Der Tod des Diktators - Vandenhoeck & Ruprecht
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Eine Woche verbrachte er noch in Malmaison, wo er einst mit Joséphine, die<br />
hier Ende Mai 1814 verstorben war, eine glückliche Zeit verbracht hatte. Am<br />
29. Juni verließ er das Schloss im Frack eines Bürgers, um sich nach Rochefort<br />
zu begeben, wo zwei Fregatten warteten, um ihn nach Amerika zu bringen. An<br />
eine Überfahrt war jedoch nicht zu denken, da ein britischer Kreuzer – die »Bellerophone«<br />
– die Ausfahrt blockierte. Mitte Juli fügte sich Napoleon schließlich<br />
in sein Schicksal und begab sich an Bord <strong>des</strong> feindlichen Schiffes. Erst im Hafen<br />
von Plymouth erfuhr er von der Entscheidung der britischen Regierung, ihn<br />
auf eine Insel im Südatlantik, gut 1800 Kilometer von der afrikanischen Küste<br />
entfernt, zu verbannen. »Sankt Helena, das ist mein <strong>Tod</strong>esurteil«, soll er gesagt<br />
haben. 34 »Wie in einem doppelten Kursus mittelalterlicher Epen« schien Napoleon<br />
»zweimal seinen Weg gehen zu müssen, damit erst im zweiten Durchgang<br />
die Unabänderlichkeit <strong>des</strong> Exils bestätigt werden konnte.« 35<br />
Am 7. August begab sich Napoleon an Bord der »Northumberland«, die<br />
ihn nach Sankt Helena bringen sollte. Nach zwei Monaten auf See erreichte<br />
das britische Linienschiff die kahle Felseninsel und ging am 15. Oktober in<br />
Jamestown vor Anker. Napoleon hat diese Insel nie mehr verlassen. Er hatte<br />
die Tuilerien, Schönbrunn, den Kreml und das Schloss Élysée bewohnt. Jetzt<br />
bezog er seinen letzten Wohnsitz, Longwood House, die ehemalige Residenz<br />
<strong>des</strong> britischen Gouverneurs. 36 Es begann die Periode <strong>des</strong> Erinnerns, der Refl exion<br />
und der Apologie; es ging darum jene Legende zu erschaffen, die seinen<br />
Nachruhm mehrte. »Wir werden die Geschichte der Tapferen schreiben«, hatte<br />
er gesagt, bevor er Frankreich verließ. 37 Er tat mehr als das, erzählte, ja verklärte<br />
seine Geschichte in der Hoffnung, seinen unsterblichen Ruhm zu festigen und<br />
behauptete, mehr und mehr werde er seiner »Tyrannenhaut entkleidet«. 38 Er<br />
wusste, dass seine Äußerungen vom Grafen Las Cases sowie den Generalen<br />
Bertrand, Gourgaud und Montholon – sie zählten zur Entourage, die Napoleon<br />
ins Exil gefolgt war – protokolliert wurden, alle vier führten ein Tagebuch. Schon<br />
während der Überfahrt hatte Napoleon mit den Diktaten begonnen, auf Sankt<br />
Helena diktierte er Las Cases einen Teil seiner Mémoires. <strong>Der</strong> Graf veröffentlichte<br />
1823 das bekannte Mémorial de Sainte Helene in acht Bänden, das sich<br />
auf den Zeitraum vom 20. Juni 1815 bis zum 25. November 1816 erstreckt und<br />
erzielte damit einen beträchtlichen Erfolg. 39<br />
Das Mémorial, darüber hinaus die Cahiers <strong>des</strong> Generals Bertrand stellen die<br />
Beweisstücke einer Legendenbildung dar, die in ihren Umrissen schon vorher<br />
existierte, vor allem aber Napoleons Fähigkeit zur Selbstinszenierung erneut<br />
unter Beweis stellte: »Ich habe den Abgrund der Anarchie wieder geschlossen<br />
und das Chaos geordnet. Ich habe die Revolution entsühnt, die Völker geläutert<br />
[…] Ich habe jeden möglichen Wetteifer entfacht, alle Verdienste belohnt und<br />
die Grenzen <strong>des</strong> Ruhmes weitergesteckt«. 40 Napoleon stilisierte sich zum großen<br />
Europäer, der dem Kontinent die Errungenschaften der Revolution gebracht<br />
und ihn so neu geordnet habe. 41 Auch das »Martyrium« von Sankt Helena war<br />
18 Rüdiger Schmidt<br />
Thomas Großbölting / Rüdiger Schmidt, <strong>Der</strong> <strong>Tod</strong> <strong>des</strong> <strong>Diktators</strong><br />
© 2011, <strong>Vandenhoeck</strong> & <strong>Ruprecht</strong> GmbH & Co. KG, Göttingen<br />
ISBN Print: 978-3-525-30009-1