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Hohenzollerische Heimat - Hohenzollerischer Geschichtsverein eV

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<strong>Hohenzollerische</strong> <strong>Heimat</strong><br />

Herausgegeben vom I ^ ^ H <strong>Hohenzollerische</strong>n <strong>Geschichtsverein</strong><br />

54. Jahrgang Nr. 1 - März 2004 E 3828<br />

Salomon Hirschfelder: „Die Liebe macht blind".<br />

Entstehung: 1880; signiert<br />

Ol auf Leinwand 57x49 cm<br />

Vorlage: Auktionskatalog Kunsthaus Weiner, München<br />

Verbleib: Unbekannt<br />

Das Bild zeigt ein innig plauderndes verliebtes Paar, das ins Gespräch vertieft nicht bemerkt, dass sich im Hintergrund<br />

Hühner an den vom Mädchen abgestellten Lebensmitteln vergehen. Bemerkenswert ist, dass die dargestellte<br />

Szene topographisch sehr genau in der Umgebung von Dettensee auszumachen ist.


HERBERT ZANDER<br />

Salomon Hirschfelder: Leben und Werk<br />

eines Multitalents aus Hohenzollern<br />

(Fortsetzung)<br />

[Vorbemerkung: Die Nummern in den eckigen Klammern beziehen<br />

sich auf das Literaturverzeichnis, das in Nr.4/2003 auf Seite 63 zu<br />

finden ist.]<br />

5. Hirschfelders Nachlass und Erben<br />

Nach Hirschfelders Tod machte Moritz Guggenheim, der Aktuar der<br />

israelitischen Kultusgemeinde in München, eine Vermögensaufstellung.<br />

Sie ergab ein Vermögen von 579,11 RM. Die Geschwister überdachten<br />

ihre anfänglich erklärte Bereitschaft, auf das Erbe zu Gunsten<br />

der israelitischen Kultusgemeinde München zu verzichten, als ihnen<br />

das Vermögen des Bruders bekannt wurde. Der Bruder Lazarus und<br />

die Schwester Mina verzichteten dann auf ein Viertel des ihnen zustehenden<br />

Betrages von 137 RM. Damit sollte ein Grabstein beschafft<br />

und der Rest der Kultusgemeinde überlassen werden. Salomons<br />

Schwester Klara wollte zwar auch zur Beschaffung des Grabsteins<br />

beitragen, mochte dann aber, wie sie schrieb, »indem ich selber<br />

bedürftig bin«, auf das ihr zustehende Erbe nicht verzichten. [12]<br />

Wenn heute oft über fehlenden Familienzusammenhalt geklagt wird,<br />

so ist dies keine Eigenart der modernen Zeit, wie man am Beispiel der<br />

Familie Hirschfelder sehen kann: Über die vier erbberechtigten Halbgeschwister<br />

Jakob, Aron, Fanny [auch Vanni] und Sophie aus der ersten<br />

Ehe des Vaters wussten Salomons Geschwister nur noch, dass<br />

drei von ihnen in Kalifornien und eines im elsässischen Trimbach<br />

gelebt hatten und verstorben waren. Auch die dann von Amts wegen<br />

ausfindig gemachte Sara Levy in Trimbach, Tochter der dortigen Halbschwester,<br />

wusste weder Namen noch Adressen der in die USA ausgewanderten<br />

Verwandten anzugeben. Der geringe Erbanteil von 41,67<br />

RM pro Halbgeschwister war dann wohl der Grund, dass keine weiteren<br />

Nachforschungen angestellt wurden, zumal Sara Levy auf das den<br />

Nach-kommen der Halbgeschwister zustehende Erbe zugunsten der<br />

israelitischen Kultusgemeinde München verzichtete. [12]<br />

Der Name der ersten Frau Mayer Joseph Hirschfelders, Rebeka Stern,<br />

war keinem der Erben mehr bekannt. Mayer Joseph Hirschfelder war<br />

schon 1872 [4] in Dettensee gestorben, seine zweite Frau Sara<br />

Schneier im Jahre 1885 [4], ebenfalls in Dettensee. Lazarus Hirschfelder<br />

starb 1911 in Mühringen; Mina Oppenheimer geb. Hirschfelder<br />

zog nach dem Tod ihres Mannes zu einer Tochter nach Ingolstadt,<br />

wo sie ebenfalls 1911 starb; Klara Kurz geb. Hirschfelder starb<br />

1908 in Baisingen. Von den Halbgeschwistern ist bekannt, dass der<br />

älteste Halbbruder, Jakob, von Beruf wie der Vater Buchbinder war<br />

und im Jahre 1853 nach Amerika auswanderte. Sophie heiratete<br />

1845 im elsässischen Trimbach [4] Nathan Levi [ 12]. Arons Auswanderung<br />

ist nicht dokumentiert, er war aber Posthalter in Kalifornien<br />

[12]. Vanni, die jüngste Halbschwester, heiratete 1854 in Kuppenheim<br />

Daniel Kahn [ 14] und wanderte mit ihrem Mann ebenfalls nach<br />

Amerika aus.<br />

6. Technische Talente<br />

6.1 Fotografie<br />

Von Hirschfelders technischem Talent berichtet Hyazinth Holland:<br />

»H. photographierte nicht allein eine Menge Modelle, er arbeitete<br />

auch und experimentierte mit Verbesserungen dieser Technik; er<br />

2<br />

konstruierte einen Apparat mit Momentverschluß; photographierte<br />

zu einer Zeit, wo noch niemand dergleichen wagte, einen<br />

Taubenflug und einen Blitzzug, Vergebens suchte er seine Verbesserungen<br />

in Paris und London zu verkaufen, vergeblich nahm<br />

er ein deutsches Patent. Umsonst - er drang nirgends durch. Auch<br />

das Problem löste er, drei verschiedene Einstellungen auf einer<br />

Platte zu realisieren. Die meisten seiner Platten überließ er dem<br />

Kunsthändler Ferdinand Finsterlin.« [ 2 ]<br />

Man sieht also, dass Hirschfelder die Fotografie auch als Hilfsmittel<br />

seiner Malkunst verwendete. Seine großen Gemälde waren ja keine<br />

spontanen Erfindungen, sondern wurden aus Einzelmotiven schrittweise<br />

entwickelt. Mit der Fotografie fügte er seinem Repertoire eine<br />

weitere Experimentiermöglichkeit hinzu. Die Suche nach eventuell<br />

noch vorhandenen Fotografien blieb leider erfolglos.<br />

Die Bemerkung über den Vogelflug ist mit Vorsicht zu genießen -<br />

nicht wegen der Realisierbarkeit, diese ist durch die Patenterteilung<br />

bereits einwandfrei erwiesen [18] -, sondern wegen des Datums.<br />

Hier sind die historischen Daten aufs Genaueste zu prüfen: In der Literatur<br />

gilt nämlich Ottomar Anschütz als derjenige, der mit einem<br />

neuartigen und von ihm selbst patenüerten Schlitzverschluss vor<br />

1900 brauchbare Momentaufnahmen machte. Anschütz war der erste,<br />

der den Flug von Vögeln, in diesem Falle Störchen, fotografierte<br />

und exzellente Bilder vorlegte. [18]<br />

Auch die fotografische Abbildung eines Eisenbahn-Schnellzuges 1 ist<br />

nicht sehr bemerkenswert, denn der berühmte französische Schriftsteller<br />

Emile Zola, ein begeisterter Fotograf, an dessen Grundstück<br />

die Expresslinie nach Paris entlang führte, machte seine Aufnahmen<br />

von Eilzügen weit vor 1900 (etwa 1888). [18] Dass Hirschfelder in<br />

der einschlägigen Literatur keine Erwähnung gefunden hat, kann nur<br />

bedeuten, dass sein Taubenflug und Blitzzug im Ergebnis nicht überzeugend<br />

waren.<br />

6.2 Der Erfinder<br />

Von Salomon Hirschfelder sind drei Patente bekannt, von denen<br />

jedes ein anderes technisches Gebiet berührt:<br />

Patentschrift DE No 18 314 Klasse 1 le,Gruppe 4 [19]<br />

»Vorrichtung zum Halten der Bücher beim Lesen« - wurde am<br />

3. Juni 1881 patentiert. Es handelt sich um eine Erfindung, die man<br />

wohl in die Kategorie »wenig praktikabel« einreihen kann, weshalb<br />

nicht weiter darauf eingegangen werden soll.<br />

Patentschrift DE No 16019 Klasse 47b, Gruppe 16 [19]<br />

»Handkurbel mit Sperrung und Auslösung« - wurde ebenfalls am<br />

3. Juni 1881 patentiert. Die Erfindung war eine raffinierte Lösung für<br />

eine Lastenwinde, die mit Handkurbel bedient wird. Diese Lastenwinden<br />

wurden stationär oder auch mobil eingesetzt, um Teile auf<br />

Pferdewagen, Lastwagen oder Speicher zu laden. Das Problem damals<br />

war, dass die Winde wegen der einzuklinkenden Sperre beidhändig<br />

bedient wurde, was die Unfallgefahr erhöhte. Hirschfelders<br />

Idee war nun vermutlich, über eine Differenzialscheibe (die leider in<br />

der Zeichnung nicht sichtbar ist) diesen Vorgang so zu steuern, dass<br />

automatisch mit der Kurbel die Sperre gelöst oder arreüert wurde.<br />

1 Ein »Blitzzug« ist ein Schnellzug. Detlev von Liliencrons »Bunte<br />

Beute« von 1903 enthält ein Gedicht mit dem Titel »Der Blitzzug«,<br />

worin es heißt: »Quer durch Europa von Westen nach Osten/Rüttert<br />

und rattert die Bahnmelodie.«


Mitteilungen<br />

aus dem<br />

<strong>Hohenzollerische</strong>n<br />

<strong>Geschichtsverein</strong> • ' • v<br />

Veranstaltungen im 2. Quartal 2004<br />

I. Mitgliederversammlung<br />

Sehr geehrte Damen und Herren liebe Mitglieder des <strong>Geschichtsverein</strong>s!<br />

Ich lade Sie recht herzlich zur Mitgliederversammlung am Dienstag,<br />

18. Mai 2004, um 18.30 Uhr in den Konstantinsaal des Museums in<br />

Hechingen zur Mitgliederversammlung ein.<br />

Tagesordnung:<br />

1) Begrüßung und Nachrufe<br />

2) Tätigkeitsbericht des Vorsitzenden,<br />

3) Tätigkeitsbericht des Schatzmeisters,<br />

4) Rechnungsprüfungsbericht zum 31. Dezember 2003,<br />

5) Ernennung eines neuen Ehrenmitglieds,<br />

6) Anträge und Verschiedenes<br />

Weitere Tagesordnungpunkte oder Ergänzungen sind bis spätestens<br />

14. Mai 2004 an das Sekretariat des <strong>Geschichtsverein</strong>s, Karlstraße<br />

1/3, 72488 Sigmaringen (Tel. 07571/101-580 oder 559) zu richten.<br />

Im Anschluss an die Mitgliederversammlung findet um 20.15 Uhr<br />

am gleichen Ort ein öffentlicher Vortrag statt.<br />

Dr. Volker Tmgenberger, Sigmaringen<br />

»In seiner Majestät Stammlanden nicht ohne Stärkung durch das<br />

Evangelium gelassen. - Zur Geschichte der evangelischen Kirche in<br />

Hohenzollern«.<br />

II. Seminar<br />

In Zusammenarbeit mit dem Staatsarchiv Sigmaringen, der Landeszentrale<br />

für politische Bildung Baden-Württemberg und dem Verein<br />

für Familien- und Wappenkunde in Württemberg und Baden wird am<br />

Donnerstag, 6. Mai, von 13 bis 17 Uhr im Staatsarchiv Sigmaringen,<br />

Karlstraße 173, 72488 Sigmaringen, folgendes Seminar angeboten:<br />

Archivische Quellenkunde: Personalakten und Nachlässe.<br />

Programm:<br />

13.30 Uhr Begrüßung<br />

13.15 Uhr Personalakten und Nachlässe des 20. Jahrhunderts<br />

als Quellen biographischer und genealogischer<br />

Forschung. Referent: Dr. Frank Raberg, Neresheim<br />

14.45 Uhr Kaffeepause<br />

15.15 Uhr Schutz- und Sperrfristen und ihre Verkürzung.<br />

Referent: Dr. Otto H. Becker, Staatsarchiv Sigmaringen<br />

16.00 Uhr Archivische Recherche im Internet, Referent:<br />

Dr. Franz-Josef Ziwes, Staatsarchiv Sigmaringen<br />

17.00 Uhr Abschlussdiskussion<br />

Die Teilnahme kostet 15,00 Euro, die bei der Veranstaltung bar zu entrichten<br />

sind.<br />

Anmeldungen sind bis spätestens 15. April 2004 zu richten an:<br />

Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, Referat 61<br />

Natur und Kultur, Hanner Steige 1, 72574 Bad Urach (Tel. 0 7125/152-<br />

144, Fax -100) gez. Dr. Becker, Vorsitzender<br />

3<br />

HOHENZOLLERISCHE HEIMATBÜCHEREI HECHINGEN<br />

HEILIGKREUZ STR. 10, 72379 HECHINGEN<br />

TELEFON: 07471/934318 PRIV 07485/1403<br />

Ausleihebedingungen<br />

Die <strong>Hohenzollerische</strong> <strong>Heimat</strong>bücherei in Hechingen ist eine öffentliche,<br />

wissenschaftlich ausgerichtete Leihbücherei für jedermann.<br />

Sie beruht auf einer privaten Stiftung der 30er-Jahre des<br />

letzten Jahrhunderts und ist bis heute eigenständig geblieben. Mit<br />

ihren Beständen - Büchern, Zeitschriften, Zeitungsbänden und<br />

Sammelmappen - will sie die Forschungen zur Kultur, Geschichte<br />

und Ortskunde in Hohenzollern und benachbarten Räumen<br />

fördern.<br />

Die Heirnatbücherei wird vertragsgemäß durch die Stadt Hechingen<br />

und den Zollernalbkreis finanziell gefördert. Dieser hatte<br />

die sich aus dem Vertrag ergebenden Verpflichtungen vom vormals<br />

verantwortlichen Landkreis Hechingen übernommen. Die<br />

Stadt Hechingen und der Zollernalbkreis üben jedoch keinen<br />

lenkenden Einfluss auf die <strong>Heimat</strong>bücherei aus.<br />

Ausleihebedingungen<br />

1. Die Ausleihe erfolgt jeden Mittwoch - die Ferientage sind<br />

ausgenommen - zwischen 14.30 Uhr und 18.00 Uhr. Ausgeliehen<br />

werden Bilder, Bücher und Zeitschriftenbände, die ab<br />

1891 erschienen sind. In besonderen Fällen können mit<br />

dem Leiter der <strong>Heimat</strong>bücherei für begrenzte Zeit Ausnahmen<br />

getroffen werden. Dies geschieht wegen des hohen Wertes<br />

der Bücher und der Schwierigkeiten sie nach Verlust neu<br />

zu beschaffen.<br />

2. In Sammelmappen und Zeitungsbände kann Einsicht genommen<br />

werden. Sie werden nicht ausgeliehen. Ein Kopiergerät<br />

steht zur Verfügung. Der Preis je Kopie beträgt für das<br />

Format A4 25 ct., für A3 50 ct.<br />

3. Die gewöhnliche Leihfrist für die kostenlose Ausleihe beträgt<br />

5 Wochen. Die Ferientage werden nicht mitgezählt, wenn die<br />

Frist dadurch überschritten wird. Höchstens 5 Bücher werden<br />

an einen Leiher ausgegeben. Die rechtzeitige Rückgabe<br />

ist Voraussetzung für die erneute Ausleihe weiterer Bücher.<br />

4. Im angekündigten Bedarfsfall kann die Ausleihefrist um 3<br />

Wochen gegen eine pauschale Gebühr von 1,50 Euro verlängert<br />

werden. Sind 5, bzw. 8 Wochen (einschließlich der<br />

gewährten Verlängerungsfrist) ohne eine Rückgabe verstrichen,<br />

wird pro Buch und Woche eine Gebühr von 0,50<br />

Euro erhoben. Sollte eine Mahnung ab der 6. bzw. 9. Woche<br />

erfolgen müssen, tritt eine Mahngebühr von 2 Euro hinzu.<br />

Es ist vor allem wichtig, dass die Bücher der <strong>Heimat</strong>bücherei<br />

zeitig zurückkommen und nicht ver-gessen werden.<br />

Hechingen, den 10. September 2003


Mitteilungen<br />

aus dem<br />

<strong>Hohenzollerische</strong>n<br />

<strong>Geschichtsverein</strong><br />

Die Hohenzollersiche <strong>Heimat</strong> durch Register erschlossen<br />

Wie schon erwähnt, kann das Register als Ausdruck oder auch in<br />

Form einer Datei im Format »Word« bezogen werden bei:<br />

<strong>Hohenzollerische</strong>r <strong>Geschichtsverein</strong><br />

Karlstraße 1 + 3<br />

72488 Sigmaringen<br />

Tel.: 07571/101-580<br />

Bezugspreise: Als Datei auf Diskette 2,50 EUR<br />

(zuzüglich Versandkosten 1,50 EUR)<br />

In Papierform (mit Spiralbindung) 12,30 EUR<br />

(zuzüglich Versandkosten 1,50 EUR)<br />

Ehemaliger Bundeskanzler Kiesinger vor 100 Jahren<br />

geboren<br />

Am 6. April 1904 wurde Kurt Georg Kiesinger in Ebingen geboren.<br />

Von 1958 bis 1966 war er Ministerpräsident des Landes Baden-<br />

Württemberg und von 1966 bis 1969 Bundeskanzler. 1969 verlieh<br />

ihm die damalige Stadt Ebingen die Ehrenbürgerwürde.<br />

Er gehörte zu den namhaften Vertretern der deutschen Nachkriegsdemokratie,<br />

an deren Aufbau er als Bundestagsabgeordneter,<br />

als Ministerpräsident und als Bundeskanzler maßgeblich<br />

beteiligt war. Seite Amtszeit als Bundeskanzler 1966-1969 markiert<br />

einen bedeutsamen Wendepunkt in der deutschen Nachkriegsgeschichte,<br />

nämlich das Ende der Aufbauphase nach dem<br />

Krieg, die mit den Namen Konrad Adenauer und Ludwig Erhard<br />

verbunden ist, eine Zeit, die auch mit Nierentischchen und mit<br />

dem Wirtschaftswunder assozüert wird. Nach Kiesingers Amtszeit<br />

kommt die Phase der SPD-Regierungen, die Zeit Willy Brandts<br />

und Helmut Schmidts, die Zeit der Ostverträge und der (heute<br />

noch nachwirkenden) großen Veränderungen in Staat und Gesellschaft.<br />

Am 6. April 2004 jährt sich der Geburtstag Kurt Georg<br />

Kiesingers zum hundertsten Mal. Aus diesem Anlass führt die<br />

Stadt Albstadt mehrere Veranstaltungen durch:<br />

Der Vorzug ist, dass die Teile (besonders bei einer mobilen Winde<br />

mit Schwenkvorrichtung) mit nur einer Hand aufs Genaueste für die<br />

Ladehöhe und -fläche platziert werden konnten, einschließlich der<br />

Unfallverminderung. Was Hirschfelder hier vorweg genommen hat,<br />

hat Ähnlichkeit mit dem Differenzialgetriebe beim Auto. [18]<br />

Patentschrift DE No 68503 Klasse 57a, Gruppe 6/02 [19]<br />

»Photographischer Apparat mit schwingender Objectivhülse für<br />

ebene Platten« -wurde am 14. Juli 1891 patentiert. Hirschfelder war<br />

nicht alleiniger Patentinhaber; Louis Dannhauser aus New York war<br />

Mitinhaber. Es handelt sich dabei um eine sehr interessante Konstruktion,<br />

die ähnlich wie eine Panoramakamera funktioniert, aber<br />

4<br />

1. Freitag, 2. April 2004, 20.00 Uhr<br />

Festvortrag in der Festhalle Albstadt-Ebingen, verbunden mit<br />

einer Ansprache des Ministerpräsidenten Erwin Teufel.<br />

2. Samstag, 3. April, 16.00 Uhr<br />

Benennung des Kurt-Georg-Kiesinger-Platzes in Albstadt-Ebingen<br />

3. Samstag, 3. April, 17.00 Uhr<br />

Zeitzeugen im Gespräch zu Kurt Georg Kiesinger. Ort: Festhalle<br />

Albstadt-Ebingen unter Teilnahme der ehemaligen Ministerpräsidenten<br />

Hans Filbinger und Lothar Späth.<br />

4. Freitag, 2. April und Samstag, 3- April<br />

Wissenschaftliches Symposium im Rathaus Albstadt-Ebingen zum<br />

Thema Kurt Georg Kiesinger mit folgenden Vorträgen:<br />

2.4. 13.30 Uhr: Kindheit und Jugend. Dr. Peter Th. Lang,<br />

Albstadt: Ebingen in Kiesingers Kinderzeit<br />

Prälat Paul Kopf, Stuttgart: Konrad [Kurt]<br />

Georg Kiesinger: Kindheit und Jugend im<br />

Spannungsfeld der Konfessionen<br />

16.30 Uhr: Der Weg zur Politik. Priv.-Doz. Dr. Michael<br />

Hochgeschwender, Tübingen: Akademische<br />

Verbindungen während der 20-er und 30-er<br />

Jahre. Dr. Philipp Gassert, Heidelberg: Kurt<br />

Georg Kiesingers Weg zur Demokratie<br />

3.4. 9.30 Uhr: Ministerpräsident in Baden-Württemberg<br />

Dr. Thomas Schnabel, Stuttgart:<br />

Bildungspolitik in Baden-Württemberg<br />

Prof. Dr. Willi A. Boelcke, Stuttgart: Die florierende<br />

Industrie in Baden-Württemberg<br />

13.30 Uhr: Kanzlerschaft, Prof. Dr. Rudolf Morsey,<br />

Speyer: Die Große Koalition - ihre Vorgeschichte<br />

und Nachwirkung<br />

Priv.-Doz. Dr. Gabriele Metzler, Tübingen:<br />

Die Reformprojekte der Großen Koalition<br />

im Kontext ihrer Zeit<br />

Auskunft und Anmeldung zum Symposium: Stadtarchiv Albstadt,<br />

Dr. Peter Th. Lang, Tel. 07431/160-1135.<br />

nicht für diesen Zweck gedacht ist. Der Lichtstrahl fällt durch einen<br />

Belichtungsspalt im rechten Winkel auf die Platte - es wird also der<br />

Schlitzverschluss für einen »normalen« Fotoapparat scannerartig zur<br />

Belichtung benutzt und gleichzeitig die sphärische Aberration des<br />

Objektivs auf ein Minimum reduziert. Die Idee ist zwar gut; jedermann<br />

kann heute bei einem Fotokopierer das Prinzip in abgewandelter<br />

Form beobachten. Schwierig wurde es aber in der Praxis der<br />

technischen Umsetzung, da sowohl die Objektivhülse als auch die<br />

Platte bewegt wurden, und dann auch noch mittels Gummizug. Die<br />

Abstimmung durch einen U-förmigen Rahmen mag zwar gut gedacht<br />

sein, aber beide Drehmomente mit den damaligen Mitteln zu synchronisieren,<br />

war fast undurchführbar. Dennoch war Hirschfelder<br />

mit dieser Idee seiner Zeit voraus. [18]


SALOMON HIRSCHFELDER IN MÜNCHEN<br />

UND LOUIS DANN HAUSER IN NEW-YORK<br />

PhotoQraphtaeher Apparat mit schwlngentfer Objectlvhflise für ebene Platten,<br />

Es sei noch angemerkt, dass ein Patent mehrere Stadien bis zur<br />

endgültigen Patenturkunde durchläuft. Auch Hirschfelders Patente<br />

wurden von einem Sachverständigen daraufhin überprüft, ob seine<br />

Vorschläge technisch machbar waren. Das war ohne Zweifel der Fall.<br />

Hirschfelder war also, was seine technischen Ideen anbelangte, kein<br />

»Spinner«. Andererseits fließt die Frage der Alltagstauglichkeit nicht<br />

in die Frage der Patenterteilung ein, und hier scheint es gehapert zu<br />

haben. Zudem war im Jahre 1900 die große Zeit der Einzelerfinder<br />

vorbei. In der imperialistischen Phase dominierten immer mehr die<br />

großen Trusts und Konzerne, die nach Belieben Patente in den<br />

Schubladen verschwinden oder ganze wissenschaftliche Stäbe für<br />

ihre Patente arbeiten ließen. Für einen kleinen Erfinder ohne Firma,<br />

JOSEF SCHNEIDER<br />

Neue Zunftfahne der »Ehrsamen<br />

Handwerkervereinigung Haigerloch«<br />

Die »Ehrsame Handwerkervereinigung Haigerloch« hat im 135.<br />

Jahre ihres Bestehens eine neue Zunftfahne beschafft. In die Feierstimmung<br />

des Handwerkerjahrtages am 20. Oktober 2003 war die<br />

Weihe der Fahne durch Pfarrer Romuald Pawletta eingebettet. Das<br />

neue Exemplar, in edler Nadelstichmalerei bei der Firma Burger in<br />

Munderkingen hergestellt, ist aus besseren Gebrauchsgründen kleiner<br />

gehalten. Sie lehnt sich jedoch an die Vorgängerin an, die auf der<br />

einen Seite das Wappen der »Becken und Müller« und auf der anderen<br />

Seite das bekannte Medaillon mit dem Bild des hl. Sebastian<br />

zeigt. Die Beschaffung der ersten Fahne erfolgte 1843; diese Jahreszahl<br />

wurde sinnigerweise auf der neuen Fahne angebracht. Das alte<br />

Exemplar, das seine Nachfolgerin nochmals zur Kirche und im Zug<br />

zum Zunftlokal »Krone« begleitete, wird auf dem Rathaus aufbewahrt<br />

werden wie Bürgermeister Trojan zusicherte.<br />

Es spricht für die bemerkenswerte Verbundenheit der Handwerksmeister<br />

mit der althergebrachten Tradition, dass nach 135 Jahren in<br />

einer total veränderten Situation nochmals eine neue Fahne beschafft<br />

wurde. Der Brauch des Handwerkerjahrtages wird aktiv gepflegt und<br />

5<br />

Zu der PatenlKhrifi<br />

JVi 68503.<br />

die ihn förderte, war es fast ausgeschlossen, mit seinen interessanten,<br />

aber idealistischen Ideen Geld zu verdienen. [18]<br />

7. Schluss<br />

Will man ein Fazit zu Salomon Hirschfelders Leben und Werk ziehen,<br />

so gibt es auch heute keine bessere Umschreibung als die Worte des<br />

Rabbiners Dr. Maier an seinem Grab [ 13]. Alle seine heute bekannten<br />

Bilder zeichnen sich durch die sehr genaue und liebevolle Beobachtung<br />

alltäglicher Situationen aus und rufen beim Betrachter ein anerkennendes<br />

und bewunderndes Lächeln hervor. Diesen großen,<br />

aber weitgehend unbekannt gebliebenen Dettenseer und sein Werk<br />

wieder etwas in das Bewusstsein der Menschen zu bringen, sollte der<br />

Sinn dieses Aufsatzes sein.<br />

zwar nicht nur etwa von den Altmeistern im Handwerk, sondern auch<br />

von einer stattlichen Zahl Jungmeister als Nachwuchs. Aus ihnen<br />

rekrutiert sich auch ein musikalisches Ensemble, das den Gottesdienst<br />

in St. Anna zur »Gedächtnismesse« bereichert. Nachmittags<br />

nach dem gemeinsamen Essen - zum Brauch zählt auch das »Kuttelessen«<br />

- wird in der Regel eine Betriebsbesichtigung durchgeführt.<br />

Zahlreiche Ehrengäste, darunter auch die Vertreter der befreundeten<br />

Handwerkerzunft Mengen, geben der Feier ihr Gepräge.<br />

Mit der Geschichte eines Vereines oder wie im Falle der »Ehrsamen<br />

Handwerkervereinigung« Haigerloch verbindet sich interessanterweise<br />

auch der Weg der Fahne. Sie begleitete die Tradition auf ihrem<br />

Weg über 135 Jahre, An diesem bedeutenden Markstein wurde wieder<br />

eine Fahne geweiht, diesmal die dritte. Darin dokumentiert sich<br />

doch wohl die große Verbundenheit der Handwerksmeister mit der<br />

althergebrachten Tradition. So jedenfalls kann man von dem Eintrag<br />

im Kassenbuch der Zunft der »Becken, Müller und Bierbrauer« aus<br />

dem Jahre 1843 schließen. Um jene Zeit blühte das Zunftwesen noch<br />

einmal kräftig auf, wie gerade die Anschaffung einer Fahne ausdrückt.<br />

Sie wurde unter Zunftmeister Schilling angeschafft, wurde<br />

aber offensichtlich mit der Zeit unbrauchbar, so dass dieses Exemplar<br />

1868 durch eine neue ersetzt wurde. Zunftmeister Hirschwirt Johann<br />

Sebastian Göggel veranlasste eine Niederschrift, die in der Fahnenspitze<br />

eingelassen und 1935 durch Flaschnermeister Hermann<br />

Haag bei einer Reperatur entdeckt wurde.


Die Anschaffung dieser Fahne, für die 32 Meister durch Spende an<br />

Geld und Naturalien aufkamen, fiel bereits in den Zeitpunkt der Auflösung<br />

der Zünfte durch den preußischen Staat. In jenem Jahre gab<br />

es noch 9 Zünfte in Haigerloch die dem Verbot anheimfielen. Was<br />

blieb ist der darauf erfolgte Zusammenschluss und die Gründung des<br />

Handwerkerjahrtages 1869 durch Abhaltung der »kirchlichen Gedächtnismesse<br />

und an dieselbe eine freie Besprechung über zeitgemäße,<br />

dem Handwerkerstand nützliche Einrichtung anzuknüp-<br />

(Fortsetzung von Nr. 4/2003)<br />

ROBERT FRANK<br />

Wiedereröffnung der ehemaligen Synagoge<br />

in Haigerloch - 65 Jahre nach dem Pogrom<br />

von 1938<br />

Nachdem in der letzten Ausgabe über die Feierlichkeiten anlässlich<br />

der Wiedereröffnung der ehemaligen Synagoge in Haigerloch<br />

berichtet wurde, folgt hier ein kurzer Überblick über die Geschichte<br />

der Juden in Haigerloch. Auch werden Büder der Synagoge abgedruckt,<br />

die deren Zustand von 1938, sowie in den 60iger-Jahren und<br />

nach der Renovierung in 2003 zeigen. Zudem wird die dreiseitige<br />

Hinweistafel in einem Bild gezeigt, die anlässlich der Benennung des<br />

Synagogenvorplatzes in Gustav-Spier-Platz aufgestellt wurde.<br />

In Haigerloch wurden Juden erstmals 1348 erwähnt, im Zusammenhang<br />

mit einem Pogrom, bei dem dieselben in der Stadt verbrannt<br />

wurden. Denn ihnen wurde die Schuld an der großen<br />

Pestepidemie von 1347-1354 zugeschrieben. Der erste Schutzbrief<br />

für die Juden datiert vom 6. Okt. 1534. Mit Ausstellung dieser<br />

Urkunde durch den Grafen Christoph Friedrich von Zollern<br />

standen die Juden unter dessen Schutz und ihr Verbleiben war<br />

somit rechtlich abgesichert. Nach Ablauf von ungefähr 25 Jahren<br />

fen«, wie es im Gründungsprotokoll heißt. Die Fahne hielt jedoch die<br />

Erinnerung an die einsöge Zunftherrlichkeit wach.<br />

Sie wurde 1961 im Kloster Habsthal restauriert und beim Zunftlokal<br />

mitgetragen. Auch am Grabe von Meistern senkte sie sich zum Gedenken.<br />

Nun ist auch ihre Zeit abgelaufen.<br />

Die Neuanschaffung einer Fahne war Zunftmeister Dietmar Eger in<br />

seinem ersten Amtsjahr ein Anliegen. Neunundzwanzig Jahre hat er<br />

die alte Fahne getragen.<br />

wurden diese Schutzbriefe in der Regel vom jeweiligen Herrscher<br />

erneuert. Mit dem Schutzbrief von 1780 wurde den jüdischen Einwohnern<br />

das sogenannte »Haag« als Wohngebiet zugewiesen. Und<br />

schon am 30.5-1783 konnte die Synagoge eingeweiht werden.<br />

Die jüdische Einwohnerschaft wuchs stetig und das Gotteshaus erwies<br />

sich alsbald als zu klein, so dass 1839/40 ein Umbau und eine<br />

Erweiterung erfolgten. Die erweiterte Synagoge bot Platz für 294<br />

Personen. Letztmals vor der Naziherrschaft ließ die jüdische<br />

Gemeinde in Haigerloch 1930 die Synagoge gründlich renovieren<br />

und der Wiedereinweihung am 21.9.1930 wohnten neben Vertretern<br />

der israelitischen Religonsgemeinschaft auch solche des<br />

Staates und der christlichen Kirchen bei.<br />

In der Pogromnacht vom 9- auf den 10. Nov. 1938 wurde die Synagoge<br />

im Innern geschändet und somit entweiht. Bei den Tätern handelte<br />

es sich um einen 40 bis 50 Köpfe umfassenden SA-Trupp aus<br />

dem benachbarten Sulz. Die jüdische Gemeinde Haigerloch verkaufte<br />

am 18-9-1939 das Gebäude, nachdem die Stadt bedeutet hatte, dass<br />

sie die Synagoge zu eigenen Zwecken umbauen wolle, nämlich zu<br />

einer Turnhalle. Die Rohbauarbeiten waren Ende 1942 fertig, doch<br />

konnte infolge Materialmangels nicht weiter gebaut werden. Seit April<br />

1944 war die ehemalige Synagoge an die Lufthansa AG vermietet.<br />

Durch den Holocaust wurde auch in Haigerloch die jüdische<br />

Gemeinde ausgelöscht. Bereits 1939 fingen die Nazis an, Juden<br />

zwangsweise umzuquartieren, damit Städte und Dörfer »judenfrei«<br />

wurden. Diese Zwangsumgesiedelten wurden in wenigen Orten


So sah die ehemalige Haigerlocher Synagoge in den 1960er-Jahren aus. Wir sehen die Nordostseite. Foto: Foto-Weber, Haigerloch.<br />

konzentriert, so auch im »Haag« in Haigerloch, wo sie auf den<br />

Transport in den Tod warteten. Der erste Transport erfolgte am<br />

27.11.1941 nach Riga (Lettland) mit 111 Personen, der nächste<br />

am 24.4.1942 nach Izbica bei Lublin mit 24 Personen, der dritte<br />

am 10.7.1942 nach Auschwitz mit 5 Personen und schließlich am<br />

19-8.1942 nach Theresienstadt mit 136 Personen. Vor der Deportation<br />

starben sechs Personen, eine Frau beging Selbstmord und<br />

von zwei weiteren weiß man das Datum der Deportation nicht, insgesamt<br />

285 jüdische Mitbürger waren von Haigerloch aus deportiert<br />

worden, von denen nur dreizehn überlebten.<br />

Nach dem Krieg leitete die Israelitische Kultusvereinigung in<br />

Stuttgart 1949 ein Restitutionsverfahren gegen die Stadt Haigerloch<br />

ein. Im dabei erzielten Vergleich wurde der Kaufvertrag von 1939<br />

für nichtig erklärt und die Stadt gab die Grundstücke an die Israelitische<br />

Kultusvereinigung zurück. Diese beglich im Gegenzug<br />

mit 1000 Reichsmark »Unterhaltungskosten des Gebäudes«. Somit<br />

waren alle Ansprüche abgegolten. Die Israelitische Kultusvereinigung<br />

verkaufte am 19.12.1951 die ehemalige Synagoge und weitere<br />

Grundstücke an einen privaten Käufer, da die jüdische Gemeinde<br />

nicht mehr bestand. Durch Umbauarbeiten und die verschiedensten<br />

Nutzungen verlor die Synagoge ihr ursprüngliches Aussehen<br />

und war als ein ehemaliges Gotteshaus nicht mehr zu erkennen.<br />

Das Gebäude erhielt ein Satteldach und die Rundbogenfenster<br />

wurden zugemauert. Es diente bis in die 1960er Jahre als Filmtheater,<br />

danach von 1968 bis 1981 als Lebensmittelmarkt und<br />

schließlich bis 1999 als Lagerhalle eines Textilbetriebes.<br />

So sieht die ehemalige Haigerlocher Synagoge im November 2003 nach den baulichen Veränderungen aus. Wir sehen hier zum Vergleich ebenfalls<br />

die Nordostseite. Foto: Egidius Fechter, Haigerloch.<br />

7


Die dreiseitige Tafel auf dem Vorplatz der ehemaligen Synagoge in<br />

Haigerloch trägt den Namen von Lehrer und Rabbinatsverweser Gustav-Spier<br />

und heißt jetzt Gustav-Spier-Platz. In der weißen Strickjacke<br />

erkennen wir die Tochter Ruth Ben David. Foto: Egidius Fechter,<br />

Haigerloch.<br />

OTTO BOGENSCHÜTZ<br />

Das <strong>Hohenzollerische</strong> Anwenderecht<br />

Einleitung<br />

Das Anwenderecht ist ein aussterbendes Grundstücksrecht. Nur noch<br />

wenige juristisch gebildete Personen kennen dieses Recht, welches<br />

im württembergischen Landesteil von Baden-Württemberg als Tretoder<br />

Trepprecht und in Norddeutschland als Schwengelrecht bezeichnet<br />

wird. Es hatte im vorletzten Jahrhundert in der Landwirtschaft<br />

noch eine große Bedeutung. Durch die vielen Flurbereinigungen -<br />

über die Hälfte der landwirtschaftlich genutzten Fläche in Baden-<br />

Württemberg wurde seither bereinigt - die rationellen Bewirtschaftungsmethoden<br />

der heutigen Landwirtschaft ist der kleinparzellierte<br />

Ackerbau die Ausnahme. Nur noch in den wenigen Gebieten mit<br />

kleinparzelliertem Ackerbau ist das Anwenderecht von Bedeutung.<br />

Entstehung des Anwenderechts<br />

Die Bewirtschaftung der Ackerflur im Altsiedelland, seit dem 8.<br />

Jahrhundert besiedelte Landschaften, unterlag seit dem Mittelalter<br />

den anerkannten Regeln der Dreifelderwirtschaft. Die Ackerfläche<br />

eines Dorfes wurde in drei gleichgroße Zeigen eingeteilt. Im Bereich<br />

der mittleren Schwäbischen Alb wurde eine Zeige als Esch<br />

(Osch) bezeichnet. Jeder der Esche reichte i. d. R. vom Dorfetter<br />

(Dorfzaun) bis zur Banngrenze bzw. zum Rand der intensiv nutzbaren<br />

landwirtschaftlichen Fläche einer Gemarkung und hatte in<br />

jedem Bewirtschaftungsjahr einen anderen Fruchtstand. Auf dem er-<br />

8<br />

sten Esch durfte in einem Bewirtschaftungsjahr nur Wintergetreide<br />

(Dinkel, Roggen und Weizen), auf dem im Uhrzeigersinn vom<br />

Dorfmittelpunkt ausgehend angrenzenden weiteren Esch durfte nur<br />

Sommergetreide (Gerste, Hafer) angepflanzt werden. Auf dem zwischen<br />

dem Sommeresch und dem Winteresch liegenden 3- Esch<br />

durften keine Früchte angepflanzt werden (Brachesch). Erst ab dem<br />

18. Jahrhundert setzte sich im Brachesch der Anbau von Kartoffeln<br />

oder Klee durch. Im Jahr danach verschob sich derFruchtstand der<br />

einzelnen Esche. Aus dem letztjährigen Winteresch wurde der Sommeresch<br />

und im folgenden Jahr lag er brach (unbebaut). Dieser dreijährige<br />

Fruchtwechsel diente zum Schutz vor dem Auslaugen des Bodens.<br />

In jedem dritten Jahr bekam der Boden Zeit zum Regenerieren.<br />

Unterteilung der Esche<br />

Jeder Esch bestand aus mehreren Ackergewannen (jedes Gewann<br />

hatte einen eigenen Namen), die sich wiederum aus mehreren<br />

gleichlaufenden streifenförmigen Ackerparzellen zusammensetzten.<br />

Um jedes Gewann lag ein Wiesensaum, der die Gewanne voneinander<br />

trennte. Die Erschließung der einzelnen Ackerparzellen erfolgte<br />

über die vom Ortsetter ausgehenden beständigen Hauptwirtschaftswege<br />

mit ihren seitlichen Weidestreifen. Von ihnen trennten<br />

sich die unbefestigten und unbeständigen Wege ab. Sie führten fast<br />

immer auf den Wiesensäumen am Rand der einzelnen Gewanne.<br />

Auf den Wiesensäumen am Kopfende der Gewanne durften die Bewirtschafter<br />

der einzelnen Ackerparzellen des Gewannes mit ihren<br />

Gespannen beim Pflügen und Eggen wenden und über sie erfolgte<br />

auch die Zufahrt zu den einzelnen Ackerparzellen bei der Ackerbestellung<br />

und bei der Ernte. Jede einzelne Ackerparzelle wurde<br />

durch einen Rain, einem kleinen Grassaum, vom Nachbarn getrennt.<br />

Die Ackerraine hatten die Funktion, dass beim Pflügen das<br />

linke Zugtier den angrenzenden Acker nicht betreten musste.<br />

Der starke Bevölkerungszuwachs im hohen Mittelalter<br />

brachte die Umwandlung der Wiesensäume in Anwandäcker<br />

Die Nachfrage nach Brotgetreide im hohen Mittelalter brachte die<br />

Vermehrung des Ackerlandes in einem Bannbezirk (Herrschaftsbezirk<br />

des Dorfgerichts) mit sich. Wiesen wurden zu Ackerland umgewandelt,<br />

die Wiesensäume um die Ackergewanne wurden unter<br />

den Bauern zu Ackerland aufgeteilt. Die neuen Eigentümer der Ackerstreifen<br />

am Kopfende der Gewanne mussten die Verpflichtung zur<br />

Duldung des Wendens eines Gespannes beim Pflügen und der Zufahrt<br />

zu den einzelnen Ackerparzellen des Gewannes übernehmen.<br />

Dieses Recht wird seither als Anwenderecht bezeichnet.<br />

Ersetzung des Ackerraines durch eine Grenzfurche nach<br />

dem Dreißigjährigen Krieg<br />

Der starke Bevölkerungszuwachs nach 1648 führte im Gebiet des<br />

Neckarlandes und im Bereich der westlichen Schwäbischen Alb im<br />

Erbfall zur Aufteilung der ursprünglich über 33 ar großen Äcker in<br />

wesentlich kleinere Einheiten. In manchen Gebieten betrug die<br />

durchschnittliche Größe eines Ackers um 1820 nur noch wenig<br />

über 10 ar, Die damals geschaffenen kleineren Ackerparzellen<br />

duldeten keinen Rain mehr am Rande der ursprünglichen Einheit.<br />

Der Grassaum zwischen zwei Ackerparzellen wurde durch eine<br />

Grenzfurche ersetzt. Beim Pflügen bis zur Ackerfurche durfte die<br />

links eingespannte Kuh oder Pferd eines Gespannes und das linke<br />

Rad des Pflugwagens bei der Ziehung der Ackerfurche die angrenzende<br />

Ackerparzelle betreten. Dieses Recht wurde fortan Rädlesrecht<br />

bezeichnet.


Einheitliche Wenderichtung beim Pflügen<br />

In der Literatur ist es wenig bekannt, dass die Organisation der Bewirtschaftung<br />

der Ackerflur (Dreifelderwirtschaft) auch die jeweilige<br />

Wenderichtung der Scholle bzw. Erdkrume beim Pflügen innerhalb<br />

eines Gewannes vorschrieb'. Dies galt bei jedem Umbruch außer bei<br />

der Ziehung der Grenzfurche. Das Auseinander- (von der Ackermitte<br />

weg) oder Zusammenschlagen (Wendrichtung der Erdkrume beim<br />

Pflügen zur Mitte der Ackerparzelle hin) der Ackerfurchen war nur<br />

auf den Anwandäckern erlaubt. Damit wollte man verhindern, dass<br />

sich zwischen den einzelnen Äckern eines Gewannes Vertiefungen<br />

oder auf ihnen Wölbungen entstehen, insbesondere in Hanglagen<br />

konnten die unterschiedlichen Wenderichtungen beim Pflügen zu Erhöhungen<br />

der Ackerraine führen.<br />

Im schwäbischen Oberland, Schwarzwald und in Teilen von<br />

Ostwürttemberg gab es keine Bewirtschaftungsmethode der<br />

Ackerflur nach den Regeln der Dreifelderwirtschaft. Im<br />

Schwarzwald mit den Waldhufen und im Oberland mit den Einödgebieten<br />

hatte jeder Hof sein landwirtschaftliches Bewirtschaftungsgebiet<br />

unmittelbar um die Hofstellen. Zeigen und Gewanne kennen<br />

diese Landstriche nicht. Beim Pflügen und Eggen konnte jeder auf<br />

dem eigenen Acker, weil er genügend breit war, oder auf der ihm<br />

gehörenden angrenzenden Wiese wenden. Der Bereich auf dem<br />

Acker, auf dem mit dem Gespann gewendet wurde, wird seither als<br />

»Anwand« bezeichnet. In den zuvor genannten Gebieten gibt es bis<br />

heute im Erbfall nur die »gebundene« Besitzübergabe. Einer der<br />

Söhne - der jüngste oder der älteste, je nach örtlicher Gewohnheit -<br />

übernimmt ungeteilt den elterlichen Hof. In der Literatur wird ein<br />

solches Gebiet Anerbengebiet bezeichnet.<br />

Das Dorfgericht überwachte die Regelungen der Dreifelderwirtschaft<br />

2<br />

Die Bewirtschaftung der Flur des Altsiedeilandes unterlag seit dem<br />

frühen Mittelalter bis zur Neuzeit den Regelungen der Dreifelderwirtschaft.<br />

Das von den Dorfbewohnern auf der Gemeindejahrtag gewählte<br />

Feldgericht (Untergangsgericht) überwachte dessen strikte Einhaltung.<br />

Es überprüfte, ob jeder den vorgegebenen einheitlichen Fruchtstand<br />

auf den einzelnen Eschen einhielt, legte jährlich den Zeitpunkt<br />

der Öffnung und des Schließens der unbeständigen Wege innerhalb<br />

eines Esches fest und schlichtete Streitigkeiten unter den Besitzern<br />

der Ackerparzellen über die Öffnung der unbeständigen Wege und<br />

sah auf die möglichst schonende Ausübung des Anwenderechts. Die<br />

Öffnung der unbeständigen Wege, d.h. das Abmähen des Getreides,<br />

erfolgte in der Reihenfolge ausgehend vom Hauptwirtschaitsweg. Erst<br />

wenn der Vorneliegende den Weg vom Getreide frei gemacht hatte,<br />

durfte der Hinterhegende zu seiner Ackerparzelle fahren. Bei der<br />

Schließung des unbeständigen Weges nach der Aussaat galt die umgekehrte<br />

Reihenfolge. Erst wenn der Hinterhegende bei seiner Ackerparzelle,<br />

einschließlich des Bereiches des unbeständigen Weges, mit<br />

der Saat fertig war, durfte der Vornehegende mit der Arbeit beginnen.<br />

Die Bannung der unbeständigen Wege im Esch mit dem Wintergetreide<br />

geschah schon im November nach dem Pflügen und Einsäen<br />

des Brachlandes. Die Bannung der Wege des Eschs mit dem Sommergetreide<br />

geschah regional unterschiedlich zwischen dem Sankt<br />

Georgstag (23. April) oder bis zum 8. Mai. Dagegen war der Brachesch<br />

vom Zeitpunkt der Ernte des Sommergetreides bis zur Feldbestellung<br />

des Wintergetreides im folgenden Jahr offen.<br />

1 Friedrich Winterlin, Württembergische ländliche Rechtsquellen,<br />

zweiter Band. Das Remstal, das Land am mittleren Neckar und die<br />

Schwäbische Alb. Unter-Sielmingen, Gemeine alte Ordnungen, Gebräuche,<br />

Herkommen und Gewohnheiten, 1701: »1. Es soll keiner<br />

keinen Zusammenwurf machen, denn es sei ein Anwander«.<br />

2 Karl Siegfried Bader, Dorfgenossenschaft und Dorfgemeinde,<br />

Weimar 1962. Er beschreibt darin die Aufgaben der Untergangsgerichte<br />

im Mittelalter<br />

9<br />

Der Rechtsbegriff des Anwende-, Schwengel 3-, Tretoder<br />

Trepprechts 4<br />

Grenzen zwei Äcker an der Stirnseite unmittelbar aneinander, so<br />

bringt es das Eggen und Pflügen des Ackers bis zur Grenze mit sich,<br />

dass das Gespann (Pferde, Kühe oder Ochsen) den Nachbaracker<br />

zum Wenden betreten musste. Das Recht, den Pflug auf das Nachbargrundstück<br />

zu leiten (dessen Erdkrume darf aber nicht gewendet<br />

werden) und dort zu wenden, ist der Inhalt des Anwende-, Tret- oder<br />

Schwengelrechts, das für den Eigentümer des Anwandackers eine<br />

entsprechende Eigentumsbeschränkung mit sich bringt. Bei der<br />

Ausübung des Anwenderechts mussten die Pflanzen auf dem belasteten<br />

Grundstück möglichst geschont werden 5.<br />

Öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Eigentumsbeschränkung?<br />

Teilweise wird in der Literatur die Ansicht vertreten, das Anwenderecht<br />

sei eine »öffentlich-rechtliche« Eigentumsbeschränkung 6.<br />

Andere meinen, für eine öffentlich-rechtliche Eigentumsbeschränkung<br />

sprächen keine überzeugende Gründe und die hier in Frage<br />

stehende Rechtsnorm regele nur das Verhältnis zwischen zwei benachbarten<br />

Grundstückseigentümer 7,<br />

In der bisherigen Diskussion wurde nicht berücksichtigt, dass das<br />

Anwenderecht durch die Bewirtschaftungsmethode der Dreifelderwirtschaft<br />

entstand.<br />

3 Glaser-Dröschel, Nachbarrechte, S. 306. In Niedersachsen und in<br />

Kurhessen gab es das sogenannte Schwengelrecht (Pflugwenderecht).<br />

Es ermöglicht den Eigentümer landwirtschaftlich genutzter<br />

Flächen, sein Ackerland bis zur Grundstücksgrenze ordnungsgemäß<br />

zu bestellen und zu bearbeiten, zu diesem Zweck hat der Grundstücksnachbar<br />

auf seinem Gründstück einen Streifen von 50 bis60 cm<br />

Breite entlang der Grenze frei von Bäumen, Sträuchern, Stauden,<br />

Wällen oder dergleichen zu halten, die einen der die Grenze überragenden<br />

Zugschwengel, ein Pflugrat oder eine Radachse behindern<br />

könnten. Das Schwengelrecht beinhaltet das württembergische Tretoder<br />

Trepprecht und das württembergische Rädlesrecht.<br />

4 Franz Pelka, Das Nachbarrecht in Baden-Württemberg, Seite 171:<br />

In den württembergischen Landesteilen gibt es noch das unständige<br />

Überfahrtsrecht, sowie das Trepprecht, das ist das<br />

Recht, beim Pfigen und Eggen mit dem Spannvieh auf dem<br />

Grundstück des Nachbarn umzudrehen.<br />

5 Württembergisches Gesetz über Feldwege, Trepp- oder Überfahrtsrechte<br />

vom 5. April 1862 (Reg. Blatt 1862, S. 91), Art. 41: Bei der<br />

Ausübung des Trepprechts sind die angepflanzten oder zum<br />

Anpflanzen zugerichteten Grundstücke möglichst zu schonen.<br />

6 RdL 1957, S. 39: »Das Schwengelrecht ist eine öffentlich-rechtliche<br />

Grunddienstbarkeit und gilt nur für Grundstücke in der freien<br />

Feldmark. Es besteht nicht an der Grenze eines Grundstücks zur<br />

Dorfmark, selbst wenn dieses Grundstück erst später in das Bebauungsgebiet<br />

der Gemeinde einbezogen worden ist (Landgericht<br />

Hanau, 2. Zivilkammer, rechtskräftiges Urteil vom 6.11.1956 - 2 S<br />

62/56).<br />

7 Dehner, Nachbarrecht, B § 28, Seite 18: »Die hier in Frage stehenden<br />

Rechtsnormen regeln das Verhältnis zwischen zwei benachbarten<br />

Grundstückseigentümern, also das zwischen zwei Privatpersonen.<br />

Dass sie die landwirtschaftliche Nutzung des Bodens<br />

fördern und damit letzten Endes auch öffentlichen Interessen dienen,<br />

kann nicht entscheindend sein. Würde man es auf diesen<br />

Gesichtspunkt abstellen, so würde man den weitaus überwiegenden<br />

Teil des BGB zum öffentlichen Recht rechnen müssen, denn es<br />

gibt kaum eine privatrechtliche Vorschrift, die nicht in irgendeiner<br />

Weise auch dem Interesse der Allgemeinheit dient.


