wurden 50 transsexuelle Patienten der Kinsey-Skala über das sexuelle Verhalten unterzogen und nach dem Kinsey rating 0 - 6eingeteilt. 0 bedeutet heterosexuell, 6 dominant homosexuell (wobei diese Skalaeigentlich für Transsexuelle nur unter der Prämisse angewandt werden darf, daßsie dort als homosexuell erscheinen, was in ihrem Fall heterosexuell zu seinbedeutet [?]). Hoenig fand bei den Frau-zu-Mann-Transsexuellen 70 % und beiden Mann-zu-Frau-Transsexuellen 100 % im Skalenbereich 6 (damitheterosexuell mit total transponierter Geschlechtsidentität) usw." Sollte der guteKinsey bei der Aufstellung seiner doch in erster Linie im homosexuellen Sinnegedachten Skala überhaupt an einen solchen (patriarchalischen) „Mißbrauch" imtranssexuellen Sinne gedacht haben? Wohl kaum.Eine solche überaus vehement nach außen getragene Kombination von männlich-patriarchalischen(Erklärungs-)Bocksprüngen und transsexuellen(Gläubigkeits-)Dogmen stellt natürlich eine brisante Mischung dar, wenn es umdie Vermittlung der „Wahrheit" geht — dafür wird offensichtlich an nichtsgespart. So wenn Augstein in ihrem schon erwähnten Sexualforschungs-Artikelauf S. 257 sogar vermerkt: „Der Verfasser (Sigusch!) wahrt sich vehement gegendie Einordnung der Transsexualität als Krankheit und übersieht dabei, daß denTranssexuellen dieses Stigma nicht lebenslang aufgedruckt werden soll. Es gehtum die vorübergehende (!) ärztliche Behandlung, nach deren Abschluß die (dannnur noch ehemalig) Transsexuellen gesund sind" (Kastration soll gesund sein?).Derart irreal-verlogen grenzt das Ganze in der Darstellung nach außen schon anregelrechte Volksverdummung, und wenn dann noch von bestimmten Personenderart vorgegebene „Hirngespinste" mehr oder weniger sklavisch nachgeplappertwerden, kommt der Offentlichkeitseffekt zustande, wie dieser aus dem hier nachfolgendenBild-Kommentar (anläßlich des Fernsehprogramms am Vorabend desBuß- und Bettages 1992) ersichtlich wird:237


Zwischenruf: FernsehenTrans-TV totalZur Einstimmung auf den Buß- und Bettag brachtedas Fernsehen 262 Minuten Sexual- & Trans-TV.RTL-„Explosiv": Homos kritisieren die Kirche. EineMann-Frau bei Gottschalk. Lesben-Ehe in 3sat.Transsexuelle bei „Bio" (ARD). Wir sahen Männer mitBusen, Frauen mit Bart, hörten von abgeschnittenemPenis und verlängerter Vagina.Selbstverständlich bekümmern uns die Problemevon Minderheiten. Aber es gibt Zuschauer, die sichauf den Buß- und Bettag anders vorbereitenwollten.(gue)Vielleicht auch etwas zuviel Transposition der Irrealität?2 38


KAPITEL 14TRANSSEXUALITÄT UND EMANZIPATIONFeministisches DenkenLaut Duden heißt Emanzipation Befreiung aus einem Zustand der Abhängigkeitin die Selbständigkeit bzw. die rechtliche und gesellschaftlicheGleichstellung der Frau mit dem Mann. Der Infinitiv emanzipieren bezieht sichhierbei auf das lateinische „emancipare" = einen erwachsenen Sohn oder einenSklaven aus der väterlichen Gewalt in die Selbständigkeit entlassen und bedeutet,sich aus einer die eigene Entfaltung hemmenden Abhängigkeit lösen, selbständig,unabhängig machen. Insofern ist Emanzipation also einpatriarchalischer Begriff und im Grunde auf den Mann (wie das Wort jaausdrückt) bezogen — Mensch gleich Mann. In Wirklichkeit ist es ja umgekehrt,wie wir ja wissen, aber die Dominanz des männlichen Geschlechts in derGesellschaft ist noch immer derart stark, daß der Ausdruck Emanzipation sichin sämtlichen Auseinandersetzungen zwischen den Geschlechtern inzwischen alsgegeben etabliert hat — wir wollten trotzdem mal auf diesen Anachronismushinweisen, speziell im kommenden Zeitalter des Biologismus (Mensch gleichFrau), wie die neunziger Jahre inzwischen weitgehend charakterisiert werden.Mit der Emanzipation der Frau ging der Niedergang des Patriarchats einher:In den letzten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts sind die völlig erstarrtenVerhaltensnormen, in denen sowohl Männer wie Frauen sich seit ewigen Zeitensicher fühlten, ins Wanken geraten. Die Krise fing in erster Linie an, als dieFrauen — im Zeichen der Industrialisierung — notgedrungen aus dem festenGefüge von Haushalt und Kinderbetreuung ausbrachen und zur Fremdarbeitübergingen. Der Orientierungshorizont der Frauen erweiterte sich von der engenFamilie zur weiten Gesellschaft, und eine intensive Bewußtseinsveränderung —zumindest in den westlichen Industriegesellschaften — war die unvermeidlicheFolge. Auch die riesigen gesellschaftlichen Umwälzungen im Zuge der beiden239


Weltkriege dieses Jahrhunderts trugen das ihrige dazu bei, daß das traditionelleFrauenbild des Patriarchats immer mehr verblaßte. Konnte Nietzsche nochbehaupten: „Alles am Weibe ist ein Rätsel und alles, was hilft, ist dieSchwangerschaft", so änderte sich die Ausgangslage für das Selbstverständnis derFrauen diesbezüglich immer stärker. Ganz besonders wurde dies deutlich, als imRahmen der sexuellen Revolution der sechziger und siebziger Jahre die Pille fürdie Frau die bisherige sexuelle Abhängigkeit vom Patriarchat ins Gegenteilverkehrte — der lange Geschlechterkampf wurde nun endgültig zugunsten derFrau entschieden: Die Männer verloren ihren Machtanspruch über die Frauenauch im sexuellen Sinne. Die bekannte französische Professorin für Philosophieund Geschichte, Elisabeth Badinter, sagt hierzu in ihrem neuen Buch „XY — DieIdentität des Mannes" (1992): „Wenn die Weiblichkeit sich verändert, gerät auchdie Männlichkeit ins Wanken." Wie recht sie hat, denn die inzwischen eingeleiteteAuflockerung der festgeschriebenen Rollenvorstellungen hat zu einer regelrechtenKrise der Männlichkeit geführt: Die große „Verunsicherung", die männlicheIdentitätskrise, ist für Elisbeth Badinter das Hauptthema der achtziger undneunziger Jahre. Dabei beruht ihrer Meinung nach männliche und weiblicheIdentität nicht nur auf einer bloßen, von der Natur vorgegebenenChromosomenanordnung (wie der Titel ihres Werkes vermuten lassen könnte),sondern vor allem auch auf einem tiefgründigen gesellschaftlichen Prozeß.Genauso, wie wir dies in den vorhergehenden Kapiteln dieses Buches auch eingehendals dynamischen Wechselwirkungsprozeß zwischen Veranlagung undVerhalten, also zwischen Biologie und Kultur, verstanden haben. Auch der Transsexualismusals Konflikt zwischen biologischer Vorgabe und kulturellerNormierung ist in diesem gesellschaftlichen Prozeß einzuordnen — es gibt keineEigenständigkeit für dieses (tiefmenschliche) Phänomen der Auseinandersetzungzwischen Erbe und Umwelt — wie gerne suggeriert wird.Die männliche Krise ist somit von Geburt an bereits vorgezeichnet, und —unter Berücksichtigung der vielen Entwicklungsstufen davor — ist ein „normaler"männlicher Entwicklungsgang im Grunde bereits ein echtes Wunder — zuvielfältig können die Auswirkungen der Umwelt sich im individuellenEntwicklungsschema des (männlichen) Menschen manifestieren. Oder wie eswiederum Elisabeth Badinter formuliert: „Der Mann muß um seine Identitätkämpfen. Er muß einen dreifachen Salto machen. Vor der Geburt und danach ister so eng mit dem Weiblichen — mit der Mutter — verbunden, daß er sich ablösenmuß, um eine eigene Identität zu finden. Danach soll er seine verdrängtenweiblichen Anteile wieder in seine Persönlichkeit integrieren. Das bedeutet inseinen Augen aber immer noch eine Herunterstufung. Eine Gefahr (krassesBeispiel: die verbreitete Angst vor Homosexualität). Frauen dagegen haben ihremännlichen Anteile immer als Pluspunkt, als Zugewinn empfunden. Es hat auchnie ihre Weiblichkeit grundsätzlich in Frage gestellt. In dem Maße, wie sichFrauen sogenannte typisch männliche Merkmale aneigneten wie Ehrgeiz, Kraft,Energie erwarteten sie von Männern gleichfalls die Aneignung des weiblichenPendants: Gefühle, Zärtlichkeit, Nachgiebigkeit, Weichheit."Und da sieht Elisabeth Badinter das große Problem: Die Männer sind insHintertreffen geraten bei diesem Ausgleichsprozeß bzw. wollen sich von ihrenauslaufenden Männlichkeitsmodellen nicht trennen. Der „Marlboro"-Mann240


eherrschte noch bis vor kurzen die Werbung, und in der Filmbranche brachenSylvester Stallone als „Rambo-Typ" bzw. Arnold Schwarzenegger als„Terminator" alle Rekorde — die (männliche) Verherrlichung auslaufenderMännlichkeitsmodelle geriet dabei zur eindrucksvollen Persiflage. In ihrer Studieder Männlichkeitsentwicklung kommt Elisabeth Badinter dann allerdings dazu,mehr oder weniger nahtlos einen neuen Männertyp zu kreieren: Der „versöhnte"Mann, der sich seiner weiblichen und männlichen Eigenschaften voll bewußt istund der beide Teile gleichermaßen erlebt und einsetzt — ohne die Angst, einenTeil seiner selbst preisgeben zu müssen. Am Ende dieses überaus schmerzlichenEntwicklungsprozesses für den modernen Mann sieht sie sogar den „androgynenMenschen": für viele „Unverbesserliche" des patriarchalischen Paradieses eineabsolute Horrorvision der Asexualität. Ihre Aussage hierzu lautet: „Sexualität isteine ganz andere Sache. Der androgyne Mensch ist kein Neutrum, in dem diegegensätzlichen Pole miteinander verschmolzen sind. Er ist ein Wesen, in demMännlichkeit und Weiblichkeit nach einem langen Reifungsprozeß gleichwertigineinander verzahnt sind, je nach Bedarf einsetzbar. Frauen können damit einfacherumgehen. Sie können zärtliche Mütter sein und trotzdem Ehrgeiz undDurchsetzungskraft im Berufsleben unter Beweis stellen." Was sie auch tut!Die Problematik für dieses neue, moderne Männlichkeitsbild stellt sich allerdingsdann ein, wenn die biologisch-physiologischen Voraussetzungen für einesolche Angleichung in Augenschein genommen werden. Denn wie wir gesehenhaben, ist die Gehirnorganisation bei Männern und Frauen grundlegend verschiedeninszeniert (siehe hierzu besonders Kapitel 11 und 12), und dies ist von derEvolution auch so gewollt. Das männliche Gehirn hat eine prinzipiell andere Aufgabenstellungals das weibliche: Es ist nicht umsonst aus der weiblichenUrstruktur heraus abweichend konzipiert. Die Aufgaben des (männlichen)Hormons Testosteron in diesem Entwicklungsprozeß des männlichen Gehirns ausdem weiblichen haben wir dabei bereits kennengelernt, ebenso die daraus resultierenden,grundsätzlich verschiedenen ausgearbeiteten Wahrnehmungskonzeptebeider Gehirnorganisationen (inklusive unerschiedliche Aufnahme der Kultur-Meme, wie es Volker Sommer impliziert).Aus dieser fundamentalen Verschiedenheit männlicher und weiblicher zentralnervöserOrganisation ließe sich dann eher die wohl ernüchternde Feststellungableiten, daß zwar die Rollenbilder weiblicherseits umgeändert werden können, der„echte" Mann jedoch große Mühe hat, diese Umstellungen auch tatsächlichnachzuvollziehen — sein Bewegungsspielraum ist nur in gewissem Umfang (jedenfallszur Zeit) gegeben, und das darauf basierende (uralte) Patriarchat kann nichteinfach zur nahtlosen Übernahme weiblicher Identitätsmerkmale aufgefordertwerden. Denn wie wir wissen, finden wir solche „weibliche" Organisationsmusterdes männlichen Gehirns im Grunde nur bei biologisch-homosexuell veranlagtenMännern, und nur diese sind für die weiblichen „Signale" auch ensprechend empfänglich.Wir haben im Falle eines transsexuellen Empfindens bereits die Kraftsolcher weiblicher Einwirkungen ab frühester Jugend kennengelernt, wenn dasdirekte Umfeld des männlichen Kindes die (gewollte oder ungewollte) Entwicklungeiner solche weiblichen Aufnahmekapazität entsprechend fordert. Für dieEntwicklung einer Transsexualität spielen dann — wie bereits des öfterenangemerkt — familiendynamische Erziehungsfaktoren eine eminent wichtige2 4 1


Rolle, wenn dabei die „Homosexualitäts-Vermeidungsstrategie" dem Primat zuerkanntwird und eine künftige Konfliktstituation sozusagen vorprogrammiert ist.Insofern müssen also die Aussagen Elisabeth Badinters im biologistischen Sinnerevidiert werden: Der „echte" Mann läßt sich nicht einfach so kurzerhand in dieweibliche Richtung drängen. Von der Hand zu weisen wäre allerdings dieMöglichkeit nicht, daß im Sinne der natürlichen Evolution durch Änderung der„Umweltbedingungen" (und dazu würde dann die bis heute unterbliebene mehroder weniger starke Suggestion des weiblichen Prinzips gehören [Neues Denken])auch eine entsprechende biologisch-evolutionäre Anpassung der männlichenGehirnorganisation bzw. -struktur erfolgen würde. Diese Komponente hatElisabeth Badinter aber unter Umständen bereits einkalkuliert, wenn sie sagt:„Nein, man muß klar erkennen, daß Frauen allein nicht in der Lage sind, ihreSöhne, also die nächste Generation auf dem Wege zu einer neuen männlichenIdentität voranzubringen. Die einzigen, die ihnen helfen können, sind die Väter.Und selbst wenn diese dazu nicht fähig oder — wie bei alleinerziehenden Müttern— nicht greifbar sind, gibt es für Söhne genügend Möglichkeiten, sich Leitbilderaußerhalb der Familie zu suchen. Der Ersatzvater muß sich selbst nur in ausreichendemMaße gefühlsmäßig einbringen. Er muß kein Idol auf einem Podest sein.Es gibt viele Väter, die sich dieser Verantwortung bewußt sind. Aber der Weg bis zueinem Mann, der mit seinen weiblichen und männlichen Anteilen im Einklang lebt,ist noch lang. Es ist auch wichtig, daß die Frauen und die Gesellschaft eineNeuverteilung der Machtbefugnisse zwischen Mann und Frau zustimmen."Gegenseitige Kommunikation ist also gefragt. Die von (patriarchalischen)Zynikern diesbezüglich eingebrachten Argumente, daß die Vision des „versöhnten"Mannes sich erst in die Realität umsetzen läßt, wenn auch Männer „schwanger"werden können, wären allerdings wieder typisch für das männlich-patriarchalischeAbwehrdenken unserer Zeit. Insofern trifft die Konstituierung desTranssexualismus durch das Patriarchat den Nagel mehr oder weniger auf denKopf: Der „versöhnte" Mann wird sozusagen künstlich hergestellt (er befindet sichnur „im falschen Körper"), und man ist dem möglichen Problem der (weiblichen)Agitation in den eigenen Reihen entledigt: „Die Schwulen gehören ja ohnehin jetztdazu, und die Transsexuellen kastrieren wir uns zurecht": So dürfte das Patriarchatseine (falsche) Einstellung immer noch rechtfertigen. Daß es aus solchenGründen nicht möglich sein wird, in einer Generation ein System, das seit mehrals 3500 Jahren besteht, besser ins Gleichgewicht zu bringen, dürfte gleichfallsklar sein. Zu tief ist alles in den Köpfen eingeschliffen. Dazu gehört auch, wenn esin der April-92-Ausgabe des Hamburger Gay-Express in einer Kolumne mit demTitel „September — ein Stück über mann-männliche Kultur" heißt: „Die Angst vonMännern vor ihren homosexuellen Anteilen hat nichts von ihrer Aktualität verloren."Wieso Anteile? Schwul geboren oder nicht: Das ist doch die Frage letztendlich— Freud war einmal!Hierzu sei allerdings noch angemerkt, daß sich die vorindustriellenStammesgesellschaften über den schwierigen Entwicklungsprozeß des männlichenKindes zum Mann durchaus im klaren waren. Ein Ausdruck dafür waren diespeziellen, oft schmerzhaften Initiationsriten für Jungen: Damit wurde ihr Lebenmit der Mutter und jüngeren Geschwistern abrupt abgeschnitten — eine „neuesLeben" in der Gruppe erwachsener Männer begann, die andere Aufgaben,242andere


gesellschaftliche Rechte und Machtbefugnisse als Frauen hatten. (Siehe hierzu auch<strong>Kamermans</strong>, J.: „Mythos Geschlechtswandel", fünftes Kapitel „RituelleTransvestition", S. 111 - 183 über die betreffenden Naturvölker-Rituale.)Heutzutage sind Jungenbanden (Gangs), Jungeninternate, Sportmannschaften,Fremdenlegion, „Wild-Man"-Gruppen und Männerclubs (Freimaurer, Rotary usw.)Restbestände des alten Männergruppen-Gefühls, das dem einzelnen in seinerIdentität Halt gab. Daß aus dieser Sicht der Dinge eine Art transsexuellesIdentitätsgefühl im Grunde auch wieder nur im Ghettodasein der transsexuellenSelbsthilfeorganisationen und -gruppen aufkommen kann („Die Künstlichkeit in derKünstlichkeit"), aber nach außen ein überaus brüchiges Gebäude bleiben muß (weildie homosexuelle Orientierung verleugnet wird), dürfte gleichfalls klar sein. Eintranssexuelles Coming-Out kann niemals identitätsstiftend sein: Es ist eine „illusiovirilis" par excellence, eine solche „Wiedergeburt” (im wirklichen Sinne desWortes!) im Sinne einer operativen „Initiation" zu erleiden.Bezogen auf die heutige (abendländische) Wirklichkeit hat sich die Ablösungdes männlichen Kindes vom Leben an der Seite der Mutter dagegen wesentlichkomplizierter artikuliert. Ein Grund ist die „Abwesenheit" der Väter (siehe wiederRobert Stollers Argument für das Entstehen einer Transsexualität im Sinnedes Sohnes als „Penis-Ersatz" für den abwesenden Vater...). Oder wie wiederElisabeth Badinter es formuliert: „In der Industriegesellschaft finden vieleJungen im Vater nicht mehr ihr Identifikationsmodell. Sie suchen es in der fiktivenLiteratur oder in Filmen, wo allerdings (noch) das alte, patriarchalischeMännerbild vorherrscht." Bezüglich des Zustandes der Männlichkeit zur Zeitdefiniert Elisabeth Badinter dann den heutigen Mann generös als » verstümmeltenMann", der sein väterliches und mütterliches Erbe nicht miteinander versöhnenkann (weil er es nicht gelernt hat, aber auch weil er es einfach nicht kann). Ein„Gefühlskrüppel", der viele Anteile seiner ganzen Persönlichkeit unterdrücken,verleugnen muß und viele Situationen menschlich nicht in der Lage ist zu bewältigen(„Ausblendung"!). Zudem sei das Männlichkeitsgefühl des „hartenBurschen" untrennbar mit ständiger Potenzverfügbarkeit verbunden, und immermehr Männer erleiden mit diesem Leistungsdruck Schiffbruch. Dieser TypusMann ist heute so stark in die Krise geraten wie nie zuvor — ohne daß sich einalternatives Männerbild schon durchgesetzt hätte. Der Mann der Zukunft kann,wie es Elisabeth Badinter fordert, nur ein „ganzer Mensch” sein, der auch seineweiblichen Eigenschaften zuläßt, eine neue Partnerschaftlichkeit und echteVäterlichkeit leben will. (HA 12.2.94)In einem solchen Umstellungsprozeß menschlicher und gesellschaftlicherKonstellationen sind folglich komplexe Verlaufsformen durchaus verständlich.Der Feminismus alter Prägung („Opfer-Feminismus") schuf und forderte diesenUmbruch in höchst vielfältiger Art und Weise — in Deutschland ist AliceSchwarzer mit ihrer „Emma" inzwischen ein (etwas überholter) Begriff geworden.In den wilden Sechzigern klagten so die Frauen ihre Rechte ein, und die männlicheHerrlichkeit „erzitterte” unter den Schlägen von „women`s lib": Es waren dieZeiten der grandiosen amerikanischen Feministinnen wie Valerie Solanas undGloria Steinern. Valerie Solanas, eine der Gründungsmütter des amerikanischenFeminismus, wollte sogar die Männer ausrotten, weil die als „halbtote, reaktionsloseKlötze irgendwo stehengeblieben sind". Sie schoß auch auf den berühmten243


Abbildung 24„Männlichkeit" ist in erster Linie ein Gruppenerlebnis...Auf einer Polizeiwache der Copacabana in Rio de Janeiro werden nach einerRazzia festgenommene „Travestis" nach Drogen und Waffen durchsucht(Aus „stern" 26/93)Künstler und Maler Andy Warhol (der als erster mit etlichen transsexuellenFilmstars arbeitete ...!) und verletzte ihn schwer. Gloria Steinern wurde bekanntdurch ihre Opposition gegen biologistische Denkweisen. In ihrem Bestseller„Revolution from Within" meinte sie, die Biologie wolle den Frauen die Fähigkeit„zum rationalen Denken" absprechen („Wir wollen weibliches Denken nicht alleinauf biologische Fakten reduzieren."), sie von „Männerberufen" fernhalten und siewieder in die Rolle des gefühlvolleren, unberechenbaren Geschlechts zurückdrängen(„Frauen wird zuviel Gefühl ins Gehirn geschoben."). Daß die biologischenUnterschiede zwischen den Geschlechtern allerdings tatsächlich vorhanden sind(und ihren Sinn haben im menschlichen Entwicklungsprozeß), haben wir bereits inKapitel 6 aufgezeigt. Speziell jedoch beim Werden des Mannes aus der Fraukommen noch die vielen psychologischen, sozialen und kulturellen Faktoren hinzu,welcher für das Verhältnis der Geschlechter („Geschlechterkampf `) die weiblichePosition — als „Opfer" des Patriarchats — so erschweren. Dies dürfte dann auchwohl ursächlich dafür sein, daß viele Feministinnen manchmal erheblich über dasangepeilte Ziel hinausschießen und entsprechend provozieren. Zu einer solchenProvokation gehört wohl auch Alice Schwarzers „Brief an meine Schwestern”(Emma 1984/1, S. 11). Darin heißt es u. a.:„Vorweg: Das Fundament meines feministischen Bewußtseins ist und bleibt dieErkenntnis, daß ,Weiblichkeit` und ,Männlichkeit` nicht angeboren, sondern aner-2 4 4


zogen sind. Daß Frausein (und Mannsein) nicht Produkt irgendwelcher Gene undHormone, sondern das Resultat einer zutiefst unterschiedlichen Erziehung,Prägung und Lebensrealität ist. Wir werden nicht als Frauen geboren, wir werdendazu gemacht. Beauvoirs Credo bleibt Kern jeder feministischen Analyse. Wollenwir sozial oder erotisch oder intellektuell oder psychisch ausbrechen aus derFrauenrolle, stoßen wir auf Widerspruch, Spott und Gewalt. Wer weiß das besserals du und ich, als wir Feministinnen?Natürlich schafft das Rollendiktat es nie, die ja eigentlich individuell jeweils dieganze Palette von ,männlich` und ,weiblich` zur Verfügung haben könnten, ganzfestzunageln auf das eine oder das andere. Aber es gelingt doch weitgehend, undwenn nicht, lassen die inneren und äußeren Konflikte nicht lange auf sich warten.Denn: der Geschlechterdrill ist nicht nur äußerlich, er steckt auch in uns, dringt unsunter die Haut, bis tief ins Mark hinein.Wir radikalen Feministinnen haben eben diesen Zustand als Einengung, alsVerstümmelung erkannt. Unser Ziel ist, in aller Schlichtheit und Vermessenheit, dieMenschwerdung von Frauen und Männern. Endlich männlich und weiblich seinkönnen und dürfen! Dafür kämpfe ich.Nicht immer geht unsere Auflehnung gegen die Halbierung von Menschen inMänner und Frauen (und gegen die Herrschaft der einen über die anderen) nurüber den Kopf. Oft haben wir ausbrechenden Frauen selbst Biographien, die esuns erleichtern, das Aufgesetzte der Rollenzuweisung zu erkennen, an denStangen des Käfigs Weiblichkeit zu rütteln.Nun gibt es aber darüber hinaus Lebensläufe und -bedingungen, die einen sehrfrühen, sehr tiefen Zweifel in bezug auf die geforderte Geschlechtsidentität pflanzen.Irgendeine Weiche ist ,falsch` gestellt worden. Resultat: ein biologisch ,männliches`Wesen mit einer ,weiblichen` Seele. Oder ein biologisch ,weibliches` Wesen miteiner ,männlichen` Seele. Menschen also, die in ihrem Körper eine ,falsche' Seelehaben, die zwischen den Geschlechtern sind. Transsexuelle.Diese Transsexuellen, von denen heute in der Bundesrepublik etwa 3.000 leben,haben nichts mit Transvestiten gemein. Transvestiten — Bezeichnung, die mangemeinhin auf Männer anwendet, die Frauenkleider tragen — lieben den Reiz derKleider des anderen Geschlechts auf ihrem Körper, mit ihrem Körper selbst sindsie durchaus in Frieden. Transsexuelle aber wollen sich nicht ,verkleiden`.Transsexuelle wollen nur eines: endlich ihren Körper in Einklang bringen mitihrer Seele. In dieser Gesellschaft gibt es eine Schublade ,Frau` und eineSchublade ,Mann`, dazwischen nichts. Darunter leiden nicht nur dieTranssexuellen. Darunter leiden die meisten Frauen (und einige Männer). FürTranssexuelle aber eskaliert der Konflikt bis zur Neurose: sie wenden sichselbstzerstörerisch gegen den eigenen Körper.Die Existenz des Transsexualismus beweist: Die Seele ist stärker als der Körper —sie bestimmt die Geschlechtsidentität. Der Körper ist nur Vorwand für dieseZuweisung. (Die Autorin: nein und nochmals nein!)Lebensläufe von Transsexuellen sind Schicksale, Heimlichkeit, Demütigung,Verzweiflung. Erst seit 1981 ist es in der Bundesrepublik für eine/n Transsexuelle/nrechtlich möglich, die Identität zu ändern: aus Karl wird nun auch im AusweisCarmen, aus Michaela Michael.245


