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Recht und Revolution in Italien im 19. Jahrhundert - wana.at

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<strong>Recht</strong> <strong>und</strong> <strong>Revolution</strong> <strong>in</strong> <strong>Italien</strong> <strong>im</strong> <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>ertSem<strong>in</strong>ararbeit<strong>im</strong> Rahmen des DiplomandInnensem<strong>in</strong>arsLV-Nr. 030 684<strong>im</strong> WS 2010/11e<strong>in</strong>gereicht an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der UniversitätWien als 2. Teil der Diplomarbeit gemäß § 22 WrReStPvonDipl.-Ing. (FH) Thomas Wana (0508132)Betreuer<strong>in</strong>:ao. Univ. Prof. Dr. Ilse Reiter-Z<strong>at</strong>loukal


Inhaltsverzeichnis1. Ausgangslage ........................................................................................................................... 3a.) Das 18. Jahrh<strong>und</strong>ert ............................................................................................................. 3b.) Priv<strong>at</strong>recht ........................................................................................................................... 32.) Französische Vorherrschaft ........................................................................................................ 4a.) <strong>Italien</strong>feldzug <strong>und</strong> territoriale E<strong>in</strong>igung unter Napoléon ........................................................ 4b.) Verwaltung .......................................................................................................................... 5c.) Gerichtsbarkeit .................................................................................................................... 7d.) Zivilrecht ............................................................................................................................. 8e.) Prozessrecht ......................................................................................................................... 93.) Restaur<strong>at</strong>ion 1815-1816 (Wiener Kongress)............................................................................. 10a.) Zivilrecht ........................................................................................................................... 11b.) Strafrecht ........................................................................................................................... 124.) Vorabend der <strong>Revolution</strong> .......................................................................................................... 135.) Die <strong>Revolution</strong>sjahre 1848-1850 .............................................................................................. 15a.) Das St<strong>at</strong>uto Albert<strong>in</strong>o ........................................................................................................ 16b.) Neapel ................................................................................................................................ 17c.) Lombardo-Venetien ........................................................................................................... 18d.) Das Königreich <strong>Italien</strong> ....................................................................................................... 19Ausblick: Vollendung der E<strong>in</strong>heit .............................................................................................. 20Bibliographie .................................................................................................................................. 22<strong>Recht</strong> <strong>und</strong> <strong>Revolution</strong> - Risorg<strong>im</strong>ento Seite 2


1. Ausgangslagea.) Das 18. Jahrh<strong>und</strong>ert1748 endete der österreichische Erbfolgekrieg, <strong>und</strong> es begann e<strong>in</strong>e fast 50-jährige Periode desFriedens <strong>in</strong> <strong>Italien</strong>. Der gesamte Süden der italienischen Halb<strong>in</strong>sel beherbergte das Königreich Neapel<strong>und</strong> Sizilien, regiert von e<strong>in</strong>er spanischen L<strong>in</strong>ie der Bourbonen. Der Kirchensta<strong>at</strong> des Papstes belegtee<strong>in</strong>en großen Teil von Mittelitalien. Sard<strong>in</strong>ien-Piemont, das die Insel Sard<strong>in</strong>ien <strong>und</strong> Piemont sowieSavoyen umfasste, war ebenfalls e<strong>in</strong> großes Sta<strong>at</strong>sgebiet. Die Republik Venedig mit ihrer fast 1000-jährigen Geschichte herrschte über den Nordosten des Landes. Weiters existierten noch die RepublikGenua, die bis 1768 auch Korsika beherrschte, die Republik Lucca, die fünf bedeutendenHerzogtümer: Mailand <strong>und</strong> Toskana, beide von Herrschern aus dem Hause Habsburg regiert, dasHerzogtum Parma <strong>und</strong> Piacenza unter Spanisch-Bourbonischer Herrschaft <strong>und</strong> die Herzogtümer vonModena <strong>und</strong> Massa unter e<strong>in</strong>er italienischen Dynastie. 1 Das Königreich Sizilien war durch Heir<strong>at</strong> mitden Habsburgern verb<strong>und</strong>en.Der Vergleich mit der zeitgenössischen Lage <strong>in</strong> Deutschland drängt sich angesichts dieserVielsta<strong>at</strong>erei auf, doch war es um die Chancen für e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>igung <strong>in</strong> <strong>Italien</strong> wesentlich schlechterbestellt. Die Geographie der Halb<strong>in</strong>sel erschwerte nämlich die Nord-Süd-Kommunik<strong>at</strong>ion, derKirchensta<strong>at</strong> mit se<strong>in</strong>em globalen geistigen Führungsanspruch war zudem e<strong>in</strong> weiteres, e<strong>in</strong>zigartigesPhänomen, der wie e<strong>in</strong> Keil die Halb<strong>in</strong>sel aufteilte. 2 Nicht e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>e verb<strong>in</strong>dende Sprache gab es, zudieser Zeit war <strong>Italien</strong>isch nur e<strong>in</strong>e Sprache der Gelehrten, nicht des Volkes, das verschiedeneregionale Sprachen verwendete, die <strong>in</strong> anderen Regionen der Halb<strong>in</strong>sel nicht verstanden wurden. 3 Esexistierte auch ke<strong>in</strong> historisch verb<strong>in</strong>dendes Konstrukt wie das Heilige Römische Reich, zum<strong>in</strong>destnicht für das gesamte italische Gebiet, doch auch für die zum HRR gehörigen Gebiete <strong>Italien</strong>s h<strong>at</strong>tedies ke<strong>in</strong>en verb<strong>in</strong>denden Effekt: Über die Gebiete Reichsitaliens beanspruchte der Kaiser zwar dieLehenshoheit, als deutsch oder e<strong>in</strong>em anderen verb<strong>in</strong>denden Element zugehörig fühlten sich dieBewohner dieser Gebiete jedoch ebenso wenig wie sie an der Reichspolitik teilnahmen. Sieübernahmen ke<strong>in</strong>e aus der Reichszugehörigkeit erwachsenden Pflichten, nahmen aber auch ke<strong>in</strong>e<strong>Recht</strong>e <strong>in</strong> Anspruch. Diese Gebiete wurden diesseits <strong>und</strong> jenseits der Alpen als reichsfern betrachtet.b.) Priv<strong>at</strong>rechtAufgr<strong>und</strong> der engen wirtschaftlichen Verflechtung der Gebiete <strong>und</strong> Städte des heutigen <strong>Italien</strong>,<strong>in</strong>sbesondere der reichen Handelsmächte <strong>im</strong> Norden, ähnelten sich die Priv<strong>at</strong>rechte sehr. Das römische<strong>Recht</strong> wurde <strong>im</strong>mer nur subsidiär angewandt, war allerd<strong>in</strong>gs allgeme<strong>in</strong> gut angenommen, <strong>im</strong>Gegens<strong>at</strong>z zu z.B. Spanien, dessen dortiger absolutistischer Monarch das römische <strong>Recht</strong> als1 BEALES, Derek Edward Dawson, The Risorg<strong>im</strong>ento and the unific<strong>at</strong>ion of italy, London 1981, S. 22.2 Ebd., S. 22.3 Ebd., S. 24.; DE MAURO, Tullio, Storia l<strong>in</strong>guistica dell’Italia unita, Bari 1976, S. 27.<strong>Recht</strong> <strong>und</strong> <strong>Revolution</strong> - Risorg<strong>im</strong>ento Seite 3


Bevorm<strong>und</strong>ung empfand. 4 Im Kirchensta<strong>at</strong> stand die Stellung des römischen <strong>Recht</strong>s als außer Streit,da das römische <strong>Recht</strong> schon <strong>im</strong> kanonischen <strong>Recht</strong> ausdrücklich als subsidiär anerkannt wird.Für die ehemals zum Heiligen Römischen Reich gehörigen Teile <strong>Italien</strong>s wurde die Legit<strong>im</strong><strong>at</strong>iondes römischen <strong>Recht</strong>s als positives <strong>Recht</strong> durch die Lotharische Legende begründet, dergemäß dieGeltung des römischen <strong>Recht</strong>s per kaiserlichem Akt angeordnet wurde, während <strong>im</strong> KönigreichSizilien das römische <strong>Recht</strong> überhaupt nur aus Gewohnheit angewendet wurde, allerd<strong>in</strong>gs mit derÜberzeugung, dass die römischen Gesetze e<strong>in</strong> Erzeugnis des weisesten Sta<strong>at</strong>es s<strong>in</strong>d, der jemalsexistiert h<strong>at</strong>. 5 Da die Lotharische Legende nur e<strong>in</strong>e Legende ist, wurde <strong>im</strong> <strong>Italien</strong> Ende des 18.Jahrh<strong>und</strong>erts nach anderen Legit<strong>im</strong><strong>at</strong>ionsgr<strong>und</strong>lagen gesucht. Die vorherrschende Theorie, die dielotharische Legende überflüssig macht, entwickelt sich durch Grav<strong>in</strong>a <strong>und</strong> Asti: Sie wiesen nach, dassder Gebrauch des römischen <strong>Recht</strong>s <strong>in</strong> <strong>Italien</strong> <strong>in</strong> der gesamten Zeit nach Just<strong>in</strong>ian nie abhandengekommen sei. Dadurch wird das römische <strong>Recht</strong> <strong>im</strong> neuzeitlichen <strong>Italien</strong> auch ohne Abhängigkeitvom Reich <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie als n<strong>at</strong>ionales Phänomen empf<strong>und</strong>en. Grav<strong>in</strong>a spricht sogar davon, dass dasrömische <strong>Recht</strong> <strong>im</strong> 12. Jahrh<strong>und</strong>ert nach langem Exil <strong>in</strong> se<strong>in</strong> V<strong>at</strong>erland zurückgekehrt sei <strong>und</strong> dass<strong>Italien</strong> dadurch se<strong>in</strong>e alte Würde wiedererlangt habe. 6 Es ist e<strong>in</strong>es der ersten als verb<strong>in</strong>dendempf<strong>und</strong>enen Elemente Gesamtitaliens.2.) Französische Vorherrschafta.) <strong>Italien</strong>feldzug <strong>und</strong> territoriale E<strong>in</strong>igung unter NapoléonIm ersten Koalitionskrieg 1792 wurden die <strong>in</strong> <strong>Italien</strong> e<strong>in</strong>fallenden französischen Truppen zunächstzurückgeschlagen, doch gelang es Napoléon Bonaparte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em ersten Oberbefehl über e<strong>in</strong> Heer1796-1797 Österreich <strong>und</strong> Sard<strong>in</strong>ien-Piemont zu schlagen, wobei Napoléon bis Leoben vordrang.Nach dem Frieden von Campo Formio verlor Österreich das Herzogtum Mailand, gewann allerd<strong>in</strong>gsVenetien, <strong>und</strong> Frankreich gründet e<strong>in</strong>ige Vasallensta<strong>at</strong>en auf italienischem Boden mit klarrepublikanischer Prägung. Aus der bereits <strong>im</strong> Sommer 1796, aus den vormaligen Stadtsta<strong>at</strong>en Modena,Bologna <strong>und</strong> Ferrara bestehenden, Cispadanischen Republik („diesseits des Po“) entstand <strong>in</strong> der Folgedie Cisalp<strong>in</strong>ische Republik („diesseits der Alpen“), die zusätzlich die gesamte Lombardei umfasste.Anstelle der Republik Genua wurde die Ligurische Republik gegründet. 7 1798 eroberte Frankreich denKirchensta<strong>at</strong> <strong>und</strong> proklamierte die Römische Republik. Schließlich fiel auch Neapel nach e<strong>in</strong>emerfolglosen Versuch Ferd<strong>in</strong>ands IV. den Kirchensta<strong>at</strong> zu befreien an Frankreich, <strong>und</strong> der König musstenach Sizilien fliehen, das Schutz durch die britische Seemacht genoss <strong>und</strong> unter se<strong>in</strong>er Herrschaft4MORA, F. Javier Cas<strong>in</strong>os, Römisches <strong>Recht</strong> <strong>und</strong> spanisches Zivilgesetzbuch: E<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>führendeDarstellung, 2008, http://www.forhistiur.de/zit<strong>at</strong>/0802cas<strong>in</strong>osmora.htm, abgerufen am 04.01.2011.5 LUIG, Klaus, Der Geltungsgr<strong>und</strong> des römischen <strong>Recht</strong>s <strong>im</strong> 18. Jahrh<strong>und</strong>ert <strong>in</strong> <strong>Italien</strong>, Frankreich <strong>und</strong>Deutschland, <strong>in</strong>: Diritto (Hrsg.), La formazione storica del diritto moderno <strong>in</strong> Europa, 1977, S. 822.6 Ebd., S. 824-825.7 ALTGELD, Wolfgang, Kle<strong>in</strong>e italienische Geschichte, Stuttgart 2002, S. 251.<strong>Recht</strong> <strong>und</strong> <strong>Revolution</strong> - Risorg<strong>im</strong>ento Seite 4


