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Dokumentation des 6. MainzerMediendisputs - Bibliothek der ...

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NEW JOURNALISM –VOM KULTURGUT ZUM WIRTSCHAFTSGUT


NEW JOURNALISM –VOM KULTURGUT ZUM WIRTSCHAFTSGUTIMPRESSUM<strong>Dokumentation</strong> <strong>des</strong> <strong>6.</strong> MainzerMedienDisputs vom 27.11.2001 zum Thema „New Journalism – vom Kulturgut zum Wirtschaftsgut“,veranstaltet von <strong>der</strong> Friedrich-Ebert-Stiftung, <strong>der</strong> Staatskanzlei Rheinland-Pfalz und <strong>der</strong> Lan<strong>des</strong>zentrale für privaten RundfunkRheinland-Pfalz in Zusammenarbeit mit <strong>der</strong> Projektgruppe MainzerMedienDisput:Dr. Thomas Leif (SWR), Uli Röhm (ZDF), Bertold Runge (SWR), Stefan Engelfried (DGB), Dr. Joachim Kind (LPR),Rolf Mantowski (FES), Dr. Stefan Weiler (Staatskanzlei), Klaus Lotz -bis 2001- (Staatskanzlei)Konzeption und Redaktion: Dr. Thomas Leif (verantw.),Bertold RungeKarikaturen:Gerhard Mester, WiesbadenFotos:ZDF-Bil<strong>der</strong>dienst, Rico Rossival; Ekkehart Veyhelmann, MainzTitelmotiv:Stefan Wolf, Nina Faber de.sign, WiesbadenGestaltung:Nina Faber de.sign, WiesbadenKorrekturen:Susanne Kortshagen (s.kortshagen@hamburg.de); Ingmar Cario, KölnDruck:ColorDruck, Leimenam 27. November 2001 in Mainz<strong>Dokumentation</strong>August 2002ISBN 3-89892-095-X August 2002


InhaltInhalt61326415458656877878894959799101102Stefan RaueWas können Politik und Politikberatung überhaupt von uns Journalisten lernen ?Ingo NathusiusManipulation und Journalismus in aktuellen SendungenThomas LeifPolitikvermittlung im Tal <strong>der</strong> UnterhaltungMichael BehrentNarziss im Zerrspiegel – Die Grenzen <strong>des</strong> Marketingparadigmas in <strong>der</strong>(politischen) KommunikationFritz GoergenKopieren statt RecherchierenHans LeyendeckerIm Biotop für Rechthaber – Journalismus nach dem 11. SeptemberUlrich KienzleLaudatio anlässlich <strong>der</strong> Verleihung <strong>der</strong> „Verschlossenen Auster“ an Otto SchilyOtto SchilyGegenrede anlässlich <strong>der</strong> Verleihung <strong>der</strong> „Verschlossenen Auster“Klaus HarpprechtMedienwandlung und Demokratie – EntwicklungLeitfragen WirtschaftsjournalismusClaudia MastWirtschaftsjournalismus zwischen Kunden, Kohle und KumpaneiAdolf TheobaldBestechung und Bestechlichkeit gibt es überallWolfgang KadenPrint-Journalismus verkommt immer mehr zum Nutzwert- JournalismusRainer HankInformation als WettbewerbsvorteilUrsula WeidenfeldVersuche <strong>der</strong> Einflussnahme nehmen zuLeitfragen zur MedienpolitikKurt BeckMedienpolitik – am Publikum vorbei?104106108110113114116119121125133134137139142144146Arno LuikWer Qualität will, muss die Diktatur <strong>der</strong> Quote abschaffenMichael JürgsBlutige Revolution, ständige Evolution o<strong>der</strong> befreien<strong>des</strong> LachenThomas SchadtEs gibt keine MedienpolitikManfred HelmesDer Grundsatz <strong>der</strong> Staatsferne wird zunehmend durchlöchertLeitfragen OnlineKirsten HaakeNicht das Medium – <strong>der</strong> Verlag bestimmt die ArbeitsbedingungenPhillip J. FleischmannDie Kunst <strong>der</strong> Beschränkung auf das WesentlicheMatthias Müller von BlumencronWer die Krise meistert, wird eine kaum einholbare Position erreichenWilli KaczorowskiOnline-Journalismus zwischen Traffic und ContentKlaus Rüter„Rundfunk Online“Leitfragen EthikIlka BrechtEthik war gestern ... Über journalistische Werte gestern und heuteHerlinde KölblEthik wird über Bord geworfenKristina LäskerMangelnde Kompetenz – pure AhnungslosigkeitGerald PraschlÖffentlich-Rechtliche behin<strong>der</strong>n qualitativ guten JournalismusWalter SchumacherNachschlagDokument SZPeter Müller: Auch ehrliche Empörung muss inszeniert werden45


VORWORTDen Diskurs über die Medienpolitik belebenDer „<strong>6.</strong> MainzerMedienDisput“ hatte sich mit dem Thema „NEWJOURNALISM – vom Kulturgut zum Wirtschaftsgut“ beschäftigt und einegrosse Resonanz gefunden. Praktiker, Wissenschaftler und Kritiker hattensich im November vergangenen Jahres mit bedenklichen Tendenzen imWirtschaftsjournalismus und im Online-Markt auseinan<strong>der</strong> gesetzt.Die hintergründigen Analysen wurden mit <strong>der</strong> kritischen Überprüfung <strong>der</strong>„ethischen Innenausstattung <strong>des</strong> Journalismus“ verknüpft. Fast ein Jahrspäter stehen diese Fragen ganz oben in <strong>der</strong> Aufmerksamkeits-Skala <strong>der</strong>Medien.Nicht nur <strong>des</strong>halb folgen wir <strong>der</strong> guten Tradition, die überarbeiteten undzum Teil aktualisierten Referate und Beiträge zu dokumentieren.Zur gewachsenen Kontinuität <strong>des</strong> MainzerMedienDisputs gehört es auch– wie im Jahr 2001 – Themenfel<strong>der</strong> <strong>der</strong> „Mediendemokratie“ zur Diskussionzu stellen, die sonst durch das grobe Raster <strong>der</strong> öffentlichenWahrnehmung fallen.In diesem Jahr steht <strong>der</strong> MainzerMedienDisput am 30. Oktober 2002unter dem Leitmotiv „Verschwiegen-verschwunden-verdrängt. Was (nicht)öffentlich wird.“Mehrere Autoren dieser <strong>Dokumentation</strong> haben das Konferenz-Thema2002 in ihren Texten bereits aufgegriffen und dabei auch eine (selbst)-kritische Innenansicht <strong>des</strong> Journalismus vorgenommen. Dass solcheReflektionen alles an<strong>der</strong>e als selbstverständlich sind, muss nichtbeson<strong>der</strong>s betont werden.Nach siebenjähriger Aufbauarbeit <strong>des</strong> MainzerMedienDisputs durch eineunabhängige, ehrenamtlich arbeitende Projektgruppe wird die Relevanz<strong>des</strong> Gründungsziels nun öffentlich intensiver wahrgenommen: dieMediendemokratie braucht die ernsthafte Begleitung und konstruktiveKontrolle durch eine vitale Bürgergesellschaft. Dies war stets <strong>der</strong>Ausgangspunkt und die Leitlinie <strong>der</strong> Planungen und Konzepte.In diesem Jahr bleiben wir dieser Grundorientierung treu: wir diskutierenkritisch und kontrovers mit den wichtigsten Fachleuten über die„Grammatik <strong>der</strong> Skandale“, über „vergessene Themen und die Macht <strong>der</strong>Agenturen“, über das Thema „Es gibt noch Werte neben dem Dax“ undschließlich über die Gestaltungsmöglichkeiten <strong>der</strong> Medienpolitik.Dr. Thomas Leif7