Daß den meisten Transsexuellen der neue Ausweis nicht genügt, sondern daß sieauch einen ,neuen` Körper wollen, ja ihnen das Voraussetzung zum Weiterlebenkönnenscheint — das ist schlimm. In einer vom Terror derGeschlechtsrollen befreiten Gesellschaft wäre Transsexualismus schlicht nichtdenkbar. Transsexualismus scheint mir der dramatischste Konflikt überhaupt, inden ein Mensch auf dem Weg zum ,Mannsein` oder ,Frausein` in einer sexistischenWelt geraten kann.In diesem Konflikt haben die Transsexuellen selbst keine Wahlmöglichkeit mehr:ihr Haß auf den ,falschen` Körper ist weder durch Argumente noch durchTherapien zu lösen. Transsexuelle sind zwischen die Räder des Rollenszwangsgeraten. Einziger Ausweg scheint ihnen die Angleichung von Seele und Körper.Preis: die Verstümmelung des Körpers. Und: die Zerschlagung aller sozialenZusammenhänge. Seit Ende der 70er Jahre nun sind Transsexuelle inFrauenzentren aufgetaucht, genauer: Frauen, die einst Männer-Körper und eineMänner-Realität hatten. Oft sind sie engagierte Feministinnen. Was mich nichtüberrascht. Wer schließlich hätte schmerzlicher am eigenen Leibe erfahren, wases heißt, ,keine richtige Frau` zu sein?Der Feminismus scheint auch bei den Transsexuellen etwas ausgelöst zu haben. DieFrauen, die einst einen Männerkörper hatten, spielen weniger das Super-Weibchenund wagen mehr, auch in Hosen Frauen zu sein. Und die Männer, die einst einenFrauenkörper hatten, werden mehr: Sei es, daß sie sich früher noch weniger getrauthaben, ihren Konflikt offen zu machen; sei es, daß sich zunehmend Frauen in dieserextremen Art aus ihrer Rolle hinauskatapultieren wollen — die Zunahmeursprünglich weiblicher ,Transis` scheint mir auf jeden fall ein Ausdruck sichändernden Bewußtseins...In den Frauenzentren, vor allem in den Lesbengruppen, reagieren viele abwehrendauf die Transsexuellen. Nein, ,solche` hätten in der Frauenbewegung nichts zusuchen, das wären ja gar keine richtigen Frauen, die hätten schließlich Jahrzehntemännlicher Sozialisation hinter sich.Siehst du denn nicht, daß Carmen nicht nur deine Schwester ist wie alle anderen,sondern sogar eine, die zu uns herabgestiegen ist? Denn ein Mann, der Frau wird,hat einiges zu verlieren in einer Männergesellschaft, das weißt du doch nur zu genau.Und eine biologisch männliche Transsexuelle ist dann auch objektiv Frau, wenn sieKörper und/oder Paß geändert hat. Sie kann ihr Frausein von nun anebensowenig aufkündigen wie du und ich. UndcÏu sie nun zurücfößt,machst du ge — uau'ââsselbe wieTei Rest der Gesellschaft: du denkst in den unerbittlichenKategorien ,Mann` und ,Frau`.Und darum sind Carmen, Michael, Maria, Karin, sind sie alle meine Schwestern.Und ich würde mir wünschen, daß sie in Zukunft auch deine Schwestern sind.Und, daß du weiter mit mir kämpfst gegen Verhältnisse, die aus KörpernGefängnisse machen, in denen nur maßgeschlagene Seelen Platz haben."Alice Schwarzer macht sich in diesem anbiedernden Kommentar zur Handlangerindes von ihr so vehement bekämpften Patriarchats — sie wählt den falschenWeg des geringsten Widerstandes. Sie unterschlägt hierbei (ob nun bewußt246


oder unbewußt) das „Adam-aus-Eva"-Prinzip der Natur und unterwirft sich damitautomatisch dem patriarchalischen Machbarkeitswahn der „illusio virilis". DasWort Homosexualität fällt im ganzen Artikel nicht ein einziges mal — es wird allesauf den (künstlichen) „Terror der Geschlechterrollen" zurückgeführt, und „in einerdavon befreiten Gesellschaft wäre deshalb Transsexualismus schlicht nichtdenkbar". Eine überaus bequeme Ansicht, die offensichtlich davon enthebt, überdie weiteren Konsequenzen einer solchen „Schwestern"-Einstellung nachzudenken.Denn das Phänomen der (männlichen) Transsexualität leitet sich ja in ersterLinie aus dem Konflikt zwischen einer biologisch-homosexuellen Veranlagung undder gesellschaftlichen Normstellung ab: Über die Konfliktschiene Patriarchat —Homosexualität entsteht dann erst die Auseinandersetzung über dieEindeutigkeitskriterien von Mann und Frau. Die Akzeptanz der Transsexuellenüber die „androgynische Idee des Lebens" als Begründung für die „Möglichkeit desAndersseins" und die Ablehnung des patriarchalischen Eindeutigkeitsdogmas„Mann — Frau" über den „Preis der Verstümmelung des Körpers" (inklusiveKastrationszwang) hätte einer radikalen Feministin wie Alice Schwarzer jedenfallsbesser angestanden. So bleibt der schale Geschmack der Anbiederung unterfalscher Flagge vorherrschend.Andere gegenwärtige Feministinnen wie Camille Paglia, Naomi Wolf und SusanFaludi legen bereits wieder ganz andere Maßstäbe an im Kampf mit demPatriarchat — sie arrangieren sich mit den Männern, aber nur wenn diese sichnicht sperren. Camille Paglia hat in ihren beiden Bestsellern „Die Masken derSexualität" und „Sex, Kunst und Medienkult" (1992) einen Katalog der Tabubrücheverfaßt und damit offensichtlich den Alltagscode des Medienzeitalters geknackt:Sie befriedigt die Lust am Paradox, die Sehnsucht nach dem Skandal unddas Bedürfnis, alte Fronten im Geschlechterkrieg Jahre nach dem Waffenstillstandneu zu-eröffnen. Sie schreckt auch nicht davor zurück, die Feministinnenalter Tradition („Opfer-Feminismus") vehement anzugreifen. Ihre Thesensind eine fulminante Generalabrechnung mit einigen Selbstverständlichkeiten dermodernen Welt, als da sind: Die Natur ist gut, Frauen und Männer sind gleich(Alice Schwarzers „Der kleine Unterschied"!), und Sexualität ist von Natur ausschuldlos. In diesem Sinne sei die Natur — weit davon entfernt, Idylle zu sein —ein überaus beständiger Vernichtungsstrom ohne Respekt vor der menschlichenIdentität (wir erinnern uns diesbezüglich an die These der evolutionärenVariation!). Männer würden Kultur aus der Not erfinden, sich gegen dasVerschlingende der Natur — besonders der weiblichen — zu wehren und ihrUngebändigtes zu verdrängen (wie die biologische Homosexualität beispielsweise!).Dagegen hätten Frauen — zyklisch der Natur unterworfen — es nie nötig gehabt,zivilisatorische Leistungen hervorzubringen. Dies zeige sich bereits beim Pinkeln,wenn „der Mann dabei einen Transzendenzbogen vollbringt", die Frau dagegen„den Boden nur wie eine Gießkanne wässert". „Frauen gebären nur, Männer sindkreativ, der Mann hat mehr Verstand." Und schließlich sei Sexualität, mögenSexualpädagogen und TV Psychohygieniker denken, was sie wollen, stetsdämonisch, der „Berührungspunkt zwischen Mensch und Natur, an dem Moralund guter Wille primitiven Zwängen erliegen". Derart sei der Mensch in PagliasDenken ein im grunde zutiefst ohnmächtiges Wesen, immer wieder den dunklenZwängen neu unterworfen, die er konsequent zu verdrängen sucht247


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Abbildung 25; Seite 248Die Seele — Das den Körper formende und bestimmende Prinzip(Aus HA Nr. 126/1993)Die Seele des Menschen ist in vergangenen Zeiten höchst unterschiedlich definiertworden. In der Antike glaubte der griechische Philosoph Aristoteles, daßauch Tiere und Pflanzen eine Seele hätten, die „vernünftige" Seele aber wohnenur im Menschen, sei die formende Kraft seines organischen Körpers undbestimme sein Denken und Wollen. Und Heraklit meinte: „Der Seele Grenzenkannst du nicht ausfindig machen., und ob du jegliche Straße abschreitest; sotiefen Grund hat sie." Griechische Arzte, wie Empedokles, Alkmäon und Hippohates,vermuteten den Sitz der Seele im Zwerchfell oder im Herzen. Der französischePhilosoph René Descartes (1596 - 1650) legte dann im Zeitalter derAufklärung den Grundstein für die jahrhundertelange Auffassung, Körper undGeist seien ganz unterschiedliche Bereiche und demnach auch getrennt zuerforschen — der Mensch habe eine Seele. Dieses Credo hielt über dreiJahrhunderte stand. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts befand der deutscheChirurg August Bier: „Die Seele sitzt zwar im ganzen Körper, das Gehirn ist aberdas Hauptinstrument, auf dem sie spielt." Die Seele sei das belebende Prinzipdes Organismus, und das Leben endet, sobald sie den Körper verlassen habe.Es gab sogar Versuche, das Gewicht der Seele zu ermitteln — durch das Wiegenvon Sterbenden vor und nach dem Tode —, und viele Menschen glaubenweiterhin fest daran, daß der Mensch eine Seele hat, die seinen Körper in derSekunde des Todes verläßt — noch 1949 lobte ein amerikanischer Unternehmertestamentarisch ein Millionenvermögen für den wissenschaftlichen Seelen-Nachweis aus...Heute wird die Seele „in der Welt des Erlebens" gesehen, und Seele istdemnach alles, was der Mensch empfindet, wahrnimmt, fühlt, sich vorstelltoder will. Ganz besonders versteht man unter dem Begriff Seele dieunbewußten Erlebnisse in ihrer Gesamtheit, und dazu gehören wiederumalle Erinnerungen, Wünsche, Triebe, Wahrnehmungen und Gedanken, diedas Bewußtsein nicht erreicht haben."Mit dieser Einschätzung des Seelen-Begriffs rücken die modernen Erkenntnisseimmer weiter vom kartesianischen Credo, der Mensch habe eine Seele, ab, undes wird jetzt zutreffender formuliert: „Der Mensch ist Leib und Seele", und dieSeele ist dabei „das den Körper formende und bestimmende Prinzip".Dieses enge psychosomatische Zusammenspiel von Seele und Körper wird heutein dem noch jungen Forschungszweig der Psycho-Neuro-Immunologie vermehrtuntersucht. Insbesondere will man dabei Aufschluß darüber gewinnen, wieweitseelische Belastungen den Körper anfällig für Krankheiten machen oder —umgekehrt — eine stabile Psyche die körpereigene Abwehr, das gesamteImmunsystem, positiv zu beeinflussen vermag. Für das Phänomen der chirurgischenGeschlechtsumwandlung dürfte diese enge Verflechtung von Körper undSeele einen eminent wichtigen Entwicklungsvorgang darstellen — das „Imfalschen-Körper"-Prinzipist als Transsexualitäts-Credo jedenfalls nicht längerhaltbar.(Patriarchat schafft Transsexualität!). Fortwährend würden den humanistischenIllusionen des Menschen »die noblen Masken, die seine schmutzigen Geheimnissetarnen", heruntergerissen — in der Kunst etwa (wo sehr häufig doppelgeschlechtlicheMotive anzutreffen sind) oder in jähen Ausbrüchen sexueller Gewalt (wie inBosnien oder Afrika!). Interessante Feststellungen trifft Paglia dabei auch für diePornographie als einem verzerrtem Bild von der „Ungeheuerlichkeit der Natur", indem sich deren Häßlichkeit und Gewalt zu erkennen gäbe. Vergewaltigungen249


seien in jeder Sexualität angelegt, denn „Sexualität sei Macht und Machtihrem Wesen nach aggressiv" (Stern 47/92).Wir sind auf diese Thesen Camille Paglias deswegen relativ ausführlich eingegangen,weil sie gleichzeitig auch eine Abrechnung mit dem Phänomen derTranssexualität doch implizieren. Mann und Frau sind total verschieden, lautetihre Parole, und obwohl diese Aussage in erster Linie als Provokation gedacht ist(speziell für die Medien), haben die neuesten molekularbiologischenEntdeckungen die Richtigkeit dieser These bereits mehrfach bestätigt. Es ist zuhoffen, daß die in diesem Buch aufgestellte These der männlichenTranssexualität als Homosexualitäts-Vermeidungsstrategie vorwiegend im Sinneeines BiologieKultur-Konflikts auch derart ihre Berechtigung finden wird, bevorder Zeitgeist des Biologismus die angebliche Eigenständigkeit des(patriarchalischen) Phänomens Transsexualismus als Betrug am Menschenentlarven wird (es gibt keine „falschen Körper"!). Diesbezüglich können wir unsvoll einverstanden erklären mit dem, was Camille Paglia als Therapie gegen denSchock der „Masken der Sexualität" anbietet: „Finden wir uns mit unserem Leidab, ändern wir, was zu ändern ist und lachen wir über das übrige." Wannwerden die Transsexuellen lernen, über sich selbst erst mal zu lachen? Lachenwirkt bekannlich ja befreiend, „emanzipierend" somit...!Die amerikanische Feministin Naomi Wolf richtet sich sodann in ihrem Buch„Die Stärke der Frauen — Gegen den falsch verstandenen Feminismus" (1993)gegen den alten „Opfer-Feminismus", der die Männer nur bekämpft, und propagiertstatt dessen den neuen „Power-Feminismus". Die Frauen sollen die Querelenmit dem Patriarchat links liegenlassen und sich holen, worauf s ankommt: Machtund Geld. Männer können dabei ihre Partner sein — aber nur wenn siekooperativ sind. Sie sieht eine männliche „Götterdämmerung" und wirbt deshalbfür mehr Verständnis, ja Mitgefühl für die vom Feminismus traumatisiertenMänner. In Zukunft sollen sie sich in der Rolle des verantwortlichen Sachwalterswiederlinden und nicht mehr die Rolle des selbstherrlichen Patriarchen spielen.Außerdem verlaufe die Frontlinie schon nicht mehr zwischen Mann und Frau,sondern zwischen patriarchalischen und egalitären Vorstellungen. Sie sagt: „VieleFrauen vertreten eine patriarchalische Weltsicht, viele Männer sind für Gleichberechtigung."Mehr Macht und mehr Geld, das wäre der Weg zu mehr Einflußfür Frauen. Auch wenn beides vielfach noch für unanständig gehalten werde bzw.gewöhnungsbedürftig sei. Oft sehen die Frauen Macht als gefährlich an und bleibenlieber „unten" (weil sie sich da sicher fühlen). „Den Sieg denken lernen", heißtdie Parole zur Überwindung dieser Angst, und dafür greift Naomi Wolf sogarzurück auf die antiken Göttinnen Diana, Saba und Nike als anspornendeVorbilder (HA 26/27.2.94). Warum auch nicht!Ihre Kollegin Susan Faludi dagegen greift die unfairen Attacken an, mit denenMänner ihre Vormacht verteidigen. Eine ganz böse sei beispielsweise das angebliche,in Studien bewiesene Faktum: „Eine Frau ab 40 wird eher von einemTerroristen erschossen als von einem Mann geheiratet." Sie wehrt sich weiter gegendie über die Medien, Hollywood und die Werbung von den Männern manchmal aufhöchst hinterhältige Weise über die Frauen verbreiteten Mythen (inklusiveständiger, konsequenter Wiederholung): „Am Rande des Nervenzusammen-250


uchs stehend, bekommt sie keinen Mann, ist unfruchtbar und krank, neurotisch,von Krisen geschüttelt und ausgebrannt..." Diesbezüglich werde der wirklicheKampf vor allem um den Zugang zu den Medien ausgetragen, und als nächsterSchritt müsse eine weltweite Feminist News Service Organization stehen.Ebenso stellt sie die Frage, warum die Männer so vehement gegen den Feminismusvorgehen, wo doch der Durchschnittsmann auch keine Macht habe — dasPatriarchat sei eine im Grunde überaus elitäre Institution mit Feudalcharakter.Und über den bisher üblichen Zugang zu den Medien würden die verschiedenenRichtungen des Feminismus vom Patriarchat gnadenlos gegeneinander ausgespielt.Der Feminismus müsse zur Ideologie werden und einen wirklich politischenCharakter erhalten: Die Frauen brauchten — nach zwölfjährigem „Schlafwandeln"— jetzt Macht. Andererseits eskaliere die Gewalt der Rechten, und eswerde zu einem (gewalttätigen) Kulturkampf gegen radikale Feministinnen kommen:Susan Faludi sieht hier eine echte Gefahr. (HA 4/5.92)Auch hier haben wir uns genötigt gefühlt, die feministischen Gegebenheiten derModerne kurz zu beleuchten, sind sie im Grunde ja auch auf den Transsexualismusübertragbar. In dem Maße, in dem das Patriarchat sich — über denVormarsch der Rechten weltweit — gegen die Beschneidung seiner Rechte (unddamit gegen seine „Vermenschlichung") wehrt, läuft auch die TranssexualitätGefahr, unter die Räder des patriarchalen Eindeutigkeitswahns zu kommen.Transsexualität: „nein", Geschlechtsumwandlung: „ja" ist eine Entwicklung, diebereits jetzt eingesetzt hat und dazu führt, daß die Chirurgie zum einzigen Mittelwird, ein transsexuelles Empfinden schwarzweiß zu kanalisieren. Ein ersterHinweis darauf bietet bereits die seit 1992 gültige Regelung für die neuen EG-Pässe, die für alle Mitgliedsländer einheitlich gestaltet herausgegeben werden. Inder Rubrik 9 ist jetzt wieder die Geschlechtszugehörigkeit zu vermerken, und mitdieser Regelung dürften die in den Ländern mit Transsexualitätsgesetzenvorgesehenen Sonderregelungen bei der Gestaltung der direkten Ausweispapiereproblematisch werden. Die sogenannte „kleine Lösung" wird auf diese Weise verunmöglichtund die Suggestion der „großen Lösung" erheblich verstärkt — ein überausfataler Vorgang in der transsexuellen Problematik. Hinzu kommt, daß — wiebereits öfter erwähnt — viele Transsexuellen-Selbsthilfe-Gruppen mit ihrerIndoktrinierung auf die Chirurgie dem Patriarchat sozusagen in die Hand arbeitenund damit zu Komplizen jenes Systems werden, das ihre Eliminierung im Grundebereits plant (Dörner u. cs). Was im Dunstkreis des patriarchalischenMachbarkeits-Wahn-Denkens abläuft, müßte auch dem uneinsichtigsten „Berufs"-Transsexuellen eigentlich inzwischen klargeworden sein — zumindest müßte derVormarsch der Rechten nachdenklich stimmen. Daß dem noch lange nicht so ist,beweist andererseits wieder die Entschließung zur Diskriminierung vonTranssexuellen durch das Europäische Parlament vom 12.9.1989 (hierzu auch dieBundestagsdrucksache 11/5330 vom 5.10.89). Hierin wird bedauert, daß dasVerfahren zur Geschlechtsumwandlung für Transsexuelle noch immer nicht inallen Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft geregelt worden ist und diedamit zusammenhängenden Kosten von den Krankenkassen übernommenwerden, daß es für Transsexuelle an vielen Stellen noch immer Diskriminierung, jasogar Kriminalisierung, gibt und meistens auch hohe Arbeitslosigkeit in Kauf251


genommen werden muß. Ebenso werden Forderungen aufgestellt bzw.Empfehlungen abgegeben in bezug auf:- das Recht von Transsexuellen auf hormonelle, plastisch-chirurgische undästhetische Geschlechtsumwandlungsmaßnahmen- das Recht auf Kostenerstattung durch die Krankenkassen- das Recht auf Sozialhilfe für solche Transsexuelle, die durch die Geschlechtsumwandlungihre Arbeit verloren haben- das Recht auf Ausstellung von entsprechenden Ausweisen und aufArbeitsvermittlung- das Recht, Verfolgungen wegen Transsexualität als Asylgrund anzuerkennen- die finanzielle Förderung von Beratungsstellen, Selbsthilfeorganisationenund Forschungsprogrammen- das Verbot der Diskriminierung von Transsexuellen am Arbeitsplatz usw.Weiter wird in der genannten Entschließung der Europarat sogar dazu aufgefordert,eine Konvention zum Schutze von Transsexuellen zu erlassen — eine fastperverse Inszenierung seitens des (europäischen) Patriarchats und eine völligeVerkennung der tatsächlichen Verhältnisse seitens der Transsexuellen.Ansprüche in einer derartigen Art und Weise fast ultimativ zu stellen kann jedenfallsmehr Probleme schaffen als lösen — ein ausuferndes transsexuelles „Anspruchsdenken"sollte deshalb unterbleiben und die Konsensbereitschaft in derGesellschaft nicht über Gebühr — "von oben herbeigeregelt" — strapaziertwerden. Die gesellschaftliche Integration der transsexuellen Problematik kann nureinvernehmlich erfolgen zwischen allen Beteiligten, niemals „auf Anweisung" bzw.einseitig erzwungen bzw. aufgrund schiefer Grundlagen — Geschlechtswandel:„Ja" — Mythos: »Nein". Und schon gar keine staatliche Bevormundung für „dieTranssexuellen" als amorphe Gruppe.Sexuelle IdentitätDie bei geschlechtsgewandelten Transsexuellen vorzunehmende Personenstandsänderunggemäß § 8 TSG (Voraussetzungen zur Feststellung derGeschlechtszugehörigkeit) ermöglicht die Heiratsfähigkeit — allerdings wie bisherim üblichen „Hetero"-Rahmen. Gleichzeitig sind in Deutschland sehr starkeBestrebungen im Gange (u. a. vom Schwulenverband in Deutschland [SVD]) nichtnur Männer und Frauen, sondern auch Homo- und Heterosexuelle im Sinne desGrundgesetzes gleichzustellen. Um diese Interpretation des Artikels 3 derVerfassung durchzusetzen, soll bereits 1994 eine politische Großinitiative gestartetwerden. Hierzu ist in der gemeinsamen Verfassungskommission von Bundestagund Bundesrat bereits gefordert worden, den Gleichheitsgrundsatz der Verfassungum das Kriterium der »sexuellen Identität" zu erweitern. Ebenso soll dieVerfassungskommission einen Vorschlag konkretisieren, wonach der Staat diegesellschaftliche Gleichberechtigung von Mann und Frau fördert und „auf dieBeseitigung bestehender Nachteile hinwirkt". Vorgesehen ist zudem eine Ände-252


ung des Artikels 6 (Schutz von Ehe und Familie). Künftig sollen auch auf Dauerangelegte Lebensgemeinschaften ohne eheliche Bindung im Grundgesetz „geachtet"werden. Hierbei anerkennt das Bundesverfassungsgericht eine „Verantwortungs-und Einstehensgemeinschaft" in seiner Rechtsprechung, das Grundgesetzaber nicht. Diesbezüglich merkte Bundesfamilienministerin Hannelore Rönsch1992 an, eine Änderung des Grundgesetzes zur Absicherung gleichgeschlechtlicherPaare sei „unsinnig und überflüssig": Entsprechende Vorschläge seien„ohne Bezug zur Wirklichkeit", und das Grundgesetz schütze ausdrücklich dieEhe von Männern und Frauen, weil sie die beaten Voraussetzungen für intakteFamilien und beständige Partnerschaften biete. Auf eine diesbezügliche Nachfrageeines hannoverischen Freundespaares antwortete die Ministerin u. a.:Sehr geehrtevielen Dank für Ihr Schreiben vom 14.04.1992.Die Ehe ist nach allgemeinem Rechtsverständnis die grundsätzlichlebenslange Verbindung eines Mannes mit einer Frau zur Lebensgemeinschaft.Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes, der Ehe und Familie unter denbesonderen Schutz der staatlichen Ordnung stellt und der als wertentscheidendeGrundsatznorm Maßstab und Grenzen für Gesetzgebungund Gesetzanwendung setzt, knüpft an dieses voretaatliche, naturgegebeneVerständnis des Begriffe "Ehe" an.Die Beschränkung der Ehe auf Lebensgemeinschaften zwischen Mannund Frau erklärt sich nicht nur nue der Tradition, sondern auchsus dm im Verfassungswortlaut deutlich werdenden untrennbaren Zusammenhangdieses Inetituts mit dem Institut der Familie. Die Ehewird geschützt ale Grundlage für die Reimzelle jeder menschlichenGesellschaft, die Familie. Diese wichtige Funktion der Ehe entfälltbei der Lebensgemeinschaft zwischen gleichgeschlechtlichenPartnern aus naheliegenden natürlich-biologischen Gründen, so daßich jedenfelle aus den in meinen Zuständigkeitsbereich fallendenfamilienpolitischen Erwägungen heraus keinen Anlaß für eineInitiative in die von Ihnen vorgeschlagene Richtung Sehe.Diesbezüglich ist es überaus interesssant festzustellen, daß, als Bill Clintonvor über zwei Jahren mit massiver Hilfe der Lesben- und SchwulenbewegungPräsident wurde („I have a dream of America and you are a part of it"), in denUSA auch gleich eine starke Gegenbewegung einsetzte gegen die schwulenfreundlichePolitik Clintons. Organisationen wie „The Value Family Group"versuchen seither permanent, den Einfluß von Schwulen und Lesben mittelsantischwulen Gesetzesvorlagen wieder einzuschränken: mit Sprüchen wie „Godmade Adam und Eve, and not Adam and Steve” wird dabei insbesondere diegleichgeschlechtliche Ehe ins Visier genommen.Aber auch das Patriarchat als solches zeigt(e) sich mit dem Reformvorschlag derHomo-Ehe — ähnlich wie bei der Konstituierung des TSG — wiederum äußerstspitzfindigen Unterstellungen zugänglich. Diesbezüglich wäre es im gesellschaftlichenSinne beispielsweise überaus folgenreich, wenn Homo-Partnerschaftenjuristisch der Ehe gleichgestellt würden, weil dann die staatlichen253