lieb. Auf dem Boden des Festland-Neapel wurde die Parthenopäische Republik („Parthenope“ ist diedichterische Bezeichnung Neapels seit der Antike) gegründet. 8Im zweiten Koalitionskrieg gelang es der Koalition zunächst, Oberitalien zurückzugew<strong>in</strong>nen.1800 überschritt Napoléon erneut die Alpen bei Grand-Sa<strong>in</strong>t-Bernard <strong>und</strong> eroberte nun ganzOberitalien <strong>in</strong>klusive Venetien. Im Frieden von Luneville wurden für <strong>Italien</strong> alle Beschlüsse desFriedens von Campo Formio wieder <strong>in</strong> Kraft gesetzt, darüber h<strong>in</strong>aus fiel die Toskana an <strong>Italien</strong>. 9 Nun,nach Napoléons Kaiserkrönung <strong>im</strong> Jahre 1804, entstand durch Umwandlung aus den neu gegründetenKle<strong>in</strong>republiken das Königreich <strong>Italien</strong>, das erstmals viele noch nie mite<strong>in</strong>ander verb<strong>und</strong>ene Gebiete<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Sta<strong>at</strong>swesen zusammenfasste. Bis 1809 ist auch das gesamte restliche <strong>Italien</strong> erobert bzw.annektiert.Nach den Eroberungsfeldzügen Napoléons gab es <strong>in</strong> <strong>Italien</strong> vier Hauptzonen: 1. den langen, vonNapoléon annektierten Mittelmeerstreifen (Kirchensta<strong>at</strong>, Toskana, Ligurien <strong>und</strong> Piemont), 2. daszunächst von Napoleons ältesten Bruder Joseph Bonaparte <strong>und</strong> nach 1808 von Joach<strong>im</strong> Mur<strong>at</strong> regierteKönigreich Neapel <strong>im</strong> Süden sowie 3. das Königreich <strong>Italien</strong> <strong>im</strong> Nordosten als Vasallensta<strong>at</strong>, 4. dasaus Sard<strong>in</strong>ien <strong>und</strong> Sizilien bestehende, von der englischen Flotte gestützte antifranzösische Bollwerk. 10Joach<strong>im</strong> Mur<strong>at</strong>, ab 1808 König von Neapel, war e<strong>in</strong> verdienter Kavallerieoffizier <strong>in</strong> der ArmeeNapoleons. Durch se<strong>in</strong>e Ehe mit Carol<strong>in</strong>e Bonaparte, Napoleons jüngster Schwester, wurde er so zumSchwager Napoleons. Genauso wie se<strong>in</strong> Vorgänger als König von Neapel Joseph Bonaparte warMur<strong>at</strong> bestrebt, italienische Beamte e<strong>in</strong>zusetzen <strong>und</strong> <strong>in</strong>sgesamt den sichtbaren französischen E<strong>in</strong>flussso kle<strong>in</strong> wie möglich zu halten. Se<strong>in</strong>e Regentschaft wurde daher nicht als Fremdherrschaftangesehen. 11In den annektierten Territorien kamen die französischen Reformen direkt zum Tragen, während<strong>im</strong> Königreich <strong>Italien</strong> aufgr<strong>und</strong> des andersartigen Verhältnisses zu Frankreich Verhandlungen mit denlokalen Führungsgruppen notwendig wurden, wodurch unterschiedliche Verhältnisse entstanden 12 ,ebenso <strong>im</strong> Königreich Neapel, wo Joseph Bonaparte bzw. Mur<strong>at</strong> bewusst e<strong>in</strong>e eigenständigeHerrschaft zu errichten strebten. Dies führte zu e<strong>in</strong>er <strong>Recht</strong>sangleichung denn e<strong>in</strong>er<strong>Recht</strong>svere<strong>in</strong>heitlichung.b.) VerwaltungNeben den Änderungen <strong>im</strong> Bereich des Priv<strong>at</strong>rechts (s.u.) waren die Umwälzungen <strong>im</strong> Bereichder Verwaltung sicherlich die e<strong>in</strong>schneidendsten <strong>und</strong> prägendsten Vorgänge während der Zeit derfranzösischen Vorherrschaft. Durch die Ausrollung der modernen französischen Verwaltung auf dieannektierten bzw. eroberten Gebiete <strong>Italien</strong>s gelangte erstmals e<strong>in</strong>e leistungsfähige, zentralistische8 Ebd., S. 252.9 Ebd., S. 253.10 DE MARTINO, Armando, Die Gerichtsverfassung <strong>im</strong> Königreich Neapel zwischen Ancien rég<strong>im</strong>e <strong>und</strong>neuer Ordnung, <strong>in</strong>: Dipper (Hrsg.), Napoleonische Herrschaft <strong>in</strong> Deutschland <strong>und</strong> <strong>Italien</strong> - Verwaltung <strong>und</strong>Justiz, Berl<strong>in</strong> 1995, S. 270.11 PROCACCI, Giuliano, Geschichte <strong>Italien</strong>s <strong>und</strong> der <strong>Italien</strong>er, München 1989, S. 229.12 DE MARTINO 1995, S. 270.<strong>Recht</strong> <strong>und</strong> <strong>Revolution</strong> - Risorg<strong>im</strong>ento Seite 5


Bürokr<strong>at</strong>ie <strong>in</strong> diese Gebiete. Je länger die Bes<strong>at</strong>zungszeit dauerte <strong>und</strong> je näher sich das besetzte Landbei Frankreich befand, umso tiefgreifender <strong>und</strong> gründlicher waren die adm<strong>in</strong>istr<strong>at</strong>iven sowiepersonellen Umwälzungen. 13Die Behörden h<strong>at</strong>ten zuvor ke<strong>in</strong>e klar abgegrenzten Zuständigkeiten, weder <strong>in</strong> m<strong>at</strong>erieller noch <strong>in</strong>geographischer H<strong>in</strong>sicht. Sogar e<strong>in</strong>e Unterscheidung zwischen <strong>Recht</strong>sprechungs-, fiskalischen <strong>und</strong>Verwaltungsaufgaben fand kaum st<strong>at</strong>t. Beamte wurden nicht aufgr<strong>und</strong> von Fähigkeiten, sondernaufgr<strong>und</strong> von <strong>Recht</strong>en oder Privilegien ernannt. Die napoleonische Verwaltung dagegen war geprägtvon Hierarchie, Effizienz, klaren Regeln <strong>und</strong> dem Glauben an die Fähigkeiten des Menschen <strong>im</strong>Gegens<strong>at</strong>z zu se<strong>in</strong>en erworbenen <strong>Recht</strong>en <strong>und</strong> beanspruchte so die Ideale von Fortschritt <strong>und</strong>Modernität für sich. Diese Beamten waren sich ihrer Funktion als „Botschafter“ der <strong>Revolution</strong> <strong>und</strong>ihrer Werte bewusst, <strong>und</strong> so entwickelte sich auch e<strong>in</strong> Geme<strong>in</strong>schaftsgeist <strong>und</strong> Stolz über die Grenzender Departements h<strong>in</strong>weg. 14 Leistungsfähigkeit <strong>und</strong> Kompetenz waren zu notwendigenVoraussetzungen für die Erfüllung der Aufgaben geworden <strong>und</strong> Ablösung wegen offensichtlicherInkompetenz wurde akzeptierte <strong>und</strong> zunehmend gängige Praxis 15 , wenngleich die praktischeUmsetzung dieser hohen Ideale nicht <strong>im</strong>mer ganz e<strong>in</strong>fach war. 16 Vorrechte des Klerus wurdenabgeschafft, die Stände bis zu e<strong>in</strong>em gewissen Grad nivelliert. Der Feudalismus wurde beseitigt,ebenso der Frondienst <strong>und</strong> die Leibeigenschaft. Unter den leitenden Kreisen herrschte der Geist derfranzösischen <strong>Revolution</strong>. All die genannten „Vorteile“ wurden von der Bevölkerung jedoch oft alsNachteil gesehen. Dazu kamen hohe Blutzölle durch Kriegsdienste, Verschleppung von Geldsummen<strong>und</strong> Kunstschätzen nach Paris <strong>und</strong> hohe Steuern. 17 Je länger das napoleonische Reg<strong>im</strong>e dauerte, destostärker stieg dessen Überzeugungskraft als Folge der politischen Stabilität, <strong>und</strong> die lokalen Elitenneigten nach <strong>und</strong> nach mehr zur Mitarbeit. 18Obwohl es zwar e<strong>in</strong>e Zeit der französischen Vorherrschaft <strong>in</strong> <strong>Italien</strong> war, empfanden es dieBewohner <strong>Italien</strong>s nicht unbed<strong>in</strong>gt als Besetzung. Ihnen war wohl bewusst, dass der Korse Napoléone<strong>in</strong> halber <strong>Italien</strong>er war <strong>und</strong> für die römische Welt der Antike sowie für Mittelmeerfragen sehr vielübrig h<strong>at</strong>te. Es schmeichelte ihnen auch, dass er se<strong>in</strong>en Sohn <strong>und</strong> Nachfolger sofort „König von Rom“nannte. 19Auch nach dem Sturz des napoleonischen Reg<strong>im</strong>es wurde dessen Verwaltung <strong>in</strong> allen Sta<strong>at</strong>en<strong>Italien</strong>s übernommen, unabhängig ihrer absolutistischen bzw. konstitutionellen Gr<strong>und</strong>struktur. Das istdeshalb bemerkenswert, da diese Verwaltung e<strong>in</strong>e ausgesprochen zentralistische war, <strong>und</strong> es vor ihr<strong>im</strong>mer bloß kommunale Verwaltungen <strong>und</strong> unterschiedliche <strong>Recht</strong>sordnungen <strong>in</strong>nerhalb der Sta<strong>at</strong>en13 WOOLF, Stuart, Eliten <strong>und</strong> Adm<strong>in</strong>istr<strong>at</strong>ion <strong>in</strong> der napoleonischen Zeit <strong>in</strong> <strong>Italien</strong>, <strong>in</strong>: Dipper (Hrsg.),Napoleonische Herrschaft <strong>in</strong> Deutschland <strong>und</strong> <strong>Italien</strong> - Verwaltung <strong>und</strong> Justiz, Berl<strong>in</strong> 1995, S. 32.14 Ebd., S. 35.15 Ebd., S. 37.16 Ebd., S. 36.17 KRAMER, Hans, Österreich <strong>und</strong> das Risorg<strong>im</strong>ento, Wien 1963, S. 10.18 WOOLF 1995, S. 39.19 KRAMER 1963, S. 10.<strong>Recht</strong> <strong>und</strong> <strong>Revolution</strong> - Risorg<strong>im</strong>ento Seite 6


