TECHNIK TRENDBild: MercedesMit dem Konzeptfahrzeugbionic car untersuchtMercedes-Benz das großePotenzial der Bionik fürdie Automobilentwicklung.Erstmals suchten dieIngenieure für dasFahrzeug gezielt in derNatur nach einem Vorbild,gefunden haben sie diesesVorbild im Kofferfisch.Entwickeln nach demVorbild der NaturLernen von Kofferfisch und StabheuschreckeKonstrukteure orientieren sich in vielen Bereichen immer mehr an den genialenVorbildern der Evolution. Die Natur hat Lösungen geschaffen, die auf die Technikübertragen, neue Chancen für zukunftsfähige technische Lösungen eröffnen.Die enorme Fülle an Mechanismen, Baumaterialienund Konstruktionen prägen immer mehr technischeEntwicklungen. Die interdisziplinär ausgerichteteFachdisziplin Bionik hilft dabei, zielgerichtet technischeLösungen zu finden.Bionik – gebildet aus den Begriffen Biologie und Technik – lässtzwei Disziplinen zusammenwachsen, die scheinbar nichts miteinandergemein haben. Wissen aus der Biologie wird in die Technikübertragen. Die Produkte sind quasi Abbilder der Natur für strömungsgünstigeFahrzeuge, elektronische Abstandhalter, neuartigeKunststoffe und Kunstfasern, Leichtbauteile im Maschinenbau, diezur Konstruktion energieeffizienterer Maschinen beitragen, neueOberflächen. Auf diese Weise sind mittlerweile eine Fülle vonselbstverständlichen Erleichterungen und umwelttechnischen Optimierungenbei vielen Produkten entstanden.Die Form des Kofferfisches hat Ingenieure inspiriert, ein neuartigesKonzeptfahrzeug zu entwickeln. Forscher des KarlsruherInstituts für Technologie (KIT) haben den raffinierten Bewegungsapparatder Stabheuschrecke auf einen sechsbeinigen Roboterübertragen. Die Struktur des Eiffelturmes erinnert an den Aufbaumenschlicher Knochen. Berliner Forscher nutzen die Klicklauteund Pfiffe von Delfinen auf einem Ultraschallmodem zur energiesparendenSuche nach Rohstoffen am Meeresboden. Winterschachtelhalmedienen als Vorbilder für ressourcenschonendenLeichtbau und bionisch konstruieren Rohre mit inneren Leitungskanälen.Der Schweizer Ingenieur Georges de Mestralan wurdedurch das Anhaften der großen Klette im Fell seiner Hunde zurEntwicklung des Klett-Schnellverschlusses angeregt. Gießereiennutzen den Aufbau menschlicher Knochen und die Leichtbauweisedes Elefantenschädels als Vorbild für leichte Gusskonstruktio-22 06/<strong>2013</strong>
TECHNIK TRENDnen. Der Greifmechanismus des Elefantenrüssels dient als Vorbildfür die Konstruktion von Greifern für Industrieroboter. Die FirmaFESTO hat den genialen Flugmechanismus von Libellen nachgebautund einen kleinen Flugroboter konstruiert, der sich mit demSmartphone steuern lässt.Die sind nur einige Beispiel aus der Vielzahl bionischer Entwicklungen.Die Bionik gliedert sich in mehrere Teilbereiche. Inder Strukturbionik werden Strukturen und Oberflächen hinsichtlichihrer Eignung für technische Lösungen erforscht. Die Adaptionder Waben von Bienen, die Strukturen von Algen, der Aufbauvon Korallenriffen oder die Flugmechanik von Vögeln sind Untersuchungsgegenständeder Strukturbionik. In der Oberflächenbionikwerden die Eigenschaften von Muscheln, Pflanzen oder auchHaihäuten untersucht und in technische Lösungen umgesetzt. DerLotusblüteneffekt für wasser- und schmutzabweisende Oberflächenist ein Beispiel. Die Untersuchung der Haihaut hat zu einerbesonderen Konstruktion der Außenhaut von Schiffen geführt,damit sich keine Seepocken an der Schiffswand absetzen können.In der