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qarTuliunsere Beziehung ein für allemal beendet und nun brauchtesie einen Mann mit Geld, worauf sie bei mir ewig würdewarten müssen. Aber Geld kann ja nicht alles – von derselbenBekannten erfuhr ich auch, dass Thea und ihr Mann nachRussland gezogen waren. Ach, schon wieder Pech, armesMädchen, dort wirst du wenigstens acht Monate im Jahr frierenmüssen, dachte ich amüsiert. Vor und nach ihr waren auchdie anderen Frauen mit meiner tristen und kalten Wohnungmeistens unzufrieden, bis auf Natalie. Sie war wirklich einebewunderungswerte Ausnahme – sie war etwas älter und vielerfahrener als ich, aber auch heißer als alle anderen Frauen,mit denen ich je geschlafen hatte: Sogar im Winter trug sie dieKleider mit tiefem Ausschnitt und ihren leichten Mantel immeraufgeknöpft, nicht zuletzt wegen ihrer mehr als vollen Brüste.Sie fand meine triste Wohnung nicht so hässlich, meine Bücherund Schalplattensammlung einfach toll und zum Teil auchromantisch. Ja, die gute Natalie – verheiratet, ohne Kinder,zwar nicht so schön wie Thea, hatte aber einen echt reizvollenCharme, sinnliche, immer blutrot geschminkten Lippen undgeschmeidigen, feurigen Körper. Diese Frau war immer einRätsel für mich gewesen, aber ich stellte keine Fragen und eswar auch gut so. Im Gegensatz zu Thea wollte sie nichts vonmir außer etwas Liebe und viel Sex. Ich wusste nie genau,wann sie erscheinen würde, sie selbst auch nicht. So dauertees fast zwei Jahre lang, aber eines Tages fand ich einen Zettelin meinem Briefkasten, es standen nur ein paar Worte drauf.Natalie war gekommen und wollte sich von mir für immerverabschieden – sie und ihr Mann emigrierten nach Österreich.Zu jenen Zeiten war so was praktisch unmöglich und ich warso verblüfft, dass ich vor meiner Wohnungstür mit dem Zettelin der Hand einige Minuten lang völlig ratlos dastand und denWohnungsschlüssel in meinen Hosen- und Jackentaschenzu finden suchte, wobei ich ihn zusammen mit dem Zettelin der linken Hand hielt. Nie vorher hat sie mit mir über einemögliche Auswanderung gesprochen – eigentlich hatten wirauch nie über solche oder ähnliche Dinge gesprochen. UnsereBeziehung war zu eindeutig und wir wollten über die Problemeunserer Gesellschaft einfach nicht sprechen – das nutzte unsnichts und außerdem stand sie immer unter Zeitdruck. Nacheinigen Monaten bekam ich eine Postkarte aus Salzburg. DieKarte lag in einem Umschlag und es stand kein einziges Wortdrauf, keine Absenderadresse auf dem Umschlag, nur einAbdruck der Lippen auf der Rückseite der Ansichtskarte. DerLippenstift war blutrot und völlig unverkennbar. Ich sehe dentiefen Ausschnitt ihres flammenrotes Kleides ganz deutlich vormir, aber in diesem Moment muss ich gegen meinen Willenwieder an den widerlichen blaugrünen Striemen um denHals meiner Nachbarin denken. Sie tut mir wirklich sehr leidund wünsche, dass die Polizei so schnell wie möglich ihrenMörder fasst.Ich denke weiter. Irgendwann werde ich doch beerdigtwerden. Ich meine natürlich meinen Körper. Hoffentlichwerden meine Frau und vielleicht auch meine Kinderbald gefunden und benachrichtigt. Dann bleiben unseremherrlichen, kirchenmausarmen Staat die Beerdigungskostenerspart. Meine Frau wird die innigsten Beileidsworte dankendentgegennehmen und nach der Beerdigung, wenn die wenigenGäste gegangen sind, mit ihrer besten Freundin in Tränenausbrechen: „Kannst du dir eine größere Schande vorstellen?Besoffen und dann tot auf der Straße von der Polizeiaufgefunden. Wie ein Penner, ein richtiger Landstreicher! Niehat er an mich gedacht, ich war ihm doch immer egal! Unddie armen Kinder... Hast natürlich gemerkt, wie beschämt siedagestanden haben... So ein Biest...“ Ihre Stimme wird schöngekünstelt beben und das Gesicht rot anlaufen. Vor Wut. „Abernatürlich meine Liebe“, wird ihre Busenfreundin mit sanfterStimme in die gleiche Kerbe schlagen, „du hast ihm doch allesgegeben, alles geopfert, nie an dich selbst gedacht...“ DieBeiden werden nach und nach das jahrelang angestaute Giftabwechselnd und mit Genuss rauslassen – ich habe diesehochnäsige feine Dame undefinierbaren Alters mit eiskaltenFischaugen ja nie leiden können. Dieser Hass war übrigensgegenseitig und oft der Grund – neben vielen anderen - zuheftigen Streiten zwischen meiner Frau und mir. Ach, egal.Lange will ich hier nicht mehr bleiben. Was habe ich hier nochzu tun?Meine letzten Reisevorbereitungen. Nun brauche ich keinePapiere, kein Geld oder Ticket um endlich mal wieder bei dir zusein. Alles bestens erledigt. Mein lieber Tod hat dafür gesorgt.Ja, ich muss mich beeilen, egal, wann ich beerdigt werde. Ichwill nicht dabei sein. Ich darf keine Sekunde verlieren. Abernein, ich muss mich zuerst von den Toten verabschieden. Undnatürlich auch von meinem eigenen leblosen Körper. Vielleichthat sich schon eine dünne Eisschicht zwischen meiner Hautund dem Fleisch oder gar in den Adern gebildet. Ich sehemein Gesicht nicht, aber ich bin mir fast sicher – es strahlt vorFreude und die eventuelle Eisschicht ist ihm völlig egal. Esfreut sich für mich. Also los! Ein Flug ohne Flügel. Bald bin ichwieder bei dir. Diesmal für immer.Draußen ist es saukalt. Ich muss lachen - die Kälte kann mirnichts mehr antun. Ich muss jetzt die Leichenhalle verlassen.Schnellstens. Also, raus! Da fällt mir unsere strenge Wacheein. Ich sehe die Beiden verstohlen an. Sie rühren sich nicht.Ihre schweren eisernen Flügel haben sie abgemacht und andie Tür gelehnt. So stramm und wachsam wie vor ein paarStunden stehen sie nicht mehr, hoffentlich sind sie müde unddösen vor sich hin. Außerdem hoffe ich sehr, ich bin ihnensowieso scheißegal und sie lassen mich einfach vorbei. Siebewachen ja nur unsere leblosen Körper.N5(30) seqtemberi-oqtomberi 201031

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