gegeben h<strong>at</strong>te, das Zurückgehen zu dieser Verwaltungsform aber e<strong>in</strong>en enormen Rückschritt bedeutethätte. 20Die große Ausnahme war die Insel Sizilien, die aufgr<strong>und</strong> des britischen Protektor<strong>at</strong>s von denFranzosen nicht h<strong>at</strong>te besetzt werden können, mit der Folge, dass die französischen Umwälzungen <strong>in</strong>Verwaltung <strong>und</strong> Justiz nicht h<strong>at</strong>ten st<strong>at</strong>tf<strong>in</strong>den können. Durch die Gründung des Königreichs beiderSizilien 1816 wurde die Insel, die seit normannischer Zeit eigenständig war, abrupt der jetzt völligandersartigen Verwaltung <strong>und</strong> <strong>Recht</strong>ssystem Neapels unterstellt, was zwangsläufig die traditionellenAutonomiebestrebungen der Insel verstärkte. 21c.) GerichtsbarkeitAm Beispiel Neapels soll nachfolgend gezeigt werden, welche Umwälzungen <strong>im</strong> Bereich derGerichtsbarkeit st<strong>at</strong>tfanden, ähnliche Entwicklungen spielten sich auch <strong>in</strong> allen anderen Teilen <strong>Italien</strong>sab. In der Zeit des Ancien rég<strong>im</strong>e litt die Justizverfassung Neapels unter ihrer Dreiteilung <strong>in</strong>kirchliche, feudale <strong>und</strong> königliche Gerichtsgewalt <strong>und</strong> führte zu e<strong>in</strong>er komplizierten, <strong>in</strong>effizienten <strong>und</strong>von den privilegierten Schichten abhängigen Ordnung. 22In jahrh<strong>und</strong>ertelanger Tradition war derlukr<strong>at</strong>ivste Karriereweg e<strong>in</strong>es Menschen der als Jurist, was die Korruption n<strong>at</strong>ürlich begünstigte <strong>und</strong>die Unzufriedenheit der Menschen ebenfalls. 23Es kam <strong>im</strong> Jahr 1808 zu e<strong>in</strong>er Justizreform, was zum Aufbau e<strong>in</strong>er von der <strong>Recht</strong>sprechungunabhängigen Exekutive auf der Gr<strong>und</strong>lage des neuen, napoleonischen Verwaltungssystems führte<strong>und</strong> zur Beschränkung der Gerichtsorgane auf ihren spezifischen Aufgabenbereich. Zwei Jahre zuvorh<strong>at</strong>te e<strong>in</strong> Gesetz vier außerordentliche Gerichte geschaffen, die Beachtung f<strong>in</strong>den, da diese erstmals füruns solche Selbstverständlichkeiten wie die öffentliche Verhandlung, die Begründung des Urteils <strong>und</strong>das Pr<strong>in</strong>zip, dass Gesetze nicht zurückwirken sollen, brachten. Mit der Justizreform 1808 wurden diesePr<strong>in</strong>zipien allgeme<strong>in</strong> e<strong>in</strong>geführt. 24Auch <strong>in</strong> der Phase der Restaur<strong>at</strong>ion wurde am napoleonischen System festgehalten, e<strong>in</strong>erseits, daes sich objektiv bewährt h<strong>at</strong>te, andererseits, weil <strong>in</strong> dieser Zeit e<strong>in</strong> tiefgreifender gesellschaftlicherWandel st<strong>at</strong>tgef<strong>und</strong>en h<strong>at</strong>te. Die Zahl der kle<strong>in</strong>en <strong>und</strong> mittleren Gr<strong>und</strong>eigentümer war erheblichangewachsen, <strong>und</strong> ihre Repräsentanten fanden sich <strong>in</strong> verschiedenen Bereichen der Verwaltungwieder. Auch h<strong>at</strong>te die erhebliche Ausweitung der Bürokr<strong>at</strong>ie zahlreiche Karrieren <strong>in</strong> der Zivil- <strong>und</strong>Militärverwaltung ermöglicht, was e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>fache Rückkehr zum Ancien rég<strong>im</strong>e unmöglich machte. 25E<strong>in</strong>e besonders umstrittene E<strong>in</strong>richtung war das Kass<strong>at</strong>ionsgericht nach französischem Vorbild.Das Gr<strong>und</strong>problem war dabei das Verhältnis zum Gesetzgeber. E<strong>in</strong>e gerichtliche Entscheidung konnte20 GHISALBERTI, Carlo, Form <strong>und</strong> Struktur der napoleonischen Verwaltung <strong>in</strong> <strong>Italien</strong>: Departements <strong>und</strong>Präfekten, <strong>in</strong>: Dipper (Hrsg.), Napoleonische Herrschaft <strong>in</strong> Deutschland <strong>und</strong> <strong>Italien</strong> - Verwaltung <strong>und</strong> Justiz,Berl<strong>in</strong> 1995, S. 46.; HEYDEMANN, Günther, Konstitution gegen <strong>Revolution</strong>. Die britische Deutschland- <strong>und</strong><strong>Italien</strong>politik 1815 - 1848, Gött<strong>in</strong>gen 1995, S. 74.21 HEYDEMANN 1995, S. 73.22 DE MARTINO 1995, S. 273.23 Ebd., S. 275.24 Ebd., S. 279.25 Ebd., S. 289 f.<strong>Recht</strong> <strong>und</strong> <strong>Revolution</strong> - Risorg<strong>im</strong>ento Seite 7


<strong>in</strong> 2. Instanz bei e<strong>in</strong>em Appell<strong>at</strong>ionsgericht angefochten werden, dessen Urteile wiederum <strong>in</strong> 3. Instanzbe<strong>im</strong> Kass<strong>at</strong>ionsgerichtshof. Der Appell<strong>at</strong>ionsgerichtshof h<strong>at</strong>te die Möglichkeit, die Entscheidung desKass<strong>at</strong>ionsgerichtshofs aufgr<strong>und</strong> von Auffassungsunterschieden h<strong>in</strong>sichtlich der Auslegung e<strong>in</strong>esGesetzes zu annullieren, wonach die Partei wiederum das Kass<strong>at</strong>ionsgericht anrufen konnte. Lehntedas Appell<strong>at</strong>ionsgericht auch nach der zweiten Annullierung die Entscheidung des Kass<strong>at</strong>ionsgerichtesab, so wurde das Gesetz als „zweifelhaft“ e<strong>in</strong>gestuft, <strong>und</strong> die Entscheidung authentisch der politischenGewalt überlassen. Die Befürworter des alten Systems, des „doppelt konformen Urteils“, sahen dar<strong>in</strong>e<strong>in</strong>e unzulässige E<strong>in</strong>mischung des Gesetzgebers <strong>in</strong> die <strong>Recht</strong>sprechung. 26 Nach dem System des„doppelt konformen Urteils“ war e<strong>in</strong>e Berufung erst dann nicht mehr möglich, wenn zweivollkommen konforme Urteile erlangt worden waren. Solange die Berufungs<strong>in</strong>stanz mit dem Urteilder niedrigeren Instanz nicht konform g<strong>in</strong>g, konnte die andere Partei neuerlich berufen, <strong>und</strong> e<strong>in</strong>eandere Kammer h<strong>at</strong>te zu entscheiden. Dies führte zu erheblichen Verfahrensverlängerungen, bei denendie wirtschaftlich stärkere Partei den „längeren Atem“ behielt, was zu großen Ungerechtigkeitenführte. Als noch schl<strong>im</strong>mer wurde die Auslieferung an die Willkür der Richter empf<strong>und</strong>en, da sie <strong>in</strong>diesem Modell vollkommen unabhängig von der regierenden Gewalt waren. 27Die Regierung Neapels hielt am französischen Modell fest, das bis zur italienischen E<strong>in</strong>heit <strong>im</strong>Jahr 1861 nicht mehr verändert wurde. 28d.) ZivilrechtDas von Napoléon wesentlich mitgestaltete französische Zivilgesetzbuch, der Code Civil oderCode Napoléon von 1804, stellte e<strong>in</strong>e Art Ausgleich zwischen den Gewohnheitsrechten, demRömischen <strong>Recht</strong>, den sozioökonomischen Anforderungen jener Zeit <strong>und</strong> den Gr<strong>und</strong>sätzen der<strong>Revolution</strong> dar, weshalb er sich auch verhältnismäßig e<strong>in</strong>fach <strong>in</strong> das italienische <strong>Recht</strong> e<strong>in</strong>fügen ließ. 29Er gelangte <strong>in</strong> allen Teilen <strong>Italien</strong>s ebenso wie der „Code de Commerce“ zur Anwendung, wodurchNapoléon zur Kont<strong>in</strong>uität des italienischen <strong>Recht</strong>s e<strong>in</strong>en wesentlichen Beitrag leistete. Der CodeNapoléon war <strong>in</strong> <strong>Italien</strong> fast ohne Protest übernommen <strong>und</strong> bis zum Entstehen des italienischen„Codice civile“ von 1865 beibehalten worden. Die historische Entwicklung des italienischen <strong>Recht</strong>swurde durch ihn nicht unterbrochen, sondern vielmehr fortgesetzt, da beides – französisches wieitalienisches Zivilrecht – auf e<strong>in</strong>er geme<strong>in</strong>samen Basis fußen, nämlich dem römischen <strong>Recht</strong>. 3026 Ebd., S. 293.27 Ebd., S. 294.28 Ebd., S. 295.29 BENEDUCE, Pasquale, "Traduttore-traditore". Das französische Zivilrecht <strong>in</strong> <strong>Italien</strong> <strong>in</strong> den Handbüchernder <strong>Recht</strong>swissenschaft <strong>und</strong> -praxis, <strong>in</strong>: Schulze (Hrsg.), Französisches Zivilrecht <strong>in</strong> Europa während des <strong>19.</strong>Jahrh<strong>und</strong>erts, Berl<strong>in</strong> 1994, S. 224.30 Ebd., S. 214-215.<strong>Recht</strong> <strong>und</strong> <strong>Revolution</strong> - Risorg<strong>im</strong>ento Seite 8


e.) ProzessrechtAuch <strong>im</strong> Bereich des Zivilprozessrechts ist <strong>in</strong> ganz <strong>Italien</strong> der e<strong>in</strong>heitliche „Code de procédurecivile“ e<strong>in</strong>geführt worden <strong>und</strong> bliebt auch <strong>in</strong> fast allen italienischen Sta<strong>at</strong>en Gr<strong>und</strong>lage desZivilprozessrechts, auch des „Codice di procedura civile“ des vere<strong>in</strong>igten Königreichs <strong>Italien</strong> von1865. 31Das erste Strafprozessrecht französischer Prägung war der „Piano di una nuova procedurapenale“, ausgearbeitet 1797 <strong>in</strong> Verona, also sehr früh, was den Stellenwert des Strafrechts für e<strong>in</strong>eHerrschaft unterstreicht, <strong>und</strong> war gültig für Verona, Cologna <strong>und</strong> Legnano. Es ist das erste Mal, dasse<strong>in</strong>e deutliche Zweiteilung des Verfahrens <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en „Ermittlungsteil“ <strong>und</strong> e<strong>in</strong>en „Verhandlungsteil“st<strong>at</strong>tfand. Während ersterer noch deutlich <strong>in</strong>quisitorischen E<strong>in</strong>schlag h<strong>at</strong>te, folgte zweiterer zum<strong>in</strong>destteilweise bereits den Gr<strong>und</strong>sätzen der Mündlichkeit <strong>und</strong> Öffentlichkeit. 32 Es tritt auch zum ersten Maldie Figur des „Pubblico Censor Cr<strong>im</strong><strong>in</strong>ale“, also des „Öffentlichen Kr<strong>im</strong><strong>in</strong>alzensors“, auf, der „denFiskus vertreten soll“, also die öffentlichen Interessen wahrnehmen soll, <strong>und</strong> mit e<strong>in</strong>em öffentlichenAnkläger verglichen werden kann. 33 Ihm gehen Anzeigen über mögliche Straft<strong>at</strong>en zu, er eröffnet dasVerfahren, er leitet die Untersuchungen – unter dem Gebot der Ermittlung der m<strong>at</strong>eriellen <strong>und</strong>objektiven Wahrheit samt der Befugnis, die Ermittlungen an untergeordnete Beamte delegieren zudürfen – <strong>und</strong> legt dem Gericht Strafanträge vor – soweit st<strong>im</strong>men diese Aufgabenbemerkenswerterweise mit denen des Sta<strong>at</strong>sanwaltes <strong>im</strong> geltenden österreichischen Strafprozessrechtübere<strong>in</strong> –, er überwacht aber auch den Gang des Verfahrens, wacht über die E<strong>in</strong>haltung derVerfahrensregeln <strong>und</strong> auch über die Untersuchungsgefangenen. 34 Aber auch das Gericht h<strong>at</strong>Mitwirkungsbefugnisse bei besonders schweren Prozesshandlungen, z.B. bei Lokalaugensche<strong>in</strong>en,Zeugen- <strong>und</strong> Beschuldigtenvernehmungen <strong>und</strong> dem Erlassen von Haftbefehlen. 35Der Beschuldigte selbst erfährt erst nach Abschluss des Untersuchungsverfahrens überhaupt vonden Anschuldigungen, bis zu welchem Zeitpunkt er bereits <strong>in</strong> Haft se<strong>in</strong> kann, dieser Vorgang zeigtalso klar <strong>in</strong>quisitorische Züge („Gr<strong>und</strong>pr<strong>in</strong>zip der He<strong>im</strong>lichkeit“). Erst dann wird der Akt „eröffnet“,also dem Beschuldigten zugänglich gemacht, <strong>und</strong> ihm üblicherweise zwei Wochen Zeit gegeben, dieVerteidigung vorzubereiten. 36 Das Geständnis h<strong>at</strong> nach geme<strong>in</strong>rechtlicher Tradition <strong>im</strong>mer noch diehöchste Beweisqualität. 37 Nach mündlicher <strong>und</strong> öffentlicher Verhandlung, wobei sich alle Parteienaber auch mit der Verlesung von Teilen des Ermittlungsaktes begnügen können, ergeht e<strong>in</strong>schriftliches Urteil, <strong>in</strong> dem die Urteilsf<strong>in</strong>dung begründet werden muss. Geme<strong>in</strong>h<strong>in</strong> zeigen sich also31 WESEL, Uwe, Geschichte des <strong>Recht</strong>s <strong>in</strong> Europa von den Griechen bis zum Vertrag von Lissabon,München 2010, S. 493.32 DEZZA, Ettore, Beiträge zur Geschichte des italienischen Strafprozesses <strong>im</strong> Kodifik<strong>at</strong>ionszeitalter,Berl<strong>in</strong> 2007, S. 27.33 Ebd., S. 29.34 Ebd., S. 30.35 Ebd., S. 32.36 Ebd., S. 33.37 Ebd., S. 36.<strong>Recht</strong> <strong>und</strong> <strong>Revolution</strong> - Risorg<strong>im</strong>ento Seite 9