Ohne Dreifelderwirtschaft kann es nicht die öffentlich-rechtliche<br />

Eigenturasbeschränkung des Anwenderechts geben, welches die<br />

Grundlage für das Wenden mit dem Pflug und der Egge der Besitzer<br />

der Ackerparzellen auf dem Anwandacker bildeten. Die Bezeichnung<br />

Anwandacker mit den verbundenen Belastungen beruhen auf<br />

»altem örtlichem Herkommen« (örtliches Gewohnheitsrecht),<br />

nicht auf privatrechtlichen Regelungen.<br />

Bei der ersten Katastervermessung im ehemaligen Hechinger Teil<br />

der <strong>Hohenzollerische</strong>n Lande wurde im Primärkataster bei den betroffenen<br />

Ackerparzellen die Bezeichnung »Anwander« eingetragen<br />

8. Die jeweiligen Dorfgerichte anerkannten die Primärkataster<br />

OTTO H. BECKER<br />

S.H. Friedrich Wilhelm Fürst von<br />

Hohenzollern zum 80. Geburtstag<br />

S.H. Friedrich Wilhelm Fürst von Hohenzollern<br />

Foto: Armin Dieter, Mössingen<br />

Am 3. Februar 1924 wurde der Chef des Fürstlichen Hauses Hohenzollern<br />

als ältester Sohn des damaligen Erbprinzen Friedrich von Hohenzollern<br />

und seiner Gemahlin Margarete geb. Prinzessin von Sachsen<br />

in Umkirch in Baden geboren. Dort verbrachte Fürst Friedrich<br />

Wilhelm auch seine Kindheit und Jugend. Im nahe gelegenen<br />

Freiburg besuchte er die Grundschule und danach das Gymnasium,<br />

das er mit einer Reifeprüfung abschloss.<br />

Fürst Friedrich Wilhelm ist der erste Chef des Hauses Hohenzollern,<br />

der nicht mehr in der Monarchie geboren und aufgewachsen ist. Die<br />

danach eingetretenen staatlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen<br />

Entwicklungen und Umbrüche in der deutschen Geschichte<br />

haben auch den Lebenslauf des Fürsten stark beeinflusst und mitgeprägt.<br />

Sein Wunsch, nach dem Vorbild seiner Väter in den Militärdienst<br />

einzutreten, machte der sogenannte Prinzenerlass des Führers<br />

zunichte, in dem alle Angehörigen der ehemals regierenden Häuser<br />

für wehrunwürdig erklärt wurden.<br />

Im September 1944 erlebte er die Ausweisung seiner Familie aus<br />

dem Sigmaringer Schloss, in dem dann die französische Vichy-<br />

10<br />

als Rechtsbuch der Gemeinde. Somit kann das Anwenderecht auf<br />

Ackerparzellen, die im Primärkataster der Vermessungsverwaltung<br />

als »Anwander« bezeichnet sind, nur auf öffentlich-rechtlichen Herkommen<br />

beruhen. Alle anderen Argumente gegen diese Feststellung<br />

können vom historischen Ansatz her nicht überzeugen. Anders sieht<br />

es zwischen zwei benachbarten Ackerparzellen aus, die einst durch<br />

die Teilung in der Länge einer einst schmalen Ackerparzelle entstanden<br />

sind.<br />

Dort wurde durch in den in den Kontraktbüchern niedergeschriebenen<br />

Aufteilungsverträgen das Anwenderrecht privatrechtlich begründet.<br />

Dies waren Sonderfälle, die im Verhältnis zum öffentlichrechtlichen<br />

Anwenderecht selten vorkommen. [Fortsetzungfolgt]<br />

Regierung unter Marschall Pétain untergebracht wurde, und deren<br />

Internierung im Schloss des Freiherren Schenk von Stauffenberg in<br />

Wilflingen bei Riedlingen. Die Unannehmlichkeiten dort wurden zudem<br />

von einem ersten Vorfall überschattet. Der Gestapo waren<br />

Durchschläge eines Briefes des Prinzen Maria Emanuel von Sachsen<br />

an seinen Vetter, den Erbprinzen von Hohenzollern, in die Hände<br />

gefallen, die sehr negative Äußerungen über den Führer und das<br />

Dritte Reich enthielten. Eine Luftmine auf die Gestapostelle in Stuttgart<br />

zerstörte dann aber das Beweismittel und rettete den Erbprinzen<br />

aus seiner bedrohlichen Lage.<br />

Als im November 1944 die Fürstliche Familie aus der Schutzhaft in<br />

Wilflingen entlassen wurden, begab sich der Erbprinz mit dem Fahrrad<br />

nach Umkirch. Dort überlebte er am 16. März 1945 einen Luftangriff<br />

auf das dortige Hohenzollernschloss. Nach dem Krieg studierte Fürst<br />

Friedrich Wilhelm Betriebswirtschaft an den Universitäten Freiburg<br />

und Genf. Am 3- Februar 1951 heiratete der damalige Erbprinz von<br />

Hohenzollern die Prinzessin Margarita von Leiningen. Aus der Ehe gingen<br />

drei Söhne hervor. Mit dem Tode seines Vaters am 6. Februar 1965<br />

wurde der Erbprinz Fürst und damit auch Chef des Hauses Hohenzollern.<br />

Auf diese Stellung hatte er sich als Generalbevollmächtigter intensiv<br />

vorbereiten können. Die ihm übertragenen Aufgaben und<br />

Verpflichtungen hat Fürst Friedrich Wilhelm mit großem Verantwortungsbewusstsein<br />

gegenüber der Tradition seines Hauses und vor<br />

allem auch gegenüber den ihm anvertrauten Mitarbeitern wahrgenommen.<br />

So hat er mit großen persönlichen Opfern den Zusammenbruch<br />

des Fürstlich Hohenzollernschen Hüttenwerks Laucherthal verhindern<br />

und damit sehr viele Arbeitsplätze erhalten können.<br />

Die Leistungen des Fürsten für die Allgemeinheit haben öffentliche<br />

Anerkennung gefunden. Es sei hier nur auf die Auszeichnung mit der<br />

ersten Klasse des Verdienstkreuzes der Bundesrepublik Deutschland<br />

und der Verleihung der Ehrenbrgerschaften von Sigmaringen, Sigmaringendorf,<br />

Umkirch und Bayerisch Eisenstein hingewiesen.<br />

Wie seine Vorgänger hat Fürst Friedrich Wilhelm auch das Protektorat<br />

über den <strong>Hohenzollerische</strong>n <strong>Geschichtsverein</strong> übernommen.<br />

Bis in die jüngste Vergangenheit war das Fürstlich <strong>Hohenzollerische</strong><br />

Haus- und Domänenarchiv dann auch in die laufende Verwaltungsarbeit<br />

des <strong>Geschichtsverein</strong>s eingebunden. Dem Fürsten von<br />

Hohenzollern war es zu verdanken, dass der Verein den Festakt anlässlich<br />

des Übergangs der hohenzollerischen Fürstentümer an<br />

Preußen vor 150 Jahren im September 2000 im Grafensaal der Burg<br />

Hohenzollern veranstalten könnte.<br />

Vorstand und Beirat gratulieren in Dankbarkeit dem Protektor des<br />

<strong>Hohenzollerische</strong>n <strong>Geschichtsverein</strong>s, S.H. Friedrich Wilhelm Fürst<br />

von Hohenzollern, recht herzlich zu seinem 80. Geburtstag und wünschen<br />

ihm für die Zukunft alles Gute, Gesundheit, Gottes Segen und<br />

ein langes Leben. Dr. Otto H. Becker


WILLY BEYER<br />

Michael Lehmann - ein katholischer Rebell<br />

Zum 100. Todestag des Publizisten,<br />

Schriftsteller und Komponisten<br />

(Fortsetzung)<br />

II. Lehmanns Rolle während des Kulturkampfes im<br />

preußischen Hohenzollern<br />

Parteiorgan »Zoller« erscheint in Hechingen<br />

In den frühen siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts erschienen in<br />

Hohenzollern nur zwei Zeitungen: Die bis dahin als gemäßigt liberal<br />

geltenden »Hohenzollernsche Blätter« (1867, zuvor »Wochenblatt«)<br />

in Hechingen und die ausgesprochen katholisch ausgerichtete »Hohenzollern'sehe<br />

Volkszeitung« (von 1868-74 »Donaubote«) in Sigmaringen.<br />

1872 gründete ein Kreis von Geistlichen einen »Pressverein«,<br />

der zum Jahresbeginn 1873 eine zweite katholische Zeitung<br />

in Hohenzollern herausgab, den Zoller. Michael Lehmann gab dazu<br />

eine Probenummer heraus und eine Anzeige in den »Hohenzollernschen<br />

Blättern«, in der er als Redakteur und Verleger auf 1.1.1873<br />

das Erscheinen des »Zoller« ankündigte, wöchentlich dreimal, zu 21<br />

Kreutzer die Ausgabe, als »consequentes und entschiedenes katholisch-politisches<br />

Volksblatt«, das vorhat, die Interessen der Katholiken<br />

mit Würde zu vertreten. Über diese rein hohenzollerischen<br />

Zeitungen hinaus war auch der in Oberndorf seit 1835 erscheinende<br />

»Schwarzwälder Bote« in ganz Hohenzollern häufig abonniert. Anfänglich<br />

liberal, später eher neutral-nationalliberal, bildete das Blatt<br />

in Hechingen und Haigerloch lange Zeit einen Gegenpol zu den beiden<br />

in Hechingen erscheinenden Zeitungen, die sich ständig befehdeten.<br />

Grund war der aufkommende Kulturkampf zu Beginn der 70er<br />

Jahre, der zu einem regelrechten Kleinkrieg zwischen dem regierungstreuen,<br />

liberalen Parteiorgan »Hohenzollernsche Blätter« und<br />

dem Zentrumsorgan »Zoller« führte. Insbesondere auch zwischen<br />

deren Chefredakteuren Ludwig Egler und Michael Lehmann, die<br />

gegenseitig noch über die Kulturkampfzeiten hinaus aufs Übelste<br />

polemisierten.<br />

Der Abonnentenstand des »Zoller« schnellte von anfangs 1000 auf<br />

knapp 1400 im Oktober 1873 empor. Im Juli 1874 verkündete der<br />

Zoller, dass er mit einer Auflage von knapp 1700 Exemplaren den<br />

weitesten Leserkreis aller Zeitungen in Hohenzollern habe. Der<br />

Zoller wurde anfangs von Romuald Sulger mit primitiver Ausrüstung<br />

in den unteren Räumen von Lehmanns Haus in der Firstgasse<br />

gedruckt. Alle Bewohner des Hauses hatten dabei zu helfen und<br />

mussten beispielsweise Lettern reinigen und Blätter salzen.<br />

Attentat auf Bismarck / Für die Zeitung mehrmals im<br />

Gefängnis<br />

Michael Lehmann war nach der Entlassung aus dem Schuldienst 1864<br />

in Hechingen weiterhin als Chorregent der Stiftskirche tätig, gab<br />

Musikunterricht, komponierte gelegentlich und schrieb christlich<br />

orientierte Bücher. Als Mitbegründer und erster Redakteur des Parteiorgans<br />

»Der Zoller« widmete sich der mittlerweile 45-jährige<br />

Lehmann ganz der katholischen Erneuerung und der Zentrumspartei.<br />

11<br />

Dies brachte ihm erhebliche Schwierigkeiten ein. Viele Geldstrafen<br />

und Gefängnisaufenthalte während des sogenannten Kulturkampfs<br />

waren die Folge. Schon im ersten Erscheinungsjahr ergingen drei<br />

Verurteilungen gegen den Zoller. Gleich bei der ersten, vom 8. März<br />

1873, wegen »Verächtlichmachung von Anordnungen der Obrigkeit<br />

durch Mittheilung entstellter Thatsachen« erkannte das Gericht auf<br />

14 Tage Gefängnis und Tragung der Kosten gegen Lehmann, sowie<br />

Vernichtung der Nummer 18 des »Zoller« vom 11. Februar. Die Ausgabe<br />

wurde bereits nach Erscheinen auf Antrag der königlichen Staatsanwaltschaft<br />

polizeilich konfisziert. Die zweite Strafe erging am 5.<br />

April wegen Ehrenbeleidigung des Abgeordneten Jung in Berlin mit<br />

20 Talern Geldstrafe. In der dritten Verurteilung, wegen eines Artikels<br />

in der Berliner »Germania«, vom »Zoller« am 18. September zitiert,<br />

lastete ihm das Gericht eine Geldstrafe von zwölf Talern auf, wegen<br />

»Beleidigung der Regierung in Sigmaringen«.<br />

Nach dem Artikel »Verschärfungen« vom 28. Juli 1874 erfolgte am<br />

10. Oktober eine Verurteilung zu sechs Wochen Gefängnis wegen<br />

»Amtsehrenbeleidigung des Reichskanzlers und Verächtlichmachung<br />

der preußischen Kirchengesetze durch öffentlich behauptete, wissentlich<br />

entstellte und erdichtete Thatsachen«. Lehmann hatte in dem<br />

Artikel bezweifelt und als undenkbar bezeichnet, dass Reichskanzler<br />

Bismarck in der Aufregung nach einem auf ihn verübten Attentatsversuch<br />

gesagt haben soll: »Die Kirchengesetze müssten dann noch verschärft<br />

werden!« Liberale Blätter hätten Fürst Otto von Bismarck den<br />

Ausspruch in den Mund gelegt. Die Gegner der Kirche hätten aus<br />

Rachsucht und Parteihass die höchste Staatsperson benutzt und in das<br />

Parteigezänke einbezogen, wie sie auch die »fluchwürdige That« in<br />

ihrer Denunziationswut gegen die Katholiken benutzt hätten. Gleichzeitig<br />

hatte der Redakteur die Kulturkampfgesetze scharf kritisiert<br />

und geschrieben, dass die Verfolgung der deutschen Katholiken bis<br />

zur Loslösung vom Papst gehen solle, damit »sie willenlos zu einer<br />

preußisch-deutschen Secte werden, deren Oberhaupt vielleicht in<br />

Berlin thronen soll [...] das ist das Endziel des Culturkampfes.«<br />

Der Attentatsversuch des Böttchergesellen Kullmann vom 13. Juli<br />

1874 in Bad Kissingen wurde zu einer »ultramontanen Verschwörung«,<br />

einem Komplott der streng päpstlich gesinnten Katholiken<br />

aufgebauscht. Ein zufällig zur Kur anwesender Pfarrer aus Bayern<br />

sollte die Pferde an Bismarcks Wagen aufgehalten und langsame<br />

Fahrt veranlasst haben, um das Attentat glücken zu lassen.<br />

Nach dem Anschlag schrieben einige Liberale in Gammertingen ein<br />

Glückwunschtelegramm an den Fürsten, das sie als »Die reichstreuen<br />

Gammertinger in Hohenzollern« unterzeichneten. An dem<br />

Telegramm hatte der Zoller bereits am 21. Juli Kritik geübt, indem<br />

er den Gammertinger Liberalen vorwarf, allein den reichstreuen Teil<br />

der Gammertinger Einwohnerschaft zu repräsentieren und damit<br />

kirchentreue Katholiken verdächtigen zu wollen. Zugleich erhob der<br />

»Zoller« heftige Vorwürfe: »Was haben denn die liberalen Schreier<br />

besonders für das Reich gethan? ...Ihr habt nicht mehr gethan als die<br />

pechschwarzen Ultramontanen, die ihr verlästert und verleumdet!<br />

Auf den Ultramontanen lastet nicht der kleinste Schatten der<br />

Reichsfeindschaft!« Dies brachte Lehmann im November 1874 eine<br />

Strafe von 30 Talern und dem Verfasser des Artikels, Kaplan Binder,<br />

eine Strafe von 25 Talern ein.


Auch wenn ein Kaufkraftvergleich nach so langer Zeit immer schwer<br />

ist: Eine einfache Schiffspassage im unteren Zwischendeck in die<br />

»Neue Welt« kostete den Auswanderungswilligen jener Zeit beispielsweise<br />

45 Taler. Andererseits ist gesichert, dass die Geistlichkeit die<br />

katholische Presse durch kräftige Mitarbeit und Geldzuwendungen<br />

unterstützt hat, weshalb anzunehmen ist, dass Lehmann auch manch<br />

finanziellen Beistand erhielt.<br />

»Zoller« von der Polizei beschlagnahmt /<br />

Bischöfe abgesetzt oder im Gefängnis<br />

Die Auseinandersetzungen im Kulturkampf führten nicht nur zu Geldstrafen<br />

und Gefängnis gegen den Redakteur, sondern auch zu<br />

Beschlagnahmungen einzelner Ausgaben des »Zoller«. Bei einer Verhandlung<br />

vom 2. Mai 1874 vor dem königlichen Kreisgericht zu<br />

Hechingen versuchte die Staatsanwaltschaft sogar, Lehmann die Befugnis<br />

als Verleger des »Zoller« abzuerkennen.<br />

Darauf ging das Gericht nicht ein, verurteilte ihn aber dazu, nun<br />

endlich alle noch vorhandenen Exemplare des »Zoller« Nummer 25<br />

zu vernichten. Da nicht zweifelsfrei festgestellt werden konnte, auf<br />

welchen Jahrgang sich das Urteil bezog und mittlerweüe beide Ausgaben<br />

zugänglich sind, sollen hier die Artikel der in Frage kommenden<br />

Ausgaben, die jede für sich Anlass zur Konfiskation hätten geben können,<br />

kurz angeführt werden.<br />

Unter dem Titel »Gründungsschwindel und Liberalismus« geht Lehmann<br />

im Leitartikel vom 27. Februar 1873 auf eine Sitzung im<br />

Berliner Abgeordnetenhaus ein, wobei er u.a. den Abgeordneten<br />

Reichsperger zitiert, der die »officiöse Presse« beschuldigte, »überaus<br />

thätig« zu sein, »das niederzuhalten, was dem augenblicklichen<br />

Regierungssystem nicht passt«, und als Beispiel die Zinsen über<br />

800000 Taler aus dem beschlagnahmten Vermögen des ehemaligen<br />

Königs von Hannover zur Bestechung der Presse angibt. Schonungslos<br />

führt Lehmann in dem Artikel an, dass 200 liberale Blätter in<br />

Deutschland bezahlt und bestochen werden, um „zu vertuschen und<br />

zu verschweigen" und nur das darzustellen, »was diejenigen wollen,<br />

welche am Ruder sind«. Lehmann führt ferner ein Zitat an, dass<br />

genauso gut auf viele Staats- und Sozialgefüge der Gegenwart projizierbar<br />

ist: »Der Schwindel, das Bestreben, schnell Geld zu machen,<br />

hat alle Gesellschaftskreise des Staates ergriffen.«<br />

In Nummer 25 des »Zoller« vom 28. Februar 1874 wird ein »Sendschreiben«<br />

der Oberhirten der katholischen Kirche in Preußen an<br />

alle Gläubigen und den „hochwürdigen Klerus" veröffentlicht. Darin<br />

wehren sich die Bischöfe gegen den Kulturkampf, weisen Beschuldigungen<br />

und Verdächtigungen als unbegründet zurück und verkünden,<br />

dass es ihnen eine Gewissenspflicht sei, »einem System [...]<br />

und einer Gesetzgebung, welche die Axt an die Wurzel der katholischen<br />

Kirche legt, unsere Mitwirkung zu versagen.« Den Priestern<br />

raten sie, dass sie bereit sein müssen, nach dem Vorbild des Herrn<br />

»sich selbst zum Opfer zu bringen«. Im abschließenden Gebet für<br />

alle Bischöfe und Priester wird der in Gefangenschaft befindliche<br />

Erzbischof von Gnesen hervorgehoben und eine Liste mit zwölf<br />

Oberhirten aufgeführt.<br />

Mit Kreuzen bei den Namen, als handele es sich um Todesanzeigen.<br />

Mindestens sechs Geistliche dieser Liste waren zu jener Zeit bereits<br />

als Folge der sogenannten Maigesetze für abgesetzt erklärt. 1876<br />

12<br />

waren alle preußischen Bischöfe verhaltet oder ins Ausland geflüch-<br />

tet und viele Geistliche zu harten Geld- oder Gefängnisstrafen verur-<br />

teilt.<br />

Mit den Verurteilungen gegen Lehmann und den »Zoller« ging es in<br />

den nächsten Jahren weiter: Das Jahr 1877 brachte noch zweimal<br />

Verurteilungen zu je drei Wochen Gefängnis. Ende Januar wegen<br />

»wiederholter, öffentlicher Beleidigung des Kreisgerichtsraths Melchers«.<br />

Während der »Wahlumtriebe der Ultramontanen« im Herbst<br />

1876 anlässlich der Landtagswahl soll der liberale Kandidat mit den<br />

»ordinärsten Beschuldigungen belegt« worden sein. Sowie am 14.<br />

Juni wegen »Beleidigung der Regierung und des Präsidenten«, der<br />

sich wegen »fortgesetzter Angriffe seitens der Ultramontanen und<br />

deren Presse« im Zusammenhang mit seiner Rede im Frühjahr des<br />

Jahres an die Bevölkerung Hohenzollerns beschwert und Strafantrag<br />

gegen den »Zoller« gestellt hatte. Außerdem wurde der Verfasser<br />

des Artikels, Pfarrer Marr aus Walbertsweiler, zu 75 Mark Geldstrafe<br />

verurteilt. Wie üblich, mit beiderseitiger Tragung der Kosten. Erschwerend<br />

beim Urteilsmaß hätten hier für Lehmann die vielen<br />

Vorstrafen gewirkt, so die »Hohenzollernschen Blätter«.<br />

Gammertinger Gelangnis besser in Erinnerung als<br />

die neue Hechinger Haftanstalt<br />

Als Weggefährte und Zeitzeuge erinnerte sich Postmeister a.D. Roman<br />

Sauter anlässlich des 100. Geburtstags des Zoller-Redakteurs<br />

am 5. Februar 1927 an Lehmann, der am Biertisch und in gemütlichen<br />

Runden gerne von den alten, sturmbewegten Zeiten erzählt<br />

habe. Einmal hatte Lehmann danach eine Strafe im Gerichtsgefängnis<br />

zu Gammertingen abzubüßen. Der Gefängniswärter sei sehr<br />

wohlwollend gewesen, und für sein leibliches Wohl sei bestens<br />

gesorgt worden. Selten habe er in seinem Leben so gut gegessen und<br />

getrunken, soll Lehmann berichtet haben. Sonntags sei er zum<br />

Gottesdienst geführt worden. In der Ortskirche war ein Platz für ihn<br />

abgetrennt worden. Dort stand Lehmann nun, den Augen aller ausgesetzt,<br />

und hinter ihm pflichtbewusst der Gefängniswärter. Plötzlich<br />

habe sich ein Mann neben ihn in den Verschlag gestellt. Es war der<br />

Vertreter Hohenzollerns im preußischen Abgeordnetenhaus in<br />

Berlin, der Gammertinger Hirschwirt, Bierbrauer und Landwirt<br />

Joseph Justus Schmid.<br />

Im Hechinger Gefängnis kannte man allerdings keine Rücksicht<br />

gegen den Redakteur. Von einer Strafverbüßung muss er mit starker<br />

Bewegung erzählt haben. Als der Neubau des im preußischen Amtsstil<br />

errichteten Gerichtsgebäudes an der Heiligkreuzstraße fertiggestellt<br />

war, standen die Räume vor dem amtlichen Bezug zur Besichtigung<br />

offen. Auch Lehmann ging zur Besichtigung und freute<br />

sich über die lichten Räume und das große Treppenhaus mit den<br />

Bildern und Erlassen zur Übergabe Hohenzollerns an Preußen.<br />

Noch mehr interessierte ihn das Hintergebäude mit dem neuen<br />

Gefängnis. Als er dort durch den Mittelgang ging und die hohen<br />

Zellen sah, soll er einen Seufzer ausgestoßen haben: »Herr, lass<br />

diesen Kelch an mir vorübergehen.« Lehmann wusste, dass schon<br />

wieder ein Verfahren gegen ihn schwebte. Und der Kelch ging nicht<br />

an ihm vorüber. Schon bald musste er sich zum Strafantritt melden<br />

»ich glaube, als erster in diesen Hallen«, wie Sauter vermutete. Die<br />

Haftanstalt, dessen erster »Kunde« vielleicht Michael Lehmann war,


wird noch heute, vornehmlich für Durchgangs- und Untersuchungs-<br />

häftlinge, genutzt.<br />

Diese Haftstrafe im neuen Hechinger Gerichtsgebäude abzusitzen<br />

muss Michael Lehmann schwer gefallen sein. In der Zelle habe er<br />

gesessen, den Kopf in beiden Händen, mit einem Gefühl der Verlassenheit<br />

und Sehnsucht. Die Zeiger der großen Schwarzwalduhr<br />

draußen im Flur seien quälend langsam vorangerückt und erst hier<br />

habe er erfahren, wie lang eine Stunde sein kann. Seine Stimmung<br />

habe sich erst aufgehellt, als er die Genehmigung und das Material<br />

erhielt, sich literarisch zu betätigen und in der Zelle an seinen Jugendbüchern<br />

weiter zu arbeiten.<br />

Nach einer anderen Gefängnisanekdote wollten beide Kinder Vater<br />

Lehmann in der Hechinger Haftanstalt besuchen, wurden aber vom<br />

Register 2003<br />

Bad Imnau im Jahre 1786 S. 1<br />

Bingen, Ein bedeutender Sohn der Gemeinde entdeckt:<br />

P. Johannes Schreck SJ S. 26<br />

Dichtenhausen, Aus der Geschichte Dichtenhausens S. 9<br />

Geiselhart, Thomas, Gründung der Krankenschwesternstation<br />

in Sigmaringen 1877 S. 11<br />

Göggingen, Der Gögginger Kunstmaler<br />

Lorenz Vogel (1846-1902) S. 45<br />

Gruol, Bürgermeister Anton Kohle zum 140. Geburtsjahr .. S. 25<br />

Gruol, Das Rote Haus in Gruol. Zeuge traditioneller<br />

Zimmermannskunst S. 28<br />

Gruol, Flugblätter als Vorbote der Kriegswende (Nov, 1942) S. 7<br />

Haigerloch, 100 Jahre Missionshaus der Weißen Väter .... S. 33<br />

Haigerloch, Wiedereröffnung der ehemaligen Synagoge -<br />

65 Jahre nach dem Pogrom von 1938 (1. Teil) S. 49<br />

Heudorf am Bussen, Die abgegangene Elogius-Kapelle .... S. 24<br />

Hirschfelder, Salomon, Leben und Werk eines Multitalents<br />

aus Hohenzollern (1. Teil) S. 39<br />

Hohenfels, »Gaßner gegen Ganter«.<br />

Eine »Bürgerinitiative« von 1807 S. 44<br />

<strong>Hohenzollerische</strong> <strong>Heimat</strong>. Dr. Burkarth übergab die<br />

Schriftleitung in jüngere Hände S. 6<br />

<strong>Hohenzollerische</strong> <strong>Heimat</strong>, Empfang zum Wechsel<br />

in der Schriftleitung S. 22<br />

<strong>Hohenzollerische</strong> <strong>Heimat</strong>, Durch Register erschlossen .... S. 38<br />

<strong>Hohenzollerische</strong> <strong>Heimat</strong>bücherei, Wechsel in der Leitung . S. 6<br />

Hohenzollern, Übernahme von Patenschaften für<br />

schlesische Städte nach dem 2. Weltkrieg S. 55<br />

Hohenzollernbahn, Weshalb die Hohenzollernbahn<br />

in Dettingen ihren Anfang hat (1. Teil) S. 18<br />

Hohenzollernbahn, Weshalb die Hohenzollernbahn in<br />

Dettingen ihren Anfang hat (Schluss) S. 39<br />

13<br />

Büro schroff abgewiesen. Doch die Töchter Gisela und Stephanie<br />

blieben hartnäckig und gingen zu Gerichtsdirektor August Evelt. Der<br />

war zwar Lehmanns politischer Gegner, respektierte ihn aber auch.<br />

Die weinenden Kinder erweckten wohl auch sein Mitleid, und Evelt<br />

genehmigte den Besuch auf den nächsten Morgen neun Uhr. Frühmorgens<br />

hatte Mutter Lehmann Kalbskoteletts gebraten. Diese sollten<br />

die Kinder zusammen mit Walderdbeeren unter den Röcken versteckt<br />

einschmuggeln. Die Wiedersehensfreude war groß, doch der<br />

Gefängniswärter ließ die Gruppe keinen Augenblick aus den Augen.<br />

Schließlich mahnte er zum Aufbruch. Das Mädchen mit den Koteletts<br />

unter dem Röckchen musste als Erste gehen. Die Andere konnte die<br />

Tüte Erdbeeren noch schnell und heimlich in Vaters Hand auf dem<br />

Rücken legen. »Die Freude des Wiedersehens war sehr getrübt durch<br />

die schönen Koteletten, die ihre Berufung so schnöd verfehlt hatten«,<br />

endet die Anekdote nach Roman Sauter. [Fortsetzung folgt]<br />

König Ferdinand von Rumänien, Zur Beurkundung<br />

der Taufe des späteren Königs S. 23<br />

Lehmann, Karl, Kardinal S. 16<br />

Lehmann, Michael, Ein katholischer Rebell (1. Teil) S. 55<br />

Mors, Karl Prof. Dr., Zum Gedenken S. 47<br />

Ochsenblut, Anmerkungen zum Ochsenblut als<br />

Farbbezeichnung S. 27<br />

Schalksburg, Der Übergang der Herrschaft<br />

Schalksburg von Zollern an Württemberg im Jahre 1403 • • S. 53<br />

Sigmaringen, Die »Sigmaringer« Grablegung Christi S. 29<br />

Sigmaringen, Ein Mahnmal als Hoffnungszeichen und<br />

Stärkung des <strong>Heimat</strong>bewusstseins S. 54<br />

Buchbesprechungen<br />

»Alb-Ansichten« S. 15<br />

Brezel, Gelungen geschlungen S. 31<br />

Der Viererbund, Fasnet in Rottweil, Oberndorf, Elzach<br />

und Überlingen S. 31<br />

Hechingen-Stetten, Erinnerungen von Franz Bausinger .... S. 15<br />

»Hennadäpper« S. 15<br />

»Hilde Sonntagskind«. Ein Leben im 20. Jahrhundert .... S. 48<br />

Kinderreime aus Baden-Württemberg S. 48<br />

Oberschwaben, Verzaubertes Oberschwaben S. 15<br />

Schwäbisch-alemannische Fasnet in alten Bildern S. 59<br />

Sigmaringendorf, Beitrag zur Geschichte eines<br />

hohenzollerischen Bauern-und Industrieortes S. 31<br />

s'menschelet - Schwäbische Geschichten und Gedichte ... S. 15<br />

So semmer hald S. 48<br />

Stationen bewegter Jugendjahre. Erfahrungen in Krieg<br />

und Gefangenschaft 1943-1945 S. 59<br />

»Verstand ons recht« S. 59<br />

Vom Fels zum Meer, Preußen und Südwestdeutschland ... S. 31


Buchbesprechungen<br />

Gudrun Mangold:<br />

Most. Das Buch zu Apfel- und Birnenwein<br />

Der Most ist aus dem Schwäbischen gar nicht wegzudenken. Kein<br />

Wunder, Baden-Württemberg ist der Obstgarten Deutschlands. Na-<br />

hezu die Hälfte der inländischen Obstproduktion kommt aus dem<br />

»Ländle«. Dieses Buch widmet sich in schwungvoller Weise dem<br />

köstlichen und erfrischenden Trunk aus Äpfeln und Birnen. Als be-<br />

liebter Durstlöscher ist der Most auf zahllosen Vespertischen im<br />

Land einfach unverzichtbar. Und noch heute ist er in ländlich ge-<br />

prägten Gegenden der Haustrunk Nummer Eins. Gudrun Mangold<br />

präsentiert auf informative und unterhaltsame Weise alles Wis-<br />

senswerte rund um das frisch-fruchtige Getränk, garniert mit vielen<br />

aktuellen und historischen Bildern. Sie schildert die Bedeutung und<br />

Vorzüge des Mösts, die Traditionen seiner Herstellung und seine<br />

lange Geschichte. Dabei werden auch die wichtigsten alten Apfel-<br />

und Birnensorten vorgestellt, welche die einheimischen Streuobst-<br />

wiesen bevölkern. Über den Mostkrugrand hinaus schweift der<br />

Blick nach Hessen, nach Österreich oder nach Frankreich.<br />

Gudrun Mangold: Most. Das Buch zu Apfel- und Birnenwein.<br />

144 Seiten, Silberburg-Verlag, Tübingen 2003. 155 teils farbige<br />

Abbildungen<br />

EUR 19,90. ISBN 3-87407-557-5.<br />

Ruth Slembek-Aldinger:<br />

Fräuleinwunder. Eine wahre Geschichte aus Schwaben<br />

Der zweite Weltkrieg ist zu Ende, die amerikanischen Soldaten<br />

schwärmen vom deutschen Fräuleinwunder. In ihrem <strong>Heimat</strong>ort<br />

am Fuße der Schwäbischen Alb lernt Bertel einen dieser GIs ken-<br />

nen und lieben. Der holt sie Anfang der Fünfzigerjahre zusammen<br />

mit ihrem gemeinsamen Söhnchen nach Amerika, ins Land der un-<br />

begrenzten Möglichkeiten. Doch das Glück ist nur von kurzer<br />

Dauer. Nach seinem baldigen Tod schlägt sich Bertel als allein-<br />

erziehende Mutter durch. Die Lieben zu Hause lässt sie im Glau-<br />

ben, dass sie im Wohlstand lebe. Fast fünfzig Jahre später kommt<br />

Bertel zurück, um den Haushalt ihrer verstorbenen Mutter aufzu-<br />

lösen, und erinnert sich dabei auf Schritt und Tritt an ihre Kindheit<br />

und Jugend. Unbewusst vergleicht sie die vertraute schwäbische<br />

Welt mit dem Leben, das sie im vermeintlich so freien Amerika<br />

geführt hat. Ein Vergleich, der dazu führt, dass Bertel sich ent-<br />

schließt, zu bleiben und ihren Lebensabend in heimischen Gefil-<br />

den, am Ort ihrer Wurzeln zu verbringen.<br />

Ruth Slembek-Aldinger: Fräuleinwunder. Eine wahre Geschichte<br />

aus Schwaben. Silberburg-Verlag, Tübingen 2003.144 Seiten, EUR<br />

12,90. ISBN 3-87407-559-1-<br />

14<br />

Rolf Kellners<br />

Beitrag zur »Völkerverständigung«<br />

Wenn ein Schwabe auf ein »Nordlicht« trifft, kann es schnell zu<br />

Mißverständnissen oder Irritationen kommen, wenn der Süddeutsche<br />

so schwätzt, wianem dr Schnabl gwaasa isch. Falsche Interpretationen<br />

sind vorprogrammiert. Der Wahlschwabe Rolf Kellner<br />

hat deswegen eine Anleitung zur Verständigung zwischen<br />

Schwaben und Norddeutschen vorgelegt, amüsant zu lesen, da mit<br />

viel Humor gespickt, und keineswegs nur für »Reigschmeckte«<br />

gewinnbringend, (ba)<br />

Rolf Kellner: »Verstand ons recht!«<br />

96 Seiten mit 15 Kapiteln und illustriert mit Zeichnungen von Uli<br />

Gleis. Silberburg-Verlag, Tlibingen. 9-90 Euro. ISBN: 8-87407-553-2.<br />

Friedrich Ströbele<br />

Max der Landstreicher<br />

Der Autor, 1927 geboren und mit drei Geschwistern in einer<br />

katholischen Familie in Riedlingen aufgewachsen, ist Max der<br />

Landstreicher. Im Jahre 1938 zog die Familie von Riedlingen nach<br />

Hechingen um. Von der neuen <strong>Heimat</strong> erfährt der Leser viele<br />

Einzelheiten, auch von besonderen Personen. An seinen Jahren als<br />

Soldat lässt der Verfasser uns teilnehmen, ebenso an seiner Hochzeit<br />

im Mai 1951 mit Käthe. Dieser Ehe entsprossen vier Kinder. Als<br />

Lehrer machte »Max« Karriere und war von Januar 1959 bis zur<br />

Pensionierung Rektor der Werdenberg-Schule in Trochtelfingen,<br />

wo er auch Stadtrat und Pfarrgemeinderat war.<br />

Was brachte nun »Max« dazu, zwei weitere »Leben« als Fasnetsoriginal<br />

und als Landstreicher zu führen? Zur Fasnetszeit tauchte er<br />

im ganzen Land auf und bat um Eintrag in sein Wanderbuch, das er<br />

gleichzeitig in seiner Rolle als »Berber« benötigte. Viel Prominenz<br />

verewigte sich darin, u.a. der damalige Kanzleramtsminister Wolfgang<br />

Schäuble, Ministerpräsident Erwin Teufel, der ehemalige Rottenburger<br />

Bischof Dr. Walter Kasper oder Manfred Rommel, gewesener<br />

OB von Stuttgart. Mit diesen Aktionen wollte der Autor auf die<br />

Menschen aufmerksam machen, die am Rande der Gesellschaft<br />

leben.<br />

In den Schulferien mischte Max sich unter die Landstreicher und<br />

Obdachlosen und erlebte deren Wünsche, Hoffnungen, Nöte am<br />

eigenen Leibe, wenn er mit diesen auf der Straße, unter Brücken<br />

und in Containern lebte, ohne festen Wohnsitz also, ohne die Familie,<br />

ohne Sicherheit und Anerkennung. »Es gestaltete sich zu<br />

einem lebenslangen Auftrag für ihn, sich für die Wohnsitzlosen<br />

einzusetzen, um Verständnis für sie zu werben, Anwalt für sie zu<br />

sein und Hilfe zu mobilisieren«, so der Staatssekretär a.D. Dr.<br />

Lorenz Menz im Vorwort.<br />

Friedrich Ströbele: Max der Landstreicher. Meine Erlebnisse als<br />

Vagabund in Baden-Württemberg. Silberburg-Verlag, Tübingen<br />

2003. 312 Seiten, 19,90 EUR, ISBN 3-87407-546-X. (rfr)


HERBERT RÄDLE<br />

Der Maler Marx Weiß (tätig 1536-1580) -<br />

ein Stilepigone des Meisters von Meßkirch<br />

Der Baiinger Maler Marx Weiß (Lebenszeit ca. 1505-1580) wurde<br />

einst von Walter Hugelshofer mit dem Meister von Meßkirch<br />

gleichgesetzt (1). Hugelshofer stützte seine These in erster Linie<br />

auf Beobachtungen am sogenannten Göldlin-Riß. Dieser, eine<br />

1543 datierte Vorlage für eine Glasscheibe, ist einerseits durch das<br />

Monogramm MW als Werk des Marx Weiß verbürgt, andererseits<br />

weist er in Aufbau, Motiven und Ornamentik sowie im Zeichenstil<br />

unverkennbare Ähnlichkeiten mit Blättern des Meisters von Meßkirch<br />

auf (2). Indessen sind die Qualitätsunterschiede so gravierend,<br />

daß man heute davon ausgeht, daß der Göldlinriß eben<br />

nur von einem weniger begabten Schüler bzw. Stilepigonen des<br />

Meisters von Meßkirch stammen kann (3).<br />

Auch die Kaiphastafel aus dem Pariser Louvre, die wir in Abb. 1<br />

zeigen und die von einigen als Kopie nach dem Meister von Meßkirch<br />

angesehen wird (4), ist durch ihre Signatur als Werk des<br />

Marx Weiß belegt (5). Unsere Abbildungen 1 und 2 erlauben hier<br />

dem Betrachter einen direkten Vergleich. Der Vergleich der beiden<br />

Bilder läßt eine deutliche stilistische Abhängigkeit des »Schülers«<br />

bzw. Stilepigonen Marx Weiß (Kaiphastafel) von seinem »Lehrer«<br />

und Vorbild, dem Meister von Meßkirch (Judaskuß) erkennen.<br />

Was wissen wir von Marx Weiß?<br />

Die frühesten Nachrichten über das Leben des Marx Weiß stammen<br />

aus der 2. Hälfte der 1530er Jahre. Es handelt sich dabei um<br />

Quittungsbelege, die seine Beteiligung an der Ausmalung der Gemächer<br />

Herzog Ulrichs in Stuttgart in den Jahren 1536/38 bezeugen.<br />

Herzog Ulrich ist ja vor allem dadurch weithin bekannt, daß<br />

er 1534/35 die Reformation im Herzogtum Württemberg einführte.<br />

Neben Marx Weiß waren um 1536 auch Heinrich Füllmaurer, Albrecht<br />

Mayer und Hans Schickhardt am Stuttgarter Hof als Maler<br />

beschäftigt.<br />

Um 1540 war dann Marx Weiß wiederum zusammen mit Füllmaurer<br />

und Mayer an einem größeren Auftrag des württembergischen<br />

Hofes beteiligt, dem sogenannten Mömpelgarder Altar, der sich<br />

heute im Kunsthistorischen Museum in Wien (im Depot) befindet<br />

(6). Der Mömpelgarder Altar wurde im Auftrag Graf Georgs von<br />

Württemberg, eines Bruders von Herzog Ulrich, gemalt. Graf Georg<br />

war 1536-1542 in der Grafschaft Mömpelgard (nahe Mühlhausen)<br />

Regent und führte dort mit obrigkeitlichen Zwangsmaßnahmen die<br />

Reformation ein (7).<br />

Das riesige, sechsflüglige Altarwerk mit über 150 einzelnen Darstellungen<br />

aus dem Leben Jesu muß in Mömpelgard in der Kirche<br />

St. Mainboeuf gestanden haben, da die Darstellungen deutsche<br />

Bibelzitate (in schwäbischer Mundart) aufweisen und nur dort<br />

deutsch gepredigt wurde. Werner Fleischhauer hat den Mömpelgarder<br />

Altar, der in der älteren Literatur Barthel Beham, dem Meister<br />

von Meßkirch, der Schule Burgkmairs, Hans Schäufelein und<br />

selbst Dürer zugeschrieben wurde, als ein Werk des genannten<br />

Füllmaurer (und mehrerer Mitarbeiter) erkannt, dem in der fraglichen<br />

Zeit, 1539/40, für eine nicht näher bezeichnete, im Auftrag<br />

des Grafen Georg von Mömpelgard ausgeführte Arbeit ein erheblicher<br />

Geldbetrag ausbezahlt wurde. Fleischhauer glaubt, neben<br />

15<br />

Füllmaurer drei weitere »Hände« unterscheiden zu können, in denen<br />

er die Maler Albrecht Mayer, Marx Weiß und einen Schüler<br />

Schäufeleins vermutet (8).<br />

Marx Weiß ist in den 1550er Jahren dann wieder als Maler der<br />

Fresken im Chor des Markus-Münsters in Reichenau/Mittelzell<br />

(datiert 1555) nachgewiesen, ebenso als Meister der Ausmalungen<br />

am Gewölbe des Mittelschiffs und des Chorbogens im Münster zu<br />

Überlingen (1560) (9).<br />

Im Überlinger Münster wirkte dann, wie eine bei Hecht abgebildete<br />

Urkunde zeigt (10), auch bereits sein Sohn Andreas Christoffel<br />

Weiß mit. Und Andreas Christoffel Weiß ist wohl auch der Maler<br />

des Flügelaltars des Johann Michael Gremiich von Jungingen und<br />

seiner Frau Margarete, geborene Freiin von Enzberg. Der Gremlich-Altar<br />

wurde um 1620 gemalt und befindet sich heute in den<br />

Donaueschinger Sammlungen (11).<br />

Anmerkungen<br />

(1) W. Hugelshofer, Schweizer Handzeichnungen des 15- und<br />

16. Jahrhundert, Freiburg/Brsg. 1928<br />

(2) Vgl. M. Kopplin, in: Die Renaissance, Ausstellungskatalog<br />

des Bad. Landesmus. Karlsruhe 1986, S. 328f.; 331.<br />

(3) Vgl. Kopplin, wie Anm. 2, S. 331f.<br />

(4) Vgl. J. Lauts, in: Katalog Alte Meister der Staatlichen Kunsthalle<br />

Karlsruhe, Textband, Karlsruhe 1966, S. 191, Nr. 98<br />

(5) Vgl. J. Hecht, in: Hohenz. Jahreshefte 7,1940, S. 73<br />

(6) Zum Mömpelgarder Altar insbesondere M. Kopplin, in: Die<br />

Renaissance (wie Anm. 2), S. 182ff.<br />

(7) Die württembergische Grafschaft Mömpelgard wurde 1535<br />

reformiert. Mömpelgard war bis 1723 mehrfach von sogenannten<br />

Sekundogenituren des Hauses Württemberg regiert<br />

und wurde 172 3 in Personalunion mit dem Herzogtum verbunden.<br />

1793 kam dieser linksrheinisch gelegene Besitz<br />

Württembergs an Frankreich.<br />

(8) Dasselbe gilt für eine zweite Fassung des Mömpelgarder Altars,<br />

die sich heute im Schloßmuseum Gotha befindet. Vgl.<br />

W. Fleischhauer, Die Renaissance im Herzogtum Württemberg,<br />

Stuttgart 1971, S. 156-159<br />

(9) Vgl. C. Grimm und B. Konrad, Die Fürstenbergsammlungen<br />

Donaueschingen, München 1990, S. 2l4f.<br />

(10) J. Hecht, wie Anm. 5, S. 72f., mit Abb. 10<br />

(11) Vgl. C. Grimm, wie Anm. 9, S. 248ff. Die adelige Familie der<br />

Gremiich stellte übrigens ebenso Äbtissinnen im Kloster<br />

Heiligkreuztal wie die Familie der mit den Gremlich verschwägerten<br />

Enzberg. So gab es drei Heiligkreuztaler Äbtissinnen<br />

namens Anna von Gremlich (in der Zeit zwischen<br />

1444 und 1521). Eine Veronika von Enzberg ist 1567/68 in<br />

Heiligkreuztal als Äbtissin belegt. Das Schloß der heute<br />

noch dort ansässigen Freiherren von Enzberg in Mühlheim<br />

an der Donau erhebt sich in der NW-Ecke der Stadt, am Platz<br />

der alten Burg. Der dreigeschossige Rechteckbau des sog.<br />

Hinteren Schlosses (mit hohem Walmdach) wurde 1751<br />

nach Plänen des Deutschordensbaumeisters Giovanni Bagnato<br />

umgebaut.