Vergünstigungen für Ehepaare, ganz egal ob homo oder hetero, alle Bürger verlangenkönnten, die zu zweit auftreten — damit wäre jedoch das Institut der Eheüberholt und das gesellschaftliche Chaos vorprogrammiert... Auch eine Sicht derDinge!Obwohl solchermaßen durchaus ein Kompromiß im Sinne des dänischen und desholländischen Partnerschaftsmodells (gleichgeschlechtliche Paare können eine„registrierte Partnerschaft" eingehen) möglich wäre, beharrt die transsexuelleRechtsanwältin Maria Sabine Augstein in einem von ihr übernommenen Fall (vonSinnen — Scheel) allerdings auf diesem unbedingten Gleichheitsprinzip imjuristischen Sinne, und dies, obwohl auch das Verfassungsgericht bereits 1980 formulierte,Ehe sei die Vereinigung eines Mannes und einer Frau zu einer aufLebensdauer angelegte Lebensgemeinschaft. Nach dieser Definition seien Homo-Beziehungen vor allem auch im juristischen Sinne (Mann und Frau) somit keineEhen, doch die auch in transsexuellen Angelegenheiten überaus aktive AnwältinAugstein stört das wenig: „Auch Gerichte müssen einen gesellschaftlichen Wandelirgendwann berücksichtigen." Es gäbe keine gesetzliche Definition der Ehe, und dieAnsicht, daß Ehen immer aus Frau und Mann bestehen müssen, sei eine engeInterpretation der Verfassung — ausdrücklich verbiete weder der Eheartikel desGrundgesetzes noch das Ehegesetz die Heirat von Homosexuellen. Laut Ehegesetzwären die Deutschen allesamt Neutren oder Hermaphroditen (!), ganz nachGeschmack. Die einschlägigen Texte erwähnten den kleinen Unterschied nichteinmal mehr. Stets sei von Ehegatten die Rede, nie von Männern und Frauen. DasGrundgesetzgebot der Gleichberechtigung zwänge den Gesetzgeber, nach und nachin den Eheparagraphen geschlechtsneutrale Bezeichnungen zu wählen. Mann undFrau kämen nur noch in wenigen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches vor,wie etwa im Paragraphen, der das Namensrecht nach einer Heirat regelt und vomhöchsten Gericht bereits als teilweise verfassungswidrig bezeichnet wurde. Zudemhabe das Bundesverfassungsgericht bereits 1973 entschieden: „Die Freiheit, miteinem selbstgewählten Partner eine Ehe einzugehen, bildet einen elementarenBestandteil der durch die Grundrechte gewährleisteten freien persönlichen Existenzdes Menschen." (Spiegel 23/1992)Zusammen mit den seitens des Patriarchats gemachten Bocksprünge bei derKonstituierung des per 1.1.1981 in Kraft getretenen (überflüssigen) Transsexuellengesetzes(TSG) kann die erwähnte Argumentation nur noch zu der Schlußfolgerungführen, daß hier der Existenz jeglicher staatlichen Ordnung bezüglich desmenschlichen Zusammenlebens der Garaus gemacht werden soll. Geschlechtsumwandlungund Gleichgeschlechtlichkeit im gleichen gesetzlichen Rahmen derEhe zu konstituieren und damit alle Möglichkeiten des menschlichen Zusammenlebenskreuz und quer zu sanktionieren, ist eine Absage an jegliche (biologische)Ordnung. Diese ist im Grunde bereits jetzt schwer angeschlagen, nicht zuletzt dadas TSG die Möglichkeit tatsächlich bietet, daß geschlechtsgewandelte Personensich gegenseitig wieder heiraten (ARD [Fliege-Talkshow vom 28.2.94] und Stern [1991] berichteten bereits darüber) — mit der Möglichkeit von Homo-Ehen zusätzlichwären dann alle Schranken gefallen.Zudem wäre — was sehr oft bei solchen Überlegungen unterschlagen wird — das„Ameisenstaat"-Prinzip hinsichtlich der gesellschaftlichen Organisationsstruktur2 5 4


ein beträchtliches Stück nähergerückt. Denn, auch wenn der Mensch — wie imFalle des Geschlechtsumwandlungs-Rituals — dabei im gesundheitlichen Sinne„hingerichtet" wird, Hauptsache, das Ganze wird irgendwie (kulturell) » gerichtet",d. h. nach der Willkür der „illusio-virilis"-Hybris. Kann dies die Vision einergerechten Gesellschaft für alle sein, oder ist es nicht eher so, daß das Kollektivnicht den Wahn des einzelnen fürchten muß, sondern der einzelne eher den Wahndes Kollektivs? Eine solche nahtlose (angebliche) Gleichstellung des psychischenGeschlechts mit dem biologischen Geschlecht könnte deshalb — vor allem imHinblick auf die dafür erforderlichen körperlichen Eingriffe — zu gefährlichen„Ameisenstaat"-Prinzip-Strukturen führen. Der französische Historiker GeorgesDuby sagt in seinem Werk „Geschichte des privaten Lebens" (1994), nie sei dieFreizone des einzelnen so bedroht gewesen wie in der elektronisch verwaltetenWelt am Ende dieses Jahrhunderts (!). Er sieht die Zeit bald kommen, wo die„Sturmfluten des technischen Fortschritts die letzten Schutzwälle um das Privatemit sich fortreißen" und — „wenn wir nicht achtgeben" — „die Praktikenstaatlicher Kontrolle das Individuum zu einer Nummer in einer riesigenbeängstigenden Datenbank herabwürdigen werden." Wahrlich überausapokalyptische Voraussichten... Siehe hierzu auch <strong>Kamermans</strong>, J.: „MythosGeschlechtswandel", Drittes Kapitel: » Geschlechtliche Zwischenstufen in derNatur", S. 82 - 86, für die Organisationsstrukturen in Insektenstaaten.Sexuelle ArtikulationIn den vorhergehenden Ausführungen haben wir uns größtenteils über dieAuseinandersetzungen zwischen Patriarchat und (männlicher) Homosexualitätunterhalten: Wir stellten fest, daß es sich dabei um eine biologisch vorgegebeneVeranlagung handelt und das Patriarchat — als „Männlichkeits-Bastion" getarnt -„Homosexualitäts-Vermeidungsstrategien" jeglicher Art inszeniert hat. Auch dieGeschlechtsumwandlungs-Thematik im Rahmen der (männlichen) Transsexualitätgehört dazu („künstliche” Frauen als Ersatz für biologische Frauen). Gleichzeitigzeigten wir auf, wie Amerikas homosexuelle Frauen sehr selbstbewußt gewordensind und „Lesben`-Schick „in" ist: Sogar die Werbung arbeitet mit lesbischenMotiven (Modefirma „Banana Republic"). Inzwischen (1993) zeigt ein Newsweek-Titelbild sogar ein lesbisches Pärchen und Frauenzeitschriften wie„Mademoiselle" und „Vogue" überschlagen sich geradezu („Auf Wiedersehen fürein letztes Tabu", „Jetzt ist jeder verrückt nach schwulen Mädchen"), während aufdem Cover der (feinen) Zeitschrift „Vanity Fair" Starmodel Cindy Crawford undTopsängerin K. D. Lang für Auflagenrekorde sorgen. Auch Madonna und dieKomikerin Sandra Bernhard flirten öffentlich: Die Frauenliebe ist — wenigstensnach außen — kein Tabu mehr in den USA. Der alte Stereotyp von der verbiestertenund verbitterten Frauenrechtlerin gerät, wie wir bereits bei den JungfeministinnenNaomi Wolf und Susan Faludi sahen, immer mehr ins Wanken, undjunge Lesben stürmen auf die öffentliche Bühne. Und weil Lesben auf einmal2 5 5


nicht nur sichtbar, sondern auch angesagt sind, ist der Andrang groß. Als „homoauf den Straßen, aber hetero auf den Laken" bezeichnete das New YorkerWochenblatt »Village Voice" ein völlig neues Phänomen: Frauen, die von langweiligenPartys und aufdringlichen Männern genug haben, geben sich homosexuellund amüsieren sich in Lesbenklubs. Vielen wirklich homosexuellen Frauen gehtder Rummel, „dabei" bzw. „ein bißchen dabei" zu sein, bereits wieder auf dieNerven: Es ist vieles zu gekünstelt geworden. (Spiegel 29/1993)Wir ersehen aus diesen Informationen, daß — wie bereits bei Elisabeth Badintererkennbar — der „verstümmelte" Mann offensichtlich auch in einem solchen Sinneden Hang der Frauen, Kontakte unter sich zu suchen, verstärken kann — einMangel an „Zärtlichkeit" kann leicht dazu führen, sich neuen Partnern zuzuwenden.Daß dabei Frauenbeziehungen von einer solchen (kulturellen) Konstellationbesonders profitieren, dürfte auf der Hand liegen — homosexuelle Beziehungen vonFrauen untereinander sind ganz anders gelagert als bei Männern: Sie haben keinebiologische Komponente. Die emotionale Wärme einer Frau kann aber ein überausverheißungsvolles „Kontrastprogramm" zum „patriarchalischen" Verhalten einesMannes darstellen, nicht zuletzt auch, weil Frauen, die zusammenleben, eher als„harmlose" gute Freundinnen eingestuft werden, während dagegenLebenspartnerschaften von Männern gleich verdächtig erscheinen. Insofern kannnatürlich ein „Outing"-Prozeß für Frauenpaare eine Änderung der Einstellung derGesellschaft ihnen gegenüber bedeuten, aber ein solches Zeitgeistphänomen, wiees jetzt in Amerika abläuft, wird doch wesentlich erleichtert durch die traditionelle,gesellschaftliche Toleranz gegenüber Frauenbeziehungen jeglicher Art (da jaaußerhalb des Patriarchats). Davon profitieren selbstverständlich auch diePartnerschaften zwischen Mann-zu-Frau-Transsexuellen und Frauen, weil beidieser Form des menschlichen Zusammenlebens eine allfällige „lesbische" Komponente— wir erwähnten dies bereits — weniger direkte Probleme der Öffentlichkeitgegenüber bereitet als die vermutete homosexuelle Konstellation in denmännlichen Partnerschaften von Mann-zu-Frau-Transsexuellen. Es kann alsoohne weiteres festgestellt werden, daß Frauenbeziehungen überwiegend kulturelleKonstrukte sind, Männerbeziehungen (auch die platonischen!) vorwiegend einenbiologisch-homosexuellen Charakter aufweisen. Wohl aus einem solchen Grundefinden wir in einer Regenbogen-Illustrierten (Neue Revue) in einer Reportage überdie Hochzeit der Mann-zu-Frau-Transsexuellen Jessica Loren 1992 denbezeichnenden Satz: „Aber der Bankkaufmann stellt eine Bedingung: ,Meine Elternund meine Freunde sollten nicht glauben, daß ich homosexuell bin. Ich möchte,daß du dich umoperieren läßt."` Eine übrigens vieldeutige Aussage.Weiter sei noch auf das eher amüsante Phänomen einer transsexuellen„Emanzipation" in der alltäglichen Kontaktbörse „Treffpunkte" der HamburgerMorgenpost hingewiesen, in deren Spalten die transsexuellen Prostituiertenungeniert und offen mit ihren körperlichen, doppelgeschlechtlichen Maßen jonglieren.Solche sexuell-attraktiven Kombinationen wie BH 20 und 40 cm oder BH25 und 30 cm machen (offensichtlich) absolut keine Mühe — die Gleichheit vonMann und Frau ist hier völlig hergestellt, und das (latent schwule) Patriarchatfreut sich über soviel „Leistung".256


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Ist also die Emanzipation von Mann-zu-Frau-Transsexuellen im gesellschaftlichenSinne recht kompliziert, verläuft sie normalerweise bei Frau-zuMann-Transsexuellen wesentlich leichter — die hormonelle Medikation vermag dabei ofterstaunliche Verwandlungen hervorzurufen. Es handelt sich dabei jedoch — wiewir wissen — nur um „Etappen"-Wirkungen, und wie der vorprogrammierte,biologische Langzeiteffekt der lebenslänglichen Hormonmedikation (wie beimAnabolika-Doping) sowie die künstliche Menopause sich schließlich auswirkenwerden, steht in den Sternen: Es gibt keinerlei gesicherte Erkenntnisse, vor allemnicht, wenn übermäßige Testosteron-Dosierungen eingesetzt werden(„Männlichkeits”-Effekt vorwiegend nur hormonell auslösbar!). Nicht zuletzt istjedoch die leichtere gesellschaftliche Integration von Frau-zu-MannTranssexuellenauch vor allem darauf zurückzuführen, daß die Interessen des Patriarchats nuroberflächlich tangiert werden („keine Konkurrenz").Biologische und kulturelle GeschlechtsbestimmungHaben wir bisher aufgezeigt, wie im kulturellen Sinne derzeit bereits die beidenGeschlechter gemixt und gewandelt werden, so ist die Möglichkeit der biologischenGeschlechterbestimmung vor der Geburt bereits gleichfalls voll im Trend.Für ca. 6000 DM können Eltern in der britischen Kronkolonie Hongkong derzeitdas Geschlecht des Nachwuchses bestimmen lassen: In Kowloon eröffnete 1993die erste Geschlechtswahlklinik. Hier können sich patriarchalische Eltern ihr„Designer-Baby", Junge oder Mädchen, regelrecht aussortieren lassen: Erfolgsratebei Jungen 75 bis 80 Prozent, bei Mädchen 70 Prozent...! Das Geschäft boomtnicht zuletzt aus typisch chinesischen Gesellschaftsgründen: Um das Erbe undden Familienstammbaum zu sichern, ziehen Chinesen Jungen den Mädchen vor,besonders seit es in China die Ein-Kind-Bestimmungen gibt. Die Ärzte versprechen— wie vorher schon erwähnt — bis zu achtzigprozentige Chancen, das Geschlechtdes noch nicht gezeugten Kindes zu bestimmen. Hierbei werden diemännlichen und weiblichen Geschlechtszellen des Vaters in einer Zentrifugegetrennt und anschließend die (natürliche) Mutter mit den gewünschtenChromosomen künstlich befruchtet. Das System funktioniert deswegen, weil beider Beschleunigung in der Zentrifugalscheuder die männlichen Samenzellen einwenig schneller vorwärtskommen als die weiblichen und so getrennt werden können.Man macht sich dabei die Entdeckung zunutze, daß die Y-Geschlechtszellenin einem mit Eiweißstoffen gefüllten Reagenzglas (im schwerkraftmäßigen Sinne)rascher nach unten schwimmen als die X-Erbträger. Mittels Hormoninjektionenin den mit X-Zellen angereicherten Samen kann — falls ein Mädchen gewünschtwird — die Trefferquote noch erhöht werden. Ein Liebesakt ist nicht erforderlich,und die Nachfrage ist enorm. Dabei wünschen sich vor allem Asiaten und Arabermännliche Nachkommen (70 %), Europäer eher Mädchen (30 %). Auch in Londonist inzwischen eine solche Geschlechtsklinik eröffnet: Patriarchat, Profit undScharlatanerie schrecken offensichtlich vor nichts mehr zurück, und die traditio-258


nellen, natürlichen Kontakte werden immer mehr „technisiert" — „koste es,was es wolle" ...Hat die Natur die (biologische) Gleichstellung von Mann und Frau über diewahrhaft gigantischen Verhältniszahlen zwischen männlichen Samenzellen undweiblichen Eizellen aufgebaut (Wahrscheinlichkeitsprinzip) und damit die unterschiedlichenbiologischen Ausgangslagen des »Risikos", Mann oder Frau zu werden,doch irgendwie ausbalanciert, so gibt sich wohl offensichtlich das Patriarchat auchhier wieder nicht zufrieden mit der von der Natur gewollten geschlechtlichenAusgewogenheit (auch wenn sich im großen und ganzen derzeit bei der Geburt imVerhältnis männlich — weiblich die Relation 105 zu 100 eingestellt hat. Über diekünstliche Geschlechterbestimmung vor der Geburt wird versucht, die Grenzenzwischen Mann und Frau zu verschieben und die Männlichkeit offensichtlichwiderspruchslos aufzuwerten. Und sollte das männliche Kind nach der Geburtdann aus den uns bekannten biologisch-homosexuellen Gründen noch immernicht ins patriarchalische Konzept passen, bleibt jederzeit noch die Möglichkeit derGeschlechtsumwandlung — das Suggestionskonzept der beliebigenAuswechselbarkeit der Geschlechter hat inzwischen alle Abgrenzungen imursprünglich-natürlichen Sinne zur kulturellen Makulatur erklärt: Nirwana oderGötterdämmerung der künstlichen Geschlechter? Aus diesen Gründen ist es allerhöchsteZeit, daß das Neue Denken wieder zu neuen Gesichtspunkten führen wird— die Emanzipation der Frauen ist ein erster Ansatz dazu. Die Emanzipation derTranssexuellen wird dagegen erst einsetzen können, wenn dieselben sich wiederfreigemacht haben werden von den sich jetzt manifestierenden Eindeutigkeitsvorstellungenim patriarchalischen Sinne. Der Mensch, ob nun Mann oder Frau,der sich nebenbei auch noch transsexuell verhält, muß wichtiger werden als derTranssexuelle, der sich nebenbei auch noch als Mensch (operativ) verhalten darf.Dabei müssen wir uns bewußt sein, daß die Evolution offensichtlich die biologischeVariation des Menschen fördert (soweit überhaupt feststellbar), das Patriarchatsich jedoch anmaßt, die kulturelle Diktatur der Geschlechter (ob nun biologischvorgefunden oder künstlich inszeniert) zu propagieren. Wie deshalb die derzeiteingeleitete Entwicklung nach mehr soziokultureller Gleichheit der Geschlechterseitens der Frauen sich auf die vorgenannten Zielvorstellungen des Patriarchatsauswirken wird, ist — weil generationsmäßig bedingt — noch völlig offen. Zu hoffenist jedoch, daß die Vernunft bald wieder Einzug halten wird und das Augenmaßder (patriarchalischen) Wissenschaft — aber nicht zuletzt auch seitens derbetroffenen Transsexuellen — dabei im verstärkten Maße gewährt bleiben wird.Ansonsten kann das bisherige Pendel der Toleranz sehr rasch und hartzurückschlagen: Der aufkommende Rechtsradikalismus ist das erste (sichtbare)Anzeichen patriarchalischer Wendemanöver. Hierbei ist nicht zuletzt zu beachten,daß es überaus gefährlich ist, wenn in diesem Zusammenhang bestimmteGruppen nicht mehr als Individuen gesehen werden. Wenn es also heißt „die Ausländer"oder „die Transsexuellen" und der einzelne nicht mehr gesehen wird bzw.interessant ist. Das besonders in den Transsexuellen-Selbsthilfegruppen und -organisationen zur Zeit feststellbare Faktum der Abkopplung des Phänomens derchirurgischen Geschlechtsumwandlung von der transsexuellen Thematik als solcherist deswegen ein überaus riskantes Unternehmen. Die nachgewiesene (dochheftig geleugnete) Nähe zur Homosexualität (keine Krankheit!) kann im End-259


effekt deswegen mehr einbringen, als sich einfach — aus falsch verstandenerTäter-Opfer-Loyaliät — nur dem Patriarchat und seinem (krankhaften?)Machbarkeitswahn auszuliefern. In diesem Denken muß die „kleine Lösung" imRahmen des transsexuellen Empfindens wieder vermehrt als Lebensform anerkanntund der kollektive Zwang gegenüber der individuellen Freiheit derEntscheidung zurückgestellt werden — denn gerade die Eindeutigkeitsauflagenmachen die Transsexuellen ja suizidal krank. Es ist einfach deprimierend, wie einesolche „künstliche" Konstellation in den Medien auch noch unentwegt suggeriertwird. In einer Fernseh-Vorschau hieß es dazu im Spiegel 45/1993 beispielsweise:„Transsexuelle — Fremd im eigenen Körper. Marion Schmidts Beitrag zur WDR-Reihe ,Signale` verschweigt nicht das Leid, daß ein Geschlechtswechsel mit sichbringt. Dennoch dominieren bei den einfühlsam (!) porträtierten Transsexuellendie Freude (!) und das Glück (!), sich einem vermeintlich unabänderlichenSchicksal (!) nicht gebeugt zu haben — was nach anfänglicher Verwirrung auchvon Angehörigen und Arbeitskollegen akzeptiert würde. Für manche aber endetder Kampf um die Geschlechtsidentität mit Selbstmord (!)." Immerhin wurdewenigstens das „Im-falschen-Körper"-Klischee ausgelassen...Eine solche Suggestion von Ursachen und Folgen künstlich hergestellter Ausgangspositionenbietet auch das nachstehende Interview mit dem Kieler SexualmedizinerProf. Reinhard Wille. Dieser gilt in Norddeutschland als Koryphäe undhat seit 1965 als Forscher, gerichtlicher Gutachter und Therapeut reichhaltigeErfahrungen mit Transsexuellen und anderweitig sexuell auffälligen Menschen(Interview-Text!) gesammelt (siehe Seite 261).Das an sich sehr interessante Interview zeigt allerdings wiederum die Ausgangslageeines originären „psychischen Geschlechts" auf der Grundlage des„Imfalschen-Körper"-Konzepts, endet dagegen relativ einsichtig. In einemsolchen Sinne sind derartige Denkansätze für die Strategie des Neuen Denkenssehr wichtig, nicht zuletzt wenn sie von den „Koryphäen" kommen.Von einer solch neuen Ausgangsposition des Zweifels an den bisherigenTranssexualitäts-Axiomen wünscht sich auch Prof. Volkmar Sigusch — wie bereitserwähnt — in seinem neuen Buch „Geschlechtswechsel" (1993) neuerdings dieTranssexuellen jenseits des „Geschlechtswahns", den er für einen „individuellenReflex auf den kollektiven Geschlechtswahn der „Normalen" hält. Sie sollten zuihren Transgressionen stehen, d. h. zu ihrer Weiblichkeit mit männlichem Körperund zu ihrer Männlichkeit mit weiblichem Körper. Dann würden sie von der„Würde" der psychiatrisch-chirurgischen Krankheitseinheit zur „Würde" einersozialen Minderheit. Allerdings wäre dies eine Provokation sondergleichen in einerGesellschaft, die dem Geschlechtswechsel und den Geschlechtsübergängen keineninstitutionellen Ort einräumt jenseits der Kliniken und Kanzleien. In einerGesellschaft, die trotz aller Geschlechtsrollenaufweichungen von der gesellschaftlichenArbeitsverteilung bis zum Rechtssystem keinen Zweifel daran läßt,welches Geschlecht das „sexus sequerior" ist, das zweite. Ein solches Beispielgesellschaftlicher Einbetonierung des patriarchalischen Machbarkeitsdenkensdürfte auch der nachfolgende Bild-Artikel (Ausgabe 26.2.94) darstellen. Darinwerden im Grunde sämtliche Klischees der Transsexualitäts- undGeschlechtswandel-Thematik überaus lakonisch („die gewöhnlichste Sache der2 6 0


Fragen an den Kieler Sexualmediziner Prof. Wille:Kleiner Unterschied ganz groß®Sexualmediziner Profsen. Bei der großen geht es überDr. Dr. Reinhard Wille giltOperation bis zur Änderung des9 Geschlechts at der GeburtsurinNorddeutschland als Ko-kunde.ryphäe. Seit 1965 hat er alsWie gehen Sie medizinisch aufForscher, gerichtlicher Gut-die Transsexuellen ein?9Unser ethischer Maßstab ist,achter und Therapeut reich-dem dauernden Wohl des PatienhaltigeErfahrungen mitten zu dienen. Wir setzen also dieTranssexuellen und ander- sexuellen sind der beste Beweis Beobachtungszeit mit zwei Jahdafür.ren relativ lang an, bis wir sicherweitig sexuell auffälligen Kann man denn eindeutig sind,daßdem Patienten durch ei-Menschen gesammelt. feststellen, ob ein Mensch trans- ne Anpassungsoperation gebotsexuellist oder nicht?Fee werden kann.Seit wann ist die Yrooaecxuo- In 80 Prozent der Fällen ist das Wie erfolgreich ist eine Anpaslitätgesetzlich anerkannt?relativ leicht. Der Patient vermitsungsoperation?Prof Wille: Seit Inkrafttreten telt eindeutig: Ich bin ein Irrtum Die Quote ist hoch, doch nichtdes Transsexuellengesetzes 1980. der Natur, meine Seele, meine jede glückt. Manchmal könnenVorher befanden sich Ärzte und Identität befinden sich im fat- nicht alle sexuellen Wünsche er-Patienten in einer rechtlichen sehen Körper. Weiterhin möchte fülll werden, aber wir klaren tiberGrauzone. Die Meinungen gin- ernach der Umwandlungeine he- die Risiken auf. Schwierig istgen auseinander, ob solch eineterosexuelle Verbindung eingesuchdie UnlerbrinEvngimKran-Operation sittenwidrig sei oder hen. Wenn außerdem noch das kdnhaus. Für eine Frauenkliniknicht. gegengeschlechtliche Outfit und bringt es schon Probleme mitWievielTranssexuellegibtes? die Lebensführung stimmen, ha- sich, einen physischen Mann un-Man geht etwa von einem auf be ich an der Diagnose keine terzubringen.8000 Einwohner aus. Das wärenin Kiel 25 bis 30. in Schleswig-Zweifel.as ist mit den restlichen 20Bleibt nach der Operation dieHolstein etwa 250 bis 350 und n Prozent? Fähigkeit zur Lust erhalten?der Bundesrepublik zwischen6000und 10000.Das sind oft selbst unentschicdeneLeute, die glauben, daß ihreMeistens ja. Doch cheid dasKörperliche ist entscheidend.Wie sieht die Gefühlswelt der persönlichen Probleme oder ihre Das Erfolgsorgan der Lust ist dasGehirn.Transsexuellen aus? psychische Zerrissenheit durch Wollte ein Patient sich schonJeder Transsexuelle macht ei- eine Umwandlung gelöst wür- mal zu seinem ursprünglichenne Phase cinerextremenexisten- den. Geradeinden letzten Jahren. Geschleckt znuückoperierentiellen Verunsicherung durch. mehren sich die diagnostisch lassen?Plötzlich zu wissen: Ich bin psy- schwierigen Fälle. Neinbei mir nicht. ln DeutschchischeineFrauundsichabervor Wie alt sind ihre transsexuel- landsind insgeeamterstetwafünfdemSpiegel auszuziehen undsei- Len Patienten? Patienten mildiesem Wunsch benemunverkennbar männlichen Früher, in den 70er und 80er kanntgeworden.Körper mit all seinen Attributen Jahren, waren es sehr viele ältere Wie reagiert das Umfeld dergegenüberzustehen. Da mullsich zwischen 40 und 60.Heutegchtes Transsexuellen au[ die Enljederinnerlichsehrzerrissenfull- schon mit 20Jahren los. scheidung?len. Der Weg ist dornig und stei- Welche rechtliche Möglich- InderRegelsehrgut.lch bin ernig,bis die Harmonie zwischen keilen gibt es für die Patienten, staunt, wie positiv sich beispiels-Seele und Körper wiederherge- ihre körperliche und seelische weise Arbeitgeber auf die Situali•stellt ist. ldentilätwiederhercusLelIcn? an einstellen. Probleme habenDieser Konflikt setzt aber voraus,daß die Psychen der MännerVor dem Gesetz gelten sic alskrank und haben Anspruch aufdamit eher die Eltern.Gibt es denn Grenzen der BeundFrauen sehr verschieden Kassenleistungen sowie die Hilfe handlungsmögllchkeilen?sind. derÄrzteund der Gesellschaft.ln AufjedenFall.Auchnachjahr-Ohne'cdenZweifelisldasauchzehntelanger Erfahrung bleibenJ dem aülbMdn Tieinruxuellenge- mir Zweifel, ob wir dem liebenso. Dersngenannte„kleine Unter-selz gibt es die kleineunddie groschied”ist genaugesehen psy- 7c Lösung. Bei der kleinen kann Gott nicht - allzusehr ins Handchischeinsehrgro6er.DieTrans-ran den Vornamen ändern las- werk pfuschen.aus: Kieler Nachrichten, 9.1.1993261


