13.07.2015 Aufrufe

Wo man das Weinen verlernt hat

Wo man das Weinen verlernt hat

Wo man das Weinen verlernt hat

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>Wo</strong> <strong>man</strong> <strong>das</strong> <strong>Weinen</strong> <strong>verlernt</strong> <strong>hat</strong>Franz NuschelerHans-Martin Große-OetringhausWir sind zwei Jungen aus Indien. Wirheißen Jogan und Lal. Wir wollen dir unserLeben beschreiben.Bis vor einem Jahr haben wir noch in einem kleinen Dorf gelebt. Unsere Eltern sindsehr arm. Deshalb haben wir uns eine Arbeit gesucht. Ein Vermittler <strong>hat</strong> uns mit demBus in die Stadt Ramnagar gebracht. Dort arbeiten wir in der Teppichknüpferei vonHerrn Teli.Die Teppichknüpferei ist eigentlich nur ein kleiner, dunkler Raum. An seinen beidenSeiten stehen Holzrahmen, die mit Baumwollfäden bespannt sind. DieseHolzrahmen nennt <strong>man</strong> auch noch Knüpfstühle. Wir hocken den ganzen Taggekrümmt auf einem Holzbrett in einem kleinen Graben vor den Knüpfstühlen, aufdenen die bunten Teppiche entstehen.HolzrahmenBaumwollfädenbunterTeppichHolzbrett1


Das Knüpfen von Teppichen ist eine sehr mühselige Arbeit. Die Knoten müssenganz eng sein. Dabei werden die Fingerkuppen rauh und wund. Aber was noch vielschlimmer ist, ist der feine <strong>Wo</strong>llstaub. Er brennt in den Augen, so <strong>das</strong>s sie tränen.Und dann erst der Rücken! Unser Rücken schmerzt fürchterlich.Oft beginnen die Knoten vor unseren Augen zu tanzen. Und am nächsten Tagwieder <strong>das</strong> gleiche! Siebzehn Stunden lang! Stunden, die einfach nicht vergehenwollen! Tagein, tagaus. Die Zeit scheint zwischen den Rahmen stillzustehen. Undwenn wir vor dem Rahmen einschlafen oder nicht schnell genug arbeiten, dann istHerr Teli mit seinem Bambusstock nicht mehr weit.Herr TeliBambusstockWir fühlen uns in der Teppichknüpferei wie in einem Gefängnis. Nur selten könnenwir den niedrigen Raum verlassen. Wir schlafen unter und zwischen denHolzrahmen auf dünnen Reisstrohmatten, die wir über den Lehmboden legen.Reisstrohmatte2


Jeden Morgen vor fünf Uhr in der Frühe werden wir von Herrn Teli geweckt. Er klopftmit seinem Bambusstock gegen den Rahmen, so <strong>das</strong>s wir erschrocken aus demSchlaf hochfahren. Dann waschen wir uns vor dem Haus. Herr Teli achtet darauf,<strong>das</strong>s wir uns nicht von der Wasserstelle entfernen.Jeden Morgen bekommen wir dünne Fladenbrote und wässerige Linsensuppe zuessen. Wir haben nicht viel Zeit zum Essen. Herr Teli ist morgens immer sehrlaunisch und wir müssen uns vor ihm in acht nehmen. Dann müssen wir den ganzenTag ohne Pause arbeiten. Erst am späten Abend bekommen wir wieder Fladenbrotemit Linsen zu essen.Am schlimmsten aber ist, <strong>das</strong>s wir nicht den versprochenen Lohn für unsere Arbeiterhalten. Herr Teli erfindet immer neue Ausreden, um uns keinen Lohn zahlen zumüssen.Als wir neu in der Teppichknüpferei waren, <strong>hat</strong> er gesagt:Bevor wir über Geld reden, müsst ihr erst einmal lernen, wie<strong>man</strong> Knoten macht und einen anständigen Teppich knüpft.Später, wenn ihr <strong>das</strong> gelernt habt, können wir noch einmalüber Geld reden.Als ein halbes Jahr vergangen war, haben wir ihn erneut auf unseren Lohnangesprochen.Ab jetzt sollt ihr Lohn erhalten. Aber arbeitet erst einmal einenMonat. Dann werdet ihr sehen wie viel ihr verdient habt.3


Uns blieb nichts anderes übrig, als weiter zu warten. Nach vier <strong>Wo</strong>chen fragten wirerneut nach unserem Lohn.Euren Lohn habe ich dem Mann gegeben, der euch in dieStadt gebracht <strong>hat</strong>. Als erste Rate für die Busfahrt, die er füreuch gezahlt <strong>hat</strong>. Die müsst ihr erst mal ganz abbezahlen.Als wir erneut wagten, Herrn Teli auf unseren Lohn anzusprechen, legte er seineStirn sorgenvoll in Falten.Ihr fragt zu einem sehr schlechten Zeitpunkt. Es sind harteZeiten für Leute wie mich. Die Geschäfte laufen schlecht. DerHändler will nicht mehr zahlen. Aber <strong>das</strong> Material wird immerteurer. Ich weiß kaum noch, wovon ich meine Schuldenbezahlen soll. Wir müssen alle abwarten, bis die Lage besserwird. Das hängt auch von euch ab. Strengt euch an!Jetzt arbeiten wir bereits ein Jahr in der Teppichknüpferei von Herrn Teli. Aber wirhaben noch keine einzige Rupie zu Gesicht bekommen. Am liebsten würden wirwieder in unser Dorf zurückkehren. Aber wir haben kein Geld, um den Bus zubezahlen.4