Verlag: <strong>Hohenzollerische</strong>r <strong>Geschichtsverein</strong><br />

Karlstraße 3, 72488 Sigmaringen<br />

E 3828<br />

PVSt, DPAG, »Entgelt bezahlt«<br />

Abb. 1: Kaiphastafel, des Marx Weiß, 1540-45, Paris, Louvre (Ausschnitt). Abb. 2: Der Judaskuß. Wildensteiner Altar des Meisters von Meßkirch,<br />

Ein Soldat ßhrt Jesus vor den Hohenpriester. Die Kaiphastafel zeigt ¡536, Fiirstenbergsammlungen Donaueschingen. Bildnachweis: wie Abb<br />

stilistisch deutliche Anklänge an Werke des Meisters von Meßkirch.<br />

Vgl. etwa Abb. 2! Bildnachweis: C. Grimm undB. Konrad, Die Fiirstenbergsammlungen<br />

Donaueschingen, München, Prestel, 1990, S. 91<br />

HOHENZOLLERISCHER HEIMAT<br />

herausgegeben vom <strong>Hohenzollerische</strong>n<br />

<strong>Geschichtsverein</strong>, Postfach 1638,<br />

72486 Sigmaringen<br />

ISSN 0018-3253<br />

Erscheint vierteljährlich.<br />

Die Zeitschrift »<strong>Hohenzollerische</strong> <strong>Heimat</strong>« ist<br />

eine heimatkundliche Zeitschrift. Sie will besonders<br />

die Bevölkerung im alten Land Hohenzollern<br />

und den angrenzenden Landesteilen mit<br />

der Geschichte ihrer <strong>Heimat</strong> vertraut machen.<br />

Sie bringt neben fachhistorischen auch populär<br />

gehaltene Beiträge.<br />

Bezugspreis:<br />

Für Mitglieder des <strong>Hohenzollerische</strong>n <strong>Geschichtsverein</strong>s<br />

ist der Bezugspreis im Beitrag<br />

enthalten. Bezugspreis für Nichtmitglieder<br />

€ 7,-. Abonnements und Einzelnummern können<br />

beim <strong>Hohenzollerische</strong>n <strong>Geschichtsverein</strong><br />

(s. 0.) bestellt werden.<br />

Die Autoren dieser Nummer:<br />

Gerd Bantle<br />

Hedinger Straße 5, 72488 Sigmaringen<br />

Willy Beyer<br />

Kaufhausstraße 5, 72379 Hechingen<br />

Otto Bogenschütz<br />

Silberburgstraße 4, 72379 Hechingen<br />

Robert Frank<br />

Fliederstraße 8,<br />

72401 Haigerloch-Weildorf<br />

Dr Herbert Rädle<br />

Veit-Jung-Straße 13 a, 92318 Neumarkt<br />

Josef Schneider<br />

Heiligkreuzstraße 16,<br />

72401 Haigerloch-Gruol<br />

Herbert Zander<br />

Fichtenwaldstraße 23,<br />

72160 Horb-Dettensee<br />

16<br />

Gesamtherstellung:<br />

Druckerei Acker GmbH,<br />

Mittelberg 6, 72501 Gammertingen<br />

Telefon (07574) 9301-0,Fax9301-30<br />

info@ druckerei-acker. de<br />

www.druckerei-acker.de<br />

Schriftleitung:<br />

Robert Frank<br />

Fliederstraße,8, 72401 Haigerloch-Weildorf<br />

Tel.: 07474/2161<br />

Die mit Namen versehenen Artikel geben die<br />

persönliche Meinung der Verfasser wieder;<br />

diese zeichnen für den Inhalt der Beiträge verantwortlich.<br />

Mitteilungen der Schriftleitung sind<br />

als solche gekennzeichnet.<br />

Manuskripte und Besprechungsexemplare werden<br />

an die Adresse des Schriftleiters erbeten,<br />

Wir bitten unsere Leser, die »<strong>Hohenzollerische</strong><br />

<strong>Heimat</strong>« weiterzuempfehlen.


<strong>Hohenzollerische</strong> <strong>Heimat</strong><br />

Vorlage: Staatsarchiv Sigmaringen Ho 86 T1 Nr 447, Foto: Hauptstaatsarchiv Stuttgart<br />

CORINNA KNOBLOCH<br />

Herausgegeben vom<br />

54. Jahrgang<br />

Alte Karte der Herrschaft Achberg entdeckt<br />

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam es wiederholt zu Grenzstreitigkeiten<br />

zwischen dem Fürstentum Hohenzollern-Sigmaringen<br />

und den angrenzenden Staaten. So gab es unter anderem immer wieder<br />

neue Diskussionen über den Verlauf der Landesgrenze zwischen<br />

dem Obervogteiamt Achberg, das durch die Rheinbundakte 1806 Hohenzollern-Sigmaringen<br />

zugeteilt worden war, und dem königlich<br />

bayerischen Landgerichtsbezirk Lindau.<br />

Ein Beispiel liefert eine im Staatsarchiv Sigmaringen verwahrte Akte<br />

der Fürstlichen Landesregierung Sigmaringen, die vor kurzem im<br />

Rahmen der Neuverzeichnung des Bestands erschlossen wurde. Die<br />

Landesgrenzbereinigung zog sich in diesem Fall von 1816 bis 1845,<br />

also über fast 30 Jahre, hin. Häufig stellte sich dabei lediglich die<br />

Frage nach der genauen Setzung einzelner Grenzsteine und Marken.<br />

Um Veränderungen zu dokumentieren oder eigene Ansprüche zu un-<br />

<strong>Hohenzollerische</strong>n <strong>Geschichtsverein</strong><br />

Nr. 2-Juni 2004 E 3828<br />

termauern, bedienten sich beide Seiten auch der Hilfe von Karten, in<br />

denen der jeweilige Grenzverlauf eingezeichnet wurde. Um das Jahr<br />

1826 verwendeten die beiden Parteien hierzu auch die wohl originalgetreue<br />

Kopie einer weitaus älteren Karte.<br />

Die gesüdete Karte mit der Aufschrift »Von der Alten Sirggenstainischen<br />

Mappa accurat abgezogen« enthält detaillierte Darstellungen<br />

der Dörfer und Weiler Achberg, Bahlings, Baindt, Buflings, Dobeiratsweiler,<br />

Duznau, Englitz, Esseratsweiler, Flunau, Gunderatweiler,<br />

Isigatweiler, Liebenweiler, Pechtensweiler, Regnitz und Siberatsweiler.<br />

Auch einige Besonderheiten, beispielsweise der Bildstock bei Baindt<br />

und der Galgen bei Esseratsweiler, wurden von dem Zeichner aufgenommen.<br />

Das Original muss zwischen 1530 und 1691 entstanden sein. In<br />

dieser Zeit lag die Herrschaft Achberg in der Hand der Sürgensteiner.<br />

1691 musste Franz Johann Ferdinand von Sürgenstein die Herrschaft<br />

an den in Altshausen sitzenden Deutschordens-Landkomtur Franz<br />

Benedikt Freiherr von Baden verkaufen. 1<br />

Aufgrund der sehr detaillierten und kolorierten Darstellung dürfte die


Karte einen nicht unerheblichen Beitrag bei künftigen Forschungen<br />

über die Herrschaft Achberg leisten.<br />

Hinweise auf den Zeichner und das Jahr der vermutlich schon vor<br />

dem 19- Jahrhundert erfolgten Kopie sind weder der Karte noch der<br />

Akte, der sie beigegeben war, zu entnehmen.<br />

Die Karte befindet sich im Staatsarchiv Sigmaringen im Bestand<br />

»Fürstliche Landesregierung Sigmaringen« unter der Signatur Ho 86<br />

OTTO H. BECKER<br />

Mitgliederversammlung des Hohenzolle-<br />

rischen <strong>Geschichtsverein</strong>s 2004<br />

Die Jahresversammlung des <strong>Hohenzollerische</strong>n <strong>Geschichtsverein</strong>s<br />

e.V. fand am 18. Mai 2004 turnusmäßig im »Museum« in Hechingen<br />

statt. Nach der Begrüßung der anwesenden Mitglieder und der Verlesung<br />

der Totentafel würdigte der Vorsitzende Dr. Otto Becker die<br />

Verdienste des kürzlich verstorbenen Vereinsmitglieds Walter Kempe,<br />

Apotheker i.R., um die Erforschung der Geschichte der Gemeinde<br />

Ostrach und ihrer Teilorte.<br />

In seinem Tätigkeitsbericht ging Dr. Becker vor allem auf den im<br />

Frühjahr vom Verein herausgegebenen Doppelband der Zeitschrift<br />

für <strong>Hohenzollerische</strong> Geschichte 2002/03 ein. Mit seinen 755 Seiten<br />

ist der Band nicht nur der umfangreichste in der ganzen Reihe. Nach<br />

der Auffassung des Vorsitzenden wurden bei diesem Doppelband<br />

auch hinsichtlich der Qualität der einzelnen Beiträge und der Vielfalt<br />

der behandelten Themen neue Maßstäbe gesetzt.<br />

Der Doppelband 2002/03 wurde übrigens nicht mehr von Frau Liebhaber<br />

vom Sekretariat, sondern von der Firma Kohlhammer und<br />

Wallishauser verschickt. Für das Einholen von Angeboten und für die<br />

Verhandlungen mit Dienstleistern mussten der Schatzmeister und<br />

der Vorsitzende viel Zeit und Geduld aufwenden.<br />

Der Doppelband 2002/03 muss, was den Umfang anbelangt, vornehmlich<br />

aus Kostengründen ein Einzelfall bleiben. Der Jahresband<br />

2004, der zur Zeit in Bearbeitung ist, wird diesbezüglich bescheidener<br />

ausfallen. Die <strong>Hohenzollerische</strong> <strong>Heimat</strong> konnte jeweils fristgerecht<br />

zu Quartalsende ausgeliefert werden.<br />

Im Berichtsjahr konnten wiederum eine Reihe von attraktiven Veranstaltungen<br />

angeboten werden. Am 14. Oktober 2003 fand in<br />

Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv Hechingen im Alten Schloss in<br />

Hechingen das Event »Die <strong>Hohenzollerische</strong> Hochzeit im Jahr 1598«<br />

statt, das auf eine sehr gute Resonanz gestoßen ist.<br />

Großen Zuspruchs konnte sich auch die Präsentation »Festakt und<br />

Vortragsveranstaltungen: Der Übergang der Herrschaft Schalksburg«<br />

erfreuen, die am 24. Oktober in Balingen und am 25. Oktober 2003<br />

im Stauffenbergschloss in Albstadt-Lautlingen stattfand. Träger waren<br />

neben dem Landratsamt Zollernalbkreis die Städte Albstadt und<br />

Bahngen, der <strong>Hohenzollerische</strong> <strong>Geschichtsverein</strong> und die <strong>Heimat</strong>kundliche<br />

Vereinigung Balingen.<br />

Unter der Leitung von Dr. Becker fand am 7. November in Zusammenarbeit<br />

von Staatsarchiv, Hohenzollerichem <strong>Geschichtsverein</strong> und<br />

Verein für Familien- und Wappenkunde in Württemberg und Baden<br />

in Sigmaringen eine Einführung in die Wappenkunde statt.<br />

18<br />

T 1 Nr. 447 und hegt mittlerweile auch als Makrofiche vor.<br />

Irene Pill-Rademacher: Die Geschichte von Schloß und Herrschaft<br />

Achberg im Zeitraffer. In: Pill-Rademacher (Hrsg.): Schloß<br />

Achberg. Annäherung an ein barockes Kleinod Oberschwabens.<br />

1999- S. 29-48.<br />

Am 18. März 2004 hielt Dr. Frank Raberg, Neresheim, in Sigmaringen<br />

den sehr fundierten Vortrag über den Sigmaringer Bürgermeister<br />

Egon Müller (1885-1949) als Landespolitiker im Kampf um den<br />

Südweststaat.<br />

Auf den in Kooperation mit dem Kreisarchiv Balingen am 21. Juni<br />

2004 im Alten Schloss in Hechingen veranstalteten Vortrag von Dr.<br />

Zekorn mit dem Titel »Das Grosselfinger Narrengericht« wurde auf<br />

der Mitgliederversammlung hingewiesen.<br />

Der <strong>Geschichtsverein</strong> hat ferner die von Casimir Bumiller und Helmut<br />

Göggel bearbeiteten Register zur <strong>Hohenzollerische</strong>n <strong>Heimat</strong> von<br />

1951 bis 2000 herausgegeben. Die angebotenen Disketten und Ausdrucke<br />

dieser Register haben bisher einen guten Absatz gefunden.<br />

Herrn Dr. Zekorn wurde für die Redaktionsarbeit bei der Herausgabe<br />

des wichtigen Findmittels gedankt.<br />

Im Berichtszeitraum tagten Vorstand und Beirat gemeinsam am 27.<br />

November 2003 und am 5. Februar 2004 jeweils im »Kreuz« in Gammertingen.<br />

An der Verleihung der Ehrenbürgerwürde der Stadt Gammertingen<br />

am 14. Februar 2004 an das Ehrenmitglied und Beiratsmitglied des<br />

<strong>Geschichtsverein</strong>s, Herrn Dr. med. Herbert Burkarth, nahmen der<br />

Vorsitzende Dr. Becker, der stellvertretende Vorsitzende Werner, der<br />

Schatzmeister Dopfer und Herr Bogenschütz teil. Kreisarchivar Dr.<br />

Weber hielt die Laudatio. - Als Vertreter des <strong>Geschichtsverein</strong>s war<br />

der Vorsitzende bei der Beerdigung von Herrn Kempe in Ostrach<br />

zugegen.<br />

Die Sorgen um den Weiterbestand des Staatsarchivs Sigmaringen<br />

haben sich verflüchtigt; die Sorgen um den Mitgliederstand des<br />

<strong>Geschichtsverein</strong>s sind jedoch weiterhin virulent. Zunehmend bekunden<br />

Mitglieder, dem <strong>Hohenzollerische</strong>n <strong>Geschichtsverein</strong> aus<br />

wirtschaftlichen Gründen den Rücken kehren zu müssen.<br />

Um weitere Mitgliederverluste zu vermeiden, muss das Vereinsangebot<br />

verbessert werden. Auch die Zeitschrift für <strong>Hohenzollerische</strong><br />

Geschichte muss in Zukunft regelmäßig erscheinen.<br />

Nach den Sommerferien wird das Event »Die <strong>Hohenzollerische</strong><br />

Hochzeit im Jahr 1598« in der Portugiesischen Galerie im Schloss in<br />

Sigmaringen wiederholt. Schatzmeister Dopfer wird eine Studienfahrt<br />

zu Werken des Bildhauers Prof. Henselmann durchführen. Das<br />

Jahr 2005 wird unter dem Motto »Römer in Hohenzollern« stehen.<br />

Außerdem soll das Stadtjubiläum von Hechingen thematisiert werden.<br />

In seinem Tätigkeitsbericht konnte Schatzmeister Hans Joachim<br />

Dopfer eine positive Bilanz zum Jahresende 2003 vorlegen. Nach<br />

Bestätigung seiner einwandfreien Rechnungsführung durch die


Mitteilungen<br />

aus dem<br />

<strong>Hohenzollerische</strong>n<br />

<strong>Geschichtsverein</strong><br />

Veranstaltung im 2. Quartal 2004<br />

Ausstellung Schwabenspiegel-Begleitprogramm<br />

Das Grosselfinger Narrengericht<br />

Vortrag von Dr. Andreas Zekorn, Kreisarchiv Zollernalbkreis, in<br />

Kooperation mit dem <strong>Hohenzollerische</strong>n <strong>Geschichtsverein</strong> und<br />

dem Stadtarchiv Hechingen.<br />

Am Montag 21. Juni 2004 findet um 20 Uhr im Alten Schloss<br />

Hechingen (Schloßplatz, Hechingen) im Rahmen des Begleitprogramms<br />

zur Ausstellung »Schwabenspiegel« ein Vortrag von<br />

Dr. Andreas Zekorn, Kreisarchiv Zollernalbkreis, zum »Grosselfinger<br />

Narrengericht« statt. Der Vortrag wird vom Landratsamt in<br />

Kooperation mit dem <strong>Hohenzollerische</strong>n <strong>Geschichtsverein</strong> und<br />

dem Stadtarchiv Hechingen veranstaltet.<br />

Das Narrengericht ist ein einmaliges »Volksschauspiel«, das teilweise<br />

improvisiert und von Laien getragen wird. Die Wurzeln des<br />

Narrengerichts dürften im 16. Jahrhundert hegen. Mit Filmausschnitten,<br />

die Michael Seifer, Haigerloch-Owingen zur Verfügung<br />

stellte, wird zunächst der aktuelle Ablauf des Narrengerichts<br />

vergegenwärtigt und zugleich verdeutlicht, dass das Narrengericht<br />

eine lebendige Spieltradition besitzt, welche die Jahrhunderte<br />

über nicht unverändert blieb. Andererseits bewahrte es<br />

zahlreiche Elemente aus früheren Zeiten, was heute oft nicht<br />

mehr bewusst ist. Das Narrengericht spiegelt vielfach auf »närrische«<br />

Weise die vergangene, reale Welt des 17. und 18. Jahrhunderts.<br />

Dies beginnt bei der Verlesung der »Landesordnung«<br />

und reicht über die Ämterbesetzung, bei der früher beim Narrengericht<br />

auch scherzhafte Ämter, wie z.B. die »Wanzenpfleger«<br />

besetzt wurden, bis hin zur Gerichtsverhandlung selbst.<br />

Abschließend wird das Narrengericht interpretiert, und es werden<br />

seine Funktionen aufgezeigt. Das Narrengericht diente der<br />

Rüge und der sozialen Kontrolle. Es leistete damit einen Beitrag,<br />

die dörfliche Ordnung aufrecht zu erhalten, insbesondere auch<br />

hinsichtlich der Beziehungen der beiden Geschlechter zueinander.<br />

Mit dieser Aufgabe stand das »Narrengericht« nicht allein.<br />

Vergleichbares lässt sich beispielsweise bereits im 12. Jahrhundert<br />

bei den »Narrenabteien« in Frankreich finden. Unverheiratete<br />

Männer übten bei diesen »Abteien« eine närrische Gerichtsbarkeit<br />

im Dorf aus, um Missstände anzuprangern und die dörf-<br />

19<br />

liche Ordnung zu bewahren. Vor diesem Hintergrund treten die<br />

Stellung und Bedeutung des »Grosselfinger Narrengerichts« klarer<br />

zutage.<br />

Insgesamt sollen in dem Vortrag die unterschiedlichen historischen<br />

Bezüge und Funktionen des Narrengerichts verdeutlich<br />

werden.<br />

Hinweis auf die Ausstellung:<br />

Schwabenspiegel. Literatur vom Neckar bis zum<br />

Bodensee 1000 - 1800.10. Juni bis 29- August 2004<br />

Zehntscheuer, Neue Str. 69, Balingen<br />

Öffnungszeiten: Di - So, Feiertage 14-17 Uhr; Eintritt frei<br />

Information: Kreisarchiv Zollernalbkreis, Landratsamt,<br />

sowie Stadtarchive Albstadt, Bahngen und<br />

Hechingen<br />

Veranstaltung im 3. Quartal 2004<br />

Jakob Frischlin und die HohenzöUerische Hochzeit im Jahr<br />

1598<br />

Vortrag und Spektakel mit Dr. Casimir Bumiller und Peter<br />

Haug-Lamersdorf.<br />

Mittwoch, 15. September, um 19-30 Uhr in der Portugiesischen<br />

Galerie im Schloss Sigmaringen<br />

Vorschau<br />

Im 4. Quartal 2004 wird unter der Leitung von Herrn Hans<br />

Joachim Dopfer, Schatzmeister des <strong>Hohenzollerische</strong>n <strong>Geschichtsverein</strong>s,<br />

eine Studienfahrt zu Werken des aus Sigmaringen-Laiz<br />

stammenden und in München schaffenden Bildhauers<br />

Prof. Josef Henselmann vornehmlich im Landkreis Biberach stattfinden.<br />

Herr Dopfer ist ein sehr guter Kenner des künstlerischen<br />

Schaffens von Prof. Henselmann und seiner Gemahlin, der Malerin<br />

Marianne Henselmann, und betreut auch das Kunstmuseum<br />

Laiz mit Werken der beiden Künstler.<br />

Nähere Angaben entnehmen Sie bitte den »Mitteilungen« zum<br />

4. Quartal.<br />

gez. Dr. Otto Becker<br />

Vorsitzender


Rechnungsprüfer Füßler und Wenzel wurden der Schatzmeister und<br />

dann auch der gesamte Vorstand einstimmig bei Enthaltung der Betroffenen<br />

entlastet.<br />

Nach der Entlastung dankte der Vorsitzende allen Vorstands- und<br />

Beiratsmitgliedern für ihre Mitarbeit. Seinen besonderen Dank<br />

sprach er dem stellvertretenden Vorsitzenden Werner, Schatzmeister<br />

Dopfer, Schriftführer Göggel, den Rechnungsprüfern Füßler und<br />

Wenzel sowie dem Mitschriftleiter der Zeitschrift für <strong>Hohenzollerische</strong><br />

Geschichte Dr. Zekorn und dem Schriftleiter der <strong>Hohenzollerische</strong>n<br />

<strong>Heimat</strong> Frank aus. Gedankt wurde ferner Stadtarchivar<br />

Jauch für die Vorbereitung der Mitgliederversammlung im Konstantinsaal<br />

des »Museums« in Hechingen.<br />

FERDINAND PFANNSTIEL<br />

Die bronzezeitliche Besiedlung<br />

des Oberen Laucherttals<br />

Bronzezeithehe Siedlungen waren lange Zeit auf der Schwäbischen<br />

Alb nahezu unbekannt. Durch meine intensive Geländetätigkeit<br />

konnte hier eine Lücke im Kenntnisstand stärker geschlossen werden.<br />

Eine kleine Auswahl des gesammelten Materials aus dem<br />

Oberen Laucherttal möchte ich in diesem Aufsatz vorstellen.<br />

Seit 18 Jahren beschäftige ich mich mit den bronze- und urnenfelderzeitlichen<br />

Siedlungen des Oberen Laucherttals. So wuchsen<br />

meine Sammlung und auch die Zahl der Fundstellen. Zwar kannte<br />

man vom Ende des 19- und aus dem Anfang des 20. Jahrhunderts<br />

zahlreiche mittelbronzezeitliche Grabhügel mit Beigaben, die zugehörigen<br />

Siedlungen fehlten aber. Diese bestehende Kenntnislücke im<br />

Kleinraum des Oberen Laucherttals konnte ich stärker schließen.<br />

Abb. 1: Hinter der »Enge« das 2,5 km entfernte Melchingen.<br />

Warum siedelten die Bronzezeitleute<br />

auf den »Linsenäckern«?<br />

Besonders fesselte mich die Frage, warum gerade auf den Melchinger<br />

»Linsenäckern« (Stadt Burladingen) eine größere bronzezeitliche<br />

Siedlung entstand (Abb. 1). Es lassen sich gleich mehrere<br />

Faktoren nennen, welche eine vorgeschichtliche Nutzung des Geländes<br />

durch den Menschen bewirkt haben:<br />

Die Lage zwischen den Erhebungen der kuppenreichen Hochfläche<br />

gewährte einen gewissen Sicht- und Wetterschutz gegen Norden,<br />

Osten und Südosten (Abb. 2).<br />

20<br />

Auf Vorschlag von Vorstand und Beirat wählte die Mitgliederversammlung<br />

sodann Studiendirektor a.D. Alf Müller, der fast 37 Jahre<br />

die <strong>Hohenzollerische</strong> <strong>Heimat</strong>bücherei geleitet hat und in dieser<br />

Funktion auch Mitglied des Vorstands bzw. Beirats des <strong>Geschichtsverein</strong>s<br />

war, für seine Verdienste um die Erforschung der hohenzollerischen<br />

Geschichte und Landeskunde und um den Verein einstimmig<br />

zum Ehrenmitglied. Sichtlich gerührt bedankte sich der Geehrte<br />

für die Auszeichnung.<br />

Im Anschluss an die harmonische Mitgliederversammlung erläuterte<br />

und bewertete Archivdirektor Dr. Volker Trugenberger in einem öffentlichen<br />

Vortrag die Geschichte der evangelischen Kirche in Hohenzollern<br />

seit der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zu ihrer Eingliederung<br />

in die württembergische Landeskirche im Jahr 1950.<br />

Abb. 2: Die Siedlung »Linsenäcker« liegt oberhalb der sogenannten<br />

»Enge«, eingeschlossen von Burg- und Buchhalde.<br />

Hier schirmten Burg- oder Buchhalde und der Hasenberg die Siedlungen<br />

gut ab, wogegen die Sonneneinstrahlung von Süden ungehindert<br />

erfolgte. Offener ist dann aber das Gelände nach Westen<br />

und Nordwesten zum Heufeld. Dort führte die Römerstraße wenige<br />

100 m entfernt am Käpfle vorbei von Ringingen nach Melchingen<br />

und vermutlich bereits ein vorgeschichtlicher Weg. Die Siedler<br />

könnten aber auch Lauchert aufwärts vorgedrungen sein, worauf<br />

die Erpfinger Fundstellen hindeuten (Abb. 15).<br />

Nach Reim waren die steinigen Lehmböden der Albhochfläche wegen<br />

ihres Kalkgehalts hinreichend fruchtbar, um schon früh Menschen<br />

in unserer Region sesshaft werden zu lassen. Gegenüber dem<br />

Vorland vernässten die wasserdurchlässigen Kalkverwitterungsböden<br />

der Alb nicht. Auch unter diesem Aspekt erwiesen sie sich als<br />

siedlungsgünstig und konnten ackerbaulich genutzt werden.<br />

Zudem hatte sich bis zum Beginn der Bronzezeit Eichenmischwald<br />

auf der Schwäbischen Alb gebildet, der für die Viehhaltung geeignet<br />

war, weil er das Wachsen einer Kraut- und Strauchschicht ermöglichte.<br />

So ergab sich eine vorzügliche Waldweide. Die Nähe<br />

zum Hochtal der Lauchert und deren Zuflüssen versprach außerdem<br />

günstige Jagdbedingungen.<br />

Weiterhin dürfte die Wasserversorgung auf den »Linsenäckern«<br />

damals unproblematisch gewesen sein, denn das Klima war in der<br />

mittleren Bronzezeit wärmer und feuchter als heute. Das Wasser<br />

des Ringinger Baches diente dem Tränken des Viehs, der Reinigung,<br />

Bewässerung usw.. Trinkwasser holte man sicher vom 300 m<br />

südlich gelegenen »Haubrunnen«, der selbst im trockenen Sommer<br />

2003 nicht versiegte. Auch die »Woogquelle«, 600 m Bach abwärts,<br />

dürfte zur Wasserversorgung beigetragen haben. Sie trocknet<br />

aber heute in regenarmen Sommern aus.


Wie kam es zur Entdeckung der Fundstelle?<br />

1985/86 wurden im Rahmen der Flurbereinigung Feldwege angelegt.<br />

Die intensive Beobachtung dieser Baumaßnahmen ergab<br />

deutliche Hinweise auf eine vorgeschichtliche Besiedlung der »Linsenäcker«.<br />

In den nachfolgenden Jahren beging ich die Ackerflächen<br />

kontinuierlich. Die aufgesammelten Scherben veranschaulichten<br />

bald, dass es sich um einen wichtigen Siedlungsplatz handeln<br />

musste.<br />

Die bronzezeitlichen Funde<br />

Die Bronzezeit dauerte in Württemberg von 2300 bis 1200 v.Chr..<br />

Sie lässt sich noch weiter unterteilen in Frühbronzezeit, Mittlere<br />

Bronzezeit und Späte Bronzezeit.<br />

Waagrechte, mit Fingertupfen verzierte Leisten (Abb. 3),<br />

wie sie in dieser Fundstelle vorkommen, sind ein häufiges Zierelement<br />

grober handgefertigter bronzezeitlicher Töpfe.<br />

Abb. 3: Waagrechte Rupfenleisten kennzeichnen öfter bronzezeitliche<br />

Töpfe. Sie können mit Knubben kombiniert sein.<br />

Den Archäologen ist es auf Grund des Vorhandenseins bestimmter<br />

Ziermuster und anderer Kriterien möglich festzustellen, ab wann<br />

eine Siedlung bestand, ihren Höhepunkt hatte, aufhörte usw.<br />

Folgende Gefäßverzierungen wurden auf den Melchinger »Linsenäckern«<br />

gefunden (Abb. 4-7): Doppelhalbkreisstempel,<br />

kleine linear angeordnete senkrechte Einstiche, flächendeckende<br />

Zylinderstempel, senkrechte Einstiche zwischen<br />

Ritzlinien und Kerbschnitt.<br />

Abb. 4: Doppelhalbkreisstempel<br />

Abb. 6: Senkrechte Einstiche zwischen Ritzlinien<br />

Abb. 7: Echter Kerbschnitt, mit messerartigem Gerät eingeschnitten<br />

Zur Spätbronzezeit gehören die kleinen Rauten- und Dreiecksstempel,<br />

ein X-Henkel mit randparallelen Ritzlinien und lange<br />

strichgefüllte Dreiecke (Abb. 8-9).<br />

Die folgende Abbildung 5 zeigt kleine linear angeordnete senkrechte<br />

Einstiche und flächendeckende Zylinderstempel Abb. 8: kleine Rauten- und Dreiecksstempel<br />

21


Abb. 9: X-Henkel und lange strichgeßillte Dreiecke<br />

Die vorliegenden Ziermotive zeigen, dass die Siedlung »Linsenäcker«<br />

vom Ende der frühen bis in die späte Bronzezeit bewohnt<br />

war (1500-1200 v. Chr.) Die stärkste Besiedlungsphase weist<br />

dabei die Mittelbronzezeit auf<br />

Die beiden Bronzegegenstände (Abb. 10) kann man nur schwer<br />

mit einem bestimmten Kulturabschnitt verbinden. Am ehesten gelingt<br />

dies noch für die Nähnadel (sog. Geschlitzte Nadel), die am<br />

Grunde einer sehr tiefen Ackerfurche zusammen mit feinem spätbronzezeitlichem<br />

Kerbschnitt entdeckt wurde. Die damals noch<br />

ungestörte Schicht legt nahe, dass die Nadel zum selben Zeitab<br />

schnitt gehört. Die Pfeilspitze mit Tülle und seitlichem<br />

Widerhaken kann mittelbronze- oder urnenfelderzeitlich sein.<br />

Abb. 10<br />

|<br />

Kulturbeziehungen nach Süden und Osten<br />

Als Lesefund hegt weiterhin von den »Linsenäckern« das Bruchstück<br />

eines feinen Knickwandgefäßes mit tiefsitzendem<br />

Bauchumbruch (Abb. 11,12) vor. Der kleine Henkel war sicher<br />

nicht zum Durchgreifen bestimmt, sondern diente zum Aufhängen<br />

des Gefäßes mittels einer durchgezogenen Schnur.<br />

Abb. 11<br />

/<br />

22<br />

Ähnliche Ränder mit scharfem Bauchknick kennt man vom Runden<br />

Berg und dem Ravensburger Veitsberg.<br />

Auch im Federseegebiet wurden solche Gefäße ausgegraben,<br />

ebenso am Bodensee und in der Schweiz. Zusätzlich besteht eine<br />

Verwandtschaft mit den Knickwandtassen des östlichen Aunjetitzer<br />

Kulturkreises, der bis nach Böhmen, Niederösterreich und zur<br />

südwestlichen Slowakei reicht.<br />

Abb. 12: Ergänztes Knicktvundgeßß. So muß man sich das linke<br />

Bruchstück vorstellen, jedoch ohne die Kerben am Bauchumbruch.<br />

Das Gefäß könnte außerdem einhenkelig gewesen sein.<br />

Stark nach innen ausgezogen sind die Ränder zweier Schüsseln<br />

(Abb. 13 ab). Der extrem verbreiterte Rand bietet sich für Verzierungen<br />

an, wie dies eingeritzte Dreiecke zeigen.<br />

m<br />

Abb. 13 a: Extrem nach innen ausgezogene Ränder<br />

Abb. 13 b: Ränder solcher Schüsseln sind bisher in Württemberg<br />

nicht aufgefunden worden.<br />

Vergleichbare Randformen gibt es aus der Siedlung Landsberg/<br />

Lech, aber auch von Böheimkirchen/Niederösterreich.<br />

Östlichen Kultureinfluss verrät das bei uns fremd wirkende radähnliche<br />

Motiv (Abb. 14).


Abb. 14: Die Darstellung eines Speichenrades auf Keramik lag in<br />

plastischer Ausführung für Baden-Württemberg bisher nur einmal<br />

von Trochtelßngen-Haid vor (<strong>Heimat</strong>museum Reutlingen)<br />

Welche Lagen bevorzugten die bronzezeitlichen Siedler?<br />

Weitere von mir entdeckte Fundstellen sind in Karte Abb. 15 festgehalten.<br />

Die Nummern des Textes beziehen sich auf diese Zeichnung.<br />

Wie sich Abb. 15 entnehmen lässt, bestand im Oberen Laucherttal<br />

eine Konzentration bronzezeitlicher Siedlungen. Auffällig ist eine<br />

Vielzahl an Quellen, die sicher schon der vorgeschichtlichen<br />

Trinkwasserversorgung dienten. Besonders die unteren Hänge entlang<br />

der Gewässer waren bewohnt (Abb. 15,1-3.4.7.11.12). Eine<br />

entsprechende Lage zum Ringinger Bach weisen auch die »Linsenäcker«<br />

(1) auf. In Willmandingen wählten die Siedler den mittleren<br />

Hangbereich, 250 m unterhalb der an der Brunnhalde entspringenden<br />

Lauchertquelle (8).<br />

Daneben kommen Lagen über dem Steilhang der Erpf (9,10) vor.<br />

Weiterhin lässt sich die Lage auf einer Kuppe oder einem Geländesporn<br />

feststellen (2,5). So waren die Kuppe des Hasenbergs und<br />

eine flache Geländezunge über dem Albtrauf bei Salmendingen besiedelt.<br />

Im unteren NW-Hang des Nähbergs, oberhalb einer sicher<br />

früher sumpfigen Mulde, deuten bronzezeitliche Scherben auf entsprechende<br />

Siedlungsaktivität im Ringinger Ortsbereich hin (6).<br />

Insgesamt überwiegen Gewässer bezogene Lagen an sanft abfallenden<br />

unteren Hängen. Eine oder mehrere Quellen entspringen immer<br />

in erreichbarer Nähe.<br />

Ringingen^<br />

^ Willmandingen<br />

\<br />

Salmendingen Wengen<br />

Linsenäcker/<br />

N i f<br />

£ Hasenberg<br />

'-1<br />

pfingen<br />

Abb. 15: Bronze-<br />

zeitliche Siedlungen<br />

Stetten u.H. • Siedlungsstelle<br />

f Nr. 10 Altfund<br />

Hörschwag<br />

f a.d. Lauchert<br />

Trochtelfingen<br />

Mägerkingen<br />

Für das Obere Laucherttal zeigt sich, dass nach Osten geneigte<br />

Hanglagen nicht als siedlungsgünstig angesehen wurden. Ausschlaggebend<br />

für die Auswahl des Platzes waren Gewässerbezug<br />

und die südliche Sonneneinstrahlung.<br />

23<br />

Durch meine Geländetätigkeit stellt sich inzwischen die bronzezeitliche<br />

Siedlungslandschaft des Oberen Laucherttals erheblich<br />

verändert und differenzierter dar. Die Areale mit Kulturresten jener<br />

Zeit sind heute jedoch weitgehend überbaut oder zerstört.<br />

Ich bedanke mich herzlich bei den Eigentümern der Äcker und<br />

den Bauherren, die mir freundlicherweise Geländebegehungen<br />

oder Fundbergungen immer erlaubten. Daneben gilt mein Dank<br />

Herrn Altbürgermeister T. Faigle, Meldungen, für Informationen<br />

zur Wasserversorgung.<br />

Zeichnungen und Fotografien vom Verfasser.<br />

Verbleib der Funde: alle abgebildeten Funde gehören zur Sammlung<br />

F. Pfannstiel, einige nicht abgebildete Stücke von Willmandingen<br />

oder Erpfingen auch zur Sammlung B. Dreher, Erpfingen.<br />

Literatur:<br />

E. Gersbach, Ältermittelbronzezeitliche Siedlungskeramik von Esslingen<br />

am Neckar. Fundberichte Baden-Württemberg 1,1974,226ff.<br />

A. Hochstetter, Die Hügelgräberbronzezeit in Niederbayern. Materialhefte<br />

zur Bayerischen Vorgeschichte 41 (Kallmünz 1980)<br />

H-J. Hundt, Keramik aus dem Ende der frühen Bronzezeit von<br />

Heubach (Kr. Schwäbisch Gmünd) und Ehrenstein (Kr. Ulm). Fundberichte<br />

Schwaben N.F.14,1957, 27ff.<br />

H-J. Hundt, Älterbronzezeitliche Keramik aus Malching, Lkr. Griesbach.<br />

Bayerisches Vorgeschichtsblatt 27,1962, (1965) 33ff.<br />

E.Keefer, Die »Siedlung Forschner« und ihre mittelbronzezeitlichen<br />

Funde. RGK 71, Teil2,1990<br />

W. Kimmig, Der Kirchberg von Reusten. Eine Höhensiedlung aus<br />

vorgeschichtlicher Zeit. Urkunden zur Vor- u. Frühgeschichte aus<br />

Südwürttemberg-Hohenzollern 2 (Stuttgart 1966)<br />

H. Koschik, Die Bronzezeit im südwestlichen Oberbayern. Materialhefte<br />

Bayerischer Vorgesch. ReiheA, Band 50 (Kallmünz 1981)<br />

J. Krumland, Die bronzezeitliche Siedlungskeramik zwischen Elsaß<br />

und Böhmen. Internationale Archäologie 49 (Rahden/Westf. 1998)<br />

J-W. Neugebauer, Monographie des namengebenden Fundortes der<br />

Böheimkirchnergruppe der Veterovkultur. Arch. Austriaca 61/62,<br />

1977, 31ff.<br />

R. Pirling/U. Wels-Weyrauch/H. Zürn Die mittlere Bronzezeit auf der<br />

Schwäbischen Alb. Prähistorische Bronzefunde XX, 3 (1980)<br />

D. A. u. R.Rademacher, Der Veitsberg bei Ravensburg. Forschungen<br />

u. Berichte der Archäologie des Mittelalters in Baden-Württemberg<br />

16 (Stuttgart 1993)<br />

H. Reim, Vor- und Frühgeschichte. In: Der Zollernalbkreis (Stuttgart<br />

1989), 59ff.<br />

H. Reim, Die mittlere Bronzezeit in Württemberg.In: Archäologie in<br />

Württemberg. Ergebnisse und Perspektiven archäologischer Forschung<br />

von der Altsteinzeit bis zur Neuzeit (D. Plank, Hergb.) Stuttgart<br />

1988,141ff..<br />

J. Stadelmann, Funde der vorgeschichtlichen Perioden aus den Plangrabungen<br />

1967-1974. Der Runde Berg bei Urach 4 Schriften der<br />

Komission für Alamannische Altertumskunde 7 (Heidelberg/Sigmaringen<br />

1981)<br />

C. Strahm, Die frühe Bronzezeit in Mittelland und Jura. Ur- und frühgeschichtliche<br />

Archäologie der Schweiz, Band3 Bronzezeit (Basel<br />

1971) 5ff.


DR. ANDREAS ZEKORN<br />

Zollernalbkreis:<br />

Führer zu archäologischen Denkmälern<br />

Der Zolleralbkreis gab, zusammen mit anderen Herausgebern, in<br />

seiner Reihe Zollernalb-Profile B als Band 2 einen Führer zu<br />

archäologischen Denkmälern im Landkreis heraus. Das Buch erschien<br />

zugleich in der Reihe Führer zur archäologischen Denkmälern<br />

in Deutschland und erfährt dadurch eine weite Verbreitung.<br />

Im Zollernalbkreis ist eine Vielzahl archäologischer Denkmäler<br />

überliefert, die von der Altsteinzeit bis zum frühen Mittelalter nahezu<br />

jede Epoche dokumentieren. Herausragende Fundorte, wie der römische<br />

Gutshof in Hechingen-Stein, aber auch weniger bekannte<br />

Denkmäler, wie die zahlreichen Grabhügel oder Wallanlagen zeugen<br />

von einer reichen kulturellen Tradition des Kreises über Jahrtausende<br />

hinweg. Steinzeitliche Höhlen weisen auf ur- und frühgeschichtliche<br />

Rast- oder Wohnstätten hin, bronzezeitliche Grabhügel um Albstadt<br />

warten mit spektakulären Funden auf. Grabhügelgruppen im<br />

Albvorland um Dautmergen und Dotternhausen geben spannende<br />

Einblicke in keltische Sitten und Bräuche, römische Kastelle und<br />

Gutshöfe zeichnen ein aufschlussreiches Bild des Lebens im römischen<br />

Zeitalter. Interessante Rückschlüsse auf vorkarolingische<br />

Siedlungsverläufe erlauben Bestattungen in Grabhügeln und Gräberfeldern<br />

im Albvorland und frühromanische Kirchenbauten wie in<br />

Albstadt-Burgfelden. Schließlich kann die Sonderrolle der Schwäbichen<br />

Alb als schon früh und nachhaltig besiedeltes Mittelgebirge an<br />

vielen Fundstellen eindrucksvoll aufgezeigt werden.<br />

Nach einer Einführung in die Archäologie und Geschichte des Landkreises<br />

stellen die Autoren 38 ausgewählte Ausflugsziele vor. Infokästen<br />

informieren über die Anfahrt zu den Denkmälern. Zeittafel und<br />

Karte ermöglichen die Zuordnung in Zeit und Raum. Nähere Informationen<br />

über die bedeutendsten Museen der Region enthält ein<br />

separates Kapitel.<br />

Mit diesem Führer werden die wichtigsten Resultate der außerordentlich<br />

breit gefächerten, jahrzehntelangen Grabungen im Zollernalbkreis<br />

erstmals einer breiten Öffentlichkeit in einem attraktiven<br />

Überblick dargeboten.<br />

Der Band wurde unter redaktioneller Regie des Kreisarchivs Zollernalbkreis<br />

erarbeitet. Als Hauptautor des Bandes konnte der Archäologe<br />

Dr. Christoph Morrissey, Tübingen, gewonnen werden. Beiträge<br />

steuerten die archäologischen Fachleute Rainer Kuhn, Jürgen Scheff,<br />

Dr. Stefan Schmidt-Lawrenz und Dr. Georg Schmitt sowie Kreisarchivar<br />

Dr. Andreas Zekorn bei. Zusammen mit dem vor zwei Jahren<br />

erschienen Band über die Kunstdenkmale im Zollernalbkreis soll der<br />

Archäologieführer dazu beitragen, die Sehenswürdigkeiten im Zollernalbkreis<br />

für Auswärtige und Einheimische zu erschließen.<br />

Nachfolgend ist die Einführung des Kreisarchivars in den Band wiedergegeben,<br />

um einen Eindruck vom Inhalt des Bandes zu vermitteln.<br />

Beim Landesdenkmalamt sind für den Zollernalbkreis mehr als<br />

1.000 archäologische Fundstellen dokumentiert. Es fehlte bisher<br />

eine eingehendere Würdigung dieser Denkmäler, die mit dem vorliegenden<br />

Band gegeben werden soll, wobei in dem zur Verfügung<br />

stehenden Rahmen aus nahe hegenden Gründen keine Vollständigkeit<br />

möglich und beabsichtigt war.<br />

24<br />

Das Buch besitzt zwei Hauptteile. Der erste Teil enthält Überblicksdarstellungen.<br />

Beiträge über Landschaftsformen, Geologie, Erdgeschichte,<br />

Kulturlandschaft und Bodenschätze im Kreisgebiet befassen<br />

sich zunächst mit den Grundlagen menschlichen Wirkens. Anschließend<br />

werden Geschichte und Stand der archäologischen<br />

Forschung im Landkreis sowie die archälogischen Denkmäler von<br />

der Altsteinzeit bis zum Mittelalter in geschichtlichen Überblicksdarstellungen<br />

vorgestellt. Um diese Denkmäler historisch einordnen<br />

zu können, ist anschließend ein kurzer Abriss über die Geschichte<br />

des Zollernalbkreises gegeben. Ein gesonderter Beitrag von Jürgen<br />

Scheff widmet sich dem faszinierenden Thema Höhlenarchäologie.<br />

Der zweite Teil des Buches besteht aus detaillierteren Abhandlungen<br />

zu ausgewählten archäologischen Denkmälern, geordnet nach<br />

einzelnen Städten und Gemeinden. Es wurden dabei nur Fundstellen<br />

einbezogen, bei denen oberirdisch sichtbare Überreste erhalten<br />

sind. Verschiedentlich können dabei ganz neue Erkenntnisse präsentiert<br />

werden, die mehr Klarheit über einzelne Denkmäler verschaffen.<br />

Zum Teil konnte auch nur der Kenntnisstand resümiert werden,<br />

ohne dass eine abschließende Klärung möglich gewesen wäre.<br />

Mehrere archäologische Denkmäler lassen sich auch auf archäologischen<br />

Wanderungen erkunden. Drei derartige Wanderrouten<br />

konnten zusammengestellt werden, die zu einem Rundgang einladen.<br />

Der zeitliche Rahmen für die Auswahl der vorgestellten Denkmäler<br />

erstreckt sich im Wesentlichen von der Alt- und Mittelsteinzeit, die<br />

mit einzelnen sehenswerten Höhlen dokumentiert ist, bis hin zum<br />

Mittelalter. In zwei Ausnahmefällen wurden bemerkenswerte archäologische<br />

Denkmäler der Frühen Neuzeit aufgenommen, bei denen<br />

man bisher eine frühere Entstehung vermutete, so bei der Schanze<br />

auf dem Zeller Horn und dem Sieben-Kreuzle-Weg bei Albstadt-Ebingen.<br />

Burgen und Burgstellen wie auch Bau- und Kunstdenkmäler wurden<br />

nur in fachlich begründeten Einzelfällen vorgestellt, etwa wenn ein<br />

vorgeschichtlicher Zusammenhang bestand oder eine vorgeschichtliche<br />

Entstehung vermutet wurde. Die Burgen des Zollernalbkreises<br />

sollen in einem eigenen Band der Zollernalb-Profile behandelt werden,<br />

so wie dies bereits mit den Bau- und Kunstdenkmälern geschah,<br />

die in einem im Jahre 2001 erschienenen Buch dargestellt wurden.<br />

Abschließend sei auf die angeführten Museen im Landkreis mit<br />

Bezug zur Archäologie beziehungsweise zur Vor- und Frühgeschichte<br />

hingewiesen. Das Literaturverzeichnis am Ende des Bandes erschließt<br />

die bisher erschienenen Veröffentlichungen und regt dazu<br />

an, sich mit den unterschiedlichen Aspekten der Vor- und Frühgeschichte<br />

des Zollernalbkreises vertieft zu befassen.<br />

Der Führer ist für die interessierte Öffentlichkeit gedacht, um umfassend<br />

über die archäologischen Denkmäler zu informieren. Er<br />

richtet sich sowohl an ein Laien- als auch an ein Fachpublikum.<br />

Bibliographische Daten:<br />

Führer zu archäologischen Denkmälern in Deutschland: Zollernalbkreis.<br />

Herausgegeben vom Zollernalbkreis in Verbindung mit dem<br />

Nordwestdeutschen Verband für Altertumsforschung e.V. u.a.,<br />

Stuttgart: Theiss Verlag 2003, Zollernalb-Profile Reihe B, Bd. 2, 238<br />

Seiten, zahlr. meist farbige Abbildungen (ISBN 3 8062 1763 7). Der<br />

Band kostet 19,90 Euro und kann in den Buchhandlungen erworben<br />

werden.