Erste Geschlechts-Umwandlung bei der BundeswehrHerr Hauptmannwird jetzt eine FrauVon UTE BRÜSSELPremiere bel der Bundeswehr.Eln Hauptmann aus Bayernmöchte sich zur .Haupt-Frau'umoppeederen loosen - aufNeu. erzahler-KostenlDer ungewöhnliche Antrag gingvor einem Jahr bel BundesverteidigungsministerRuhe ein.Der Kompanieführer, Chef von100 Soldaten, fühlt sich alsTranssexueller. Er will keinMann mehr sein. Er fühlt, denkt,empfindet als Frau, will raus ausseinem Männer-Körper.Bundeswehr-Mediziner undRechtsexperten berieten monatelang.Entscheidung: Ja, derHauptmann wird operiert 20000 Mark Kosten übernimmtder Bund.Doch die Operati on (all emännlichenwerden entfernt, „neue" künstlich-weiblichegeformt) 10131 aufsich warten. Problem: Wohinmit dem Hauptmann, wenn ereine „Hauptfrau” ist?Dort er/sie eine Kompanie führen?Denn bisher können Frauenbel der Bundeswehr nur im Sonitätrund Musikdienst arbeiten.Info Transsexualität• 5000 Deutsche haben GeschlechtsumwandlungenhinterGeschlechtsteile sich, schätzen Experten • Siehaben.das Gefühl, Im „tatschen`Körper zu leben. Männer wollenFrauen sein, Frauen lieber Männer• Folge: Starke seelischeProbleme, oft verbunden mitSelbstmord-Versuchen • Hilfe:Geschlechtsumwnndlunaere Pe-nis, Hoden/Vagina werden entfernt,künstlich neue des anderenGeschlechts geschaffen• Durch Hormone wachsenMännern Brüste, Frauen bekommentiefe Stimme • Eingriff wirdvon Krankenkassen bezahlt. Bedingung:Betroffene müssen 3Jahre In der Rolle des anderenGeschlechts leben (Männer mitRöcken,Nagellack),Gutachten von Psychologenund Arzten vorlegen. Nach der OPkann auch der Name im Ausweisgeändert werdenGanz deutlich wird hier auch, daß ein solches „militärisches" (männliches)Anspruchsdenken mit der so dringend erforderlichen Emanzipation derTranssexualität nichts zu tun haben kann. Auch die Fragestellung „Wohin mitdem Hauptmann, wenn er eine ,Hauptfrau` ist?" ist völlig falsch. Warum einesolche „Besserstellung" gegenüber den biologischen Frauen, die sich ja erst malauf eine solche Stufe von unten auf durchkämpfen müßten? Wiederum „illusiovirilis" par excellence, sowohl von „Herrn Hauptmann" wie vom (einzigartigen)Patriarchats-Status-Symbol Bundeswehr. Oder sollte hier etwa die aktuelleEmanzipation der (biologischen) Frau vorgeführt werden bzw. die transsexuelleEmanzipation — zugunsten eines „künstlichen", patriarchalischen Konstrukts —absichtlicherweise höher eingestuft werden? Die Künstlichkeit des Ganzen wirktjedenfalls bald unerträglich.GrundsätzlichesDiesbezüglich liefert die Gleichberechtigung von Mann und Frau — wenn esum Geld geht — ohnehin viele Beispiele, wo eklatante (künstliche) „Risiko"-Unterschiede zwischen Mann und Frau geltend gemacht werden, beispielsweisein der privaten Krankenversicherung, wenn Frauen wesentliche höhere Beiträgeals Männer zahlen müssen — in jungen Jahren fast das doppelte. Das Argumenthierzu lautet, daß keine geschlechtliche Diskriminierung der Frau dabei vorliege,sondern, weil sie einfach höhere Kosten (Schwangerschaft usw.) verursachen,2 6 2


müßten die Frauen eine Art „Strafgebühr" dafür bezahlen. In der Praxis sieht diesfür die transsexuellen Mitglieder dann so aus, daß ab dem Moment, wo die TranssexualitätKosten verursacht, die Prämieneinstufung von Mann-zu-Frau-Transsexuellensofort höher erfolgt, dieselbe bei Frau-zu-Mann-Transsexuellen jedochbeibehalten wird. Da scheitert dann sowohl die weibliche wie die transsexuelleEmanzipation — die Gleichberechtigung erfolgt offenbar nur dort, wo es keineKosten macht. Ist eine solche Konstellation beim TSG auch bedacht worden, odersind „eunuchisierte Männer" (Schiffels), wenn es ums Geld geht, dann doch plötzlichwieder „Frauen"? „Kleine Lösung" oder »große Lösung" hin oder her — dasGanze ist einfach eine völlig künstliche, absolut nicht durchdachte Chimäre patriarchalischerÜberheblichkeit bzw. Homosexualitäts-Verdrängungs-Wahn. Vorallem im Zuge der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau in jeder Hinsichtwirft das Phänomen Transsexualität deshalb immer grundsätzlichere Problemeauf: Das Design des Transsexualismus natürlichen (homosexuellen) Ursprungs indas künstliche Bewußtsein der technisch-rechtlichen Geschlechtsumwandlungläßt durch solche „Feinheiten" erblicken, wie hohl alles ist. Oder, wie es derPhilosoph Joachim Koch ausdrückt: „Das moderne Individuum hat keine eindeutigeIdentität mehr, keine eindeutige Zugehörigkeit. Es basiert zunehmend aufeinem fließenden Wechsel von Illusionen, je nachdem, welche Rolle, welcheAufgabe, welche Inszenierung, welches Lebensgefühl, welche Lust gerade vorliegt."Die Wirklichkeit sei zunehmend »eine Verhandlungssache, die die Gesellschaft derZukunft mit ihren Interessengruppen und einem multi-optionalen Wertesystemdann herstellen will". Aber was ist, wenn, wie im Falle der Transsexualität, die(vorerst noch) patriarchalische Gesellschaft sich bereits jetzt — wenn es um dasPrinzipielle geht — total verheddert? Wenn die Gesellschaft keine Biographienmehr, sondern nur noch Legenden zuläßt und diese eines Tages einfach platzen?Wenn Paradetranssexuellen-Stories wie von Romy Haag (Spiegel-TV-: „bin alsHermaphrodit geboren") oder Waltraud Schiffels („bin dies, bin das") einfach nichtmehr „abkaufbar" sind, weil die Gesellschaft eine ganz feine Nase für die„eigentliche Wahrheit” hat?In der westlichen Hemisphäre — wo immer mehr Menschen nur noch ihre eigeneRealität ins Feld führen — gewinnt dennoch die Vorstellung fortwährend Raum,man könne sich seine Biographie selbst basteln, sozusagen den eigenen Filmherstellen, und die Reise, den Weg zum Ziel, beliebig abkürzen (lassen). Geradebeim Phänomen Geschlechtsumwandlung sind die Transsexuellen oftDrehbuchautor, Regisseur, Beleuchter und Hauptdarsteller in einer Hand. DieBiographie selbst wird zum eigentlichen Thema des Lebens, eine Art Obsession,nicht mehr hergestellt über Aufgaben und Inhalte (Der Weg als Ziel, wie imaltchinesischen Denken), sondern über den eleganten Instant-Schnitt, mit darauffolgend möglichst vielen (häufig illusorischen) Abenteuern, Glückserlebnissen,Reisen, Zielen und Austausch der Szenarien und der Menschen. Der Zweck heiligtdie Mittel, und die Macht der Medien führt dazu, daß die Transsexuellen dabeischließlich nur noch die chirurgische Umwandlung als „Legitimation" ansehen(siehe oben). „Früher wollten die Menschen in den Himmel kommen", hat derTheologe Adolf Holl treffend bemerkt, „heute scheint es eher so, als ob sie alle insFernsehen kommen wollen." Analog Andy Warhols „self fullfilling prophecy", daßein jeder Mensch in seinem Leben künftig für eine Viertelstunde berühmt sein263


wird. „Aprés nous le déluge" („nach uns die Sintflut"), so sprach einst derfranzösische Sonnenkönig Louis XIV, und so war auch die Devise de siebzigerund achtziger Jahre. Die neunziger Jahre verlangen jedoch neue Ressourcen,Wertsysteme und Rahmenbedingungen, um, wie es Joachim Koch sagt, „dieRisiken der zunehmenden Möglichkeiten und Entscheidungszwänge auchabzusichern. Eine universelle Moral, solidarische Strukturen, die notwendig sind,um das zerbrechliche Einzelne zu schützen und das Massenhafte zudisziplinieren." Unheimlich weise Worte, die gleichzeitig belegen, daß in solchensolidarischen Strukturen die vom Patriarchat geschaffenen Voraussetzungen fürden technisch-rechtlichen Geschlechtsumwandlungsakt neu zu überdenken sind.Eine sinnvolle Emanzipation der (biologischen) Frau wird nur dann möglich sein,wenn die künstliche Geschlechterbestimmung über die Ausschaltung derbiologischen Gegebenheiten nicht mehr als lakonische, kollektive „Normalität",sondern nur noch als spezielle, individuell umzusetzende Realität verstandenwerden kann. Das Kollektiv hat keine Verantwortung für denGeschlechtsumwandlungswunsch des Individuums — patriarchalische „illusiovirilis" hin oder her. Da sind dann feministische Verschwesterungs-Inszenierungen à la Schwarzer völlig fehl am Platze und geht die Emanzipationder Frau als solche (aber auch die der Transsexuellen) baden — daspatriarchalische Künstlichkeits-Konstrukt der beliebigen („normalen") biologischenund kulturellen Geschlechtsbestimmung ist — jedenfalls in seiner derzeitigenHandhabung — dabei einfach im Wege. Transsexualität und Emanzipation(der Frau) sind so jedenfalls nicht miteinander vereinbar, die neuesten molekularbiologischenErkenntnisse müßten diesbezüglich auch den letzten Alt-FeministinnenAnlaß zur Überprüfung ihrer Denkmodelle geben. Diesbezüglich wurdebereits Ende der siebziger Jahre eine überaus starke lesbisch-feministischeAblehnungshaltung gegen solche Transsexuelle sichtbar, die nach ihrer Operationmit Frauen zusammenleben. In ihrem Buch „The Transsexual Empire" (Boston1979) wird von der Feministin J. G. Raymond zwar sehr sexistisch, jedoch manchmaläußerst treffend argumentiert. Der Kernpunkt des von Raymond vertretenenlesbischen Feminismus bildet dabei ein überaus starkes Mißtrauen gegen allesMännliche trotz der Kastration. In ihren Augen ist eine der bizarren Variationender Transsexualität der Mann, der zur lesbischen Feministin wird, nachdem ersich Penis und Hoden hat entfernen lassen, einem kastrierten Eunuchen gleich(siehe auch die entsprechenden Ausführungen zu Waltraud Schiffels). Der Verlustdes Penis bedeutet ihrer Meinung nach jedoch noch nicht den Verlust derFähigkeit, die weibliche originale Sexualität (im patriarchalischen Sinne desEigentumsdenkens) zu durchdringen: Das ganze Wesen wird zum Glied, das in dieFrauen eindringt und wiederum mit aktiver horizontaler männlicher Gewalt zu tunhat. Wir erinnern uns in diesem Zusammenhang gleichfalls an die Theorie desbekannten Transsexualitäts-Forschers Robert Stoller über die starke, dominierendeMutter, die in ihrem Sohn ihren imaginären Penis sieht, sozusagen alsErsatz für den sich ihr verweigernden Ehemann ... (männliche Hybris quo vadis?).Weiter führte Raymond bereits zu jener Zeit (als beispielsweise in Deutschlandgerade das TSG verabschiedet wurde!) aus: Die Männer (allen voran die patriarchalisch-homosexuellen„Transsexer") würden sich ihre eigenen Frauen schaffen,aus Männerkörpern Frauen bilden, um so vor allem Gott zu spielen (Wille-2 6 4


Zweifel!) und diese neuen Frauen, wie Eunuchen in früheren Zeiten, als„Frauenhüter" zu benützen. Die Transsexualität wäre demnach kein menschlichesProblem, sondern (nur) ein männliches, patriarchalisches Thema (sic!): DieMann-zu-Frau-Transsexuellen seien die „Endlösung" der Frauen im Bereicheder Transsexualität. In Frauen umgewandelte Manner würden versuchen, dieechten Frauen zu neutralisieren, indem sie die biologische Frau überflüssigmachen bzw. indem sie sowohl zur weiblichen als auch zur feministischen Frontvordringen. In Männer umgewandelte Frauen dagegen würden sich alsbiologische Frauen neutralisieren (Unfruchtbarkeitsauflagen des TSG!) unddamit auch ihre potentiell vorhandene Kraft. Die Geschlechtsumwandlung wärelediglich die extremste Form der Neutralisierung, die derart stattfände,überflüssige operative Entfernungen miteinschließe und zu Zwitterbildungtendiere (!). Die biologische Frau würde damit nicht nur neutralisiert, sonderngleichzeitig zum geschlechtslosen Wesen: Die Männer würden, nach Raymonds(damaliger) Theorie, die Frauen kastrieren, um die „potentiell abweichenden"unter ihnen zu zähmen" (!). J. G. Raymond besteht darauf, die Mann-zu-Frau-Transsexuellen auf ihren ursprünglichen Status zu verweisen: trotz abgeänderterGeburtsurkunde, veränderter Anatomie und verändertem Personenstand derneuen Geschlechtszugehörigkeit des betreffenden Individuums angepaßt:„Männer bleiben Männer, Frauen bleiben Frauen."Zusammen mit anderen kritischen Stimmen (Thomas Szasz beispielsweise, derdas Schlagwort der „Transsexer" prägte für die Personen, die sich dem höchstlukrativen Geschäft der Geschlechtsumwandlungsoperationen widmen [Burou,Gooren, Daverio, Eicher usw.]) ist der Widerstand gegen die neue „Technik derGeschlechtsbestimmung" Ende der siebziger bzw. Anfang der achtziger Jahre ineiner Euphorie des Machbarkeitsdenkens jedoch untergegangen. Vor allem inDeutschland hat die Konstituierung des TSG die Koordinaten der Vernunft undder Einsicht völlig abdriften lassen — die Geschlechtsumwandlungsthematik hatsich — als anspruchsvolles „Pfründe"-Phänomen allerseits willkommen —immer mehr von seiner ursprünglichen Zielsetzung verabschiedet. Eine fastunheimliche Allianz der öffentlich-rechtlichen „TS-Kumpanei" hat sich dabei inDeutschland ausgebreitet und sorgt dafür, daß — weil das „Medien-Spiel"virtuos beherrscht wird — die „Neue Künstlichkeit" sich überaus wirkungsvolletablieren konnte. Siehe hierzu beispielsweise Augstein, M. S.: „EinAbgeordneter kämpft für eine Minderheit: Dr. Claus Arndt und dasTranssexuellen-Gesetz", S. 1 - 11 in: A. Renger (Hrsg.), Festschrift für ClausArndt zum 60. Geburtstag (Heidelberg, 1987).Sigusch, Pfäfflin, Eicher, Haeberle, Arndt, Schwarzer, Augstein, Schiffels, undwie sie alle heißen, beherrschen — für deutsche Verhältnisse jedenfalls — dieTechniken des „Ausblendens" und der „Vernebelung" in wahrhaft erdrückendemAusmaß — die Abwehrfront gegen das Neue Denken funktioniert über die kritikloseReproduzierung der entsprechenden Künstlichkeitsklischees ( » im falschenKörper","psychisches Geschlecht", „Krankheit" usw.) immer noch überaus effektiv.Dieselbe Front wird jedoch in dem Moment zerfallen, wo die » Masken der (Trans-)Sexualität" (Paglia) abgezogen werden (müssen), weil die kulturellen Grundlagendes Patriarchats bezüglich des Phänomens Transsexualität nicht mehr greifen bzw.die (staatlichen) Pfründen wegfallen werden, sei es nun, weil2 6 5


die Emanzipation sich durchsetzen wird, sei es, daß der (neue)Rechtsradikalismus alle Hoffnungen auf Vernunft zunichte machten wird. DasNeue Denken kann über eine allmähliche Bewußseinsveränderung in derGesellschaft jedenfalls viel dazu beitragen, daß der „Prozeß der Erkenntnis" —unter entsprechender Schadensbegrenzung — auch im transsexuellen Sinneerträglich verlaufen wird. Das derzeit grassierende transsexuelle „Anspruchsdenken"(Augstein) dürfte den ungeeignetsten Weg dazu bilden: Nur eineRückbesinnung auf die individuelle Eigenverantwortlichkeit der (transsexuellen)Betroffenen, weg von der Abwälzung auf die Gemeinschaft und weg von derVollkasko-Mentalität, kann Erfolg dabei versprechen (siehe hierzu auch S. 22ff.). In diesem Sinne ist die existentielle Berechtigung des TSG durchaus zurechtin Frage zu stellen: Die „Spielregeln" der Transsexualität funktionieren auchohne staatlich-patriarchalische Einmischung (USA, Frankreich, England). DieTranssexualität als solche ist ein zutiefst individueller „Werdungsprozeß", dermit veränderten Ansichten und gutem Willen auch in die bestehendeGesetzgebung integriert werden kann — die Schweiz (mit ihrer richterlichenEntscheidungsfreiheit über den Augenschein und die Begründungstiefe) beweistdiese rechtliche Möglichkeit nur allzudeutlich. Für eine „Patientengruppe" einspezielles Gesetz zu schaffen, ist eine überaus gefährliche Sache, und wenn manbedenkt, daß die Homosexuellen ihren Kampf gegen die gesetzlicheDiskriminierung endlich gewonnen haben, muß die transsexuelle Gesetzgebung— wegen der (biologischen) Verwandtschaft zur Homosexualität — mehr alsnachdenklich stimmen, auch wenn die offensichtliche (sichtbare) Verneinungdieser Verwandtschaft — wie immer auch formuliert, artikuliert und inszeniert— im Moment noch den Ton angibt. Die Transsexualität ist eine individuelleLebensform und keine kollektive Geschlechtsinszenierung — alleanderslautenden Credos sind Betrug am Menschen und müssen schnellstens —anhand des Neuen Denkens — überprüft werden.2 6 6


KAPITEL 15KULTUR UND GESCHLECHTLICHKEITDie Große Freiheit der MännlichkeitKultur ist ein weiter Begriff und — sofern sie sich mit homosexuellen, transvestitischenoder transsexuellen Aspekten befaßt — auch darin ungeheuer vielfältig.Dies liegt nicht zuletzt daran, daß die Manifestation der menschlichen Sexualitätim Laufe der Jahrtausende unendlich viele Variationen durchlaufen hat —genauso wie wir einen solchen Prozeß der Verschiedenheit bereits im Zuge derbiologischen Menschwerdungsprozesse beobachten konnten. Je nach Zeitraum,Kulturkreis und Population sind im Umgang mit der menschlichen Sexualität —aber insbesondere bezüglich der Homosexualität — die unterschiedlichstenkulturellen Systeme der „Zweigeschlechtlichkeit" ausgearbeitet bzw. ausgelebtworden — Zivilisation hin oder her.Auffallen muß dabei, daß in früheren Epochen und vor allem anderen Religionskreisendem Phänomen der Homosexualität — und damit unmittelbar zusammenhängenddem der Transsexualität — eine überaus verschiedenartigere Bedeutungzugebilligt wurde als im christlichen Abendland. In den meisten östlichenVielgötter-Religionen wie Buddhismus und Hinduismus (auf matriarchale Grundlagenzurückgehend) wurde bzw. wird die Homosexualität dagegen entweder vollakzeptiert oder zumindest toleriert — nur in den Ein-Gott-Religionen (Monotheismus)wie Judentum, Christentum und Islam geriet die Homosexualität — immersozusagen als Makel der Männlichkeit — ins Abseits: Wir berichteten bereits ausführlichüber den Werdegang der Akzeptanz im westlichen Patriarchatsdenken.Ebenso machten wir mehrmals darauf aufmerksam, daß die heutige Geschlechtswandelthematiksozusagen als Radikalmaßnahme des patriarchalisch-männlichenEindeutigkeitsdenkens gelten darf, als die „Beschneidung jeglicher Männlichkeit",damit möglichst nichts mehr an die einst stolze Bastion des Patriarchats267


2 6 8Abbildung: 27„Männlichkeit und Weiblichkeit“.Zeichnung des berühmten italienischen Filmregisseurs Federico Fellini (1920 - 1993)zu seinem epochemachenden Film und Zeitdokument „La dolce vita" (1959) mitMarcello Mastroianni und Anita Ekberg..In einem Interview mit der amerikanischen Schriftstellerin CharlotteChandler zu seinem — 1994 posthum erschienenen — „Selbstporträt": „Ich,Fellini" (Spiegel 35/1994) sagte er zu diesem Bild: „Die hier ist schön unduppig, finden Sie nicht? Ich habe etwas verloren und suche es in ihrerVagina." Einfach so...Typisch mediterran-patriarchalisch führt er dazu weiter aus:„Ich wollte mit ,La dolce vita' meiner Überzeugung Ausdruck verleihen, daßwir Menschen zu Anfang weder männlich noch weiblich, sondern androgynwaren — wie die Engel oder manche Reptilien (!). Dann erfolgte die `Nennung,und Eva wurde symbolisch aus Adams Rippe erschaffen, wobei es auchanderherum gewesen sein kann (!). Und nun haben wir das Problem, die beidenwieder zu vereinen. Ich weiß, man wird mir vorwerfen, daß ich ein Macho bin.Aber ich glaube nun mal, daß dies die Aufgabe des Mannes ist, nicht die derFrau. Er muß sie zu seiner Gefährtin machen, weder zu einem Lustobjekt nochzu einer unberührbaren Heiligen, sondern zu zu einem menschlichen Wesen,das ihm in jeder Weise ebenbürtig (!) ist. Andernfalls wird er nie seineErgänzung finden, wird nie wieder ganz sein."


noch erinnern kann — die gleichfalls patriarchalisch-männlich initiierte Beschneidungstechnikdes Judentums bzw. des Islams ist dagegen — im umgekehrter Richtungverlaufend — auf Ausformung der (makellosen) „Phallus-Männlichkeit" ausgerichtet.Das „Im-falschen-Körper"-Denkmodell der Transsexuellen und ihrer Suggestions-Apologetenwäre danach dann nur noch der zweite Schritt in die endgültigeAbnabelung jeglicher Männlichkeit: Jetzt wären es also (nur) noch Frauen,die (zu ihrem Pech) halt eben im (imaginären) „falschen Körper" leben. In diesemSinne machten wir schon mehrmals darauf aufmerksam, daß für die Frau-zuMann-Transsexualität seitens der Transsexer dagegen schon immer völlig andereMaßstäbe angelegt wurden — in diesem (patriarchalischen) Denken geht es wenigerum die Schaffung neuer „Männer" (die gibt es ja genug), sondern eher um dievöllige Ausschaltung der Ur-Weiblichkeit (siehe hierzu unsere Ausführungen zu J.G. Raymonds Thesen in Kapitel 14). Ebenso handelt es sich — wie bereits mehrmalsaufgezeigt — nicht um die Kanalisierung einer originären sexuellen (abweichenden)Orientierung, sondern (nur) um die Korrektur einer kulturellen Identität,sozusagen die „Endlösung" der nicht im patriarchalischen System parierendenFrauen. Ebenso ergab sich die Erkenntnis, daß die körperlichen Folgen der„Männlichkeit" produzierenden hormonellen Medikation jeglicher ärztlichenEthik im hippokratischen Sinne zuwiderläuft — mehr noch als bei den Mann-zu-Frau-Transsexuellen — und das Ganze mit einer funktionierenden Männlichkeitim patriarchalischen Sinne nichts zu tun hat (ebensowenig im schwulpatriarchalischenVerständnis, es sei denn wieder im partnerschaftlichen Sinne alsgesellschaftliche Homosexualitäts-Vermeidungsstrategie getarnt).Eine sehr interessante Denkrichtung hinsichtlich der Konzeptionierung dermenschlichen Sexualität in diesem Jahrhundert hat der Ethnologe Hans Peter Duerrin seinem Werk „Obszönität und Gewalt" (1992) beigetragen — es ist dies das dritteBuch in einer Trilogie von Untersuchungsberichten über die (angebliche)„Tierzähmung des Menschen" (woran schon Nietzsche seine Zweifel hatte!). DerKernpunkt von Professor Duerrs Thesen ist dabei die Erkenntnis, daß — wie er esausdrückt — der Homo sapiens (der denkende Mensch) im Umgang mit seinenprimären und sekundären Geschlechtsmerkmalen seit Jahrtausenden gegen jedegrundlegende Veränderung immun geblieben ist. Rationale Erziehungs- undGesellschaftsmodelle, nicht zuletzt das derzeit dominierende westlich-kapitalistischeSystem, sind nicht in der Lage, das „Triebwesen Mensch" endgültig zu„befrieden". Insofern sei die besonders auch von der 68er Generation (Nachkriegs-Linken) hochgehaltene Zivilisationstheorie des Soziologen Norbert Elias (1897 -1990) hinfällig: Es sei ein Mythos, zu glauben — wie es Elias in seinem Monumentalwerk„Ober den Prozeß der Zivilisation" begründete —, nur die europäischeModerne allein habe den „Persönlichkeitstypus des triebregulierten Menschenhervorgebracht und nur dieser sei eindeutig besser in der Lage als der animalischeVorzeitmensch, „seine Affekte, Emotionen und Aggressionen zu zügeln". InWirklichkeit sei lediglich in der Entfaltung der „technischen" (männlichen)Intelligenz ein Fortschritt erkennbar (inkl. übersteigertem Individualismus undschrankenlosem Hedonismus) — ansonsten sei, besonders in Fragen der Moral, allesbeim alten geblieben, und der Mensch wüte » im Unterholz der niederen Instinkte"womöglich noch barbarischer und ungehemmter als seine Vorfahren uralter bzw.neuerer Zeiten. Die These, daß der moderne Europäer es fertigge-2 6 9


acht habe, sich über eine „allgemeine Evolution der Gesittung" zu „einer stärkerenTriebkontrolle und Affektmodellierung" hochzuzivilisieren, treffe im Gegenteilzu, und er sei weit weniger zivilisiert, als er von sich glaube. Es bedeute dies auchgleichzeitig, daß das patriarchalisch-kolonialistische Überheblichkeitsdenken desmodernen Europäertums in Wirklichkeit völlig unangebracht sei: Die Primitivenwaren und sind keineswegs so wild und ungebärdig, wie es die fortschrittsgläubigeGeschichtsphilosophie — speziell in den Jahrhunderten derKolonisierung und Missionierung — angenommen hat. Diesbezüglich sieht Prof.Duerr im Philosophen Norbert Elias einen typisch verirrten Guru, der — inNachfolge dieses patriarchalisch-einseitigen Überlegenheitsdenkens — "einemkünstliche verfinsterten Mittelalter ein idealisiertes Bild der Gegenwart" gegenüberstellt— die „Finsternis" sei eher in der abendländischen Zukunft zu suchen.Mit zunehmender Bevölkerungszahl und Anonymisierung der Großstadtgesellschaften(die Verstädterung und die damit einhergehende Landflucht ist einspeziell in Afrika und Süd- bzw. Mittelamerika aktuelles Problem) werden diesozialen Kontrollen und die Bremsen gegen Kriminalität und Gewalt immer wenigergreifen, besonders auch im sexuellen Sinne. Oder, wie er es ausdrückt: „DieRückkehr zu effektiver Sozialkontrolle, wenn sie überhaupt möglich wäre, ist füruns freiheitsbewußte Individualisten eine entsetzliche Vorstellung — die totaleAuflösung dieser Kontrolle aber womöglich noch unerträglicher." Eine überausapokalyptische Aussage nach Meinung der Autorin.Interessant für die Sicht auf die sich derzeit auseinander dividierendenPhänomene Transsexualität und Geschlechtsumwandlung dürfte weiter dieWarnung Prof. Duerrs vor der „schrankenlosen hedonistischen Liberalisierungder Sexualität" sein. Hierzu hat dieser in seinem ersten Werk „Nacktheit undScham" bereits — nach ausgiebiger „Beweisaufnahme"— eine zunehmendesittliche Verwilderung des zivilisierten Menschen sowie eine drastische Senkungder »Scham- und Peinlichkeitsstandards" konstatiert. Er sieht die sogenannte„Genitalscham" als unabdingbare sozial- und partnerschaftsbildende Kraft anund betrachtet sie als „überaus konstituierend und charakterisierend für diemenschliche Lebensform überhaupt". Die Überlegenheit der westlichenZivilisation sei — Vietnam und Bosnien als abstoßende Beweise patriarchalischerGewalt-Hybris — genauso eine Chimäre wie die (angebliche) Überlegenheit desMannes über die Frau: Das eine ergibt sich aus dem anderen. In einem solchen„Genitalscham"-Denken wäre es für naturvölkische Frauen beispielsweise einDing der Unmöglichkeit, fremden Männern in aller Öffentlichkeit Einblicke in diegeöffnete, innere Vagina zu gewähren — ein gynäkologisches Showgeschäft, dasdie amerikanische Sexual-"Therapeutin" Annie Sprinkle (u. a. auch im Schmidt-Theater Hamburg) ungeniert darbietet. Ebenso paßt hierzu, daß besonders in densechziger und siebziger Jahren, als die ersten operierten Transsexuellen im Sex-Showgeschäft die Cabaret-Bühnen eroberten, die damaligen „weiblichen"Schamgrenzen gleichfalls entschieden nach unten verschoben wurden: Vieletranssexuelle Striptease-Stars jener Zeiten (in Deutschland besonders die legendäreMecky Mercedes à la „Divine") waren bei den Direktionen lukrativ-hochdafür angesehen, überaus „scharf" zu arbeiten. Auch wenn die transsexuellenFrauen noch so toll gelungen waren (Cupa Dandress, Diana Martell usw.), an der„scharfen` Sexualarbeit auf der Bühne waren die meisten von ihnen gegenüber270


