05.12.2012 Aufrufe

SCHENKERhangartner - Schenker Deutschland AG - DB Schenker

SCHENKERhangartner - Schenker Deutschland AG - DB Schenker

SCHENKERhangartner - Schenker Deutschland AG - DB Schenker

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

14 SEitENblick aktuell 86<br />

aktuell 86 SEitENblick 15<br />

Auf dem Weg zum Ziel wechseln die Henkelmänner immer wieder den Transporteur. Die Logistikkette funktioniert perfekt, vor allem,<br />

weil die Dabbawallahs sich untereinander kennen und wissen, dass sie sich hundertprozentig aufeinander verlassen können.<br />

Wenn in Indiens Millionenmetropole<br />

Mumbai, dem früheren Bombay, die<br />

Sonne aufgeht, beginnt für die rund 5.000<br />

Essensausträger der Stadt der Arbeitstag.<br />

„Dabbawallahs“ heißen die Männer und sie<br />

genießen die höchste Anerkennung bei Berufstätigen<br />

in der ganzen Stadt. Mumbai ist<br />

ein Moloch, wo Angehörige unzähliger Religionen<br />

leben – jede mit eigenen Essensvorschriften.<br />

Um sicherzugehen, dass im täglichen<br />

Mittagessen nur drin ist, was<br />

reingehört, vertrauen Arbeiter und Angestellte<br />

in Mumbai auf Hausmannskost, am<br />

liebsten jeden Tag frisch gekocht. Bereits im<br />

Jahr 1890 kam ein Geschäftsmann auf die<br />

Idee, einen Service einzurichten, der dafür<br />

sorgt, dass diese mit Liebe zubereiteten individuellen<br />

Mahlzeiten direkt an den Arbeitsplatz<br />

geliefert werden konnten. Der Dabbawallah-Service<br />

war geboren. So stehen<br />

morgens Tausende indische Hausfrauen in<br />

Mumbai am Herd, bereiten das Mittagessen<br />

für berufstätige Ehemänner, Söhne und Töchter<br />

zu und füllen es in stapelbare Blechgeschirre,<br />

die Dabbas. „Wallah“ bezeichnet in<br />

Indien den Anbieter einer Ware oder eines<br />

Service, so wird aus dem Blechgeschirr-<br />

Transporteur der Dabbawallah. Spätestens<br />

um 9 Uhr klingelt es an der Tür und der<br />

Dabbawallah holt den indischen Henkelmann<br />

ab. Schnell muss es gehen. Per Fahrrad,<br />

zu Fuß oder mit der Bahn sammeln die weiß<br />

gekleideten Männer mit der typischen Schiffchenmütze<br />

überall in Mumbai die mit farbigen<br />

Zahlen- und Buchstabencodes gekennzeichneten<br />

Dabbas ab und liefern sie<br />

zunächst an diversen zentralen Plätzen in<br />

der Millionenmetropole an. Hier wird nach<br />

Zielort neu sortiert. Die Kennzeichnungen<br />

der Essensbehälter geben an, wer welchen<br />

Behälter für die Weiterreise übernimmt. Im<br />

Prinzip betreiben die Dabbawallahs mitten<br />

in Mumbais belebten Straßen und Plätzen<br />

einen Hub. Nur eben ohne Lkw, ohne Lade-<br />

rampen und ganz ohne moderne Scannertechnik.<br />

Doch die Dabbawallahs sind perfekt<br />

aufeinander eingespielt, jeder kennt seine<br />

Aufgabe: In Windeseile werden Blechtöpfe<br />

hin- und her geschoben, Fahrräder, Lieferkarren<br />

oder Tragebehälter neu bestückt und<br />

schon geht es weiter, ein jeder Dabbawallah<br />

eilt seinem Zielgebiet entgegen. Die Kennzeichnung<br />

der Essensbehälter ist dabei so gestaltet,<br />

dass auch Analphabeten, zu denen<br />

der Großteil der Dabbawallahs gehört, damit<br />

zurechtkommen. Die rund 200.000 Henkelmänner,<br />

die pro Tag von den Wohngebieten<br />

Mumbais in die Geschäftszentren der Stadt<br />

geliefert werden, legen jeden Vormittag bis<br />

zu 70 Kilometer zurück und wechseln dabei<br />

drei- bis viermal den Transporteur. Pünktlich<br />

um halb eins wird ausgeliefert und 200.000<br />

hungrige Empfänger erhalten ihr Mittagessen.<br />

Die erste Schicht für die Dabbawallahs<br />

ist geschafft und die dienstbaren Geister können<br />

nun ihrerseits Mittagspause einlegen, die<br />

einzige Pause an einem langen Arbeitstag. Ab<br />

14 Uhr geht die Lieferkette wieder in die andere<br />