echtssta<strong>at</strong>liche Eigenschaften des akkus<strong>at</strong>orischen Strafverfahrens. 38 Allerd<strong>in</strong>gs fehlen Best<strong>im</strong>mungenüber e<strong>in</strong>en Instanzenzug, womit Entscheidungen oder auch Formalfehler nicht anfechtbar werden. 393.) Restaur<strong>at</strong>ion 1815-1816 (Wiener Kongress)Durch die Niederlage des revolutionären Frankreichs <strong>und</strong> das Ende der napoléonischen Herrschafterwuchs der Bedarf nach e<strong>in</strong>er Neuordnung Europas, zu deren Zwecke der Wiener Kongress 1815-1816 abgehalten wurde. Erklärtes Ziel dieses Kongresses war die Wiederherstellung <strong>und</strong> Festigungdes politischen Zustands vor der französischen <strong>Revolution</strong>, die Epoche des „Vormärz“ begann. ImFalle <strong>Italien</strong>s bedeutete dies die Auflösung des Königreichs <strong>Italien</strong>s, die E<strong>in</strong>setzung Herrscher derfrüher regierenden Häuser <strong>und</strong> teilweise die Rückkehr zu vorrevolutionären Gesetzen. Ausösterreichischer Sicht muss bei diesen Vorgängen unbed<strong>in</strong>gt Clemens Fürst von Metternich erwähntwerden, der als e<strong>in</strong>flussreichster Sta<strong>at</strong>smann des Gastgeberlandes e<strong>in</strong>e überragende Rolle bei derArchitektur dieser neuen, alten Ordnung spielte <strong>und</strong> e<strong>in</strong> erklärter Gegner der italienischen E<strong>in</strong>igungwar, was sich u.a. <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Aussage manifestiert, dass <strong>Italien</strong> nicht mehr als e<strong>in</strong> „geographischerBegriff“ sei. Er def<strong>in</strong>ierte se<strong>in</strong>e Geisteshaltung als Gegens<strong>at</strong>z zum „Jakob<strong>in</strong>ismus“, worunter dieAnhänglichkeit an Napoléon <strong>und</strong> an die Zeit der französischen Vorherrschaft verstanden wurde 40 .Aber auch der Kaiser, Franz I., wehrte sich heftigst gegen die Anerkennung e<strong>in</strong>es N<strong>at</strong>ionalcharaktersse<strong>in</strong>er italienischen Gebiete. 41Lombardo-Venetien ist e<strong>in</strong> <strong>in</strong> diesem Geiste entstandenes Produkt des Wiener Kongresses, das esso vorher nicht gab. Die Lombardei war t<strong>at</strong>sächlich schon länger mit dem Heiligen Römischen Reichdeutscher N<strong>at</strong>ion (HRR) <strong>und</strong> <strong>in</strong> weiterer Folge Österreich verb<strong>und</strong>en als Venetien; seit dem AachenerFrieden 1748 war es österreichischer Herrschaft unterstellt. Venetien dagegen fiel erstmals 1797 be<strong>im</strong>Frieden von Campoformio an das Reich <strong>und</strong> konnte davor (als Teil des Königreichs Venedig) auf e<strong>in</strong>efast 1.000-jährige souveräne Herrschaft zurückblicken. Die Neuschöpfung als „Lombardo-Venetien“,bewusst als Königreich tituliert, um <strong>in</strong> der Nachfolge <strong>und</strong> der Würde des von Napoléon geschaffenen„Königreich <strong>Italien</strong>s“ zu bleiben, h<strong>at</strong> also ke<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same historische Tradition, ke<strong>in</strong>e „Landstände“<strong>und</strong> auch ke<strong>in</strong>e königliche Tradition. St<strong>at</strong>tdessen handelt es sich um den Versuch, e<strong>in</strong>en modernenSta<strong>at</strong> mit moderner Verwaltung <strong>in</strong> den Kontext des Kaisertums Österreich e<strong>in</strong>zugliedern, mit e<strong>in</strong>emVizekönig als formellem Verwaltungsoberhaupt. Schon durch die vorangegangenen Jahrzehntenapoléonischer Herrschaft h<strong>at</strong>te sich e<strong>in</strong>e Funktionärsschicht entwickelt, die mit den traditionellenEliten wenig zu tun h<strong>at</strong>te, wodurch die alten Eliten ke<strong>in</strong>en echten E<strong>in</strong>fluss auf die Adm<strong>in</strong>istr<strong>at</strong>ion mehrh<strong>at</strong>ten. 4238 Ebd., S. 38.39 Ebd., S. 39.40 KRAMER 1963, S. 15.41 FEIL, Kar<strong>in</strong>, Die E<strong>in</strong>igung <strong>Italien</strong>s <strong>und</strong> das St<strong>at</strong>uto Albert<strong>in</strong>o. E<strong>in</strong> Beitrag zur österreichisch-italienischenVerfassungsgeschichte, jur. Dipl., Univ. Graz, Graz 2004, S. 15.42 MAZOHL-WALLNIG, Brigitte, Verfassungsfrage <strong>und</strong> N<strong>at</strong>ionalitätenproblem - das Beispiel Lombardo-Venetien, <strong>in</strong>: Kirsch (Hrsg.), Verfassungswandel um 1848 <strong>im</strong> europäischen Vergleich, Berl<strong>in</strong> 2001, S. 366-368.<strong>Recht</strong> <strong>und</strong> <strong>Revolution</strong> - Risorg<strong>im</strong>ento Seite 10


Lombardo-Venetien war also e<strong>in</strong> str<strong>at</strong>egisch überaus wichtiger Teil des österreichischenSta<strong>at</strong>sgebietes, es diente als Glacis vor den Alpen, als e<strong>in</strong>e Barriere <strong>und</strong> Ausfallstor, fallsösterreichische Heere nach Westen oder Süden vorrücken mussten, um <strong>im</strong> übrigen <strong>Italien</strong> Ordnung <strong>im</strong>S<strong>in</strong>ne des Vormärz zu schaffen. 43 Die meisten Bewohner h<strong>at</strong>ten gute Er<strong>in</strong>nerungen an die mildeHerrschaft seit Maria Theresia, <strong>und</strong> e<strong>in</strong> großer Teil der Bevölkerung kam zunächst gerne unter dieösterreichische Herrschaft. 44a.) ZivilrechtDer Code Civil galt <strong>in</strong> napoleonischer Zeit <strong>in</strong> den von Frankreich annektierten Gebieten (Piemont,Toskana, Ligurien), <strong>im</strong> Königreich <strong>Italien</strong>, <strong>im</strong> Königreich Etrurien <strong>und</strong> <strong>im</strong> Königreich Neapel. In derRestaur<strong>at</strong>ion folgten die Gesetzbücher des Königreichs beider Sizilien (1819), Parmas <strong>und</strong> Piacenzas(1820) <strong>und</strong> Modenas (1851) dem napoleonischen Modell, mit e<strong>in</strong>igen „konserv<strong>at</strong>iven“ Abstrichenauch der Codice Albert<strong>in</strong>o Sard<strong>in</strong>ien Piemonts von 1837. Die Toskana <strong>und</strong> der Kirchensta<strong>at</strong> kehrten1815 zu älteren Gesetzsammlungen zurück. Auch <strong>in</strong> Neapel bedurfte der Code Civil nur ger<strong>in</strong>gfügigerÄnderungen <strong>und</strong> wurde so als „Gesetzbuch für das Königreich Beider Sizilien“ 1819 übernommen. 45Bemerkenswert ist die Entwicklung des Zivilrechts <strong>in</strong> Lombardo-Venetien, denn hier wurde – <strong>in</strong>Diskont<strong>in</strong>uität zu der Entwicklung <strong>im</strong> restlichen <strong>Italien</strong> – am 1. Jänner 1816 46 das österreichischeABGB von 1811 e<strong>in</strong>geführt. 47 Das bedeutete für die lombardo-venetische <strong>Recht</strong>swissenschaft die<strong>in</strong>tensive Beschäftigung mit sowohl dem Code Civil als auch dem ABGB <strong>in</strong> äußerst kurzer Zeit, e<strong>in</strong>eBeschäftigung die sich als sehr fruchtbr<strong>in</strong>gend herausstellte. Der erste umfassende Kommentar zumABGB wurde nicht <strong>im</strong> (heutigen) Österreich, sondern <strong>in</strong> Lombardo-Venetien <strong>in</strong> italienischer Spracheverfasst.43 KRAMER 1963, S. 15.44 Ebd., S. 28.45 DE MARTINO 1995, S. 290.46 GROSSI, Paolo, Das <strong>Recht</strong> <strong>in</strong> der europäischen Geschichte, München 2010, S. 142.47 ROMANELLI, Raffaele, Die Familie <strong>in</strong> der italienischen Zivilgesetzgebung, <strong>in</strong>: Dipper (Hrsg.),<strong>Recht</strong>skultur, <strong>Recht</strong>swissenschaft, <strong>Recht</strong>sberufe <strong>im</strong> <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>ert. Professionalisierung <strong>und</strong> Verrechtlichung <strong>in</strong>Deutschland <strong>und</strong> <strong>Italien</strong>, Berl<strong>in</strong> 2000, S. 147.; OLECHOWSKI, Thomas, Studienwörterbuch <strong>Recht</strong>sgeschichte<strong>und</strong> Römisches <strong>Recht</strong>, Wien 2006, S. 16.<strong>Recht</strong> <strong>und</strong> <strong>Revolution</strong> - Risorg<strong>im</strong>ento Seite 11


.) StrafrechtNach dem Wiener Kongress gelang <strong>in</strong> den habsburgisch beherrschten Ländern <strong>Italien</strong>s dasHabsburgische Gesetzbuch über Verbrechen <strong>und</strong> schwere Polizeiübertretungen oder auch„Allgeme<strong>in</strong>es Österreichisches Strafgesetzbuch“ von 1803 zur Geltung, das aus moderner Sicht e<strong>in</strong>engewaltigen Rückschritt darstellte. Im Gegens<strong>at</strong>z zum napoleonisch geprägten System, das mit se<strong>in</strong>enGr<strong>und</strong>sätzen der Mündlichkeit, Öffentlichkeit <strong>und</strong> des kontradiktorischen Verfahrens aufwartete, wardas habsburgische streng <strong>in</strong>quisitorisch geprägt. 48Wie auch schon früher wurden die Delikte <strong>in</strong> schwere <strong>und</strong> weniger schwere e<strong>in</strong>geteilt; ersterewurden „Verbrechen“, zweitere „schwere Polizeiübertretungen“ genannt. Verbrechen waren nach demGesetz absolut gültige, dem N<strong>at</strong>urrecht entspr<strong>in</strong>gende Delikte, wie z.B. Mord, Körperverletzung,Betrug, Diebstahl, die so schwer wiegen, dass der Sta<strong>at</strong> die Pflicht h<strong>at</strong>, diese zu verfolgen. 49 SchwerePolizeiübertretungen s<strong>in</strong>d alle anderen, vom Sta<strong>at</strong> selbst pönalisierte Verhaltensweisen.Bemerkenswert ist, dass je nach Zuordnung e<strong>in</strong>es Delikts völlig andere Organe <strong>in</strong> völlig anderenStrafverfahren entscheiden. Während bei Verbrechen t<strong>at</strong>sächlich Richter <strong>in</strong> Gerichten entscheiden,entscheiden über schwere Polizeiübertretungen „Richter-Beamte“, also weisungsgeb<strong>und</strong>ene Organe. 50Die allgeme<strong>in</strong>en Verfahrensgr<strong>und</strong>sätze entsprechen denen des klassischen römisch-kanonischenInquisitionsprozesses 51 : Verfahrense<strong>in</strong>leitung ex officio: die E<strong>in</strong>leitung des Verfahrens ist nur <strong>in</strong>wenigen Ausnahmefällen von der Partei bee<strong>in</strong>flussbar; He<strong>im</strong>lichkeit: bis zum Abschluss derUntersuchungen h<strong>at</strong> der Beschuldigte ke<strong>in</strong>erlei Aktene<strong>in</strong>sicht; Schriftlichkeit: jeder Aspekt <strong>und</strong> jedesElement des Verfahrens werden protokolliert <strong>und</strong> die Entscheidung erfolgt nur aufgr<strong>und</strong> dieserProtokolle; Fehlen e<strong>in</strong>es unparteiischen Richters: Die Verschmelzung der Rolle des Anklägers <strong>und</strong> desRichters kann die Objektivität der richterlichen Entscheidung wesentlich neg<strong>at</strong>iv bee<strong>in</strong>flussen; Fehlene<strong>in</strong>er berufsmäßigen Verteidigung: der Beschuldigte h<strong>at</strong> ke<strong>in</strong>en Anspruch auf e<strong>in</strong>en Verteidiger, da derRichter auch zur Erforschung der ihn entlastenden Umstände verpflichtet ist; Gesetzlicher Beweis: nurbest<strong>im</strong>mte, <strong>im</strong> Gesetz festgelegte T<strong>at</strong>sachen werden als Beweis akzeptiert, allen voran das Geständnisdes Beschuldigten. Es gibt ke<strong>in</strong>e freie Beweiswürdigung; Fehlen e<strong>in</strong>es Verhandlungsabschnittes: NachAbschluss der schriftlichen <strong>und</strong> gehe<strong>im</strong>en Untersuchung wird sogleich das Urteil gefällt; VorbeugendeHaft: während der Untersuchung kann der Beschuldigte bereits <strong>in</strong> Haft genommen werden – ohne dasser von den Anschuldigungen erfährt oder sich verteidigen kann; kann aufgr<strong>und</strong> des Fehlens desgesetzlichen Beweises ke<strong>in</strong> Urteil erlassen werden, bestehen aber nach wie vor Zweifel an derUnschuld des Beschuldigten, so wird dieser nicht freigesprochen, sondern „losgesprochen“ (absolutioab <strong>in</strong>stantia), was später bei Aufkommen neuer Beweise zu e<strong>in</strong>er erleichterten Wiederaufnahme desVerfahrens führt, falls nicht <strong>in</strong>zwischen bereits Verjährung e<strong>in</strong>getreten ist 52 .48 DEZZA 2007, S. 125.49 Ebd., S. 129.50 Ebd., S. 130.51 Ebd., S. 130 ff.52 Ebd., S. 137.<strong>Recht</strong> <strong>und</strong> <strong>Revolution</strong> - Risorg<strong>im</strong>ento Seite 12


Es gibt <strong>in</strong> beiden Verfahrensarten e<strong>in</strong>en dreigliedrigen Instanzenzug, wobei bei besondersschweren Delikten oder wenn die Verurteilung ohne Geständnis des Angeklagten erfolgt ist, die Sacheohne Berufung autom<strong>at</strong>isch der nächsten Instanz vorgelegt wird 53 , dabei kann sich die Strafe auchnoch verschlechtern 54 . Jede Berufung h<strong>at</strong> suspensive Wirkung 55 .Obwohl dieses Strafprozessgesetz klare absolutistische Züge trägt, s<strong>in</strong>d aufklärerische E<strong>in</strong>flüssenicht zu leugnen, dies wird besonders deutlich <strong>im</strong> ausgeprägten Instanzenzug, <strong>in</strong> der genauen <strong>und</strong>„behutsamen“ Regelung der Beschuldigtenbefragung <strong>und</strong> des absoluten Vorranges des Gesetzes 56 . „ImErgebnis haben die, wenn man so will, E<strong>in</strong>sprengsel des Liberalismus dessen Charakter auch nichtgeändert, der <strong>im</strong> Wesentlichen absolutistisch geblieben ist.“ 57 .4.) Vorabend der <strong>Revolution</strong>Die Periode bis 1848 ist gekennzeichnet von <strong>im</strong>mer wieder aufflammenden Unruhen, die jedoch<strong>im</strong>mer niedergeschlagen werden konnten. Die <strong>Revolution</strong>äre waren bloß dezentral organisiert <strong>und</strong>h<strong>at</strong>ten ke<strong>in</strong>en Rückhalt <strong>in</strong> der breiten Bevölkerung, auch waren ke<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>heitlichen Zieleauszumachen. 58 Zuerst brachen 1820 Aufstände <strong>im</strong> Königreich beider Sizilien aus, <strong>und</strong> KönigFerd<strong>in</strong>and I. war genötigt, e<strong>in</strong>e Verfassung zu geben. Mit Hilfe von Metternich wurden diese Unruhenjedoch militärisch niedergeschlagen, die Verfassung wieder aufgehoben, <strong>und</strong> das Königreich blieb bis1827 österreichisch besetzt. 1821 flammte die <strong>Revolution</strong> auch <strong>in</strong> Sard<strong>in</strong>ien-Piemont auf, auch hierwurde sie mit Hilfe österreichischer Truppen niedergeschlagen. 59Die <strong>in</strong>tellektuellen Vorarbeiten zu diesen Aufständen wurden von den Carbonari geleistet, e<strong>in</strong>emGehe<strong>im</strong>b<strong>und</strong> revolutionärer Eliten. Giuseppe Mazz<strong>in</strong>i, e<strong>in</strong> Jurist <strong>und</strong> republikanisch orientierterLiberaler, von den Carbonari bee<strong>in</strong>flusst, gründete 1831 den Gehe<strong>im</strong>b<strong>und</strong> „Junges <strong>Italien</strong>“. Er stelltedie Forderung nach e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>igung <strong>Italien</strong>s „von unten“, die durch das Volk erkämpft werden sollte.Zu dieser Zeit galt er als Vorreiter <strong>und</strong> geistiger Führer des Risorg<strong>im</strong>ento.Gehe<strong>im</strong>bünde dieser Art gab es viele, da sie die e<strong>in</strong>zige Möglichkeit waren, mit anderenrevolutionär ges<strong>in</strong>nten Bürgern <strong>in</strong> Austausch zu treten. Presse- oder Versammlungsfreiheit gab esnicht <strong>und</strong> revolutionäres Gedankengut wurde von der Zensur zurückgehalten. Dennoch konnten dieGehe<strong>im</strong>bünde Wirkung entfalten, bereiteten viele Aufstände vor <strong>und</strong> lenkten auch das <strong>in</strong>tern<strong>at</strong>ionaleAugenmerk auf die italienische Sache. 6053 Ebd., S. 138.54 Ebd., S. 139.55 Ebd., S. 139.56 Ebd., S. 140 f.57 Ebd., S. 143.58 PLEINERT, Otto, Vom Albert<strong>in</strong>ischen St<strong>at</strong>ut zur Verfassung der Republik <strong>Italien</strong>. Die geschichtlicheEntwicklung des italienischen Sta<strong>at</strong>srechts von 1848 - 1948, jur. Diss., Univ. Wien, Wien 1954, S. 3.59 Ebd., S. 3.60 FEIL 2004, S. 16.<strong>Recht</strong> <strong>und</strong> <strong>Revolution</strong> - Risorg<strong>im</strong>ento Seite 13


1833 schließt sich Giuseppe Garibaldi den Carbonari an. „Junges <strong>Italien</strong>“ organisierte vieleAufstände 1833/34 <strong>und</strong> 1843-1845, die aber alle scheitern. Es wurde jedoch die öffentliche Diskussionüber die Struktur e<strong>in</strong>es künftigen <strong>Italien</strong> <strong>in</strong> Gang gebracht. Mazz<strong>in</strong>i <strong>und</strong> Garibaldi galten mit ihrerradikalen republikanischen Lösung als „historische L<strong>in</strong>ke“, e<strong>in</strong>e Stoßrichtung, die nach dem Scheiternder Aufstände nicht mehr tragbar erschien. Gemäßigtere Autoren wie Cesare Balbo, die e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>igungunter der Führung Sard<strong>in</strong>ien-Piemonts anstrebten, <strong>und</strong> Autoren der „historischen <strong>Recht</strong>en“ umV<strong>in</strong>cenzo Gioberti, die den Papst als Oberhaupt e<strong>in</strong>er konstitutionellen italienischenSta<strong>at</strong>enkonföder<strong>at</strong>ion sehen wollten, da der K<strong>at</strong>holizismus das verb<strong>in</strong>dende Element <strong>in</strong> <strong>Italien</strong> sei,tr<strong>at</strong>en nun <strong>in</strong> den Vordergr<strong>und</strong>. 611847 wurde die Zeitung „Il Risorg<strong>im</strong>ento“ <strong>in</strong> Tur<strong>in</strong> gegründet, die der Periode letztlich ihrenNamen gab. Sie vertr<strong>at</strong> die L<strong>in</strong>ie der „Moder<strong>at</strong>i“, also E<strong>in</strong>igung unter Führung des KönigreichsSard<strong>in</strong>ien-Piemonts <strong>und</strong> König Karl Alberts. E<strong>in</strong>er der Mitbegründer der Zeitung war Camillo BensoGraf von Cavour, M<strong>in</strong>isterpräsident unter Karl Albert.Die Vorreiter der gemäßigten p<strong>at</strong>riotischen Bewegungen, die Führungsschichten der nord- <strong>und</strong>mittelitalienischen Regionen, zielten auf der Schwelle zum Jahr 1848 auf e<strong>in</strong>en erneuerbarenErbpachtvertrag (contr<strong>at</strong>to enfiteutico) zwischen Fürst <strong>und</strong> Ständen bzw. Fürst <strong>und</strong> Territorium ab.Nach diesem Modell sollten die Stände nach <strong>in</strong>nen unbeschränkte Handlungsfreiheit haben <strong>und</strong> fürden zivilen Fortschritt sorgen, während sich der Monarch um die <strong>in</strong>tern<strong>at</strong>ionale Diplom<strong>at</strong>ie <strong>und</strong> vorallem um die Loslösung von der E<strong>in</strong>mischung Österreichs zu kümmern h<strong>at</strong>te. Als „B<strong>in</strong>demittel“zwischen den Institutionen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em so organisierten vere<strong>in</strong>ten <strong>Italien</strong> sollte die k<strong>at</strong>holische Religiondienen, dementsprechend der Papst den Vorsitz über diese neue Konföder<strong>at</strong>ion der Sta<strong>at</strong>en <strong>Italien</strong>sführen. 62Dieses Modell schien 1846 mit dem Pontifik<strong>at</strong>santritt Giovanni Maria Mastai-Ferretti als Pius IX.greifbar zu werden. Der Beg<strong>in</strong>n se<strong>in</strong>er Amtszeit war geprägt von liberal-n<strong>at</strong>ionalen Reformen, was <strong>in</strong>weiten Teilen <strong>Italien</strong>s neue Hoffnung aufke<strong>im</strong>en lies. Erstmals waren auch Laien für M<strong>in</strong>isterien <strong>und</strong>Beamtenstellen zugelassen <strong>und</strong> die Presse- <strong>und</strong> Versammlungsfreiheit wurde <strong>im</strong> Kirchensta<strong>at</strong>e<strong>in</strong>geführt. 63 Im Gegens<strong>at</strong>z zum theoretischen französischen Vorbild e<strong>in</strong>er Verfassung gab es jedoche<strong>in</strong>ige Unterschiede, die dem Doppelcharakter des Kirchensta<strong>at</strong>es sowohl als geistliche als auchweltliche Instanz geschuldet waren, so war Laien die E<strong>in</strong>mischung <strong>in</strong> jedwede klerikaleAngelegenheiten untersagt, <strong>in</strong> Zeiten der Sedisvakanz fanden sogar überhaupt ke<strong>in</strong>e gesetzgeberischenAktivitäten st<strong>at</strong>t. 6461 PLEINERT 1954, S. 4.62 SOFIA, Francesca, Regionales, N<strong>at</strong>ionales <strong>und</strong> Universales <strong>in</strong> den Verfassungen von 1848: Neapel <strong>und</strong>Sizilien, Toskana <strong>und</strong> der Kirchensta<strong>at</strong> <strong>im</strong> Vergleich, <strong>in</strong>: Kirsch (Hrsg.), Verfassungswandel um 1848 <strong>im</strong>europäischen Vergleich, Berl<strong>in</strong> 2001, S. 338.63 KIRSCH, Mart<strong>in</strong>, Verfassungswandel um 1848 - Aspekte der Rezeption <strong>und</strong> des Vergleichs zwischenden europäischen Sta<strong>at</strong>en, <strong>in</strong>: Kirsch (Hrsg.), Verfassungswandel um 1848 <strong>im</strong> europäischen Vergleich, Berl<strong>in</strong>2001, S. 44.64 SOFIA 2001, S. 348.<strong>Recht</strong> <strong>und</strong> <strong>Revolution</strong> - Risorg<strong>im</strong>ento Seite 14


Als Ausstrahlung dieses Kurses liberalisierte der ohneh<strong>in</strong> reformerisch ges<strong>in</strong>nte Großherzog derToskana das Pressewesen, <strong>und</strong> der König von Savoyen bewilligte e<strong>in</strong>e Justiz- <strong>und</strong> Verwaltungsreform<strong>und</strong> lockerte die Zensur. 65 Somit gelang es den Herrschern, wenngleich es ihnen zutiefstwiderstrebte 66 , <strong>in</strong> diesen Sta<strong>at</strong>en (Toskana, Königreich Beider Sizilien, Kirchensta<strong>at</strong>) die drohenderevolutionäre Dynamik abzufangen. 675.) Die <strong>Revolution</strong>sjahre 1848-1850In Oberitalien war am Vorabend des Jahres 1848 das Ause<strong>in</strong>anderklaffen zwischen Sta<strong>at</strong> <strong>und</strong>Gesellschaft bereits viel weiter fortgeschritten als anderswo; dies deshalb, da die bürgerlichenSchichten viel früher nach politischer Partizip<strong>at</strong>ion verlangten. 68So kam es auch hier zurevolutionären Unruhen, die <strong>im</strong> März 1848 <strong>in</strong> offene Revolte umschlugen (C<strong>in</strong>que Giorn<strong>at</strong>e diMilano), woraufh<strong>in</strong> König Karl Albert von Piemont/Sard<strong>in</strong>ien am 24. März 1848 <strong>in</strong> der Lombardeie<strong>in</strong>marschierte. 69Die <strong>in</strong> der Zwischenzeit <strong>in</strong> Österreich erlassene „Pillersdorfsche Verfassung“ wurde aufgr<strong>und</strong> desKriegszustandes nicht für Lombardo-Venetien angewandt, der Krieg gegen Piemont jedoch aufgr<strong>und</strong>des militärischen Geschicks Radetzkys für Österreich entschieden, wodurch nach dem Waffenstillstandam 9. August 1848 Lombardo-Venetien wieder unter Österreichischer Herrschaft stand.Die Frage der verfassungsrechtlichen Integr<strong>at</strong>ion blieb jedoch vorerst ungeklärt. 70Es wurdenzivile Hofkommissäre e<strong>in</strong>gesetzt (Franz Graf Hartig, Franz Graf Montecuccoli), die allerd<strong>in</strong>gs wedervon den starken weil siegreichen Militärs noch vom eigenen Reichstag aufgr<strong>und</strong> der unklarenjuristischen Lage vollumfänglich anerkannt wurden <strong>und</strong> die Skepsis der Bevölkerung gegenüber derMonarchie förderten anst<strong>at</strong>t zu versöhnen. 71Erst die oktroyierte Märzverfassung von 1849, vomKaiser selbst erlassen, galt erstmals auch <strong>in</strong> Lombardo-Venetien, der separ<strong>at</strong> erlasseneGr<strong>und</strong>rechtsk<strong>at</strong>alog jedoch aufgr<strong>und</strong> des neuerd<strong>in</strong>gs ausgebrochenen Krieges mit Piemont nichtmehr. 72Karl Albrecht wurde von se<strong>in</strong>en Landsleuten „la spada d’Italia“ genannt, das Schwert <strong>Italien</strong>s.Grillparzer spottete damals:„Das Schwert <strong>Italien</strong>s, mag wohl se<strong>in</strong>!zum wenigsten für solche,Die Schwerter dort s<strong>in</strong>d etwas kle<strong>in</strong> -bei uns nennt man sie Dolche!“ 7365 KIRSCH 2001, S. 39.66 MERIGGI, Marco, Die <strong>Revolution</strong> von 1848 <strong>und</strong> die Entstehung der N<strong>at</strong>ion: Preußen-Deutschland <strong>und</strong>Piemont-<strong>Italien</strong> <strong>im</strong> Vergleich, <strong>in</strong>: Kirsch (Hrsg.), Verfassungswandel um 1848 <strong>im</strong> europäischen Vergleich,Berl<strong>in</strong> 2001, S. 326.67 KIRSCH 2001, S. 44.68 MAZOHL-WALLNIG 2001, S. 369-371.69 Ebd., S. 372.70 Ebd., S. 379.71 Ebd., S. 376 ff.72 Ebd., S. 384.73 KRAMER 1963, S. 74.<strong>Recht</strong> <strong>und</strong> <strong>Revolution</strong> - Risorg<strong>im</strong>ento Seite 15


Noch direkter Alexander Baumann:„Oes predigts <strong>in</strong> FortschrittMit’n Maul <strong>und</strong> mit’n Druck,Und engri Sold<strong>at</strong>enGengen alleweil zruck.“ 74Anhänger Mazz<strong>in</strong>is <strong>und</strong> Garibaldis vertrieben 1848 den Papst aus dem Kirchensta<strong>at</strong> <strong>und</strong> riefen dieRepublik aus. Um die starke konserv<strong>at</strong>ive <strong>und</strong> k<strong>at</strong>holische Partei <strong>in</strong> Frankreich zu gew<strong>in</strong>nen, ließ der<strong>in</strong>nerlich liberale Präsident Napoléon III. Rom für Papst Pius IX. erobern, der nun zusammen mitKard<strong>in</strong>al Antonelli <strong>im</strong> Kirchensta<strong>at</strong> e<strong>in</strong> reaktionäres Reg<strong>im</strong>e errichtet. 75 Die Franzosen blieben bis1870 Schutzmacht des Papstes.a.) Das St<strong>at</strong>uto Albert<strong>in</strong>oKarl Albert von Sard<strong>in</strong>ien-Piemont reagierte sehr rasch auf die Unruhen <strong>in</strong> Tur<strong>in</strong> <strong>im</strong> Februar1848, <strong>und</strong> am 4. März 1848 oktroyierte er die Verfassung <strong>in</strong> Piemont (das „St<strong>at</strong>uto Albert<strong>in</strong>o“) <strong>und</strong>beendete damit für <strong>im</strong>mer den Absolutismus <strong>im</strong> sard<strong>in</strong>ischen Königreich. Das „St<strong>at</strong>uto Albert<strong>in</strong>o“sollte schließlich die Verfassung des gee<strong>in</strong>ten <strong>Italien</strong>s werden. 76französisch-bourbonischen „Chartes constitutionelle“ von 1814 formuliert.Sie war nach dem Vorbild derAufgr<strong>und</strong> der doppelten Bedrohung des Königreiches – e<strong>in</strong> bereits e<strong>in</strong> Mal erlebtes Überspr<strong>in</strong>gendes französischen <strong>Revolution</strong>sfunkens mit Mazz<strong>in</strong>i als K<strong>at</strong>alys<strong>at</strong>or e<strong>in</strong>erseits <strong>und</strong> die militärischeBedrohung durch Österreich andererseits – wurde die Verfassung trotz ihres wenig fortschrittlichenZustandekommens weitgehend akzeptiert. 77Bemerkenswert <strong>in</strong> diesem Zusammenhang ist, dassPiemont der e<strong>in</strong>zige Sta<strong>at</strong> <strong>im</strong> gesamten <strong>Revolution</strong>s-Europa war, dessen Verfassung vom Könige<strong>in</strong>seitig ausgearbeitet <strong>und</strong> erlassen (oktroyiert) wurde, ohne Mitwirkung e<strong>in</strong>esVolksvertretungskörpers. 78 Es ist e<strong>in</strong>e sogenannte „Carta ottri<strong>at</strong>a“ (französisch octroyee), e<strong>in</strong> vomSouverän an das Volk gebilligtes Papier. 79 Karl Albert stellte sich damit <strong>in</strong> geschickter Weise an dieSpitze der E<strong>in</strong>igungsbewegung, <strong>in</strong>dem er sich damit den Sche<strong>in</strong> gab, den Verfassungsgedanken zuverkörpern, <strong>und</strong> legte so die Vorreiterrolle Sard<strong>in</strong>ien-Piemonts für die kommenden Jahrzehnte fest. 80Die Piemontesische Verfassung (sowohl auf Französisch als auch auf <strong>Italien</strong>isch veröffentlicht 81 )sah die Gesetzes<strong>in</strong>iti<strong>at</strong>ive be<strong>im</strong> Monarchen <strong>und</strong> den Parlamentskammern vor, der Monarch erhielt e<strong>in</strong>absolutes Veto gegen Gesetzesbeschlüsse <strong>und</strong> überdies das Auflösungsrecht der Kammern. Mitnichtenhandelte es sich be<strong>im</strong> Parlament um e<strong>in</strong>e demokr<strong>at</strong>ische Volksvertretung <strong>im</strong> heutigen S<strong>in</strong>ne, diearistokr<strong>at</strong>ische Schicht h<strong>at</strong>te auch gar ke<strong>in</strong> Interesse daran. Vielmehr wurde e<strong>in</strong> Zensuswahlrecht74 Ebd., S. 74.75 Ebd., S. 158.76 WESEL 2010, S. 449.77 KIRSCH 2001, S. 45.78 Ebd., S. 47.79 FEIL 2004, S. 43.80GOSEWINKEL, Dieter / MASING, Johannes, Die Verfassungen <strong>in</strong> Europa 1789 - 1949.Wissenschaftliche Textedition unter E<strong>in</strong>schluß sämtlicher Änderungen <strong>und</strong> Ergänzungen sowie mit Dokumentenaus der englischen <strong>und</strong> amerikanischen Verfassungsgeschichte, München 2006, S. 41.81 KIRSCH 2001, S. 60.<strong>Recht</strong> <strong>und</strong> <strong>Revolution</strong> - Risorg<strong>im</strong>ento Seite 16


e<strong>in</strong>geführt, wodurch nur weniger als 2% der Bevölkerung Beteiligung an der Legisl<strong>at</strong>ivgewalterhielten. 82 Die Exekutivgewalt lag ebenfalls alle<strong>in</strong> be<strong>im</strong> König, dieser ernannte die Sta<strong>at</strong>sbediensteten<strong>und</strong> die M<strong>in</strong>ister. M<strong>in</strong>ister konnten zwar angeklagt werden („M<strong>in</strong>isteranklage“), e<strong>in</strong>e politischeVerantwortlichkeit vor dem Parlament existierte jedoch <strong>in</strong> geschriebener Form nicht. 83 In diesemdualistischen System zwischen Parlament <strong>und</strong> Monarchen kam es zu Beg<strong>in</strong>n der 1850er-Jahre unterder Führung von Cavour zu e<strong>in</strong>er liberaleren, das Parlament stärkenden Interpret<strong>at</strong>ion, was auf dieSchwächung des Monarchen aufgr<strong>und</strong> der Kriegsniederlage gegen Österreich <strong>und</strong> der E<strong>in</strong>stellung desder Konstitution liberaler gegenüberstehenden Adels zurückzuführen war. 84 Wenn auch mit e<strong>in</strong>igenE<strong>in</strong>schränkungen führte diese Verfassung die klassischen persönlichen Freiheiten des <strong>19.</strong> Jahrh<strong>und</strong>ertse<strong>in</strong>, u.a. die Presse- <strong>und</strong> Me<strong>in</strong>ungsfreiheit, die Versammlungsfreiheit <strong>und</strong> das <strong>Recht</strong> auf Eigentum. 85Das „St<strong>at</strong>uto Albert<strong>in</strong>o“ blieb bis 1947 unverändert <strong>in</strong> Kraft; dies allerd<strong>in</strong>gs nur aufgr<strong>und</strong> derT<strong>at</strong>sache, dass das St<strong>at</strong>uto selbst ke<strong>in</strong> Verfahren vorsah, den Text der Verfassung zu ändern, was dazuführte, dass für Verfassungsänderungen (<strong>im</strong> m<strong>at</strong>eriellen S<strong>in</strong>n) Gesetze erlassen werden mussten –allerd<strong>in</strong>gs auch ke<strong>in</strong>e „Verfassungsgesetze“, sondern bloß e<strong>in</strong>fache Gesetze waren ausreichend, dasich das italienische Parlament (<strong>in</strong> britischer Tradition) ke<strong>in</strong>er Verfassung unterstehend ansah. DieSouveränität des Parlaments bed<strong>in</strong>gte die Deutung des Gr<strong>und</strong>gesetzes als „constituzione flessibile“. 86Zu e<strong>in</strong>er Bewegung für e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>heitliche n<strong>at</strong>ionale Konstitution führten die <strong>Revolution</strong>sjahre um1848 aufgr<strong>und</strong> der zu unterschiedlichen politisch-adm<strong>in</strong>istr<strong>at</strong>iven Situ<strong>at</strong>ion der Landesteile noch nicht,wenngleich die Bedeutung des Kampfes gegen die Österreichische Herrschaft zunahm. 87b.) NeapelIn den übrigen Sta<strong>at</strong>en <strong>Italien</strong>s, <strong>in</strong>sbesondere <strong>im</strong> Königreich Beider Sizilien, verweigerten dieFürsten jedoch jegliche revolutionäre Zugeständnisse, was <strong>in</strong> den Jahren 1847/1848 zu neuerlichenAufständen führte. In Sizilien wurde von der provisorischen Regierung bestehend aus Bürgerlichen<strong>und</strong> Adeligen die englisch geprägte sizilianische Verfassung von 1812 wieder <strong>in</strong> Kraft gesetzt(12.1.1848) <strong>und</strong> letzten Endes erließ König Ferd<strong>in</strong>and II. am 10. Februar 1848 e<strong>in</strong>e eng an diefranzösische Charte von 1830 angelehnte Verfassung 88 , somit die erste italienische Verfassung <strong>in</strong>diesem Jahre. E<strong>in</strong>e süditalienische Legende aus der Zeit des Risorg<strong>im</strong>ento überliefert folgendes Zit<strong>at</strong>Ferd<strong>in</strong>and des II., das dieser be<strong>im</strong> Unterschreiben der Verfassung getätigt haben soll: „Don Pius IX.<strong>und</strong> Carlo Alberto wollten mir e<strong>in</strong>en Knüppel zwischen die Be<strong>in</strong>e werfen, da werfe ich ihnen diesenBalken h<strong>in</strong>. Und nun laßt uns alle fröhlich se<strong>in</strong>“. 8982 MERIGGI 2001, S. 326-327.83 KIRSCH 2001, S. 51-54.84 Ebd., S. 56.85 MERIGGI 2001, S. 323.86 GOSEWINKEL / MASING 2006, S. 1373.; PLEINERT 1954, S. 12.87 KIRSCH 2001, S. 60.; MERIGGI 2001, S. 325.88 KIRSCH 2001, S. 39.89 SOFIA 2001, S. 337.<strong>Recht</strong> <strong>und</strong> <strong>Revolution</strong> - Risorg<strong>im</strong>ento Seite 17


c.) Lombardo-VenetienNach der Niederschlagung der Aufstände <strong>und</strong> dem Sieg Radetzkys war die Herrschaft Österreichs<strong>in</strong> Lombardo-Venetien vorerst wieder gesichert. Die öffentliche St<strong>im</strong>mung, besonders derOberschicht, war jedoch so neg<strong>at</strong>iv wie nie zuvor gegen Österreich gerichtet, das auf dem Pr<strong>in</strong>zip derÜbere<strong>in</strong>kunft zwischen Herrscher <strong>und</strong> Beherrschten basierende System der zivilenHerrschaftsorganis<strong>at</strong>ion geriet völlig aus dem Gleichgewicht. Der Herrschaftsanspruch musstemilitärisch untermauert werden, <strong>und</strong> dies fand am 12.10.1849 für alle sichtbar <strong>in</strong> der Vere<strong>in</strong>igung derZivil- <strong>und</strong> Militärverwaltung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em neu geschaffenen „General-, Civil <strong>und</strong> Militärgouverneur“ st<strong>at</strong>t,dem nicht nur „die oberste Leitung der Civilverwaltung der beiden Königreiche“, sondern auch derOberbefehl über die kaiserliche Armee <strong>in</strong> <strong>Italien</strong>. 90 Wo zuvor (von 1815-1848) e<strong>in</strong> Vizekönig regierth<strong>at</strong>te, als Ausstrahlung der kaiserlichen Macht selbst, führte nun e<strong>in</strong> bloßer St<strong>at</strong>thalter dieVerwaltungsgeschäfte, was zusätzlich die Zerrissenheit zwischen Herrscher <strong>und</strong> Beherrschtenverdeutlichte. Die wichtigste, über die e<strong>in</strong>es Vizekönigs h<strong>in</strong>ausgehende, Kompetenz desGeneralgouverneurs war die Aufrechterhaltung der Ordnung <strong>und</strong> Sicherheit, quasi als oberstePolizeibehörde, <strong>und</strong> war mit allen zur Erreichung dieses Zweckes notwendigen Mitteln ausgest<strong>at</strong>tet –n<strong>at</strong>ürlich e<strong>in</strong>e Antwort auf die Aufstände zuvor. 91 Der erste Generalgouverneur Lombardo-Venetienswar – der zu diesem Zeitpunkt bereits 82-jährige – Radetzky.Die Vere<strong>in</strong>igung der Zivil- <strong>und</strong> Militärverwaltung sollte sich <strong>in</strong> den nächsten Jahren als höchstproblem<strong>at</strong>isch herausstellen. Radetzky, durch <strong>und</strong> durch Militär, konnte sich mit se<strong>in</strong>en zivilenAufgaben kaum identifizieren <strong>und</strong> lies das se<strong>in</strong>e untergebenen Beamten auch spüren, <strong>in</strong>sbesonderespitzten sich Konflikte mit dem Chef der Zivilverwaltungssektion Montecuccoli zu. Aber auch dieKompetenzen des Generalgouverneurs selbst waren rel<strong>at</strong>iv zweideutig formuliert. 92 Dies <strong>und</strong> dasÜbergewicht der Militär- <strong>im</strong> Gegens<strong>at</strong>z zur Zivilverwaltung h<strong>at</strong>te zur Folge, dass objektiv dieHandlungen des Generalgouvernements weit über ihr Ziel h<strong>in</strong>ausschossen <strong>und</strong> die HerrschaftÖsterreichs <strong>in</strong> weiten Teilen der Bevölkerung als Willkürherrschaft <strong>und</strong> Unterdrückung angesehenwurden. Insbesondere die Jahre 1850-1853 gelten als die „schwärzesten“ der österreichischenHerrschaft, was auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em heftigen Aufstand 1853 mündete. 93 Während die Zivilbürokr<strong>at</strong>ie noch<strong>im</strong>mer versuchte, die maßgeblichen Kreise der Bevölkerung seelisch zu gew<strong>in</strong>nen, machten dieMilitärbehörden diesen Versuch nach 1849 nicht mehr. 94Als <strong>im</strong> W<strong>in</strong>ter 1856/57 das österreichische Kaiserpaar e<strong>in</strong>e <strong>Italien</strong>reise unternahm war KaiserFranz Josef überrascht von der überaus fe<strong>in</strong>dseeligen Haltung der Bewohner sowie von demerschreckenden Kräfteverfall des neunzigjährigen Feldmarschalls Radetzky, der schon selbst mehrfachum Entlassung angesucht h<strong>at</strong>te. Es folgte am 28.2.1857 die Ernennung Erzherzogs Ferd<strong>in</strong>and90MAZOHL-WALLNIG, Brigitte, Österreichischer Verwaltungssta<strong>at</strong> <strong>und</strong> adm<strong>in</strong>istr<strong>at</strong>ive Eliten <strong>im</strong>Königreich Lombardo-Venetien 1815 - 1859, Ma<strong>in</strong>z 1993, S. 330-331.91 Ebd., S. 333.92 Ebd., S. 334.93 Ebd., S. 345.94 KRAMER 1963, S. 44.<strong>Recht</strong> <strong>und</strong> <strong>Revolution</strong> - Risorg<strong>im</strong>ento Seite 18


Max<strong>im</strong>ilian, der jüngere Bruder Franz Josefs, zum Generalgouverneur des Lombardo-VenetianischenKönigreichs. Gleichzeitig wurden aber auch die beiden Gewalten Zivil- <strong>und</strong> Militärverwaltung wiedergetrennt, <strong>und</strong> das Kommando über die <strong>in</strong> diesem Königreich stehende I. Armee erhieltFeldzeugmeister Graf Franz Gyulai. 95 Die Kompetenzendes Generalgouverneurs wurden auf re<strong>in</strong>repräsent<strong>at</strong>ive Aufgaben beschränkt, gleichzeitig lautete der Auftrag, die Symp<strong>at</strong>hien derBevölkerung, vor allem der Österreich gegenüber fe<strong>in</strong>dlich e<strong>in</strong>gestellten Oberschicht,zurückzugew<strong>in</strong>nen, unter den gegebenen Voraussetzungen e<strong>in</strong> von vornhere<strong>in</strong> schwierigesUnterfangen. Zunächst gelang es Max<strong>im</strong>ilian gewisse Symp<strong>at</strong>hien zu gew<strong>in</strong>nen. Er sprach fließend<strong>Italien</strong>isch, ebenso se<strong>in</strong>e Frau, die obendre<strong>in</strong> dem als liberal geltenden belgischen Königshaus derKoburger entstammte. Er betonte se<strong>in</strong>e Verwandtschaft zu Leopold, se<strong>in</strong>em Urgroßv<strong>at</strong>er, der sichse<strong>in</strong>erzeit viele Symp<strong>at</strong>hien <strong>in</strong> der Toskana erwarb. Und nicht zuletzt war se<strong>in</strong> Bemühen e<strong>in</strong> erkennbarehrliches; dennoch gelang es Max<strong>im</strong>ilian letztlich nicht das Ruder herumzureißen, zu schwierig <strong>und</strong> zuverfahren war die Ausgangslage <strong>und</strong> zu wenige effektive Mittel wurden ihm von se<strong>in</strong>em Bruder, demKaiser, <strong>in</strong> die Hände gelegt. Als 1859 der Krieg mit Frankreich <strong>und</strong> Sard<strong>in</strong>ien-Piemont ausbrachwurde die Zivil- <strong>und</strong> Militärverwaltung wieder <strong>in</strong> der Hand von Gyulai vere<strong>in</strong>igt <strong>und</strong> Max<strong>im</strong>ilianse<strong>in</strong>es Amts enthoben. Später, <strong>im</strong> Jahre 1873, sollte der italienische Außenm<strong>in</strong>ister Marchese EmilioVisconti-Venosta se<strong>in</strong>em österreichischen Amtskollegen mitteilen, dass die Aufrechterhaltung e<strong>in</strong>ergeschlossenen, hartnäckigen Opposition gegen das österreichische Reg<strong>im</strong>e nur e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Malschwierig geworden sei: als Ihr uns den Erzherzog Max<strong>im</strong>ilian geschickt habt. 96d.) Das Königreich <strong>Italien</strong>Nach dem letztlichen Scheitern der Aufstände r<strong>und</strong> um das Jahr 1848 änderte sich die Str<strong>at</strong>egie.Die E<strong>in</strong>sicht reifte, dass die E<strong>in</strong>igung <strong>Italien</strong>s nicht von <strong>in</strong>nen heraus zu schaffen se<strong>in</strong> wird. Tur<strong>in</strong>, dieHauptstadt des Königreichs Sard<strong>in</strong>ien-Piemont, wurde zum Zentrum des Risorg<strong>im</strong>ento. Es war dieZeit des Cavour. Cavour war aus Savoyen <strong>und</strong> sprach Französisch; Napoléon III. war schon alsJugendlicher mit dem „Jungen <strong>Italien</strong>“ <strong>in</strong> Berührung gekommen <strong>und</strong> war den liberalen Ideengegenüber positiv e<strong>in</strong>gestellt. Zudem war e<strong>in</strong> gee<strong>in</strong>tes <strong>Italien</strong> als Gegengewicht zu Österreich durchaus<strong>im</strong> Interesse Frankreichs. Cavour <strong>und</strong> Napoléon III. waren e<strong>in</strong>ander symp<strong>at</strong>hisch, <strong>und</strong> Cavour schafftees durch geschickte Politik, e<strong>in</strong>e Annäherung an Frankreich zu erreichen <strong>und</strong> so dem E<strong>in</strong>igungsprozessden entscheidenden Impuls zu geben.Es kam 1858 zu e<strong>in</strong>em gehe<strong>im</strong>en Bündnis (Vertrag von Plombière) mit Frankreich, wonachSard<strong>in</strong>ien-Piemont gegen Abtretung Savoyens <strong>und</strong> Nizzas ganz Oberitalien bis zur Adria erhaltensollte. Im Mai 1859 kam es abermals zum Krieg gegen Österreich <strong>im</strong> Sard<strong>in</strong>ischen Krieg (Zweiteritalienischer Unabhängigkeitskrieg). Österreich wurde zum E<strong>in</strong>marsch <strong>in</strong> Sard<strong>in</strong>ien-Piemontprovoziert <strong>und</strong> stand als Kriegsschuldiger da, letztlich unterlagen die Österreicher <strong>in</strong> der Schlacht bei95WANDRUSZKA, Adam, General-Gouverneur von Lombardo-Venetien, <strong>in</strong>: Kitlitschka (Hrsg.),Max<strong>im</strong>ilian von Mexiko 1832 - 1867, Ausstellung auf Burg Hardegg veranstaltet von der Stadtgeme<strong>in</strong>deHardegg a. d. Thaya 13. Mai bis 17. November 1974, Wien 1974, S. 49.96 Ebd., S. 49-52.<strong>Recht</strong> <strong>und</strong> <strong>Revolution</strong> - Risorg<strong>im</strong>ento Seite 19


Solfer<strong>in</strong>o (Gründung des Roten Kreuzes durch Henri Dunant). Da Napoléon III. auf Druck der übrigenMächte <strong>in</strong> Europa, die an e<strong>in</strong>er <strong>Italien</strong>ischen E<strong>in</strong>igung ke<strong>in</strong> Interesse zeigten, se<strong>in</strong>e Unterstützungzurückzog, konnte Sard<strong>in</strong>ien-Piemont nur die Lombardei erobern, Venezien blieb noch beiÖsterreich. 971860 kam es, von Napoléon III. gebilligt, <strong>in</strong> den noch österreichischen Gebieten Oberitaliens, alsoToskana, Parma <strong>und</strong> Modena, zu Volksabst<strong>im</strong>mungen, <strong>in</strong> denen sich die Bevölkerung mitüberwiegender Mehrheit für den Anschluss an Sard<strong>in</strong>ien-Piemont aussprach. Als Ausgleich für diesenGebietszuwachs führte Cavour jetzt die Abtretung Savoyens <strong>und</strong> Nizzas an Frankreich durch. 981860 landete Garibaldi mit se<strong>in</strong>en „Mille“ (der legendäre „Zug der Tausend“) <strong>in</strong> Sizilien <strong>und</strong>eroberte die Insel, <strong>und</strong> auch das restliche Neapel. 99 Garibaldi war aufgebracht wegen der PreisgabeNizzas <strong>und</strong> Savoyens an Frankreich <strong>und</strong> war nun <strong>in</strong> offener Opposition zu Cavour. Se<strong>in</strong>e Erfolge <strong>in</strong>Sizilien gefährdeten die Vorreiterrolle Sard<strong>in</strong>ien-Piemonts <strong>im</strong> E<strong>in</strong>igungsprozess. Es begann e<strong>in</strong>Wettlauf, bei dem Sard<strong>in</strong>ien-Piemont den Kirchensta<strong>at</strong> zum Teil eroberte (mit Billigung NapoléonsIII.), der restliche Kirchensta<strong>at</strong> <strong>und</strong> Rom blieben unangetastet. In der Folge stieß Viktor Emanuel II.weiter <strong>in</strong> den Süden vor <strong>und</strong> vere<strong>in</strong>igte se<strong>in</strong>e Armee mit der Garibaldis, der, nach e<strong>in</strong>er weiterenVolksabst<strong>im</strong>mung, die pro Sard<strong>in</strong>ien-Piemont ausg<strong>in</strong>g, von se<strong>in</strong>er Opposition abrückte. Be<strong>im</strong>legendären Treffen zwischen Garibaldi <strong>und</strong> Viktor Emanuel II. am 26.10.1860, begrüßte ersterer denpiemontesischen Monarchen als „König von <strong>Italien</strong>“. Am 17.3.1860 nahm Viktor Emanuel II. auchoffiziell diesen Titel an. 100Wie bereits zuvor erwähnt, wurde das „St<strong>at</strong>uto Albert<strong>in</strong>o“ von 1848 auch <strong>in</strong> den erobertenGebieten als Verfassung e<strong>in</strong>gesetzt. Nach heutiger Ansicht handelt es sich dabei um E<strong>in</strong>gliederungen<strong>in</strong> den Sard<strong>in</strong>isch-Piemontesischen Sta<strong>at</strong>, manche Autoren sprechen von e<strong>in</strong>er „Aufsaugung“ 101 .Jedenfalls ist die <strong>Recht</strong>skont<strong>in</strong>uität mit Sard<strong>in</strong>ien-Piemont gewahrt <strong>und</strong> auch beabsichtigt, was sichauch daran zeigt, dass Viktor Emanuel II. auch als neuer König von <strong>Italien</strong> Viktor Emanuel der Zweite<strong>und</strong> nicht etwa der Erste ist (vgl. „Kaiser Franz II./I. von Österreich“ <strong>in</strong> der Zeit von 1804-1806 alsGegenbeispiel). 102Ausblick: Vollendung der E<strong>in</strong>heitNun war das Königreich <strong>Italien</strong> geschaffen, doch ihm war noch nicht die gesamte Halb<strong>in</strong>selunterworfen. Venetien war noch <strong>im</strong>mer österreichisch <strong>und</strong> <strong>im</strong> Kirchensta<strong>at</strong> standen nach wie vorfranzösische Truppen. In Österreich spitzte sich der Konflikt mit Preußen zu, <strong>in</strong> Absehung dessenschloss das Königreich <strong>Italien</strong> mit Preußen e<strong>in</strong> gehe<strong>im</strong>es Verteidigungs- <strong>und</strong> Angriffsbündnis gegenÖsterreich. Frankreich dagegen <strong>im</strong> Juni 1866 e<strong>in</strong>e gehe<strong>im</strong>e Übere<strong>in</strong>kunft mit Österreich getroffen,97 PLEINERT 1954, S. 5.98 Ebd., S. 6.99 Ebd., S. 6.100 Ebd., S. 6.101 Ebd., S. 11.102 Ebd., S. 11.<strong>Recht</strong> <strong>und</strong> <strong>Revolution</strong> - Risorg<strong>im</strong>ento Seite 20


nach dem Frankreich Österreich die Entscheidung über das künftige Schicksal Deutschlands aufKosten Preußens überlassen würde. Dafür ließ Napoleon III. sich für diese Neutralität FrankreichsVenetien (mit Weitergaberecht an <strong>Italien</strong>) zusichern <strong>und</strong> hoffte auf Territorialgew<strong>in</strong>ne an derRhe<strong>in</strong>grenze. 103 .Wenige Tage nach Beg<strong>in</strong>n des Deutschen Krieges zwischen Preußen <strong>und</strong> Österreich am 14. Juni1866, erklärte auch <strong>Italien</strong> Österreich den Krieg (Dritter <strong>Italien</strong>ischer Unabhängigkeitskrieg).Österreich konnte zwar das italienische Heer bei Custozza <strong>und</strong> die italienische Flotte bei Lissa(Tegetthoff) schlagen, verlor aber die Entscheidungsschlacht bei Königgrätz, <strong>und</strong> <strong>in</strong> der Folge wurdeVenetien an Frankreich abgetreten, welches sich ebenfalls nach e<strong>in</strong>er Volksabst<strong>im</strong>mung für denAnschluss an <strong>Italien</strong> aussprach <strong>und</strong> dementsprechend weitergegeben wurde. 1041867 versuchte Garibaldi erneut, den Restkirchensta<strong>at</strong> e<strong>in</strong>zunehmen, wurde aber vonfranzösischen <strong>und</strong> päpstlichen Truppen besiegt. Als aufgr<strong>und</strong> des Krieges zwischen Frankreich <strong>und</strong>Preußen 1870 Frankreich se<strong>in</strong>e Schutztruppen <strong>im</strong> Kirchensta<strong>at</strong> abziehen musste, konnte <strong>Italien</strong> ohnegroßen Widerstand den Sta<strong>at</strong> erobern. E<strong>in</strong>e Volksabst<strong>im</strong>mung legit<strong>im</strong>ierte <strong>im</strong> Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> denAnschluss. 1871 wurde die Hauptstadt <strong>Italien</strong>s nach Rom verlegt (von 1861 Tur<strong>in</strong>, 1864 Florenz), <strong>und</strong>am 2.7.1871 hielt König Viktor Emanuel II. E<strong>in</strong>zug <strong>in</strong> die neue Hauptstadt se<strong>in</strong>es Reiches. 105Die kle<strong>in</strong>en, restlichen Gebiete, die <strong>Italien</strong> noch beanspruchte, besonders das Trent<strong>in</strong>o, Triest <strong>und</strong>Istrien, fielen nach dem ersten Weltkrieg an <strong>Italien</strong> („Terre irredente“ – „unerlöste Gebiete“).Der Papst blieb weiterh<strong>in</strong> Oberhaupt des V<strong>at</strong>ikan, was e<strong>in</strong>seitig von der italienischen Regierungzugesichert wurde. Der Papst erkannte aber die neuen Verhältnisse nie an. Pius IX. betrachtete sichselbst als „Gefangenen <strong>im</strong> V<strong>at</strong>ikan“. Der Konflikt zwischen V<strong>at</strong>ikan <strong>und</strong> <strong>Italien</strong> wurde erst 60 Jahrespäter, 1929 mit den L<strong>at</strong>eranverträgen zwischen Pius XI. <strong>und</strong> dem faschistischen <strong>Italien</strong>, beendet.103 DERNDARSKY, Michael, Das Klischee von "Ces Messieurs de Vienne...". Der österreichischfranzösischeGehe<strong>im</strong>vertrag vom 12. Juni 1866 - Symptom für die Unfähigkeit der österreichischenAußenpolitik? In: Historische Zeitschrift 235 (1982), S. 289-353.104 PLEINERT 1954, S. 7.105 Ebd., S. 7.<strong>Recht</strong> <strong>und</strong> <strong>Revolution</strong> - Risorg<strong>im</strong>ento Seite 21


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