(manchmal protestierenden) biologisch-weiblichen Darstellerinnen — jedenfallsfür das professionelle Auge — sofort wiedererkennbar. Diesbezüglichbezeichnend sagt der einstige Initiator des Salambo-Sex-Theaters in Hamburg,René Durand, in einem Interview über die Gründung des Salambo im Jahre 1965:„Zufällig war der Paradieshof pleite. Und ich sagte: ,Ich übernehm das.' Ich hab'das ganz seriös gemacht. Aber die Leute haben gefragt: Wo bleibt der Sex? Ichwar so naiv in dieser Beziehung. Ich hatte ganz Skandinavien gebumst (!), privat.Aber auf einer Bühne? Daß die Leute das sehen wollten?! Ich bin dann mit einerfrisch operierten Transsexuellen, einer der ersten überhaupt, namens Nataschaaufgetreten. Beim ersten Mal war ich neugierig und hab mich gleichzeitig geniert.Das war noch im Salome. Später wurde dann der Star Club frei, und ich habe dadas große Salambo aufgemacht. Am ersten Abend war der Staatsanwalt im Saalmit riesigem Polizeiaufgebot, die haben nur darauf gewartet, daß gebumst wird,damit sie ein Siegel auf die Tür setzen konnten. Ich habe zweieinhalb Jahre einenProzeß geführt. Und gewonnen.",sowie bezüglich seiner alten Artistinnen:„Die meisten sind tot. Natascha, die Transsexuelle, ist jetzt (25 Jahre später!)Nonne. Die wirklich guten Leute, die alte Garde, davon ist nur eine übrig." (Prinz-Hamburg 1990/2).Insofern ist es kein Geheimnis mehr, daß die Große Freiheit auf St. Pauli (die„Gebärmutter Hamburgs", wie René Durand das Stadtviertel charakterisiert)eigentlich seit dieser Zeit mal mehr, mal weniger fest in „männlicher" Hand ist.Besonders das Salambo gilt als Geheimtip für die Mann-zu-Frau-Transsexualität inallen Variationen, und das Wissen darum hat — entgegen den allererstenBefürchtungen — den Andrang (und den Umsatz) noch mehr gesteigert: „Männersind eben doch die besten Frauen." Fast patriarchalisch-liebenswürdig war dannbereits die lakonische Berichterstattung in den (Hamburger) Medien, für den Geschlechtsverkehrauf den Große-Freiheit-Bühnen würden vermehrt operierteTranssexuelle favorisiert, da diese besser in der Lage seien, mehrmals am Abend(die Frequenz hat sich nach der Wiedervereinigung erheblich gesteigert!) den(öffentlichen) Geschlechtsverkehrs-"Streß" entsprechend wegzustecken als diebiologischen Frauen (zudem seien sie immer verfügbar!) — die Non-stop-Showsverlangen „perfektes Funktionieren" (und keine „Zyklen"!).Auch aus diesen Ausführungen geht hervor, wie sehr der Transsexualismuseine männlich-patriarchalische Angelegenheit ist und welche „Vorteile" künstlicheFrauen für das Patriarchat besitzen — das Salambo-Sex-Theater ist ein überausüberzeugender Beweis für dieses Denken. Dies hat auch nichts — wie oftvon etlichen „Sex-Experten" („Liebe-Sünde"-Moderator Matthias Frings)vermutet — mit dem besonderen Kick der Perversität zu tun, zu dem mancheMänner infolge pornographischer Einflüsse angeblich veranlaßt werden: Es gehtim Grunde einfach nur darum, sei es nun bewußt oder unbewußt, „unter sich” zusein... „Fassade" ist alles!2 7 1


Sag mir, wodie Frauen sindAbbildung 28Transsexuelle Tänzerinnen aus der Crew des Hamburger Sex-TheatersSalambo an der Großen Freiheit auf St. Pauli — jung, schön undselbstbewußt. (Aus Bild-Zeitung-Dokumentationsreihe 1992)272


Indianisches DenkenBezeichnend für die Einstellung des Europäers gegenüber den „Primitiven" kanndas Verhältnis zu den Indianern Nord-, Mittel- und Südamerikas gewertet werden— speziell für die spanischen Conquistadores der Renaissance waren dieindianischen Völker, die man in den postkolumbianischen Zeiten zu erobern bzw.zu kolonialisieren suchte, nur Unmenschen, Tieren gleich. Die Ausrottung derMayas, Azteken und Inkas, aber auch die Abschlachtung der nordamerikanischenIndianer ist ein gleichfalls überaus eindrucksvoller Beweis dafür, wie ein elitäresÜberlegenheitsdenken auf christlich-patriarchalischer Grundlage „heidnischen"Völkern zum Verhängnis werden konnte. Hinzu kam, daß, wie viele Reiseberichteund ethnologische Studien belegen, das Faktum der (männlichen) Homosexualitätim Denken der Indianer als Lebensform — regional verschieden — durchweginstitutionalisiert worden war. Beispielsweise beschreibt der Leibarzt vonKolumbus, Diego Alvarez Chauco, die von ihm damals angetroffenen Zustände wiefolgt: „Den Knaben, welche gefangengenommen werden, schneiden sie das Gliedab und benützen dieselben, bis sie Männer werden, und dann, wenn sie ein Festveranstalten wollen, töten sie sie und essen ihr Fleisch, weil sie sagen, daß dasFleisch von nichtkastrierten Knaben ungenießbar sei." Ebenso berichtet der erstespanische Historiker der Neuen Welt, Pietro Martiere d'Anghiera:" WidernatürlicheUnzucht: Vaschus (Vasco Nunez de Balboa) fand das Haus des Königsverunreinigt durch die abscheulichste widernatürliche Unzucht. Denn er fand'desKönigs Bruder und viele andere junge Männer in Frauengewändern, elegant undweibisch gekleidet, welche dem Bericht jener zufolge, welche in seiner Umgebunglebten, er mit widernatürlicher Liebe mißbrauchte. von diesen befahl Vaschus,etwa vierzig an der Zahl, seinen Kampfhunden zum Fraß vorzuwerfen. Siehe hierzuAbbildung 29.Weitergehende Informationen zur naturvölkischen Homosexualität und Ausformungder verschiedenartigen Phänomene des sozialen Geschlechtswandels sindenthalten in <strong>Kamermans</strong>, J.: „Mythos Geschlechtswandel", fünftes Kapitel,»Rituelle Transvestition", S. 111 - 183.Für das Verständnis der (unbedingt notwendigen) Form des sozialen Geschlechtswandelsin unserer Kultur dürfte diesbezüglich besonders das Berdachen-System der nordamerikanischen Indianerstämme interessant sein, das ausführlichbeschrieben worden ist in der Dissertation der Ethnologin Dr. Sabine Lang,„Männer als Frauen, Frauen als Männer. Geschlechtsrollenwechsel bei denIndianern Nordamerikas" (1990). Darin wird aufgezeigt, wie in den vergangenenJahrhunderten die Existenz des Berdachentums in Nordamerika überaus allgegenwärtig— allerdings von Stamm zu Stamm in seinen jeweiligen Erscheinungsformenstark variierend — war. Die Bezeichnungen für diese (im ethnologischenSinne) „Weibmänner" waren sehr unterschiedlich: So hießen diese bei den Zuni-Völkern in der Gegend von Las Vegas La`mana, die Indianer des Krähen-Stammesnannten sie Bote (wörtlich übersetzt: weder Mann noch Frau), die Navahos hattendie Bezeichnung Nadle und die Pueblo-Indianer in Neu-Mexiko kannten dieInstitution des Mujaredo. Die Bezeichnung Winkte (vom Oglala-Wort2 7 3


Abbildung 29Der spanische Conquistador Vasco Nunez de Balboa läßt indianische„Sodomiten" in Panama von seinen Kampfhunden zerfleischen.(Aus Lang, S.: „Männer als Frauen — Frauen als Männer", S. 377, nach De Bry-Dokumentation 1590 - 1634)„winktepi") ist neueren Datums, seit das Berdachen-Phänomen in den USA intensiver untersucht wurde (siehe Literaturverzeichnis Lang). Denn es ist für denEntwicklungsprozeß des Phänomens Transsexualität in den USA wiederumbezeichnend, daß bei der Konstituierung der (unbedingt exklusiven) transsexuellenIdee in den sechziger Jahren seitens Medizin und Psychotherapie absolut keinBezug genommen wurde auf das traditionell in Nordamerika heimische indianischeBerdachen-Brauchtum. Auch dies dürfte wiederum die These der Autorin erhärten,daß die Schaffung der neueren medizinischen Transsexualität in den fünfziger undsechziger Jahren unbedingt als einmalige Pionierleistung des Patriarchats gesehenwerden sollte und jegliche Nähe zur Homosexualität dabei bewußt und absichtlichverdrängt wurde, jedenfalls seitens der Beteiligten. Transsexualität war es für die„Zivilisation", Homosexualität für die „Primitiven", und damit war dieNichtbeachtung der Berdachentradition, die in erster Linie auf denarbeitsspezifischen Geschlechtsrollenwechsel basierte, vollzogen (wir erinnern andie erwähnten Bemerkungen in Sachen Medienberichterstattung über„Transvestiten" und „Eunuchen" außerhalb Deutschlands). Dabei bewiesen dieseindianischen Institutionen des sozialen Geschlechtswandels (ohne Änderung dergeschlechtlichen Komponente) geradezu, daß sie imstande waren, gewisse gesellschaftlicheRegeln im Interesse aller durchzusetzen und dadurch dementsprechendSpannungen abzubauen. Untypische, „unmännliche" Verhaltensweisen wurdengesellschaftlich eingebettet und das „Abweichende" (sprich „Homosexuelle" bzw.„Intersexuelle") wiederum in einem kleinen, genau festgelegten2 7 4


Bereich vergesellschaftet, oft mit religiösen, mythologischen und rituellen Elementenversehen. Bei den betroffenen Indianern spielten diesbezüglich Träume eine sehrwichtige Rolle: Oft wähnten sich die Jugendlichen, die zu Berdachen wurden, vonGeistern oder Göttinnen, speziell solcher des Mondes, dazu auserwählt (Pubertätsfastender Omaha-Indianer usw.).Die Transsexualität und auch der gleichfalls weitverbreitete temporäre Rollentausch imDienste vieler Fruchtbarkeitsbräuche, war im Denken der Indianer somit von höherenMächten gewollt und erwünscht, und man hatte die feste Überzeugung, daß das Leben einesjeden Menschen durch Kontakte mit Geistern und Göttern — mittels Träumen und Visionen— vorbestimmt war. In diesem religiösen Verständnis für die Funktion des einzelnen inseinem Leben lag auch gleichzeitig die Fähigkeit der Indianer, die Umkehrung dergeschlechtsspezifischen Rollenteilung für Mann und Frau in einem genau festgelegtenBereich für alle sichtbar und akzeptabel zu ermöglichen. Es wurde gleichzeitig demgesunden Menschenverstand, aber auch dem Selbstverständnis der Betroffenen genügegetan: Die sexuelle Rolle ergab sich automatisch aus der Integration des sozialen Status indie Gesellschaft und nicht umgekehrt, wie dies bei der medizinischen Transsexualitätunserer Tage (aus der Verkennung der biologisch-homosexuellen Gegebenheiten) immermehr vorausgesetzt wird. Nicht die individuellen Wünsche des Betroffenen haben Vorrang,sondern die kollektiven, gesellschaftlichen Bedingungen (Integration!), und erst dann kommtauf diese Weise auch eine für alle befriedigende Lösung zustande — der sozialeGeschlechtswandel, die andere (transsexuelle) Lebensform der Homosexualität, kommt nichtdurch Verdrängung, sondern durch Bejahung aller Beteiligten zum Tragen. Es ist deshalbvöllig falsch — wie dies immer mehr und öfter aufgrund der TSGLegitimation erfolgt —, diechirurgische Anpassung vor der sozialen Integration zu stellen — dies sollte insbesondereden vielen betroffenen Mann-zu-Frau-Transsexuellen klar sein, die ihre transsexuelleIdentität gerade aus der völligen Verneinung ihrer biologisch-homosexuellen Orientierungableiten. Außerdem ist es auch in unserer Gesellschaft durchaus möglich — wie die Autorinseit bald zwanzig Jahren erlebt —, sein Leben im Sinne des Berdachentums einzurichten undPartner zu finden, egal ob und inwieweit man sich als „Frau im falschen Körper" empfindet.Die anatomische Angleichung an das weibliche Geschlecht kann nur die jeweils individuelleLösung eines längeren sozialen Anpassungsprozesses sein („lebenslange Annäherung an dasFrau-Sein"). Hierzu ist es unbedingt notwendig, daß der betreffende Transsexuelle um dievielfältigen, unbewußten (homosexuellen) Beweggründe seines Handelns Bescheid weiß (dasheißt, er muß sich eigenverantwortlich kundig machen und sich nicht nur auf „andere"verlassen) und sich in der Folge auch keine völlig imaginären Illusionen macht über sein„Frau-Sein", ob nun umoperiert oder nicht. Die Wünsche des Individuums bezüglich seinergesellschaftlichen Realisierung können nicht ausschließlich auf kollektiver Grundlage(Transsexuellengesetz und Krankenversicherung) geregelt werden: Die chirurgischeGeschlechtsumwandlung kann immer nur die (individuelle) Krönung des transsexuellenErlebens darstellen, jedoch nicht vom (patriarchalischen) Kollektiv (aus den uns bekanntenEindeutigkeitsgründen) vorgeschrieben werden. Diesbezüglich war die Nähe der . Indianerzur Natur (sie wähnten sich Teil und nicht Meister der Natur) auch bezeichnend für ihreEinstellung zum Menschen — man war (gemeinsam) im Gleichgewicht mit denumringenden Kräften. Die Nähe zur Natur (und damit zur weiblichen Urstruktur)ist dem heutigen „zivilisierten" Menschen — besonders in2 7 5


Großstädten — jedoch weitgehend verloren gegangen, und das äußert sich auch —wie wir gesehen haben — in seinem Verhältnis zu sich selbst, speziell zu seinemKörper. Ein „Im-falschen-Körper"-Denken ist für das traditionelle indianische WeltundLebensbild völlig unmöglich bzw. illusorisch — der Indianer sieht sich als„intakter" Mensch innerhalb der Natur. Im Kinofilm „Koyaanisquatsi" (1982) vomamerikanischen Regisseur Godfrey Reggio (Musik Philip Glass) wird auf eindrucksvolleArt — als Collage und ohne einen einzigen Dialogsatz — die Zerstörungder Natur durch den modernen Menschen dokumentiert. Einprägsame Landschaftsaufnahmenund „laufende" Bilder von den von Menschenhand geschaffenenStadtlandschaften vermitteln ein Bild über die fortschreitende Naturzerstörungdurch eine hektisch und rigoros gewordene Zivilisation. „Koyaanisquatsi" ist dabeiein Wort aus der Sprache der Hopi-Indianer und bedeutet „ein Leben aus demGleichgewicht" — eine durchaus auch auf das Faktum der Transsexualitätzutreffende Bezeichnung und das Gegengewicht zur patriarchalischen „illusiovirilis" der unbeschränkten Machbarkeit. Diesbezüglich hat auch Kevin Costnersmit sieben Oscars prämierter Western „Der mit dem Wolf tanzt" (USA, 1990) dieBotschaft der Indianer (speziell der Sioux) wieder in den Mittelpunkt des Interessesgerückt und zu einem gewissen Umdenken geführt. Viele alte Bräuche derindianischen Ureinwohner wurden darin sichtbar gemacht und der Untergang derindianischen Kultur als schmerzlicher Verlust erlebt — zudem zeigt der Film, welcheine Bereicherung der offene, interessierte Umgang mit dem Fremden für denüberzivilisierten westlichen Menschen bedeuten kann. E °müßten viel mehr solcherFilme über die Natur des Menschen die Künstlichkeitskultur des Patriarchatsüberdenken lassen.Ein überaus interessanter Zeitgeistaspekt dürfte sodann bezüglich der indianischenThematik generell festzustellen sein in Wolfgang Rihms Musik-Theater-Stück „Eroberung von Mexiko", 1992 in der Hamburger Staatsoper uraufgeführt.Rihms Inszenierung basiert hierbei auf dem Dramenentwurf „Die Eroberung vonMexiko" von Antonin Arnaud (1896 - 1948), in dem eine ungemein aktuelle Kritikam europäischen Kolonialismus mit seiner „tyrannischen katholischen Anarchie"geübt wird — als Gegensatz zur „scheinbar kontemplativen und wunderbarhierarchisch geordneten" aztekischen Welt. Arnauds Konstellation geht in diesemSinne von einer Art Dreiteilung des menschlichen Befindens aus: neutral —weiblich — männlich. In Rihms Oper wird diese „Dreiheit" als Leitmotivgenommen, gipfelnd in der Einführung des historischenlAztekenfürstenMontezuma als Frau, dem spanischen (patriarchalischen) Eroberer Cortezentgegengestellt: „Der damalige Kampf zweier Welten" zum Geschlechterkampferhoben — die schwankenden Menschen- bzw. Kriegermassen als „neutralesElement" eingesetzt. Siehe hierzu Abbildung 30.In diesem Sinne dürfte auch das erneute Comeback des Buddhismus in denneunziger Jahren ein weiteres interessantes Zeitgeistphänomen darstellen. DerBuddhismus als Religion beschäftigt sich in erster Linie mit der Reduktion desIchs (durch Meditation und Selbstbeobachtung), und der überzogeneIndividualismus im Westen wird von vielen Menschen inzwischen eher alsKrankheit (!) gesehen. Auch dieser Aspekt dürfte durchaus beim derzeit grassierendentranssexuellen Anspruchsdenken in Betracht gezogen werden...2 7 6


Atahualpa. der letzte Herrscher der Inkas, mit einem Federbusch auf dem Kopf. einer goldenen Ketteum den Hals und einem vergifteten Pfeil in der Hand; die Spartier unter Francisco Pizarro nahmenihn gefangen, ließen sich von ihm mit Gold und Silber als Lösegeld überschütten - und erdrosseltenihn dennoch.Francisco Pizarro, der Eroberer Perus; nachdem er den Wider stand derInkas gebrochen hatte, zog er in deren Hauptstad Cuzco ein und hob einenInka von Spaniens Gnaden auf denThron. 1536 gründete er Lima.toto - HISTORIA PHOTOAbbildung 30In Wolfgang Rihms Musik-Oper „Die Eroberung von Mexico" wird der AztekenfürstMontezuma als Frau dargestellt. Die Gegenüberstellung des Männlichenund des Weiblichen ist das Grundthema des Stückes und findet in den beidenHauptpersonen des spanisch-patriarchalischen Eroberers Cortez und desaztekisch-naturvölkischen Herrschers Montezuma — als Stellvertreter männlichenund weiblichen Denkens — die (musikalische) Annäherung. Eine genau gleicheKonstellation gab es auch zwischen dem spanischen Conquistador FranciscoPizarro und dem letzten Inka-Herrscher Atahualpa: die überaus starke Konfrontationzweier Welten wird in den Porträts beider Kontrahenten überdeutlich.2 7 7


Moderne GrenzüberschreitungBezeichnend für die Toleranz und das menschliche Gütezeichen einer Kultur ist— wie wir inzwischen wissen — immer der Umgang mit dem Phänomen derHomosexualität: Die Bezeichnung dafür wechselte im Laufe der Geschichte mehrmals:von der Päderastie in der Antike, der Sodomie im Mittelalter, der conträrenSexualität im 19. Jahrhundert bis zum Schwulsein heute. Und der Begriff desTransvestitismus, der in früheren Zeiten immer mit Homosexualität in Verbindunggebracht wurde (was ja so an sich nicht stimmt — es gibt auch heterosexuellenTransvestitismus) führte dann nach der bedingungslosen Abspaltung der„weiblichen" Homosexualität von der „männlichen" Homosexualität (immer imsichtbaren, gesellschaftlichen Rahmen) zur Konstituierung des unbedingt eigenständigenPhänomens des (männlichen) Transsexualismus. Die weibliche Transsexualität,so wie wir sie jetzt kennen, wurde dagegen erst mehr oder weniger imSchlepptau der männlichen Transsexualität aufgebaut, als die Entwicklung der(modernen) Geschlechtschirurgie die Flucht aus dem engen (patriarchalischen)Geschlechtsrollen-Gefängnis ermöglichte — die moderne Hormonforschung unddie Wirkung der Medien taten dann das ihrige für die Konstituierung der Frauzu-Mann-Transsexualität bzw. des entsprechenden GeschlechtsumwandlungsRituals(im Verhältnis zur männlichen Transsexualität von ursprünglich 1 : 10 aufinzwischen 1 : 1 gleichgezogen). In früheren Zeiten war dagegen auf der Seite derFrau im Grunde nur eine äußerlich Anpassung an die männliche Rolle in derGesellschaft über den Transvestitismus möglich: Marketendertum im Krieg,„Herrenlook" [Marlene Dietrich, Juliette Gréco] in der Mode, Unisex-Outfit inSport und Freizeit (Jeans!) usw. Irgendwelche körperlichen Eingriffe wie beimMann (Kastration) standen zu einem solchen Zwecke der „Anpassung" jedochnicht zur Debatte (höchstens im antiken Amazonen-Mythentum erkennbar), voneiner hormonellen „Aufwertung" ganz zu schweigen. Erst als die ganzeGeschlechtsumwandel-Thematik ihren „Pfründe"-Charakter erhielt, kam dann auchdiesbezüglich ein (ärztliches) Umdenken in Gange: Die chirurgischen Leistungensind bei der weiblichen Geschlechtsumwandlung (Phalloplastik) wesentlichkostenintensiver als bei der männlichen...Nicht zuletzt kommt jedoch bei der modernen Frau-zu-Mann-Transsexualitätund der dazu entwickelten Transformationstechnik noch die Tatsache hinzu, daßes zudem generell leichter ist, einen normalen weiblichen Körper als männlicherscheinen zu lassen als umgekehrt. In einem solchen Sinne ist es für Frau-zu-Mann-Transsexuelle über den Geschlechtsrollen-Aufwertungseffekt wesentlicheinfacher, die üblichen patriarchalischen Spielregeln zu befolgen und gängige„Männlichkeits"-Vorstellungen (zumindestens nach außen) umzusetzen. Mann-


zu-Frau-Transsexuelle haben es diesbezüglich wesentlich schwerer, überzeugendzu wirken und weisen in der Folge dann auch meistens insgesamt mehr Persönlichkeitsstörungenund psychische Instabilität auf (genitale Verletzungsfantasienund Selbstkastrationsdrohungen) bzw. sind auch meistens wesentlich unzufriedenermit sich und ihrer speziellen (sehr oft jedoch auch selbstverschuldeten) Lage.Oft entstehen daraus die skurrilsten Forderungskataloge. Aus den genanntenGründen gelten deswegen Frau-zu-Mann-Transsexuelle üblicherweise als eherruhig, beständig, motiviert und arbeitswillig, meistens in einer festen Partnerbeziehunglebend bzw. gerne und mit Vorliebe Verantwortung für die allfälligenKinder der Partnerin übernehmend (das patriarchalische Rollenbild des „Vaters"oft extrem ausformend). Das soziale Auftreten ist deswegen eher einzelgängerisch-unauffällig,nicht zuletzt wohl auch, da das übliche patriarchalisch initiierteMännlichkeitsbild vorwiegend aus der Gruppe heraus gebildet wird (Gruppenerlebnis!)— die „Tarnung" würde darin immens schwieriger werden. Mann-zu-Frau-Transsexuelle sind dagegen, besonders wenn sie auf Männer fixiert sind,sehr oft extrem übertrieben und geltungsbedürftig bzw. „tuntig" in ihremAuftreten und ihrer Buhlerei um Aufmerksamkeit. Bei vielen sogenannten „lesbischen"Mann-zu-Frau-Transsexuellen kann dies dagegen öfter schon wieder insGegenteil umschlagen, bis zur regelrechten „Verwahrlosung" ihres sichtbaren„Frau-Seins" (man denke an die oft merkwürdigen TV-Talkshow-Gestalten).Weiter ist für die Frau-zu-Mann-Transsexuellen noch zu bemerken, daß — wiebereits schon angemerkt — ihr „Männlichkeits"-Bild sehr von der Einschätzungdurch die Umwelt sowie von der Akzeptanz als „Mann" durch die Sexualpartneringeprägt ist. Hierbei steht dann — im direkten Unterschied zur (nur) lesbischenFrau — die durchaus übliche absolute Ablehnung der eigenen anatomischenGeschlechtsmerkmale im Vordergrund — die sexuellen Aktivitäten dürfen nureinseitig stattfinden.Insofern ist also bei den Frau-zu-Mann-Transsexuellen die Ablehnung derweiblichen Geschlechtsrolle keine stringente Verneinung der heterosexuellenOrientierung (wie bei den Mann-zu-Frau-Transsexuellen die biologisch-homosexuellenOrientierung), sondern ein kulturelles Konstrukt aus dem patriarchalischenSystem heraus. Die Auflehnung gegen die Rolle als Frau, als Objekt,dominiert somit bei Frau-zu-Mann-Transsexuellen, die Auflehnung gegen dieRolle als Homosexueller typisiert dagegen in erster Linie den Mann-zu-Frau-Transsexuellen: Die Opposition zur Homosexualität kennzeichnet dasSelbstverständnis des männlichen Transsexuellen, die Opposition zum Frau-Seindas des Frau-zu-Mann-Transsexuellen. Dabei wird für letztere die Wahrnehmungdurch die Umwelt als „Mann" eminent wichtig, und größten Wert wird gelegt aufdas äußerliche Bild (Kleidung, Bartwuchs, Haarschnitt, Stimme, Auftretenusw.). Das sexuelle Bild (kein erektionsfähiger, sondern ein mangelhafter Penis)wird „hingenommen", nicht zuletzt auch, weil die Partnerin meistens ja ohnehin— wie bei der „lesbischen` Mann-zu-Frau-Transsexualität — einen„entwaffneten" Mann vorzieht.Für viele Mann-zu-Frau-Transsexuelle ist dagegen in erster Linie die fasthomophobe Distanzierung von einer Homosexualitäts-Zuschreibung das wichtigsteAnliegen in ihrem sozialen Auftreten bzw. ihren Selbstverständnis als „Frau"(Aussehen, Sprache, Gang usw. sind oft sekundär) — da liegt häufig vieles im2 7 9