Richtung. Denn zum Leistungsumfang<br />

der Speiselogistiker gehört auch der Rücktransport<br />

der leeren Dabbas zu den Hausfrauen,<br />

die die Behälter in Empfang nehmen.<br />

Nun ist auch Zeit für ein kurzes Schwätzchen<br />

mit dem Dabbawallah, der am nächsten Tag<br />

wieder genauso pünktlich wie seit Jahr und<br />

Tag vor der Tür steht und das frisch zubereitete<br />

Essen für Ehemann, Sohn oder Tochter<br />

entgegennimmt.<br />

Perfektes Teamwork<br />

Die Dabbawallahs arbeiten in Kollektiven mit<br />

zwanzig bis dreißig Mitgliedern. Jeder weiß,<br />

wo er welchen Henkelmann in Empfang nehmen<br />

muss, mit wem er zusammenarbeitet,<br />

wo sein Ziel liegt und welches Transportmittel<br />

er benutzen muss, um schnellstmöglich<br />

dorthin zu gelangen. Effektivität und Effizienz<br />

sind das Ziel, doch im Vordergrund steht<br />

noch etwas anderes: Die Dabbawallahs arbeiten<br />

aus Überzeugung. Sie wissen, dass niemand<br />

hungrig auf sein Essen warten möchte,<br />

und sie sind sicher: Ihre Arbeit schafft gutes<br />

Karma. Die Dabbawallahs stammen fast alle<br />

aus sechs Dörfern bei Poone, südöstlich von<br />

Mumbai. Sie sind miteinander verwandt oder<br />

verschwägert und gehören zur selben hinduistischen<br />

Religionsgemeinschaft. Dabbawallah<br />

kann nur werden, wer über die Empfehlung<br />

eines Gruppenmitglieds verfügt.<br />

Meistens wird der Beruf vom Vater auf den<br />

Sohn übertragen, und das häufig seit Generationen.<br />

So entsteht Vertrauen in der Gruppe –<br />

Basis für den reibungslosen Ablauf. Das<br />

erwirtschaftete Geld – etwa fünf Euro monatlich<br />

pro Kunde – wandert in eine Gemeinschaftskasse,<br />

deren Inhalt am Monatsende<br />

geteilt wird. Wer einen Fehler macht, unfreundlich<br />

gegenüber einem Kunden ist oder<br />

im Dienst raucht oder trinkt, muss eine Strafe<br />

in die Gemeinschaftskasse entrichten.<br />

Im Eiltempo durch die quirligen Straßen Mumbais:<br />

Dabbawallahs sind Logistik- und Transportkünstler.<br />

Mitunter tragen sie die heiße Fracht auf dem Kopf durch<br />

Straßen und Gassen – im Schnellschritt dem Ziel entgegen.<br />

Fehler: praktisch Fehlanzeige<br />

Die einmalige logistische Leistung, die die Essensausträger<br />

von Mumbai jeden Werktag<br />

vollbringen, hat längst international Aufmerksamkeit<br />

erregt. Zahlreiche Universitäten<br />

haben das System analysiert und<br />

selbst Doktorarbeiten sind über die Dabbawallahs<br />

verfasst worden. Das Forbes Global<br />

Magazine zeichnete die Dabbawallahs 1998<br />

mit einem Six-Sigma-Rating aus und bestätigte<br />

ihnen damit eine Zuverlässigkeit von<br />

99,99 Prozent. Angeblich geht nur einmal in<br />

16 Millionen Fällen eine Dose verloren. Das<br />

Vertrauen der Kunden ist so groß, dass<br />

manche Ehefrau ihrem vergesslichen Mann<br />

Unterlagen oder das Handy im Henkelmann<br />

mit auf die Reise ins Büro schickt. Professor<br />

Ramesh Datta, der am Tata Institute of Social<br />

Sciences in Mumbai 1984 die erste Studie<br />

über die Dabbawallahs durchgeführt hat, ist<br />

überzeugt, dass es die Dabbawallahs auch in<br />

Zukunft noch geben wird. Seiner Ansicht<br />

nach kann man von ihnen vor allem eines<br />

lernen: Sie stellen den Menschen in den Mittelpunkt<br />

ihrer Arbeit, denn ihr System funktioniert<br />

nur, weil sie sich völlig aufeinander<br />

verlassen können. Und damit können sie<br />

durchaus als Vorbild für moderne Teamarbeit<br />

dienen. ■<br />

Die Codierung aus Zahlen und Buchstaben in unterschiedlichen<br />

Farben gibt eindeutig Auskunft über<br />

Herkunft und Ziel des indischen Henkelmanns. Einmal<br />

gelernt, finden auch Dabbawallahs, die nicht lesen<br />

können, mit dem System zum Ziel.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!