OTTO BOGENSCHÜTZ<br />

Das <strong>Hohenzollerische</strong> Anwenderecht<br />

(Fortsetzung)<br />

Nachtrag zum 1. Teil in Nr. 1/2004: Auf Seite 10 wurde der Text zu<br />

Anmerkung 8 versehentlich weggelassen. Dieser lautet: Vermessungsamt<br />

Balingen, Dienststelle Hecbingen, Amtliche Unterlagen<br />

von der Landesvermessung von 1859-1863.<br />

Der Inhalt des Rädlesrechts<br />

Nur beim Pflügen, aber nicht beim Eggen, durfte das linke Zugtier<br />

und das linke Rad des Pflugwagens die seitlich angrenzende streifenförmige<br />

Ackerparzelle bei der Bildung der letzten Furchen beim<br />

Pflügen bis zur seitlichen Grenze der schmalen Ackerparzellen betreten.<br />

Weil eine Egge breiter als das Gespann war, galt dieses Betretrecht<br />

beim Eggen nicht.<br />

Das württembergische Gesetz über Feldwege, Trepp- und Überfahrtsrechte<br />

von 1862 hob das Rädlesrecht auf. Die Landwirte<br />

waren bei der Ziehung der Grenzfurchen gezwungen, anstatt von<br />

einem Gespann nur noch den Pflug von einem Zugtier ziehen zu<br />

lassen, sofern kein Einverständnis mit dem Nachbar bestand.<br />

Tatsächlicher Grund für die Einführung des Anwenderechts<br />

Durch Aufteilung der im Durchschnitt einen Jauchert großen (33<br />

ar) Äcker im Mittelalter in mehrere kleinere Einheiten, entstanden<br />

schmale Ackerparzellen, auf denen mit dem Gespann wegen fehlender<br />

Breite nicht gewendet werden konnte. Deshalb wurde das<br />

Anwenderecht nur in bestimmen Gemarkungen vom jeweiligen<br />

Dorfgericht eingeführt. In Gebieten mit breiten Ackerparzellen<br />

(doppelte Gespannlänge) war die Einführung des Anwenderechts<br />

nicht erforderlich.<br />

Quellen des Anwenderechts in den verschiedenen<br />

Dorfordnungen<br />

Im württembergischen Landesteil sind in mehreren Dorfordnungen<br />

die Grenzen der Belastungen der Anwandacker beim Pflügen<br />

und Eggen beschrieben. 2 In den beiden ehemaligen hohenzollerischen<br />

Fürstentümern Hechingen und Sigmaringen wurde das Anwenderecht<br />

in den Landesordnungen nicht behandelt. Dafür kann<br />

man Hinweise in der Feldpolizeiverordnung von 1845 3, in den Aufteilungsverträgen,<br />

den Kontraktbüchern oder in Gerichtsurteilen<br />

aus dem 19. Jahrhundert über dieses Recht finden.<br />

Streitobjekte über dieses Recht<br />

Solange die früheren Grundstücke als Acker vom Eigentümer bewirtschaftete<br />

wurden, gab es selten Streit über die generelle Ausübung<br />

des Wenderechts durch den Nachbarn. Über das »Wie« und<br />

durch die Art z.B. bei nassem Wetter) war aber öfter Streit zwischen<br />

den Eigentümern der beiden angrenzenden Grundstücke. Er<br />

wurde jedoch vom Dorfgericht geschlichtet.<br />

Wurde aber beim Anwandacker die landwirtschaftliche Nutzung in<br />

eine Baumwiese geändert, sah es schon anders aus. Anstatt über<br />

ein zuvor abgeerntetes Stoppelfeld muss der Anstößer über eine<br />

Wiese mit Obstbäume fahren. Das örtliche Herkommen verlangte<br />

einen Mindestabstand der Obstbäume von der Grenze von mindestens<br />

6 Fuss (1,72 m), welches durch mehrere Urteile bestätigt<br />

wurde. Auch durfte der Besitzer der Baumwiese auf der Grenze<br />

einen Zaun ziehen.<br />

25<br />

Das Aufsetzen des Pfluges auf fremden Grund<br />

Eine eingebürgerte Unart, das Aufsetzen des Pfluges auf fremden<br />

Grund beim Beginn der Ziehung einer Furche, wurde fast in allen<br />

Dorfordnungen behandelt.<br />

Es wurde verboten um Streit unter den Dorfbewohnern zu unterbinden."<br />

Selbst die Hechinger Feldpolizeiordnung musste sich<br />

dieser Sache annehmen. 5<br />

Das württembergische Trepprecht<br />

nach Art. 234 - 242 württ. AGBGB<br />

Die Regierungen des früheren Königreiches Württemberg sahen in<br />

dem Flurzwang der Dreifelderwirtschaft und in den vielen unbeständigen<br />

Wegen ein Hindernis zur Entwicklung zum modernen<br />

Agrarstaat." Mit dem Erlass des Gesetzes über Feldwege, Trepp- und<br />

Überfahrtsrechte von 1862 wollte sie die Umwandlung der vielen<br />

unbeständigen Wege in ausgemarkte beständige Wirtschaftswege<br />

erzwingen.<br />

Das bedeutete auch, dass auf den ausgemarkten Wirtschaftswegen<br />

mit dem Gespann beim Pflügen und Eggen gewendet werden musste.<br />

Auf Grund dieses Gesetzes durfte ein neues Trepprecht (Anwenderecht)<br />

nur begründet werden, wenn das Oberamt zustimmte. Das<br />

Gesetz beinhaltete Regelungen zur Ablösung der Trepprechte. Die<br />

gesetzliche Normen des Trepprechts nach dem Gesetz von 1862<br />

wurden in die Art. 234-242 des württ. Ausführungsgesetzes zum<br />

BGB übernommen. Seit dem 1.1.1975 können keine neuen derartigen<br />

Trepprechte mehr bestellt werden. Für die im Zeitraum bestehenden<br />

Rechte bleiben die bisherigen Vorschriften anwendbar. 7<br />

Das hohenzollerische Anwenderecht<br />

Im hohenzollerischen Landesteil von Baden-Württemberg gilt das<br />

gleiche Anwenderecht wie im benachbarten württembergischen<br />

Landesteil. Es beruht in der Mehrzahl auf örtlichem Herkommem<br />

(örtliches Gewohnheitsrecht). Es wurde nie in einem Landesgesetz<br />

beschrieben. Nur die Hechinger Feldpolizeiordnung und mehrere<br />

richtungsweisende Urteile des Amtsgerichts Hechingen aus dem<br />

letzten Jahrhundert zeigen die Existenz des Anwenderechts in bestimmten<br />

Gebieten in Hohenzollern auf.<br />

Wiedereinführung des Rädlesrechts durch § 11 des<br />

Gesetzes über das Nachbarrecht<br />

In § 11 dieses Gesetzes ist ein Grenzabstand von 50 cm von toten<br />

Einfriedungen gegenüber Gründstücken einzuhalten, die landwirtschaftlich<br />

genutzt werden. Diese Vorschrift stellt ordnungsgemäße<br />

und ungehinderte Bewirtschaftung der landwirtschaftlich<br />

genutzten Flächen sicher. Dieser Abstand ermöglicht den Landwirten<br />

mit einem Ein- oder Zweischarpflug die Grenzfurche zu<br />

einem eingezäunten Grundstück zu ziehen, praktisch eine begrenzte<br />

Wiedereinführung des Anwenderechts.<br />

Heutige Einschränkung des Anwenderechts<br />

a. im Baurecht<br />

In mehreren Urteilen wurde entschieden, dass das Anwenderecht<br />

sich dem Baurecht unterordnet. Eine Grenzgarage darf auf die<br />

Grenze eines Baugrundstück, welches durch Aufteilung eines ehemaligen<br />

Anwandacker entstand, erstellt werden. Wird später das<br />

Baugebiet in Richtung Gewand erweitert, würde bei Berücksichtigung<br />

des Anwenderechts zwischen der Garage und der Grenze ein<br />

ungenutzter Bereich entstehen.


. im nicht bereinigten Ackerfeld<br />

Die Dreifelderwirtschaft als landwirtschaftliche Bewirtschaftungsmethode<br />

hat ausgedient. Sie ist in Württemberg 1862 formal abgeschafft<br />

worden. In einem Ackerland, welches nie flurbereinigt<br />

wurde, wird das Wenderecht auf den Anwandäcker nur noch benötigt,<br />

wenn der Acker eine geringere Breite als die einfache Gespannlänge<br />

hat. Weil es aber keine Gespanne mit Kühen und Pferden<br />

mehr gibt, die Äcker aber weiterhin bis zur Grenze bewirtschaftet<br />

werden müssen, dürfen auch Zugmaschinen auf dem<br />

Nachbargrundstück wenden. Bei einer sehr breiten Bewirtschaftungseinheit<br />

im Ackerfeld kann von dem jeweiligen Bewirtschafter<br />

erwartet werden, dass er auf der eigenen Fläche beim Pflügen und<br />

Eggen wendet.<br />

Zusammenfassung<br />

Das Anwenderecht hat spätestens in einigen Jahren vollständig an<br />

Bedeutung verloren. Die Weltwirtschaft zwingt unsere Landwirte<br />

zur großräumigen Bewirtschaftung unseres Ackerlandes. Auch im<br />

Altsiedeiland entstanden in den letzten Jahren landwirtschaftliche<br />

Bewirtschaftungseinheiten, die aus einer Vielzahl von Ackerparzellen<br />

gebildet wurden. Jeder Landwirt solcher Bewirtschaftungseinheiten<br />

kann mit seinem Ackergerät auf dem Grundstück wenden.<br />

Er braucht dazu nicht die an den Kopfflächen der Gewanne hegenden<br />

»Anwandäcker«. Die Existenz des Anwenderrechts war bis in<br />

die Neuzeit berechtigt, es hat seine Funktion in der Landwirtschaft<br />

voll erfüllt.<br />

1 Anmerkung 5, Art. 39:<br />

Wer einen Acker längs einer Wiese oder eines anderen angebauten<br />

Grundstücks besitzt, darf beim Pflügen weder selbst auf dieses<br />

Grundstück treten, noch daselbe durch das Spannvieh betreten oder<br />

deri Pflug daraufgehen lassen. Der in einzelnen Gegenden bestehende<br />

gegenseitige Gebrauch (Rädlesrecbt) ist aufgehoben.<br />

2 Friedrich Winterlin beschrieb in drei Bänden über die württembergischen<br />

Ländliche Rechtsquellen Gemeindeordnungen aus dem ganzen<br />

Landesteil.<br />

3 Hechinger Feldpolizeiverordnung vom 22. März 1845, § 42: »Wer auf<br />

WILLY BEYER<br />

Michael Lehmann - ein katholischer Rebell<br />

Zum 100. Todestag des Publizisten, Schriftstellers<br />

und Komponisten (Fortsetzung)<br />

III. Katholische Bürgergesellschaft/Hohenzollern wird<br />

Zentrumshochburg<br />

Das »Casino« unterhält im katholischen Sinne<br />

In die Zeit des Kulturkampfs fällt auch die Gründung des »Katholischen<br />

Casinos« am 26. Juli 1874 in Hechingen, dem sich gleich 100<br />

Mitglieder anschlossen. Michael Lehmann gehörte zu den Gründungsmitgliedern.<br />

In den Statuten ist über den Zweck des Vereins<br />

nachzulesen: »Literarische und gesellige Unterhaltung im katholischen<br />

Sinne«. Bedingung für die Mitglieder war, die katholische Gesinnung<br />

offen zu zeigen. Gesellschaftslokal des »Casinos« war der<br />

Gasthof Löwen in der Unterstadt, dort, wo sich heute die gleichnamige<br />

Apotheke befindet. Im Garten oder im Saal des Hotels fanden die<br />

größeren Veranstaltungen statt. Später war auch der Gasthof Krone im<br />

Eckhaus Marktplatz/Schloßstraße in der Oberstadt Vereinslokal.<br />

Gasthof Krone. Ehemaliges Vereinsbkaides Katholischen Kasinos.<br />

Das Bild stammt aus der Zeit um 1900 und wurde von Dr.<br />

medi Axel Riester, Hechingen, zur Verfügung gestellt.<br />

4<br />

Dazu noch mal Roman Sauter: »Als die gesellschaftliche Stellung der<br />

dem Feld zu tun hat, soll aufden Furchen oder Anwänden nachgehen<br />

Zentrumsanhänger in der Stadt immer unangenehmer wurde und<br />

und fahren, wenn andere öffentliche Wege nicht vorhanden sind».<br />

die Reibereien mit den zahlreichen blinden Anbetern der großen<br />

Anmerkung 5, Art. 38: In dem Trepprecht ist die Befugnis des Berechtigten<br />

zum Ansetzen des Pfluges auf dem fremden Grundstück nicht politischen Erfolge der Regierung sich mehrten, wurde zur Grün-<br />

enthalten. Die in einzelnen Gegenden bestehende abweichende dung einer Bürgergesellschaft, des katholischen Casinos, geschrit-<br />

Übung ist aufgehoben.<br />

ten, wo man unter Gleichgesinnten Unterhaltung pflegen, seine<br />

5 Hechinger Feldpolizeiverordnung vom 22. März 1845, § 49: » Verbot des Gedanken austauschen und in besonderen Fällen auch Anweisung<br />

Aufsetzen des Pfluges auf dem Nachbargrundstück«.<br />

geben konnte zu wirksamem gemeinschaftlichem Vorgehen bei<br />

6 Carl Christoph Knaus, Der Flurzwang in seinen Folgen und Wirkungen, Wahlbetätigungen etc.« Und weiter: »Dass hier Michael Lehmann als<br />

7<br />

Stuttgart 1843. Beschreibt sehr negativ die Auswirkungen des Flur- erster auf dem Posten war und es an Belehren und Ermahnen nie<br />

zwanges, einschließlich den Überfahrts- und Trepprechten auf die Land-<br />

fehlen ließ, ist ganz natürlich, das Casino war seine Domäne, entwirtschaft.<br />

Er empfahl die Regulierung des landwirtschaftlichen Besitzes.<br />

sprach ganz seinem Tatendrang.« Bei Festen und Familienabenden<br />

Baden-Wiirttembergisches Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch<br />

(Ba. Wü. AGBGB) vom 26. November 1974, GBl. S. 498, § 50: Über- im »Casino« unterhielt Lehmann Mitglieder und Gäste auch gerne<br />

fahrts- und Trepprechte Für Überfahrts- und Trepprechte, die im mit Musik und Kunstgesang. Noch im Alter soll er hier mit der Ju-<br />

württembergischen Rechtsgebiet auf Grund des Art. 234. des würtgend »sangesfroh in Darbietungen ernster und heiterer Art auf<br />

tembergischen Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch vor musikalischem Gebiet wettgeeifert haben«. Jungen Priestern habe er<br />

Inkrafttreten dieses Gesetzes bestellt worden sind bleiben die bishier<br />

in späten Jahren gerne von den sturmbewegten Jahren des Kulherigen<br />

Bestimmungen mit Ausnahme des Art. 235Abs.2,Art. 239Abs. turkampfes erzählt.<br />

3 undArt. 242Abs. 1 weiterhin anwendbar.<br />

8<br />

9<br />

Baden-Württembergisches Gesetz über das Nachbarrecht vom 14. De-<br />

Keine Obrigkeitshörigkeit in Hohenzollern/Gewaltloser<br />

zember 1959 (GBl. S. 171, § 11: Mit toten Einfriedigungen ist gegen-<br />

Widerstand<br />

überi Grundstücken, die landwirtschaftlich genutzt werden, ein<br />

Grenzabstand von 0,50 m einzuhalten.<br />

Neuere Untersuchungen mit Methoden der Mentalitätsforschung<br />

NVwZ-RR 1990, S. 62-63<br />

und Psychohistorie wollen in Hohenzollern einen Mentalitätswan-<br />

26


del erkennen, der von anfänglich aufmüpfiger Ablehnung zur<br />

Obrigkeitstreue gegenüber Preußen führte. Zu einer braven preußischen<br />

Untertänigkeit, wie dies beispielsweise sehr treffend in<br />

Heinrich Manns Roman »Der Untertan« beschrieben wird, in dem<br />

ein autoritätshöriger Spießer in der wilhelminischen Zeit auf seine<br />

Art Karriere macht: Nach oben buckeln und nach unten treten.<br />

Michael Lehmann und die vielen anderen Opfer des Kulturkampfs<br />

passen allerdings nicht so einfach in diese Schublade.<br />

Besonders die katholischen Zeitungen, ihre Redakteure und Autoren,<br />

die katholischen Buchhandlungen und viele Priester waren in<br />

Hohenzollern von den Sanktionen betroffen. Dazu gehörten viele<br />

Restriktionen und Verbote, Suspendierungen und Versetzungen von<br />

zentrumsnahen Lehrern und die Absetzung Geistlicher als Religionslehrer.<br />

Dem Verleger der »Hohenzollern'sehen Volkszeitung« in Sigmaringen,<br />

Peter Liehner, entzog die Regierung ab 1874 den Druck<br />

ihres Amtsblattes. Mehrere Geldstrafen wurden gegen ihn verhängt,<br />

beispielsweise über 60 Mark, weil er in Nummer 149 vom 2. Oktober<br />

1875 die »Segnungen« des Liberalismus aufgezählt hatte: die<br />

verschiedenen Kulturkampfgesetze, gerichtliche Verfolgung der<br />

Geistlichen, Aufhebung der Klöster, verkehrte Anschauungen auf<br />

volkswirtschaftlichem Gebiet. Nach dem »Jesuitengesetz« (4.7.<br />

1872) mussten die Jesuiten (Sigmaringen) im selben Jahr das Land<br />

verlassen. Die Franziskaner (Stetten bei Hechingen) und Benediktiner<br />

(Abtei Beuron) mussten 1875 wegen des von Bismarck erlassenen<br />

Gesetzes (31.5.1875) über die Aufhebung aller Orden und<br />

ordensähnlichen Kongregationen (außer den krankenpflegenden)<br />

Hohenzollern verlassen. Noch manch andere Gesetze während des<br />

Kulturkampfes, der Bismarcks persönhehes Werk war, machten den<br />

Zentrumsanhängern und dem Klerus das Leben schwer. Der Kulturkampf<br />

ergriff ganz Preußen und einige Nachbarstaaten. Eine<br />

Oase des Friedens blieb dabei Württemberg, das die umkämpfte<br />

preußische Exklave Hohenzollern umschloss.<br />

In den beiden katholischen Buchhandlungen Hohenzollerns, in Sigmaringen<br />

und Hechingen, wurde wiederholt nach »staatsgefährlichen<br />

Schriften« gefahndet. Derartig erklärte Publikationen wurden<br />

beschlagnahmt. Hier war auch wieder Michael Lehmann betroffen,<br />

in dessen Buchhandlung christlich-katholische Schriften und Devotionalien<br />

wie Heiligenbilder erhältlich waren. Anzunehmen ist, dass<br />

sich der Laden in Lehmanns Haus befand, dort, wo auch die Druckerei<br />

und die Redaktion des »Zoller« war.<br />

Beispielhaft für viele Einzelschicksale sei hier noch der Benefiziat<br />

Dr. theol. Johannes Evangelista Maier genannt, der als geistlicher<br />

Professor am Sigmaringer Gymnasium infolge einer Verurteilung<br />

wegen Verstoßes gegen den »Kanzelparagraphen« suspendiert und<br />

schließlich aus dem Staatsdienst entlassen wurde. Auf der Festung<br />

Ehrenbreitstein in Koblenz musste er 1875 vier Wochen Festungshaft<br />

absitzen. Das Reichsgesetz vom 10. Dezember 1871, der sogenannte<br />

Kanzelparagraph, leitete den Kulturkampf der Bismarckregierung<br />

gegen den Klerikalismus ein. Er war eine Art »Maulkorberlass«,<br />

damit sich die Geistlichen nicht von der Kanzel aus gegen die folgenden<br />

Kulturkampfgesetze wehren konnten. Der gemaßregelte<br />

Benefiziat Maier siegte allerdings ein Jahr nach seiner Festungshaft<br />

über den höchsten Justizbeamten des Landes (August Evelt) und<br />

wurde, wie auch der Gammertinger Hirschwirt Schmid, Mitglied des<br />

preußischen Abgeordnetenhauses. Bei den Reichstagswahlen 1877<br />

gewann Maier ebenfalls das Mandat des Wahlkreises Hohenzollern.<br />

Dem Kulturkampf hat Hohenzollern durch passiven Widerstand erfolgreich<br />

entgegen gewirkt. Klerus und Medien erreichten durch<br />

27<br />

Aufklärung und Agitation eine Abwendung vom Liberalismus. Oder<br />

anders ausgedrückt: Durch Wahlbeeinflussung für das Zentrum. Jedenfalls<br />

hat sich das Land im Kulturkampf zu einer Hochburg des<br />

politischen Katholizismus entwickelt. Ab 1876 schickte Hohenzollern<br />

nur noch Zentrumsabgeordnete nach Berlin.<br />

Das »Magazin für Pädagogik« schrieb 1903 in einem Nachruf über<br />

Michael Lehmann, dass die vielen Gefängnis- und Geldstrafen seine<br />

katholische Überzeugung und Treue zum »Zentrum« nicht erschüttern<br />

konnten. Er habe »ganz wesentheh dazu mitgewirkt, dass die<br />

hohenzollerischen Lande für das Zentrum erobert wurden, und<br />

wenn von den heißen Kämpfen jener Kulturkampfjahre die Rede<br />

sein wird, wird sein Name ehrenvoll genannt werden«.<br />

Das Hechinger Gefängnis. Als dieses Ende des 19• Jhs. eröffnet wurde,<br />

soll Michael Lehmann der erste Insasse gewesen sein. Foto: Willy Beyer.<br />

Das Zupfen am Rock kostet einen Kronentaler<br />

Abschließend noch einmal eine Anekdote nach Roman Sauter, der<br />

Lehmann als »anregende[n] Gesellschafter... voll Geist und Urwüchsigkeit«<br />

bezeichnet und berichtet: »Lehmann war Großdeutscher, den<br />

Ausschluß Oesterreichs aus dem Verband der deutschen Staaten konnte<br />

er nie verschmerzen und die großen Waffenerfolge des neuen<br />

Deutschlands unter Preußens Führung vermochten ihn nicht so zu<br />

begeistern, daß er alles Vergangene vergessen und rücksichtslos zujubeln<br />

konnte, wie es so viele taten. Er war stets ein aufrechter Mann,<br />

der das Mäntelchen nicht nach jedem Wind drehte. So gab es an den<br />

Gesellschaftsabenden, wo stets viel in Politik gemacht wurde, auch<br />

mal Kollisionen. Ein Fall, unwichtig an und für sich und kleinstädtisch,<br />

trotzdem aber bezeichnend für die Verhältnisse des täglichen<br />

Lebens, ist folgender: Im Abendverein, einer geselligen Vereinigung<br />

der besseren Bürger bei Konrad Sträßle, war rege Unterhaltung.<br />

Das Preußische Militär mit seinen heldenhaften Führern im deutschfranzösischen<br />

Krieg wurde himmelhoch erhoben, so daß Lehmann<br />

mit alleiniger Unterstützung durch den alten Ochsenwirt [Wilhelm]<br />

Seitz - ein anerkannter 48er Heckerverehrer - sich zur Aeußerung<br />

veranlasst sah, man könnte bald meinen, daß nur noch der Wehrstand<br />

Geltung habe im neuen Reich und dass der Nähr- und der Lehrstand<br />

gar keine Bedeutung mehr hätten und doch seien diese Stände<br />

die Grundlage des Ganzen und der Wehrstand komme erst in zweiter<br />

Reihe in Betracht zum Schutze der andern, verdiene also doch eine<br />

solche Bevorzugung nicht, das sei Ueberhebung und Hochmut. Im<br />

weiteren Verfolg der Unterhaltung hat nun der auch anwesende<br />

Bezirksfeldwebel Bechtold gesagt: ,Ich trage dasselbe Portepee, wie<br />

Seine Majestät und mein Kleid ist ein Ehrenkleid, ich trage den Rock<br />

des Königs.' Da zupfte Lehmann ihn etwas energisch am Aermel,<br />

sagte: ,Herr Feldwebel, das Kleid zahlen wir, ihren Rock zahle ich'<br />

und fuhr ihm mit der Schnupftabaksdose etwas unsanft an der Nase<br />

vorbei. Das war ein Kapitalverbrechen in jener Zeit und musste g'


1<br />

JU<br />

Das Haus von Michael Lehmann in der Firststraße in Hechingen.<br />

Foto: Willy Beyer.<br />

ndet werden. Es hat Lehmann einen Kronen taler gekostet, gleich 2 fl.<br />

42, ca. 5 Mark nach unserer heutigen Währung.«<br />

Während der Zeit des Kulturkampfs, der gegen Ende der 1870-er<br />

Jahre abflaute, war Lehmann auch schriftstellerisch aktiv. In dieser<br />

Zeit vor und unmittelbar nach seinem 50. Lebensjahr (1872<br />

JOSEF SCHNEIDER<br />

Der Gruoler Kunstmaler August Pfister<br />

und wieder freigelegte Wandmalereien in<br />

Offenburg-Windschläg<br />

Die Werke des Kunstmalers August Pfister aus Gruol (1877-1931)<br />

sind noch nicht vergessen. Mehrfach ist er im hohenzollerischen<br />

Raum und auch in Baden zu neuen Ehren gelangt. So unlängst bei der<br />

Kirchenrenovation in Offenburg-Windschläg, wo der Künstler schon<br />

vor dem Ersten Weltkrieg die Pfarrkirche St. Pankratius mit seinen<br />

biblischen Malereien geschmückt hat. Obwohl diese 1970 nochmals<br />

ganz zugepinselt wurden, kamen bei der jüngsten Renovation der<br />

Kirche die Bilder wieder zum Vorschein. Auf ausdrücklichen Wunsch<br />

der Gemeindemitglieder wurden die Bilder -10 Werke - wieder freigelegt.<br />

Sie folgte damit dem lobenswerten Beispiel der Pfarrgemeinde<br />

Mühlenbach, die das Bild Pfisters von »Mariä Krönung« als Altarbild<br />

besitzt, ferner Maria Zell, Stetten bei Haigerloch und Trillfingen.<br />

Pfister der ein Meister der Porträtmalerei war, hatte bei der Ausmalung<br />

der Kirche in Windschläg den damaligen Pfarrer und einige<br />

Frauen der Gemeinde porträtiert.<br />

28<br />

bis Ende 1879) schrieb der Publizist und »Zoller«-Chefredakteur<br />

22 Erzählungen. Das literarische Werk wird gesondert im nächsten<br />

Teil behandelt.<br />

Quellennachweise für Teil II und III:<br />

- Wetzel johann Nepomuk: Der Kulturkampf und seine Folgen,<br />

in: Wetzel, Hrsg, Geschichte der katholischen Kirche in Schwaben-Hohenzollem,<br />

Teil II, Bühl 1931, S. 385-407<br />

- Zekorn, Andreas: Kultur in Hohenzollern, in: Kallenberg, Fritz,<br />

Hrsg., Hohenzollern, Stuttgart 1996, S. 360-409<br />

- Sauter, Roman: Michael Lehmann / Der erste »Zoller«-Redakteur,<br />

Hechingen, »Zoller« vom 5. Feb. 1927<br />

- <strong>Hohenzollerische</strong> <strong>Heimat</strong>bücherei Hechingen: Bestände Ub<br />

171, T300<br />

- Dokumente aus dem Archiv im Pfarrbüro von St. fakobus,<br />

Hechingen<br />

- Bumiller, Casimir: Die 48er Revolution in Hohenzollern mentalgeschichtlich<br />

betrachtet, in: Zeitschrift für <strong>Hohenzollerische</strong><br />

Geschichte, 1999, Seiten: 93-100<br />

- Kallenberg, Fritz: Die Sonderentwicklung Hohenzollerns, in:<br />

Kallenberg, Fritz, Hrsg., Hohenzollern, Stuttgart 1996, Seiten:<br />

129-282<br />

-Becker, Otto H: Hohenzollern, Preußische Exklave in Süddeutschland,<br />

in: Vom Fels zum Meer, Tübingen 2002, Seiten:<br />

91-104<br />

-Nekrolog, in: Magazin für Pädagogik, Rottenburg/Spaichingen,<br />

Nr. 15 (1903)<br />

- Der Zoller, Nr 18,25,108,120 (1873), Nr. 25, 78,82,83,85,86,<br />

87 (1874), Nr. 20 (1903), Nr. 29 (1927)<br />

- Hohenzollemsche Blätter, Nr. 185, 192 (1872), Nr. 24, 40, 57<br />

(1873), Nr 70, 119, 159 (1874), Nr. 50 (1875), Nr. 14, 89<br />

(1877)<br />

(Fortsetzungfolgt)<br />

Bei den Werken Pfisters handelt es sich um kirchliche Monumentalmalerei.<br />

Die Bilder in Windschläg stellen vorwiegend biblische Szenen<br />

aus dem Leben Jesus, der Gottesmutter und der Heiligen Familie<br />

dar. Insgesamt sind es Bilder voller Bewegung, und sakraler<br />

Schönheit. Pfister der in seinem reichen Künstlerleben über 54 Kirchen<br />

und Kapellen in Baden und Hohenzollern ausgemalt hat, stand<br />

dem Realismus nahe und war vom Jugend- und Nazarenerstil beeinflusst.<br />

Im Alter von erst 54 Jahren nahm ihm der Tod den Pinsel aus der<br />

Hand. In seine letzten Jahre war auch die Ausmalung der Kirchen in<br />

Stein und Heiligenzimmern gefallen.<br />

Seine künstlerischen Fähigkeiten hat sich August Pfister in der Lehre<br />

bei Kirchenmaler Lorch Sigmaringen und beim Kunststudium in<br />

München an der Kunstakademie und Kunstgewerbeschule erworben.<br />

Sein berufliches Wirken fiel in einen Wendepunkt der christlichen<br />

Kunst: Neuromanik und Neugotik, das Stilempfinden der Mitte des<br />

19. Jahrhunderts, wurde vom Drängen nach vorwärts abgelöst. Viele<br />

seiner Werke sind allerdings verloren gegangen bzw. übertüncht<br />

worden.<br />

August Pfister fand seine ewige Ruhe im unteren Friedhofsteil in der<br />

<strong>Heimat</strong>. Sein Grab ist jedoch längst eingeebnet.


Büchbesprechungen<br />

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Karl Angele: Aufgeklaubt. Schwäbische Geschichten<br />

In 16 kurzen Kapiteln gibt der im Ruhestand lebende Pfarrer Karl<br />

Angele in schwäbischer Mundart Alltagsgeschichten kund, die zum<br />

Schmunzeln anregen. Er erinnert sich im Buch »Aufgeklaubt« an<br />

lustige Begebenheiten aus der Kindheit, an heitere Episoden und<br />

allzu MenschÜches. Er amüsiert sieh über manche (nicht nur)<br />

schwäbische Eigenart, sinniert und spintisiert (zum Beispiel darüber,<br />

welche Vorteile es hätte, »wenn mir Schwoba wieder an Keenig<br />

hättet«) glossiert, kommentiert und kommt unter anderem zur<br />

Einsicht: »Jeder sott halt seine Glotzbebbel weit aufmacha, damit er<br />

selber sieht, was alles so lauft«.<br />

Das Buch hat 120 Seiten, ist im Silberburg-Verlag, Tübingen, erschienen<br />

(ISBN 3-87407-570-2) und kostet 11,90 Euro. (ba)<br />

Anna Haag: Leben und gelebt werden<br />

Mit Geschichten, Lebenserinnerungen und Romanen hat Anna Haag<br />

rund vier Jahrzehnte lang in die Öffentlichkeit hineingewirkt, und<br />

auch über ihr reiches Leben als Weltbürgerin und Schriftstellerin,<br />

Politikerin und Pazifistin sind Bücher geschrieben worden. Nun hat<br />

ihr Sohn Rudolf eine Biographie der einstigen Stuttgarter Landtagsabgeordneten<br />

herausgegeben, basierend auf Lebenserinnerungen<br />

Anna Haags, Tagebucheintragungen und anderen Schriften. Der<br />

Titel »Leben und gelebt werden« gibt treffend wieder, wie menschliches<br />

Dasein und Schicksal abhängig ist von gesellschaftlichen und<br />

politischen Vorgängen und Zwängen, wie aber auch Lebenswille,<br />

29<br />

HP<br />

4<br />

kreativer Geist und Kämpfermut es vermögen, Widrigkeiten zu trotzen,<br />

Schweres zu überwinden und Beachtliches zu erreichen: im<br />

persönlichen wie im öffentlichen Bereich. Das Buch ist spannend<br />

bis zur letzten Zeile und ein tiefe Einblicke gebendes Zeitdokument.<br />

Das 400-seitige Werk mit seinen 53 Abbildungen (ISBN 3-87407-<br />

562-1) ist im Silberburg-Verlag in Tübingen erschienen und kostet<br />

15,90 Euro, (ba)<br />

Renitenz und Genie - Unruhen und Widerstände<br />

Man spricht vorn »Geniewinkel Meßkirch« und denkt an Persönlichkeiten<br />

wie Martin Heidegger, Johann Baptist Roder oder Conrad<br />

Gröber. Meßkirch war aber auch vom Vormärz bis in die wilhelminische<br />

Zeit hinein ein Unruheherd und Widerstandsnest. Hier<br />

Zusammenhängen und Ursachen nachzuspüren, war Sinn eines<br />

Symposions im Oktober 2001 in Meßkiroh.<br />

Die damals gehaltenen Referate wurden überarbeitet und flössen<br />

nun in den Sammelband »Renitenz und Genie - Meßkirch und der<br />

badische Seekreis zwischen 1848/49 und dem Kulturkampf« ein,<br />

herausgegeben vom Sigmaringer Kreisarchivar Dr. Edwin Ernst<br />

Weber im Auftrag des Landkreises Sigmaringen und der Gesellschaft<br />

Oberschwaben für Geschichte und Kultur.<br />

Von verschiedenen Seiten beleuchtet der Pforzheimer Stadtarchivar<br />

Dr. Hans-Peter Becht Renitenz, Protest und Opposition in Baden<br />

zwischen Vormärz und Reichsgründung, hinweisend auf sozial-konfessionelles<br />

Konfliktpotential, auf Strukturunterschiede und Stadt-<br />

Land-Gefälle, um letztendlich zu bilanzieren, dass im Hinblick auf offene<br />

Fragen noch weiterer regionaler Forschungsbedarf besteht - vor<br />

allem was die Weiterentwicklung bis ins Dritte Reich hinein betrifft.


Der Historiker Dr. Gert Zang skizziert die Kämpfe um die wirtschaftliche,<br />

gesellschaftliche und kulturelle Entwicklung in der Konstanzer<br />

Region zur Zeit zwischen 1830 und 1905, in der zwar Neuerungen<br />

entstanden, aber keine fundamentalen Denk-Genies hervorgebracht<br />

wurden.<br />

Die liberale Bewegung zwischen Revolution und Erstem Weltkrieg in<br />

Stockach und Umgebung beobachtete Historiker Dr. Fredy Meyer. Im<br />

Unterschied zu Meßkirch blieben in Stockach die kirchlichen Verhältnisse<br />

während des Kulturkampfs vor allem dank des ausgleichenden<br />

Verhaltens des Ortsgeistlichen Nikodemus Diez bemerkenswert<br />

ruhig.<br />

»Meßkirch ist bis in die neueste Zeit herein bekannt geworden durch<br />

seinen politisch wie religiös unsicheren Charakter«.<br />

Dieses Zitat des Abraham a Sancta Clara-Biographen Karl Bertsche<br />

machte Dr. Edwin Ernst Weber zum Thema seines Beitrags im Blick<br />

auf Meßkirch zwischen der Revolution 1848/49 und dem Kulturkampf.<br />

Er machte Meßkirch in jener Zeit als »Schauplatz der<br />

Übersteigerung« voller hasserfüllter politischer Auseinandersetzungen<br />

aus, geschürt auch durch verletztende persönliche Angriffe und<br />

einen unseligen Zeitungskrieg.<br />

Der Meßkircher Kulturwissenschaftler Dr. Armin Heim beleuchtete<br />

Leben und Wirken Johann Baptist Roders (1814 bis 1890), eines<br />

liberalen Provinzfürsten, der mit der Simmentaler Rasse der Viehzucht<br />

in der gesamten Region Auftrieb verlieh und auch sonst für<br />

wirtschaftlichen Aufschwung und Wohlstand sorgte, der aber gleichzeitig<br />

durch politischen Konfrontationskurs und altkatholische<br />

Bekenntnishaltung viel Schärfe in das gesellschaftliche Gegeneinander<br />

brachte.<br />

Welche »Blüten« solche Schärfe treiben kann, wird deutlich am Beitrag<br />

des Journalisten und Historikers Markus Vonberg, der den hasserfüllten<br />

Meßkircher »Zeitungskrieg« zwischen dem »Oberbadischen<br />

Grenzboten« (liberal) und dem »Heuberger Volksblatt« (zentrumsnah,<br />

katholisch) beschreibt.<br />

Wie zwei Meßkircher Geistesgrößen, der spätere Freiburger Erzbischof<br />

Conrad Gröber und der Philosoph Martin Heidegger, den Kulturkampf<br />

in ihrer <strong>Heimat</strong>stadt erlebt und verinnerlicht haben, verdeutlicht<br />

der Freiburger Historiker Professor Dr. Hugo Ott.<br />

Schließlich beinhaltet das Buch noch einen hintergründig-amüsanten<br />

Beitrag des Raster Schriftstellers Dr. Arnold Stadler mit sehr persönlich<br />

gehaltenen Erfahrungen und Eindrücken zum Stichwort<br />

Renitenz.<br />

Das Buch »Renitenz und Genie«, 226 Seiten, erschienen in der<br />

UVK-Verlagsgesellschaft, Konstanz, ist zum Preis von 19,90 Euro<br />

erhältlich (ISBN 3-89669-761-7) (ba)<br />

Neuauflage<br />

Sigmaringen - Ein historischer Führer<br />

Die unerwartet starke Nachfrage gleich nach dem Erscheinen der<br />

Neuauflage des historischen Stadtführers »Sigmaringen« Ende<br />

2003 zeigte, wie groß das Interesse an einem handlichen Nachschlagewerk<br />

ist, wenn es zudem wie dieser 247-seitige Band (ISBN<br />

3-00-012180-3) pointiert und doch gehaltvoll sowie mit aus-<br />

30<br />

sagekräftigen Bildern erhellende Ein blicke in Geschichte und Entwicklung<br />

der Stadt zu geben vermag. Was Dr. Maren Kuhn-Rehfus<br />

1989 mit der (seit Jahren vergriffenen) Erstauflage begonnen<br />

hatte, wurde nun von ihrem Mann Dr. Werner Kuhn (Herausgeber)<br />

weitergeführt, an einigen Stellen dank neuer Erkenntnisse ergänzt<br />

und aktualisiert. Das von Dr. Maren Kuhn-Rehfus geschriebene<br />

Hauptkapitel zur Geschichte der Stadt haben Dr. Werner Kuhn und<br />

Dr. Andreas Zekorn neu bearbeitet. Die sich auf den nächsten 137<br />

Seiten anschließenden Kurzkapitel mit Erklärungen und Fotos zu<br />

den wichtigsten Sehenswürdigkeiten in Stadt und Stadtteilen waren<br />

möglich Dank der Mitarbeit von Dr. Otto Becker, Peter Kempf, Dr.<br />

Wilfried Schöntag und Walther Paape. Auch Erkenntnisse des verstorbenen<br />

Sigmaringer Ehrenbürgers Dr. Rudolf Eisele flössen in<br />

den historischen Führer ein. Er ist zum Preis von 12,80 Euro in den<br />

Sigmaringer Buchhandlungen sowie im städtischen Touristen-<br />

Büro erhältlich. (ba)<br />

Manfred Eichhorn: Die Zukunft war schön<br />

Zahlreiche Bücher, Sketche, Theaterstücke, Gedichte und Balladen<br />

hat der Ulmer Autor Manfred Eichhorn geschrieben und damit vielen<br />

Lesern, Hörern und Zuschauern Stunden der Besinnung und<br />

Freude geschenkt. Ein besonderer Erfolg wurden seine Kindheitserinnerungen<br />

»Hennadäpper«. Daran hat er jetzt angeknüpft. In 30<br />

Kurzgeschichten entführt er im neuesten Werk »Die Zukunft war<br />

schön« abermals in seine schwäbische Kindheit, wobei im Band<br />

»Hennadäpper« bekannt gewordene Weggefährten wie die Wächter<br />

Hedwig, die einen Regenwurm schluckte, oder die »Apostel«, eine<br />

Clique von Zechkumpanen, aber auch andere Lausbuben, Mädels<br />

und Originale aus der Nachbarschaft ins Blickfeld gerückt werden.<br />

Der Autor erzählt hebevoll, mit viel Humor und oft hintergründig<br />

»philosophierend« Episoden aus den Fünfziger- und Sechziger Jahren,<br />

vom Erwachsenwerden in einer Zeit, in der es noch Gasmarken<br />

gab und die Familienbadewanne im Keller stand. Er schaute genau<br />

hinein in die Welt der Heranreifenden und der Erwachsenen sowie<br />

auf das, was sich im großen, weiten Erdenrund tat, um zum Schluss<br />

zu kommen, dass die Welt zwar hin und wieder ein Irrgarten sein<br />

mochte, dass es aber schön und spannend war, sich darin zu orientieren<br />

und auf Zukunft-Spurensuche zu begeben.<br />

Das 156-seitige Buch (ISBN: 3-87407-561-3 ist im Silberburg-Verlag,<br />

Tübingen, erschienen und für 14,90 Euro zu erwerben, (ba)<br />

EDWIN ERNST WEBER<br />

Dr. Herbert Burkarth wurde Ehrenbürger<br />

seiner <strong>Heimat</strong>stadt Gammertingen<br />

Zu seinem 80. Geburtstag wurde der Arzt und <strong>Heimat</strong>forscher Dr.<br />

Herbert Burkarth von seiner <strong>Heimat</strong>stadt Gammertingen mit der<br />

Ehrenbürgerwürde ausgezeichnet. Bürgermeister Holger Jerg würdigte<br />

bei der Übergabe der hohen Auszeichnung am 14. Februar<br />

2004 vor zahlreichen Gästen im Schlosssaal des Gammertinger<br />

Rathauses die hohen Verdienste des Jubilars zunächst als aufopferungsvoll<br />

tätiger Haus- und Landarzt und sodann als Historiograph<br />

des mittleren Laucherttals. Der Verfasser dieses Beitrags stellte in<br />

einer Laudatio den Werdegang und die beruflichen und ehrenamtlichen<br />

Leistungen des neuen Gammertinger Ehrenbürgers vor.


Herbert Burkarth entstammt einem alteingesessenen Gammertinger<br />

Geschlecht, dessen Spuren sich in der Stadtgeschichte bis<br />

zum 30jährigen Krieg zurückverfolgen lassen. Die Vorfahren sind<br />

über viele Generationen hinweg Zimmerleute, ehe mit dem Großvater<br />

des Jubilars, dem preußischen Medizinalrat Dr. Joseph Burkarth,<br />

der familiäre Berufswechsel zur Medizin erfolgt. Der Arztberuf<br />

vererbt sich auf dessen Sohn Dr. Erwin Burkarth und sodann<br />

auch auf den Enkel Herbert, der am 13. Februar 1924 als ältestes<br />

von schließlich vier Geschwistern in Veringenstadt geboren wurde.<br />

Die schulische Ausbildung absolvierte Herbert Burkarth an der<br />

Gammertinger Volksschule, am damals Staatlichen Gymnasium in<br />

Sigmaringen und zwischenzeitlich am Jesuiten-Kolleg St. Blasien.<br />

Sein von Kriegsdienst und Gefangenschaft unterbrochenes Medizinstudium<br />

schließt der Jubilar 1952 mit Staatsexamen und Promotion<br />

ab. Nach verschiedenen Assistenzarztstellen tritt der junge<br />

Mediziner 1955 in der <strong>Heimat</strong>stadt Gammertingen in die Praxis des<br />

Vaters ein.<br />

Als Arzt für Allgemeinmedizin und Hausarzt betreut Dr. Herbert<br />

Burkarth in den folgenden dreieinhalb Jahrzehnten den gesamten<br />

Gammertinger Raum die nächsten Kollegen sitzen damals in<br />

Trochtelfingen und Veringenstadt. Zur Haus- und Landarzt-Tätigkeit<br />

kommt 1963 die Betreuung des damaligen Kreisaltersheims<br />

und 1965 sodann noch des Heilerziehungsheims Mariaberg als<br />

weitere anspruchsvolle und zeitaufwendige Aufgabe hinzu. Hinter<br />

der beruflichen Inanspruchnahme muss auch die Familie - seine<br />

Frau Elfriede geb. Volm aus Owingen, mit der er 1954 die Ehe<br />

eingegangen war, und seine drei zwischen 1955 und 1963 geborenen<br />

Kinder - nicht selten zurücktreten.<br />

Erholung und Ausgleich findet der Landarzt in seinem Interesse<br />

und seiner Beschäftigung mit der Vergangenheit, vor allem mit der<br />

Geschichte seiner eigenen <strong>Heimat</strong>. In gewissem Sinne hat er seine<br />

historische Ader wohl vererbt bekommen, waren doch bereits<br />

Großvater und Vater an der regionalen und hohenzollerischen Geschichte<br />

interessiert und gehörten dem 1867 gegründeten »Verein<br />

für Geschichte und Altertumskunde in Hohenzollern« an. Es war<br />

deshalb wohl auch ein Stück weit zwangsläufig 1 wenn der Jubilar<br />

1955, mit seiner Rückkehr nach Gammertingen, dem damaligen<br />

»Verein für Geschichte, Kultur und Landeskunde Hohenzollerns«<br />

beitrat und 1968 in den Vorstand des jetzt so genannten <strong>Hohenzollerische</strong>n<br />

<strong>Geschichtsverein</strong>s aufgenommen wurde. Bereits 1970<br />

übernahm Burkarth die Schriftleitung der damals in einer Krise<br />

steckenden »<strong>Hohenzollerische</strong>n <strong>Heimat</strong>« und blieb sodann dieser<br />

arbeitsintensiven Aufgabe im Dienste der regionalen, populären<br />

Geschichts-Vermittlung über mehr als 30 Jahre hinweg treu - bis<br />

zu seiner erst kürzlich erfolgten Weitergabe der Schriitleitung im<br />

Alter von 78 Jahren.<br />

Seit 1964 meldet sich der geschichtsinteressierte Arzt dann mit<br />

eigenen Forschungsbeiträgen zu Wort - zumeist in der »<strong>Hohenzollerische</strong>n<br />

<strong>Heimat</strong>«, daneben in der »Zeitschrift für <strong>Hohenzollerische</strong><br />

Geschichte« und auch in der Lokalzeitung. Mehr als 60 Beiträge<br />

kann Herbert Burkarth mittlerweile vorweisen, von der<br />

kleinen <strong>Heimat</strong>blätter-Studie bis zur umfassenden Buchdarstellung.<br />

Im Mittelpunkt seiner Forschungen stehen seine <strong>Heimat</strong>stadt<br />

Gammertingen und das mittlere Laucherttal, zu deren wichtigstem<br />

Historiographen sich Burkarth über vier Jahrzehnte hinweg mittlerweile<br />

entwickelt hat. Die Bandbreite der untersuchten Themen<br />

reicht von den keltischen Viereckschanzen über die alten Volkstrachten<br />

auf der Alb bis zur Burgengeschichte des Raums, bio-<br />

31<br />

grafischen, kirchen-, orts- und kunstgeschichtlichen Studien. Mit<br />

zwei wichtigen Werken hat Herbert Burkarth über den Bereich der<br />

<strong>Heimat</strong>geschichte hinaus auch in der wissenschaftlichen Historiographie<br />

Aufmerksamkeit und Anerkennung gefunden: Seiner 1983<br />

in erster Auflage erschienenen grundlegenden Studie zur »Geschichte<br />

der Herrschaft Gammertingen-Hettingen«, die die Entwicklung<br />

des mittleren Laucherttals von der Frühgeschichte bis in<br />

das 19. Jahrhundert umspannt; und sodann seiner Darstellung der<br />

bis dahin nur wenig erforschten Geschichte des Klosters Mariaberg<br />

in einer 1991 herausgegebenen Jubiläumsschrift der Mariaberger<br />

Heime.<br />

Nicht nur für den <strong>Hohenzollerische</strong>n <strong>Geschichtsverein</strong>, auch für den<br />

Sigmaringer Kreisarchivar war und ist Herbert Burkarth der selbstverständlicher<br />

Experte für den Gammertinger Kreisteil. Sei es im<br />

1995 zum Kriegsende vor 50 Jahren erschienenen Sammelband<br />

»Von der Diktatur zur Besatzung«, im 1998 zur Erinnerung an die<br />

Revolution von 1848/49 herausgegebenen Band »Für die Sache der<br />

Freiheit, des Volkes und der Republik« oder im derzeit für die Veröffentlichung<br />

vorbereiteten Klosterbuch zum nordwestlichen Oberschwaben<br />

- stets wurden von ihm zuverlässig und pünktlich die erbetenen<br />

Lokalstudien zu Gammertingen, dem Mittleren Laucherttal<br />

oder Mariaberg geliefert. Als 2001 bundesweit erstmals ein »Tag der<br />

Archive« veranstaltet wurde und sich Staatsarchiv, Kreisarchiv und<br />

verschiedene Kommunalarchive im Landkreis Sigmaringen zu<br />

einem Kooperationsprojekt zusammenfanden, stellte der auch jetzt<br />

wieder vom Kreisarchivar angegangene Herbert Burkarth eine informative<br />

kleine Archivalienausstellung mit Zimelien aus dem Gammertinger<br />

Stadtarchiv zusammen, die in der Folge auf Bitten des<br />

Bürgermeisters zur viel beachteten und ansprechend inszenierten<br />

Ausstellung »900 Jahre und mehr - Blick in die Historie Gammertingens«<br />

zur 900-Jahr-Feier der urkundlichen Ersterwähnung des<br />

Ortes 2001 erweitert und ausgebaut wurde.<br />

Herbert Burkarth ist ein Grenzgänger zwischen <strong>Heimat</strong>forschung<br />

und wissenschaftlicher Historiographie. Völlig fremd ist ihm das bei<br />

<strong>Heimat</strong>forschern nicht ganz selten begegnende Revierdenken, das<br />

den einmal besetzten lokalen Forschungs-Claim ganz für sich allein<br />

sichern und daraus alle konkurrierenden Forscher um jeden Preis<br />

fernhalten will. Unser Jubilar zeigt demgegenüber eine wache Aufgeschlossenheit<br />

für Anregungen und Impulse von anderen und von<br />

außen. Neben seinem profunden ortsgeschichtlichen Wissen leistet<br />

Herbert Burkarth vor allem durch seine Kenntnis des historischen<br />

Kontextes und des landesgeschichtlichen Forschungsstandes, seine<br />

Quellenstudien in den Archiven von Sigmaringen, Stuttgart, Karlsruhe<br />

und Regensburg und nicht zuletzt seine Beherrschung von<br />

fachlicher Methodik und Belegführung den Brückenschlag zur wissenschaftlichen<br />

Geschichtsschreibung.<br />

Die verschiedenen Auszeichnungen, die er in den letzten Jahren erfahren<br />

hat, offenbaren, dass die Menschen die Talente und Leistungen<br />

dieses Mannes zu schätzen wissen: Am Anfang stand 1992 die<br />

Ehrenmitgliedschaft im <strong>Hohenzollerische</strong>n <strong>Geschichtsverein</strong>, 1994<br />

folgte die Verleihung des Silbernen Ehrenschildes der Stadt Gammertingen<br />

und 2001 sodann noch die Auszeichnung mit der <strong>Heimat</strong>medaille<br />

des Landes Baden-Württemberg. Die Ernennung zum<br />

Ehrenbürger seiner <strong>Heimat</strong>stadt, der er als Arzt, Geschichtsforscher<br />

und Mensch in so reichem Maß und in selbstloser Weise gedient hat,<br />

ist der wohl schönste Dank für sein Wirken.