Abbildung 31Gruppenbild ohne Dame — japanische „Männlichkeit" Im „stern"-Artikel „Land derLüste" (7/94) hieß es hierzu patriarchalisch-überheblich:„Trügerisches Gruppenbild: Diese 16 „Herren" sind Damen. Sie tragen Anzügevon Armani und haben sich mit Hormonspritzen und Bodybuilding für eineHosenrolle (!) präpariert: Sie lieben gegen Geld Frauen, die in der rabiatenMacho-Männer-Welt Japans keine Romantik und Zärtlichkeit beim Sex finden."Badinters „versöhnte Männer"?Argen (man erinnere sich an die beiden ominösen RTL-Sendungen vom 7.10.92[Hans-Meiser-Talkshow] und vom 28.1.94 [Ilona-Christen-Talkshow] mit ganzkatastrophalen „Frauen" [„Diese homosexuelle Kiste verbiete ich mir!"]).In Sachen Grenzüberschreitung sind sodann auch die Ausführungen derbekennenden Lesbierin und des Tennisstars Martina Navratilova, die aus ihrerNeigung nie einen Hehl gemacht hat („Mit 18 wußte ich, daß ich lesbisch bin.")interessant. Allerdings ist Tennis- und TV-Star Navratilova (deren Coach langeZeit die Mann-zu-Frau-Transsexuelle Renée Richards — einst als Richard Raskinein Top-Tennisspieler — war) erst mit 36 Jahren, d. h. 1993, so richtig in die(lesbische) Offensive gegangen. Dem englischen Schwulenmagazin „Gay Times"gab sie dabei ein Interview, in dem sie forderte: „Wir müssen dieselben Rechtehaben wie die heterosexuellen Menschen — inklusive das Recht zu heiraten. DasEstablishment behauptet, homosexuelle Beziehungen seien nicht von Dauer, aberwenn wir sie legalisieren wollen, dann wird es uns nicht erlaubt.” Und um dieganze Perversität des (patriarchalischen) Establishments zu dokumentieren, zitiertsie in dem Interview dann noch die Äußerung eines wegen seiner Homosexualitätaus der US-Armee entlassenen Soldaten: „Die US-Armee hat mir einen Ordenverlieheeil ich zwei Menschen getötet haben, und sie haben mich rausgeschmissen,weil ich einen Mann liebe," (Man erinnere sich an die [kritischen] Ausführungenüber das Geschlechtsumwandlungs-Anliegen eines Hauptmanns in der Bundeswehr!).Auch im amerikanischen Fernseh-Showbusiness sind inzwischen solch2 8 0


offene lesbische „Coming-Outs" zum vielbestaunten Ereignis geworden, so beispielsweisein der zur Zeit populärsten US-Comedy-Serie » Roseanne" (die jedeWoche 35 Millionen Amerikaner sehen). Obwohl angeblich die SchauspielerinMorgan Fairchild („Dallas") die Rolle darin nur als » spielerische Herausforderung"ansieht, ist ihre Partnerin, die Schauspielerin Sandra Bernhard ( » Kingof Comedy"), bekennende Lesbe, die mit dem amerikanischen Popstar Madonna— so sagen die Gerüchte — liiert sei. Die sexuelle Orientierung des US-Megastars Michael Jackson dürfte dagegen nach den für weltweite Schlagzeilensorgenden Anschuldigungen hinsichtlich seiner Kontakte zu minderjährigenJungen kein Coming-Out mehr brauchen... — daran kann auch die kürzlicheHeirats-Inszenierung nichts ändern.Andere Showbiz- und Leinwandgrößen wie Richard Gere (Heirat mit Top-Model Cindy Crawford), Alain Delon (einstiger Disconti-Liebling, mehrmalsHeirat) sowie Marlon Brando (Frauenverschleiß und adoptive Kinder-"Produktion” ohne Ende) lassen dagegen über ihre sexuelle Orientierung öffentlichweiter rätseln (Bild-Schlagzeile vom 3.3.94: Tragödie Marlon Brando:Einsam und bisexuell) — der in 1993 an Krebs verstorbene US-SchauspielerRaymond Burr (aus der bekannten Fernsehkrimiserie „Der Chef") dagegen tratGerüchten, er sei homosexuell, (trotz seiner vier Ehen) nie entgegen und lebte mitseinem jüngeren Geschäftspartner Richard Benerides zum Schluß offenzusammen. Die transsexuelle Travestie-Künstlerin Romy Haag (Jahrgang 1951)rühmte sich dagegen in einem Spiegel TV-Interview (mit Sandra Maischberger)vom 14.1.94 (VOX) ihrer (angeblichen) Liaison mit Alain Delon und wundertesich (heftig) darüber, daß man sie — trotz Pressekonferenz (!) zurGeschlechtsumwandlung — noch immer nicht voll als Frau anerkenne. Die gleicheKlage ließ Romy Haag publikumswirksam in einer Boulevard-Bio-Sendung mitAlfred Biolek (1993, „Wie wird Mann Frau?") verlauten, dabei unterschlagend,daß man sich jahrelang als »schönsten Transvestiten Europas" klaglos hat titulierenlassen. Die Patriarchen-Hochburg „Der Spiegel" schrieb in der TV-Vorschau dazu:»Wie wird Mann Frau?" fragt Alfred Biolek seine Gäste, die ihre femininenRegungen (!) in unterschiedlicher Intensität als Travestiekünstler, Transvestitenoder Transsexuelle („Kästchendenken: Quo Vadis?") zum Ausdruck bringen." Daßdann der (homosexuelle) Talkmaster Alfred Biolek und sämtliche Gäste dem WortHomosexualität exklusiv aus dem Wege gingen, zeigt das Ausmaß der besondersim öffentlich-rechtlichen (patriarchalischen) Medienbetrieb sich manifestierendenHomosexualitätsVermeidungsstrategie in allen Richtungen — was nicht sein darf,kann auch nicht sein...Ebenso gab es 1993 Aufregung um den amerikanischen Schauspieler JayeDavidson (Jahrgang 1968), als dieser von der amerikanischen Filmakademiegezwungenermaßen „geoutet" werden mußte zwecks „Oscar"-Nominierung alsbester männlicher Nebendarsteller für die Rolle in Neil Jordans Psycho-Studie „TheCrying Garne". Dadurch wurde — wie der „stern" schrieb — „eines der ,skurrilsten`Geheimnisse der jüngsten Filmgeschichte preisgegeben: Jaye, der die mysteriöse,verwirrend-erotische Sängerin Dill spielt, ist ein Mann." (Schluck!) Über Monatehätten sich die Kritiker an die Aufforderung der Filmproduzenten gehalten, dieüberraschende Wendung des Films nicht zu verraten — ein Porträt von JayeDavidson in der „New York Times" vermied sogar alle Personalpronomen wie2 8 1


„sie” oder „er". „The Crying Game" gilt nicht zuletzt dank seines raffiniertenSpiels mit den Identitäten als Favorit bei der Oscar-Verleihung" („stern” 9/93). Imin China verbotenen, jedoch im Westen umjubelten Kinofilm»„-Lebewohl meine.nkubine (1993) von Chen Kaige geht es um die Geschichte der Peking-Oper imZeitraum des 20. Jahrhunderts, speziell jedoch während der maoistischen Kulturrevolution.Dabei wird die Liebesgeschichte erzählt zwischen zwei der einstgefeiertsten chinesischen Bühnenstars der dreißiger Jahre: Dieyi (Leslie Cheung),der in 1924 als kleiner schmächtiger Junge zur Oper kommt und dort wegenseiner feinen Gesichtszüge auserkoren wird, weibliche Rollen zu spielen, undsein jugendlicher Freund und Beschützer Xiaolou (Zhang Fengyi). Die Kritikschrieb: „Die Geschichte von einem Mann, der zunächst ,nur` einen anderenMann liebt und bereit ist, sich für ihn zu opfern, wird zu einer leidenschaftlichenBeziehung mit Jahrhundert-Drama-Aspekten vor dem Hintergrund der jüngstenchinesischen Geschichte.” Schön gesagt! Das australische Roadmovie „Priscilla— Queen of the desert" (1994) zeigt dagegen eine eher humoristische Sicht der(transsexuellen) Dinge.Aktuelles in Film, Theater, Kunst, GesellschaftEin ebenso nahtloser Übergang zwischen Homosexualität, Transvestitismusund Transsexualität bietet auch der inzwischen zum Kultfilm avancierte Kino-Streifenris is burning" (1990) von Jennie Livingstone. Selten ist die transsexuelleProblematik — demonstriert anhand der New Yorker Homo- undTranssexuellenszene und deren „Vogueing"-Erleben („Männer als Frauen",„Farbige als Weiße", Arbeitslose als Manager") — derart rücksichtslos —behutsam unter die Lupe genommen wurden. In einer Zeitungskritik hieß es:„Schwule, Schwarze und Latinos, Tunten und Transen fliehen ihrer Armut undfinden sich in den vielen Underground-Clubs von Manhattan (Xtravaganza-House)." Die farbige Mann-zu-Frau-Transsexuelle Olivia Saint Laurent wurdenach diesem Film sogar zu einem überaus begehrten Cover-Bild-Modelverschiedener amerikanischer Zeitgeistmagazine (wie „Vogue" usw.) „Wenn ichvon den nächtlichen Bällen wieder ins Sonnenlicht trat", erinnerte sich JennieLivingstone, „sah ich mir die Frauen und Männer an und fragte mich: Sind dieecht?" (Filmtitel von Paris Xtravaganza [Dupree] als Protagonistin)In diesem Sinne ist zu verstehen, daß — in dem Maße wie die Angst vor Aidsabebbt — die New Yorker Diskotheken (seit Anfang 1993), als Trendsetter sozusagen,wieder einen wahren Sexualitätsboom erleben: „Sex ist der Grund, weshalbman wieder in die Diskothek geht." Mit den republikanischen Präsidenten Reaganund Bush hätte sich ein Stück Puritanismus verabschiedet, und Bill Clinton, der mitdem Image des jungen, liberalen, hoffnungsfrohen und optimistischen Kandidatenantrat, versetze viele Amerikaner in eine Stimmung, die auch der neuen sexuellenRevolution den (derzeitigen) Schwung gab. Es gelte allgemein die Devise, solangeman sich schütze, könne man soviel Lust ausleben, wie2 8 2


man wolle — für die erste Generation, die mit Aids aufgewachsen sei, habe dieTodeskrankheit ihren Schrecken inzwischen verloren. Das Geschäft mit Sex undErotik boomt dabei wie in den siebziger Jahren, und drehte sich in den achtzigerJahren alles ums Geld (Yuppie-Ara), so ist das Thema der neunziger Jahre nurnoch Sex: Auf der Tanzfläche der Mega-Diskothek „Club USA" in Manhattansteht neben der Tanzfläche eine meterhohe weibliche Plastik, deren Brüste ausdem schwarzen Korsett voyeuristisch hervorquellen, an der Decke hängtschillernde Kondomwerbung, und drei leuchtende japanische Zeichen, die„Geschlechtsumwandlung" bedeuten, sind zusammen mit Titelbildern von Pornozeitschriftenüber der Bar angebracht — Sex(-Change) total! Angeführt wird diezweite sexuelle Revolution von den Homosexuellen, schon immer beliebte Vorläuferder maßlosen Promiskuität, und seit die Schwulen unter Präsident Clintonwieder Oberwasser spüren (wie auch die jungen Feministinnen), wire Sex als 'gutund eine-Frage der Lebenseinstellung (!lind nicht der Liebe) verstanden.Homosexualität gilt wieder als chic („wenn schon die höchste Autorität in Amerikasagt, Schwulsein ist okay"), und da „Aids nicht weggeht", komme auch dieAbstinenz aus der Mode: „Die Leute haben Sex, als wäre es das letzte Mal von derJahrtausendwende." Ungekrönte Königin dabei ist Dancing Queen und Transvestiten-ModelRuPaul, 2,10 m hoch, Star der neuen Glamour-Ara und mit demgeschlechtsübergreifenden Verwirrspiel um die eigene Identität („Jeder Mensch istein Mikrokosmos des ganzen Universums. ,Er`, ,sie` oder ,es` sind bloß Formalitäten.”)voll im Trend. Dieser wirkt sich auch aus auf die Laufstege der US-Couturiers,wo „männliche Mannequins" („Tunten", „Transvestiten" und „Transsexuelle”)Modellkollektionen vorführen. Das neben RuPaul bekannteste Starmodel BillyBeyond („definitiv den besten Gang in der Branche") meint hierzu: „Es ist eineReflexion eines neuen Gefühls von Freiheit". Und die Washington Post meintdazu: „Die vom Feminismus inspirierte Demontage traditioneller Geschlechtsrollen,mit all der Spannung und Verwirrung, die sie gebracht hat, hat dazu geführt,daß Männer in Frauenkleidung modern geworden sind." Na, so was!Fast gleichzeitig mit der Renaissance der erwähnten Grenzüberschreitungsphänomeneerschien dann 1992 das Kultbuch „Vested Interests" vonMarjorie Garber, daß 1993 in Deutschland unter dem Titel „VerhüllteInteressen” aufgelegt wurde. Dieses massive Werk verfolgt die kulturelleBedeutung des Transvestitismus über Jahrhunderte hinweg in Geschichte,Literatur, Photographie und Film. Der Observer schrieb: „Di z intellektuelleKnüller beweist, daß Menschen, die festgesetzte Kategorien überschreiten, derGesellschaft ihre Grenzen zeigen.”In Deutschland ist das Ganze (wie immer) eine Stufe tiefer angesiedelt, aberbesonders in den Metropolen wie Berlin und Hamburg ist publikumswirksame„Grenzüberschreitung" im Nachtleben (Klub-Szene) durchaus angesagt. Auf denBühnen und in den Medien ist gleichfalls eine solche Renaissance des„Seitenwechsels" festzustellen: Namen wie Mary (Georg Preusse: Zentis-Werbung), Romy Haag (eigene TV-Show, „puppenschön und vollsynthetisch"[Der Spiegel]), Lilo Wanders (Schmidt-Show-Unikum Ernie Reinhardt) sindinzwischen vielen Menschen (vor allem denen mit einem Fernseher) ein Begriffgeworden. Auch Show-Nachtschatten Zazie de Paris (ehemals Serge de Paris) istinzwischen die Anerkennung als Schauspielerin gelungen (spielte u. a. unter Peter283


Zadek in der „Ghetto"-Inszenierung sowie unter Werner Schröder im Aids-Stück»Engel in Amerika" von Tony Kushner [stand in „crazy" New York monatelangauf der Hitliste, inklusive noch nie dagewesenem Bühnen-Analverkehr!]). Diefarbige amerikanische Travestie-Cabaret-Künstlerin Angie Stardust avancierteschließlich zur anerkannten Soul- und Bluessängerin (Angies Nightclub im TivoliHamburg), während Gesangsstar Georgette Dee als androgyne Kult-Diva unerwarteteTriumphe feiert (1993 Adolf-Grimme-Kleinkunst-Preis).Bezüglich Grenzüberschreitungstendenzen in der Gegenwartskunst erregte1993 in Hamburg weiter die Ausstellung „Post Human — Neue Formen derFiguration in der zeitgenössischen Kunst" Aufsehen. Die Kritik schrieb: „Vonden 35 beteiligten in- und ausländischen Künstlern wird der Mensch zu einem,dumpfen Materie-Rest` degradiert, der nur noch von physischen Bedürfnissen,Aggressionen und vor allem Sex getrieben wird. Im Menschenbild wird auf jedeSpur des Geistigen oder Seelischen verzichtet und das Ganze auf die Biologiere- duziert. In Paul McCarthys ,Garden`, einem Kunstgarten aus Bäumen undBüschen, nehmen sich die Männer für die Befriedigung keine Frau zurPartnerin, sondern Baumstämme und den Waldboden — Symbole für MutterErde. Kiki Smith degradiert den Körper zu Plastiken, die nur noch bloßeProduzenten sind von Tränen und Kot, während Christian Marclay im Zeitalterder Genmanipulation den Körper nicht mehr als Ganzheit auffaßt, sondern inStücke zerteilt, die nach Bilderbuchart beliebig zusammensetzbar sind. CharlesRays ,Mannequin Fall ,91" zeigt eine 2,44 m hohe Schaufensterpuppe (RuPaulauf Stöckelschuhen wird in der Presse als ,2,35 m Schöner Schein'bezeichnet!), der sich als unverletzte Einheit manifestierend, jeden Mann nebensich in eine Art ödipal gestörtes Kind, das die schöne, strenge und unerreichbareMutter anbetet, verwandelt." (HA 12.3.93) Und der bekannte Wiener Magier undKult-Spötter André Heller fordert für die Inszenierung des perfekten „Ferien-Ghettos" im Sinne der Konsumgesellschaft — seine (ironische) „Replika-Territorium"-Idee —, neben (elektronisch gesteuerten) Vulkanen undAtlantikwellen überaus lakonisch noch „tahitianische Transvestitenbordelle"hinzu. Ja, wenn (Männer-)Träume nicht wären...Ungewohnte UtaKwekE: GtücMspitz Dominic Raactce„Männlichkeits"-Phantasien-IllusionenSymbol für Mutter Erde:Paul McCarthys .,Garden".284


Hatten wir oben bereits auf die aktuelle Grenzüberschreitungsthematik im filmischenSinne hingewiesen („Paris is burning”, „The Crying Game", „Lebewohlmeine Konkubine"), so ist diese in der erotischen Science-fiction-Komödie„Sexmission" vom polnischen Regisseur Juliusz Machulski ganz besonders interessantverarbeitet worden. In diesem bereits 1983 gedrehten Film, der damals inPolen und in der DDR für ausverkaufte Kinos sorgte und zur Zeit im FernsehenFurore macht, geht es um zwei Männer, die aus ihrem von Wissenschaftlern eingeleitetenTiefkühlschlaf nicht wieder wie geplant aufwachen, sondern — infolgeeiner Fehlplanung — erst nach sehr langer Zeit. Inzwischen hat eine ominöse„Hormonwelle" alle anderen Männer sterben lassen, und unter der ErdoberflächeAbbildung 32erin Monika Treut: Female to male - „the two sides of Monika"(Foto Elfi Mikesch, 12/1990)Monika Treut hat einen persönlichen Bezug zur Frau-zu-Mann-Transsexualitätund wohl deshalb in einigen ihrer Filme diese Thematik entsprechend eingebaut.Diesbezüglich sind zu nennen: „Die Jungfrauenmaschine" (1988) mit „maleimpersonator" Ramona (Shelly Mars), „Success" (1989) über die New YorkerTranssexuellen-Undergroundszene, „My Father is coming" (1991) mit der Frauzu-Mann-TranssexuellenJoe (Michael Massee) sowie „Female Misbehavior"(1992) mit dem Kurzfilm „Max" über den amerikanischen Indianer Max Valerio(ehemals Anita Valerio aus Heidelberg). Der unsägliche Magnus-FilmkritikerMichael Höfner vermerkte zu diesem Film im Magnus Special Berlinale 93: „MaxBRD Regie: Monika Treut 27 Min. Das Werden eines neuen Menschen, eines,Female-To-Male`. Blutige Szenen gibt es keine, auch die Herstellung desSchwanzes ist nicht zu sehen (sic!). Treut kümmert sich vorwiegend um dieseelischen Aspekte eines Umbaus." Schwule Hybris ohne Ende?285


hat sich ein totalitärer, exklusiver Frauenstaat etabliert, der die beiden „Männchen"als eine Störung der Ordnung begreift — sie sollen entweder getötet oder inFrauen umgewandelt werden. In seinem Kurzfilm „Der schönste Busen der Welt"(1993) erzählt dann weiter der junge Regisseur Rainer Kaufmann von einer„Brustwanderung" zwischen einem jungen Bierbrauer (Dominic Raacke) undeiner jungen Frau bei einem Zusammenstoß im Fahrstuhl. Dabei wechselt derBusen den Besitzer, und während die Brust des Mannes im Nu auf BH 25-Körbchengröße anschwillt, fällt der Busen der Frau schlaff in sich zusammen.Typisch Mann geifert der herbeigerufene Schönheitschirurg: „Das sind dieschärfsten Titten, die ich je gesehen habe. Das wäre ja ein Verbrechen, diewegzuoperieren. Ich möchte die für wissenschaftliche Zwecke fotografieren..."Die englische Regisseurin Sally Potter verfilmte sodann 1993 Virginia WoolfsKultroman „Orlando" (1928) und machte daraus eine turbulente Fahrt durchZeiten und Metamorphosen in einer Orgie perfekt komponierter. Bilder derVerwandlung, dabei die Romanvorlage über den Rahmen hinaus bis in dieGegenwart verlängernd. Die'litreise Orlandos, welche 1500 n. Chr. anfängt, führthierbei über eine Liaison mit einer russischen Prinzessin im Jahre 1600 zurenglischen £önigin.Elisabeth I. (1533 - 1603). Die hermaphroditisch veranlagteKönigin (wohl mit dem Phänomen der testikulären Feminisierung behaftet),Tochter Heinrichs VIII. und der Anna Boleyn, liebt den jungen Dichter undbeschenkt ihn überaus reichlich mit ihrer Gunst, u. a. mit einem Schloß. Nachihrem Tod zieht Orlando nach Vorderasien in den Krieg und ist dann anschließend— zweihundert Jahre nach Anfang der Zeitreise zur Frau gewandelt— beliebter Gast in den literarischen Salons des 18. Jahrhunderts. Dabeiverliebt sie sich in den androgynen Kapitän Shelmerdine und schreibt sich bis indie Gegenwart vor (wo sie in London einen Verleger für ihren Roman findet!). Vonder 31jährigen englischen Schauspielerin Tilda Swinton, die mit androgynerAusstrahlung beide Rollen spielt, sagt der unlängst an Aids verstorbeneKultregisseur Derek Jarman („Blue"), sie sei der einzige Mensch, der in der Lagesei, „eine Leinwand leuchten zu lassen". Interessant in diesem Zusammenhangdürfte zudem noch der Umstand sein, daß bei dieser erwähnten (filmischen)Version des uralten Verwandlungsthemas die weibliche Sicht der Dingedominiert (Autorin, Regisseurin, Protagonistin!) — Zufall oder Zeitgeist?Auch auf den Theaterbühnen fand „Orlando" viele Inszenierungs-Höhepunkte,so die Version Robert Wilsons an der Berliner Schaubühne und in Lausannesowie die vielbeachtete Inszenierung der brasilianischen Gruppe BLLS ProduçoesArtistica aus Rio de Janeiro mit der Regisseurin(!) Bia Lessa. Im SZ-Feuilletonvom 22.6.93 hieß es dazu: „Sie regt aufregend dazu an „Orlando" Raum zu gebenin jedem Hirn. Wer sich darauf einläßt, der sieht, daß dieses Zwitterwesen alsMann trotz allem Erfolgs bei den Frauen unglücklich und als Frau mit Frauenglücklich ist. Der entdeckt, wie Männer mit Frauen umgehen — oft sehr schäbig,aber auch wie Frauen mit Männern verfahren — ähnlich mies. Der erkennt, daßBegehren stärker ist als Liebe. Überrascht wird ihm klar, daß, was klar scheint,unsicher ist; daß die Verhältnisse zwischen den Geschlechtern nicht so sind, wiesie sein könnten. Allmählich wird es Gewißheit in der zweistündigen Aufführung:Wer glaubt, mit seiner Identität als Frau als Mann keine Probleme zu haben, derbelügt sich — weil er nicht (ver)zweifeln will.” Nicht umsonst geriet Virginia286


Woolfes ursprüngliche Romanvorlage damals zur feministischen Unterhaltungsliteraturpar excellence, und das derzeitige Interesse hängt wohl auch mit demaktuellen „Grenzüberschreitungs"-Zeitgeist-Phänomen der neunziger Jahrezusammen. In einer solche „Renaissance" „grenzenloser" Vorlagen darf auch die93er Berliner Aufführung (Schiller-Theater) von Shakespeares » Wie es euchgefällt" in der Regie von Katharina Thalbach nicht unerwähnt bleiben. Die Kritikschrieb: „In einer reinen Männerbesetzung verkleidet Rosalind (MichaelMertens) sich als Mann und klärt ihren Geliebten Orlando (Gunthart Warns) überdie Launen der Frauen (!) auf." Identitätswechsel — Illusionen und„Männlichkeits"Phantasien Hand in Hand?Auch in anderen Werken Shakespeares werden solche Identitäts-Wechsel-Komponenten verwendet („Sommernachtstraum", „Der Kaufmann von Venedig")— Shakespeare-Kenner Rudolf Augstein hat in einem Spiegel-Essay (8/1994)diesbezüglich auf die Verbindung John Lylys „The Maid's Metamorphosis” mitShakespeares berühmtem „Sommernachtstraum" u. a. hingewiesen. DessenTheatergruppe spielte unter Elisabeth I. mehrmals pro Jahr am Hofe, und die nichtnachlassenden Gerüchte um die Königin haben natürlich die (männlichen)Phantasien entsprechend angeregt. Genauso wie heutzutage Namen wie AmandaLear, Caroline Cossey oder Annie Leibovitz in den Medien für Mutmaßungenjeglicher Art sorgen. Wir berichteten darüber in „Mythos Geschlechtswandel" undwiesen gleichzeitig darauf hin, wie — sozusagen nahtlos — für die medialeBerichterstattung die Phänomene Hermaphroditismus und Transsexualität dabeimunter durcheinandergewirbelt werden. Das Faktum „Geschlechtsumwandlung"hat schon imer den (männlichen) Geist beflügelt und wird dies wohl auch weitertun: An der (eigentlichen) Wahrheit ist „Mann" jedoch offensichtlich nichtinteressiert. Oder doch?An der Hamburger Oper fand 1993 die Inszenierung von Hans Werner HenzesOper „Die Bassariden" sehr große (umjubelte) Aufmerksamkeit, und auch dieAufführung des entsprechenden Theaterstückes „Die Bakchen" (Regie Ivo vanHove) am Hamburger Schauspielhaus fand viel Anklang. Beide Werke basierenauf Vorlagen des antiken Dichters Euripides, und in einer Kritik hieß es: » DasWechseln der Figuren zwischen den Geschlechtern etwa. Ob Mann oder Frau, indieser Oper weiß das niemand so genau. Seher Teiresias (in den Mythen derAntike von Mann zu Frau und wieder zurückgewechselt!) trägt Stöckelschuhe zumKleid. Dionysos im schwarzen Lederrock und Hut sieht aus wie David Bowie (!)in seinen besten Ziggy-Stardust-Zwitter-Zeiten. Sogar der strenge König kannnicht widerstehen und schlüpft in Frauenkleider, bevor er von seiner Mutter imRausch zerrissen wird." bzw. „Berechnung oder Lustprinzip, Kopf oder Unterleib— wodurch wird unser Leben bestimmt, was macht es lebenswert? Wie halten sichdie Herrschaftsstrukturen an der Macht, warum enden sie? Was ist ,gut`, was ist,böse`? Was ist besser? Fragen ohne Verfallsdatum. Euripides' antike,Bakchen`Tragödie hat kathartische Antworten anzubieten — in Hans WernerHenzes 1966 uraufgeführter Oper wird unter existentiellen Seelenschmerzen nachtiefenpsychologischen Wurzeln des Seins gegraben." (HA 22.2.94) Diesbezüglichinteressant war, daß das Hamburger Schauspielhaus ftirdie Aufführung von » DieBakchen" mit einer doppelgeschlechtlichen Darstellung des Dionysos als Gott der287


