mixTITEL ON TOURLesung <strong>auf</strong> RädernNormale Lesungen an normalen Tischen in normalen Schulaulen oder Stadtteilbibliotheken?Damit darf man dem Event-verwöhnten Literaturpublikumnun wirklich nicht kommen. Also werden alle paar Monate ein paar Literaturschaffendeabends in den öffentlichen Nahverkehr integriert und durchdie Stadt transportiert, während sie aus ihren Werken vorlesen – auch in Bielefeld:„Titel onTour – BekannteAutoren lesen inBussen und Bahnen“nennt sichdie etwas andereLesung und wartetmit den dreiAutoren ClemensMeyer, MarkusOrths und FeridunZaimoglu<strong>auf</strong>. Sie lesen ausihren jeweils aktuellstenVeröffentli-Markus Orths liest aus „Irgendwann ist Schluss”chungen vor, beiClemens Meyer wäre das sein Roman „Im Stein“, in dem er die letzten zwanzigJahre Revue passieren lässt, allerdings aus der Sicht eines vielstimmigenChores von Prostituierten und Zuhältern. Es geht um die Verteilung der ehemaligenDDR unter Gesichtspunktendes Sexmarktes.Aus dem Westen treffen dieprofessionellen Markt<strong>auf</strong>bauerein, aus dem Osten willigeFrauen, die „im Westen“ ihrGlück versuchen wollen. MarkusOrths bringt seinen neuen,zweiten Geschichtenband„Irgendwann ist Schluss“mit, in dem er von Drehbuchautorenfür Soap Operas erzählt,diesichauchimechtenLeben in ihren kitschigenClemens Meyer list aus „Im Stein”Geschichten verlieren, esgibt Kafka-Referenzen, skurrile Todesfälle und literarische Ausflüge in dieWelt von Hitchcock. Feridun Zaimoglu liest aus seinem Text „Der Mietmaler“vor. Zaimoglu, der auch selber malt, erzählt die Geschichte eines Malers,der eine reiche Frau porträtieren soll, was sich allerdings zu einerFarce entwickelt.19. Oktober, ab 20 Uhr, Treffpunkt ist der Rathausplatz. Tickets gibt es für7,50 Euro in der Tourist-Information.Harms Helden6 ULTIMO
THEATERIM EIGENEN LAND»Alle sechzehn Jahre im Sommer« im TAMEs geht um Fußball, drei Weltmeisterschaftenund das Leben dazwischen.John von Düffel hat für seineTrilogie des veränderten Lebens eintreffend einfaches und vor allemdeutschen Männern sofort einleuchtendesMuster gefunden. Immer genauzur Weltmeisterschaft treffensich die selben Leute an der selbenStelle und spielen mit ihren Weltentwürfen.Und damit ein gewisserDreh ins Spiel kommt, sind es die selbenSchauspieler, die nur fast die selbenPersonen darstellen. Wegen Todund Geburt kommt es zu Auswechslungen,wegen Alter und Effekt zuÄnderungen im Trikot. Im Großenund Ganzen aber wiederholt sich dieGeschichte zwei mal. Und siebeginnt als Farce.1974 ist die große Wohnung inBerlin-Charlottenburg von Studentenund ihren Kindern überfüllt.Lehramts-Heidrun besetzt dasWohnzimmer mit dem permanenttagenden Plenum und will von derAbwaschregelung bis zum Männerverbrauchder im Prinzip reinenFrauen-WG immerzu alles diskutieren.Medizin-Jochen und sein Fernseherwurden in die Küche abgeschoben,seine Kunst-Sabineschwebt im Dauerrausch vorbei,Theaterwissenschaftlerin Magdakommt zwischen zwei Affären nurzum Kleiderwechseln und lässt sichvon Helge malen, weil der lieberAkt-Skizzen von Sabine macht, undCarlo vertickt von Jochen besorgteDrogen an Gott und die Welt. Daswäre bloß Stoff für eine Boulevard-Klamotte,wenn nicht im Hintergrundmal das Spiel BRD-DDRliefe, mal das gegen Chile, was zuallerlei zeitkritischen Nebensätzenund Fragen führt. Die bösen Witzeaber überwiegen. Und der Erzählerdes ganzen Abends wird geboren,während nebenan imOlympiastadion ein Tor fällt.Sechzehn Jahre später wird erseine Unschuld verlieren. Nur nochJochen und Sabine wohnen in derEx-WG, gutsituiert , aber schon vomLeben gezeichnet. Zufällig ist wiederWM und zufällig kommen die Freundevorbei. Heidrun ist eine strengeLehrerin geworden, Helge ein Malermit einigem Ruf,Carlo verticktjetzt Gebrauchtwagenan Ossis,und langsammerken alle,dass das Damalsganz anderswar. Was beiden Eltern nochfröhlicher Aufbruchwar, istbei den Kindernnun gefährlich,und was demZuschauer geradenoch nostalgischwild erschien,sieht jetzt zickig pubertäraus. Dazu trägt neben dem starktypisierenden Spiel der acht Darstellervor allem die geschickte Kostümierungbei. Da sagt eine Perückemehr als tausend Worte.2006 wurde es nichts mit demTitel. Und fast als Gegenentwurfzum realen Sommermärchen geht<strong>auf</strong> dem Theater die WG endgültigunter. Alle liegengebliebenen Konfliktestehen noch einmal <strong>auf</strong> undgehen nicht weg. Aber die Mannschaftlöst sich <strong>auf</strong>, zum Teil wiederkomisch, wenn Sabine sichzum Steine bemalen nach Lanzarotezurückzieht, überwiegendaber tragisch. Nur die nächsteGeneration hat offenbar neue Hoffnungen.Wohl kaum von ihrenEltern und sicher nicht <strong>auf</strong> ein Endspielin Katar.WingWolff, Baierl, Patzelt und PriegoBielefeld, Stadttheater, Alle sechzehnJahreimSommer.TrilogiedesverändertenLebens. Von John von DüffelRegie: Michael Heicks Bühne: AnnetteBreuer Kostüme: Anna SörensenMit: Thomas Wolff, Christina Huckle,Judith Patzelt, Oliver Baierl, JancoLamprecht, Anton Pleva, CarmenPriego, Julia Friede / Die nächstenTermine: 15./17./18./31.10.ULTIMO 7