Anhang : <strong>Wo</strong>rterklärungen zu "<strong>Wo</strong> <strong>man</strong> <strong>das</strong> <strong>Weinen</strong> <strong>verlernt</strong> <strong>hat</strong>"ein Vermittler:eine Person, die für Herrn Teli auf dem Land Kinderfür die Arbeit in der Teppichknüpferei sucht und dieseKinder in die Stadt bringteine Teppichknüpferei:Fabrik, in der Teppiche geknüpft, d.h. hergestelltwerdenmühselig:anstrengend, hartder <strong>Wo</strong>llstaub:der Staub, der beim Arbeiten mit <strong>Wo</strong>lle entstehtaus dem Schlaf hochfahren:mitten im Schlaf plötzlich aufwachen<strong>das</strong> Fladenbrot:dünnes Brot, <strong>das</strong> nur aus Mehl und Wasser aufeinem heißen Stein über dem Feuer gebacken wirdlaunisch:schlecht gelauntin Raten bezahlen:nicht den ganzen Preis auf einmal bezahlen, sondernzum Beispiel jeden Monat einen Teil des Preisesbezahlen, bis der Preis ganz abbezahlt istdie Rupie:<strong>das</strong> Geld, mit dem <strong>man</strong> in Indien bezahlt (wie bei unsder Euro)Indien:ein Land in Asien5


Kreuze die richtige(n) Antwort(en) an !1. Aus welchem Land kommen Jogan und Lal? Indien Indonesien Japan2. <strong>Wo</strong> arbeiten Jogan und Lal? auf einem Reisfeld in einer Teppichknüpferei in einer Baufirma3. Das Knüpfen von Teppichen ist eine mühselige Arbeit. Welche Teile des Körpersleiden besonders? die Fingerkuppen die Beine der Kopf der Rücken die Augen die Zähne4. Wie lange arbeiten Jogan und Lal jeden Tag? acht Stunden zwölf Stunden siebzehn Stunden5. Wann werden Jogan und Lal von Herrn Teli geschlagen? nie wenn sie nicht schnell genug arbeiten wenn sie bei der Arbeit einschlafen6. <strong>Wo</strong> schlafen Jogan und Lal? jeder in seinem eigenen Zimmer in einem großen Schlafraum auf Reisstrohmatten zwischen den Holzrahmen in der Teppichknüpferei6


7. Wie werden Jogan und Lal jeden Morgen geweckt? durch <strong>das</strong> Rasseln eines Weckers durch Herrn Teli, der mit seinem Bambusstock gegen den Holzrahmenklopft durch <strong>das</strong> Läuten einer Glocke8. Wie oft bekommen Jogan und Lal zu essen? dreimal am Tag nur morgens und abends nur morgens und mittags9. Welchen Lohn erhalten Jogan und Lal für ihre Arbeit von Herrn Teli? jede <strong>Wo</strong>che 50 Rupien keinen Lohn jeden Monat 100 Rupien10. Wer ist Herr Teli? der Besitzer der Teppichknüpferei ein Ausbeuter ein ehrlicher Geschäfts<strong>man</strong>n ein armer Geschäfts<strong>man</strong>n, der nicht genug Geld <strong>hat</strong>, um seineSchulden zu bezahlen.11. Herr Teli erfindet immer neue Ausreden, um Jogan und Lal keinen Lohn zahlenzu müssen. Welche der folgenden Ausreden <strong>hat</strong> Herr Teli benutzt? Ihr müsst die Raten für die Busfahrt abbezahlen. Ihr müsst <strong>das</strong> Essen bezahlen, <strong>das</strong> ihr jeden Tag bekommt. Ihr müsst erst einmal lernen, wie <strong>man</strong> Knoten macht und einenanständigen Teppich knüpft. Ihr müsst die <strong>Wo</strong>lle abbezahlen, die ihr mit euren falschen Knotenkaputt gemacht habt. Ich habe kein Geld. Ich weiß kaum noch, wovon ich meine Schuldenbezahlen soll.7


12. Warum kehren Jogan und Lal nicht in ihr Dorf zurück ? weil sie von Herrn Teli gefangen gehalten werden weil es ihnen in der Teppichknüpferei gut gefällt weil sie kein Geld für den Bus haben8


Zusatzaufgaben zum Text “<strong>Wo</strong> <strong>man</strong> <strong>das</strong> <strong>Weinen</strong><strong>verlernt</strong> <strong>hat</strong>“1. AufgabeJogan und Lal haben dir ihr Leben in der Teppichknüpferei von Herrn Telibeschrieben. Du sollst jetzt einen Brief an Herrn Teli schreiben. In diesem Briefsollst du Herrn Teli deine Meinung über seinen Umgang mit Jogan und Lalmitteilen.2. AufgabeJogan und Lal bekommen die Möglichkeit einen Brief an ihre Eltern zu verfassen.Was würde deiner Meinung nach in diesem Brief stehen?3. AufgabeDer Text endet mit der Feststellung, <strong>das</strong>s Jogan und Lal nach einem Jahr Arbeitnoch immer keinen Lohn bekommen haben. Sie können aber auch nicht in ihr Dorfzurückkehren, weil sie kein Geld für den Bus haben. Wie geht die Geschichtedeiner Meinung nach weiter?Erfinde einen Schluss zu deiner Fortsetzung!4. AufgabeJogan und Lal haben dir ihr Leben aus ihrer Sicht geschildert. Versuche du diegleiche Geschichte aus der Sicht von Herrn Teli zu erzählen.5. AufgabeEine weitere Möglichkeit besteht darin, die Gespräche über den Lohn zwischenJogan und Lal auf der einen Seite und Herrn Teli auf der anderen Seite alsRollenspiel in der Klasse darzustellen.9

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!