Fruchtbarkeit und Lust warb (Symbolisierung des ewig-menschlichen OrdnungsundRauschprinzips). Siehe hierzu Abbildung 33.Aufschlußreich über die diesbezügliche Bühnenakzeptanz des „Andersseins"war auch im „stern" 22/94 ein längeres Gespräch mit dem Theatermacher GeorgeTabori (80) und dem Wiener Burg-Intentanten Claus Peymann (56). Es hieß dortpatriarchalisch-einsichtig:„stern":Peymann:Tabori:Peymann:„Herr Tabori, nach Ihrer dramatischsten Fehlentscheidung (!) gefragt,antworteten Sie mal: ,Nicht als Frau geboren zu sein.'"„George, ich hätte dich geheiratet!"„Ich wäre als Frau glücklicher gewesen. Frauen haben es besser. Siesind perfekt konstruiert. Der Schoß der Frau ist das Kunstwerkeines Genies. Ein Mann mit diesem launigen Anhängsel, dem mannicht trauen kann und das ganz nutzlos ist, wenn es nicht eingelassenwird (!), das ist ein Problem. Frauen sind außerdem potenter alswir. Eine Frau kann 20 Orgasmen in 24 Stunden haben. Ein Mannhöchstens sechs."Zwei, drei reichen ja auch, sei doch ehrlich. Mehr können wir gar nicht undmehr wollen wir vielleicht gar nicht."Interessante Inszenierungsmodelle vermittelt sodann auch Federico GarciaLorcas spanisches Frauendrama „Bernarda Albas Haus", das kurz vor der Ermordungdes (schwulen) Schriftstellers durch spanische Faschisten — als verschlüsselteVorahnung der Franco-Diktatur — entstanden ist. In einer türkischenFassung (Regie Möge Görman) wird die Geschichte 1993 in ein nordafrikanischesGefangenenlager verlegt: „Die Sehnsuchtsfigur Pepe wird zur Verkörperung der,arabischen Welt', welche die Fremdenlegionäre (!) einkesselt. Zermürbt, durstigund in Fieber verfallen die Soldaten der Wahnvorstellung, Frauen zu sein." Geradein der Türkei und in vielen arabischen Ländern ist Homosexualität noch immer einTabu — die Transformation zur Frau ist deshalb eine Homosexualitäts-Vermeidungsstrategie par excellence: Nicht umsonst gibt es auch im islamischenLand Türkei die (legale) Realisierung über ein spezielles Transsexuellengesetz...Über den englischen Film „Der Zementgarten" von Andrew Birkin, der gleichfalls1993 Premiere hatte, schrieb die Kritik: „Mehr als eine Provokation, hierbricht man Tabus." In diesem Film, der auf der Berlinale gefeiert und mit dem silbernenBären für die beste Regie ausgezeichnet wurde, geht es um geschwisterlichenInzest und das voll ausgelebte Transvestitentum eines vierjährigen Jungen,das als völlig natürlich dargestellt wird. Der Spiegel (33/1993) schrieb: „Tam, ihrkleiner Bruder, darf sich endlich wie ein Mädchen anziehen, um nicht so oft verprügeltzu werden (!). Jacks Zweifel bringt Julie, die jetzt endgültig das Sagen hat,zum Schweigen: „Eigentlich würdest du ja auch ganz gern wissen, wie es ist, einMädchen zu sein." „Erschreckend rasch driften die Geschwister in perverseIsolation, die für sie das Natürlichste auf der Welt ist. Ledig aller puritanischenGewissensqualen, bleibt für Jack und Julie sogar Inzest kein Tabu."In ihrem vielbeachteten Fotoband „Die andere Seite" (1992) stellt sodann dieamerikanische FotografiliNan Goldin ihre Liebe zu den Transsexuellen undTransvestiten New Yorks und Berlins vor. Im Begleittext des Fotobuches2 8 8 heißt


DEUTSCHESSCHAUSPIELHAUSIN HAMBURGAbbildung 33Szenenbild aus „Die Bakchen" von Euripides mit Ben Becker als doppelgeschlechtlicher Dionysos-Figur (1993, Regie Yvo van Hove)In der griechischen Mythologie gilt Dionysos als die „gefährliche Gottheit", dieden Rausch und den zügellosen Sex mit beiden Geschlechtern verkörpert.es:"Es war befreiend, als ich Menschen traf, die die Grenzen des eigenen Geschlechtsüberschritten hatten. Die meisten Leute kriegen Angst, wenn sie andere nicht kategorisierenkönnen, sei es nach Rasse, Alter oder besonders nach ihrem Geschlecht. Es braucht Nerven undMut, die Straße hinunterzugehen, wenn du zwischen alle Ritzen fällst. Einige der Queens indiesem Buch wandern täglich zwischen den Geschlechtern hin und her: von Mann zu Frau undwieder zurück. Einige sind transsexuell und haben die Operation vor oder hinter sich; manchevon ihnen leben vollständig als Frauen, während andere sich offen als Transsexuelle zu erkennengeben. Manche Queen zieht sich nur für ihre Bühnenauftritte entsprechend an und lebt tagsüberals homosexueller Junge. Und schließlich gibt es auch jene, die überhaupt keine Anstrengungunterneh-289


men, sich irgendwo einzupassen. Sie leben in einer scheinbar geschlechtsfreien Zone undzeigen bewußt ihren Status des dritten Geschlechts."sowie:»Die Bilder in diesem Buch zeigen keine Menschen, die unter ihrem Geschlechtleiden, sondern Menschen, die ihr Wohlsein ausdrücken, was ihr Geschlechtbetrifft. Dieses Buch handelt von neuen Möglichkeiten, der Überwindung vonGrenzen und Gelassenheit. Die Menschen auf meinen Fotos sind wahrhaft revolutionär.Sie sind die echten Gewinner im Kampf der Geschlechter, weil sie dieArena des Kampfes ganz einfach verlassen haben." Haben sie wirklich?Die bekannte französische Kunstfotografin Bettina Rheims stellt in ihremFotoband „Les Espionnes" (1992) gleichfalls Transsexuelle und Transvestitenvor — wie bei Nan Goldin ist hier die weibliche, ganz anders gelagerte Sicht aufdas Faktum Geschlechtsgrenzenüberschreitung deutlich spürbar. (Wir erinnernan die vielen „lesbischen" Beziehungen in Mann-zu-Frau-Partnerschaften.)Die junge japanische Erfolgsautorin Banana Yoshimoto (über sechs Millionenverkaufter Bücher) behandelt sodann in dem Kurzroman „Kitchen" (1987), welcherauf deutsch im Jahre 1993 erschien — als Hommage an die Kindlichkeit alsallerhöchstes Glück gegenüber dem mit Mitleid betrachteten Erwachsenwerden—, eine für die heutigen japanischen Verhältnisse typische gesellschaftlicheKonstellation. Hinter der Fassade harmloser „Lieblichkeit" werden die Ängsteund Neurosen einer ganzen Generation sichtbar: „nur scheinbar zufriedener,unpolitischer ,Benetton`-Kids, die allzu heftig von ihren Gefühlen geplagt werden".Die Waise Mikage findet dabei in dem flüchtigen Bekannten Yuichi undseiner Mutter Eriko die Illusion einer Ersatzfamilie sowie Zuflucht vor Trauer,Angst und Einsamkeit — die warmherzige, schillernde Eriko stellt sichanschließend als Vater von Yuichi und als Transsexueller heraus. Eriko wirdspäter erstochen, und Mikage findet resigniert: „Glück bedeutet nicht zu merken,daß man letztlich allein ist."In einer Rezension über Nick Cohns Roman „Das Herz der Welt" (1992) heißt esweiter (wir erinnern uns an die Vogueing-Veranstaltungen in Jennie LivingstonesKultfilm „Paris is burning"): „Melancholische Bauunternehmer-Witwen undatemberaubend schöne Transsexuelle, ausgebrannte Boxer und würdevolle Penner— alle träumen sie am Broadway vom besseren Leben." Ebenso hieß es überAlfredo Véas Roman » La Maravilla" (1994): „Beto wächst in der Wüste außerhalbvon Phoenix auf, zwischen Wellblechhütten und verrosteten Cadillacs. Es gibtTunichtgute, Alkoholiker, Transvestiten (!) und die Hure Vernetta. Inmitten diesesPanoptikums (!) wird Beto Zeuge eines tragischen Verbrechens aus Leidenschaft."(Spiegel-Werbeanzeige — 11/1994 mit Text von Isabel Allende). Eine herrlicheKombination von „Schreckensbildern". Und der bekannte französischeModeschöpfer Paco Rabanne (Metall-Couture) versichert in seinem in Frankreichzum Bestseller avancierten Buch „Das Ende unserer Zeit" (1993), in früheren Zeiten(d. h. im 17. Jahrhundert) die von Männern verehrte Pariser Prostituierte AdrienneLecouvreura im Freudenhaus „Parc au cerf und vor 3000 Jahren ein ägyptischerTempelpriester, der Tut-ench-Amun ermordete, gewesen zu sein. SeineWiedergeburt-Thesen begründete er mit ausführlichen Details aus seinen früherenLeben. Er begibt sich dabei seit seinem siebten Lebensjahr dank2 9 0


einer besonderen Atemtechnik auf die „Astro-Reisen" in seine Vorleben. Der in allenReligionen bewanderte Autor stützt sich in seinem Buch auf die Warnungen alterPropheten und sagt: „Unsere Zivilisation ist verrückt geworden. Der blaue Planet ist ausder Bahn geworfen worden. Aber zur Apokalypse muß es nicht kommen. Der Mensch hatdie freie Entscheidung — zum Guten oder Bösen." Ein moderner Nachfolger des antikenSehers Teiresias? Oder vielleicht bereits ein wenig verrückt geworden?Werden also in Theater und Literatur bereits Anfang der neunziger Jahre vielerleiZweifel an den bisherigen geschlechtlichen Gegebenheiten angemeldet und„grenzüberschreitende" Erkenntnisse sichtbar gemacht, so kann das (religiöse)Abbildung 34„Die Entmannung des Uranos" von Friedrich Dürrenmatt, dem weltbekanntenSchweizer Schriftsteller. Eigentlich hätte er Maler werden wollen, sagtDürrenmatt, und seine Bilder seien „Schlachtfelder, auf denen sich meineschriftstellerischen Kämpfe, Abenteuer, Experimente und Niederlagen abspielen."Das „Traum"-Bild „Die Entmannung des Uranos" zeigt eine Kastrationsszene,die aus der griechischen Mythologie entlehnt ist. Auf Drängen seinerMutter Gaia (Erdmutter) entmannt Chronos seinen Vater Uranos, als dieserGaia begattet. Die malerische Interpretation Dürrenmatts (Uranos mit Busen)dürfte eher aktuell gelagert sein...(Aus „stern" 15/94)291


Patriarchat auch wieder überaus reaktionär zurückschlagen. Diesbezüglich hatbeispielsweise der Franziskanerpater Richard Rohr 1993 in seinem im päpstlichenVerlag Queriniano erschienenen Buch „Imprimatur" (mit päpstlichem Segenversehen) die Männlichkeitsthese von Gott folgendermaßen untermauert: » GottesCharaktereigenschaften sind: Verantwortlichkeit, Entscheidungsfreudigkeit,Selbstbewußtsein und starke Liebe. Deshalb muß er sein Mann sein." Und: „Nein,ich habe nichts gegen weibliche Eigenschaften. Gehorsam, Demut, Geduld und dieBereitschaft zu verzichten sind wichtig. Wir haben Jesus Christus zuviel weiblicheCharaktereigenschaften zugemessen, die er gar nicht hat, wie jeder im Evangeliumnachlesen kann. Natürlich ist Verzeihen eine wichtige Forderung desEvangeliums, aber es muß daneben die männliche Stärke geben, die Dinge auchbeim Namen zu nennen und eine echte Reue und Änderung zu fordern. Gehorsammuß von der männlichen Fähigkeit der Verantwortung kommen." Weiter fordertRohr die Männer auf, sich auf ihre vorgegebene, „profunde Männlichkeit" zubesinnen: „Wie Johannes der Täufer, der wilden Honig aß und nicht nach derMode (!) gekleidet, sondern nur mit einem Kamelfell bedeckt war, müssen dieMänner werden, so wie der Täufer ein ungezähmter, wilder Mann (!)". Wir kommennicht umhin zu bemerken, daß in diesen Ausführungen wiederum eine ausgeprägteMännlichkeits-Hybris zum Vorschein kommt — die schrankenloseNeuauflage der „illusio virilis" im religiösen Sinne. Und nicht umsonst heißt es in<strong>Kamermans</strong>, J.: „Mythos Geschlechtswandel", Vorwort, S. 12: „Auch ein kleinerAusflug in die Religion, in die Geschichte des Christentums, speziell des Katholizismus`,ist dabei nicht unterblieben, ist doch das Christentum nicht unbeteiligtam Verdrängungsprozeß der Transsexualität im Zusammenhang mit derHomosexualität. Hierbei denken wir nicht zuletzt auch an die Hinweise auf dierituell-transsexuelle Prostitution in der Bibel — im Alten Testament wird öfterBezug genommen auf die ,männliche` Tempel-Prostitution der sogenannten4,Kedeshim`."In einem solchen Verständnis von Kultur und Geschlechtlichkeit auch seitensder (christlichen) Religion wird es nicht leicht werden, das Neue Denken zumDurchbruch zu bringen — die Patriarchen haben bereits allernorts zum reaktionärenGegenzug angesetzt. Es ist diesbezüglich bezeichnend, daß PapstJohannes Paul II. im Apostolischen Schreiben „Ordinatio Sacerdotalis" (DiePriesterweihe) 1994 die Möglichkeit einer solchen Priesterweihe für Frauen endgültigund verbindlich ausgeschlossen hat. Er sagt hierzu: „Wenn Christus nurMänner zu seinen Aposteln berief, tat er das völlig frei und unabhängig. Er tat esmit derselben Freiheit, mit der er in seinem Gesamtverhalten die Würde undBerufung der Frau betonte, ohne sich nach den herrschenden Sitten und nach derauch von der Gesetzgebung der Zeit gebilligten Tradition zu richten." Zufall oderZeitgeist?Schließlich wollen wir dieses Kapitel vom Verhältnis zwischen Kultur undGeschlechtlichkeit nicht abschließen, ohne auf die offensichtlich unausrottbarenVorurteile der Völker über und untereinander bezüglich der geschlechtlichenEinstufung einzugehen. So gipfelten die kürzlichen heftigen Auseinandersetzungenum den Gebrauch englischer Wörter in der französischen Sprache in derFeststellung seitens der Franzosen: „Es ist rätselhaft, daß die Engländer (rosbifs')noch nicht ausgestorben sind, wenn man bedenkt, daß die Männer den2 9 2


Verkehr mit ihresgleichen vorziehen. Englische Männer können ihren Mann nurstehen, wenn sie sich Mut angetrunken haben (!)." Und die Engländer hieltendagegen: „Die Franzosen (,frogs` = ,Frösche`[!]) waschen sich selten, sie überdeckenihren Körpergeruch, indem sie sich in eine Wolke von Knoblauch und denGeruch von 360 verschiedenen Käsesorten hüllen. Wer die Franzosen durchschaut,dem geht die wahre Natur von Verrat, Feigheit und Barbarentum auf. DerFranzose hat in der Regel keinen Spaß am Sex, und wenn er es mal tut, dannnicht mit seiner Frau. (D" Ebenso verraten die bei den verschiedenen (europäischen)Völkern heimischen Gesten und Gestikulationen viel über das Verhältniszwischen Kultur und Geschlechtlichkeit. So gilt in Griechenland die Anhaltergestemit der geballten Faust und dem hochgereckten Daumen als Witstrationsdrohungoder auch als Aufforderung zum-Analverkehr, während in Italien eine%iche Aktion als Ausdruck höchster Anerkennung gilt. In der Türkei giltdagegen das üblicherweise anerkennende „Ringzeichen` zwischenZeigefingerspitzen und Daumen als geschlechtliches Angebot an sowohl Mannals Frau, während in Italien mit Daumen und Zeigefinger am Ohrläppchen zuzupfen als homosexuell gefärbte Beleidigung gedeutet wird. Typisch dürfte indiesem Zusammenhang auch die Tatsache sein, daß in nördlichen Regionen dasStaatsbild meistens im „männlichen" Sinne repräsentiert wird (britischer Löwe,deutscher Adler), in südlichen Ländern dagegen oft „weiblich" (französische„Marianne"-Symbolik, italienischer Staat wird als „Frau" behandelt, das heißt,man drückt beispielsweise seine Verachtung für Staatsdiener durch einen[männlichen] Handkuß aus) personifiziert wird. Aber auch im analen Bereichsind viele Bezeichnungen und Beschimpfungen oft angesiedelt und speziell in derdeutschen Sprache ist die Analisierung vieler Begriffe, nicht zuletzt imVolksmund, gang und gäbe („Arschkriecher", „Verarschung", „Anschiß" usw.).In der spanischen Sprache (und auch in der holländischen seit der spanischenBesetzung in der Renaissance) sind dagegen im Sinne der (männlichen)Ehrenkränkung Wörter wie „coho" (Fotze), „cojones” (Eier) sowieAufforderungen zur passiven Sodomie („Laß Dich von einem Esel ficken”)äußerst emotionsgeladen und provokativ-aggressiv angelegt. Der Holländer sagtim Sinne des „Hau ab": „Sodemiter op" - eine eindeutige Assoziation zur(angeblichen) homosexuellen Minderwertigkeit. Der deutsche Begriff„kujonieren" hat gleichfalls einen solchen sexuell-abwertenden Bezug (Kujon =von französisch coion [lateinisch coleus = Hodensack] = Memme [eigentlichEntmannter]) im Sinne von schikanieren usw.Fast amüsant mutet dann wieder an, wenn an der französischen Saint Cyr-Academie die zukünftigen Offiziere im ersten Jahr offiziell mit „messieursembryons" tituliert werden — die „Männlichkeits"-Initiation fängt im militärischpatriarchalischenDenken hier also schon vorgeburtlich an (und gilt auch für dieweiblichen Offiziere!). Diffamierung über Geschlechtslosigkeit sozusagen.Schließlich gibt es auch im musikalischen Bereich etliche Hinweise auf verdeckteoder weniger verdeckte diffus-geschlechtliche Assoziationen, zumindest in früherenJahren. Wir erinnern diesbezüglich an die weltbekannten Rockbands TheRolling Stones („honky tonk woman”, „some girls"-Cover) und AC/DC(Alternative Current/Direct Current: „slang" für Doppelgeschlechtlichkeit). Unddaß auch die Beatles, die sich rund um den ehemaligen Starclub (nachher Salambo)aufbauende transsexuelle Szene absolut nicht abgeneigt waren, beweist manche293


Anekdote. Auch Bill Haley („Rock around the Clock”) machte in Hamburg seineErfahrungen. Ex-Star-Club-Chef Horst Fäscher erinnert sich: „Die heißeste Nummerpassierte mit Bill Haleys Geburtstag. Sollte `ne Schaunummer machen. Vor derBand. Ich besorgte das ,Girl'. Knutschen, fummeln — wir bildeten einen Kreis,johlten. Dann der Aufschrei. Hatte 'nen Transi aus der Monica-Bar besorgt. ,Rockaround the Clock' — haben noch Jahre später darüber gelacht." (Prinz 1993)Wiederum übrigens ein typischer Beweis dafür, wie das „Männlichkeits"-Ritual inerster Linie eiuppenerlebnis ist — das Mann-Sein ist ein Prozeß des kollektiivenWerdensIm Zeitalter des Computers sollte sodann noch die Technik des elektronischen„Morphing" vermerkt werden. Diesbezüglich wird zur Zeit vor allem auch in derWerbung die übergangslose Verwandlung von Personen und Gegenständen inunddurcheinander zur regelrechten Morph-Manie inszeniert = eineGeschlechtsumwandlung am Bildschirm ist jetzt nahtlos möglich. In Hollywoodsemsigen Tricklabors arbeiten bereits Designer an computererzeugten Idealdarstellernach Maß, ohne störende „Star-Allüren" und problematischerGeschlechtlichkeit — "Hollywood" per Computer. Die neue Welt der digitalenMedien erlaubt dabei auch bereits heute über die Inszenierung der sogenannten„virtuellen Realität" mittels Datenhelm bzw. -landschaften die Flucht aus der(echten) Realität. In naher Zukunft kann dann jeder, wenn er dies möchte, nurnoch mit Maschinen kommunizieren und ganz ohne menschliche Kontakte leben.Dann wird die reale Scheinwelt heutiger Transsexualitäts-Chimären nahtlosübergehen in die künstliche Scheinwelt künftiger Sexualitäts-Phantasien: Kulturund Geschlechtlichkeit werden dann endgültig „entmenschlicht" ins Chaosführen. Oder wie es ein unbekannter Graffitikünstler schrieb: „Ut e rAdam undEva wissen wir inzwischen genug. Es wird höchste Zeit, daß die Theologen endlichüber die beiden letzten Menschen nachdenken." Eine gute Idee!Abschließend noch die Darstellung eines weiblich-männlichenKommunikationsmodells zwischen den bekannten französischen FilmgrößenCatherine Deneuve und Gérard Depardieu. Als (möglicher) Dialog zwischenden (natürlichen) Geschlechtern eine gute Ausgangslage für die Zukunft. Undals Götterdämmerung für das Nirwana der künstlichen Geschlechter eineechte Alternative.»Männer mögensanfte, zerbrechlicheFrauen, aber ichbeeindrucke sie.«Catherine Deneuve, 49,Schauspielerin»Catherine Deneuveist der Mann, der ichimmer gemgewesen wäre.«Gérard Depordiea, 44,Schauspieler294


KAPITEL 16EIN JEGLICHES HAT SEINE ZEITDie Zeit der Erkenntnis — „Freier Fall: <strong>Johanna</strong> K."Im Jahre 1992 entstand der NDR-Dokumentarfilm „Freier Fall: <strong>Johanna</strong> K." vonKlaus Wildenhahn. Die Zeitschrift Szene Hamburg (12/92) schrieb dazu: „EinMann läßt seine Bilder sprechen. „Dinosaurier des Fernsehens" nannte denDokumentarfilmer Klaus Wildenhahn ein ahnungsloser „Das"-Moderator, dem einKurzfilm des Hamburger Regisseurs suspekt vorkam. Doch weder hat Wildenhahnjemals Fernsehen gemacht, noch ähneln er oder seine Filme den ausgestorbenenTieren. Der 62jährige gehört zur Avantgarde der Dokumentarfilmer. Er ist inseinem Metier so stilbildend, wie es Andy Warhol für die Pop Art war: Mit kleinemTeam und auf 16 mm-Film ohne zusätzliches Licht, mit wachem Blick für dieSituation und ohne erläuternde Kommentare, bannt er Arbeiter, Künstler oderGewerbetreibende auf Zelluloid. Er dreht über Streiks, Parteitage oder über seinenLieblingsstadtteil St. Pauli. „Freier Fall: <strong>Johanna</strong> K.", das neue Werk desEigenbrötlers, dessen Karriere als Realisator bei „Panorama" begann, wird imDezember von NDR ausgestrahlt. Zusätzlich findet — unüblich für Filme, die vomFernsehen gezeigt werden —, eine öffentliche Pressevorführung statt".In einem Feuilleton-Essay der Wochenzeitung „Die Zeit" vom 12.3.93 mit dem(bezeichnenden) Titel „Beobachter, nicht Voyeur" hieß es über Klaus Wildenhahn:„Seine Filme sind auch als Filme über nicht geschriebene Bücher und überseheneGeschichten zu verstehen. Für seine meist unbekannten Protagonisten sind sie auchTeil einer Suche und Auseinandersetzung mit sich selbst. Der Dokumentarfilm,meint der auch als Theoretiker des Genres hervorgetretene Filmemacher, könneschließlich auch das leisten: ,Daß der Mensch sich mit sich selbst noch einmalkonfrontiert. Man kann sich auf die Art noch einmal überprüfen." Wie wahr!sowie:295


Freier Fall:<strong>Johanna</strong> K.Ein Dokumentarfilm vonKlaus WildenhahnBild: Gisela TuchtenhagenSchnitt: Annemarie Lang-Johannsen<strong>Johanna</strong> K., 54 Jahre alt, ist vor drei Jahrenhuckepack von 4500 Höhe aus demFlugzeug gesprungen, 2000 m gefallen,dann öffnete sich der Fallschirm. Ein zweitesMal würde sie sich das überlegen, sagt<strong>Johanna</strong> und springt in diesen Film. Einscheinbar gewöhnliches Leben. Geld, malja, mal nein. Arbeitslos mit 52. Ein Menschwie Du und Ich - oder doch nicht ganz?Länge: 92 Min.Format: 16 mm, 1 : 1.37FarbeProduktion: NDR FernsehenVerleih: Stiftung DeutscheKinemathek BerlinFernsehen19.12.92 N34.1.93 ORB4.3.93 B126. 4.93 W315. 9.93 MDR u. a.Filmfestivals1993 - Berlinale- Internationales Dokumentarfilmfestival München- Duisburger Filmwoche- „Verzaubert" — München u. a.296