WAS KÖNNEN POLITIK UND POLITIKBERATUNGÜBERHAUPT VON UNS JOURNALISTEN LERNEN?Stefan RaueÜber Hans-Dietrich Genscher werden zahlreiche Anekdoten verbreitet.Eine, die ich selbst erlebt habe, passt erfreulicherweise in unserenZusammenhang. Eine Zeit lang spielten sich die Begrüßungsdialogezwischen dem damaligen Außenminister und den um ein Gespräch bittendenJournalisten wie folgt ab:Der Redakteur:„ Herr Außenminister, mein Name ist Müller vomBuxtehu<strong>der</strong> Anzeiger, darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen?“ Genscherpflegte darauf mit freundlich, -einladen<strong>der</strong> Miene zu sagen:„ Aber HerrMüller, ich kenne Sie doch! “Ein typischer Genscher, eine Unwahrheit und eine Wahrheit einträchtignebeneinan<strong>der</strong> in einem kurzen Satz. Natürlich hatte er den angstschlotterndenRedakteur namens Müller niemals in seinem Leben vorhergesehen, und er hatte auch nicht vor, sich <strong>des</strong>sen Namen undBestimmung zu merken. Gleichzeitig sagte Genscher die Wahrheit, besserals viele an<strong>der</strong>e hat er die Medien gekannt: Ein Berufsstand, über denschon Max Weber in „Politik als Beruf“ bemerkt hat: Es handelt sich beiden Journalisten um eine „Pariakaste, die in <strong>der</strong> Gesellschaft stets nachihren ethisch tiefststehenden Repräsentanten sozial eingeschätzt wird.“Ein Berufsstand, <strong>der</strong> einer vorbildlichen Charta unterworfen ist, <strong>des</strong>senAngehörige allerdings ein ganz eigenes charakterliches Profil entwickelthaben, das keine pathologische Verirrung, son<strong>der</strong>n die notwendigeVoraussetzung für eine erfolgreiche Ausübung <strong>des</strong> Berufs darstellt.Schauen wir uns also die fünf zentralen Eigenschaften <strong>der</strong> Journalistenan, sie sind ressortübergreifend, gelten für Print, Hörfunk und Fernsehenähnlich, und formen die mediale Wirklichkeit, mit <strong>der</strong> die politischenAkteure umzugehen haben.1) Die EitelkeitDer alte Fuchs Genscher hat in unserem Beispiel, ganz ohneKommunikationstrainer, den Nerv getroffen. Unser BeispielredakteurMüller hatte natürlich während <strong>des</strong> gesamten Interviews seine Gedankennicht bei NATO, KSZE o<strong>der</strong> Deutscher Einheit. „Woher kennt mich <strong>der</strong>Genscher, vielleicht aus dem Pressespiegel, vielleicht durch Empfehlung,vielleicht auf Hinweis durch den Pressesprecher?“Die schönsten Gefühle werden Müller in diesen Minuten übermannthaben, und das mit langer Nachwirkung.Die Methode ist bekanntlich nicht neu: Wahlkämpfer im alten Rom hieltensich sogenannte Nomenklatoren. Das waren Sklaven, die dem Politikerbeim Gang über das Forum möglichst schnell und diskret die Namen undpersönlichen Verhältnisse <strong>der</strong> Passanten und möglichen Wähler undSponsoren zuflüsterten. Es folgten dann Gruß mit Namen und denbesten Wünschen für den neugeborenen Sohn o<strong>der</strong> das jüngst erworbeneLandhaus.Dass es den Angesprochenen dabei scheint, dass <strong>der</strong> Glanz <strong>der</strong>Prominenz auch ihre Existenz erleuchtet, das wirkt wie eine Droge, dieeine immer größere Dosis for<strong>der</strong>t. Bei uns politischen Journalisten gibtes ein hoch komplexes System, Prominenz zu schaffen, zu erhalten undzu mehren. Da sind die berühmten Hintergrundkreise, in denen imVorfeld von Kampagnen und wichtigen Entscheidungen handverleseneJournalisten gebrieft werden. Das meint, die Medienvertreter werdenunter dem Siegel <strong>der</strong> Verschwiegenheit in das eingeweiht, was tatsächlicheAbsicht und Motivlage genannt wird.Nüchtern wird je<strong>der</strong> halbwegs professionelle Journalist schnell durchschauen,dass diese Annäherung nur dazu dient, ihn für die Kampagnezu instrumentalisieren. Aber Mächtige und Halbmächtige wirken in einemRadius von fünf Metern offensichtlich wie ein angenehmes Narkotikum,das die normalen Wahrnehmungsreflexe auf süße Weise lähmt.Die emotionale Steigerung bedeutet das Hintergrundgespräch beimAuslandsbesuch. Da gibt es meist keine Parteien mehr, da fühlen sichPolitiker und Medienvertreter als Angehörige einer nationalen Mission,die sich in jedem Land <strong>der</strong> Welt zu Kamingesprächen versammelt.In <strong>der</strong> Kohl- und Genscherära war das die Stunde <strong>der</strong> Strickjacken undoffen getragenen Pullun<strong>der</strong>, man machte es sich bequem und philosophierteüber die Welt.Erfahrene Kollegen sicherten sich frühzeitig die Plätze in Kaminnähe,unabhängig von Jahreszeit und Klimazone: In Augen- und Nickkontaktmit den Mächtigen.Eine weitere Steigerung bedeutet <strong>der</strong> sogenannte Chefredakteurstisch<strong>der</strong> Parteichefs bei den Presseempfängen vor den Parteitagen. InSichtweite <strong>des</strong> normalen Fußvolks parliert man da auf Augen- und Sitzhöhe,die Sitzordnung verrät einiges über die aktuellen Prioritäten und89


Näheverhältnisse, auch da lösen die Talkmaster so allmählich diegestandenen Chefredakteure ab. Für Beteiligte wie Beobachter unvergessensind die Tischrunden <strong>des</strong> Altkanzlers.Viele Anekdoten aus einem langen, erfüllten Politikerleben, einer spricht,alle hören zu, synchrones Lachen nach dem späten Erreichen <strong>der</strong> Pointe.2) Die GierJournalisten messen sich in ihrem Stan<strong>des</strong>bewusstsein meist an denErfolgreichsten ihres Studiengangs. Und die sind in <strong>der</strong> Regel nichtJournalisten geworden. Und weil die von den Gewerkschaften erstrittenenTarifverträge eine adäquate Besoldung nicht zulassen, ist dieganze Findigkeit <strong>der</strong> Kollegen gefor<strong>der</strong>t. Der Presseausweis alsPaybackkarte ist da eine fast rührende, anachronistische Erscheinung.Umsonst ins Museum, die berühmten Prozente bei Handy, Unterhaltungselektronikund Kraftfahrzeugen, <strong>der</strong> Journalist ist gierig, aber nichtunbedingt käuflich.Er nimmt fast alles, das allerdings ohne Gegenleistung. Wo wollte einPolitikredakteur eine Automarke för<strong>der</strong>n, wo ein Wirtschaftsredakteureine Kunstausstellung, wo ein Nachrichtenredakteur den günstigenHandytarif.Der FAZ-Kollege Ulfkotte hat eine Webseite damit gestaltet, dass er alleKollegen namentlich aufgeführt hat, die ein Besprechungsexemplar seinesneuesten Buchs angefor<strong>der</strong>t hatten, ohne es jemals zu rezensieren. Einhochmoralischer Vorstoß, <strong>der</strong> an <strong>der</strong> Reichweite <strong>des</strong> Delikts mit Wuchtvorbeistößt. Es geht nicht um realisierbare Werte, es geht schlichtdarum, mit dem inneren Feuer eines Sammlers Dinge umsonst zubekommen. Ein Berufsstand, <strong>des</strong>sen Privilegien als „presserabatte.de“im Internet eine eigene Adresse haben, ist auf unideologische Weisemaßlos. Wer jemals Medienvertreter dabei beobachtet hat, wie sie dieParteitagsunterlagen nach Verwertbarem durchstöbern, weiß, wovon ichrede. Meine Beute vom kleinen Parteitag <strong>der</strong> CSU in Fürth im Juni 2002:Ein kleiner klappbarer Taschenspiegel, ein blaues Plastikbehältnis fürPfefferminzplätzchen und ein stählerner Kugelschreiber. Bündnis 90/DieGrünen haben da übrigens viele Jahre bitteres Lehrgeld zahlen müssen.Keine Extras in den Tagungsunterlagen, kein Presseempfang für die hungrigenund durstigen Medienvertreter, keine Tagungslounge mit warmerund kalter Verpflegung. Wer einmal in Magdeburg in <strong>der</strong> Bördelandhallemit knurrendem Magen in einer langen Delegiertenschlange vor den teurenVollkornbrötchen gestanden hat, <strong>der</strong> hat eine Ahnung davon, wieanstrengend es für den einen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Kollegen gewesen seinmuss, über den Fünf-Mark-Benzin-Beschluss wohlwollend o<strong>der</strong> fair zuberichten.3) Der GrößenwahnWer diese Einschätzungen für eine beliebige Sammlung von Sottisenhält, dem mag <strong>der</strong> Band 109 <strong>der</strong> Kritischen Studien zur Geisteswissenschaftim Verlag Vandenhoeck & Ruprecht empfohlen sein. Der SozialhistorikerJörg Requate hat die Entstehung <strong>des</strong> Journalistenberufs im19. Jahrhun<strong>der</strong>t erforscht.An<strong>der</strong>s als in England hat <strong>der</strong> politische Redakteur in Deutschland alsVerlautbarer <strong>der</strong> politischen Clubs und Parteien begonnen, bei <strong>der</strong>enZeitung er meist angestellt war. Informationen wurden nur als linientreubekannten Schreibern gegeben ohne diesen Vertrauensbeweis gab´snichts zu melden.Und schon in dieser frühen Professionalisierungsphase galt <strong>der</strong>Journalismus als „Auffangbecken <strong>der</strong> Gescheiterten“. Juristen, Schriftsteller,Geisteswissenschaftler verdingten sich als Redakteure, wenn ihreursprünglich geplante Karriere schlechte Wendungen nahm.Bezugspunkt bei den Kollegen <strong>des</strong> 19., 20. und 21. Jahrhun<strong>der</strong>ts bleibtaber das ursprüngliche Karriereziel. Ein Berufsstand, <strong>der</strong> eigentlichneben <strong>der</strong> sozialen Schichtung steht, orientiert sich stets nach oben.Als Mitarbeiter eines Massenmediums sieht man sich im Zentrum <strong>der</strong>öffentlichen Aufmerksamkeit. Die Zuschauer sehen nicht meinen Beitragüber das Wahlprogramm <strong>der</strong> Unionsparteien, sie sehen mich. Wer denKult um die Namenszeichnung und das richtige Namensinsert bei denPrintmedien und Fernsehen erlebt hat, weiß, wovon ich spreche. Zu denschönsten Augenblicken gehört im Fernsehen <strong>der</strong> berühmte Gegenschuss,die Aufnahme vom nickend zuhörenden Interviewer, zu den schlimmstengehört es, dass zumeist Nachrichtensprecher, Programmansager o<strong>der</strong>Wetterfrösche auf <strong>der</strong> Straße eher erkannt und mit richtigem Namenangesprochen werden. Diese narzisstische Orientierung am eigenenNamen, an <strong>der</strong> eigenen Stimme, am eigenen Bild führt dann zu einer Steigerung,nämlich dem sicheren Gefühl, öffentlich Einfluss zu haben. Ob alsGrußwort <strong>des</strong> Herausgebers eines Wochenendmagazins, als Kommentar,als gut gemeinter Hinweis im Hintergrundgespräch, die letzten, die andie tiefe Wirkung <strong>der</strong> Medien glauben, sind die Journalisten selbst.Wissenschaftliche Studien über die Vergeblichkeit ihres Tuns ignorierensie, die Vergesslichkeit ihrer prominenten Ratnehmer ebenso.1011


4) NervositätDie Medien haben sich in den vergangenen Jahren nicht nur rasantgewandelt, sie sind selbst rasant geworden. „Das Tempo dieser Zeit istkeine Kleinigkeit!“, dieses Gefühl einer schwer erträglichen Beschleunigunggab es schon in den 20er Jahren. Doch die Medienarbeiter <strong>der</strong>Gegenwart arbeiten nicht an <strong>der</strong> Zeitdiagnose <strong>des</strong> schnellen Wandels,sie selbst sind die eigentlichen Träger dieser haltlosen Unruhe, diesergroßen Zappelei, die nur zwei Regeln kennt: Nicht nachdenken, nicht zuspät kommen.So sind häufig kleine Ereignisse <strong>der</strong> Ursprung wahrer Kettenreaktionen,die die Themen, die Personen und die Kommunikationsformen sprunghafterhitzen.Die sogenannte „Skandalisierung“ in den Medien bei allen Formen vonpolitischen Affären, sie ist weniger <strong>der</strong> Verlust von ethischer und moralischerSubstanz o<strong>der</strong> die Boulevardisierung, ein Reizthema ist wie einLauffeuer, das auch das entfernste Lokalblatt entflammt. Die Journalisten,sie reden gerne miteinan<strong>der</strong>, pokern und putschen sich hoch,ganze Arbeitsstäbe in den Chefredaktionen beobachten die Themenfindungsprozesseund Entscheidungsrituale <strong>der</strong> Konkurrenz. Den an<strong>der</strong>enzuvorkommen, das ist das wesentliche Ziel <strong>der</strong> Medienbranche. DieseNervosität, die häufig ins Hysterische eskaliert, sie ist unideologisch,erfasst alle Bereiche, beson<strong>der</strong>s die Nachrichtenagenturen und elektronischenMedien. Diese große Aufregung ist das Gegenteil von Wachheitund Neugier, sie begrenzt die Rechercherichtung, sie ist unersättlich undfällt dennoch irgendwann in sich zusammen, um sich nach kurzer Pausewie<strong>der</strong> aufzublähen. (Beispiele: Sebnitz, Flugaffären, Erfurt, Kriegseinsatz<strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>wehr.)5) EinsamkeitZunächst klingt das alles ja schon gesellig. Und in <strong>der</strong> Tat ist <strong>der</strong>Journalist schrecklich gerne unter sich, <strong>der</strong> Arbeitsmarkt ist überschaubar,Gier, Ehrgeiz und Neid wollen im Kollegen-Klatsch gefüttert werden. DerMedienpressespiegel ist das, was auf jeden Fall täglich und gründlichgelesen wird. Wir über uns.Aber: Die Zeiten <strong>der</strong> Redakteursversammlungen, Redaktionsstatute,gewerkschaftlichen Orientierung sind lange vorbei. Der hohe Anteil anfreien und befristet beschäftigten Journalisten hat dem eigentlich reineitlen Kampf um die Zeilen und Minuten eine existentielle Basis gegeben.Da aktuelle Berichterstattung körperlicher Leistungssport ist, hat<strong>der</strong> übliche Generationenkonflikt zwischen Nachwuchs und alterFührungsschicht in den Medien eine härtere Note. Die Altersgruppe <strong>der</strong>50- bis 60-Jährigen kann sich eigentlich nur in Toppositionen o<strong>der</strong>Nischen halten, den Rest drängen die Jungen in den Vorruhestand.Innerhalb von wenigen Jahren tauschen sich so ganze Redaktionen aus,Netze, Beziehungsgeflechte, nichthierarchische Orientierungen sind selten.Dazu kommt, dass die höheren Führungsaufgaben, auch unter demDruck <strong>der</strong> ökonomischen Krise, selten mit Kontinuität vergeben werden.Chefredakteure und ähnliche Positionen werden im schnellen Wechselausgetauscht, das ist in den letzten Jahren vor allem im Printbereich zubeobachten. Das bedeutet, dass die Politik einen Berufsstand alsGegenüber vorfindet, <strong>des</strong>sen Hierarchie und <strong>des</strong>sen Akteure kaum längerzuständig sind als eine Legislaturperiode dauert, ein Berufsstand,<strong>des</strong>sen „Befehlsstruktur“ durch Fluktuation und Autoritätsverlust <strong>der</strong>geschassten Chefs kaum vorhanden ist. Auch das ist eine eher unideologischeEntwicklung.6) SchlussfolgerungWas bedeutet dieses Sittenbild nun für die, die mit den Medien umgehenmüssen?Im Wesentlichen sind zwei Handlungsrichtungen <strong>der</strong> politischenMedienarbeit zu unterscheiden: Die Analyse <strong>des</strong> Veröffentlichten und dieBeeinflussung <strong>des</strong> künftig zu Veröffentlichenden.Ohne Zweifel ist eine gründliche Beobachtung <strong>der</strong> Medien und ihrerProdukte unumgänglich. Was ist berichtet worden, in welchem Kontext,in welcher Bewertung? Zum einen wird das Medienecho auf eigenes o<strong>der</strong>frem<strong>des</strong> politisches Handeln registriert, zum an<strong>der</strong>en sind die Themenund Informationen im Gesamtkonzept ein Frühwarnsystem. Problemebahnen sich in hoher Spontanität ihren Weg in die Schlagzeilen, werdenvon an<strong>der</strong>en Medien aufgegriffen, verstärkt, bekämpft, trivialisiert, popularisiert.Eine präzise Beobachtung <strong>des</strong> Veröffentlichten kann problematischeEntwicklungen im Frühstadium entdecken.Meiner Beobachtung nach hält sich aber die Medienbeobachtung in denpolitischen Planungsstäben zu häufig und zu intensiv mit denEinordnungen, Kommentaren und politischen Tendenzen <strong>der</strong> Medien auf,mit dem subjektiven Faktor. Es ist zu viel von Freund und Feind dieRede. Das führt zu fast familiären Dialogen, Lob für positive Berichterstattung,Tadel und Drohung für Kritik, menschlich verständlich, für die1213


viert, Steine zu werfen. Fernsehjournalisten sahen <strong>der</strong>lei gern – oft sinddiese halben Kin<strong>der</strong> im deutschen Fernsehen als „Demonstranten“ präsentiertworden. Darauf folgte <strong>der</strong> Umschnitt: Israelische Soldaten schießen.„Unter<strong>des</strong>sen geht die Intifada weiter...“. Hier kämpfte David gegenGoliath. Aufopfernde Intifada lenkte von massenhaften Selbstmord-Attentaten ab, mit denen unschuldige Zivilisten – auch Kin<strong>der</strong> undJugendliche – ermordet wurden. Die Wackerstein-Werfer lenkten ab vomImport mo<strong>der</strong>ner Kriegswaffen aus dem Iran. Die jungen Helden lenkt abvom anti-westlichen, pro-terroristischen Jubel, <strong>der</strong> im Palästinensergebietnach dem 11. September losgebrochen war – ganz in <strong>der</strong>Tradition <strong>der</strong> Unterstützung Arafats für Saddam Hussein.Auch die Israelis verhalten sich gegenüber <strong>der</strong> Presse repressiv undmanipulativ. Permanenter Krieg seit fünfzig Jahren und starkerMilitäreinfluss haben in Israel ohnehin zu Zensurmaßnahmen und Einschränkungen<strong>der</strong> Rechtsstaatlichkeit geführt. Das Militär geht zudem<strong>der</strong>zeit auch aus eigener Machtvollkommenheit hart gegen unabhängigeJournalisten vor.An<strong>der</strong>erseits: Israel war und ist stets ein parlamentarisch-demokratischerStaat gewesen – ein unschätzbarer zivilisatorischer Vorsprung gegenübernahezu allen umgebenden Staaten. Ihn sollten gerade deutscheFernsehjournalisten einschätzen können. Hintergründe und Strukturendarzustellen erfor<strong>der</strong>t freilich mehr, als aktionistische Bil<strong>der</strong> abzuspielen.So wie Fernsehjournalisten jahrelang plumpen Manipulationen vonPalästinensern auf den Leim gingen, so scheinen sie beim aktuellenMilitäreinsatz zu Analyse und Erklärung kaum in <strong>der</strong> Lage zu sein. DieLage in Israel, soweit sie sich im deutschen Fernsehen spiegelt, ist <strong>der</strong>zeitschwer einzuschätzen. Sie bietet Anlass, über Möglichkeiten undAuswirkungen von Manipulationen und Journalismus mit Fernsehbil<strong>der</strong>nzu reflektieren. Das betrifft nicht nur Krisenberichte. Es gilt auch für dienormale Berichterstattung vom alltäglichen Hier und Da.Pseudo-<strong>Dokumentation</strong>Fernsehbil<strong>der</strong> sind distanzlos. Sie haben nicht den Abstand <strong>des</strong>beschreibenden Wortes, das wohl erwogen in <strong>der</strong> Zeitung steht o<strong>der</strong> imRadio gesprochen wird. „Als am 11. September die Macht <strong>der</strong> Bil<strong>der</strong> <strong>der</strong>einstürzenden Türme <strong>des</strong> World Trade Centers uns buchstäblich dieSprache verschlug, offenbarte sich in dieser Sprachlosigkeit auch dieOhnmacht <strong>der</strong> Bil<strong>der</strong>. Im Fernsehen haben wir den Einsturz <strong>der</strong> Doppeltürmewie<strong>der</strong> und wie<strong>der</strong> gesehen; die Eins-zu-eins-Wie<strong>der</strong>gabe <strong>des</strong>Ereignisses sprach am Verstand vorbei unmittelbar zu unseren Gefühlen“,schreibt <strong>der</strong> erfahrene Fernsehjournalist und heutige Intendant<strong>des</strong> WDR Fritz Pleitgen in <strong>der</strong> Frankfurter Allgemeinen Zeitung 3 .Wenn Fernsehbil<strong>der</strong> regelmäßig vor<strong>der</strong>gründig und daher anti-intellektuellsind, bilden sie schlechte Voraussetzungen für guten Journalismus.Denn im Journalismus geht es darum, im Dienste <strong>der</strong> ÖffentlichkeitInformationen kompetent, distanziert und nachvollziehbar zu sammeln,zu wichten, zusammenzufassen und zu vermitteln. Es geht nicht darum,vor<strong>der</strong>gründiges Gerede zu vermitteln.Fernsehbil<strong>der</strong> suggerieren unmittelbare Authentizität. Sie muss tatsächlichnicht vorhanden sein. Das sollte unter Fernsehjournalisten zu Überlegungenführen, was für Bil<strong>der</strong> wie verwendet werden. In <strong>der</strong> Praxis findensolche Überlegungen allzu oft nicht statt. Gern werden irgendwelcheBil<strong>der</strong> benutzt, die irgendwie zu bekommen sind. Fernsehjournalistendenken an Bil<strong>der</strong>. Sie denken in Bil<strong>der</strong>n. „Wir brauchen doch die Bil<strong>der</strong>“ist ein feststehen<strong>der</strong> Spruch bei den „Aktuellen“ <strong>des</strong> Fernsehens.Oft denken Fernsehjournalisten nicht daran, wie hintergründigeErklärungen vermittelt werden können. Jedenfalls darf Tiefsinn nicht aufdie beliebten – wie es im Jargon heißt – „starken Bil<strong>der</strong>“ getextet werden.Sie müssen auf ruhigen Totalen, Symbolbil<strong>der</strong>n o<strong>der</strong> Grafiken kommen.Denn aktionistische Großaufnahmen ziehen die Aufmerksamkeit <strong>des</strong>Zuschauers in Bann und verhin<strong>der</strong>n, einem eventuell klugen Gedanken<strong>des</strong> Off-Kommentars zu folgen.Inszenierungen von JournalistenFernsehen bildet häufig die Realität nicht ab, son<strong>der</strong>n es inszeniertRealität. Die Frage muss sein: Wer inszeniert wie? Sind es (bei journalistischenSendungen) Menschen, <strong>der</strong>en Beruf es ist, Wirklichkeit imDienste <strong>der</strong> Öffentlichkeit kompetent, distanziert und nachvollziehbarzusammenzufassen und zu vermitteln? O<strong>der</strong> sind es Menschen, <strong>der</strong>enBeruf es ist, im Dienste einer Interessengruppe die Öffentlichkeit zumanipulieren?Wenn Journalisten Wirklichkeit selbst inszenieren, ist dagegen nichtszu sagen – solange es nachvollziehbar und schadlos geschieht. Und nurdann. So ist es üblich, bei Interviewpartnern Arrangements zu bilden.Der Interviewte erscheint schließlich nicht in seiner gesamten Umgebung,wie sie das Kamerateam persönlich erfasst, son<strong>der</strong>n er o<strong>der</strong> sie istnur in einem kleinen Bildausschnitt zu sehen. Man arrangiert den1617


Ausschnitt so, daß er dem komplexen Gesamtbild am ehesten entspricht.Das muss freilich mit dem Interviewpartner besprochen werden,damit <strong>der</strong> weiß, was geschieht und damit er sich eventuell wehren kann.Ein Praxisbeispiel: Der Botschafter sitzt in einem imposanten Büro. Nurhinter seinem Schreibtisch ist die Wand leer. Das ausgeschnitteneFernsehbild <strong>des</strong> Botschafters vor weißer Wand würde eher an einenChefarzt erinnern. Also wird Exzellenz an die Schmalseite <strong>des</strong>Schreibtischs gesetzt, wo die Fahne seines Heimatlan<strong>des</strong> und ein prächtigesÖlgemälde mit im Fernsehbild ist.Üblich ist, Menschen zu symbolischen Handlungen anzuhalten. WennArbeit in einem Büro gezeigt werden soll, bitten Kamerateams dieMenschen dort, mehrfach exakt die gleichen Bewegungen zu machen.Das wird aus unterschiedlichen Perspektiven aufgenommen und kannhinterher zu einem Bewegungsablauf ineinan<strong>der</strong> geschnitten werden.Hier beginnt bereits ein Problem <strong>der</strong> Praxis: Kamerateams sind aufBil<strong>der</strong> mit Aktivität geeicht. Wo sich nichts tut, verzweifeln normaleKameraleute schnell: „Jetzt holen Sie mal eine Akte aus dem Schrank;dann kommt die Dame dazu und erklärt was, dann gehen Sie zumSchreibtisch und bearbeiten die Akte!“. Der Tonmann ruft noch: „Und fürdie Tonaufnahme bitte das Radio ausstellen!“ So geschieht es, dassvöllig verschlafene Kommunalbeamte im Fernsehen plötzlich als aktiveKlein-Manager erscheinen.Man denke auch an Portraits von Wirtschaftsbossen, die stets durchWerkshallen laufen und sich leutselig mit Arbeitern unterhalten. Als obein Vorstandsvorsitzen<strong>der</strong> etwas am Montageband verloren hätte!Der in <strong>der</strong> Praxis kaum gebremste Mut, absurde Arrangements zu bilden,kommt aus zwei Quellen: Zunächst versagen Fernsehjournalisten gernaus eigener Kraft. Ihnen fällt nicht ein, dass man eine verschlafeneBehörde besser durch einen epischen Schwenk über Schreibtische vollKaffeekannen, Aktenordner, Zeitungen und dudelndem Büroradio darstelltals durch arrangierte Aktivität in flotter Schnittfolge. Die Überlegungist fern, dass <strong>der</strong> vorsichtig reportagehaft gedrehte Umgang <strong>des</strong>Unternehmenschefs mit Fahrer, Sekretärin und Mitarbeitern mehr sagtals eine fein ausgeleuchtete gestellte Szene.Aber auch Kamerateams sind für den journalistischen Teil ihrer Arbeit oftunbrauchbar: Sie wurden dafür nicht ausgebildet. Zudem haben schlechteJournalisten schlechte Sitten einreißen lassen. Und die nächstenVerwandten von Kameraleuten üben zusätzlich üblen Einfluss aus: diePressefotografen („Fotojournalisten“). Mit penetranter Selbstverständlichkeitarrangieren sie ohne Rücksicht auf Verluste die Realität nacheigenem (schlechten) Geschmack. Kaum ein Ereignis, an dem nichtabgerissen wirkende Fotografen den Akteuren lautstark Anweisungengeben: „Das Kind auf den Arm nehmen!“ – „Geben Sie sich die Hand“ –„Bitte hierher stellen!“.Die Verantwortung für schlechten Fernsehjournalismus soll aber nichtauf Kamerateams abgewälzt werden. Es ist ureigene Aufgabe <strong>der</strong>Journalisten, Teams vorzubereiten, inhaltlich anzuleiten und zu journalistisch-zurückhaltendem,beobachtendem Benehmen anzuhalten. So istes etwa auch notwendig, Kamerateams klarzumachen, dass die unangemessenenGeschenke, die bei einer Wirtschaftspressekonferenz gereichtwerden, nicht angerührt werden.Die geheime EZBEine an<strong>der</strong>e Möglichkeit: Manipulation nicht durch manipulierteEreignisse, son<strong>der</strong>n durch Verbot. Beispiel: Die Europäische Zentralbank.Sie verweigert Kamerateams Zutritt – wie ein Privatunternehmen. VomEZB-Rat existieren keinerlei Fernsehbil<strong>der</strong>. Dreharbeiten beim Zusammentretensind verboten; selbst die Ankunft <strong>der</strong> Ratsmitglie<strong>der</strong> kannkaum gedreht werden, weil <strong>der</strong> Beginn <strong>der</strong> informellen Vorbesprechungengeheim gehalten wird. Es wird lediglich Footage angeboten,das sich bei Betrachten als veraltetes, technisch und gestalterisch ungenügen<strong>des</strong>Werbefilmchen entpuppt.Zutritt haben Kamerateams regelmäßig nur zu rituellen Pressekonferenzenund neuerdings zu oft lächerlichen repräsentativenEreignissen: Ein Sicherheitsabkommen wird unterschrieben, Kin<strong>der</strong>Europas feiern den Euro o<strong>der</strong> ein Bürgermeister überbringt die Kundeeines Lokalpreises. Selbst Aufnahmen in <strong>der</strong> Lobby o<strong>der</strong> in Gängen sinddann ausdrücklich verboten.Obwohl die EZB in Deutschland sitzt, ist sie kraft Gesetz auch nicht andeutsches Presserecht gebunden. Die Zentralbank ist eine Behörde vollöffentlich Bediensteter. Ihre demokratische Legitimation ist höchst indirekt.Die Entscheidungen <strong>der</strong> EZB sind wesentlich für die Öffentlichkeit.Damit ist auch die Institution als solche öffentlich interessant. Doch <strong>der</strong>bei europäischen Institutionen allseits zu beobachtende laxe Umgangmit den Grundlagen westlicher Zivilisation zeigt sich auch hier.Parlamentarismus, Rechtsstaatlichkeit, bürgerliche Freiheiten sindBegriffe, die vom Frankfurter Eurotower betrachtet weit entfernt scheinen.1819


Dass mit diesen Grundlagen die Kontrolle <strong>des</strong> Staates durch die Öffentlichkeituntrennbar verbunden ist, wird ignoriert.Gerade das Gewinnen von Alltagsbil<strong>der</strong>n in einer Behörde ist einewesentliche Quelle <strong>der</strong> Erkenntnis für aufmerksame Fernsehjournalisten:Was für Menschen sitzen da? Wie gehen sie miteinan<strong>der</strong> um? Was stehtam Schwarzen Brett? Welche Arbeitsbelastungen sind feststellbar?...PR-InszenierungenEine an<strong>der</strong>e Möglichkeit: Inszenierungen von PR-Beratern. Das geschiehtkaum verdeckt, son<strong>der</strong>n gerne völlig offen – offen für Journalisten, nichtfür die Kunden <strong>des</strong> Journalismus. Es ist skandalös, wie unverfroren sichJournalisten nicht selten auf die Regeln von PR- Leuten einlassen 4 .Da lädt etwa ein Autohersteller zur Pressereise in ein exotisches Land.Feine Sache für Journalisten: Interessante Reise, schöne Besichtigungen,Empfänge, gute Hotels, persönliche Kontakte zu Managern, Hintergründeund neue Erkenntnisse – und alles ist kostenlos. Das ist an sich schonproblematisch: Die Journalisten werden nach <strong>der</strong> Reise zu freundlicherBerichterstattung neigen. Man will nächstes Mal wie<strong>der</strong> mit.Für Fernsehleute steht im fernen Autowerk ein Kamerateam <strong>des</strong> einladendenUnternehmens zur Verfügung. Es mag sein, dass das Team aufdie Anweisungen <strong>des</strong> Journalisten zu hören scheint. Aber im Grundsatzist völlig klar: Wer zahlt, bestimmt. Natürlich steht das Team nur dort zurVerfügung, wo dem Veranstalter Fernsehberichterstattung passt. DasKamerateam wird nicht aufnehmen, wie Arbeiter mit Gummihämmern reihenweisefertige Autos aus ausgeleiertenProduktionsstraßenin Form bringen (kein Scherzbeispiel!).Hernach läuft in einem deutschenWirtschaftsprogramm einFilm über das segensreicheWirken <strong>des</strong> exotischen Autowerks.Dem Vorschlag aus <strong>der</strong>Redaktionskonferenz, die verwendetenFernsehbil<strong>der</strong> als„Unternehmensvideo“ zu kennzeichnen,wird nicht gefolgt –das würde doch an <strong>der</strong>Glaubwürdigkeit zweifeln lassen.Für die FüßeIm Alltag weit üblicher – weil billiger – ist sogenanntes „Footage“.Unternehmen und Behörden bestellen selbst Kamerateams, die angeblicheStandardbil<strong>der</strong> drehen. Das Ergebnis wird zusammengeschnittenund Fernsehredaktionen kostenlos zur Verfügung gestellt. „Footage“-Kassetten dienen dann als Grund, Drehgenehmigungen für unabhängigeTeams zu verweigern.Auf den ersten Blick ist es plausibel, dass ein Kernkraftwerk nicht allepaar Wochen den hohen Aufwand betreiben will, Kamerateams durchzuschleusen.Es ist auch klar, dass Szenen im Cockpit eines Flugzeuges nursehr aufwändig gedreht werden können.Doch wäre eine Pool-Lösung denkbar: Ein öffentlich-rechtlicher und einprivatwirtschaftlicher Sen<strong>der</strong> am Ort werden eingeladen, Standardszenenzu drehen. Sie verpflichten sich, das Material in ihrer jeweiligen„Familie“ kostenlos weiterzugeben – hier die Öffentlich-Rechtlichen, dortdie Privatwirtschaftlichen. Das funktioniert natürlich nur, wenn sichFernsehjournalisten unisono weigern würden, Footage zu verwenden,das nicht journalistisch gedreht worden ist. Doch solche Weigerungensind mittlerweile so selten, dass Pressestellen mit Verwun<strong>der</strong>ung reagieren:„Wie? Kein Footage? Warum denn nicht? Alle an<strong>der</strong>en nehmen es dochauch ...“Es muss jedem Journalisten klar sein, dass nicht-journalistischesFernsehmaterial manipulativ sein dürfte. Wer die Bil<strong>der</strong> monopolisiert,<strong>der</strong> manipuliert. Klar, dass die Autos im Produzenten-Filmmaterial blitzblankund superdynamisch sind. Klar, dass die Stewar<strong>des</strong>s im Lufthansa-Footage beson<strong>der</strong>s nett ist und die Fluggäste sich furchtbar wohl fühlen.Privat-JournalismusDie Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) hatte beiihrem letzten Gewerkschaftstag exklusive eigene Kameras vorgesehen,an die sich die Sen<strong>der</strong> stöpseln sollten. Erst <strong>der</strong> Hinweis, dass dieFrankfurter ARD-Aktuell-Redaktion nicht aus <strong>der</strong> Versammlung berichtenwerde, wenn sie nicht selbst drehen dürfe, führten zur Än<strong>der</strong>ung.Fernsehbil<strong>der</strong> von Hauptversammlungen <strong>der</strong> Deutschen Bank sind generellUnternehmensvideos. Angeboten (und gesendet!) werden bombastischeSchwenks und gespreizte Reden <strong>des</strong> frisch gepu<strong>der</strong>ten Vorstands,aber keine Reaktionen von Aktionären.2021


Die zahlreichen Medienmanager <strong>der</strong> Deutschen Bahn AG gehen nochweiter: Dem Fernsehen wird ein fertiges „O-Ton-Statement“ geboten.Bahnchef Mehdorn äußert sich zu einer für die Bahn peinlichenKorruptionsaffäre – aufgezeichnet und geschnitten von <strong>der</strong> Bahn. Nachfragensind so selbstverständlich nicht möglich. Zahlreiche Sen<strong>der</strong> –nicht nur privatwirtschaftliche – übernahmen das Unternehmensvideo,ohne es kenntlich zu machen. Ähnliche Angebote kommen neuerdingsauch aus dem halbstaatlichen Lufthansa-Konzern.Zur politisch umstrittenen Trennung <strong>der</strong> staatlichen Bahn AG vomSchienennetz schaltete sich das bahneigene Berliner TV-Studio mit aufwändig(und trotzdem schlecht) produziertem Footage ein. Bahn-Vorstände agitierten im O-Ton frisch von <strong>der</strong> Leber: Der Bahn dasSchienennetz zu entziehen sei von großem Übel. „Da wir diesen Servicethemenbezogen ausbauen wollen, sind wir Ihnen für Anregungen undVerbesserungsvorschläge dankbar“ schreibt <strong>der</strong> Konzernsprecher.Vermutlich fanden sich allerlei Küchensen<strong>der</strong>, die dankbar mitmachten 5 .Fernsehjournale ohne JournalistenDie Europäische Kommission betreibt eine eigene Fernsehagentur, dieSen<strong>der</strong> und Korrespondenten mit Bil<strong>der</strong>n von Sitzungen, Konferenzenund Tagungen versorgt: „Europe by Satellite“ (EbS). Die Firma „PeopleTV“ bietet zudem auf Rechnung <strong>der</strong> EU kostenlos vorgeblich journalistischesFernsehmaterial zu allerlei Themen an: Internationaler Terror zumBeispiel. Was im Fernsehen als journalistische Ware erscheint, ist inWahrheit Manipulation von Beamten.Der „Redaktionsservice“ <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>verbands deutscher Banken wirktdagegen fast harmlos: „In Absprache mit den Redaktionen werdenFernsehbeiträge produziert, O-Töne eingeholt, Schnittbil<strong>der</strong> zur Verfügunggestellt...“. O<strong>der</strong> „Die TV-Macher Oliver Voss“: Von <strong>der</strong> Jahrespressekonferenz<strong>der</strong> Audi AG wird „eine Reportage mit fertigemSendeton“ angeboten – bezahlt von Audi 6 .Was treibt Journalisten dazu, sich so manipulieren zu lassen? Zunächstist es mangelhafte Berufsauffassung: Journalisten werden für die Informationsbeschaffung,-bewertung und -verarbeitung bezahlt und nichtdafür, unreflektiert irgend jemand irgendwas erzählen zu lassen. Zudemist es Faulheit: So geht es einfach, schnell, anspruchslos und ohnegroße Gefahr, kritisiert zu werden.Wenn Fernsehjournalisten sich Fernsehbil<strong>der</strong> von Interessengruppen fertigpräsentieren lassen, geben sie nicht nur manipuliertes Material als journalistischeLeistung aus. Sie vergeben auch einen <strong>der</strong> wenigen Vorteileihrer Sparte: Den Vorteil <strong>des</strong> unmittelbaren Erlebens, <strong>des</strong> eigenenAugenscheins. An<strong>der</strong>s als Print- o<strong>der</strong> Radiojournalisten haben Fernsehleutegrundsätzlich immer die Möglichkeit, Zugang zu for<strong>der</strong>n. Sie müssenan die Orte <strong>des</strong> Geschehens herankommen, um Bil<strong>der</strong> zu gewinnen.Dabei können sie sich umsehen, die jeweils herrschende Kultur, denUmgang, das Ethos erspüren und mit Leuten reden. Wenn Fernsehleuteauf den Vorteil <strong>der</strong> Unmittelbarkeit verzichten und manipuliertes Materialakzeptieren, vergeben sie einen beson<strong>der</strong>en Recherchevorteil, den siegegenüber <strong>der</strong> Konkurrenz haben.Das ist umso übler, als Fernsehjournalisten in ihrer Arbeit sonst vieleNachteile gegenüber an<strong>der</strong>en Sparten haben. Fernsehen dauert langeund ist mühsam, weil Produktionsmittel beschafft werden und zum Ort<strong>des</strong> Geschehens kommen müssen. In dieser Zeit können Radio- undZeitungsleute am Telefon sitzen, recherchieren, texten, drucken undsenden.DistanzlosigkeitNeben Faulheit und mangelhafter Berufsauffassung spielt soziale Näheeine Rolle bei <strong>der</strong> Bereitschaft, sich manipulieren zu lassen. Öffentlichkeitsarbeiterund Medien-Experten gehören <strong>der</strong> gleichen sozialen Gruppean. Man trifft sich, man kennt sich, man mag sich. Mancher Journalistvermag nicht zwischen persönlicher Beziehung und Professionalität zuunterscheiden. Paart sich das noch mit mangelhafter Berufsauffassungund Faulheit, sind <strong>der</strong> Manipulation Tür und Tor geöffnet.Enge soziale Nähe kann exemplarisch in Parlamenten beobachtet werden:Zwischen Politik und Journalisten herrscht vielfach völligeDistanzlosigkeit. Pressesprecher marschieren ohne anzuklopfen inKorrespondentenbüros. Man trifft sich an <strong>der</strong> Bar und feiert miteinan<strong>der</strong>.Das „Du“ ist üblich: Das als öffentlich verstandene ernsthafte Gesprächzwischen Politikern und Journalisten wird zusehends zur Ausnahme –üblich ist vielfach die Ausnahme geworden: das vertrauliche Hintergrundgespräch.Beson<strong>der</strong>s problematisch ist auch hier das Fernsehen: Die ständigenKamerateams <strong>der</strong> Korrespondenten werden eingeladen, gern freigehaltenund zu Weihnachten beschenkt. Ins allgemeine Duzen sind Kameramannund Toningenieur einbezogen. Sie betrachten die seltsame Nähe zumObjekt <strong>der</strong> Berichterstattung regelmäßig noch distanzloser als es2223


Journalisten tun – und das will schon was heißen! Von diesen TeamsBil<strong>der</strong> zu erwarten, die über Standards hinausgehen, Bil<strong>der</strong>, die beobachteno<strong>der</strong> lauern, Bil<strong>der</strong>, die Peinlichkeiten zeigen, ist völlig aussichtslos.Praxis ist vielmehr, dass Politiker in <strong>der</strong> ParlamentsberichterstattungAnweisung geben: „Das dreht ihr jetzt aber nicht!“.ArbeitsteilungFernsehen ist ein beson<strong>der</strong>s arbeitsteiliges Medium. Auf je<strong>der</strong> Stufe(Recherche, Dreh, Sichten, Schnitt, Texten, Vertonen) können Mitarbeitermanipulieren. Das geschieht regelmäßig nicht aus bösem Willen, son<strong>der</strong>naus mangelndem Verständnis fürs journalistische Endprodukt. DieTonfrau glaubt, mit dem Interviewpartner interessante Gespräche führenzu müssen, <strong>der</strong> Kameramann baut den Drehort schön um, <strong>der</strong> Cutterästhetisiert den Bil<strong>der</strong>fluß, in <strong>der</strong> Synchronisation erträgt <strong>der</strong> Kollegedie Stille nicht und legt Rauschen drunter („Statisch-Innen“).Vor allem von Auslandskorrespondenten – aber auch im Inland – werdenProducer eingesetzt: Das sind halbjournalistische Mehrzweck-Mitarbeiter.Sie recherchieren, drehen – und machen manchmal halbe Filme.Treffen flotte Producer auf faule Journalisten mit mangelhafter Berufsauffassung,entstehen journalistische Desaster.Recherchemethoden von Producern werden oft nicht überprüft. Waszählt, ist allein ein Ergebnis. Der Journalist denkt sich seinen Teil, erteilteinen Drehauftrag und los geht’s. Natürlich wird <strong>der</strong> Producer alles tun,damit das Drehergebnis den vorherigen Vorstellungen <strong>des</strong> Herrn Redakteurs,<strong>der</strong> Frau Redakteurin entspricht.Der Fall <strong>des</strong> größenwahnsinnigen Michael Born ließ Folgen <strong>des</strong>Producer-Unwesens ausnahmsweise offenbar werden 7 – ohne, dass tiefeKonsequenzen feststellbar wären. Vom Titel <strong>des</strong> renommierten„Jahrbuchs Fernsehen 2001“ darf exklusiv Günter Jauch lächeln. JenerJauch, <strong>der</strong> nicht nur begnadeter Unterhaltungsmo<strong>der</strong>ator ist, son<strong>der</strong>n<strong>der</strong> als Chef <strong>der</strong> laxen „Stern TV“-Redaktion die übelsten Manipulationenvon Michael Born zu verantworten hatte 8 .QualifikationWeil Fernsehen beson<strong>der</strong>s arbeitsteilig ist, erfor<strong>der</strong>t es von Journalistenbeson<strong>der</strong>e Qualifikationen. Zeitmanagement wird komplizierter, je mehrProduktionsstufen es gibt. Fernsehjournalisten müssen in <strong>der</strong> Lage sein,die verschiedenen technisch komplexen Produktionsschritte zu durchschauen.Sie müssen neue Techniken fortlaufend erlernen. Sie müssenkostenbewusst sein und große Beträge verantwortungsvoll einsetzen.Sie müssen unter Druck wechselnde Teams anleiten können – zu Beginnoft aus <strong>der</strong> Rolle <strong>des</strong> Jüngsten im Team. An<strong>der</strong>s als Radio- und Print-Kollegensetzen Fernsehjournalisten Informationen zusätzlich in Bil<strong>der</strong> um –sie sollten also visuell und abstrakt denken können. Ihre Stimme müsstebrauchbar sein. Sie sollten adrett auftreten und einigermaßen parkettsichersein. Sie müssen gut und flott recherchieren und Informationenverarbeiten können. Sonst können sie dem Aktualitätsdruck vonKollegen an<strong>der</strong>er Medien nicht standhalten, bei denen nicht ein Gutteil<strong>der</strong> Arbeitszeit für Dispositionen draufgeht. Sie sollen Berufserfahrung,abgeschlossenes Studium, Volontariat und Führerschein haben.Wo gibt es solche Superfrauen und -männer? Nirgends! Natürlich habenFernsehleute hier und da und dort Defizite. Mancher und manche istbesser im Beschaffen und Gestalten von Bil<strong>der</strong>n als im Einordnen vonInhalten. Es kommt vor, dass bei den journalistischen Grundlagen, bei<strong>der</strong> Berufsauffassung und <strong>der</strong> Reflexionsfähigkeit Mangel herrscht. Wennsonst alles stimmt, finden auch solche Kollegen und Kolleginnen ihrePlätzchen beim Fernsehen.Aktuelles Fernsehen ist schnelles Geschäft. Es lockt wenig Dichter undDenker an. Eher mögen vorbehaltlose Einsatzfreude, Flexibilität, einHauch Oberflächlichkeit und eine Prise Eitelkeit vorherrschen. In solchenStrukturen ist das Bedürfnis nach Selbstkritik und Reflexion gering.Hinzu kommt Zeitdruck. Viele Fernsehleute machen sich nicht klar, dasses nicht darum gehen kann, <strong>der</strong> rasend schnellen Nachrichtenlage ausPresseagenturen möglichst schnell hinterher zuhecheln. Son<strong>der</strong>n esmuss darum gehen, mit den Mitteln <strong>des</strong> Fernsehens möglichst guteBerichterstattung schnell auf die Beine zu stellen.Oft brandet auch fremdproduzierter Zeitdruck auf Fernsehjournalistenein: Planer, Chefs vom Dienst und Redaktionsleiter sind auch nichtimmer diejenigen, die Fernsehfilme von vorn bis hinten wohl erwägen.Vielmehr orientieren sich Vorgesetzte auch gern an <strong>der</strong> Konkurrenz:Wenn im Programm X dies und jenes läuft – „Warum haben wir dasnicht?“. Da interessiert nicht beson<strong>der</strong>s, daß die X-Leute manipuliertesMaterial verwendet haben und selbst nie am Drehort gewesen sein können.„Starke Bil<strong>der</strong>“ <strong>der</strong> Konkurrenz drücken auch Interesse an eigenen„starken Inhalten“ weg.Die Mischung aus Bil<strong>der</strong>wahn und Zeitdruck trägt zum Phänomen „overnewsed,but not informed“ bei. Fernsehjournalismus hat sich in <strong>der</strong>Praxis immer weiter von <strong>der</strong> intellektuell zu verarbeitenden Information2425


fortentwickelt. Er verkommt zusehends zu pittoresker Oberflächlichkeit.Unreflektierte Jagd nach Bil<strong>der</strong>n verhin<strong>der</strong>t auch ruhiges Nachdenkenüber die journalistische Aussage <strong>des</strong> geplanten Filmberichts.Angesichts <strong>der</strong> zahlreichen beschriebenen Einflüsse und Widrigkeitenmag <strong>der</strong> Eindruck aufkommen, dass konsequente, verantwortungsvolleredaktionelle Arbeit kaum stattfindet. Das ist nicht so. Hier sind lediglichdie üblen Einflüsse aus <strong>der</strong> Praxis zusammengestellt worden.Woraus sich freilich ergibt: Für gute Fernsehnachrichten sind große Ressourcennötig – Studios im Inland und Ausland, kompetente, selbstbewussteJournalisten, gute Kamerateams und solide Cutter und Producer.Letztlich ist und bleibt <strong>der</strong> Autor eines Fernsehfilms allein verantwortlich:Es ist seine ureigene Aufgabe, verantwortlich zu recherchieren, dieErgebnisse kompetent zu wichten und in vernünftige, realistische Bil<strong>der</strong>umzusetzen. Fernsehjournalisten müssen alle Produktionsschritte redaktionellkontrollieren. Sie müssen es können, sie müssen es wollen undsie müssen es tun.immer Nester, in denen nur edelster Journalismus ausgebrütet wird. Esfinden sich hier aber Orte, an denen professionelle Kompetenz und nichtnur hektisches Produzieren geför<strong>der</strong>t wird; wo inhaltliche und gestalterischeDiskussionen stattfinden und wo Redaktionsleiter Brandmauerngegen manipulative Einflüsse errichten. Wenn es sie überhaupt gebensoll, dann werden gute aktuelle Sendungen auf Dauer Domäne öffentlich-rechtlicherSen<strong>der</strong> bleiben.Gute Fernsehnachrichten leben eben nicht von hektischem Abspielenirgendwelcher Bil<strong>der</strong>, von flotten Spekulationen, sich überschlagendenReporterstimmen und dem neuen Wahn, sofort und ständig Satelliten-Übertragungswagen loszujagen. Die benchmark heißt nicht CNN, son<strong>der</strong>nes ist die alte BBC. Gute Fernsehnachrichten leben von gutenJournalisten, vom Vertrauen <strong>der</strong> Zentralredaktionen in die eigenenKorrespondenten und von kritischer Betrachtung – <strong>der</strong> Welt und <strong>der</strong>eigenen Arbeit.Chance <strong>der</strong> Öffentlich-RechtlichenDie privatwirtschaftlichen Sen<strong>der</strong> werden aus Kostengründen auch aufDauer nicht mithalten können und wollen. In kleinen Nachrichten- undWirtschaftskanälen lesen Sprecher im Wesentlichen Agenturmeldungenvor und hin und wie<strong>der</strong> läuft (Footage-) Material zur Bebil<strong>der</strong>ung. Dasist noch lange kein Fernsehen, son<strong>der</strong>n Radio mit Bild. Es kann aberdurchaus seriöses Bil<strong>der</strong>-Radio sein.Große privatwirtschaftliche Sen<strong>der</strong> präsentieren ihre „News-Shows“ dagegenmit enormem Aufwand an Grafik, elektronischem Trick und Studiodekoration.Viel mehr als flotte Agenturbil<strong>der</strong> und Agenturmeldungen istaber auch nicht drin. Zusammengestellt von überfor<strong>der</strong>ten, überarbeitetenund oft min<strong>der</strong> qualifizierten Journalisten – mit allen beschriebenenManipulationsproblemen. Thematisch sind <strong>der</strong>lei Sendungen wesentlichauf optische Themen beschränkt: Ereignisse, bei denen es kracht undqualmt, bei denen Totgefahrenes o<strong>der</strong> Abgestürztes zu sehen ist.Öffentlich-rechtliche Sen<strong>der</strong> haben dagegen eine öffentlich finanzierteAufgabe. Zu ihr gehört, auf hohem Niveau mit qualifiziertem Personalund großen Produktionsmitteln aus dem In- und Ausland eigenständigrecherchierte und gestaltete Nachrichtenfilme anzubieten. Es ist nichtalles Gold, was glänzt. Mit Blick auf manch schillernde „News-Show“kann man sagen: im aktuellen Geschäft – ganz im Gegenteil! Natürlichsind öffentlich-rechtliche Redaktionen nicht automatisch stets und1Dr. Ingo Nathusius, geboren 1960, ist Redakteur beim Hessischen Rundfunk in Frankfurt am Main2Vergl. Manz, Ulrich: Die CNN-Wahrheit, in: Der Tag, HR 1, 12.10.2000/ Rößler, Hans-Christian: Krieg<strong>der</strong> Bil<strong>der</strong>, in: F.A.Z., 28.11.01/ Schapira, Esther: Das rote Quadrat: Gaza – 3 Kugeln und ein totesKind, in: ARD, 18.3.023Pleitgen, Fritz: Sache <strong>des</strong> Volkes, in: F.A.Z., 5.1.024Die permanente Behauptung, PR-Leute seien „ja auch Journalisten“, die „nur auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>enSeite <strong>des</strong> Schreibtischs“ säßen, mag eine Rolle spielen.5Es ist wesentliche Aufgabe von Presse und Rundfunk, den Staat mit zu kontrollieren. Dabei gibtes keine Son<strong>der</strong>regeln für Staatsunternehmen in privatrechtlichem Kleide. Denn es obliegt alleindem Staat, ob er seine Aktivitäten als Eigenbetrieb, Regiebetrieb o<strong>der</strong> Aktiengesellschaft betreibt.Teil von Rundfunkfreiheit ist es, Fernsehbil<strong>der</strong> selbst zu gewinnen. In diesem Lichte ist es für einStaatsunternehmen rechtlich problematisch, <strong>der</strong> Presse mit „Footage“ manipulativ zu begegnen –auch wenn die es mit sich machen lässt. Das gilt allemal für Entscheidungen, die politisch strittigsind. Zudem ist es im Lichte <strong>des</strong> Artikels 5 Grundgesetz (Presse- und Rundfunkfreiheit) und <strong>der</strong>ergänzenden Rechtsprechung <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>verfassungsgerichtes zweifelhaft, ob das Betreiben vonFernsehstudios und Herstellen von Footage überhaupt in staatliche Kompetenz fällt.6Interessant wäre auch rundfunk-aufsichtlich zu untersuchen, inwieweit es den Sendegenehmigungenvon Fernsehunternehmen entspricht, wenn Unternehmensvideos ohne Hinweis als journalistischeBeiträge gesendet werden.7Vergl. Born, Michael: Wer einmal fälscht... Die Geschichte eines Fernsehjournalisten, Köln 19978Lilienthal, Volker: Im Zeugenstand: die Ahnungslosen, Nachwort in Born, a.a.O., S. 183 bis 215,hier S. 197 ff.2627


POLITIKVERMITTLUNG IM TAL DER UNTERHALTUNG.DIE ENTSCHEIDUNGSSCHWÄCHE DER PARTEIENBEGÜNSTIGT DIE FLUCHT IN EINE MEDIALEERSATZWELTThomas LeifMedienpräsenz – die Währung <strong>der</strong> Politik„Die Möglichkeiten<strong>der</strong> klassischen Kommunikationsind erschöpft“– so lautetedie kühl bilanzierendeBotschaft <strong>der</strong> „Worldof Events“, die AnfangMärz 2002 in Wiesbadendie Innovationen<strong>der</strong> „Event-Branche“zelebrierte.Mit Emotionen wolleman künftig Produkteverkaufen und Kunden binden; die unmittelbare Zielgruppenansprachesei angesagt. Die Marketing-Experten haben den Bogen raus, riechenfrüher als an<strong>der</strong>e die Trends <strong>der</strong> Spaßgesellschaft. Ihr Motto: „DerMarktplatz <strong>der</strong> Emotionen – o<strong>der</strong> Basis für Business.“Weil Politik schon längst mehr mit Marketing als mit Substanz, Werten,Haltungen o<strong>der</strong> gar Visionen zu tun hat, kann <strong>der</strong> Ausflug auf dieWiesbadener Event-Messe durchaus den Horizont erweitern. Denn esgibt ein viel dichteres Verhältnis zwischen Politik und Unterhaltung, alsselbst die bildungsbürgerlichen Skeptiker ahnen.Drei Tendenzen prägen den politischen Betrieb:(1) Politik ist ein zähes, schwerfälliges, kompliziertes, verschachteltesund meist sehr belasten<strong>des</strong> Geschäft. Die handelndenAkteure – selbst im Bun<strong>des</strong>tag – kennen ihre Grenzen. Das Ende <strong>der</strong>Politik und die Dominanz <strong>der</strong> Ökonomie wird nicht nur aufAkademietagungen thematisiert. Der tägliche Politikbetrieb, die unendli-che Papierproduktion, die oft unkoordinierten Sitzungen bis tief in dieNacht, das Gefühl <strong>der</strong> Ohnmacht und <strong>der</strong> Einflusslosigkeit, <strong>der</strong> Druck <strong>der</strong>Überfor<strong>der</strong>ung und <strong>der</strong> Inkompetenz, die Abhängigkeit von Fraktionsspitzeno<strong>der</strong> Ministern – all das lässt sich schlecht vermitteln. Viele relevanteEntscheidungen spielen sich im Verborgenen – hinter den Kulissen– unter dem bestimmenden Einfluss von Ministerialbürokratie und mächtigenLobbygruppen ab. Ein früherer Direktor einer Lan<strong>des</strong>zentrale fürpolitische Bildung hat im Lichte von dreißig Jahren aktiver Politikerfahrunggesagt, es sei durchaus rational, sich nicht politisch zu engagieren.(2) Die Folge aus diesem Politikbetrieb, in dem die Wirtschafts-Lobby faktisch den Ton angibt und mit ihrem „Ökonomisierungs- undPrivatisierungsdiskurs“ schon längst Querschnittspolitik betreibt, ist einZuwachs von „Darstellungspolitik“ – gleichsam <strong>der</strong> Ersatz für die klassischePolitikvermittlung. Der DGB-Vorsitzende Sommer hat bei seinerersten öffentlichen Präsentation die „Meinungsführerschaft“ <strong>der</strong>Wirtschaftsverbände beklagt. Ihnen sei es gelungen, ihre „ökonomischenInteressen“ in <strong>der</strong> Öffentlichkeit als „allgemeine Interessen“ darzustellen.Warum dies dem Unternehmerlager gelungen ist – darüber hat<strong>der</strong> Gewerkschaftsführer nichts gesagt. Nicht nur Minister, Ministerpräsidentenund Oberbürgermeister verlegen sich auf Grund reduzierterHandlungsspielräume zunehmend aufs Repräsentieren, hecheln vonTermin zu Termin, haben kaum Zeit zum Denken o<strong>der</strong> gar die Muße, einProblem wirklich zu durchdringen. Um gleichzeitig ihre Bedeutung zuunterstreichen, suchen sie das Licht <strong>der</strong> Öffentlichkeit, die Beachtung<strong>der</strong> Medien. Denn allein Medienpräsenz bietet heute die Legitimationsgrundlagefür den politischen Betrieb. Medienbeachtung ist dieWährung, in <strong>der</strong> politischer Erfolg gemessen wird; sie ist dieOrientierungsmarke, in <strong>der</strong> sich Beliebtheit und Bekanntheit in denwöchentlichen Rankings spiegeln. In unserer „Erfolgsgesellschaft“ werdendie Medien folglich auch Fluchtpunkt für Politiker, die mit Medienpräsenzihre eigene Ohnmacht überspielen.(3) Die Tendenz zur Medien-Sucht haben die Akteure auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>enSeite längst erkannt. Der Medienforscher Horst Röper hat dasAbhängigkeitsverhältnis kürzlich ganz nüchtern skizziert und <strong>der</strong> ARD-Kamera erzählt, dass „die Medienkonzerne einflussreicher sind als dieParlamente.“ Auch <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>tagspräsident hat wie<strong>der</strong>holt denEinflussverlust <strong>der</strong> Parlamente gegenüber den „Talkshows“ beklagt.Dabei haben wir in Deutschland eine auf den ersten Blick paradoxeSituation: Der Medienmarkt ist in den vergangenen Jahren explodiert2829


und gleichzeitig haben sich zwischen den Print-, Hörfunk- und Fernsehmärktenunbemerkt gewaltige Konzentrationsprozesse vollzogen.Diese kämpfen unter enormem Konkurrenzdruck um die Gunst <strong>der</strong>Werbekunden und <strong>der</strong> Zuschauer, Zuhörer und Leser – bevorzugt in <strong>der</strong>von <strong>der</strong> Werbewirtschaft ikonisierten jungen, konsumstarken Zielgruppeunter 40 Jahren.Diese drei Tendenzen in <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>republik greifen wie ein großesZahnrad ineinan<strong>der</strong> und bedingen sich wechselseitig. Es gibt eine konsistenteLinie, die vom blockierten Politikbetrieb zur Ersatzfunktion <strong>der</strong>medialen Präsenz und schließlich zur Verkürzung <strong>der</strong> Realität führt.Zugespitzt lautet die These, dass die Entscheidungsschwäche <strong>der</strong> Politikdie Flucht in die mediale Welt begünstigt und die daraus entstehendeRealitätsverkürzung ein verzerrtes Bild von Politik und Gesellschaft bietet.Der Kanzler hat dies anschaulicher ausgedrückt, als er von dem politikbestimmendenDreieck „BILD, BAMS und GLOTZE“ sprach. Es erscheintalso nicht übertrieben, wenn wir heute von <strong>der</strong> „Medien-Demokratie“sprechen, in <strong>der</strong> die parlamentarische Demokratie aufgegangen ist. Diessteht zwar noch nicht in den Sozialkundebüchern und auch nicht in denSchriften <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>zentrale für politische Bildung. Ulrich Sarcinellisieht die Parteiendemokratie nach dem exemplarischen Studium <strong>des</strong>NRW-Wahlkampfes 2000 lediglich „auf dem Weg zur Mediendemokratie“.Aber – jenseits von Düsseldorf – werden selbst die Akteure im BerlinerReichstag <strong>der</strong> eindeutigen Tendenz zur medienbestimmten Demokratienicht wi<strong>der</strong>sprechen. Die Vizepräsidentin <strong>des</strong> Deutschen Bun<strong>des</strong>tages,Antje Vollmer, plädiert dafür, dass die Politik ihr Verhältnis zu den Medienneu bestimmt. Und empfiehlt, „die Medien als eigenständigeMachtsphäre statt als verlängerten Arm <strong>des</strong> Politischen“ zu begreifen.Dieser überfällige Diskurs-Prozess würde zumin<strong>des</strong>t die Lage in <strong>der</strong>Berliner Mitte verklaren.Aufmerksamkeit – das umkämpfte GutAber was bedeutet dies für die politische Kompetenz in unserem demokratischenGemeinwesen? Eigentlich ist dies eine Frage, die sich garnicht mehr stellt, denn die nüchternen Fakten belegen, dass dies eineRandfrage ist. Seriöse sozialwissenschaftliche Untersuchungen habenübereinstimmend herausgefunden, dass es mit dem politischen Interesse– <strong>der</strong> Voraussetzung für kompetentes Handeln – nicht so weither ist: Es gibt nach internen Studien <strong>des</strong> Instituts polis für den SPD-Parteivorstand ein Prozent an Politik Hochinteressierte, 10 ProzentInteressierte, 15 Prozent mäßig Interessierte und schließlich 75 Prozentkaum o<strong>der</strong> gar nicht an Politik Interessierte. Eine diffuse Unzufriedenheitprägt also den Wählermarkt. Die Grundaussage dieser Untersuchungenwird von manchen Wahlforschern bestritten; sie sehen eine florieren<strong>der</strong>epolitische Landschaft.Die aktuellen Befunde über die Aktivitäts-Dichte von Parteimitglie<strong>der</strong>nergänzt dieses Zahlenraster zur Bestimmung deutscher Realität. Bislangbilanzierte man – optimistisch gerechnet – etwa 9 Prozent Aktive in denParteien. Insi<strong>der</strong> sprechen maximal von <strong>der</strong> Hälfte. Der Spruch „DieTalkshow ersetzt den Ortsverein“ erfährt durch die Studie <strong>des</strong> SPD-Parteivorstands zur Anatomie <strong>der</strong> Unterbezirke eine eindrucksvolleBestätigung. Sowohl SPD als auch CDU gehen mittlerweile auf <strong>der</strong>Grundlage empirischer Studien von einem Stammwählerpotential vonum die 10 bis 12 Prozent aus. Damit sind „harte“ Stammwähler gemeint.Dazu kommt ein Sockel von Sympathisanten, die „wahrscheinlich“ ihreStammpartei wählen, aber bereits bei an<strong>der</strong>en Wahlen ausgeschert sind.Ein an<strong>der</strong>er Flügel erfahrener Wahlforscher schätzt das Verhältnis zwischenStamm- und Wechselwählern an<strong>der</strong>s ein. Hier wird ein Verhältnisvon etwa 60 zu 40 angegeben. Folgt man trotzdem den Studien <strong>des</strong>SPD-Parteivorstands und <strong>der</strong> Konrad-Adenauer-Stiftung, heißt das zugespitzt:Etwa 80 Prozent <strong>der</strong> Wähler <strong>der</strong> Parteien empfinden durch diegeleistete Politik keine stabile Bindewirkung. Die wachsende Zahl <strong>der</strong>daraus resultierenden Wechselwähler irritiert die Politiker und stärktgleichzeitig den Einfluss und die Auftragslage aller Marketingexperten.Denn mit Marketing – nicht mit wegweisenden Konzepten – sollen dieflexiblen Bürger im launigen Wechselklima gewonnen werden. DerMarketing-Koffer <strong>der</strong> sogenannten Experten ist immer gleich bestückt:Ihnen geht es um die Produktion von geschickt inszenierten Bil<strong>der</strong>n,Stimmungen, Emotionen, die Zustimmung – wenigstens für die geradeanstehende Wahl – produzieren sollen. Der Gefühlseindruck muss stimmen,nicht das Handlungskonzept für eine politische Richtung.Im Lichte dieses Interessenpegels und eingebettet in eine permanenteReizüberflutung und Aufmerksamkeits-Beanspruchung <strong>der</strong> Wählersuchen Politiker folglich nach Momenten <strong>der</strong> Publikumszuwendung zwischenReklame, Kino, Musik, Konzerten etc. im KonsumparadiesDeutschland. Die Folge aus diesem Problemrelief ist, dass Politikerauch auf die Unterhaltungsbühne treten müssen, um überhaupt wahrgenommenzu werden. Auffällig ist, dass etwa für die Einladung inTalkshows immer noch <strong>der</strong> Faktor Prominenz entscheidend ist. Mehr alsdie Hälfte aller Auftritte im Jahr 2000 entfielen auf lediglich 20 Politiker,3031


ermittelte das Kölner Institut für empirische Medienforschung. DieZuschauer bemängeln zwar die „Selbstinszenierung“ von Politikern undauffällig auch die mangelnde Kompetenz <strong>der</strong> „Talkmaster“ – dies scheintaber den Konsum <strong>der</strong> Shows nicht zu beeinträchtigen. Tissi Bruns von<strong>der</strong> „Welt“ hat die Lage so zusammengefasst: „Die Medien (reagieren)immer überhitzter, die Politiker immer flacher, das Volk wird immer dümmer,weil alle Politik zur Unterhaltung, zum Schlagabtausch nach Reiz-Reaktions-Schema“ wird. Wir haben es also – zugespitzt – mit einer kleinenInformationselite und einem großen, wahlentscheidenden Unterhaltungs-Proletariatzu tun.Politikvermittlung – Die Erotik <strong>des</strong> OberflächenreizesAber auch die Bürger fliehen zunehmend in ihr visuelles Unterhaltungsparadies.Selbst journalistische Enthüllungen werden in diesem Klimagelegentlich zu einer weiteren Spielart <strong>der</strong> Unterhaltung. Auch dieNachrichtenproduktion in Deutschland hat sich dem Trend zum Entertainmentangepasst. