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Mittwoch, 6. Februar 2013 GERICHT 37Wie viel kostet eine«verlogene Hure»?VON ISABELLA SEEMANNDer Mann sieht aus, als hätte er keinenMumm in den Knochen, einblasser Hasenfuss mit Oberlippenschnäuzchen,das schüttere Haar zueinem Mäuseschwanz gebunden,aber die sichtbar auf dem Brusthaarplatzierte dicke Goldkette und dieausgewaschenen Tattoos auf demHandrücken sollen wohl zeigen, dasser zur Liga der Kraftmeier gehört, diein gewissen Milieus was zu sagen haben.Einmal nuschelt er etwas vonGewalttherapie, aber niemand gehtdarauf ein. Vielleicht hat er das Antiaggressivitätstrainingja tatsächlichmal gemacht, vielleicht hat er dortgelernt, Konflikte zu lösen, ohne seineFäuste zu gebrauchen und stattdessenseine Wut in Worte zu fassen.Allein: Bei Herrn Huber* wars einSchuss in den Ofen.«Happy Birthday, Angie»Herr Huber hat in seiner Wut nämlichseine Ex-Frau übers Telefon mitnicht zitierbaren Schimpfwörterneingedeckt, was er bestreitet, und –das ist unbestritten – einen Zettel geschrieben,den hängte er in denHauseingang im Wohnblock seinerEx-Frau, damit alle ihn lesen konnten.Er nannte seine Ex eine verlogeneHure. Das reicht für eine Anklagewegen Beleidigung, ist aber nurder justiziable Vorwurf. Viel lieberwürde der Richter den Mann für denseelischen Schaden zur Verantwortungziehen, den er bei seiner Tochterangerichtet hat.Der offene Brief war nämlich andas 10-jährige Mädchen gerichtet:«Happy Birthday, Angie, sorry, dassich nicht dein Daddy bin. Hat dirdeine verlogene Mutter schon gesagt,wer dein richtiger Vater ist? Ruf michan, dann sag ich dir, was deine Mutterfür eine verlogene Hure ist.» VorGericht sagt Herr Huber, er habe damitnicht seine Tochter verletzen,sondern die Mutter treffen wollen.«Ich bin auch nur ein Mann», sagtder 55-Jährige, «ich hab ein weichesHerz.» Die Ex und ihre Anwältinhätten einfach mal so veranlasst,dass er seine Tochter nicht mehr sehendürfe. «Sie hat gegenüber demJugendamt behauptet, ich hätte meineTochter geschlagen», sagt er zumRichter. «Sie hatte alle Trümpfe inder Hand, meine Ex, sie kannte allemeine Vorstrafen. Aber niemals hätteich mein Kind geschlagen. Ichwollte meine Frau zur Rede stellen,aber sie hat sich geweigert, mit mir«Hat dir deine verlogene Mutter schon gesagt, wer dein richtiger Vater ist?»zu reden. Sie hat mich beleidigt.» Erliess bei einem ausländischen Laborden Vaterschaftstest machen, ohneZustimmung der Mutter.Ein Kaugummi seiner Tochterbrachte die Wahrheit ans Licht: HerrHuber ist nicht ihr Vater. Ob er fürdie heimliche DNA-Analyse in einemseparaten Verfahren zur Rechenschaftgezogen wird, kommt währenddieses Prozesses nicht zur Sprache.Heimliche Vaterschaftstests,also ausserhalb eines Vaterschaftsprozessesoder ohne Zustimmungder Mutter, sind in der Schweiz strafbar.Als die Ex schwanger war, hattesie ihm einmal im Streit gesagt, er seiein erbärmlicher Versager, und dasKind sei sowieso nicht von ihm. «Warumliessen Sie nicht zu jenem Zeitpunktoffziell die Vaterschaft abklären?»,fragt der Richter. «Damalsdachte ich, sie wollte mich nur verletzen,das hat sie gut drauf, das kannsie», sagt der gelernte Elektriker.«Man liebt doch seine Frau, hat Vertrauen.Sie wollte mich bei der Geburtdabeihaben, versicherte mir, dasKind sei von mir. Als ich dann erfahrenhabe, die Angie ist nicht meinKind, sind mir die Sicherungendurchgebrannt.»Versuchte TötungDas Vorstrafenregister ist mehrereSeiten lang: «Mehrfacher Diebstahl,Hehlerei, versuchter Raub, Körperverletzung,Urkundenfälschung, Betrugund» – der Richter hebt denKopf und sieht den Mann eindringlichan – «versuchte Tötung.»Herr Huber schlägt mit der tätowiertenHand auf das Anklagepult:«Das ist jetzt zwanzig Jahre her, abermeine Ex hat das genau gewusst, siehat darauf spekuliert und promptrecht bekommen, dass ich das Kindnicht mehr sehen darf.» Was die Vorstrafenbetrifft, das sei erledigt. Nurdie letzte Geldstrafe arbeite er nochab. «Und jetzt noch 3000 Frankenfür die Beleidigung, die keine ist, dasist zu viel.»Der Mann hatte gegen den StrafbefehlEinspruch erhoben. Wird erschuldig gesprochen im Sinne desStaatsanwalts, kommt es noch teurer:mindestens 1500 Franken Unterschiedwegen der Gerichtskosten.«Das Ganze ist total ungerecht!»,klagt er wie Hiob in biblischer Verzweiflung.«Was hab ich mir anhörenmüssen von dieser Frau, ich hätte dieanzeigen können, aber die hat jaauch kein Geld, was hab ich davon.»Arbeitslos sei sie, hocke den ganzenTag mit Freundinnen in der Küche,rauche, quatsche, saufe, das könnesie. «Die hat mich so beleidigt, die istso verlogen und fies. Schade, dass Siedie nicht kennen, da würden Sieganz anders denken», sagt er zumRichter. «Herr Huber, wir haben denZettel nicht ins Treppenhaus gehängt»,donnert der Richter.Ein schöner Rechtsstaat sei das,zischt Herr Huber zurück. «Wennich andere Urteile sehe, dann bekommeich so einen Hals.» Und tatsächlich:Sein Hals schwillt rot an.«Frauen dürfen machen, was sie wollen.Abtreiben dürfen sie, ohne denMann zu fragen. Und wenn sie denMännern ein Kind anhängen, dannist das Betrug, aber das wird hierzulandenicht verhandelt.» Jedes zehnteKind sei ein Kuckucksei, aber soeine wie die Ex, die dürfe ungestraftlügen und betrügen. Der Richter reduziertdie Strafe und verurteilt ihnzu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzenà 35 Franken für die «verlogeneHure». Aber Herr Huber möchte für«diesen Seich» keinen Rappen aufwenden.«Wie viel Gefängnis gibtdas, wenn ich nicht zahle?», will erwissen. «Ich gehe lieber ins Gefängnis.Ich hab in meinem Leben so vielgesessen, da kommt es auf die paarTage mehr oder weniger auch nichtmehr an.»n* Alle Namen geändert.INFOBOXBild: PDIsabella Seemann ist freie Journalistinin Zürich und arbeitet regelmässigfür das «Tagblattder StadtZürich». Inihrer Kolumneauf dieser Seiteporträtiertsie jeden Monatdie kleinenund grossenFische,die es in dieGerichtssäle des Bezirksgerichts Zürichgeschwemmt hat.

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