„Klaus Wildenhahn lehre seine Zeitgenossen die Ernüchterung, schrieb RenéDrommert 1975 in der Zeit und verglich Wildenhahns Filme mit Ausnüchterungszellen.Wer mit dem Nebel der Romantik, mit der Illusion sozialer Gerechtigkeithineingeht, kommt nach ein paar Stunden ganz schön verändert wieder heraus:klarer und heilsam ernüchtert.Von einer Ernüchterung erzählt auch Klaus Wildenhahn bislangs letzter, zurZeit hier und da im Dritten Programm eher versteckter als gezeigter Film: ,FreierFall: <strong>Johanna</strong> K.'. Im Mittelpunkt steht die 54jährige <strong>Johanna</strong> K., die als Manngeboren wurde und sich mit 35 entschied, als Frau zu leben, als Stripperin undProstituierte arbeitete, ein umfangreiches Buch über Transsexualität und den,Mythos Geschlechtswandel` schrieb und heute meint, daß sie möglicherweise nurdeshalb zur Frau habe werden wollen, weil sie als Mann ihre Homosexualität nichthabe akzeptieren können. Er gab ihr Zeit und Raum, um ihre Geschichte zuerzählen. So entstand wieder ein typischer Wildenhahn-Film: ohne künstlichesLicht und ohne belehrenden Kommentar, zusammengesetzt aus Bruchstücken,Bildern und Tönen, alltäglichen Augenblicken und Momenten der Stille.”Im »stern tv magazin" vom 17.12.92 hieß es nach der öffentlichenPressevorführung (11.12.92):GRENZ-GANG ERINFilm von KlausWildenhahn über dieTranssexuelle <strong>Johanna</strong> K.Noch einmal Hamburg 4:Reeperbahn nebenan«hieß der Film, den <strong>Johanna</strong>K. vor einem Jahr imFernsehen sah. Die Art, wieder klischeebefrachteteStadtteil St. Pauli da neugezeigt wurde, gefiel ihr. Siewandte sich an den Autordes Films — und bot sichselbst als Thema an.»Sie kam zu mir, weil sieeine andere als die üblichesensationalistische Berichterstattungwünschte«,sagt Klaus Wildenhahn. Dienun liegt dem renommiertenDokumentarfilmerso fern, daß er sogar fürdie Presseankündigungzu seinem Film »Freier Fall:<strong>Johanna</strong> K.« (am 19.Dezember um 23 Uhr inN3, am 4. Januar im ORB,am 11. Februar im Drittendes SFB) nicht erklärenwollte, worum es geht. Erwill keine voyeuristischenHoffnungen wecken. »EinMensch wie du und ich« seizu sehen, heißt es da nur.»Oder doch nicht ganz?«<strong>Johanna</strong> K. ist in Hollandaufgewachsen und hat alsIngenieur an Tunneln undDeichen mitgebaut. Mit 35fängt sie »neu analsFrau«. Hormonbehandlung,Silikonspritzen in dieLippen, Striptease inHamburg. Später machtsie ein Lokal auf (»meinVersuch zur Normalität»),geht bankrott und arbeitetals Prostituierte: »Es gibtviele, die das mögen: obenFrau. unten Mann.«So verdient sie einenHaufen Geld — doch hörtauf, weil es sie drängt, einBuch zu schreiben, das sieDOKUMENTARFILM stern tvihr ganzes bisheriges Lebenneu überdenken läßt:»Mythos Geschlechtswandel«heißt es. Am Endestellt sie ihre langjährigeIdentität in Frage: DieWandlung zur Frau erscheintihr als Versuch,sich der heterosexuellenNorm unterzuordnen, diedas »Frausein im falschenKörper« weniger diffamiertals offene Homosexualität.Für den 62jährigen Wildenhahn,vor allem alsChronist der Arbeiterbewegungbekannt, war esdie erste Begegnung mitder Welt der sexuellenZwischenstufen. Die unverstellteErnsthaftigkeitseiner Hauptperson hat ihnbeeindruckt. Auch ohneexakte Chronologie fügtsich in seinem Bericht allesmosaikartig zum»Raumgehäuse« eines Lebenszusammen. »Manmuß aufpassen mit denfestgelegten Kästchenbegriffen«,weiß <strong>Johanna</strong> K.heute, mit 54 Jahren.»Das fließt alles ineinanderüber.«Aa<strong>Johanna</strong> K.,heute 54, fingmit 35 Jahrenein neues Lebenals Frau an297


Die „Süddeutsche Zeitung" vom 19.12.92 vermerkte zur Erstausstrahlung auf N3:Zwischenwelten, Scheinwelten„Freier Fall" — Klaus Wildenhahns Porträt einer Transsexuellen23.00 Uhr NordJeder Dokumentarfilm sei immer aucheine Erkundung, sagt Klaus Wildenhahnund kann gar nicht oft genug betonen,daß ihm vor allem eines fremd ist: schonbei den Dreharbeiten ein fix und fertigesBild von der Wirklichkeit im Kopf zuhaben und von den Menschen; die sieprägen. Was der renommierte NDR-Dokumentarist seit jeher bietet, sindpräzise, gelassene Innenansichten, diesich freimachen vom Spektakulären undgerade dadurch ehrlich sind.Was ist Normalität, fragt Wildenhahn inseinem neuesten Film „Freier Fall: <strong>Johanna</strong>K." und erkundet das vielschichtigeLeben eines Menschen, der nicht nureinmal im Leben den Mut zum freien Fallhatte, ohne zu wissen, wo er landet. Mankann das wörtlich nehmen: „<strong>Johanna</strong> K.,54 Jahre alt, ist vor drei Jahren Huckepackvon 4500 Metern Höhe aus dem Flugzeuggesprungen, dann öffnete sich derFallschirm ..." Aber man muß es natürlichauch als Metapher sehen, dieses mehrmalswiederholte Bild vom freien Fall und vonden Wagnissen, die damit für dieHauptperson verbunden waren: <strong>Johanna</strong> K.hieß früher einmal Jacobus Johannes, dieFallhöhe zwischen immer neuenLebenswirklichkeiten ist ihr inzwischenvertraut, als Abenteuer und alsErnüchterung. Vom Brückenbauingenieurzur Stripteasetänzerin und Prostituierten,die im Akkord „ein Schweinegeld verdienthat", schließlich der freie Fall insNichts: „Ich habe mich von der Scheinweltverabschiedet", sagt <strong>Johanna</strong> K.trokken und muß dabei an vielerleidenken. Zum Beispiel an denGerichtsvollzieher, der ihr im Nackensitzt, seit das eigene Nachtlokal, von demsie träumte, pleite ging. Oder auch dieTranssexualität, die über lange Jahrehinweg echt zu sein schien, sich dannaber als Homosexualität herausstellte.Halbwelten, Zwischenwelten, Scheinwelten:Erst ganz allmählich, dann aberum so intensiver, kommen die Irrungenund Vertracktheiten bei <strong>Johanna</strong> K. zumVorschein, mal selbstironisch, mal traurig,jedoch nicht so, daß es mutlos machenwürde. Gisela Tuchtenhagens unaufdringlicheKameraarbeit trägt viel dazubei, daß es ein Film wurde, der ehrlich unddiskret zugleich ist. Der Mut, in diesenFilm zu springen, war für <strong>Johanna</strong>K. nicht umsonst.ROLAND TIMMN 3, 23.00 Uhr2 9 8


Das „Hamburger Abendblatt" vom 19.12.92 formulierte:Lederlady beim RollenwechselFreier Fall: <strong>Johanna</strong> K.Es ist der genaue, gelasseneBlick, der die Filme des renommiertenHamburger DokumentaristenKlaus Wildenhahn(NDR) auszeichnet. Seine Arbeitenwie u.a. der Report „PinaBausch und ihre Tänzer" sindauthentische Situationsprotokolleder Gesellschaft, in der wirleben. Neuestes Beispiel: „FreierFall: <strong>Johanna</strong> K.", eine Recherchenach der Lebenswahrheit einerungewöhnlichen Existenz(Bild: Gisela Tuchtenhagen). DieGeschichte handelt von Transsexualität.<strong>Johanna</strong> ist eine„künstliche Frau".Wildenhahn beobachtet sie aufIbiza bei der Freundin, in derKuschelwohnung in Altona,folgt ihr ins ehemalige Lust-Apartment Pink Rose an der Alster.Doch ist dies kein Fall fürPeepshow-Freaks. Eine gebrocheneBiographie des „Andersseins"wird aufgearbeitet, ohneSensationsgier, sachlich, human.„Kontakt und Story ergabensich nach meinem letztenSt.Pauli-Film über Menschen nebender Reeperbahn", sagt Wildenhahn.„Ich mußte erst lernen,was es heißt, im Rollenwechselzur eigenen Identität zu findenund sie zu behaupten."<strong>Johanna</strong> K., 54, als Mann geboren,ist gelernter Bauingenieur. FrüheNeigung zum Tragen vonFrauenkleidern. Ausbruch ausbürgerlicher Normalität. Strip-Als Mann geboren,brach sie bald aus der bürgerlichenExistenz aus: <strong>Johanna</strong> K.tease als „Gigi, die Katze derNacht". Dann Edelprostituierte,die als flambierende Lederladyfür Triebabfuhr sorgt und Kassemacht.Irgendwann begann <strong>Johanna</strong>zu schreiben. Es entstand eincouragiertes Buch über den MythosGeschlechtswandel. SelbstkritischeErkenntnis: „DieTranssexualität war eine Flucht— ich wollte mich nicht zu meinerHomosexualität bekennen."Ein Lebensirrtum mit Folgen.Wildenhahns Beschreibung endetskeptisch. <strong>Johanna</strong> K.: „Manrudert, ohne zu.wissen, wo manlandet."GUNTHER WOLFN 3, 23.00 Uhr299


Schlußakkord und Neues Denken„Freier Fall: <strong>Johanna</strong> K." ist ein Film der Erkenntnis aus der Retrospektiveheraus — das Rad der Zeit kann nicht zurückgedreht werden. Was jedoch gemachtwerden kann, ist, den Generationenkonflikt zu überwinden, indem gemachteErfahrungen und entstandene Erkenntnisse — zumindest im informativen Sinne —aufgearbeitet und weitergegeben werden. Denn „Ein Jegliches hat seine Zeit", undfür die Autorin, lieber Leser, ist offensichtlich die Zeit gekommen, wo dasgesammelte Wissen und das umfangreiche Spektrum des Erlebten in den Raumgestellt werden soll. Dieses Buch und das Vorgänger-Sachbuch „Mythos Geschlechtswandel"sowie der schon erwähnte Dokumentarfilm „Freier Fall: <strong>Johanna</strong>K." sind der Versuch, dieses Anliegen in die Tat umzusetzen. Wer davon Gebrauchmachen will, soll womöglich seine Entscheidungen im Leben, wenn es umTranssexualität und Geschlechtsumwandlung geht, danach ausrichten und seinWissen um sich und die Welt um sich herum erweitern — es ist nie zu spät, aufandere zu hören und die eigenen Ansichten daran zu testen. Wer dies nicht will undmeint, das träfe für ihn ja wohl alles nicht zu (oder wie viele junge Transsexuelleunbekümmert sagen: „Das ist Dein Ding"), soll es sein lassen, sich aberandererseits auch später nicht darüber beklagen, man hätte ihm nichts gesagt und„andere" für seine eigenmächtig inszenierte Wirklichkeit verantwortlich machen.Denn dem Menschen wird nicht nur Verstand zugebilligt — definiert alsErkenntnisvermögen von Ursachen und Wirkungszusammenhängen —, sondernauch Vernunft als die geistige Fähigkeit zur eigenverantwortlichen Werterkenntnis.Dies bringt mit sich, daß der Mensch einerseits ein starkes Interesse hat, „sichselbst" zu erkennen, sich aber andererseits auch mit dem Problem konfrontiertsieht, als nach Erkenntnis strebendes Wesen mit dem Gegenstand seinerErkenntnis weitgehend identisch zu sein (Subjekt-Objekt-Spaltung). Ebenso ist esauch normalerweise das Streben des Menschen, nach dem „Sinn vom Allem" zufragen — warum gerade so und nicht anders? Die jeweilige Einstellung zum Lebenist dabei jedoch wieder abhängig vom Gelingen, seinen Erlebnissen oder dem, wassich rund um ihn abspielt (seiner Umwelt), eine Bedeutung oder einen Wert zuzumessen— die Subjektivität mag dabei öfter die Objektivität überdecken. Selbstverständlichkönnen die Maßstäbe dabei schwankend sein, denn was dem einenMenschen sinnvoll ist, mag dem anderen sinnlos erscheinen oder erst zu einemspäteren Zeitpunkt einen Sinn bekommen (die Inszenierung von Vermeidungsstrategienbeispielsweise). Aber von vorneherein — wie vor allem in der Transsexuellen-Selbsthilfe-Szenefeststellbar — die Schotten zuzumachen und sich in derexklusiven Enklave „Transsexualismus" als unabwendbares, leidvolles „Schicksal"zu verschanzen: Das kann auch nicht der Sinn des Ganzen sein. Die „InformierteGesellschaft" abdriften zu lassen in die „Unmündige Gesellschaft" (nur weil nichtmehr zwischen Fiktion und Realität unterschieden wird bzw. werden kann), nurnoch momentane Situationen wahrzunehmen und dramatische Entwicklungennicht mehr zu verfolgen, sondern einfach zu leugnen: Auch das kann nicht der Sinndes Ganzen sein. Die Wahrheit zu sagen, kann sehr hart sein, sie zu erfahren, nochviel mehr, aber sich davor zu verstecken und sie einfach aus-300


zublenden, zu verdrängen — das kann nun wahrlich keine Lebensstrategie aufDauer sein.In seinem aufschlußreichen Werk „Zwischen Selbstzucht und Verlangen.Thomas Mann und das Stigma Homosexualität" (1991) hat der Autor KarlWerner Böhm eine solche intensive (Homosexualitäts-)Vermeidungsstrategietrefflich herausgestellt — wenn auch verspätet wegen der testamentarischenVerfügung Thomas Manns, daß seine Tagebücher erst zwanzig Jahre nach seinemTode erscheinen durften (Schutz der Familie). Der bekannte LiteraturkritikerHellmuth Karasek (selber ein Fassaden-Patriarch par excellence) schreibt hierzuin einem Spiegel-Artikel mit dem (entlarvenden) Titel „Der Schock, ein andererzu sein" (46/1991): „Es bleibt kein Zweifel mehr. Thomas Mann warHomoerotiker (Autorin: hört sich irgendwie besser an — wie Malheur!). Und erwar es nicht nur zeitweise, weder nur in der jugendlichen Phase sexuellerUnsicherheit, wie zu lesen war, noch nur in der Phase des Alters. Nein, er war essein Leben lang und im Denken so gut wie ausschließlich — so sehr die Fassadedes Patriarchen auch dagegen sprach"(!).sowie:„Es war eben nur Fassade. Doch sollte man das ,nur` gleich korrigieren, denn keinanderer Autor hat die Wichtigkeit von Fassaden als eigentlicher Existenz sobetont wie T. M. Leben war, wie er seit ,Königliche Hoheit' nicht müde wurde zuformulieren, vor allem Repräsentanz. Der Schriftsteller war auch und vor allemein Repräsentant, der sein gesellschaftliches Ansehen mit Verzicht, Leiden (!),Selbstzucht, Beherrschung, Triebunterdrückung bezahlte. Denn auch das machendie Tagebücher deutlich: Thomas Mann hat seine Sexualität ein Leben lang alsSchwäche, Krankheit, Versagen empfunden; nur nahezu vollkommenes Entsagenschien ihm der einzig erträgliche Umgang mit der eigenen Natur. Und derSchriftstellerberuf mit all seinen Verzichten und Entbehrungen war die Antwort,die seine Veranlagung rigoros verlangte." Und wie ist es mit der Transsexualitätals (willkommene) „Fassaden"-Lösung?In der chinesisch-mongolischen Provinz Sinkiang gibt es eine riesige Wüstemit dem Namen „Taklamakan". Wörtlich aus dem Uigurischen übersetzt, heißtdies: „Du gehst hinein, aber kommst nicht mehr heraus." Solche (transsexuelle)Taklamakan-Wege möglichst zu vermeiden oder aber zumindest zu beleuchten:Das ist der Sinn der von der Autorin gestarteten Aufklärungs- und Informationskampagne.Die Autorin hat sich im Jahre 1992, nach dem Erscheinen ihres Sachbuchs„Mythos Geschlechtswandel" und der Ausstrahlung des NDR-Dokumentarfilms„Freier Fall: <strong>Johanna</strong> K." (zugegebenermaßen sehr naiv) gewundert über diedadurch ausgelösten Wirkungen und Kommentare verschiedenster Gruppen in derTranssexuellen- und auch Homosexuellenszene: Teilweise war das Echoverheerend und ungemein frustrierend. Als wäre nur ein Stichwort notwendiggewesen, um die Schleusen einer gierigen, lange aufgestauten Wut zu öffnen, diedie Autorin — und alle ihre Sympathisanten — gleich mitverschlingen wollte. Eswar dies allerdings ebenso faszinierend festzustellen, wie sehr die (homosexuellen)Thesen der Autorin einen offensichtlich überaus wunden Punkt in der Transsexuellen-Philosophiegetroffen haben — die vielen (Potemkinschen) Fassadensind offensichtlich nicht sehr stabil...301


Woher ist diese Wut gekommen? Hat es überhaupt Sinn, auf offensichtlichSchwerhörige einzureden, auf eine Masse von „Im-falschen-Körper"-Indoktrinierten,die immer mehr mit beiden Beinen fest in einer Wolke von Illusionensteht und mit keinerlei Hinweisen auf Realitäten zu beeindrucken zu seinscheint? Muß man es mit dem französischen Schriftsteller Guy de Maupassant(1850 - 1893) halten, der einst sagte: „Heute sieht es so aus, als wären wir eineGattung von ungehobelten Flegeln geworden. Vor allem in letzter Zeit habe ichden Eindruck gewonnen, es liegt eine regelrechte Verschlimmerung dieser Ungehobeltheitin der Luft. Im übrigen sind wir schon so daran gewöhnt, daß wir siegar nicht mehr bewußt wahrnehmen?"Die überaus positiven Reaktionen der „normalen" Allgemeinheit — und da spezielldes Publikums auf den Filmfestivals anläßlich der vielen Diskussionsforen —haben dann jedoch dazu geführt, daß Guy de Maupassant sich bei der Autorinnicht durchsetzen konnte und voilà: Hier ist das neue, zweite Buch. Diesmal alsPamphlet — Angriff ist die beste Verteidigung, und die immer mehr zunehmendegesellschaftliche Akzeptanz der von der Autorin vorgebrachten Thesen läßt aufbessere Zeiten hoffen. Die begrifflichen Kategorien müssen dabei allerdings wiedervom Kopf auf die Füße gestellt bzw. neu geordnet werden, denn es kann nichtangehen, daß in den neunziger Jahren einfach so weitergemacht wird, wie einstangefangen wurde. Dabei ist es weniger erforderlich — wie es Volkmar Sigusch(endlich) signalisiert hat — „theoretisch noch einmal von vorne anzufangen", sondernin erster Linie inne zu halten, sich zu besinnen. Die Gesellschaft muß erkennen,daß die Transsexualitäts- und Geschlechtsumwandlungs-Problematik ausdem Ruder zu laufen droht und daß nicht weitergemacht werden darf: „Koste es,was es wolle!" Es ist die Zeit der Erkenntnis, mehr denn je und sobald wiemöglich und von so vielen wie möglich — das Neue Denken kann dazu vielbeitragen. Oder wie der Philosoph und Geisteswissenschaftler Paul Hazard (1878- 1944) es in seinem Werk „Die Herrschaft der Vernunft" (1949, S. 370)formulierte: „Der Mensch ist des Fortschritts nur in dem Maße fähig, in dem eraufgeklärt ist; und es gibt viele Menschen, die nicht aufgeklärt sind und nur sehrlangsam aufgeklärt werden könnten, solche, die dessen vielleicht nicht einmalwürdig sind, und solche, die niemals aufgeklärt sein werden." Weise Worte, wohlaus dem gleichen Erfahrungsspektrum gesprochen, wie es auch die Autorin fürsich in Anspruch nimmt.Wir haben den Versuch zur Aufklärung mit dem vorliegenden Buch erneutgestartet, lieber Leser, und können nur hoffen, daß damit Paul Hazards Aussageetwas gemildert bzw. relativiert werden kann. Wenn dies so sein sollte, wäreunseres (bescheidenen) Erachtens doch schon einiges erreicht. Das Neue Denkensoll hierbei die nötigen Akzente setzen und dafür Sorge tragen, daß dasFaszinosum Transsexualität gewahrt bleibt, aber das Nirwana der chirurgischenGeschlechtsumwandlung entlarvt wird — die eingeleitete Götterdämmerung derkünstlichen Geschlechter soll neue, »freundlichere" Perspektiven im Umgang„männlicher" und „weiblicher" Menschen miteinander aufzeigen. Aber dafür ist eserforderlich, daß das Neue Denken zuerst die Köpfe ändert und nicht — wie imalten Denken — zuerst die Körper. Transsexualität und Geschlechtswandel: „Ja".Mythos und Künstlichkeits-Nirwana: „Neid` — „der Schock, ein anderer zu sein"302


kann auch anders als mit „technischen Lösungen" überwunden bzw. ertragen werden.„Illusio-virilis"-Fassade hin oder her!E N D E D E R V O R S T E L L U N G303


DOKUMENTATIONDie im folgenden verzeichneten Bücher haben maßgeblich zur Faktensammlungund Meinungsbildung im vorliegenden Werk beigetragen.Alexandra (Mitarbeit Elsner Constanze): Ich war ein Mann. DieLebensgeschichte eines Transsexuellen. Rastatt 1992Allen, Paula Gunn: The Sacred Hoop: Recovering the Feminine in AmericanIndian Traditions. Boston 1986Badinter, E.: Ich bin Du. Die neue Beziehung zwischen Mann und Frau oder Dieandrogyne Revolution. München 1987Badinter, E.: XY Die Identität des Mannes. München 1993Baumann, H.: Das doppelte Geschlecht. Berlin 1955Beauvoir, S. de: Das andere Geschlecht, Sitte und Sexus der Frau. Reinbek 1951Beerendonk, Brigitte: Doping — Von der Forschung zum Betrug. München1992 Beier, K. M.: Sexualität zwischen Medizin und Recht. Stuttgart, Jena 1991Benard, C./Schlaffer, E.: Die Grenzen des Geschlechts. Anleitung zum Sturz desinternationalen Patriarchats. Reinbek 1984Berrill, N. J.: Natur und Geschlecht. München 1954Bleibtreu-Ehrenberg, G.: Der Weibmann. Frankfurt am Main1984 Bleibtreu-Ehrenberg, G.: Homosexualität. Frankfurt amMain 1978Böhm, K. W.: Zwischen Selbstzucht und Verlangen. Thomas Mann und dasStigma Homosexualität. Würzburg 1994Bräutigam, W./Clement, U.: Sexualmedizin im Grundriß. Stuttgart 1989Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt am Main 1991Carrera, M.: Sex. Facts — Acts — Feelings. Berlin 1981Cohn, Nick: Das Herz der Welt. München 1992Crapo, L.: Hormone. Die chemischen Boten des Körpers. Heidelberg1986 Davies, N.: Weltgarten der Lüste. Düsseldorf 1985304


Desirat, K.: Die transsexuelle Frau. Entwicklung und Beeinträchtigung weiblicherGeschlechtsidentität. Stuttgart 1985Duden, Barbara: Geschichte unter der Haut. Stuttgart 1991Duerr, Hans Peter: Nackheit und Scham. Der Mythos vom Zivilisationsprozeß.Bd. 1. Frankfurt am Main 1988Duerr, Hans Peter: Intimität. Der Mythos vom Zivilisationsprozeß. Bd. 2.Frankfurt am Main 1990Duerr, Hans Peter: Obszönität und Gewalt. Der Mythos vom Zivilisationsprozeß.Bd. 3. Frankfurt am Main 1993Eicher, W.: Transsexualismus. Möglichkeiten und Grenzen der Geschlechtsumwandlung.Stuttgart 1984Eskapa, R. D.: Die bizarre Seite der Sexualität. Hamburg 1988Faludi, Susan: Die Männer schlagen zurück. Hamburg 1993Geibel, Chr.: Im falschen Körper gefangen. München 1983Garber, Marjorie: Verhüllte Interessen. Frankfurt am Main 1993Goldin, Nan: Die andere Seite. Berlin 1992Grossmann, Thomas: Eine Liebe wie jede andere. Hamburg 1993Harris, Thomas: Das Schweigen der Lämmer. München 1990Hazard, Paul: Die Herrschaft der Vernunft. Hamburg 1949Heim, N.: Die Kastration und ihre Folgen bei Sexualstraftätern. Göttingen 1980Hirschauer, Stefan: Die soziale Konstruktion der Transsexualität. Frankfurt amMain 1993Hirschfeld, M.: Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen. Auswahl aus denJahrgängen 1899 - 1923 Band 1. Frankfurt am Main 1984Hirschfeld, M.: Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen. Auswahl aus denJahrgängen 1899 - 1923 Band 2. Frankfurt am Main 1984Jovanovic, L./Subak-Sharpe, G. J.: Hormone. Hamburg 1989<strong>Kamermans</strong>, <strong>Johanna</strong>: Mythos Geschlechtswandel. Hamburg 1992Kamprad, B./Schiffels, W.: Im falschen Körper — Alles über Transsexualität.Zürich 1991Kaplan, L.: Das Mona Lisa Syndrom. Düsseldorf 1990Kölner, Erhard: Schwul und selbstbewusst. Ein Programm fürs Coming-Out.Hamburg 1994Kosko, Bart: fuzzylogisch — Eine neue Art des Denkens. Hamburg 1993Le Vay, Simon: Keimzellen der Lust. Heidelberg 1994Lang, S.: Männer als Frauen, Frauen als Männer. Geschlechtsrollenwechsel beiden Indianern Nord-Amerikas. Hamburg 1990Lindemann, Gesa: Das Paradoxe Geschlecht. Frankfurt am Main 1993Mahlsdorf, Charlotte von: Ich bin meine eigene Frau. Ein Leben. Berlin 1992Masters, W. M./Johnson, V. E.: Homosexualität. Frankfurt am Main 1979Ortkemper, Hubert: Engel wider Willen. Berlin 1993Nagl, W.: Chromosomen. Berlin 1980Paglia, Camille: Die Masken der Sexualität. Berlin 1993Parinaud, André: So wird man Dali. München 1976Pfafflin, Friedemann/Junge, Astrid: Geschlechtsumwandlung. Stuttgart 1992Pilgrim, V. E.: Muttersöhne. Düsseldorf 1986305


Prinz, U./Mitarbeiter: Androgyn. Sehnsucht nach Vollkommenheit.Berlin 1987Raymond, J. G.: The Transsexual Empire. Boston 1979Referat für gleichgeschlechtliche Lebensweisen: Pädagogischer Kongreß:Lebensformen und Sexualität. Berlin 1993Rheims, Bettina: Les Espionnes. München 1992Rüttner-Cova, S.: Der Matriarch. Basel 1988Schneider, A.: Rechtsprobleme der Transsexualität. Frankfurt 1977Schwarzer, A.: Der „kleine Unterschied" und seine großen Folgen.Frankfurt am Main 1975Sigusch, Volkmar: Geschlechtswechsel. Hamburg 1992Snyder, Solomon H.: Chemie der Psyche. Heidelberg 1988Sommer, Karl: Der Mensch. Berlin-Ost 1989Sommer, Volker: Wider die Natur - Homosexualität und Evolution.München1990Sommer, Volker: Lob der Lüge. Täuschung und Selbstbetrug bei Tier undMensch.. München 1992Springer, E.: Pathologie der geschlechtlichen Identität.Transsexualismus und Homosexualität. Wien 1981Springer, Sally P./Deutsch, Georg: Linkes Rechtes Gehirn. Heidelberg1993Stark, Jürgen: Das Herz von St. Pauli. Hamburg 1992Stoll, H. W.: Mythologie der Griechen und Römer. Kettwig 1990Sykes, Charles: A Nation of Victims. New York 1994Szasz, Thomas: Das Ritual der Drogen. Wien 1978Tannahill, R.: Kulturgeschichte der Erotik. Wien 1992Ulrich, H.-B./Karsten, T.: Messer im Traum — Transsexuelle inDeutschland, Tübingen 1994Vincent, J.-D.: Biologie des Begehrens, München 1993Voigt, Charlotte: Vater wer bin ich? In: Voigt, Charlotte: Vater wer binich? S. 7-25. Hamburg 1992Walker, Barbara G.: Das geheime Wissen der Frauen. Frankfurt am Main1993Watzlawick, P.: Die Möglichkeit des Andersseins. Bern 1986Wilms, A./Düggelin, W.: Transvestiten. Luzern 1978Wisniewski/Birringer/Hampl/Mende/Rost: Telekolleg I Biologie/Telekolleg II Biologie. München 1988Wolf, Naomi: Die Stärke der Frauen - Gegen den falsch verstandenenFeminis mus. München 1993Woodlawn, Holly: A low Life in high Heels. New York 1992Yoshimoto, Banana: Kitchen. Zürich 1994306


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