Verlag: <strong>Hohenzollerische</strong>r <strong>Geschichtsverein</strong><br />

Karlstraße 3, 72488 Sigmaringen<br />

E 3828<br />

PVSt, DPAG, »Entgelt bezahlt«<br />

Bürgermeister Holger Jerg (rechts) ernennt Dr Herbert Burkarth zum Ehrenbürger der Stadt Gammertingen Foto: Hildegard Butscher<br />

HOHENZOLLERISCHER HEIMAI<br />

herausgegeben vom <strong>Hohenzollerische</strong>n<br />

<strong>Geschichtsverein</strong>, Postfach 1638,<br />

72486 Sigmaringen<br />

ISSN 0018-3253<br />

Erscheint vierteljährlich.<br />

Die Zeitschrift »<strong>Hohenzollerische</strong> <strong>Heimat</strong>« ist<br />

eine heimatkundliche Zeitschrift. Sie will be-<br />

sonders die Bevölkerung im alten Land Hohen-<br />

zollern und den angrenzenden Landesteilen mit<br />

der Geschichte ihrer <strong>Heimat</strong> vertraut machen.<br />

Sie bringt neben fachhistorischen auch populär<br />

gehaltene Beiträge.<br />

Bezugspreis:<br />

Für Mitglieder des <strong>Hohenzollerische</strong>n Ge-<br />

schichtsvereins ist der Bezugspreis im Beitrag<br />

enthalten. Bezugspreis für Nichtmitglieder<br />

€ 7,-. Abonnements und Einzelnummern kön-<br />

nen beim <strong>Hohenzollerische</strong>n <strong>Geschichtsverein</strong><br />

(s. o.) bestellt werden.<br />

Die Autoren dieser Nummer<br />

GerdBantle<br />

Hedinger Straße 5, 72488 Sigmaringen<br />

Dr Otto H. Becker<br />

Hedinger Straße 17, 72488 Sigmaringen<br />

Willy Beyer<br />

Kaußausstraße 5, 72379 Hechingen<br />

Otto Bogenschütz<br />

Silberburgstraße 4, 72379 Hechingen<br />

Corinna Knobbch<br />

Burgstraße 6, 72488 Sigmanngen<br />

Ferdinand Pfannstiel<br />

Birkenweg 1, 72818 Trochtelßngen<br />

Josef Schneider<br />

Heiligkreuzstraße 16.<br />

72401 Haigerloch-Gruol<br />

Dr Edwin Ernst Weber<br />

Leopoldstraße 4, 72488 Sigmaringen<br />

Dr. Andreas Zekom<br />

Landratsamt Balingen, Hirschbergstraße 29,<br />

72334 Balingen<br />

32<br />

Gesamtherstellung.•<br />

Druckerei Acker GmbH,<br />

Mittelberg 6, 72501 Gammertingen<br />

Telefon (07574) 9301-0, Fax9301-30<br />

info@druckerei-acker.de<br />

www.druckerei-acker.de<br />

Schriftleitung:<br />

Robert Frank<br />

Fliederstraße,8, 72401 Haigerloch-Weildorf<br />

Tel.: 07474/2161<br />

Die mit Namen versehenen Artikel geben die<br />

persönliche Meinung der Verfasser wieder;<br />

diese zeichnen für den Inhalt der Beiträge ver-<br />

antwortlich. Mitteilungen der Schriftleitung sind<br />

als solche gekennzeichnet.<br />

Manuskripte und Besprechungsexemplare wer-<br />

den an die Adresse des Schriftleiters erbeten,<br />

Wir bitten unsere Leser, die »<strong>Hohenzollerische</strong><br />

<strong>Heimat</strong>« weiterzuempfehlen.


<strong>Hohenzollerische</strong> <strong>Heimat</strong><br />

Herausgegeben vom ^ ^ H <strong>Hohenzollerische</strong>n <strong>Geschichtsverein</strong><br />

54. Jahrgang Nr. 3 - September 2004 E 3828<br />

Abb. 1: Heiligenberger Wappenscheibe des Wilhelm Werner von 'Zimmern, Herrn zu Wildenstein, Hüttengläser, Schwarzlot, Silbergelb, 39 x32 cm. Text d<br />

Fußleiste: Wilhelm Werner Freierherr zu Zimbern, Herr zu Wildenstain, 1529. Bildnachweis: Schloss Heiligenberg, hrsg vonE. W. GrafzuLynar (Text) un<br />

K. Gramer (Photos), Verlag Schnell, u. Steiner München/Zürich 198§> S. 12


HERBERT RÄDLE<br />

Zwei bunte Wappenscheiben von 1529<br />

in Heiligenberg<br />

Mit dem Bildersturm der Calvinisten hatte sich die Auftragssituation<br />

zumal der süddeutschen Glasmalerwerkstätten grundlegend geändert.<br />

An ein Ausschmücken der Kirchen mit bunten Glasfenstern war<br />

im reformierten Süddeutschland und in der Schweiz nicht mehr zu<br />

denken, seitdem »die christlichen Tempel von Götzenbildern gereinigt«<br />

worden waren.<br />

Im profanen Bereich hingegen erwuchsen den Glasmalerwerkstätten<br />

- die bekannteste in unserem Raum war die Werkstatt des Hans Gitschmann<br />

von Ropstein in Freiburg i. Br. - neue Aufgaben durch das in<br />

Handwerk und Handel wohlhabend gewordene städtische Bürgertum<br />

ebenso wie durch den macht- und repräsentationsbewußten Adel. In<br />

diesen Kreisen wurde es damals üblich, durch gegenseitige Schenkungen<br />

sogenannter Wappen- oder Kabinettscheiben zu demonstrieren,<br />

wie weit die eigenen Verbindungen reichten, mit welchen angesehenen<br />

Familien, Fürsten, Städten oder Klöstern man in freundschaftlichen<br />

oder politischen Beziehungen stand.<br />

Und so entfaltete sich zumal in den Rathäusern aufstrebender Städte<br />

und auf süddeutschen Adelssitzen seit dem ersten Viertel des 16. Jh.<br />

die Farbenpracht bunter Glasscheiben. Die beeindruckendsten Beispiele<br />

im süddeutschen Raum sind dafür die mit Wappenscheiben geschmückten<br />

Rathaussäle von Endingen am Kaiserstuhl und Pfullendorf.<br />

Im Rittersaal des Schlosses Heiligenberg sind sodann nicht weniger<br />

als 20 Fenster mit insgesamt 40 sogenannten Kabinettscheiben<br />

geschmückt, von denen ein Teil aus dem Meßkircher Rathaus<br />

stammt.<br />

Stifter von Wappenscheiben konnten ebenso Einzelpersonen sein wie<br />

auch Institutionen, etwa Klöster oder Städte. Wir haben erwähnt, daß<br />

auch das Meßkircher Rathaus einst mit Wappenscheiben ausgestattet<br />

war, von denen zumindest eine noch auf Schloß Heiligenberg erhalten<br />

ist. Wir stellen sie in Abb. 1 vor. Die Entwürfe für diese Glasgemälde,<br />

die sog. Scheibenrisse, stammten teilweise von namhaften<br />

Künstlern, so etwa dem Meister von Meßkirch (1).<br />

Zum Begriff der Wappen- oder Kabinettscheibe gehört ihr relativ kleines<br />

Format von ca. 30 x 40 cm, und zum Charakter der Schenkung<br />

bzw. Stiftung seitens einer Persönlichkeit oder Institution gehört es,<br />

daß die Scheibe als wesentlichen Teil das entsprechende Wappen (2)<br />

und eine Stifterinschrift trägt.<br />

Im Folgenden stellen wir zwei der beeindruckendsten Wappenscheiben<br />

auf Schloß Heiligenberg in Text und Abbildung vor, nämlich die<br />

Scheibe des Freiherrn Wilhelm Werner von Zimmern auf Wildenstein<br />

(Abb. 1) und die Scheibe des Grafen Friedrich von Fürstenberg (Abb.<br />

2), welche beide im gleichen Jahr 1529 entstanden sind (3).<br />

Der Rahmen der Scheibe wird, wie man sieht, in beiden Fällen von<br />

zwei seitlichen Renaissancesäulen und einem Oberbild gebildet, welches<br />

typische Szenen aus dem Leben eines damaligen zeitgenössischen<br />

Adeligen zeigt. Im Falle von Abb. 1 (= Scheibe des Freiherrn<br />

von Zimmern) handelt es sich um ein Jagdmotiv, im Falle von Abb. 2<br />

(= Scheibe des Grafen von Fürstenberg) um den Zweikampf zweier<br />

Reiterführer. Auf der Fußleiste der Scheiben erscheint in beiden Fällen<br />

die Stifterinschrift und die Jahreszahl 1529-<br />

34<br />

Das Hauptfeld beider Wappenscheiben wird wie üblich vom Wappen<br />

und den Wappenhaltern eingenommen. Im Fall der Fürstenberger<br />

Scheibe handelt es sich um einen Landsknecht, einen sogenannten<br />

»Wilden Mann«, als Wappenhalter, bei der Meßkircher um zwei<br />

Tiere, einen Löwen und einen Greifen.<br />

Der Wappenschild der Meßkircher Scheibe ist geviert, und es sind -<br />

symmetrisch angeordnet - zwei Wappenhelme und zwei Helmzieren<br />

(in Gestalt von Hirschköpfen) vorhanden, wohingegen beim Wappen<br />

des Fürstenbergers die Helmzier aus einem einzigen, weißen, runden<br />

Federbusch besteht.<br />

Die Vier-Teilung des Schildes scheint zur Entstehungszeit unserer<br />

Scheiben eine Neuerung gewesen zu sein. Der Stifter Wilhelm Werner<br />

von Zimmern war nämlich, wie man in der Zimmernschen Chronikliest,<br />

»mit seinen Brüdern 'gegen die Auffassung seines Vaters und<br />

seines Neffen übereingekommen, im Wappen die vier Löwen quartiert<br />

zu führen«, obwohl, wie der Verfasser der Chronik einwendet,<br />

»sich in deutscher Nation nichts Schädlicheres hat begeben können,<br />

als daß die quartierten Wappen aufgekommen«. Und wenn<br />

schon, so meint er, »dann wäre es (im Falle der Zimmernschen<br />

Löwen) glücklicher gewesen, sie hätten einander nachgesehen, als<br />

daß sie also gegeneinander kratzen und grimmen« (Zimmernsche<br />

Chronik Bd. 3, S. 216).<br />

Zum Schluß noch eine biographische Bemerkung zu dem Stifter unserer<br />

Scheibe! Wilhelm Werner von Zimmern (ca. 1485- 1575) wurde<br />

als jüngster von vier Söhnen des Freiherrn Johann Werner von<br />

Zimmern in Meßkirch geboren. Er betrieb in Tübingen und Freiburg<br />

juristische und philosophische Studien und wurde in Freiburg mehrfach<br />

zum Rektor gewählt. 1529, im Jahr der Stiftung unserer Scheibe,<br />

wurde er von Kaiser Karl V. zum Beisitzer am Reichskammergericht in<br />

Speyer berufen.<br />

Wilhelm Werner von Zimmern verfaßte mehrere Werke genealogischen<br />

Inhalts, die er mit eigenen Federzeichnungen, namentlich Wappen,<br />

dekorierte. Zu seinen Schriften gehört auch ein in der mittelalterlichen<br />

Tradition der Totentänze stehendes Erbauungsbuch (4).<br />

Bemerkenswert ist aber vor allem, daß es sich bei ihm um einen Bruderjenes<br />

Gottfried Werner von Zimmern handelt, der in den Jahren<br />

1535 - 1540 die Meßkircher Stiftskirche St. Martin durch den Meister<br />

von Meßkirch mit Flügelaltären ausstatten ließ (5).<br />

(1) Vgl. etwa C. Grimm, Die Fürstenbergsammlungen Donaueschingen,<br />

München 1990, S. 70f. 0ohannes d. T.) und S. 72<br />

(Wappenscheibe des Klosters Wald und des Klosters Salem<br />

im Rathaussaal Pfullendorf). In beiden Fällen scheint der<br />

Meister von Meßkirch den Scheibenriß geliefert zu haben.<br />

(2) Heraldisch ist zum Wappen allgemein zu sagen, daß es traditionell<br />

vier Bestandteile enthält, nämlich erstens den Wappenschild<br />

(lat. scutum, vgl. span. escudo = Schild, Wappen),<br />

sodann zweitens die (oft aus stilisierten Akanthusblättern bestehende)<br />

Wappendecke, ferner drittens den Wappenhelm<br />

und viertens die sogenannte Helmzier. Seit dem späten Mittelalter<br />

wird es darüberhinaus üblich, das Wappen von Wappenhaltern,<br />

seien dies Menschen oder Tiere, präsentieren<br />

zu lassen.


Mitteilungen<br />

aus dem<br />

<strong>Hohenzollerische</strong>n<br />

<strong>Geschichtsverein</strong><br />

Veranstaltungen im 4. Quartal 2004<br />

I. Exkursion<br />

Auf den Spuren des Bildhauers JosefHenselmann<br />

am Samstag, 9- Oktober, unter der Leitung von Herrn Hans Joachim<br />

Dopfer, Schatzmeister des <strong>Geschichtsverein</strong>s und Betreuer<br />

des Kunstmuseums Laiz.<br />

Prof. Josef Henselmann, 1898 in Sigmaringen-Laiz geboren und<br />

1987 in München gestorben, hat der Nachwelt viele bedeutsame<br />

Werke hinterlassen. Erinnert sei an den Passauer Altar, den Augsburger<br />

Altar, aber auch an Werke in unserer näheren Umgebung.<br />

Es sind alles Zeichen seiner unermüdlichen Schaffenskraft und<br />

seines Könnens. Mit der Exkursion möchten wir an diesen großen<br />

Künstler, der unserer schwäbischen <strong>Heimat</strong> entstammte, erinnern.<br />

Abfahrt: Hechingen um 9-00 Uhr (Obertorplatz)<br />

Ankunft: Sigmaringen um 10.00 Uhr (Marstallpassage)<br />

Treffpunkt: Sigmaringen um 10.05 am Vierjahreszeitenbrunnen<br />

Nachträge zu Heft 2/2004<br />

Auf Seite 29 wurde beim Farbbild die Legende weggelassen. Diese<br />

lautet: »Rechtes Seitenschiff der Kirche Offenburg-Windschläg.<br />

Wandmalerei von August Pftster aus dem Jahre 1914. Unten links<br />

ist Jesus als Zwölfjähriger im Tempel zu sehen, den die Eltern<br />

nach einer Wallfahrt lange suchten. Bis 1970 stand unter diesem<br />

Bild der »fosefaltar«, heute ist dort der Taufstein platziert.«<br />

(3) Als Entstehungsort der Scheiben ist Freiburg i. Br. anzunehmen,<br />

wo, wie oben angedeutet, Hans Gitschmann von Ropstein<br />

in der ersten Hälfte des 16. Jh. eine große Glasmalerwerkstatt<br />

unterhielt.<br />

(4) Die biographischen Ausführungen zu Wilhelm Werner von<br />

Zimmern sind entnommen dem Ausstellungskatalog »Die<br />

Renaissance im deutschen Südwesten«, hrsg. vom Badischen<br />

Landesmuseum Karlsruhe, Karlsruhe 1986, Bd. 1, S. 273.<br />

(5) Die meisten der zahlreichen, insgesamt über 70 Altarbilder<br />

des »Meisters von Meßkirch« in der spätgotischen Meßkir-<br />

35<br />

Weiterfahrt: Sigmaringen um ca. 10.30 Uhr (Marstallpassage)<br />

Rückkehr: Sigmaringen um ca. 17.00 Uhr (Marstallpassage)<br />

Hechingen um ca. 18.00 Uhr (Obertorplatz)<br />

Fahrpreis pro Person: 16 Euro<br />

Anmeldungen nimmt das Sekretariat des <strong>Hohenzollerische</strong>n<br />

<strong>Geschichtsverein</strong>s, Karlstraße 3, 72488 Sigmaringen<br />

(Tel. 07571/101-580 oder 559) entgegen.<br />

II. Vorträge<br />

Dr. Frank Raberg, Neresheim<br />

Ein Reingeschmeckter schafft das moderne Hohenzollern.<br />

Zum 100. Todestag des Gründers des <strong>Hohenzollerische</strong>n<br />

Landeskommunalverbandes August Evelt<br />

Montag, 13- Dezember, um 20.00 im Alten Schloss<br />

in Hechingen<br />

Dienstag, 14. Dezember, um 20.00 im Prinzenbau<br />

(Staatsarchiv) in Sigmaringen<br />

gez. Dr. Otto Becker<br />

Vorsitzender<br />

Auf Seite 23 ist die Literatur zu ergänzen: Ch. Unz, Die spätbronzezeitliche<br />

Keramik in Südwestdeutschland, in der Schweiz und in Ostfrankreich.<br />

Prähistorische Zeitschrift 48,1973,1 ff.<br />

Berichtigung zu Heft 2/2004<br />

Auf Seite 21 Abb. 3 muss die Bildunterschrift heißen: »Waagrechte<br />

Tupfenleisten« und nicht »Rupfenleisten«.<br />

cher Stiftskirche St. Martin sind heute sozusagen in alle<br />

Winde zerstreut. Nur der Mittelteil des einstigen Hochaltars,<br />

die Dreikönigstafel, befindet sich noch an Ort und Stelle. Als<br />

die Kirche nämlich 1773 unter Fürst Johannes Wenzeslaus<br />

von Fürstenberg barock umgebaut wurde, entfernte man die<br />

acht Seitenaltäre völlig.<br />

Ein großer Teil der Bilder wurde später im Kunsthandel verkauft<br />

und befindet sich heute in zahlreichen europäischen<br />

und amerikanischen Museen. Vgl. Claus Grimm, Die Fürstenbergsammlungen<br />

in Donaueschingen, München 1990,<br />

S. 230f.


Abb. 2: Heiligenberger Wappenscheibe Friedrichs Graf zu Fürstenberg. Hüttengläser, rotes und. blaues Überfangglas mit Ausschliff, Schwarzlot, Silbe<br />

Eisenrot. 41 x 32 cm. Text der Fußleiste: Friedrich grave zu Fierstenperg, Lantgrave in Bare. Anno Domini 1529. Bildnachweis wie Abbildung 1, Seite 1<br />

36


OTTO H. BECKER<br />

Der Nachtwächter in Oberschmeien<br />

Das Staatsarchiv Sigmaringen betreut seit einigen Jahren auch die Archive<br />

der von 1972 bis 1975 nach Sigmaringen eingemeindeten Ortschaften.<br />

So wurden die Gemeindearchive Laiz und Gutenstein in das<br />

Depositum Stadtarchiv Sigmaringen (Dep. 1) übernommen und<br />

durch Findbücher erschlossen. 2003 konnte sodann die Inventarisierung<br />

des übernommenen Gemeindearchivs Oberschmeien zum Abschluss<br />

gebracht werden. Dabei wurden als Rarität auch Unterlagen<br />

über den Nachtwächter dieses Dorfes aus der Zeit von 1839 bis 1884<br />

ermittelt.<br />

Das schmale Aktenfaszikel weist zwei Dienstinstruktionen für den<br />

Nachtwächter zu Oberschmeien auf, eine des Fürstlich Fürstenbergischen<br />

Obervogteiamtes Jungnau vom 16. April 1839 und eine weitere<br />

des Königlich Preußischen Oberamtes Sigmaringen vom 24. Juli 1860.<br />

Die beiden Dokumente gewähren uns interessante Einblicke in die<br />

Tätigkeit eines Berufsstandes, der nahezu in Vergessenheit geraten ist.<br />

Nach der älteren Instruktion erstreckte sich die Dienstzeit des Nachtwächters<br />

in den Monaten November bis Februar jeweils von 9 Uhr<br />

abends bis 3 Uhr morgens und in den Monaten März bis Oktober jeweils<br />

von 10 Uhr abends bis 2 Uhr morgens. In seiner Dienstzeit hatte<br />

der Nachtwächter jede Stunde mit dem »gewöhnlichen Nachtwächterruf«<br />

anzukündigen.<br />

Aus Sicherheitsgründen hatte der Ruf jeweils an einer anderen Stelle<br />

zu erfolgen. Innerhalb jeder Stunde musste der Nachtwächter nämlich<br />

alle Gassen und Straßen des Dorfes begehen. Dabei hatte er alle<br />

Häuser in Augenschein zu nehmen und bei Verdacht der Feuergefahr<br />

sofort den Hausbesitzer zu wecken. Für den Fall, dass akute Feuergefahr<br />

bestand, musste der Nachtwächter gem. § 77 der Feuerordnung<br />

vom 12. April 1808 alle Dorfbewohner wecken und dem Ortsvorsteher<br />

davon Meldung machen.<br />

Sollten dem Nachtwächter bei seinem Gang durch den Ort fremde<br />

Personen begegnen, war der Ordnungshüter dazu verpflichtet, diese<br />

nach den Gründen ihres »Umherziehens« zu befragen. Konnten diese<br />

keine <strong>Heimat</strong>scheine oder Reisepässe vorweisen, musste der Nachtwächter<br />

diese festhalten und dem Schultheißamt zur Verwahrung<br />

übergeben.<br />

Für den Fall aber, dass der Nachwächter bei seinem Gang nach der<br />

Polizeistunde Einheimische antreffen sollte, war er dazu verpflichtet,<br />

diese nach Hause zu schicken und beim Schultheißenamt wegen<br />

»Nachtschwärmerei« anzuzeigen. Darüber war ein Protokoll aufzusetzen,<br />

das dem Obervogteiamt zur weiteren Veranlassung zugestellt<br />

werden musste.<br />

Sollten überdies nach der Polizeistunde Individuen auf Nebenwegen<br />

oder in der Nähe von Häusern und Wohnungen angetroffen werden<br />

und sich unlauterer Absichten verdächtig machen, war der Nachtwächter<br />

angehalten, diese festzunehmen und dem Schultheißenamt<br />

zu übergeben.<br />

37<br />

Nach der Dienstanweisung von 1839 unterstand der Nachtwächter<br />

ausdrücklich der Aufsicht und der Kontrolle des Gendarmen und des<br />

Polizeidieners. Dienstversäumnisse des Nachtwächters sollten mit<br />

Geldstrafen, die an die Ortskasse abzuführen waren, bis hin zur<br />

Dienstentlassung geahndet werden.<br />

Nach § 1 der knapper gefassten Dienstanweisung von 1860 war der<br />

Nachtwächter unmittelbar dem Bürgermeister zugeordnet und unterstand<br />

der Kontrolle des Gendarmen und Polizeidieners. Die genaue<br />

Dienstzeit wird darin zwar nicht angegeben, doch hatte der Nachtwächter<br />

in den Monaten Aprü bis September jeweils abends um 10<br />

Uhr und 12 Uhr und morgens um 2 Uhr und in den Monaten Oktober<br />

bis März abends jeweils um 10 Uhr und 12 Uhr und morgens jeweils<br />

um 3 Uhr die Stunden anzukündigen.<br />

In § 5 der Dienstinstruktion von 1860 lesen wir: »Der Nachtwächter<br />

hat nicht bloß gelegentlich des Stundenabrufens den Ort zu durchgehen,<br />

sondern auch in der Zwischenzeit alle Straßen und Gassen zu besichtigen.<br />

Begibt er sich aber in der Zwischenzeit in seine Wohnung,<br />

so hat er daselbst zum Zeichen seiner Wachsamkeit Licht zu brennen«.<br />

Das Tätigkeitsfeld des Nachtwächters wird in § 6 der Instruktion folgendermaßen<br />

umrissen: »Aufgabe und Pflicht des Nachtwächters ist<br />

es, jede Zuwiderhandlung gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung<br />

zu verhindern und zur Anziege zu bringen, namentlich gegen die<br />

Feuerpolizeiordnung, als da sind: das Herumgehen in den Häusern,<br />

Scheunen und auf den Straßen mit bloßem Lichte, das Erwärmen der<br />

Ställe mit Kohlenfeuer, der Gebrauch von Fackeln im Orte, das<br />

Schießen und Raketenwerfen in demselben«.<br />

Der Nachtwächter hatte überdies »Exzesse« jeglicher Art zu verhindern<br />

und zur Anzeige zu bringen. Insbesondere war ihm auferlegt, bei<br />

Feuergefahr die Hausbewohner zu wecken und dem Bürgermeister<br />

Anzeige davon zu machen. Zuwiderhandlungen des Nachtwächters<br />

waren nach der Instruktion mit Ordnungsstrafen und evtl. auch mit<br />

Entlassung zu bestrafen.<br />

Das Aktenfaszikel enthält ferner Informationen über die Besoldung<br />

des Nachtwächters in Oberschmeien. So wurden 1840 die Jahresbezüge<br />

des Nachtwächters Philipp Strehl von 34 Gulden auf 36 Gulden<br />

erhöht. 1849 erhielt der damalige Nachtwächter Matthias Sauter einen<br />

Sold in Höhe von 37 Gulden 15 Kreuzer. In den Jahren von 1879<br />

bis 1883 wird Hieronymus Steiner darin als Nachtwächter erwähnt.<br />

1884 hatte sodann Fidel Moser das Nachtwächteramt in Oberschmeien<br />

inne.<br />

Nach 1884 werden sowohl in dem angegebenen Aktenfaszikel als<br />

auch in den Jahresrechnungen der Gemeinde Oberschmeien keine<br />

Nachtwächter mehr genannt. Dieser Berufsstand war vermutlich infolge<br />

des verstärkten Ausbaus des Feuerlöschwesens und der Polizei<br />

durch Preußen in Hohenzollern entbehrlich geworden.<br />

Quellennachweis: StA Sigmaringen Dep. 1T 30 Nr. 6a


JOSEF SCHNEIDER<br />

Vor 60 Jahren: Beginn des Luftkrieges<br />

auch in Hohenzollern<br />

Die Konferenz der Alliierten in Casablanca vom 14. bis 24. Jan. 1943<br />

brachte auch die Richtlinien für den uneingeschränken Luftkrieg gegen<br />

Deutschland hervor. Als dessen Ziel wurde vorgegeben, »diefortschreitende<br />

Zerstörung und Desorganisation des deutschen militärischen,<br />

industriellen und wirtschaftlichen Systems und die<br />

Untergrabung der Moral des deutschen Volkes bis zu einem Grade,<br />

wo seine Fähigkeit zum bewaffneten Widerstand entscheidend geschwächt<br />

ist.« In den Richtlinien folgte eine Auflistung der Zielgebiete<br />

im Innern des Deutschen Reiches, wobei die britische Luftwaffe<br />

in Nachtangriffen, die amerikanischen Luftstreitkräfte in »Tagespräzisionsangriffen«<br />

auf strategische Ziele für immerwährende Luftgefahr<br />

sorgen sollten. Ausgelöst wurde die Luftoffensive entsprechend<br />

diesem System bereits im Frühjahr 1943.<br />

Im Herbst 1942, als schon die Luftangriffe auf das Reichsgebiet begonnen<br />

hatten, wandte sich - was im Krieg noch nie der Fall war -<br />

der englische Luftmarschall Harris, Verantwortlicher für die Luftkriegsoffensive,<br />

mit einer Botschaft an das deutsche Volk. Er begründete<br />

die Luftangriffe als Antwort auf die verbrecherische Luftkriegsführung<br />

Hitlers auf englisches Hoheitsgebiet. Einbezogen waren die<br />

Tieffliegerangriffe auf die deutsche Zivilbevölkerung mit Bordwaffenbeschuss<br />

und Splitterbomben.<br />

Vor 60 Jahren, im Spätsommer 1944, gab es in der Bevölkerung keinen<br />

Zweifel mehr darüber, dass die Schrecken des Krieges der »beschützten<br />

<strong>Heimat</strong>« nicht erspart würden. Die Menschen zogen die<br />

Befürchtung aus der allgemeinen kritischen Kriegslage an allen Fronten,<br />

die sich bedrohlich der Reichsgrenze näherten. Schon längst hatten<br />

die Alliierten die Lufthoheit errungen, was schon offenkundig wurde<br />

an den großen Bomberpulks, die unbeirrt ihre Ziele erreichten,<br />

und an den gefürchteten Jagdbombern, »fabos« genannt, die als Tiefflieger<br />

Angst und Schrecken bei der Zivübevölkerung auslösten. Ihre<br />

erklärten Ziele waren die Züge der <strong>Hohenzollerische</strong>n Landesbahn,<br />

mit der zu reisen ein gefährliches Risiko für Leib und Leben bedeutete.<br />

Unterlagen über die einzelnen Angriffe auf die Landesbahn sind zufällig<br />

erhalten gebheben. Dem Betriebstagebuch der Landesbahn-Betriebswerkstätte<br />

Gammertingen, worin jeder Tag vom Werkstättenvorsteher<br />

eingetragen wurde, verdankt man die Daten dieser schweren<br />

Luftbedrohung.<br />

In der Zeit vom 10. September 1944 bis 21. April 1945, dem Tag, an<br />

dem der Zugverkehr gänzlich zum Erliegen kam, fanden auf der Landesbahnstrecke<br />

zwischen Hanfertal und Haigerloch beziehungsweise<br />

Haltepunkt Trillfingen 42 Menschen durch Luftangriffe den Tod, 35<br />

wurden schwer- oder leicht verwundet. Bei Jungnau kamen allein bei<br />

einem Angriff 27 Fahrgäste ums Leben. Zwischen Gauselfingen und<br />

Burladingen gab es bei einem Angriff neun Tote und zwölf Verwundete.<br />

Dazu kamen hohe Sachschäden an den Loks, Personen- und Güterwagen.<br />

38<br />

So schlugen Jagdbomber der Allnerten in unserem engeren Haigerlocher<br />

Raum erstmals am 28. September 1944 zu. Der Personenzug auf<br />

der Strecke zwischen Harter Wald und Stetten war ihr Ziel. Es gab drei<br />

Tote und viele Schwerverletzte. In zwei Anflügen, so berichteten Augenzeugen,<br />

wurden der Zug und die flüchtenden Fahrgäste angegriffen.<br />

Beim dritten Anflug überzeugten sich die Piloten offensichtlich<br />

nur noch von ihrem Zerstörungswerk, behinderten dadurch jedoch<br />

stark die Betreuung und den Wegtransport der Schwerverletzten, die<br />

vom alarmierten Haigerlocher Arzt Dr. Rudolf Mock erste Hilfe erhielten<br />

und danach in die Klinik verbracht wurden. Unterstützt wurde<br />

Dr. Mock von seiner Gattin Antonie, die ihre Schwester Anna Maria<br />

Albrecht (Jahrgang 1899) mit tödlichen Verletzungen antraf. Das<br />

zweite Todesopfer war das zweijährige Kind Petra Edele aus Owingen,<br />

das am 26. Oktober 1944 an den Folgen der Verwundungen starb.<br />

Verwundet wurde auch die Mutter Petra Edele und die Tante Frau Fischer<br />

aus Hechingen-Stetten. An den Unglücksort eilte auch der Pfarrer<br />

von Stetten, Andreas Dieringer, um seelsorgerliche Betreuung zu<br />

übernehmen. Unter den Helfern befand sich auch der auf <strong>Heimat</strong>urlaub<br />

weilende Leutnant Heinrich Remark, der Sohn des späteren Hechinger<br />

Landrats. Tödlich getroffen wurde auch eine Frau aus Stuttgart.<br />

Welche Schwerverletzten noch starben, ist nicht mehr zu rekonstruieren.<br />

Einige der Getroffenen hatten unter bleibenden Schäden zu<br />

leiden.<br />

Die Angst nach diesem Erlebnis hatte sich kaum etwas gemindert, als<br />

nach knapp zehn Tagen ein erneuter Angriff auf die Bahn ein Todesopfer<br />

forderte, den knapp sechzehnjährigen Thomas Fischer aus<br />

Weildorf. Er war im letzten Wagen gesessen. Dieser kam nicht mehr<br />

zwischen den beiden Felsen unweit der Talmühle Kessler zu stehen,<br />

wo sich der Zug vor den Jagdbombern sicher wähnte. Der Vater holte<br />

seinen jüngsten Sohn mit dem Fuhrwerk nach Hause. Thomas war<br />

zurückgestellt worden, nachdem bereits vier Brüder Soldat waren.<br />

Erhebliche Schäden hatten bei diesen Angriffen, die zumeist mit Bordwaffenbeschuss<br />

erfolgen, auch die Waggons und die Gebäude der Familie<br />

Kessler von der Talmühle unterhalb Trillfingens.<br />

Angegriffen wurden im Frühjahr 1945 auch die Bahnhöfe Haigerloch<br />

und Eyach, wobei keine Personen zu Schaden kamen, wie dies auch<br />

bei dem Angriff am 23. Februar 1945 der Fall war, als eine Bombe<br />

beim Missionshaus in Haigerloch fiel und in der Unterstadt erhebliche<br />

Schäden hinterließ. So auch an der Unterstadtkirche, wo das Ereignis<br />

in einem Fenster nachträglich in Erinnerung behalten wurde.<br />

Durch diese ständige Luftbedrohung trauten sich die Landwirte zur<br />

Felderbestellung im Frühjahr 1945 kaum mehr hinaus. Die lebensbedrohliche<br />

Situation um jene Zeit veranlasste auch die Eltern, ihre<br />

Schüler nicht mehr ans Gymnasium in Hechingen zu schicken.<br />

Die Angst, die in der Bevölkerung um Leben, Hab und Gut um jene<br />

Zeit herrschte, scheint auch in einem Brief durch, den der damalige<br />

Pfarrer von Gruol, Gustav Reiber, im Oktober 1944 an den Verfasser<br />

dieses Beitrages in den Kurlandkessel schrieb:» Wir hören schon die<br />

Kanonen aus dem Elsaß herüberdonnern und täglich sind feindliche<br />

Flieger über, dem Dorf. Was wird noch werden?« Aus einer Eintragung<br />

im Standesamtsbuch Stetten ist ersichtlich, dass am 18. Juli<br />

1944 im Distrikt Gabele ein amerikanischer Pilot bei einem Flugzeugabsturz<br />

auf entsetzliche Weise ums Leben kam.


FRANZ-SEVERIN GÄßLER<br />

Die Vorgängerbauten des Sigmaringer<br />

Rathauses - Lage, Gestalt und Funktion<br />

Teil 1: Das Rathaus des 15. Jahrhunderts<br />

Dieses Frühjahr wurde in Sigmaringen die Rathauserweiterung abgeschlossen,<br />

und gleichzeitig sind genau 550 Jahre vergangen seit der<br />

erstmaligen urkundlichen Erwähnung des Sigmaringer Rathauses.<br />

Das damalige Rathaus ist längst verschwunden, ebenso wie die beiden<br />

bisher bekannten Nachfolgebauten aus dem 17. und aus dem 19.<br />

Jahrhundert. Das heutige Rathaus entstand nach den Plänen des Architekten<br />

Friedrich lmbery in zwei Bauabschnitten in den Jahren<br />

1925 - 27'. Lage und Gestalt der jetzigen Sigmaringer Rathauserweiterung<br />

sind, wie die zahlreichen Äußerungen aus der Bevölkerung in<br />

der Tagespresse widerspiegeln, äußerst umstritten. Die Auseinandersetzung<br />

mit der Rathauserweiterung unter städtebaulichen und architektonischen<br />

Aspekten wird an anderer Stelle stattfinden. Hier soll<br />

aufgezeigt werden, welche Funktion und welche Gestalt die untergegangenen<br />

Rathäuser besaßen, wie sie im Stadtgefüge plaziert und wie<br />

sie im Stadtraum eingebunden waren, welche Merkmale sie als Rathäuser<br />

erkennbar machten und von den bürgerlichen Bauten unterschieden<br />

und wie das Zusammenspiel von Lage und Gestalt das jeweilige<br />

Rathaus zum repräsentativen und herausragenden Gebäude<br />

im Stadtgefüge machte. 2<br />

Lage und Gestalt<br />

1454 schenkte Graf Johann zu Werdenberg Schultheiß, Rat und der<br />

ganzen Gemeinde »unsern Eig halbteil des Rathuses daselbs den wir<br />

erkouft und erbauen haben«; gleichzeitig verzichtete er für sich und<br />

seine Erben zu Gunsten der Stadt.' Aus zwei vermutlich annähernd<br />

gleichen Teilen bestand folglich damals das Rathaus, ohne daß sich<br />

erschließen lässt, welches der vom Grafen errichtete Teil war. 4 Doch<br />

kann man den vom Grafen errichteten Bau zumindest zeitlich eingrenzen,<br />

da der Werdenberger die Grafschaft Sigmaringen, die er ursprünglich<br />

als Pfand hatte und die erst 1459 in das Eigentum der Werdenberger<br />

überging, nach dem Tode seines Vaters 1416 bis 1465 regierte.<br />

5 Aus zwei Teilen bestand vermutlich auch zwei Jahrhunderte<br />

später noch das Rathaus, denn aus den Bauverträgen von 1644 geht<br />

hervor, daß das alte und das neue Rathaus zusammen mit dem Schulhaus<br />

neu eingedeckt wurden. 6 Ob das Rathaus aus dieser Zeit noch<br />

dieselbe Substanz besaß, wie dasjenige aus der Zeit des Grafen Johann<br />

von Werdenberg, und ob sich die Unterscheidung zwischen Altem<br />

Rathaus und Neuem Rathaus noch auf die werdenbergische Zeit<br />

bezieht, ist nicht überliefert. Doch kennen wir, wenn wir der Überlieferung<br />

vertrauen, die genaue Lage des zu Anfang des 17. Jahrhunderts<br />

bestehenden Rathauses, da das 1657 erbaute Rathaus auf dem »Mauerstock«<br />

des Vorgängerbaues errichtet wurde und seine Lage in den<br />

ersten bisher bekannten Stadtplänen Sigmaringens überliefert ist. 7<br />

Demnach stand das Rathaus mit hoher Wahrscheinlichkeit zumindest<br />

seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts erstens immer auf der<br />

Südseite des wichtigsten Straßenzuges der Altstadt, der ehemals wohl<br />

einzigen Straße des Zwergstädtchens, zweitens auf derem Scheitel<br />

und drittens im Zentrum der nach Süden aufgeweiteten Straße, die<br />

Platz für den Markt bot (Abb. 1). Und wenn wir annehmen, daß die<br />

Länge des 1656 errichteten Rathauses mit demjenigen aus der Mitte<br />

des 15-Jahrhunderts übereinstimmt, so stand bereits das Rathaus der<br />

werdenbergischen Epoche nicht in einer Reihe mit den übrigen<br />

zurückgesetzten Häusern, sondern ragte weit in den Raum der<br />

39<br />

Straßenaufweitung vor, teilte diesen Raum in einen östlichen und<br />

westlichen Bereich, war ursprünglich wohl von den beiden Stadttoren<br />

aus sichtbar und öffnete sich als einziges Gebäude der Stadt mit drei<br />

Fassaden auf den öffentlichen Raum.<br />

Die bisher älteste bekannte Stadtansicht Sigmaringens, die auf einer<br />

Landtafel des ausgehenden 16. Jahrhunderts zu finden ist, zeigt den<br />

Blick auf Stadt, Schloß und Landschaft von Süden her (Abb. 3) 8 Gut<br />

erkennbar sind auf der linken Seite die Stadtpfarrkirche mit dem<br />

mächtigen Türm, in der Mitte die Burganlage mit ihrem differenzierten<br />

baulichen Gefüge sowie den beiden auf unterschiedlichem Niveau gelegenen<br />

Burghöfen. Auf der rechten Seite sind Dach und Dachreiter<br />

des Mühltores und im Vordergrund die Stadtmauer zu sehen. Fast<br />

gleichförmig und vermutlich schematisch dargestellt ist die Dachlandschaft<br />

der Bürgerhäuser. Doch fällt auf, daß die Häuser, die im Bereich<br />

zwischen dem Chor der Stadtpfarrkirche und dem heutigen Wilhelmsbau<br />

des Schlosses stehen, in Schrägansicht und mit Giebel gezeigt werden<br />

und um einen Platz herum angeordnet erscheinen. Ein einziges<br />

Gebäude ragt aus dieser Gruppe hervor, ausgezeichnet durch Länge,<br />

Höhe und Dachreiter auf dem First. Schräggestellt und den Fachwerkgiebel<br />

zeigend steht es zwischen dem Mühltor im Osten und dem<br />

Kirchturm im Westen, unweit der Stadtmauer. Dieses Gebäude dürfte<br />

das Rathaus sein. Anordnung und Stellung der wichtigen Gebäude und<br />

Gebäudeteile dieser Stadtansicht entsprechen dem Blick vom Josefsberg<br />

aus auf die Stadt und bilden die damaligen Gegebenheiten in wesentlichen<br />

weitestgehend wirklichkeitsgetreu ab. Auch die scheinbar<br />

nahe Lage des Rathauses an der Stadtmauer dürfte ihre Ursache in der<br />

genau wiedergegebenen Topographie haben. Denn aufgrund der<br />

hochgelegenen Stadtmauer verkürzt sich der Blickwinkel hin zum Rathaus<br />

und verschwinden die tiefergelegenen Häuser hinter ihr. Jedenfalls<br />

dürften dem Verfasser der Karte das Rathaus und der nördlich davon<br />

liegende Platz wichtig gewesen sein, denn ein Blick auf das Ölbild<br />

aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, das ebenfalls den Blick auf<br />

die Stadt vom Josefsberg aus zeigt und in seiner Darstellung äußerst<br />

präzise ist, läßt weder den Boden des Marktes sichtbar werden, noch<br />

die herausragende Stellung des Rathauses.<br />

Mit der giebeltragenden Hauptfassade war das Rathaus gegen die<br />

Straße gestellt und gegen die Burg- und spätere Schloßanlage gerichtet.'<br />

Den herausragendsten Ort der Stadt beherrschend, verkörperte<br />

das Rathaus folglich nicht nur das Zentrum des Straßenmarktes, sondern<br />

auch weit ausgeprägter als in den beiden benachbarten Städten<br />

- Veringenstadt im Norden und Scheer im Osten - das städtebauliche<br />

Zentrum der Stadt.<br />

Die Landtafel zeigt das Rathaus als langgestreckten Bau, mit einem<br />

Satteldach bedeckt, den südlichen Giebel als Fachwerkwand ausgebildet<br />

und auf dem nördlichen Teil mit einem Dachreiter bestückt.<br />

Und die Abbildung stellt das Rathaus nicht nur als größten Baukörper<br />

inmitten der bürgerlichen Gebäude dar, sondern auch als das die<br />

übrigen Häuser überragende. Wie viel Geschosse es tatsächlich aufwies,<br />

ist nicht überliefert und ebenso wenig, ob diese aus Fachwerk<br />

oder massiv hergestellt waren. Zumindest die Gebäudelänge, die drei<br />

dem öffentlichen Raum zugewandten Fassaden und der Dachreiter,<br />

möglicherweise aber auch die Gebäudehöhe unterschieden damals<br />

das Rathaus von den übrigen Gebäuden, machten es einzigartig und<br />

gaben ihm zeichenhafte Gestalt.<br />

Funktion<br />

Der Einfluß des Grafen auf Stadt und Rathaus ist u.a. dokumentiert in<br />

der Rathaushälfte, die jener kaufte und erbauen ließ, wobei ungeklärt<br />

bleibt, welche Funktion dieser Rathausteil besaß und ob dort vielleicht<br />

ursprünglich der herrschaftliche Vogt residierte. Wie das Rathaus<br />

des 15. Jahrhunderts insgesamt räumlich gefügt war und wie es


Abb. 1: Oben, Lageplan mit Höhenschichtlinien des Innenstadtbereiches von Sigmaringen, mit dem Josefsberg und der westlichen daran angrenze<br />

Buchhalde im Süden, dem zur Donau hin steil abfallenden Burgberg im Norden, mit dem vermuteten ersten Befestigungsring des Zwergstädtchens<br />

dem Sattel (gestrichelte Liniej, dem Mauerring, der wahrscheinlich in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts entstand und, die Stadterweiterung<br />

grenzte, dem Hauptstraßenzug zwischen den beiden Toren im Westen und Osten der Stadt und dem Rathaus in der Mitte der Straßenaufweitung. U<br />

west-östliches Querprofil der Altstadt auf der Linie A - Rathaus -Bdes Lageplanes.<br />

40


genutzt wurde, ist unbekannt. Rückschlüsse auf die damalige Nutzung<br />

läßt allenfalls der bereits erwähnte Plan für den Rathausneubau von<br />

1656 zu. Nach diesem Plan waren für das Obergeschoß Ratsstube,<br />

Laube, Küche und Gemeindestube vorgesehen, und im Erdgeschoß<br />

waren das Warenlager für den Markt und der Schafstall untergebracht.<br />

Auch das um 1500 errichtete dreigeschossige Rathaus des nördlich<br />

von Sigmaringen gelegenen Veringenstadt zeigte ähnliche Nutzungsverteilung.<br />

Das Erdgeschoß bleibt den Waren vorbehalten, und in den<br />

oberen Geschossen sind Halle, Rats- und Amtsstuben zu finden.' 0<br />

Warenlager, Rats- und Amtsstuben weisen auf das besondere Recht der<br />

Stadt hin, das Recht der Selbstverwaltung, der Rechtsprechung und das<br />

Marktrecht, das es auf dem Land, für die Dorfbewohner, nicht gab. Nur<br />

in der Stadt konnten die Waren veräußert werden. Und in der Stadt organisierte<br />

sich das Gemeinwesen. Nicht der Stadtherr, der Graf, entschied,<br />

aus welchen Personen sich der Rat und die Sechser zusammensetzten,<br />

wem die jeweiligen Ämter und Dienste übertragen wurden,<br />

wer im Prozeßfall richtete, sondern der Bürger bestimmte dies."<br />

Jedoch zählte zu den Bürgern nur der männliche Teil der Bevölkerung,<br />

der außerdem im Besitz des Bürgerrechtes sein mußte. Zudem erfolgte<br />

die Wahl von Rat, Sechser und Ämtern nicht direkt, sondern<br />

durch Zuwahl (Abb. 2). Festgelegt waren diese Regeln in der Stadtordnung<br />

von 1460, die ein Jahr nach dem endgültigen Übergang von Stadt<br />

und Grafschaft an die Werdenberger gegeben wurde, und die über die<br />

Jahrhunderte hinweg bis 1806 im Kern dieselbe blieb.<br />

Ob der Dachreiter, der auf der Zeichnung zu sehen ist, bereits im 15.<br />

Jahrhundert vorhanden war, bleibt ungeklärt. Seine Aufgabe, die<br />

Glocke aufzunehmen, um mit dieser allgemein verbindliche Signale<br />

zu senden, dürfte dagegen nicht umstritten sein. Unbekannt bleibt jedoch,<br />

ob und ab wann er eine Uhr trug, um für Gäste und Bewohner<br />

der Stadt die Zeit einzuteilen und vorzugeben.<br />

Ausgeprägter als in den benachbarten Städten Scheer im Osten und<br />

Veringenstadt und Hettingen im Norden war in Sigmaringen das Zusammenspiel<br />

von Funktion, Gestalt und Lage des Rathauses in Szene<br />

gesetzt und das Rathaus als bürgerliches und wirtschaftliches Zentrum<br />

der Stadt wahrnehmbar. Dieses Zusammenspiel von Funktion,<br />

Gestalt und Lage beim Rathaus der werdenbergischen Epoche zeugt<br />

nicht nur von einer sinnstiftenden Ordnung, sondern von einer<br />

großen Klarheit im differenzierten Denken und logischen Handeln.<br />

Vgl. hierzu Festschrift anläßlich der Einweihung des Rathauses zu Sigmaringen<br />

am 9- Januar 1927. Sigmaringen o.J. Zu Werk und Biographie<br />

des Architekten Friedrich lmbery vgl. Franz-Severin Gäßler, Das ehemalige<br />

Kaufhaus Kleiner in Sigmaringen - innovatives und städtebaulich<br />

integriertes Werk des Architekten Friedrich lmbery. In: ZHG 2004.<br />

Die dreiteilige Abhandlung ist der schriftlich ausgearbeitete Teil eines<br />

Vortrags, den der Verfasser am 25. Februar 2002 beim <strong>Hohenzollerische</strong>n<br />

<strong>Geschichtsverein</strong> in Sigmaringen unter dem Thema »Architektur<br />

als Zeichen. Das Sigmaringer Rathaus - Werk Friedrich Imberys« hielt;<br />

eine Zusammenfassung des Vortrags erschien im Südkurier vom<br />

16.3.2002, Nr. 64, S. 23.<br />

Die Urkunde im StAS, Dep. 1, Bd 1, Nr. 11 ist abgedruckt bei Alexander<br />

Frick, Die Geschichte des alten Rathauses, 5. 27 f., in: Festschrift anläßlich<br />

der Einweihung des Rathauses in Sigmaringen. Sigmaringen<br />

o.J., S. 27-36.<br />

Maren Kuhn-Rehfus (Hg.)l Sigmaringen. Ein historischer Führer. Sigmaringendorf<br />

1989, schreibt in ihrem Artikel über das Sigmaringer<br />

Rathaus, S.114, daß Graf Johann »seine Hälfte an dem von ihm erbauten<br />

Rathaus der Stadt schenkte« und gibt damit den in der Urkunde dargelegten<br />

Sachverhalt unkorrekt wider. Auch in der 2003 erfolgten Neuauflage<br />

des Stadtführers wird dieser Fehler übernommen und damit<br />

fälschlicherweise Graf Johann von Werdenberg als der Erbauer beider<br />

Hälften des Sigmaringer Rathauses bezeichnet.<br />

41<br />

10<br />

11<br />

Zum Grafen Johann von Werdenberg, dessen Geburtsjahr unbekannt<br />

ist, vgl. Johann Nepomuk von Vanotti, Geschichte der Grafen von Montfort<br />

und von Werdenberg. O.0.1845, bes. S. 398 ff.<br />

A. Frick, wie Anm. 3,S. 28.<br />

Ebd. S. 30. Der Stadtplan von 1823 ist abgebildet bei Maren Kuhn-Rehfus,<br />

Werner Kuhn, Sigmaringen in alten Ansichten. Sigmaringen 1995,<br />

S. 21 und in einer maßstabsgetreuen Umzeichnung bei Franz-Severin<br />

Gäßler, Carlsplatz und Carlsstraße in Sigmaringen. Stadterweiterungen<br />

in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Teil 2, Karte 4, S. 336 f., in: ZHG<br />

29,1993,5.283 - 360; Vgl. auch StAS, Dep. 39, NVA 16788 »Plan über<br />

einen Theil der Stadt Sigmaringen« aus dem Jahr 1826.<br />

Auf diese Stadtansicht wies erstmals Margareta Bull-Reichenmiller in<br />

ihrem Aufsatz »Sigmaringen am Ende des 16. Jahrhunderts. Eine bisher<br />

unbekannte Ansicht der Stadt auf einer Landtafel des oberen Donautals«,<br />

in: Zeitschrift für <strong>Hohenzollerische</strong> Geschichte 13 (1977), S.<br />

100 hin.<br />

Im benachbarten Veringenstadt beispielsweise steht bei ähnlicher Stadtstruktur<br />

das um 1500 erbaute, aus zwei massiven Stockwerken bestehende<br />

dreigeschossige Rathaus mit der Rückseite zur Burganlage, und<br />

im wenige Kilometer östlich von Sigmaringen liegenden Scheer stand<br />

das 1472 errichtete und 1838 abgebrochene Rathaus an der Biegung<br />

der wichtigsten Straße, die vom Menger Tor zum Donautor führte, zwar<br />

am Markt, jedoch ohne jene prägnante Stellung wie in Sigmaringen und<br />

ohne Bezug zur Burganlage; zur Datierung des Scheerer Rathauses vgl.<br />

Walter Bleicher, Chronik der ehemaligen Residenzstadt Scheer/Donau,<br />

Horb am Neckar 1989, S. 70 und 136 und zu dessen Lage ebd. S. 130.<br />

Zum Rathaus in Veringenstadt vgl. Die Kunstdenkmäler Hohenzollerns,<br />

Band 11. Stuttgart 1948, 5. 398 ff.<br />

Zur Verwaltung und Verfassung der Stadt Sigmaringen im 14. und 15.<br />

Jahrhundert vgl. Elisabeth Maier, Die Stadt Sigmaringen unter württembergischer<br />

Herrschaft. Ihre Verwaltung und Verfassung mit besonderer<br />

Berücksichtigung des Stadtrechtes aus dem 14. Jahrhundert. Zulassungsarbeit<br />

zur wissenschaftl. Prüfung für das Lehramt am Gymnasium.<br />

Typoskript 1971; Andreas Zekorn, Zwischen Habsburg und Hohenzollern.<br />

Verfassungs- und Sozialgeschichte der Stadt Sigmaringen im 17.<br />

und 18. Jahrhundert. Diss. Univ. Tübingen 1989, Sigmaringen 1996,<br />

bes. S. 22 ff.<br />

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BIRGIT MRCHMAIER<br />

Ein Leben in Extremen<br />

Das KZ-Opfer Hermann Friedrich zwischen SPD,<br />

KPD und NSDAP<br />

Im März 1944 gab es vor dem Amtsgerichtsgefängnis in Sigmaringen<br />

einen Menschenauflauf. Ein Häftling hatte sich in seiner Zelle verbarrikadiert,<br />

hielt zum Zellenfenster heraus eine zweistündige flammende<br />

Rede und wetterte gegen NSDAP, Behörden und einzelne Parteigrößen.<br />

Seine Rede brachte dem Häftling Hermann Friedrich die<br />

Verlegung ins Konzentrationslager ein, wo er im Januar 1945 umkam.<br />

Das Staatsarchiv Sigmaringen verwahrt mit der Nachkriegsüberlieferung<br />

des Landesamts für Wiedergutmachung Tübingen, des Staatskommissariats<br />

für politische Säuberung in Württemberg-Hohenzollern<br />

und des Versorgungsamts Rottweil Unterlagen, die es erlauben,<br />

das bewegte Leben von Hermann Friedrich nachzuzeichnen.<br />

Hermann Friedrich wurde am 4. Mai 1891 in Esslingen als Sohn eines<br />

stadtbekannten Sozialdemokraten geboren. Die Familie siedelte<br />

bald nach seiner Geburt nach Karlsruhe um. Dort erlernte er nach Abschluss<br />

der Schule das Metzgerhandwerk. Bereits 1908 trat Friedrich<br />

der SPD bei und arbeitete für die Partei in mehreren Städten sowie im<br />

Ausland. Seine Heirat fiel in die Zeit des Ersten Weltkrieges, während<br />

dessen er schwer verletzt wurde. Danach zog er zunächst nach Konstanz<br />

und dann ins preußische Sigmaringen um, wo er etwa als Amtsbote<br />

und Gemüsehändler arbeitete.<br />

42<br />

In den ersten Jahren der Weimarer Republik erscheint Friedrich des<br />

Öfteren in den Polizeiakten der preußischen Regierung, die ebenfalls<br />

im Staatsarchiv Sigmaringen überliefert sind: Im Januar 1919 wird er<br />

als Mitbegründer des SPD-Ortsvereins aufgeführt.<br />

Schwer wiegender war eine Verurteilung als Rädelsführer, nachdem<br />

Demonstranten des Reichsbundes der Kriegsbeschädigten und ehemaligen<br />

Kriegsteilnehmer am 1. Februar 1919 das Redaktionsgebäude<br />

der <strong>Hohenzollerische</strong>n Volkszeitung demoliert hatten.<br />

Die Zeitung galt als Organ der Zentrumspartei und bezeichnete in einem<br />

Artikel den Reichsbund als eine Propagandaorganisation der SPD.<br />

Das Urteil des Schwurgerichts Hechingen: ein Jahr Gefängnis wegen<br />

Landfriedensbruchs. Friedrich verbüßte aber nur einen Teil der<br />

Strafe, die bald ausgesetzt wurde.<br />

Da ihm die SPD bald nicht mehr radikal genug war, trat Friedrich im<br />

August 1923 beim Antifaschistentag in Ludwigsburg zur KPD über.<br />

Schon zwei Monate später erhielt er eine Vorladung vor das Amtsgericht<br />

Sigmaringen wegen Verbreitung verbotener kommunistischer<br />

Flugschriften im Fürstlich Hohenzollernschen Hüttenwerk Laucherthal.<br />

1924 folgten weitere Anklagen wegen Beleidigung, Hausfriedensbruchs<br />

und Ruhestörung.<br />

Sie wurden aber nach öffentlichen Entschuldigungen Friedrichs<br />

zurückgezogen. In diesem Zusammenhang beschreibt der Hechinger<br />

Oberstaatsanwalt den Beklagten als psychisch krank. Auch Friedrich<br />

selbst bezeichnete sich als »nervenleidend« und leicht erregbar.


