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qarTuliDein unerwarteter Anruf aufs Handy.Das machst du sonst sehr selten. Sekunde später weiß ich,dass du Krebs hast und bald operiert werden musst. Schock!Wie gelähmt und eine Zeitlang ohne Denkvermögen sitze ichim Sessel. Deine Stimme spricht etwas, das ich nur hörenaber gar nicht verstehen kann. Am Ende höre ich mich sagen:„Ja… ich komme. Ich komme sofort, meine Liebe…“ Ich weiß,ich klammre mich an einen Strohhalm, aber was Anderesfällt mir nicht ein und sage es dir: „bitte, keine Angst, meineLiebe… sicherlich ein Irrtum… So was kommt ja manchmalauch vor…Natürlich komme ich sofort, ich ruf’ gleich dasFlugbüro an…“Einen Direktflug gibt es nicht und ich muss über Athen fliegen.Gott! Krebs! Aber wieso? . Wir haben uns doch ungefähr voreinem Monat gesehen! Ist so was überhaupt möglich?Ich rufe meinen Freund an. Er ist Professor und arbeitet in derZentralklinik der Republik. „So was kommt nicht selten vor“,er macht eine kurze Pause, „ja, ohne irgendwelche ernsthafteSymptome und dann ist es meistens zu spät...“Endlich mal landet die Maschine in Berlin und ich rufe dichsofort an. Am nächsten Tag treffen wir uns in Charlottenburg.Fasanenstraße. Wir sitzen in meinem Hotelzimmer. Ich weißnicht, was ich sagen soll. Du knöpfst deine Bluse auf.„Hier, fühl mal. Aber vorsichtig. Es tut sehr weh:“ Dein Busensieht genauso aus, wie er immer ausgesehen hat – mittelgroß,stramm, weiß und sehr schön. Aber nicht mehr reizend. Zumersten Mal berühre ich deine Brust mit Angst. Unterhalb derBrustwarze fühle ich etwas Hartes. Etwa so klein wie einVogelei. Ich drücke es möglichst vorsichtig mit zwei FingernDu schreist auf und ich sehe die Tränen in deinen Augen.„Wenn ich strebe…“ deine von Tränen erstickte Stimme brichtab. „… sterbe ich auch vor meinem Tod“, denke ich mir, sageaber was ganz Anderes und Dummes: “Eine uralte Weisheit,meine Liebe – hoffe nie ohne Zweifel und zweifle nie ohneHoffnung.“ Mein Scherzversuch ist zu plump. Dein Gesichtbleibt ausdruckslos. Du starrst an mir vorbei auf einen billigenDruck von Monet an der Wand. „…dann sollst du für uns beideleben. Verstehst du? Für dich und für mich. Versprich mir das!“Meine Antwort ist eine Umarmung und stumm verspreche ichdir, dass ich vor meinem Tode sterben werde, wenn…Acht Monate später komme ich wieder nach Berlin. Du stehstam Fenster in meinem Hotelzimmer. Es ist Juli und du hasteine dünne blaue Bluse an. Ich umarme dich und drücke dichan mich fest. Unter deiner Bluse fühlt sich etwas Steinhartesan und ich zucke unwillkürlich. Das entgeht dir nicht und dubefreist dich schnell aus meinen Armen. Wir schweigen beide.Deine Augen füllen sich mit Tränen. Du senkst den Blick undich bin sprachlos. Ich versuche dich zu umarmen, aber duweichst zurück. „Nein.. Bitte, lass das… Bitte… nicht“. Aberich will nichts hören. Ich will es unbedingt sehen.Lieber hätte ich es nicht gesehen, aber es ist zu spät. eigentlichhabe ich was noch Schlimmeres erwartet und war auch daraufgefasst, aber gerade deswegen bin ich entsetzt, weil ich jetztanstatt eines operierten Busens einen schrecklichen Ersatzsehe.Du weinst. Auch ich kämpfe verzweifelt gegen einen stachligenKlumpen in meiner Kehle. „Ich liebe dich…“ Es kömmt gewürgtund ich umarme dich. Jetzt weinst du laut und zitterst amganzen Körper. „Ich liebe dich“ wiederhole ich, „Hauptsache,du bist jetzt wieder gesund…“ Du vergräbst dein Gesicht inmeine Brust und schüttelst den Kopf. „Nein… ich bin gar nichtgesund. Ich…ich bin keine… keine Frau mehr…“ Ich umarmedich fest und weiß nicht, was ich sagen soll. Du zitterst undweinst. Ich küsse dich auf die Wangen. Sie sind tränennassund schmecken salzig. Und ich wiederhole endlos „meineLiebe, meine einzige Liebe… mein schönes Mädchen…bitte… bitte… du weißt doch, wie ich dich liebe…“ Nein, eshilft nichts, du weinst weiter, aber plötzlich umarmst du michauch fest und lässt mich nicht los. „Ja… ich weiß es doch…ja…“ Du blickst kurz auf und versuchst dich zu einem Lächelnzu zwingen. „Ja“, stoße ich hervor und vergrabe mein Gesichtin deine Haare um dir meine Tränen nicht zu zeigen, „ja, meineLiebste… ja…mein schönes Mädchen…ich liebe dich…“ Mehrkann ich nichts sagen. Ist auch nichts mehr nötig. Du weinst.Vor Glück und Unglück zugleich.Nach einem Jahr musste auch der zweite Busen amputiertwerden. Fünf Monate später kam ein kurzer Anruf von deinerMutter. Ausgerechnet an deinem Geburtstag bist du gestorben.Ein paar Stunden davor hatte ich dir eine Grußkarte per E-mailgeschickt. Ich hatte keine Ahnung, dass es dir so schlechtging. Du sprachst nie darüber, obwohl ich dich immer danachfragte.„Sie starb langsam. Hat sehr gelitten.“ Deine Mutter und ichsitzen in einem kleinen Café am Hermannplatz, nicht weitvon deinem Büro. Sie ist der einzige Mensch, der alles vonuns weiß. Sogar etwas mehr, als sie eigentlich hätte wissensollen, aber du hast ihr in den letzten Wochen alles erzählt,wie ich jetzt von deiner Mutter höre. Sie kämpft gegen dieTränen. Ihr Kaffee ist schon lange kalt und mein Bier lauwarm.„Ich weiß alles… Sie hat mir alles erzählt….“, sie sieht michkurz an und ich muss meinen Blick senken, „…sie rief Sieimmer an, wenn es ihr etwas besser ging“, sie spricht leiseund ihrer Stimme kann ich viel mehr entnehmen als ihrerRede, „sprach so viel über Sie mit mir...“ Ihr Kinn zittert. Dannbeginnt sie leise zu weinen. Ich weiß nicht, was ich sagensoll und nehme vorsichtig, wenn auch etwas ungeschickt, ihreHand in die Meine und erstarre - es ist deine Hand! Richtiger- so würden deine Hände in etwa zwanzig Jahren aussehen.Die Ähnlichkeit ist erschütternd. Trotz Kummer und Weinenentgeht ihr meine Reaktion nicht. Ihr Gesicht erhellt sich eineBruchteilsekunde lang. Sie blickt auf ihre Hände und sagtdann mit weinerlicher Stimme: „Ja… das sind ihre Hände…sie hatte meine Hände...“Zum Friedhof will ich allein gehen. Deine Mutter möchte285(30) seqtemberi-oqtomberi 2010

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