SchwerpunktDa lehrte Gott ihnwie ein KindBildung als spirituelle AufgabeWenn ich bei der Einführung in die ignatianischenExerzitien versuche, die „Unterscheidungder Geister“ zu erklären, beginne ichgerne mit der Biographie des Ignatius. Wie er,nach der verlorenen Schlacht um die FestungPamplonas stark verwundet, sich auf demKrankenbett in seinem Elternhaus in Loyolawiederfindet, um zu genesen. Nun gilt es, dieLangeweile zu vertreiben: Ignatius verlangtnach Lesestoff. Ritterromane wären ihm amliebsten gewesen, doch man kann ihm nurdie Heilige Schrift und eine Sammlung vonHeiligenlegenden reichen. Die Heiligengeschichtenkönnen Ignatius inspirieren und erverbringt Stunden in selbstverliebten Vorstellungeneines Minnedienstes für eine Damehohen Standes. Aber auch die Lebensgeschichteeines heiligen Franziskus oder Dominikusfaszinieren ihn. Langsam beginnt erwahrzunehmen, dass die eine Faszination ihnzunächst wie ein Strohfeuer begeistert, amkommenden Tag jedoch vergangen ist, währenddas Leben eines Franziskus eine bleibendeFaszination auf ihn ausübt. Es ist auf diesemKrankenlager, dass Ignatius beginnt, die Verschiedenheitder Geister zu entdecken und zuunterscheiden. Eine Parallele zu unserer Weltder modernen Medien ist nicht schwer zu ziehen:Welche Bücher, Filme, Fernsehsendungenoder Internetseiten inspirieren uns und welchelassen uns leerer zurück, mit einem schalenNachgeschmack?Die Geistlichen Übungen des Ignatius bergeneinen ganzen Schatz von Beobachtungen füreine Unterscheidung der Geister. „Sein Lebenordnen“, lautet es schon in der Überschrift.Doch was ist das Ordnungsprinzip? Es ist sichernicht die Leistung. Dies zu lernen ist eine dergrößten Herausforderungen für die Menschen,die zu uns nach Bad Schönbrunn kommen,um einen der spirituellen Wege zu vertiefen.Das Leistungsdenken dominiert unsereGesellschaft und kann ganz sublime Formenannehmen. Erst wenn Gefühle der Enttäuschungin uns darüber auftauchen, dass die Tageder Stille nicht so verlaufen, wie wir es wollten,erst dann merken wir, wie oft wir etwas zuerreichen suchten, anstatt in einer Haltung derAufmerksamkeit und Dankbarkeit zu wachsen.In den Geistlichen Übungen fordert Ignatiusuns auf, beim Gebet „Gott, unseren Herrn, zubitten, was ich will und wünsche“. Ignatiuswill in uns eine Spiritualität der Sehnsucht wecken.Und ähnlich wie für Jesus in den Heilungsgleichnissendes Neuen Testamentes ist esauch für Ignatius ganz wichtig, dass wir lernen,unsere Wünsche und Sehnsüchte auszusprechen.Sicher, Gott weiß, was wir brauchen,noch bevor wir es formulieren. Aber das In-Worte-Fassen verändert uns. Dieses Ins-Wort-Fassen ist ein zentraler Aspekt bei der spirituellenAnamnese, im Rahmen unseresLehrgangs „Spiritual Care“. Ärzte lernen darin,Patienten zu ermutigen, davon zu sprechen,was ihnen in ihrem Leben bisher Sinngegeben hat und was ihnen jetzt in ihrerKrankheit Trost und Unterstützung gebenkönnte.„Mit Gott sprechen, wie ein Freund zu seinemFreund spricht“, ein weiterer Hinweis desIgnatius: Unser menschenfreundlicher Gottwill uns auf Augenhöhe begegnen. Er lädt unsein zum Dialog. Vorstellungen von Gott, die4 <strong>Jesuiten</strong> Schwerpunkt: Bildung
uns unter Druck setzen, kontrollieren, kleinmachen, sind nicht vom guten Geist. DieseEinladung zum Dialog ist eng mit einem weiterenSchwerpunkt des Lassalle-Hauses verbunden:dem interreligiösen Dialog. Ein Dialoghat seinen Namen nur dann verdient,wenn er wirklich auf Augenhöhe stattfindet,bereit dem anderen zuzuhören, ja vom anderenzu lernen. Es ist kein Dialog, wenn das Interesseim Vordergrund steht, den anderen zubelehren. Dies war eine Bitte von muslimischenFreunden zu Beginn unseres Pilgerprojektesnach Jerusalem. Auch wenn wir Christenin den vergangenen 20 Jahren das Pilgernwieder entdeckt haben – für die Muslime gehörtder Pilgerweg schon immer zu den zentralenreligiösen Pflichten.Schließlich ermahnt uns Ignatius, dass nichtdas Vielwissen die Seele sättigt, sondern dasVerspüren und Verkosten. Bei unseren Lehrgängenzur christlichen Spiritualität, aber auchbei Führungsseminaren in der Wirtschaft istdie Wissensvermittlung das eine, das andere istimmer wieder das Hineinfinden in die Stilleund das Erspüren, was uns während der Diskussioneines Themas bewegt hat. So ist dasFühren eines geistlichen Tagebuches wesentlicherBestandteil unserer Bildungsveranstaltungen.Es geht darum, in dieser Achtsamkeitauf das, was unsere Seele bewegt, zu wachsen.„Da lehrte Gott ihn wie ein Kind“ – vielleichtist dieses Wort aus dem Pilgerbericht des Ignatiusauch eine Einladung an uns, immer wiederzu dieser Offenheit eines Kindes zu findenund uns vom guten Geist führen zu lassen. ■Tobias Karcher SJJuni 2012/2 <strong>Jesuiten</strong> 5