Amtsgerichtsgefängnis Sigmaringen. Aus einem Zellenfenster hielt Friedrich<br />

im März 1944 eine Rede gegen die NSDAP, die sein weiteres Schicksal<br />

besiegeln sollte. Vorlage: StASDep. Walldorf.<br />

Friedrich verließ Ende 1924 auch die KPD und legte sein Mandat als<br />

Abgeordneter des <strong>Hohenzollerische</strong>n Kommunallandtags ab, in den<br />

er 1922 als Vertreter der SPD gewählt worden war. Kurz darauf übersiedelte<br />

er nach Karlsruhe. Hier traf er 1927 auf eine neue politische<br />

Alternative: die NSDAP. Persönliche Unterredungen mit Hitler selbst<br />

überzeugten ihn so stark, dass er in die Partei eintrat. Der ehemalige<br />

Kommunist suchte dabei Anschluss an die Gruppierung um Gregor<br />

Strasser, deren Einsatz für die Arbeiter und für sozialistische Elemente<br />

ihn faszinierte. Seinen Wechsel von der KPD zur NSDAP rechtfertigte<br />

Friedrich in seiner Broschüre »Vom Sowjetstern zum Hakenkreuz«,<br />

in der er den linken Parteien Korruption und Verrat an den eigenen<br />

Genossen vorwarf. Er sah die NSDAP als »alleinige ehrliche Vertreterin<br />

der Interessen des arbeitenden Volkes«. In dieser Schrift näherte<br />

er sich auch der antisemitischen Ideologie der Partei an. Friedrich<br />

stieg zum Reichsredner der NSDAP auf und wurde vor allem in Industriegebieten<br />

eingesetzt.<br />

Doch auch hier geriet er bald in Konflikt mit der Parteiführung, der<br />

er ebenso wie vorher den linken Parteien Korruption und Verrat der<br />

Arbeiterschaft vorwarf, und übte als Reichsredner offene Kritik. Der<br />

Konflikt mündete schließlich 1929 in seinem Austritt. Danach<br />

bekämpfte er die NSDAP und besonders einzelne Parteigrößen wie<br />

Gregor Strasser mit der Broschüre »Unter dem Hakenkreuz«.<br />

Friedrich sah sich danach wie andere Abtrünnige der Feme der Partei<br />

verfallen. Nach anonymen Morddrohungen beschloss er, Deutschland<br />

zu verlassen und flüchtete nach Straßburg. Dort erkannte ihn ein<br />

Gericht als politischen Flüchtling an. Auch von Frankreich aus setzte<br />

er seine Kritik an der NS-Parteiführung fort.<br />

Als Friedrich aber 1933 durch die Aussagen einiger deutschen Emigranten<br />

in Spionage-Verdacht geriet, verließ er Straßburg und landete<br />

nach der Zwischenstation Brüssel in Saarbrücken, das mit dem 1920<br />

geschaffenen Saarland von Deutschland abgetrennt war. Friedrich<br />

zählte hier 1934 zu den Gründern der »Nationalsozialistischen Deutschen<br />

Freiheitspartei« und gab die Zeitung »Treudeutsche Saarwacht«<br />

heraus.<br />

Da er zwar den Anschluss an Deutschland befürwortete, die Diktatur<br />

aber ablehnte, zerstritt er sich mit der Separatistenbewegung. Die<br />

Folge war seine Rückkehr nach Straßburg und, da er dort ausgewiesen<br />

wurde, nach Österreich.<br />

43<br />

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Gemäldeausschnitt der Fürstlich Hohenzollernschen Hüttenwerke Laucherthal um 1928. Mit diesen Hüttenwerken kam Friedrich zweimal in Berührung:<br />

Als Verteiler kommunistischer Flugblätter Ende 1923 und 1940 wieder in der Funktion als stellvertretender Personalchef, aber nur für. vier. Monate. Vorlage:<br />

Fürstlich Hohenzollernsche Werke Laucherthal<br />

mehr zur Fertigstellung dieser Schrift oder aber fand keine Verbreitungsmöglichkeiten.<br />

Wohl auf Anordnung des Sigmaringer Regierungspräsidenten<br />

Wilhelm Dreher, des SA Standartenführers Haaf<br />

und der Gestapo wurde Friedrich am 14. März 1944 verhaftet.<br />

Am folgenden Tag verbarrikadierte er sich in seiner Zelle im Gefängnis<br />

des Amtsgerichts Sigmaringen und hielt zum Zellenfenster heraus<br />

die Rede gegen Partei, Behörden und einzelne Parteigrößen. Anschließend<br />

wurde Friedrich nach Stuttgart abtransportiert. Nachdem<br />

er bis Mitte Mai 1944 im Polizeigefängnis Welzheim einsaß, wurde er<br />

ins KZ Dachau verlegt. Am 15. Oktober 1944 kam Friedrich in das KZ<br />

Mauthausen, wo er am 4. Januar 1945 starb. Ein Mitgefangener berichtete<br />

später, dass er in der Gaskammer ermordet wurde.<br />

Hermann Friedrichs Witwe Wilhelmine bezog, da zunächst als Opfer<br />

Hermann Rehm: Krautsalat und Bieraschnitz.<br />

Schwäbische Gedichte und Versla<br />

Das 116seitige Gedichtbuch »Krautsalat und Bieraschnitz« des oberschwäbischen<br />

Autors Hermann Rehm ist wie schon seine im gleichen<br />

Verlag herausgegebenen Bände »Mir Schwoba« und »'s ganze Johr<br />

ischt ebbes botta« wieder ein Volltreffer geworden. Rehms köstlicher<br />

Humor, mal in schwäbischer Mundart, mal in Hochdeutsch, mal bunt<br />

gemischt zu Papier gebracht, seine Hintergründigkeit und Wortspielereien<br />

lässt man mit Lust auf sich wirken. »Koizig« gibt er schwäbische<br />

Lebensweisheiten weiter (»Was als Ochs gebora ischt, stirbt it als<br />

Nachtigall«), hintergründig erklärt er, was im »Hennastall« oba, doba<br />

und hoba bedeuten, und er nimmt die verschiedensten Lebensbe-<br />

44<br />

des Nationalsozialismus anerkannt, nach dem Krieg eine kleine Witwenrente.<br />

Ihr Antrag auf Zahlung einer Entschädigung für die Inhaftierungen<br />

ihres Mannes und seine Ermordung wurde 1951 vom Landesamt<br />

für Wiedergutmachung in Tübingen ebenso abgelehnt wie<br />

vom Ausschuss für Wiedergutmachung des Amtsgerichts Saulgau.<br />

Der Ausschuss begründete dies damit, dass Hermann Friedrich<br />

»keine einwandfreie politische Haltung gegen den Nationalsozialismus<br />

bewiesen habe. Sein Schicksal und politische Tätigkeit zeige vielmehr,<br />

dass er nur die Missstände innerhalb der NSDAP bekämpft<br />

habe und dass er offenbar zur Opposition innerhalb der NSDAP<br />

gehört habe...« Wilhelmine Friedrich wurde die Witwenrente gestrichen.<br />

Sie lebte anschließend, da aus gesundheitlichen Gründen erwerbsunfähig,<br />

von Sozialhilfe.<br />

reiche pointiert auf's Korn. »Von ällem äbbes« heißt darum auch folgerichtig<br />

ein großes Kapitel mit Gedichten, nachdem er unter anderem<br />

zwischen »früher ond heit« Vergleiche angestellt und über s<br />

»Spara ond Spekuliera« philosophiert hat. Es bleibt nur zu hoffen,<br />

dass der Autor noch oft am Schreibtisch »vor ama leera Blatt Babbier«<br />

sitzt und so lang it luck lot bei dera »Geschuur mit dr Reimarei«,<br />

bis 'r sich a weiters Mol »verdichtet« hot.<br />

Das Buch hat 116 Seiten, ist im Silberburg-Verlag, Tübingen, erschienen<br />

(ISBN 3-87407-584-2) und kostet 10,90 Euro, (ba)<br />

Irene Ferch!/ Wilfried Setzier:<br />

Mit Mörike von Ort zu Ort. Lebensstationen des Dichters in<br />

Baden-Württemberg<br />

Wilfried Setzier, Honorarprofessor an der Fakultät für Geschichte und<br />

Philosophie der Universität Tübingen, und Irene Ferchl, Kulturjour-


nalistin in Gerlingen, sind den Lebensstationen des Dichters Eduard<br />

Mörike in Baden-Württemberg nachgegangen und stellen sie nun in<br />

dem Buch »Mit Mörike von Ort zu Ort« vor. Es kann am Stück gelesen<br />

werden, und der Leser wird die »irrwitzigen Mäander« (Peter<br />

Härtling). die der Lebensweg des Dichters von der Kindheit in Ludwigsburg<br />

bis zum Tod in Stuttgart zeigt, entdecken. Es ist aber auch<br />

möglich, sich nur einzelne Abschnitte zu Gemüte zu führen, in denen<br />

die Lebensstationen und -Situationen Mörikes vorgestellt werden. So<br />

sind etwa fünf Seiten dem Aufenthalt des Lyrikers bei seinem ältesten<br />

Bruder Karl in Scheer (1828) gewidmet Den Reiz dieser »geographischen<br />

Biographie« machen vor allem zwei Fakten aus: die reiche<br />

Bebilderung mit alten Fotos, Scherenschnitten und Zeichnungen<br />

(Viele Haus-, Landschafts- und Personenskizzen sind von Mörike selber)<br />

sowie eine Fülle von Zitaten, denn die Autoren lassen den Dichter<br />

immer wieder mit eindrucksvollen und aufschlussreichen Briefpassagen<br />

und Gedichten zu Wort kommen. Der Leser wird zudem ermutigt,<br />

sich selbst auf Spurensuche zu begeben. Im Anhang des Buches<br />

gibt es folgerichtig nicht nur eine Zeittafel, sondern auch Hinweise<br />

auf weiterführende Literatur, auf Museen und Ausstellungen<br />

und schließlich Vorschläge für Spaziergänge und Wanderungen auf<br />

der Fährte Mörikes.<br />

Das Buch hat 320 Seiten, ist im Silberburg-Verlag, Tübingen, erschienen<br />

(ISBN 3-87407-577-X) und kostet 22,90 Euro, (ba)<br />

Ellen Herl<br />

Diaspora. Geschichte der Evangelischen Kirchengemeinde<br />

Haigerloch.<br />

Die Autorin, selbst eine sehr engagierte Christin in der Evangelischen<br />

Kirchengemeinde von Haigerloch, hat eine sehr informative und gut<br />

lesbare Zusammenfassung der über 150-jährigen Geschichte der<br />

Evangelischen Gemeinde vorgelegt, reichlich ausgestattet mit vielen<br />

historischen und zum Teil auch farbigen Bildern. »Nur wenige Protestanten<br />

verirrten sich in das Hohenzollernland und in das Städtlein Haigerloch«.<br />

Dies sollte sich rasch ändern nach dem Anschluß der hohenzollerischen<br />

Fürstentümer an Preußen im Jahre 1850 und mit der<br />

kurz darauf begonnenen Erschließung der Salzlagerstätten bei Stetten:<br />

Preußische Beamte und Fachleute zogen her, und als um 1860 39<br />

WILLY BEYER<br />

Michael Lehmann - ein katholischer Rebell<br />

Zum 100. Todestag des Publizisten, Schriftstellers<br />

und Komponisten<br />

IV. Das schriftstellerische Werk<br />

Der geläuterte Revolutionär<br />

Wenn seine kritische Haltung, insbesondere im Revolutionsjahr<br />

1848, den überzeugten Demokraten vermuten lässt, so distanzierte<br />

sich Lehmann in späteren Jahren eindeutig von dem Gedanken an<br />

eine revolutionäre Änderung der Gesellschaft. Bereits Weihnachten<br />

1863, als er schon mehr als zwei Jahre vom Schuldienst beurlaubt<br />

war, schrieb der 35-Jährige im Prolog zu seinem Buch »Der letzte<br />

Reichenstein«: »Wolle nun das Volk daraus lernen, daß sein Heü<br />

nicht in einem gewaltsamen Umsturz des Bestehenden begründet sei,<br />

und daß seine Wohlfahrt am allerwenigsten aus religiösen und politischen<br />

Schwindeleien hervorgehe! Der Bauernkrieg ist [...] vor Allem<br />

geeignet, die Segnungen des Friedens zur Begründung wahren<br />

Volkswohles darzuthun und zu beweisen, dass rohe Gewalt und wü-<br />

45<br />

Katholiken aus Bietenhausen zur Evangelischen Kirche übertraten, war<br />

die Errichtung einer Kirche notwendig und diese konnte schon am<br />

8.Sept. 1863 eingeweiht werden Zur gleichen Zeit wurde Haigerloch<br />

nun eine selbständige Kirchengemeinde, denn anfänglich erfolgte die<br />

Pastoration von Sigmaringen und ab 1857 von Hechingen aus.<br />

Die Diaspora reichte anfänglich bis Dettingen bei Horb; dieser Teil<br />

wurde 1890 ausgetrennt und selbständig. In 1905 umfasste die Ev.<br />

Kirchengemeinde 260 Seelen, und nach Ende des 2. Weltkrieges erhöhte<br />

sich die Seelenzahl 1947 auf 589, darunter 202 Flüchtlinge und<br />

<strong>Heimat</strong>vertriebene. In 2002 betrug die Christenzahl 2 000.<br />

Die Geschichte der Evangelischen Gemeinde ist auch eine Geschichte<br />

der Ökumene: Von anfänglicher Feindschaft von Seiten der Katholiken<br />

(Beispiel auf S. 22), über Nickligkeiten wie der, dass der katholische<br />

Pfarrer, um dem Gruß mit dem evangelischen aus dem Weg gehen zu<br />

können, intensive Schaufensterbesichtigung betrieb (S. 100), bis zur<br />

heutigen selbstverständlichen Respektierung.<br />

Am längsten war Martin Schüz Pfarrer in Haigerloch, von Okt. 1912 bis<br />

Aug. 1945. Nach der »Machtergreifung« 1933 bekannte er sich zu den<br />

»Deutschen Christen«, die eine Nationalsozialistische Reichskirche<br />

anstrebten. Auf einem Bild auf S. 69 hält Pfarrer Schüz eine Trauung<br />

mit Hakenkreuzbeflaggung. »Allerdings schien sich Pfr. Schüz in seiner<br />

Gutgläubigkeit an dem nationalen Aufbruch aktiv betätigt zu haben«<br />

(S. 69), so als Redner an einer Feier anläßlich Hitlers Geburtstag<br />

am 20.4.1933. Pfarrer Schüz hatte wie sein Vater Theodor und sein<br />

Bruder Friedrich eine künstlerische Ader, und allen dreien ist seit<br />

kurzem eine Dauerausstellung im ehemaligen katholischen Pfarrhaus<br />

unterhalb der Schlosskirche gewidmet (auch Ökumene!). Bruder<br />

Friedrich fertigte an der Altarwand der Kirche ab 1952 eine sehr gelungene<br />

Kopie des Abendmahlgemäldes von Leonardo da Vinci in Mailand<br />

in Originalgröße. Am Gründonnerstag, 10. April 1954, wurde das<br />

Abendmahlbild der Kirchengemeinde übergeben. 1994 schien die Zeit<br />

»reif für Neuerungen«: Erstmals wurde eine Pfarrerin gewählt, Eis<br />

Dietrich, »in weißem Talar, voller Energie und voller neuer Ideen«,<br />

und das bis auf den heutigen Tag.<br />

Ellen Herl: Diaspora. Geschichte der Evangelischen Kirchengemeinde<br />

Haigerloch. Selbstverlag, Haigerloch 2003 (dort im Buchhandel erhältlich),<br />

144 Seiten, 15 Euro (rfr)<br />

stes Treiben von Parteihäuptern das eigentlich Gute nicht zur Entwicklung<br />

und Gestaltung kommen läßt.«<br />

Wie in vielen Jugendbüchern Michael Lehmanns steht zu Anfang des<br />

Werks »Der letzte Reichenstein« neben einem kolorierten Kupferstich<br />

die Widmung: »Der reiferen Jugend und dem Volke zur Belehrung<br />

und Unterhaltung dargeboten.« Die Erzählung spielt bei den<br />

Burgen Hohengundelfingen, Reichenstein und Wartstein und hat den<br />

Untertitel »Der Bauernkrieg im Lauterthaie«. Lehmann fügt an, dass<br />

die handelnden Personen der Wirklichkeit entnommen sind und<br />

seine Schrift kein bloßes Phantasiegemälde ist. Seine katholische<br />

Überzeugung prägte sein ganzes Leben und Schaffenswerk. Eine Aufgabe<br />

sah er darin, der seiner Meinung nach »vergiftend« wirkenden<br />

Schundliteratur entgegen zu treten.<br />

Mehrfachauflagen und Fremdsprachenübersetzungen<br />

Das schriftstellerische Werk Lehmanns ist immens. Es umfasst Romane,<br />

Erzählungen, Novellen, pädagogische Abhandlungen und religiösen<br />

Schriften. Veröffentlicht hat Lehmann auch unter Pseudonymen.<br />

Anzunehmen ist daher, dass Lehmann noch mehr publiziert hat<br />

und das Gesamtwerk die Zahl 100 übersteigt. Hinzu kommen Essays<br />

und Berichte in verschiedenen Zeitschriften und Zeitungen, die Re-


daktionsleitung des »Magazins für Pädagogik« (1850 -1852), sowie<br />

der Zeitung »Der Zoller« (1873 - 1902), dessen Mitbegründer Lehmann<br />

war. Das Gründungsjahr des »Zoller« war interessanterweise<br />

auch das Jahr, in dem Lehmann mit 12 Titeln die meisten Bücher veröffentlichte.<br />

Sein umfangreichstes Werk ist mit 528 Seiten »Aurelia«,<br />

ein »Roman aus der Zeit des Abfalls der Niederlande«. Im Zeitraum<br />

von 1854 bis 1896 gab Lehmann fast 80 Prosawerke heraus.<br />

Seine Bücher handeln meist vor historischem Hintergrund oder malen,<br />

wie der Autor selbst formulierte, »ein historisch romantisches<br />

Gemälde für die reifere christliche Jugend«. Viele seiner Jugendschriften<br />

erlebten mehrfache Auflagen, einige wurden in andere Sprachen<br />

übersetzt und erschienen sogar in Amerika. Im Augsburger<br />

Lampartverlag wurden seine ersten Schriften verlegt. Die Regensburger<br />

Verlagshäuser Georg Joseph Manz sowie Friedrich Pustet waren<br />

später Lehmanns Haupt-Herausgeber. Die Verlage Lampart und Manz<br />

sind längst erloschen. Der Pustet-Verlag, heute vor allem renommiert<br />

für seine historischen Bücher, verlegte damals vorwiegend christliche<br />

Bücher und hatte Niederlassungen in New York und Cincinatti, wo er<br />

deutschsprachige Einwanderer versorgte. Bei Pustet schrieb Lehmann<br />

auch unter den Pseudonymen Salesius M. und Arundell. Unter<br />

richtigem Namen wurden seine Bücher dort in den Reihen »Unterhaltungsschriften«<br />

sowie »Jugendleben« mit sieben Serien veröffentlicht.<br />

Vom Umfang her kann das Lehmannsche Werk durchaus den<br />

Vergleich mit dem Zeitgenossen und Bestsellerautor Karl May wagen,<br />

der ohne autobiographische Schriften, Fragmente und Entwürfe auch<br />

auf rund 80 Romane und Erzählungen kommt. Die heutigen Jugendbücher<br />

eines Klaus Kordon handeln beispielsweise auch vor geschichtlichem<br />

Hintergrund, kommen aber lange nicht an die Auflagen<br />

Lehmanns heran. Leider ist es sehr schwierig, noch an Originalwerke<br />

Lehmanns heran zu kommen. Mit 36 Titeln ist ein Teil der Werke in<br />

der <strong>Hohenzollerische</strong>n <strong>Heimat</strong>bücherei in Hechingen zu finden.<br />

Der ästhetisierende Stil ist voller Couleur<br />

Auffallend am schriftstellerischen Werk Lehmanns sind sein ästhetisierender<br />

Stil und die besondere sprachliche Form des Ausdrucks.<br />

Ein Stil, der später in den Werken des Nobelpreisträgers Hermann<br />

Hesse in Vollendung erscheint. Beispielhaft ist die 1889 erschienene<br />

Erzählung »Ulrich von Wehrstein - Die Geschichte eines fahrenden<br />

Ritters«. Der Roman spielt in Orten von Lehmanns hohenzollerischschwäbischer<br />

<strong>Heimat</strong>, den Klöstern Beuren und Kirchberg und auf<br />

den Burgen Hohenberg und Wehrstein. Lehmanns Sprache mag voller<br />

Couleur sein, aus heutiger Sicht gilt sie eher als schwülstig. Das soll<br />

ein Auszug aus dieser Erzählung zeigen: »Sei mir gegrüßt, du süsser,<br />

goldener Frühlingstag! rief die Gräfin von Wehrstein mit weicher<br />

Stimme aus, und schaute sinnend zum hohen Fenster hinaus und hinauf<br />

zum lichtgetränkten blauen Äther, an dem kein Wölklein hing und<br />

aus welchen heraus die Königin des Tages glühende Strahlenbündel<br />

warf hernieder auf die entzückend schöne weite Welt, ja sei mir herzlich<br />

willkommen, leichtbeschwingter Sonnenstrahl, der du mit deinem<br />

Glänze die frohlockenden Fluren berührest, und der alles überschüttet<br />

mit einem reichen nie versiegenden Segen! Wie hat der lenzesmilde<br />

Schein den letzten Rest des Winters wie mit einem Zauberstabe<br />

weggefegt, so daß sich jetzt die Thalung in saftiges Grün hüllt,<br />

das die Augen entzückt!« Diese kurze Hymne an den Frühling konnte<br />

wohl nur jemand schreiben, der die Fähigkeit hatte, seine Umwelt fast<br />

stoisch bewusst und in vollsten Zügen wahrzunehmen. Eine etwas weniger<br />

theatralische Passage: »Hermann von Bodenstein schaute Ulrich<br />

von Wehrstein gar hebevoll in das schön geformte Antlitz. Ich<br />

ziehe heimwärts nach meiner Burg im Elsaß, sagte er voll Heimweh,<br />

und ich hab' zu hause ein Gemahl und ein wunderbar liebes Kind«.<br />

46<br />

Lehmanns Werk „Ulrich von Wehrstein" erzählt das Leben des ungestümen<br />

Ritters von Wehrstein. Der Leser wird ins 12. Jahrhunderts geführt,<br />

in die Welt des Edlen Ulrich, der seine Kräfte mit anderen Rittern<br />

in Türnieren misst. Ulrichs abenteuerliche Reise führt ihn durch<br />

halb Europa, bis er sich 1147 dem Kreuzzug von Kaiser Konrad<br />

anschließt. Das Heer wird bei Konstantinopel vernichtend geschlagen,<br />

der Ritter wird gefangen und überlebt als Sklave eines reichen<br />

Moslems. In christlicher Liebe rettet er seinen Herrn vor dem Tod und<br />

lehnt alle kostbaren Geschenke ab. Arm darf er aber nach Deutschland<br />

zurückkehren, wo er den Rest seines Lebens demütig betend,<br />

aber glücklich im Kloster Rheinau verbringt. Die Ruine der Burg<br />

Wehrstein, von großen Bäumen überwuchert, ist heute noch oberhalb<br />

von Fischingen im Neckartal zu finden, ebenfalls ein alter Meilenstein<br />

der Straße zur Zollernburg. Die Burg Wehrstein ist jüngst in<br />

dem Historienroman »Die Herrin der Burg« von Ulrike Schweikert<br />

wieder Handlungsort geworden.<br />

Fundamentalist und heiliger Krieg<br />

Die Zeit der Kreuzzüge wird bei Lehmann allerdings verherrlicht, was<br />

ihn gänzlich im Licht eines katholischen Fundamentalisten erscheinen<br />

lässt. Es geht um Helden, die für die richtige Religion und die<br />

rechte Sache eintreten. So auch in dem 300-Seiten-Werk »Ritter Gerold<br />

von Helfenstein«, das bereits 1855 im Lampartverlag erschien. In<br />

einer »Vorerinnerung« schreibt der Autor: »Der Katholik muß die<br />

Wirksamkeit seiner Kirche auch in lebendigen großartigen Thaten<br />

schauen. Und welche That kann den Kreuzzügen würdig zur Seite gestellt<br />

werden - jenen heiligen Kriegen, welche aus reiner Liebe zum<br />

Kreuze begonnen wurden? Ich bin zweifelhaft, wenn es nicht die Geschichte<br />

der ersten christlichen Kirche ist. Auch in jenen Zeiten hat<br />

sich der christliche Heldenmuth bewährt. Aber ist es minder groß,<br />

wenn man aus Liebe zum Kreuz die <strong>Heimat</strong>h verlässt und Allem entsagt,<br />

was Angenehmes das Vaterland bietet, um am Rande des heiligen<br />

Grabes zu beten, zu kämpfen, zu siegen oder zu sterben?« Michael<br />

Lehmann idealisierte die Kreuzzüge. Sie sind bei ihm heilige<br />

Kriege gegen die ungläubigen Muslime. Ein Dschihad in umgekehrter<br />

Richtung. Vielleicht mag solch klare Intention dazu beigetragen haben,<br />

dass Lehmann gänzlich in Vergessenheit geraten ist. Aber das<br />

bleibt Vermutung, wenn man die wilhelminische Zeit im 20. Jahrhundert<br />

betrachtet, die im Desaster des Ersten Weltkrieges endete, der<br />

von keinerlei religiöser Überzeugung verursacht wurde.<br />

Prosawerke handeln in unterschiedlichen Epochen<br />

Auch wenn Lehmanns katholische Überzeugung in allen Prosawerken<br />

durchdringt, er eine belehrende Haltung einnimmt und den Protestantismus<br />

ablehnt, so darf seine profunde Kenntnis insbesondere der<br />

europäischen Geschichte nicht verkannt werden. Seine Erzählungen<br />

und Romane handeln in unterschiedlichen Epochen. »Clothilde von<br />

Arnaud« (1881) und »Arthur Graf von Chully« (1898) spielen zur<br />

Zeit der französischen Revolution. In der Reformationszeit sind »Aus<br />

dem Leben eines Vielgeprüften« (1856) und »Verloren und wieder<br />

gefunden« (1881) angesiedelt, ebenso »Der Thaljunker« (1857),<br />

der mit dem Untertitel »Der Heldentod für den Glauben« in Schweden<br />

spielt, sowie »Thomas Morus« (1856) in England. »Wolfrat von Vehringen«<br />

handelt wieder in Lehmanns <strong>Heimat</strong> zur Zeit des Untergangs<br />

der Staufer-Dynastie. Die Erzählung »Der Kohlenbauer« (1883) handelt<br />

gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Grüningen bei Riedlingen,<br />

nahe Lehmanns <strong>Heimat</strong>stadt Langenenslingen. Das Buch bringt, mit<br />

kurzen Passagen, die nach Unlingen, Neufra und zum »heiligen Berg<br />

Oberschwabens«, dem Wallfahrtsort Bussen führen, dem Leser den<br />

christlich geprägten bäuerlichen Alltag vor dem Hintergrund der In-


dustrialisierung nahe. »Gisela« (1867) ist ein Roman aus der Zeit des<br />

Konzils von Konstanz. Der Autor nimmt klar Stellung gegen den Reformator<br />

Johannes Huß, der trotz zugesagten freien Geleits auf dem<br />

Scheiterhaufen verbrannt wurde. In Spanien spielt »Rose von San<br />

Jago« (1871), in Flandern »Hendrik« (1896), in Irland »Reddy Conner«<br />

(1872) und »Den Mut nicht verlieren« (1889). »Der gute Gerhard«<br />

(1873) geht auf eine Sage aus dem Mittelalter zurück, die Lehmann<br />

in Prosa umgesetzt hat. Sie erzählt von dem reichen Kaufmann<br />

Gerhard aus Köln, der aus christlicher Nächstenhebe seine auf einer<br />

jahrelangen Schiffsreise angehäuften Reichtümer hergibt. Er kauft damit<br />

englische Edelleute aus dem Gewahrsam eines moslemischen<br />

Herrschers in Nordafrika frei. Sein Leben wird von der selbstlosen<br />

Liebe zu seinen Mitmenschen geprägt.<br />

Immer wieder handeln Lehmanns Werke im hohenzollerischen und<br />

schwäbischen Raum. Wie die Erzählung »Des eigenen Glückes<br />

Schmied« im Eyach- und Neckartal. »Riedmüllers Töchterlein«<br />

(1871) thematisiert die Zeit des Bauernkriegs im Ostrachtal. »Zwei<br />

Töchter« spielt etwas weiter im badischen Schwarzwald und »Wolfrat<br />

von Vehringen« zur Zeit des Untergangs der Hohenstaufer.<br />

(Fortsetzungfolgt)<br />

Literarisches Werksverzeichnis von Michael Lehmann<br />

(1827 -1903)<br />

Im Folgenden sind die Veröffentlichungen chronologisch aufgelistet.<br />

Dabei sind mehrere Sonderschriften mit jeweils zwei Büchern,<br />

die der Autor schon früher herausgab, nicht angeführt. Beispielsweise<br />

»Bunte Blüthen« (1873) mit »Verloren undgefunden«<br />

sowie »Antonia Maillard«.<br />

Buchstaben- und Zahlen hinter den Titeln verweisen auf den<br />

Verlagsort (A=Augsburg, R=Regensburg), das Erscheinungsjahr<br />

(18...) und Folgeauflagen.<br />

Pädagogisch-theologische Abhandlungen, in:<br />

Compaß für das katholische Volk, Würzburg<br />

Freiheit des Unterrichts und die konfessionslose Staatsschule, 50<br />

Sind die Katholiken Feinde des Reichs, 75<br />

Kathol. Geschichts-Bibl., 11 Bde. 55/64<br />

Der liberale Schulmeister, 75<br />

Wallfahrten und Prozessionen, 78<br />

Erzählungen, Romane und Novellen<br />

Ein Vielgeprüfter, A 54, 56<br />

Aurelius, A 55, R 77<br />

Gerold von Helfenstein, A 55, R 76<br />

Aurel Däumling, A 56, 57, R 73, 75, 96<br />

Fürst und Wildschütz, A56, 57, R 73, 75, 96<br />

Wolfrat von Vehringen, A 56, R 78<br />

Thomas Morus, A 57, R 79<br />

Der Thaljunker, A 58, R 81<br />

Cecily Tyrell, R 59, 80<br />

Friedrich von Scharfenstein, R.61, 91<br />

Der letzte Reichenstein, R 63, 75<br />

Gisela, Roman, R 67<br />

Der Spielmann, R 67,90<br />

Rose von San Jago, R 71<br />

Riedmüllers Töchterlein, Sigmaringen 71<br />

Aurelia, R 71,80<br />

Zwei Töchter, R 71,95<br />

Palmzweig, R 72<br />

Waldmeister von Falkenstein, R 72, 89<br />

Wohltun trägt Zinsen, R 72,88<br />

Reddy Conner, R 72,89<br />

47<br />

Betrogene Betrüger, R 73<br />

Antonia Maillard, R 73<br />

Verloren und wieder gefunden, R 73,81<br />

Der gute Gerhard, R 73<br />

Arme Virgine, R 73<br />

Arthur Graf von Chully, R 73,98<br />

Waldbauer, R 73<br />

Herr Waldhorst, R 73<br />

Arme Leute, R 75<br />

Schulmeister von Nordheim, R 75<br />

Zwei Töchter, R 75<br />

Tyroler Annerl, 2 Titel, R 75<br />

Alfonso, R 76<br />

Die Geschichte vom tyroler Seppl, R 76<br />

Gil Blas von Santillana, R 78<br />

Tyroler Herzen, R 78<br />

Graf von Valfort, R 78<br />

Judith, R 80<br />

Albrecht von Hohenberg, Hechingen 73, R 80<br />

Jung Werner, R 80<br />

Goldonkel, R 81<br />

Aus Sturm zum Frieden, R 81<br />

Irene, Straubing 81<br />

Clothilde von Arnaud, R 81<br />

Der Kohlenbauer, R 83<br />

In der Sennhütte, R 83<br />

Osman und Miriam, R 86<br />

Versöhnt, Straubing 86<br />

Bettelknabe, Straubing 86<br />

Korsar, Straubing 86<br />

Elvika, R 86<br />

Ulrich von Wehrstein, R 89<br />

Arme Elise, R 89<br />

Grüner Epheu, R 89<br />

Weiße Lilien, R 89<br />

Anselma, R 89<br />

Waffenschmied, R 89<br />

Den Mut nicht verlieren, R 89<br />

Des eigenen Glückes Schmied, R 89<br />

Der Schütze von Wildenstein, R 91<br />

Dora, R91<br />

Arme und reiche Leute, R 92<br />

Der alte Waldmeister, R 92<br />

In der Spinnstube, R 94<br />

Getreu bis in den Tod, R 95<br />

Hoch hinaus, R 95<br />

Ein verlorenes Leben, R 96<br />

Hendrik, R 96<br />

Publikationen unter Pseudonymen<br />

Unter »Salesius M.«:<br />

Vier Lebensbüder, R 72<br />

Erinnerungen an die <strong>Heimat</strong>, R 72<br />

Licht und Schattenseiten, R 72<br />

Gottvertrauen, R 73<br />

Die Vorsehung leitet alles, R 73<br />

Unter »Arundeil«:<br />

Rachel (I), R 73<br />

Rachel (II), R 73<br />

Quellennachweise für Teil IV:<br />

- <strong>Hohenzollerische</strong> <strong>Heimat</strong>bücherei Hechingen: Bestand Ub 171-III: Keiters<br />

katholischer Literaturkalender, 8 (1907), Buchbestände V.24, V.25, V. I00a,<br />

V.lOOb, V. 157, J.68, J.72, J.73,<br />

- Verzeichnisse und Mitteilungen der Verlage: Friedrich Pustet, Regensburg,<br />

Karl May, Bamberg, sowie Karl May Stiftung, Bargfeld/Celle<br />

- Gesamtverzeichnis des deutschsprachigen Schrifttums


Verlag: <strong>Hohenzollerische</strong>r <strong>Geschichtsverein</strong><br />

Karlstraße 3, 72488 Sigmaringen<br />

E 3828<br />

PVSt, DPAG, »Entgelt bezahlt«<br />

HOHENZOLLERISCHER HEIMAT<br />

herausgegeben vom <strong>Hohenzollerische</strong>n<br />

<strong>Geschichtsverein</strong>, Postfach 1638,<br />

72486 Sigmaringen<br />

ISSN 0018-3253<br />

Erscheint vierteljährlich.<br />

Die Zeitschrift »<strong>Hohenzollerische</strong> <strong>Heimat</strong>« ist<br />

eine heimatkundliche Zeitschrift. Sie will beson-<br />

ders die Bevölkerung im alten Land Hohenzol-<br />

lern und den angrenzenden Landesteilen mit der<br />

Geschichte ihrer <strong>Heimat</strong> vertraut machen. Sie<br />

bringt neben fachhistorischen auch populär ge-<br />

haltene Beiträge.<br />

Bezugspreis:<br />

Für Mitglieder des <strong>Hohenzollerische</strong>n Ge-<br />

schichtsvereins ist der Bezugspreis im Beitrag<br />

enthalten. Bezugspreis für Nichtmitglieder<br />

€ 7,-. Abonnements und Einzelnummern kön-<br />

nen beim <strong>Hohenzollerische</strong>n <strong>Geschichtsverein</strong><br />

(s. o.) bestellt werden.<br />

Die Autoren dieser Nummer<br />

GerdBantle<br />

Hedinger Straße 5, 72488 Sigmaringen<br />

Dr Otto II Becker<br />

Hedinger Straße 17, 72488 Sigmaringen<br />

Willy Beyer<br />

Kauflausstraße 5, 72379 Hechingen<br />

Robert Frank<br />

Fliederstraße 8. 72401 Haigerloch-Weildorf<br />

Franz-Severin Gäßler<br />

Jakobsplatz 28 b, 86152Augsburg<br />

Birgit Kirchmaier<br />

Hohe Tannen 34, 72488 Sigmaringen<br />

Dr Herbert Rädle<br />

Veit-Jung-Straße 13a, 92318 Neumarkt<br />

Josef Schneider<br />

Heiligkreuzstraße 16, 72401 Haigerloch-Gruol<br />

48<br />

Frontispiz (Titelblatt) aus:<br />

Michael Lehmann,<br />

Wolfrat von Vehringen.<br />

Der Roman spielt zur Zeit<br />

des Untergangs der<br />

Staufer-Dynastie<br />

Gesamtherstellung:<br />

Druckerei Acker GmbH,<br />

Mittelberg 6, 72501 Gammerüngen<br />

Telefon (07574) 9301-0, Fax9301-30<br />

info@druckerei-acker.de<br />

www. druckerei-acker. de<br />

Schriftleitung:<br />

Robert Frank<br />

Fliederstraße,8, 72401 Haigerloch-Weildorf<br />

Tel.: 07474/2161<br />

Die mit Namen versehenen Artikel geben die<br />

persönliche Meinung der Verfasser wieder;<br />

diese zeichnen für den Inhalt der Beiträge ver-<br />

antwortlich. Mitteilungen der Schriftleitung sind<br />

als solche gekennzeichnet.<br />

Manuskripte und Besprechungsexemplare wer-<br />

den an die Adresse des Schriftleiters erbeten,<br />

Wir bitten unsere Leser, die »<strong>Hohenzollerische</strong><br />

<strong>Heimat</strong>« weiterzuempfehlen.


<strong>Hohenzollerische</strong> <strong>Heimat</strong><br />

Herausgegeben vom<br />

54. Jahrgang<br />

<strong>Hohenzollerische</strong>n <strong>Geschichtsverein</strong><br />

Nr. 4 - Dezember 2004 E 3828<br />

Innenansicht der Alten Synagoge Hechingen nach Ende der Renovierung, die von 1982 bis 1986 durchgeführt wurde. Foto: Gregor F. Peda.<br />

D-94034 Passau.<br />

MANFRED STÜTZLE<br />

25 Jahre »Initiative Hechinger<br />

Synagoge. EV.«<br />

Am 24. Juli sind es 25 Jahre her, dass im Hechinger Katholischen Gemeindehaus<br />

die »Initiative Hechinger Synagoge« gegründet wurde.<br />

Die Gründungsversammlung hatten Wilhelm Eckenweiler, Dieter Ilg,<br />

Waldemar Luckscheiter, Dr. Norbert Kirchmann, Manfred Stützle und<br />

Dr. Adolf Vees vorbereitet.<br />

Rund 30 Interessierte hatten sich eingefunden und wählten zum Vorsitzenden<br />

der »Initiative« Notar Wilhelm Eckenweiler, der fast genau<br />

26 Jahre lang bis zu seinem frühen Tod am 1. Mai dieses Jahres das<br />

Amt mit viel Engagement, herausragendem Geschick und großem<br />

Sachverstand ausübte. Stellvertreter wurden Dr. Adolf Vees und<br />

Dr. Norbert Kirchmann.<br />

Einen entscheidenden Anstoß zu dieser Vereinsgründung hatten Mitglieder<br />

der Evangelischen und Katholischen Studentengemeinde der<br />

PH Weingarten gegeben. Sie hatten sich unter Leitung von Prof. Martin<br />

Widmann am 7. Juli im Gemeindehaus der Evangelischen Kirche in<br />

Hechingen zu einem Seminar getroffen, um über das Schicksal der<br />

vom Verfall bedrohten denkmalgeschützten Hechinger Synagoge zu<br />

beraten. Grundlage der Überlegungen war eine Denkschrift von Prof.<br />

Utz Jeggle vom Ludwig-Uhland-Institut der Tübinger Universität, die er<br />

1976 im Auftrag der Stadt Hechingen erarbeitet hatte. In ihr schlug er<br />

die Einrichtung eines Museums zur Kulturgeschichte der Juden in<br />

Südwestdeutschland vor, das in der ehemaligen Hechinger Synagoge<br />

geschaffen werden sollte. Eile war geboten, denn der schlechte bauliche<br />

Zustand der Synagoge erforderte schnelle Rettungsmaßnahmen.<br />

Einige Wochen zuvor hatte das Landesdenkmalamt Baden-Württemberg<br />

in Tübingen zur Restaurierung einen Zuschuss von 1 Mio. DM<br />

zugesagt.


Die Frage, wie man unter diesen Aspekten vorgehen und welche Nutzung<br />

der Synagoge angestrebt werden soll, diskutierten an diesem<br />

Tag die Studenten, Vertreter der Hechinger Gemeinderatsfraktionen<br />

und weitere interessierte Hechinger Bürger. Am Ende waren sich die<br />

Seminar-Teilnehmer einig, einen Förderverein zu gründen. Er sollte<br />

sich um die Sicherung der Gebäudesubstanz und die angestrebte<br />

Restaurierung der ehemaligen Synagoge kümmern.<br />

So kam es am 24. Juli 1979 zu der oben erwähnten Gründungsversammlung<br />

der »Initiative Hechinger Synagoge«, bei der die Mitglieder<br />

Möglichkeiten und Wege diskutierten, wie die ehemalige Synagoge<br />

gerettet werden kann, denn der Kauf durch das Land, den Landkreis<br />

oder die Stadt Hechingen war in naher Zukunft unwahrscheinlich.<br />

Dies bestätigte auch der anwesende Bürgermeister Norbert<br />

Roth, der die seit 1971 andauernden Bemühungen und Überlegungen<br />

der Stadt Hechingen zur Synagogenfrage erläuterte.<br />

Die »Initiative« setzte sich als Ziele »die Erhaltung der Synagoge und<br />

weiterer jüdischer Denkmäler in Hohenzollern, die Betreuung der<br />

Synagoge als Kultur- und Begegnungsstätte sowie die Aufarbeitung<br />

und die Lebendig-Erhaltung der jüdischen Geschichte in Hohenzollern«.<br />

Dazu sollte schnellstens ein Nutzungskonzept erarbeitet werden.<br />

Dieses legte die »Initiative« im Oktober 1979 vor, nachdem in<br />

der Zwischenzeit viele Gespräche gefuhrt worden waren, u.a. mit<br />

dem Landesrabbiner, Instituten der Universität Tübingen, dem Regierungspräsidium,<br />

Landrat Dr. Lazi und Bürgermeister Roth. Nach<br />

der Renovierung sollte die Synagoge nicht nur museales Dokumentationszentrum<br />

mit dem Schwerpunkt Ausstellungen zur Geschichte<br />

der Juden in Hohenzollern werden, sondern ein mit Leben erfülltes<br />

Kulturzentrum. In ihm sollten mit dem Charakter und der Würde des<br />

Hauses verträgliche Konzerte, Theateraufführungen, Vorträge, Ausstellungen<br />

u.ä. stattfinden. Organisation und Durchführung dieser<br />

Veranstaltungen sollten bei der »Initiative« hegen.<br />

Zur Umsetzung dieses geplanten Nutzungskonzepts traf sich der inzwischen<br />

erweiterte Vorstand mit Beirat ab November 1979 mindestens<br />

einmal im Monat. Auf Drängen der »Initiative« ließ das Landratsamt<br />

als untere Denkmalschutzbehörde durch die Stadt Hechingen<br />

das Dach der Synagoge ausbessern und die Fenster zunageln. Dadurch<br />

war der drohende weitere Verfall des Gebäudes durch das Eindringen<br />

von Nässe im kommenden Winter erst einmal notdürftig gestoppt.<br />

Ein weiterer wichtiger Schritt auf dem Wege zur Rettung der<br />

Synagoge war die Eintragung in das Denkmalbuch, die das Regierungspräsidium<br />

Tübingen am 21.12.1979 verfügte. Begründet wurde<br />

diese Maßnahme mit dem Öffentlichen Interesse an der Erhaltung<br />

dieses Kulturdenkmals aus heimatgeschichtlichen, wissenschaftlichen<br />

und künstlerischen Gesichtspunkten. Damit war auch die Aufnahme<br />

des sanierungsbedürftigen Gebäudes in das denkmalpflegerische<br />

Schwerpunktprogramm für das Jahr 1980 erreicht.<br />

Obwohl das Land am 20.2.1980 einen Zuschuss von 800 000 DM zu<br />

den angenommenen Restaurierungskosten von 1,3 Mio. DM zugesagt<br />

hatte und auf einen Kauf der Synagoge durch die Stadt Hechingen<br />

drängte, sah sich diese außerstande, das Gebäude zu kaufen bzw. bei<br />

einer eventuellen Zwangsversteigerung zu erwerben. Hauptgrund für<br />

diesen Beschluss des Gemeinderats im Juli 1980 war - angesichts<br />

der angespannten städtischen Haushaltslage - die Weigerung des<br />

Landes, den zugesagten Zuschuss an die zu erwartenden steigenden<br />

Restaurierungskosten in den vier nächsten Jahren anzupassen. Daher<br />

schlug der Gemeinderat der »Initiative« vor, sie solle die Synagoge<br />

erwerben. Die Stadt erklärte sich bereit, den Zuschuss des Lan-<br />

50<br />

des dem Verein zu überlassen und selbst noch einen Betrag von<br />

300 000 DM beizusteuern. Dies sollte allerdings frühestens in 4 Jahren<br />

und nur unter Maßgabe des Haushalts erfolgen. Nachdem nochmalige<br />

Kaufverhandlungen der Stadt mit dem privaten Eigentümer<br />

der Synagoge, Egon Brütsch aus Jungingen, an dessen überhöhten<br />

Preisvorstellungen scheiterten, schien das Schicksal des weiter verfallenden<br />

Gebäudes besiegelt.<br />

Nun war die »Initiative« gefordert. In zähen Verhandlungen gelang es<br />

ihr den Preis von den zuletzt geforderten 150 000 DM auf einen angemessenen<br />

Betrag von 72 600 DM herunterzuhandeln. So konnte<br />

der Kaufvertrag endlich im Oktoberl982 (!) von den Vorsitzenden<br />

Wilhelm Eckenweiler und Dr. Norbert Kirchmann unterzeichnet werden.<br />

Auf Antrag der »Initiative« leistete die Stadt zum Kauf einen Zuschuss<br />

von 40 000 DM; den Rest brachte die »Initiative« aus Eigenmitteln<br />

auf Weitere finanzielle Zusagen zur Restaurierung der Synagoge<br />

für die nächsten fünf Jahre wollte die Stadt nicht machen.<br />

Die immer noch im Raum stehende Frage der späteren Nutzung der<br />

Synagoge musste nun hinter der dringendsten Maßnahme, der Substanzsicherung<br />

des Gebäudes, zurückstehen. Diese sollte im Frühjahr<br />

1983 angepackt werden, zumal nach Aussage des Landesdenkmalamtes<br />

das gesamte Dach mit der Kuppel einzustürzen drohte. Der<br />

Finanzierungsplan sah für die im Mai 1982 auf 160 000 DM geschätzten<br />

ersten Arbeiten einen Betrag von 100 000 DM durch das<br />

Landesdenkmalamt vor. 20 000 DM sollten durch Eigenleistungen<br />

von »Initiative«-Mitgliedern sowie Arbeiten des Städtischen Bauhofs<br />

abgedeckt werden. Weitere 20 000 DM wollte die »Initiative« als Kredit<br />

beschaffen. Die restlichen 20 000 DM, die für die Arbeit des Baiinger<br />

Architekten Wolf Schwab eingeplant waren, konnten gespart<br />

werden, da dieser »im Interesse der Sache und der Geschichte der<br />

Juden« (W. Eckenweiler) auf sein Honorar verzichtete. Der Startschuss<br />

für die Substanzsicherung der Synagoge durch einheimische<br />

Firmen konnte endlich im Frühjahr 1983 fallen. Priorität hatte die<br />

Sanierung des Daches.<br />

Neben diesen vordringlichen Arbeiten wurde die Innenrestaurierung<br />

der Synagoge vorbereitet. Anfang März trafen sich die Vorsitzenden<br />

Eckenweiler und Dr. Kirchmann sowie Architekt Schwab mit dem zuständigen<br />

Konservator des Landesdenkmalamtes Tübingen, Klaus<br />

Scholkmann, einem Statiker und dem Restaurator Gärtner vom Büro<br />

Prof Dr. Ingenhoff aus Tübingen zu einem Lokaltermin in der Synagoge.<br />

Auf Grundlage der durchzuführenden Befunduntersuchungen<br />

sollte bis zum Sommer ein endgültiger Kostenvoranschlag für die<br />

Restaurierung erarbeitet werden. Dass es sich »um eine sehr umfangreiche<br />

und aufwendige Maßnahme handelt« (Gärtner) war allen<br />

Beteiligten klar. Unter Berücksichtigung des Finanzierungsproblems<br />

rechnete der Vorsitzende Eckenweiler mit einer schrittweisen Restaurierung<br />

der Synagoge und hoffte auf ein Ende der Arbeiten in fünf<br />

Jahren.<br />

Bevor aber der Restaurator im Frühjahr 1985 mit seiner Arbeit beginnen<br />

konnte; mussten die »Rohbauarbeiten« (Erstellung der Bodenplatte,<br />

Stabilisierung der Außenwände, Wiederherstellung des ursprünglichen<br />

Eingangs, Anbau der Apsis, Sicherung der Kuppel, Einbau<br />

neuer Fenster...) abgeschlossen sein. Erfreulicherweise bewilligte<br />

der Kreistag des Zollernalbkreises der »Initiative« einen Zuschuss<br />

von 20 000 DM für den ersten Bauabschnitt. Zur Finanzierung<br />

der fortlaufenden Bauarbeiten sah sich die »Initiative« gezwungen einen<br />

Kredit bei der Landeskreditanstalt Baden-Württemberg aufzunehmen,<br />

da der von der Stadt 1980 in Aussicht gestellte Zuschuss von<br />

300 000 DM noch nicht floss.<br />

[Fortsetzung folgt]


Mitteilungen<br />

aus dem<br />

<strong>Hohenzollerische</strong>n<br />

<strong>Geschichtsverein</strong><br />

Veranstaltungen im 1. Quartal 2005<br />

I. Vorträge<br />

Dr. Andreas Zekorn<br />

Das Grosselfinger Narrengericht, ein Volksschauspiel.<br />

Montag, 24. Januar, um 20 Uhr im Prinzenbau<br />

(Staatsarchiv) in Sigmaringen<br />

Rolf Vogt M.A., Hechingen<br />

Die Machtergreifung in Hechingen.<br />

Dienstag, 15. Februar, um 20 Uhr im <strong>Hohenzollerische</strong>n<br />

Landesmuseum, Altes Schloss, in Hechingen<br />

Dr. Otto H. Becker, Sigmaringen<br />

Das Kriegsende 1944/45 in Sigmaringen.<br />

Montag, 14. März, um 20 Uhr im Prinzenbau<br />

(Staatsarchiv) in Sigmaringen<br />

II. Ankündigung<br />

Der <strong>Hohenzollerische</strong> <strong>Geschichtsverein</strong> veranstaltet in Zusammenarbeit<br />

mit der Landeszentrale für politische Bildung Baden-<br />

Württemberg und dem Staatsarchiv Sigmaringen das Seminar<br />

Einführung in die Archivarbeit<br />

am Freitag, 6. Mai 2005, von 10.30 bis 17.00 Uhr im Staatsarchiv<br />

Sigmaringen.<br />

Anmeldungen sind schriftlich zu richten an die Landeszentrale<br />

für politische Bildung Baden-Württemberg, zu Hd. Herrn Dr.<br />

Markus Hug, Haus auf der Alb, Hanner Steige 1, 72574 Bad<br />

Urach, Fax 07125-100, e-mail: markus.hug@lpb.bwl.de.<br />

OTTO H. BECKER<br />

Auf den Spuren von Prof. Henselmann<br />

Die Herbstexkursion des <strong>Hohenzollerische</strong>n <strong>Geschichtsverein</strong>s am<br />

9. Oktober 2004 war den Werken des aus Laiz stammenden Bildhauers<br />

Prof. Josef Henselmann (1898 - 1987) im Raum Sigmaringen-Riedlingen<br />

gewidmet. Als Führer konnte Vorstandsmitglied<br />

Hans Joachim Dopfer gewonnen werden, der auch das Kunstmuseum<br />

Laiz, in dem Plastiken von Josef Henselmann und Gemälde<br />

seiner Gemahlin Marianne Henselmann ausgestellt sind, seit seinem<br />

Bestehen im Jahr 1999 betreut.<br />

^<br />

51<br />

Das Seminar unter der Leitung von Dr. Otto Becker und<br />

Dr. Volker Trugenberger bietet für Anfanger eine Einführung in<br />

die Arbeit in Archiven an. Es wird gezeigt, wie man ermittelt, in<br />

welchen Archiven Unterlagen für die eigene Fragenstellung zu<br />

erwarten sind. Archivische Ordnungsprinzipien gehören ebenso<br />

zum Seminarinhalt wie Tipps im Umgang mit den Quellen.<br />

Suchstrategien in traditionellen Findbüchern und im Internet<br />

werden vorgetellt und anhand praktischer Übungen erläutert.<br />

Das eigentliche Seminar beginnt um 10.30 Uhr. Wer bereits vorher<br />

Zeit hat, ist um 9-00 Uhr herzlich zu einer Führung durch<br />

das Staatsarchiv Sigmaringen eingeladen. Die im Seminar gewonnenen<br />

Kenntnisse und Anregungen sind in allen Archiven<br />

anwendbar.<br />

Hinweis<br />

Die Schriftleitung macht darauf aufmerksam, dass die Zeitschrift<br />

für <strong>Hohenzollerische</strong> Geschichte vom Verlag Kohlhammer<br />

und Wallishauser in Hechingen verschickt wird. Die Mitglieder<br />

sollten sich durch die Aufschrift des Versenders deshalb<br />

nicht dazu verleiten lassen, die Sendung ungeöffnet wieder<br />

zurückzuschicken. Leider kommt es immer wieder vor, dass<br />

Mitglieder Wohnortwechsel oder Änderungen ihrer Bankverbindung<br />

nicht rechtzeitig oder überhaupt nicht dem Vereinssekretariat,<br />

Karlstraße 1/3,72488 Sigmaringen (Tel. 07571/101-<br />

580 oder 559) mitteilen. Um Kosten zu sparen, wird deshalb<br />

darum gebeten, diese Daten umgehend weiterzuleiten.<br />

gez. Dr. Otto Becker<br />

Vorsitzender<br />

Nach Sigmaringen mit dem Denkmal des Fürsten Wilhelm von Hohenzollern<br />

(1864 -1927) und dem Ceres-Brunnen vor dem Landratsamt<br />

ging die Fahrt nach Laiz, wo den Teilnehmern vor allem die<br />

Decke des Schiffs der Pfarrkirche St. Peter und Paul und das Kriegerdenkmal<br />

auf der ehemaligen Friedhofsmauer vorgestellt und interpretiert<br />

wurden. Danach ging es an dem Gockelbrunnen, dem<br />

Kunstmuseum und der Statue des Heiligen Christopherus bei der<br />

Donaubrücke vorbei nach Scheer zum Ehrenmal bei der Pfarrkirche,<br />

der »Rufer« genannt, und dann nach Heiligkreuztal. Dort<br />

wurden der Brunnen »Anna Selbdritt« und die Kunstsammlung der<br />

oberschwäbischen Künstler im ehemaligen Zisterzienserinnenkloster<br />

mit Plastiken von Prof. Henselmann und Gemälden von Marianne<br />

Henselmann aufgesucht.


Otto Werner beim Versuch, den Goldesel in Altheim zu aktivieren. Foto: Hans Joachim Dopfer<br />

Die nächste Station war Altheim, das geradezu eine Fülle von Werken<br />

Prof. Henselmanns und seines Enkels Dr. med. Josef Alexander<br />

Henselmann aufweist, so die Figur des Heiligen Christopherus<br />

am Ortseingang, der Storchenbrunnen vor dem Rathaus, die Mariensäule<br />

im Bürgerhof, die Statue des Heiligen Martin bei der<br />

Pfarrkirche und die Darstellung eines Bibers, der Wappenfigur von<br />

Altheim. Vergeblich suchten einige Mitfahrer ihre Geldbörse bei<br />

dem von Josef Alexander Henselmann geschaffenen Goldesel vor<br />

der Sparkassenfiliale aufzufüllen.<br />

Den Höhepunkt der Studienreise bildete der Besuch der Kapelle<br />

des Kreiskrankenhauses in Riedlingen, für die Prof. Henselmann<br />

den Altar, den Ambo, eine Pietä, das Ewige Licht, den Kreuzweg,<br />

das Emporengeländer sowie eine Mondsichelmadonna geschaffen<br />

hat. Diese nunmehr als »Riedlinger Madonna« bezeichnete Statue<br />

gilt als die bedeutendste Kleinplastik Henselmanns.<br />

OTTO H. BECKER<br />

Zu den Auswirkungen des Attentats am<br />

20. Juli 1944 in der Region Alb-Donau<br />

Das gescheiterte Attentat von Oberst i.G. Claus Schenk Graf von Staufenberg<br />

(1907 - 1944) am 20. Juli 1944 in der Wolfsschanze bei<br />

Rastenburg in Ostpreußen löste bei der Gestapo sofort Großalarm<br />

aus. Beamte der Gestapo durchsuchten zunächst die Wohnung des<br />

Grafen Claus in Berlin und die seiner Familie in Bamberg und beschlagnahmten<br />

dabei selbst noch die kleinsten Stücke beschriebenen<br />

Papiers.<br />

52<br />

Bei der Führung ging Hans Joachim Dopfer auch auf die Biographie<br />

von Josef und Marianne Henselmann sowie des Enkels Josef<br />

Alexander und deren künstlerische Entwicklung ein.<br />

Auch die Werke Henselmanns, die nicht angefahren werden konnten,<br />

wie z.B. das Kriegerdenkmal auf dem Brenzkofer Berg in Sigmaringen<br />

oder die Relieftafel des Widerstandskämpfers Reinhold<br />

Frank (1896 - 1945) aus Bronze in Ostrach-Bachhaupten, wurden<br />

kurz behandelt.<br />

Die gut vorbereitete und auch durchgeführte Fahrt stieß auf eine<br />

sehr positive Resonanz. Es wurde auch der Wunsch geäußert, eine<br />

Exkursion zu den Hauptwerken des langjährigen Präsidenten der<br />

Bayerischen Akademie der Bildenden Künste aus Hohenzollern in<br />

Augsburg, München und Passau zu untenehmen.<br />

In der Nacht vom 22. auf den 23. Juli drangen Gestapo-Beamte sodann<br />

in das Stauffenbergschloss in Lautlingen ein, wo sich die Gemahlin<br />

Nina mit ihren Kindern und die Mutter, die Gräfin Karoline<br />

geb. Gräfin von Üxküll-Gyllenbang (1875 - 1956), und andere Verwandte<br />

des am Abend des 20. Juli im Kriegsministerium in Berlin erschossenen<br />

Attentäters befanden. Man verbrachte die Gräfin Nina<br />

umgehend in das Gefängnis in Rottweil und die Gräfin Karoline<br />

Schenk von Stauffenberg ins Amtsgerichtsgefängnis nach Balingen.<br />

Am 17. August wurden die Kinder des Grafen Claus und der Gräfin<br />

Nina aus Lautlingen verschleppt.<br />

Die Gräfin Karoline durfte am 2. November wieder ins Stauffenbergschloss<br />

nach Lautlingen zurückkehren, das sie aber mit dort unter-


gebrachten Familien von Gestapo-Angehörigen teilen musste. Im Dezember<br />

erhielt die Gräfin dort Nachricht von der bereits am 10.<br />

August 1944 erfolgten Hinrichtung ihres Sohnes Berthold (1905 -<br />

1944), eines Bruders des Grafen Claus.<br />

Die Familienmitglieder der gräflichen Linie der Schenken von Staufenberg<br />

gerieten in Sippenhaft. Beschlagnahmt wurden auch ihre Güter<br />

in Lautlingen, Merdingen bei Nördlingen, Jettingen bei Günzburg<br />

und Greifenstein bei Bamberg. Doch damit hatte es nicht sein Bewenden.<br />

Von Sippenhaft und Beschlagnahme betroffen war ferner<br />

Friedrich Schenk Freiherr von Staufenberg (1908 - 1982) in Wiblingen<br />

(heute Gem. Langenenslingen, Landkr. Biberach).<br />

Über die Ereignisse im Anschluß an das Attentat schrieb Pfarrer<br />

Franz Neuburger in der Wilflinger Pfarrchronik: »Der Attentäter ist<br />

ein entfernter Verwandter der hiesigen Patronatsherrschaft und Träger<br />

gleichen Namens: Staufenberg.<br />

Als die Herrschaften am Morgen des 21. Juli durchs Radio die Meldung<br />

vom Attentat und den Namen des Attentäters hörten, befürchteten<br />

sie sofort das Schlimmste für ihre Familie. Nach wenigen Stunden<br />

betraten eine größere Anzahl von Gestapo-Beamten aus Stuttgart ihre<br />

Wohnung und nahmen nach einem kurzen Verhör sämtliche anwesenden<br />

Bewohner des Schlosses und Forsthauses, auch die zufällig<br />

anwesenden Gäste, in Haft. Die Verhafteten wurden sofort ins Gefängnis<br />

nach Hechingen verbracht«.<br />

Unter den Verhafteten befand sich auch die Gemahlin des Schloßherrn,<br />

Mechthild Freifrau Schenk von Staufenberg geb. Gräfin Adelmann<br />

von Adelmannsfelden. Nicht behelligt wurden jedoch die drei<br />

Kinder des Ehepaares. Diese blieben, wie Pfarrer Neuburger berichtet,<br />

bei ihrer Kinderschwester. Am folgenden Tag begaben sie sich<br />

nach Leutkirch im Allgäu.<br />

Über die Atmosphäre in Wilflingen berichtet der Chronist: »Im Dorfe<br />

herrschte ob dieser Ereignisse eine gedrückte Stimmung. Im Schloß<br />

ließ sich die Gestapo nieder. Ständig waren 2 Beamte anwesend. Nur<br />

ganz vertrauten Personen gegenüber konnte man seine Meinung<br />

äußern. Niemand wagte seine innersten Gedanken betreff des Attentats<br />

zu offenbaren. Über jedem Einzelnen schwebte unsichtbar Gefängnis,<br />

KZ oder Tod. Es war gut, daß die Erntezeit kam und die Leute<br />

ganz von den Arbeiten auf dem Felde in Anspruch genommen wurden...«<br />

Am 9- September 1944 - Friedrich Schenk Freiherr von Stauffenberg<br />

und seine Gemahlin befanden sich immer noch in Sippenhaft - wurden<br />

Fürst Friedrich von Hohenzollern und sein Zwillingsbruder,<br />

Prinz Franz Josef von Hohenzollern-Emden, mit ihren Familien nach<br />

Wilflingen in Schutzhaft verbracht, um der nach Deutschland überstellten<br />

Vichy-Regierung unter Marschall Philippe Petain im Sigmaringer<br />

Schloß eine angemessene Unterkunft zu verschaffen.<br />

Nach den Plänen der Reichsregierung sollte im Wilflinger Schloß ferner<br />

der Führer der faschistischen französischen Volkspartei, Jacques<br />

Doriot, seinen Sitz nehmen. Dieser lehnte das Angebot jedoch schroff<br />

ab. Er begab sich vielmehr auf die Insel Mainau, von wo er ungestörter<br />

die Entmachtung der in Sigmaringen installierten »Französischen<br />

Regierungskommission für die Verteidigung der nationalen Interessen«<br />

betreiben konnte.<br />

53<br />

Laut Pfarrchronik von Wilflingen wurden Baron Friedrich Schenk<br />

von Stauffenberg und seine Gemahlin im Oktober 1944 aus dem Gefängnis<br />

entlassen. Sie wohnten zuerst im Eisighof, dann im Forsthaus,<br />

dem alten Amtshaus, das später bekanntlich von dem Schriftsteller<br />

Ernst Jünger und seiner Frau bewohnt wurde. Wie in der Chronik<br />

ausdrücklich festgehalten wurde, durfte der Eigentümer sein Schloß<br />

in Wilflingen nicht betreten.<br />

Nach den Aufzeichnungen Pfarrer Neuburgers wurden Fürst Friedrich<br />

von Hohenzollern und sein Bruder am 1. November 1944 aus<br />

der Schutzhaft wieder entlassen. Danach begab sich der Fürst laut Tagebuch<br />

von Maximilian Schaitel zunächst zu seinem Schwager, dem<br />

Grafen Douglas, nach Schloß Langenstein. Später nahm der Fürst von<br />

Hohenzollern in seinem Landhaus in Krauchenwies Wohnung.<br />

Wie aus der Wilflinger Pfarrchronik ferner entnommen werden<br />

kann, zogen anstelle der Mitglieder des Fürstl. Hauses Hohenzollern<br />

eine Gruppe der Miliz der Vichy-Regierung im Schloß Wilflingen ein.<br />

Die Einheit, die vermutlich vorher im Schloß Krauchenwies stationiert<br />

war, verließ jedoch bereits Anfang Januar 1945 das Wilflinger<br />

Schloß. Kurz danach nahm der französische Ministerpräsident Pierre<br />

Laval, der sich mit Marschall Petain zerstritten hatte, mit seiner Umgebung<br />

dort seinen Sitz.<br />

Im April 1945 notierte Pfarrer Neuburger in seiner Chronik: »Laval<br />

und sein Ministerium fliehen am 20. April weiter nach Süden. Die<br />

meisten deutschen Truppen verlassen das Dorf und eilen dem Allgäu<br />

und den Bergen zu... Es wird totenstül im Dorf. Mit Spannung wartete<br />

man auf den Einmarsch der Franzosen. Am 25. April - Markustag<br />

- gegen 6 Uhr kommen die ersten französischen Panzer von Sigmaringen<br />

her...«<br />

Das Wilflinger Schloß diente den französischen Truppen als Kommandantur.<br />

Der Schloßherr, Baron Friedrich Schenk von Stauffenberg,<br />

mußte nach dem Krieg wie seine Verwandten noch lange Zeit<br />

um die Wiedererlangung seines von den Nazis beschlagnahmten Eigentums<br />

kämpfen.<br />

Quellen- und Literaturnachweise:<br />

Pfarrchronik von Wilflingen, Diözesanarchiv Rottenburg<br />

Gerd Wunder: Die Schenken von Stauffenberg.<br />

Eine Familiengeschichte<br />

(= Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde<br />

11), Stuttgart 1972<br />

Peter Hoffmann: Claus Schenk Graf von Stauffenbeg und seine<br />

Brüder, Stuttgart 1992<br />

1


Walter Kempe zum Gedächtnis<br />

Am 19. Mai 2004 starb in Ostrach unser Vereinsmitglied Walter<br />

Kempe. 1920 in Frankfurt am Main geboren, hatte Kempe noch als<br />

Soldat die Bestallung zum Apotheker erhalten. Anschließend war<br />

er über 20 Jahre bei den Farbwerken Hoechst in seiner Vaterstadt<br />

tätig, übernahm dann aber eine Apotheke in Ehingen an der Donau.<br />

Nach dem Tode seiner ersten Frau war er ab 1978 zuerst in<br />

der Apotheke Pfeiffer in Sigmaringen und anschließend bis 1986 in<br />

der Stadt-Apotheke Mengen tätig. Dort begann er, sich intensiv mit<br />

der Geschichte der Stadt-Apotheke und der ärztlichen Versorgung<br />

der Donaustadt zu beschäftigen. Seine Forschungsergebnisse fanden<br />

schließlich in dem Aufsatz »Wundärzte und Apotheker in Mengen.<br />

Ein Beitrag zur Geschichte der Stadt-Apotheke und der Stadt<br />

RUDOLF LINSENMANN<br />

Nachruf für eine verdiente Lehrerin<br />

in Empfingen (1946 bis 1971):<br />

Elsa Petersen f 9. Juli 2003<br />

(Bearbeiter: Wolfgang Hermann)<br />

Ansprache von Rudolf Linsenmann, Rektor der Grund-, Haupt- und<br />

Werkrealschule Empfingen am Grabe von Elsa Petersen am 16. Juli<br />

2003.<br />

Werte Trauergemeinde, die Nachricht vom Tode der ehemaligen<br />

Empfinger Lehrerin und Konrektorin Elsa Petersen am 9- Juli 2003<br />

hat in der Schule Betroffenheit und Trauer ausgelöst. Obwohl Frau<br />

Petersen schon viele Jahre nicht mehr in Empfingen wohnte und sie<br />

»ihr« Empfingen aufgrund ihres Gesundheitszustandes auch nicht<br />

mehr besuchen konnte, ist der Kontakt zwischen Empfinger Bürgern<br />

und Frau Petersen doch nie abgerissen. Immer wieder haben Empfinger<br />

Frau Petersen am Krankenbett aufgesucht. Von diesen Besuchern<br />

hat auch die Schule immer wieder erfahren, wie sehr doch<br />

54<br />

Mengen« ihren Niederschlag, der in der Zeitschrift für <strong>Hohenzollerische</strong><br />

Geschichte 20 (1984) publiziert wurde. Seit der Aufnahme<br />

seiner historischen und heimatkundlichen Forschungen gehörte<br />

Walter Kempe zum festen Kundenkreis des Staatsarchivs Sigmaringen.<br />

Bald trat er auch dem <strong>Hohenzollerische</strong>n <strong>Geschichtsverein</strong> als<br />

Mitglied bei. Aktives Mitglied war Kempe ferner im Schwäbischen<br />

<strong>Heimat</strong>bund und in der Gesellschaft Oberschwaben. Nach den Forschungen<br />

zur Geschichte Mengens wandte sich Kempe sodann der<br />

Erforschung der Geschichte der Gemeinde Ostrach und ihrer Ortsteile<br />

zu, wo er sich nach der Verehelichung mit seiner zweiten Ehefrau<br />

Ilse häuslich niedergelassen hatte.<br />

Die Ergebnisse seiner einzelnen Forschungen publizierte er in der<br />

Nachfolge von Rektor Willi Rieger in der <strong>Heimat</strong>kundlichen Beilage<br />

zum Mitteilungsblatt der Gemeinde Ostrach. Seit 1986 erschienen<br />

einzelne Beiträge auch in der <strong>Hohenzollerische</strong>n <strong>Heimat</strong>. Nach den<br />

im vergangenen Jahr herausgebrachten Registern zu dieser Schriftenreihe<br />

hat Walter Kempe bis in das Jahr 2000 14 Beiträge alleine<br />

und vier weitere zusammen mit Dr. Hermann Frank, Tübingen, herausgebracht.<br />

2003 erschien in der <strong>Hohenzollerische</strong>n <strong>Heimat</strong> noch<br />

der Beitrag von Kempe zur Geschichte Dichtenhausens. Erwähnenswert<br />

ist auch die schöne Exkursion mit dem Titel »Burgen im<br />

Ostrachtal«, die Walter Kempe 1995 im Rahmen des Veranstaltungsprogramms<br />

des <strong>Geschichtsverein</strong>s organisiert und auch<br />

durchgeführt hat. Walter Kempe hat sich ferner im Bereich der<br />

kirchlichen Archivpflege verdient gemacht. Sein Engagement fand<br />

Anerkennung. 1989 wurde Walter Kempe als Vertreter der Raumschaft<br />

Ostrach in den Vorstand des <strong>Geschichtsverein</strong>s gewählt. Seit<br />

1993 war er als beratendes Mitglied in der Vorstandschaft tätig. Zuletzt<br />

nahm er im April 2003 an der Verabschiedung von Dr. Herbert<br />

Burkarth als Schriftleiter der <strong>Hohenzollerische</strong>n <strong>Heimat</strong> und der<br />

Einführung seines Nachfolgers Robert Frank in Sigmaringen teil.<br />

Mit Apotheker i.R. Walter Kempe hat der <strong>Hohenzollerische</strong> <strong>Geschichtsverein</strong><br />

ein geschätztes Mitglied und die Gemeinde Ostrach<br />

einen rührigen <strong>Heimat</strong>forscher verloren, der sicherlich nicht bald<br />

ersetzt werden kann. Dr. Otto H. Becker<br />

ihre körperlichen Kräfte nachließen und sich die Gesundheit immer<br />

mehr verschlechterte.<br />

Heute nun gilt es Abschied zu nehmen von Elsa Petersen. Sie wurde<br />

1912 in Osnabrück als Tochter des Angestellten Sauter geboren. Herr<br />

Sauter war beim Barmer Bankverein tätig. Das Gymnasium besuchte<br />

sie in Aachen, wohin die Familie umgezogen war. Dort machte sie<br />

1932 mit Auszeichnung ihr Abitur. Von 1933 bis 1935 absolvierte die<br />

junge Frau ihr Lehrerstudium in Beuthen, Oberschlesien, das nach<br />

dem 1. Weltkrieg exakt an der Grenze zu Polen lag. 1935 legte sie die<br />

1. Dienstprüfung mit Auszeichnung ab. Wegen Überfüllung des<br />

Lehrerberufes mußte sie zunächst als Hauslehrerin arbeiten, aber<br />

1937 konnte sie im Staatsdienst im Regierungsbezirk Oppeln, Oberschlesien,<br />

tätig werden.<br />

Nach ihrer Heirat 1938 wurde Frau Petersen aus dem Staatsdienst<br />

enüassen, weil man nach damaliger Rechtslage weibliche Beamte<br />

entließ, wenn sie wirtschaftlich versorgt waren. Nach Ausbruch des<br />

2. Weltkrieges war Elsa Petersen wieder als Lehrerin vom Herbst<br />

1939 bis zum Januar 1945 in Warthenau, Oberschlesien, im Schuldienst.<br />

Ihr Mann Erich, der bei Stalingrad verletzt worden war, wurde<br />

im August 1943 aus der Wehrmacht enüassen und konnte neben sei-


Verantwortung zu übernehmen. Hervorzuheben ist dabei, daß in diesen<br />

Jahren eine Frau in der Schulleitung einer Grund- und Hauptschule<br />

sehr ungewöhnlich war und einen Ausnahmefall darstellte.<br />

1971 mußte Frau Petersen aus gesundheitlichen Gründen in den Ruhestand<br />

treten. 35 Jahre Lehrerdasein, davon 25 Jahre an der Empfinger<br />

Schule und acht Jahre als Konrektorin waren geprägt von ihrer<br />

großen Liebe zu den Kindern. Der Lehrerberuf war für sie eine<br />

Berufung. Sie ging in ihrem Beruf auf, und sie machte die Schule zu<br />

ihrem Lebensmittelpunkt. Ich persönlich habe Frau Petersen bereits<br />

1965 als 10-jähriger kennengelernt. Ich erinnere mich noch gut<br />

daran, wie sie mir damals in ihrer fürsorglichen Art die folgenden<br />

Sätze auf den Weg gab: »Merke dir«, sagte sie, »alles kann man im<br />

Leben verlieren, Geld und Haus und Hof; aber was man gelernt hat,<br />

das kann einem niemand nehmen«. Ich weiß davon, daß Frau Elsa<br />

Petersen Kinder aus der Empfinger Schule Sonntag vormittags zu sich<br />

nach Hause bestellte und examinierte, ob sie für den Besuch des<br />

Elsa Petersen. Sie war von 1955 bis 1971 Lehrerin in Empfingen, davon Gymnasiums geeignet wären. Dies zeigt, wie sehr sie die Kriegsereig-<br />

die letzten acht Jahre als Konrektorin. Foto: Annemarie Strobel, Rottweil. nisse geprägt hatten.<br />

ner Frau an derselben Schule in Warthenau unterrichten. Vor den<br />

heranrückenden russischen Truppen mußte das Ehepaar Petersen<br />

mittellos durch Böhmen nach Westen fliehen. Sechs Monate dauerte<br />

der Irrweg, bis beide völlig mittellos bei den Eltern von Frau Petersen<br />

in Hechingen, wo ihr Vater seine Jugendjahre verbracht hatte, ankamen.<br />

Nur die Zeugnisse waren Ihnen gebheben, die sie in die Kleidung<br />

eingenäht hatten.<br />

Da Frau Petersen der Bildung einen so hohen Stellenwert beimaß,<br />

suchte sie im November 1945 beim Staatlichen Schulamt in Hechingen<br />

um die Einstellung als Volksschullehrerin nach. Dies führte dazu,<br />

daß das Ehepaar Petersen ab 1946 in Empfingen Wohnung nahm.<br />

Zunächst war Elsa Petersen hier als Aushilfslehrerin und erst später<br />

als Vertragslehrerin an der Volksschule tätig. Im Jahr 1952 wurde ihr<br />

wiederum gekündigt, da alle weiblichen, verheirateten Aushilfslehrkräfte<br />

im Interesse der Anstellung von 140 anstehenden Lehreranwärtern<br />

von ihrer Unterrichtstätigkeit zurücktreten mußten. Die Kündigung<br />

wurde jedoch bald zurückgenommen und von 1955 bis 1956<br />

konnte sie als Vertragslehrerin in Empfingen arbeiten. 1956 machte<br />

sie ihre 2. Dienstprüfung und erhielt damit ihre Anstellung auf Lebenszeit.<br />

Sie wurde zur Hauptlehrerin befördert und 1959 wurde sie<br />

zur Oberlehrerin ernannt. Ihr Mann, der 1962 starb, konnte den weiteren<br />

Aufstieg seiner Frau nicht mehr miterleben.<br />

Vom April 1963 bis Dezember 1963 war sie kommissarische Schulleiterin.<br />

Bei dem nachhaltigen Engagement in ihrem Lehrerberuf ist<br />

es nicht verwunderlich, daß sie schließlich auch bereit war, in der<br />

Schulleitung neben dem neuen Rektor Rudolf Pokorny ab Dezember<br />

55<br />

Frau Petersen verfügte insgesamt über eine natürliche Begabung für<br />

den Lehrerberuf. Diese kam bei ihr im einzelnen zum Ausdruck<br />

durch Eigenschaften wie Pflichtbewußtsein und Fleiß, durch ein vorbildliches<br />

Verhalten in allen Belangen. Ein vornehmes Auftreten, ein<br />

achtunggebietendes und doch bescheidenes Auftreten machten sie<br />

behebt. In ihren Dienstzeugnissen wird ihr auch bescheinigt, in der<br />

Schule und insbesondere im Lehrerkollegium durch ihr überlegtes<br />

Urteil ein Quell für Ausgleich und Harmonie gewesen zu sein. Mit den<br />

Schülern pflegte sie einen vertrauensvollen, wenn es sein mußte,<br />

auch mal einen fest mütterlichen Umgang. Sie schuf ein behagliches<br />

Arbeitsklima, was sie bei Kindern und Eltern zu einer sehr beliebten<br />

Lehrerin werden ließ. Die große Anteilnahme der Empfinger für die<br />

Verstorbene ist ein deutliches Zeichen dafür, wie sehr es ihr gelungen<br />

war, nicht nur Kopf und Verstand, sondern auch das Herz ihrer<br />

Schüler zu gewinnen.<br />

Frau Petersen war eine Frau, die sich den Herausforderungen in der<br />

Schule stellte. In der schwierigen Zeit nach dem 2. Weltkrieg hat sie<br />

mehrere Umzüge der Empfinger Schule in andere Gebäude miterlebt,<br />

bis zum Bau des heutigen Schulgebäudes im Jahre 1963. Frau Petersen<br />

wurden in dieser Hinsicht ausdrücklich Verdienste um die positive<br />

Entwicklung der Schulverhältnisse in Empfingen bescheinigt.<br />

Konrektorin Elsa Petersen hat sich große Verdienste um die Empfinger<br />

Schule und im Ort erworben. Wir nehmen Abschied von einer bemerkenswerten<br />

Kollegin und einem liebenswerten Menschen; wir<br />

werden ihr in der Schule ein ehrendes Andenken bewahren. Als<br />

Die 1963 neu gebaute Schule<br />

in Empfingen.<br />

Vorlage: Das Schulwesen in<br />

Empfingen einst und jetzt -<br />

Einweihung des Schulhauserweiterungsbaus<br />

1998,<br />

<strong>Heimat</strong>beiträge Heft 4, hgg.<br />

von der Gemeinde Empfingen,<br />

Horb 1998, Seite 38.


äußeres Zeichen des Dankes und der Anerkennung legen wir im Auftrag<br />

des Landes Baden-Württemberg und des Staatlichen Schulamtes<br />

Freudenstadt, sowie im Namen des Kollegiums, der schulischen Mitarbeiter,<br />

der Eltern und Schüler einen Kranz nieder.<br />

Frau Elsa Petersen möge ruhen in Frieden.<br />

CD-Vorstellung »Hohenzollern-Serenade«<br />

von Matthias F. Kiemle<br />

Wann gab es das schon einmal? Ein Stuttgarter Komponist hat die Beschreibung<br />

der Geschichte der Burg Hohenzollern auf die musikalische<br />

Ebene verlegt! Von meist gesanglichen Huldigungen - das bekannteste<br />

ist wohl das »Hohenzollernlied« - über Burg, Land oder<br />

Geschlecht, sowie einigen Märschen abgesehen, ist dieses Werk wohl<br />

einzigartig. Kiemle gelingt es mit der Hohenzollernserenade, den<br />

Zuhörer auf eine musikalische Zeitreise mitzunehmen. Eine Musik,<br />

die zum Hörerlebnis wird, bei dem vor dem geistigen Auge durchaus<br />

die wechselvolle Geschichte der Burg aufleben kann. Verdeutlicht<br />

wird sie durch prägnante Tonkonstruktionen in sieben Kapiteln: Sub<br />

Castro Zolre; Spielleute; Belagerung; Menuett; Fanfare; Verfall; Wiederaufbau.<br />

Dabei entstehen Stimmungen, wie dies nur Musik nach<br />

Bildern zu vermitteln vermag. Geschehnisse, wie die Rast der fahrenden<br />

Spielleute, werden mit heiteren Rhythmen und verspielten Melodiereigen<br />

vertont, während das »Menuett« eher die höfisch-eleganten<br />

Tanzszenen verdeutlicht. Eine kunstvoll verzierte Programmmusik,<br />

die mit balladenhafter Erzählkunst den Zuhörer fesselt. Beispielhaft<br />

sei hier nur der erste Satz »Sub Castro Zolre« kurz angeführt:<br />

»Eine prägnant-liebliche Melodie wird hier zum Hauptthema, das in<br />

Variationen wiederkehrt. Zunächst von der warm tönenden Bassflöte<br />

eingestimmt und von einem flächigen Celloklang untermalt, wird es<br />

von der helleren Altflöte wiederholt und dann vom Piano der eigentliche<br />

Satz eingeleitet, in dem das Thema wiederholt von Flöten, Cello<br />

und Klavier bearbeitet wird. Die Grundthemaük des ersten Satzes,<br />

der die erste Burg beschreibt, findet sich auch im Finalsatz wieder,<br />

wo sie sich im Ausdruck steigert und das Ganze klanggewaltig in eine<br />

kraftvolle Kadenz übergeht, den letzten königlichen Bau der jetzigen<br />

Burg gewissermaßen symbolisierend.« Eine großartige Serenade mit<br />

Elementen verschiedener Musikrichtungen, teilweise auch aus der<br />

Renaissance und klaren Barockstrukturen, bei denen sich der Vergleich<br />

mit den Flötenkonzerten Friedrich des Großen anbietet. Gegenüber<br />

der Uraufführung, die am 4. Mai 2002 im Grafensaal der<br />

HANS-DIETER LEHMANN<br />

Nachruf auf eine Römerstraße<br />

auf Markung Rangendingen<br />

Aus der heutigen Nordschweiz lief einst eine wichtige Römerstraße<br />

ins Neckarland und weiter in das Limesgebiet, wo demnächst die<br />

Grenzlinie des Römerreiches Weltkulturerbe werden soll. An dieser<br />

alten Straße wurde die Touristenroute »Römerstraße Neckar-<br />

Alb« etabliert und jetzt bis auf Schweizer Gebiet erweitert.<br />

Nach fast zwei Jahrtausenden ist von der originalen Römerstraße<br />

im Gelände nicht mehr viel zu erkennen. Bis vor kurzem war dies<br />

noch gegeben für ein kurzes Teilstück auf Markung Rangendingen:<br />

Vom Starzelübergang bei der Rangendinger Mühle stieg ein Feldweg<br />

auf dem alten Straßendamm unter dem markanten Maienbühl<br />

56<br />

Quellen:<br />

Personalakte Staatsarchiv Sigmaringen, Wü 82 - T 9 - Nr. 318. Das<br />

Schulwesen in Empfingen einst und jetzt - Einweihung des Schulhauserweiterungsbaus<br />

1998, <strong>Heimat</strong>beitrage Heft 4, hgg. von der Gemeinde<br />

Empfingen, Horb 1998. Mündliche Auskünfte durch ihre Schwester<br />

Annemarie Strobel, Rottweil, von der auch das Foto stammt.<br />

Burg stattfand, ist die Serenade auf der CD teilweise mit percussiven<br />

Elementen aufgemischt, was die Qualität jedoch nur aufwertet. Soweit<br />

zur Musik. Die Bedeutung der einzelnen Sätze mit ihrem geschichüichen<br />

Bezug zur Burg wird im Innenteil der CD genauer beschreiben.<br />

Der Umschlagsentwurf ist kunstbetont angefertigt: Die Esslinger Grafikdesignerin<br />

Dorothee Krämer stellt die Burg in starken Gelb- und<br />

Rottönen vor tiefblauem Hintergrund dar. Eine CD auch zum Abschalten,<br />

Träumen und Verweilen: Einfach nur so vom Alltag, in anderen<br />

Klangwelten, oder eben auf der Burg Hohenzollern.<br />

Künstlerinfo:<br />

Matthias F. Kiemle: Jahrgang 1963, lebt in Stuttgart. Er ist Pianist und<br />

Organist, Komponist, Arrangeur und Dirigent. Ausbildung als nebenamtlicher<br />

Kirchenmusiker. Studierte ev. Theologie in Tübingen und<br />

Münster. Verschiedene CD-Eigenproduktionen. Dr. Volker Leiss: Jahrgang<br />

1966, lebt als niedergelassener Arzt in Steinfurt. Er ist Blockflötist,<br />

Komponist und Studiomusiker. Konzerte, Rundfunk- und Fernsehauftritte<br />

im In- und Ausland. Kulturpreisträger der Stadt Steinfurt<br />

2002. Hat ebenfalls mehrere CD's produziert. Veronique Abitbol-Tov<br />

El: geboren 1971 in Paris, lebt bei Stuttgart. Studium Klavier und Cello<br />

in Paris, sowie an der Jerusalem Rubin Musik Academy mit Abschluss<br />

B.A. bei Prof. Schmuel Magen, z.Zt. fest angestellt bei Stella Musical<br />

Production und im German Pop Orchestra. Sie unterrichtet Klavier<br />

und Cello an einer Jugendmusikschule. Mit Volker Leiss arbeitet Matthias<br />

F. Kiemle seit 9 Jahren zusammen (Duo Con spirito). Leiss hat<br />

ein ähnliches Projekt mit Erfolg realisiert: Die »Bangno Suite« beschreibt<br />

eine barocke Parkanlage in Steinfurth, »Ein Garten der Goethezeit«.<br />

Wiederaufgeführt wird die Serenade am 5. Juni 2005 im Zusammenhang<br />

der neuen Reihe »Schlosskonzerte entlang der Hohenzollernstraße«<br />

in Hechingen im frisch renovierten »Alten Schloss«.<br />

Hohenzollern-Serenade: Gesamtspielzeit: 31:03 Min.; Preis 10 Euro.<br />

Zu beziehen: In Hechingen in der <strong>Hohenzollerische</strong> <strong>Heimat</strong>bücherei,<br />

im Bildungshaus St. Luzen, im Souvenirladen unterhalb der Burg am<br />

Parkplatz, im Internet unter www.mfkiemle.de, oder zu erfragen bei<br />

Willy Beyer, Tel: 07471 16259<br />

entlang auf die Höhe, über die die moderne Straßenverbindung<br />

Rangendingen-Hirrlingen läuft. Dieser von Büschen gesäumte,<br />

ausgefahrene Feldweg vermittelte dem an Geschichte interessierten<br />

Wanderer einen guten Eindruck von dem einst so wichtigen Altweg.<br />

Jenseits der Fahrstraße - in Richtung Hirrlingen - wurde der römische<br />

Straßendamm im Zuge der abgeschlossenen Flurbereinigung<br />

dadurch geschont, dass der moderne Feldweg parallel dazu<br />

angelegt wurde.<br />

Das landwirtschaftlich genutzte Gelände unter dem Maienbühl<br />

wurde durch einen Feldweg erschlossen von Rangendingen her. Er<br />

kreuzt die Römerstraße wenig oberhalb des Geländeeinschnittes,<br />

oberhalb der Mühle. Da er der römischen Trasse nur auf wenige<br />

Meter folgt, war hier ein guter Kompromiss gefunden worden zwischen<br />

den Interessen des Denkmalschutzes und denjenigen der<br />

das Land unter dem Maienbühl bewirtschaftenden Rangendingern.