Konstruktionsbionik werden Leichtbaukonstruktionen entwickelt,die dem Vorbild von Knochen, Bäumen und Pflanzennachgebildet sind. Der Konstruktion von Robotern und Handhabungs<strong>technik</strong>dient die Natur in der Bewegungsbionik als Vorbild.Mittlerweile hat sich ein umfassendes Bioniknetzwerk aus Unternehmenund Forschungseinrichtungen in Deutschland gebildet.Es gibt mittlerweile auch Studiengänge für Bionik an derHochschule Bremen und an der TU Berlin, an der TU Ilmenaugibt es einen Studiengang Biomechatronik. Im Internet finden sichzahlreiche Informationen und Kontaktadressen. Erste Anlaufstelleist www.BIOKON.de, wo zahlreiche Links auf Anwendungsbeispieleund Kooperationspartner verweisen.FAZITBionik eröffnet neue Chancen für zahlreiche zukunftsträchtige Anwendungsfelderin Material- und Energieeffizienz. Bionische Konstruktioneröffnen auch die Möglichkeit, kostengünstiger einzukaufenund gegenüber den Kunden Vorteile anbieten zu können. Kreativitätund offene Augen öffnen das Tor zu zukunftsfähigen Produkten.In der Richtlinie werden wichtige Begriffe der Bionik hinsichtlichMaterial-, Struktur- und Bauteilentwicklungen definiert.Die Erfolgsprinzipien biologischer Vorbilder und insbesondere dieLeistungsfähigkeit biologischer Materialien und Strukturen sowiedie Methodik werden anhand der Schritte Analyse des biologischenVorbilds, Analogie und Abstraktion dargestellt. DerÜbertragungsprozess von der Biologie in die Technik wird beispielhaftan bionischen Fertigungs<strong>technik</strong>en, Materialien und Bauteilenbeschrieben.Weiterhin werden Hinweise zur industriellen Relevanz bionischerMaterialien, Strukturen und Bauteile gegeben. Die Inhalte der Richtlinierichten sich an Material- und Bauteilentwickler in sämtlichenBranchen. Sie weist auch viele Querverbindungen zu andern Teilbereichender Bionik auf, da Materialien, Strukturen und Bauteile alsBasisinnovationen häufig Grundlage für vielfältige weitere Neuerungensind.■AutorWilfried Kipp-WeikeErfolgsprinzipien biologischer VorbilderDie zunehmende Bedeutung der Bionik wird auch dadurchdokumentiert, dass der Verband Deutscher Ingenieure(VDI) eigens eine Richtlinie zum Thema entwickelthat, um technische Standards für die Bionik zu definieren.Wichtige Begriffe der Bionik mit Fokusauf Material-, Struktur- und Bauteilentwicklungenwerden in der VDI-Richtlinie BionischeMaterialien, Strukturen und Bauteile(VDI 6223 Blatt 1), die im Juni <strong>2013</strong> erschienenist, definiert. Die Erfolgsprinzipienbiologischer Vorbilder undinsbesondere die Leistungsfähigkeitbiologischer Materialien und Strukturensowie die Methodik werdenanhand der Schritte Analyse desbiologischen Vorbilds, Analogieund Abstraktion dargestellt.Wo herkömmliche Materialien,Strukturen und Technikmit klassischen Methoden anihre Grenzen stoßen, kann dieIdentifikation und die Anwendunggeeigneter biologischerPrinzipien daher einen wichtigenBeitrag zur Entwicklung vonfunktionalen, adaptiven, ressourceneffizienten,öko- und humantoxikologischunbedenklichen Materialien,Strukturen und Bauteilen leisten.Bild: FestoLeichtbau und Funktionsintegration machen es möglich:Mit dem BionicOpter hat Festo den hochkomplexen Flugder Libelle technisch umgesetzt. Zusätzlich zur Steuerungder gemeinsamen Schlagfrequenz und der Verdrehungder einzelnen Flügel kommt in jedem der vier Flügel eineAmplitudensteuerung zum Einsatz. Das Schwenken derFlügel bestimmt die Schubrichtung.06 / <strong>2013</strong>23