Seit diesem Frühjahr ist das stimmungsvolle und geschichtsträchtige<br />

Bild der Altstraße zerstört. Die Gemeinde Rangendingen ist aus<br />

dem Arbeitskreis »Römerstraße Neckar-Alb« ausgetreten und hat<br />

unmissverständlich dokumentiert, dass sie anderen Interessen Priorität<br />

einräumt: Die Römerstraße wurde in Ordnung gebracht und<br />

geteert! Man braucht hier autogerechten, direkten Straßenanschluss!<br />

Ob das zuständige Tübinger Denkmalamt wohl von dieser<br />

Maßnahme informiert war? Man hat sich dafür nicht einmal an<br />

dem den römischen Straßendamm schonenden Beispiel orientiert,<br />

welches jenseits der Autostraße gegeben ist.<br />

Dem Ansinnen des Naturschutzes, im Rangendinger Naturschutzgebiet<br />

weiter oben, wohl schon im Mittelalter - über ehemaligen<br />

Rebhängen errichtete »Berghäusle« zu entfernen, wurde »historisch«<br />

als Argument entgegengehalten. In Rangendingen ist offensichtlich<br />

dieses Argument nur dann ein Maßstab, wenn es für Privatinteressen<br />

einsetzbar ist.<br />

Michael Lehmann -<br />

ein katholischer Rebell<br />

Zum 100. Todestag des Publizisten, Schriftstellers<br />

und Komponisten<br />

V. Das kompositorische Werk<br />

„Mottete klingt feurig und wirkungsvoll"<br />

Die katholische Gesinnung von Michael Lehmann spiegelt sich besonders<br />

deutlich in seiner Musik. Zunächst Organist, wurde er später<br />

Chorregent an der Hechinger Stiftskirche. Diese Tätigkeit, auch<br />

Chordirektor genannt, ist vergleichbar mit der des heutigen Stiftskantors.<br />

Dazu merkt Roman Sauter an: »Kein Proben war ihm zuviel,<br />

wenn es galt, die sogenannten ,musizierten Aemter', mehrstimmige<br />

Festmessen mit Orgel und Instrumentalmusik einzuüben.« Darüber<br />

hinaus gab Lehmann Musikunterricht und komponierte Stücke für<br />

»seinen« Stiftschor.<br />

Mit seinem kompositorischen Schaffenswerk reiht sich Michael Lehmann<br />

ein in eine lange Riege ehemaliger komponierender Chorregenten<br />

und Kapellmeister und damit in eine weit zurückreichende<br />

musikalische Tradition im hohenzollerischen Hechingen und an der<br />

Stiftskirche St. Jakobus: Etwa in der ausgehenden Renaissancezeit<br />

um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert die Komponisten und<br />

Hofkapellmeister Leonard Lechner, Jakob Meiland, oder Ferdinand<br />

di Lasso. Als Hoforganisten standen dem Grafen Eitel Friedrich I. von<br />

Hohenzollern-Hechingen (regierte von 1576 - 1605) so bekannte<br />

Musiker wie Jakob Hassler und Rudolf di Lasso zu Diensten. Zur Umsetzung<br />

von Werken aus der weltlichen Literatur gehörten in jener<br />

Zeit der hohenzollerischen Gegenreformation im besonderen auch<br />

die sakralen Werke. Oder beispielsweise die weniger bekannten,<br />

dafür aber höchst fähigen Komponisten Thomas Täglichsbeck und<br />

Georg Wichtl, die gegen Mitte des 19. Jahrhunderts dem Erbprinzen<br />

und späteren Fürsten Friedrich Wilhelm Konstantin (regierte von<br />

1838 -1849) als Hofkapellmeister und Hofmusikus zu Diensten waren.<br />

Beide wirkten zudem als Kirchenmusiker an der Stiftskirche.<br />

Wichtl (1805 - 1877) gründete 1836 im Auftrag von Friedrich Wilhelm<br />

Konstantin einen Singverein, der als gemischter Chor die Hofkapelle<br />

des Erbprinzen ergänzte. Der Singverein ging dann durch Fusion<br />

mit der »Metall-Harmonie« in den Musikverein über. In der Blütezeit<br />

des nunmehr großen Orchesters mit seinem gemischten Chor<br />

57<br />

Was bei Auslagerung der Funktionen des Landesdenkmalamtes im<br />

Zuge der Verwaltungsreform zu erwarten ist, lässt sich auch aus<br />

Verlautbarungen aus einer anderen Gemeinde an der »Römerstraße<br />

Neckar-Alb« erahnen. Am 10. April 2004 berichtete der<br />

»Schwarzwälder Bote« von Problemen mit den alten Römern aus<br />

Burladingen unter der Überschrift »Römische Siedlungsreste behindern<br />

Entwicklung«.<br />

Das »Vorerst« im zugehörigen Untertitel wird durch die referierten<br />

Auslassungen des Tübinger Regierungspräsidenten ins rechte Licht<br />

gesetzt - trotz dessen Alibizusatz, dass auch weiterhin den Interessen<br />

der Denkmalpflege Rechnung getragen werden müsse.<br />

Wenn »Entwicklung« behindert wird, darf mit historischer Substanz<br />

in Zukunft so umgegangen werden, wie dies in Rangendingen<br />

im Vorgriff auf die anstehende Verwaltungsreform praktiziert worden<br />

ist.<br />

arbeiteten selbst so bekannte Komponisten wie Franz Liszt oder Hector<br />

Berlioz mit ihnen. Der Musikverein verlor nach der Abwanderung<br />

des Fürsten mit seiner Hofkapelle nach Löwenberg/Schlesien (infolge<br />

des Regierungsverzichts von 1849) sein hohes Niveau.<br />

Hier erscheint dann später wieder Michael Lehmann, der, gemäß einer<br />

Festschrift von 1936 zum 100-jährigen Jubiläum des Musikvereins<br />

Hechingen, auch Dirigent des Musikvereins war. Letztlich ging<br />

der Musikverein in die Chöre des Sängerbundes und Stiftschores<br />

über. Das Löwenberger Orchester hingegen, vom Fürsten Konstantin<br />

protegiert, avancierte unter seinem späteren Dirigenten Max Seifritz<br />

zu einem der drei besten Orchester Deutschlands, mit dem selbst<br />

Richard Wagner zwei Konzerte umsetzte. Die beiden anderen Orchester<br />

waren die von Franz Liszt geleitete Weimarer Hofkapelle und das<br />

Sondershausener Orchester. In der Konzerthalle von Löwenberg<br />

wurden die neuesten Werke der damals populärsten Komponisten<br />

aufgeführt. Jedermann hatte für einen Taler Zugang zu den Konzerten<br />

und häufig waren die Komponisten anwesend oder dirigierten selbst.<br />

Den enormen Aufwand finanzierte der Fürst mit etwa 30 000 Talern<br />

pro Saison. Das hervorragende Löwenberger Orchester, mittlerweile<br />

zu Weltruhm gelangt, löste sich mit dem Tod ihres Förderers Friedrich<br />

Wilhelm Konstantin, dem letzten Fürsten von Hohenzollern-Hechingen,<br />

im Herbst 1869 auf. Franz Liszt war mit dem Fürsten bis zu<br />

dessen Lebensende eng befreundet. Er erhielt vom Fürst gegen Mitte<br />

der 1840-er Jahre, also noch in Hechingen, sogar den Titel eines<br />

Hofrates. Liszt spielte auch privat für den Fürsten und sicherlich mit<br />

ihm gemeinsam, wie das Lied »Ein Mädchen sitzt am Meeresstrand«,<br />

vom Fürsten komponiert und von Franz Liszt am Klavier begleitet.<br />

Der Komponist betrachtete es als Ehre, dass er sich an diesem »serbischen<br />

Lied« beteiligen konnte. Es findet sich heutzutage im Werkverzeichnis<br />

von Franz Liszts wieder (Nr.683 nach Dömling)<br />

Michael Lehmann dagegen, ein unbekannt gebliebener und kleiner<br />

Komponist gegenüber Liszt, schrieb selbst ein Kapitel Musikgeschichte,<br />

allerdings nur in der preußischen Exklave Hohenzollern-<br />

Hechingen. Er komponierte sakrale Werke mit Vertonungen von lateinischen<br />

Texten, aber auch deutsche Stücke mit geistlichem Inhalt.<br />

Darunter sind Werke für Männer- und gemischte Chöre, a-cappella<br />

ohne Begleitung oder mit Orchester-, Orgel- beziehungsweise Harmoniumbegleitung.<br />

Nur in einer Quelle, einer ausführlicheren Auflistung<br />

über bekannte Männer aus der ehemals hohenzollerischen<br />

Exklave Langenenslingen, wird Lehmann als Komponist etwas ge-<br />

1


nauer beschrieben: »Bis ins hohe Alter begleitete er diese Stelle (des<br />

Chorregenten) mit der Kraft und Frische eines Jünglings. Er war ein<br />

großer Musikfreund und verstand es auch, ansprechende Kompositionen<br />

zu schaffen. Feurig und wirkungsvoll klingt besonders seine<br />

Motette ,Alleluja' zum hohen Osterfeste.« Leider hegt von diesem<br />

a-cappella-Stück nur noch die Sopranstimme vor. Von den Stücken<br />

aus den bisher vorhegenden Verzeichnissen sind nur fünf komplette<br />

Notensätze, teilweise noch in handschriftlicher Notation, vorhanden.<br />

Die Notensätze einiger Stücke gab Ch. Fassoli in Strasbourg mit französischen<br />

und deutschen Beschreibungen heraus. Der Verlag ist<br />

längst erloschen.<br />

Michael Lehmann um das Jahn 1895, also im Alter* von 68 Jahren. Er starb<br />

am 3- Eebr 1903, zwei Tage vor Vollendung seines 76. Lebensjahres.<br />

Vorlage: <strong>Hohenzollerische</strong> <strong>Heimat</strong>bücherei Hechingen.<br />

Überschaubares Werk im Stil der Wiener Klassik<br />

Das musikalische Werk von Michael Lehmann ist nicht als hochkompliziert<br />

einzustufen. Es ist zudem überschaubar. Die Musik hat<br />

eine gefällige Leichtigkeit und ist zuweilen sogar heiter beschwingt.<br />

Stillstisch ist sie in ihrer lieblich-geschmeidigen Art am ehesten der<br />

Wiener Klassik und Frühromantik zuzuordnen. Denkbar ist, dass<br />

Lehmann mit Absicht für seinen Chor eine damals praxiserprobte<br />

Musik ohne Komplikationen bevorzugte. Auffallend im Werk sind die<br />

vielen Stücke zur Marienverehrung.Alle Chorwerke dürften während<br />

der Chorregentenzeit komponiert worden sein.<br />

Im Folgenden eine Übersicht, wobei das jeweilige Erscheinungsjahr<br />

nicht bekannt ist.<br />

1. Deutschsprachige geistliche Stücke: »Du in dem Himmel«, sowie<br />

die für vierstimmigen Männerchor geschriebenen Grablieder<br />

»Weit ist Himmel«, und »Grablied«.<br />

2. Sogenannte marianische Antiphonen, geschrieben zur Marienverehrung:<br />

Vermutlich zwei verschiedene »Regina coeli laetare«,<br />

58<br />

aufgeführt zur Osterzeit, ein »Les Antiennes de la sainte Vierge«<br />

sowie ein »Salve Regina«.<br />

3. Anderweitige sakrale Werke, die alle auf den jeweüs vorgeschriebenen,<br />

immer gleichen lateinischen Textinhalt hin komponiert<br />

sind: Ein »Ave Maria«, eine Messe, sowie die Hymnen<br />

»Halleluja« und »Adeste Fidelis«. Bei der Werksangabe »Vingtquatre<br />

cantiques allemands de tous les siècles, en l'honneur de<br />

la sainte Vierge, â quatre voix« ist unklar, ob es sich um Eigenkompositionen<br />

oder eine anderweitige Sammlung von »Vierundzwanzig<br />

deutschen Gesängen aller Jahrhunderte zu Ehren der<br />

heiligen Jungfrau, für vier Stimmen« handelt.<br />

4. Instrumentalwerke: Acht beziehungsweise vierzehn Vorspiele für<br />

Orgel in zwei Sammlungen, komponiert während der Zeit als<br />

Stiftskirchenorganist.<br />

Lehmanns »Adeste Fidelis« ist ein Stück für Sopransolo, Chor und<br />

Orgel, das zu Weihnachten aufgeführt wird. Anlässlich eines Festkonzertes<br />

des Stiftschor mit Solisten, Bläsern der Stadtkapelle und<br />

dem Hechinger Kammerorchester, bei denen selten gehörte kirchenmusikalische<br />

Werke aus der Zeit der »Fürstlich <strong>Hohenzollerische</strong>n<br />

Hechinger Hofmusik« aufgeführt wurden, kam es im Oktober 2001<br />

zur Wiederaufführung von Lehmanns marianischem Antiphon »Salve<br />

Regina«. Unter der Leitung von Stiftskantor Mario Peters, der das<br />

alte, handschriftlich notierte Werk aufgearbeitet und neu editiert hat,<br />

erklang in der Stiftskirche erstmals nach etwa 100 Jahren wieder das<br />

Stück mit der prägnant-heblichen Melodie. Eine von allen gesungene<br />

Huldigung der Jungfrau Maria, bei der allerdings jener für den Antiphon<br />

typische Wechselgesang fehlt. Lehmanns Messe ist eine »Missa<br />

Brevis«, dass heißt eine »kurze Messkomposition«.<br />

Alle Stücke sind sehr knapp, und mit insgesamt etwa zwölf Minuten<br />

Aufführungszeit ist das Werk sogar eine besonders kurze »Missa Bre-<br />

Kardinal Karl Lehmann, derzeit Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz.<br />

Der Kardinal ist der Urenkel von Michael Lehmanns Bruder Raphael<br />

Foto: Pfarrer Dr Benedikt Ritzler, Hechingen.


vis«. Vermutlich wollte Lehmann eine Messe komponieren, die gut<br />

klingt und ohne Schwierigkeiten umzusetzen ist. Sie wurde im Juli<br />

2003 vom Hechinger Stiftschor erstmals wieder in der Stiftskirche<br />

aufgeführt. Ein Teil der Messe erklang zudem bei der feierlichen Einweihung<br />

der neuen Gockelorgel zum Patrozinium an der Stiftskirche<br />

St. Jakobus am 25- Juli 2004.<br />

Die Schirmherrschaft über die Patenschaftsaktion für diese Orgel<br />

hatte neben Erwin Teufel der Urenkel von Lehmanns Bruder Raphael<br />

übernommen: Kardinal Karl Lehmann, derzeit Vorsitzender der<br />

Deutschen Bischofskonferenz. Stellvertretend für Lehmanns Kompositionen<br />

soll diese Messe in Es-Dur hier genauer vorgestellt werden.<br />

Lehmann gibt an, dass die Messe zwei-, drei- und (oder) vierstimmig<br />

gesungen werden kann. Neben verschiedenen Tempovorgaben empfiehlt<br />

er den Vortrag mit guten Sopran- und Altstimmen. In den einzelnen<br />

Sätzen gibt es immer wieder Solostellen für die Frauenstimmen<br />

von Alt und Sopran, denen das Tutti des Chores gegenüber steht.<br />

Das »Kyrie« ist eine eher heitere Komposition, schwungvoll und freudig<br />

im Stil der Wiener Klassik. Das »Gloria« ist eine kräftige Dacapo-<br />

Komposition mit besonderer Ausdeutung von Textstellen wie »...miserere<br />

nobis...« (erbarme dich unser), das eine sehr leise Tonfolge<br />

hat, oder bei »...Jesu Christe...« in Moll-Harmonik erscheint. Das<br />

»Credo« ist gewissermaßen »glaubensstark« ausgelegt und eher der<br />

Frühromantik verpflichtet, mit ungewöhnlichen Harmoniefolgen<br />

(Anfang Es-Dur, dann C-Dur) und besonderer Ausdeutung von Textteilen.<br />

Das »Sanctus« ist erneut eine romantische Komposition, bei der im<br />

dreifachen Anruf (Sanctus) jeweils ein Ton höher eine dynamische<br />

Steigerung entsteht. Das Herzstück der Messe ist das »Benedictus«,<br />

das früher immer nach der Wandlung gesungen wurde. Der Satz steht<br />

in As-Dur und hat sehr ausdrucksstarke und innige Harmonien, wobei<br />

die Orgelbegleitung selbstständiger wird und Freiraum für Solopassagen<br />

hat. Schließlich das »Agnus Dei« als Dur-Komposition. Die<br />

Agnus-Dei-Melodien interpretieren in der Kirchenmusik häufig den<br />

leidenden Christus.<br />

In der Lehmann-Messe zeigen sie vielleicht eher den auferstandenen<br />

Christus, weil sich die Melodie wie eine Tonleiter nach oben bewegt,<br />

und zum Finale hin bei »...dona nobis pacem...« betörend leise wird.<br />

Als solle der Ausdruck einer bewusst devoten Bitte an Gott um Frieden<br />

auf der Welt mithilfe der Musik noch verstärkt werden.<br />

Rastloser Autor arbeitet schon im Morgengrauen am Stehpult<br />

Michael Lehmann hat seine unterschiedlichen Begabungen sicher<br />

nicht versteckt, sondern genutzt und ausgelebt. Betrachtet man nur<br />

seine enorme publizistisch-künstlerische Hinterlassenschaft, so<br />

muss ihm eine außerordentliche Effizienz bescheinigt werden. Allein<br />

die Tätigkeit als Stiftskantor ist heutzutage eine Vollzeitbeschäftigung.<br />

Roman Sauter schreibt in seinem Nachruf: »Ja in der Tat, Lehmann<br />

hat mit den ihm von Gott verliehenen Talenten gewuchert, alle hat er<br />

zur Geltung gebracht, er war ein ganzer Mann auf jedem Posten, auf<br />

den er gestellt war.« In Zeiten ohne Ablenkung durch Massenmedien<br />

wie Radio und TV oder Internet, als niemand sich vorstellen konnte,<br />

dass die eigene Stimme oder bewegte Bilder einmal durch den Äther<br />

und in Echtzeit über die Ozeane gehen, konnte kreative Arbeit vielleicht<br />

auch eher strukturiert, zielorientiert und effizient sein.<br />

59<br />

So wird Lehmanns Leben auch als arbeitsreich beschrieben: »Müßiggang<br />

war ihm fremd. Morgens bei Tagesgrauen stand er an seinem<br />

Schreibpult, mancher Leitartikel wurde von ihm geschrieben in den<br />

Stunden des Tages, in denen noch die meisten Menschen der Ruhe<br />

pflegten. Dabei war er mit einer staunenswerten Geistesfrische noch<br />

bis in die letzten Lebenstage hinein beschenkt, so dass er vielfach als<br />

die .lebendige Geschichte' galt.« Damit war der Gesellschafter Lehmann<br />

gemeint, der mit seinem »erstaunlichen Erinnerungsvermögen«<br />

noch im hohen Alter Freunde und Stammtische unterhalten haben<br />

soll. Noch etwas Aufschluss über Lehmanns Eigenschaften mit<br />

Bezug auf seine katholische Überzeugung gibt die Durchsicht von<br />

Nachrufen, etwa: »Er war ein Charakter von stählerner Festigkeit«<br />

oder: »eine kraftvolle, offene, gerade Natur, ein eiserner Charakter,<br />

der sich niemals von seiner Ueberzeugung etwas vergab, ein edler<br />

Mann«. Und das so oft gehörte Versprechen, »sein Andenken wird<br />

ehrenvoll bei uns fortleben«. Nach dieser Beteuerung im »Zoller«<br />

und den üblichen Seelenämtern vertieren sich seine Spuren allerdings<br />

fast schlagartig.<br />

Tod nach einer bösartigen Krankheit<br />

Bis wenige Monate vor seinem Tod war Lehmann als Chorregent an<br />

der Stiftskirche tätig. Die Redaktionsgeschäfte des »Zoller« verrichtete<br />

er noch Wochen vor seinem Tod. Er starb in Hechingen zwei Tage<br />

vor Vollendung seines 76. Lebensjahres am 3- Februar 1903 um<br />

14.15 Uhr nach einer »bösartigen Krankheit«. Ein Alter, das für jene<br />

Zeit eigentlich recht hoch war.<br />

Obwohl ihre monumentähnlichen Grabsteine auf dem Hechinger Heiligkreuzfriedhof<br />

darauf hinweisen, dass Lehmanns Gegenspieler Ludwig<br />

Egler und August Evelt, aber auch die Pfarrer Blumenstetter und<br />

Sprißler, anscheinend noch verehrt werden, so weist jedoch nichts<br />

mehr auf Michael Lehmann hin. Sein Grab existiert nicht mehr. Es verliert<br />

sich in einem Feld, in dem es, bedingt durch wiederholte Neuordnungen<br />

im Friedhofswesen, nicht mehr auffindbar ist.<br />

Seine Witwe Maria Lehmann, geborene Reiner, die 20 Jahre jünger<br />

als ihr Mann war, überlebte Lehmann um 22 Jahre. Sie starb am 19.<br />

August 1925. Die beiden hatten zwei Töchter: Gisela und Stephanie.<br />

Die ältere Tochter Gisela betrieb später mit ihrem Mann Friedrich<br />

Kramer ein Lebensmittelgeschäft am Rain, das spätere »Kaisers Kaffeegeschäft«.<br />

Lehmanns Haus in Hechingen, jetzt Firststraße 4 neben dem Café<br />

Klaiber auf der hinteren Seite des Obertorplatzes, ging an die Tochter<br />

Stephanie Heck. Deren Nachkommen verkauften das Haus in den<br />

60-er Jahren des vorigen Jahrhunderts.<br />

Vom »Zoller« zur »<strong>Hohenzollerische</strong>n Zeitung«<br />

Die Zeitung »Der Zoller«, deren Mitbegründer und leitender Redakteur<br />

Lehmann 30 Jahre lang war, hatte nach seinem Tod nur noch 33<br />

Jahre Bestand. Von den »<strong>Hohenzollerische</strong>n Blättern«, die sich auch<br />

nach Lehmann ständig mit dem »Zoller« befehdeten, wurde das Blatt<br />

1918 zeitweise als preußenfeindlich eingestuft.<br />

Gegen Antisemitismusvorwürfe der »<strong>Hohenzollerische</strong>n Blätter«<br />

wehrte sich der »Zoller« 1920 vehement. Als Redakteur folgten Lehmann<br />

Georg Rathgeber (1903-1906), Konrad Holderried (1906-<br />

1908), Bernhard Fehrecke (1908-1919) und ab 1919 August Pretzl.<br />

1


Der aufkommende Nationalsozialismus wurde vom »Zoller« scharf<br />

bekämpft und die Zeitung daher nach der Machtergreifung abgelehnt.<br />

Der Verlag (Pressverein) arbeitete schon vor 1933 mit Verlust.<br />

Für das Ende des »Zoller« war aber schüeßlich die »Amman'sehe<br />

Verordnung« ausschlaggebend, die anonymen Gesellschaften die<br />

Herausgabe politischer Presseerzeugnisse verbot, um damit konfessionelle<br />

und berufsständige Einflüsse zu verhindern. Dies betraf den<br />

Verlag, weil er seit Oktober 1900 in der Gesellschaftsform einer A.G.<br />

eingetragen war, die hauptsächlich aus Geistlichen bestand. Da auch<br />

Pretzl als Verleger abgelehnt wurde, hörte »Der Zoller« auf zu existieren.<br />

Die letzte Ausgabe datiert auf den 29- Februar 1936. Die Leser<br />

gingen auf die »<strong>Hohenzollerische</strong>n Blätter« über.<br />

Die Aktiengesellschaft wurde schüeßlich mit Beschluss der Generalversammlung<br />

vom 21. Juni 1937 aufgelöst. August Pretzl führte die<br />

Buchdruckerei zwar zunächst weiter, aber der Betrieb wurde boykottiert.<br />

Schließlich wurde die Firma geschlossen und die Einrichtung<br />

beschlagnahmt. Nach dem Zweiten Weltkrieg baute Pretzl 1945<br />

die Druckerei neu auf. Als sich 1949 zwölf Altverleger mit den Lizensverlegern<br />

zur Herausgabe der »Südwestpresse« zusammenschlossen,<br />

erschien bei Pretzl in Hechingen die »<strong>Hohenzollerische</strong><br />

Zeitung«. Diese, heute weit verbreitete Tageszeitung im Mittelbereich<br />

Hechingen ist also indirekt aus dem »Zoller« hervorgegangen.<br />

Abschließend noch eine heitere Anekdote aus der Zeit des Kulturkampfs<br />

als Michael Lehmann sozusagen einen hohen Bekanntheitsgrad<br />

im Hechinger Gefängnis besaß. Sie ist in Hechingen folgendermaßen<br />

überliefert worden: »Nachdem Lehmann wieder einmal aus<br />

dem Gefängnis entlassen worden war, saß er abends am Stammtisch<br />

in der Reichskneipe (der heutigen Ratsstube an der Ecke Turm- und<br />

Kaufhausstraße). Als der Jude Rubin hereintrat, begrüßte ihn Leh-<br />

Michael Lehmann (1827-1903) -<br />

Werksverzeichnis Musik<br />

Titel Besetzung Begleitung<br />

Adeste Fidelis SATB+S-Solo + Org/Harm<br />

Alleluja v. z.T. S(ATB-?) -<br />

Ave Maria SA +Org/Harm<br />

Du in dem Himmel v. SATB -<br />

Grablied TTBB. ?<br />

Les Antienne de la<br />

sainte Vierge SA(TB) + Org/Harm<br />

Missa Brevis v. SA(TB) + Org/Harm<br />

Regina coeli laetare v. SATB + Orchester<br />

Regina coeli laetare 2-stimmig. + Org/Harm<br />

Salve Regina v. SATB + Orchester<br />

Vingt-quatre cantiques<br />

allemands 4-stimmig ?<br />

Weit ist Himmel TTBB ?<br />

1er Cahier (Präludien) v. Orgel -<br />

2e Cahier (Präludien) v, Orgel<br />

SATB - Die Frauen-/Männerstimmen Sopran, Alt/Tenor, Bass<br />

v. - Noten vorhanden oder teilweise (z.T.)<br />

Stand: Dezember 2004<br />

60<br />

mann mit den Worten: ,Da ist ja unser lieber Edelstein', worauf Rubin<br />

antwortete Jedenfalls bin ich aber noch nicht gefasst'.«<br />

Michael Lehmann war zweifellos ein Multitalent. Einer, der alle seine<br />

Begabungen für seine religiöse Überzeugung genutzt hat. Aber<br />

warum ist er, der Kämpfer für die katholische Erneuerung, der wesentlich<br />

zum Zentrumssieg in Hohenzollern beigetragen hat, Mitbegründer<br />

und längster Chefredakteur des »Zoller« war, knapp ein halbes<br />

Jahrhundert lang als Musiker an der Stiftskirche und als Komponist<br />

die Hechinger Musikgeschichte geprägt hat, und ganz nebenbei<br />

so viele Bücher wie sein Zeitgenosse Karl May herausgab, ganz und<br />

gar in Vergessenheit geraten? Dieser Frage wollen wir in einer separaten<br />

Fortsetzung nachspüren.<br />

Quellennachweise für Teil V:<br />

- Sauter, Roman: Michael Lehmann / Der erste »Zoller«-Redakteur,<br />

Hechingen, »Zoller« vom 5. Feb. 1927<br />

- Schmid, Ernst Fritz: Hohenzollern (Kapitel) V. Grafen bzw. Fürsten<br />

von Hohenzollern-Hechingen und Hohenzollern-Sigmaringen,<br />

in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Band 6,<br />

Kassel-München 1989, S. 602 - 607<br />

- Steven De'ak: David Popper. Chapter IV. Löwenberg, (etc.),<br />

Neptune City - New Jersey 1980<br />

- Richard Pohl: Ein Konzert des Löwenberger Orchesters, in:<br />

Neue Zeitschrift für Musik, Leipzig Mai 1863<br />

- Gregor Richter: »Europäischer Ruf in der Musikwelt«. Der Hechinger<br />

Hofkapellmeister und Komponist Thomas Täglichsbeck,<br />

in: Beiträge zur Landeskunde von Baden-Württemberg,<br />

Ausgabe 5-2000<br />

- Wolfgang Dömling: Franz Liszt und seine Zeit, Regensburg<br />

1998<br />

- Namhafte Söhne von Langenenslingen. Serie im »Zoller«, 1913<br />

- Sauter, Walter: Musikpflege in Hechinger Vereinen, in: Hundert<br />

Jahre Musik und Gesang in Hechingen. Hundertjahrfeier zur<br />

Erinnerung an die Gründung des Musikvereins Hechingen am<br />

5. und 6. Dezember 1936, Druckerei der <strong>Hohenzollerische</strong>n<br />

Blätter Holzinger u Co, Hechingen 1936<br />

- Archiv der Stiftskirche im Pfarrbüro von St. Jakobus, Hechingen<br />

- Bibliothèque Musicale de l'Union Sainte Cécile, F-Strasbourg:<br />

Recueil de musique d'orgue d'une exécution facile par des auteurs<br />

distingués de l'Allemagne et de l'Alsace. Edition Ch. Fassoli<br />

et Ohlmann<br />

- Nekrolog in: Magazin für Pädagogik, Nr. 15 (1903)<br />

- Stadtarchiv und Archiv der Friedhofsverwaltung in Hechingen<br />

- Persönliche Mitteilungen der Urenkel<br />

- Zekorn, Andreas: Kultur in Hohenzollern, in: Kallenberg, Fritz,<br />

Hrsg., Hohenzollern, Stuttgart 1996, S. 360 - 409<br />

- <strong>Hohenzollerische</strong> <strong>Heimat</strong>bücherei Hechingen: Bestände Ub<br />

571, Ubl71<br />

- <strong>Hohenzollerische</strong> Volkszeitung, Nr. 55 (1936)<br />

- Der Zoller, Nr. 20 (1903), Nr. 53 (1913), Nr. 118 (1920), Nr.<br />

50 (1936)<br />

- Hohenzollernsche Blätter, Nr. 155 (1903), Nr. 75 (1906), Nr.<br />

75,276 (1908), Nr. 281,285 (1918), Nr. 1,2 (1919), Nr. 118<br />

(1920), Nr. 51 (1936), Nr. 205 (1937)


CHRISTIAN H. FREITAG<br />

Die Schernegger Kreuzung -<br />

ein historisches Ensemble<br />

im Hohenfelser Land<br />

Seit Jahrhunderten kreuzen sich bei Kalkofen-Schernegg im Hohenfelser<br />

Land mehrere Straßen: die alte Römerstraße Stockach-<br />

Pfullendorf, der steile alte Mühlweg hinunter zur Neumühle, die<br />

Verbindungsstraße nach Liggersdorf und schließlich die um 1830<br />

gebaute Serpentinenstraße nach Mahlspüren im Tal.<br />

Kreuzung<br />

An Kreuzungen wird gemeinhin angehalten: zum einen, um eventuell<br />

anderen Verkehrsteilnehmern die Vorfahrt zu geben, zum anderen,<br />

um sich für die Weiterfahrt zu orientieren, um Rast zu machen,<br />

sich zu proviantieren und dabei möglichst auch Neuigkeiten<br />

auszutauschen. Kein Wunder also, dass an der Schernegger Kreuzung<br />

schon frühzeitig ein Rasthaus und eine Schmiede standen. In<br />

einer Urkunde aus dem Jahre 1543 wird denn auch eine (nach erfolgtem<br />

Umbau so genannte) »neue Weintaverne und Herherge an<br />

der Landstraße« beschrieben.<br />

Schern-Egg<br />

»Schern-Egg« bezeichnet laut Grimms Wörterbuch eine »Verkaufsstelle<br />

von Fleisch, Brot u.ä. an einem Hügelrücken« - ein<br />

überaus passend gewählter Name für Lage und Funktion des Hohenfelsischen<br />

Schernegg. Dass hier im übrigen der Tagungsort<br />

deutschordentlicher Gerichtsbarkeit war und zudem eine Schule<br />

eingerichtet wurde, unterstreicht die - wir würden heute sagen -<br />

»zentralörtliche Bedeutung« der Schernegger Kreuzung.<br />

Die Einkünfte, die die Schernegger Wirte und der Deutsche Orden<br />

als Landesherr durch den Verkauf von Proviant, die Versorgung<br />

der Fuhrwerke, die Gewährung von Unterkunft u.ä. hatten, waren<br />

in der Regel beträchtlich. Das Geschäft brummte, ähnlich wie<br />

heute an mancher Autobahnraststätte.<br />

Anfang des 18. Jahrhunderts wurde ein erweiterter Neubau notwendig,<br />

der ein paar Jahre später unter Aufsicht des Deutschordensbaumeisters<br />

F.A. Bagnato schließlich in die barocke Form gebracht<br />

wurde, in der Haus Schernegg auch heute noch bewohnt<br />

und erhalten wird.<br />

Die verkehrsgünstige Geschäftslage hatte allerdings nicht nur Vorteile:<br />

1796, während der Koalitionskriege, legte der französische<br />

General Viomenü, die militärische Gunst des Ortes erkennend, sein<br />

Hauptquartier für einige Zeit ins Haus Schernegg. Trotz guter Verpflegung<br />

- an einem Tag ließ man ihm »4 Bouteilles Burgunder, 10<br />

Maß Seewein, einige Hühner und etwas Obst« aus Hohenfelser<br />

Schlossbeständen zukommen - kam es im Verlaufe der Einquartierung<br />

zu Misshandlungen des Schernegger Wirts und zu Diebstählen;<br />

unter anderem ließen die Truppen silbernes Besteck und<br />

Zinnteller im Werte von über 17 Gulden mitgehen.<br />

Mühlweg<br />

Transport und Reisen allgemein waren in früheren Jahrhunderten<br />

wohl mindestens ebenso gefahrvoll wie heute, zumal auf dem steilen<br />

Kalkofer Mühlweg, über den es in einem Bericht aus den<br />

1930er Jahren heißt: »Wie auf diesem Weg die Mühlfuhren auf und<br />

ab fahren konnten, ist fast ein Rätsel. Bei jeder Fahrt (zur Neumühle)<br />

taten sich mehrere Gespanne zusammen und fuhren mit<br />

vielfachem Vorspann das Mehl zu Berge. Aber auch so muss es<br />

noch eine Schinderei für die Pferde gewesen sein« - und ebenso<br />

für die Fuhrleute, möchte man ergänzen.


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Die Schernegger Kreuzung auf einer Karte des 18. Jhs. (Staatsarchiv Sigmaringen, Dep. FAS DS 33 - Herrschaft Hohenfels -T1R. 63<br />

Nr. 2. Repro: Hauptstaatsarchiv Stuttgart)<br />

War bei den Abfahrten endlich das Tal erreicht, hatte die Plackerei<br />

durchaus kein Ende, führte doch der Mühlweg, wie es in einem<br />

amtlichen Schreiben des Jahres 1826 hieß, »größtenteils in dem<br />

Bette eines Baches fort, welchen heftige Regengüsse öfters nötigen,<br />

sein Ufer zu übertreten, und die Winterkälte zwingt Eislagen übereinander<br />

anzusetzen, die für das Fuhrwerk und das Vieh äußerst<br />

beschwerlich und gefährlich werden«.<br />

Diese besondere Mühsal fand erst in den 1830er Jahren ihr Ende,<br />

als mit erheblichem technischen und finanziellem Aufwand die neu<br />

trassierte, auch heute noch genutzte Landstraße nach Mahlspüren<br />

im Tal gebaut wurde - doch dies ist eine Geschichte für sich...<br />

Kapelle<br />

In Schernegg, diesem Ort der Mühseligen und Beladenen, wird sicher<br />

schon frühzeitig ein Wegkreuz errichtet worden sein, später<br />

dann eine Kapelle als Ort für geistliche Einkehr vor oder nach einer<br />

Berg- und Talfahrt. Auf jeden Fall sicher belegt ist ein Schernegger<br />

Kirchenbau für das Jahr 1696 durch die Weiheurkunde der<br />

dortigen Eligius-Kapelle.<br />

1760 wurde das Gebäude von F.A. Bagnato umgestaltet und mit einem<br />

großen Deutschordenskreuz über dem Eingang versehen. Die<br />

künstlerische Ausstattung des Inneren sowie die Patronatswahl waren<br />

wohlüberlegt: zum Hauptpatron wurde Eligius, der Heilige der<br />

Schmiede, Fuhrleute und Pferdehändler erkoren und mit einem<br />

Stuckrelief am Altar geehrt. Daneben fanden Katharina von Alexandrien<br />

(mit Blick auf ihren Märtyrertod »durch das Rad« und<br />

als ursprüngliche Patronin des Deutschen Ordens) sowie Antonius<br />

von Padua (als Heiliger u.a. der Bäcker und der Reisenden) ihren<br />

Platz in Form von Altarfiguren. Maria, die Schutzpatronin des Deutschen<br />

Ordens, wurde auf der 1748 bei Rosenlecher in Konstanz ge-<br />

62<br />

gossenen und in einem Dachreiter hängenden Glocke in einem<br />

Strahlenkranz dargestellt und geehrt. An solchem Orte konnten<br />

nun Fuhrleute und Reisende in angemessener Weise um Schutz<br />

und Beistand bitten oder für den glücklichen Ausgang einer Fahrt<br />

danken.<br />

Auch die ortsansässige Bevölkerung nahm das Kirchlein für lokale<br />

Fürbitten in Anspruch. So berichtet Dr. Stehle in seinem 1925 erschienenen<br />

<strong>Hohenzollerische</strong>n <strong>Heimat</strong>buch, dass in Schernegg<br />

»alljährlich ein Bettag abgehalten (wurde), damit der benachbarte<br />

Josenberg nicht abrutsche und das Dorf (Kalkofen) zudecke« -<br />

angesichts der geologischen Verhältnisse dort ein nicht unbegründetes<br />

Ansuchen.<br />

Im Laufe der vergangenen Jahre ist die Schernegger Kapelle gründlich<br />

renoviert worden. Sie wird von Kalkofer Einwohnern liebevoll<br />

gepflegt und zu Gottesdiensten und Andachten genutzt.<br />

Fazit<br />

Alles in allem ist die Schernegger Kreuzung ein bau- und verkehrsgeschichtlich<br />

bedeutsames Ensemble - schade, dass heutige Verkehrsteilnehmer<br />

in aller Regel hier kaum mehr an- und innehalten...<br />

Zitate aus:<br />

- Bruno Stehle: Hohenzollern - ein <strong>Heimat</strong>buch. Sigmaringen<br />

1925<br />

- August Reiber: »100 Jahre Kalkofener Staig«, in: <strong>Heimat</strong>klänge<br />

2/1935<br />

- Akten Staatsarchiv Sigmaringen, Ho 86, 508 und Ho 160, NVA<br />

II, 2294


Menschen auf dem Land<br />

Neue Geschichten und Gedichte aus Baden-Württemberg<br />

Zum dritten Mal bereits lud die Akademie Ländlicher Raum und<br />

der Staatsanzeiger-Verlag zu einem Literaturwettbewerb ein. Diesmal<br />

lautete das Thema »Menschen auf dem Land«. So heißt auch<br />

das Buch des Silberburg-Verlags Tübingen, in das Beiträge von<br />

zehn Wettbewerbs-Teilnehmern aufgenommen wurden. Sie charakterisieren<br />

Menschen und schildern Erlebnisse aus unterschiedlichen<br />

Teilen des Landes: in unterschiedlichen Stilarten und auch<br />

in Gedichtform. Vielfach werden dabei Vergleiche gezogen zwischen<br />

früher und heute, wird erinnert an Zeiten und kleine Welten,<br />

die keineswegs immer rosig und heil waren.<br />

Das Buch »Menschen auf dem Land« umfasst 120 Seiten und ist<br />

mit 17 beeindruckenden Farbaufnahmen illustriert.<br />

ISBN 3-87407-623-7.12,90 Euro, (ba)<br />

Manfred Eichhorn: Kaffee, mein Leben. Geschichten und<br />

Bilder aus meiner Hennadäpperzeit<br />

Erst servierte Manfred Eichhorn im Buch »Hennadäpper« schöne<br />

Kindheitsgeschichten wie jene von der Wächter Hedwig, die einen<br />

Regenwurm, schluckte. Ihnen ließ er weitere Erinnerungen an<br />

seine schwäbische Kindheit im Band »Die Zukunft war schön« folgen.<br />

Seine Meinung »Jetzt gibt es nichts mehr zu erzählen« musste<br />

der Ulmer Autor aber korrigieren, als er eine ehemalige Schulkameradin<br />

traf und neue Bilder vor seinem geistigen Auge auftauchten.<br />

Beim Blättern in Alben, die er vom Dachboden holte, »erwachten«<br />

schließlich neue Geschichten in seinem Gedächtnis, die<br />

nun im dritten Band »Kaffee, mein Leben« niedergeschrieben sind<br />

(alle drei Bücher: Silberburg-Verlag, Tübingen). Wieder ist es ein<br />

heiterer, manchmal auch etwas Wehmut weckender Bück zurück<br />

in eine Vergangenheit, die es so nicht mehr gibt, in der das Sichfotografierenlassen<br />

noch ein steifes, umständliches Prozedere war<br />

und in der als Fußballmannschaftstrikots noch grüngefärbte Unterleibchen<br />

dienen mussten. Manfred Eichhorn entsinnt sich auch<br />

des »Jahrhunderthochwassers« der Blau, seiner ersten heimlichen<br />

Küsse oder der Originale und Persönlichkeiten in der Verwandtschaft.<br />

Er erinnert an Familien- und religiöse Feiern oder gibt einschneidende<br />

Ereignisse preis, die seine Vorfahren geprägt und die<br />

sie ihm offenbart haben. Des Autors Kurzgeschichten sind gut verständlich,<br />

frisch und humorvoll geschrieben. Sie bieten wahres Lesevergnügen,<br />

ja animieren geradezu dazu, sich der eigenen Biographie<br />

zuzuwenden und darüber nachzudenken, welche Geschichten<br />

denn in einem eigenen Lebensbuch stehen könnten.<br />

Der Band »Kaffee, mein Leben« hat einen Umfang von 144 Seiten<br />

und enthält neben den 17 Erzählungen 44 aussagekräftige<br />

Schwarz-weiß-Fotos aus längst vergangenen Tagen.<br />

ISBN: 3-87407-633-4. 14,90 Euro (ba)<br />

Rolf Kellner: Allein unter Schwaben. Ein kleiner Beitrag<br />

zur Verständigung zwischen Reigschmeckten und Hiesigen<br />

Schon bei seiner Arbeit für das erste Buch »Verstand ons recht!«,<br />

einer köstlichen Bestandsaufnahme schwäbisch-hochdeutscher<br />

Missverständnisse, stellte Autor Rolf Kellner fest, dass es sich lohnt,<br />

im Minenfeld der Doppeldeutigkeiten weiter zu suchen. Dieses erwies<br />

sich im Lauf der Zeit als so ergiebig, dass er die Fülle der Mu-<br />

63<br />

nition, die zu Tage trat, nicht ungenutzt hegen lassen wollte. Und so<br />

entstand ein zweiter Band mit einer Fülle von schwäbischen Ausdrücken,<br />

die einen des Dialekts Unkundigen ziemlich verwirren<br />

und auf falsche Fährten leiten können, denn die Bedeutungen im<br />

Schwäbischen und im Hochdeutschen sind oft völlig unterschiedlich.<br />

Wenn ein Schwabe von einem »offena Hosalada« spricht,<br />

meint er mit Sicherheit nicht die Öffnungszeit eines Bekleidungsgeschäfts.<br />

Der Autor zeigt in seinem Buch »Allein unter Schwaben«<br />

eine Fülle von Fallstricken und kommentiert sie auf amüsante, erfrischende<br />

Weise. Er deckt sprachliche Mißverständnisse in vielen<br />

Bereichen auf, etwa im Sektor »Tierleben«, im Gebiet »Verwandtschaftsverhältnisse«,<br />

auf dem Feld »Orts-, Richtungs- und Terminangaben«<br />

und auch im Areal der aus der französischen Sprache<br />

übernommenen Redewendungen. Eine Fundgrube stellt das Lexikon<br />

der schwäbisch-hochdeutschen »falschen Freunde« am Ende<br />

des Buches dar. Rolf Kellner hat viele gängige Ausdrücke alphabetisch<br />

aufgelistet und ihnen sowohl ihre schwäbische, als auch ihre<br />

hochdeutsche Bedeutung gegenübergestellt.<br />

Das Buch »Allein unter Schwaben« ist (wie auch der Vorgängerband<br />

»Verstand ons recht«) im Silberburg-Verlag, Tübingen, erschienen,<br />

hat 96 Seiten, ist mit netten Zeichnungen von Uli Gleis<br />

versehen und kostet 9-90 Euro. ISBN: 3-87407-636-9- (ba)<br />

Uwe Kraus<br />

Die Hohenzollernstraße.<br />

Eine Fahrt durch Landschaft und Kultur<br />

Mit der Gründung des Landes Baden-Württemberg 1952 verschwand<br />

zwar »Hohenzollern« von der politischen Landkarte, aber<br />

das historische Hohenzollern ist so lebendig wie eh und je. Zu verdanken<br />

ist dies vor allem dem <strong>Hohenzollerische</strong>n <strong>Geschichtsverein</strong><br />

und in der jüngsten Vergangenheit dem seit über zehn Jahren bestehenden<br />

Verein Hohenzollernstraße, der die Herausgabe dieses Buches<br />

initiiert und unterstützt hat. Der Autor selber ist seit 1992 Geschäftsführer<br />

der Touristikgemeinschaft Schwäbische Alb und einer<br />

der Initiatoren der Hohenzollernstraße. Dieser Verein möchte den<br />

»Zusammenhang von kulturellem wie landschaftlichen Reichtum in<br />

den hohenzollerischen Landen« vermitteln und dafür das Bewusstsein<br />

wecken. Die Interessenten können dieses Hohenzollern zu Fuß,<br />

mit dem Rad, mit dem Auto oder mit dem Bus auf dieser dafür ausgeschilderten<br />

Route im wörtlichen Sinne »erfahren«.<br />

Wenn man dieser folgt, hat man ziemlich exakt das ehemalige Hohenzollern<br />

erfahren, beginnend in Sulz-Glatt, weiter ins Stammland<br />

der Hohenzollern nach Haigerloch und Hechingen. Es folgen die<br />

Zollernalb, das Tal der Lauchert, dann natürlich Sigmaringen als<br />

Tor zum Donautal und Oberschwaben, ein bisschen hinein nach<br />

Oberschwaben und ins Linzgau, um bei Hohenfels wieder zurückzugehen<br />

über den »Badischen Geniewinkel« mit Meßkirch, über<br />

den Heuberg, über den »Talgang im Herzen der Schwäbischen<br />

Alb« mit Albstadt und Balingen, und entlang der Eyach schließt<br />

sich der Kreis wieder in Haigerloch. Neben einer Übersichtskarte<br />

gibt es zu jedem dieser Abschnitte Kartenausschnitte, genügend Informationen<br />

(auch geschichtlicher Art) und Tipps, sowie 50 Farbfotos,<br />

deren Erläuterungen auch in Englisch verfasst sind. Eine<br />

Übersicht über die Museen entlang der Hohenzollernstraße und<br />

ein in Englisch verfasster kurzer Überbück über diese Touristenroute<br />

runden das empfehlenswerte Buch ab.<br />

Das Buch über die Hohenzollernstraße ist erschienen im DRW-Verlag<br />

Weinbrenner in Leinfelden-Echterdingen und umfasst 64 Seiten.<br />

ISBN: 3-87181-003-7. 9,90 Euro, (rfr)


Verlag: <strong>Hohenzollerische</strong>r <strong>Geschichtsverein</strong><br />

Karlstraße 3, 72488 Sigmaringen<br />

E 3828<br />

PVSt, DPAG, »Entgelt bezahlt«<br />

Hansjörg Deck / Sabina Kratt<br />

Die Rottweiler Fasnet<br />

In diesem mit 50 prächtigen Farbaufnahmen ausgestatteten Büchlein<br />

wird die Rottweiler Fasnet, die als eine der ältesten in Europa<br />

gilt, kurz in ihrer historischen Entwicklung seit ca. 1360 dargestellt.<br />

Es folgt dann die Schilderung des Ablaufs der Fasnet mit dem<br />

»Schmotzigen« Donnerstag, dem Fastnachtssonntag mit der Fastnachtspredigt<br />

im Heilig-Kreuz-Münster, der Übernahme der Stadtgewalt<br />

und dem Kinderumzug.<br />

Den Höhepunkt bildet natürlich der Rottweiler Narrensprung, der<br />

am Montagmorgen Punkt acht Uhr am Schwarzen Tor beginnt, und<br />

vier Stunden dauern kann. Die einzelnen Narrenfiguren werden<br />

bildlich und textlich erläutert. Am Fasnetdienstag heißt es dann:<br />

»0 jerum, o jerum, d'Fasnet hot a Loch!« und mit dem Schneckenessen<br />

am Abend ist die schöne Fasnet vorbei. Der historische Rottweiler<br />

Narrenmarsch und der Umzugsweg des Narrensprungs mit<br />

den Fasnetswirtschaften dürfen am Ende nicht fehlen.<br />

Erschienen ist das Buch im Silberburg-Verlag Tübingen und es hat<br />

52 Seiten. ISBN 3-87407-631-8. 9,90 Euro, (rfr)<br />

HOHENZOLLERISCHER HEIMAT<br />

herausgegeben vom <strong>Hohenzollerische</strong>n<br />

<strong>Geschichtsverein</strong>, Postfach 1638,<br />

72486 Sigmaringen<br />

ISSN 0018-3253<br />

Erscheint vierteljährlich.<br />

Die Zeitschrift »<strong>Hohenzollerische</strong> <strong>Heimat</strong>« ist<br />

eine heimatkundliche Zeitschrift. Sie will beson-<br />

ders die Bevölkerung im alten Land Hohenzol-<br />

lern und den angrenzenden Landesteilen mit der<br />

Geschichte ihrer <strong>Heimat</strong> vertraut machen. Sie<br />

bringt neben fachhistorischen auch populär ge-<br />

haltene Beiträge.<br />

Bezugspreis:<br />

Für Mitglieder des <strong>Hohenzollerische</strong>n Ge-<br />

schichtsvereins ist der Bezugspreis im Beitrag<br />

enthalten. Bezugspreis für Nichtmitglieder<br />

€ 7,-. Abonnements und Einzelnummern kön-<br />

nen beim <strong>Hohenzollerische</strong>n <strong>Geschichtsverein</strong><br />

(s. o.) bestellt werden.<br />

Die Autoren dieser Nummer<br />

GerdBantle<br />

Hedinger Straße 5, 72488 Sigmaringen<br />

Dr Otto H Becker<br />

Hedinger Straße 17, 72488-Sigmaringen<br />

Willy Beyer<br />

Kauflausstraße 5, 72379 Hechingen<br />

Robert Frank<br />

Fliederstraße 8, 72401 Haigerloch-Weildorf<br />

Dr. Christian iL Freitag<br />

Mühlweg 15, 78355 Hohenfels<br />

Wolfgang. Hermann<br />

Dettenseer Straße 10/1, 72186Empfingen<br />

Dr. Hans-Dieter Lehmann<br />

Annemarie Häfner-Volk:<br />

Aus dem Alltag - Für den Alltag<br />

In einem 200-seitigen Buch hat Annemarie Häfner-Volk aus Bern,<br />

die ihre Wurzeln im hohenzollerischen Jungnau hat, Gedichte »aus<br />

dem Alltag und für den Alltag« (so der Titel) zusammengefasst:<br />

schlichte Lebensweisheiten, Gereimtes zu Festen und viele Erinnerungen,<br />

die ihre Verbundenheit mit der <strong>Heimat</strong>, mit Natur und Blumen,<br />

ihre Achtung vor der Schönheit der Schöpfung und ihre religiöse<br />

Einstellung offenbaren. Einige ihrer Gedichte haben auch Bezug<br />

zu unserer Region, zur Schwäbischen Alb, zum Nägele-Felsen<br />

bei Sigmaringen, zum Laucherttal und zum Schaffen des einstigen<br />

Bildhauermeisters Karl Volk (1885 bis 1965) aus Jungnau.<br />

Das Buch ist im Mauer-Verlag, Rottenburg, erschienen.<br />

ISBN 3-937008-71-3. (ba)<br />

In der Ganswies 2, 72406Bisingen-Zimmern<br />

Manuskripte und Besprechungsexemplare wer-<br />

RudolfLinsenmann<br />

den an die Adresse des Schriftleiters erbeten,<br />

Hohenzollemstraße 13, 72172 Sulz-Fischingen<br />

Manfred Stützte<br />

Im Etzental 18, 72379 Hechingen<br />

64<br />

Gesamtherstellung:<br />

Druckerei Acker GmbH,<br />

Mittelberg 6, 72501 Gammertingen<br />

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Schriftleitung:<br />

Robert Frank<br />

Fliederstraße,8, 72401 Haigerloch-Weildorf<br />

Tel.: 07474/2161<br />

Die mit Namen versehenen Artikel geben die<br />

persönliche Meinung der Verfasser wieder;<br />

diese zeichnen für den Inhalt der Beiträge ver-<br />

antwordich. Mitteilungen der Schrifdeitung sind<br />

als solche gekennzeichnet.<br />

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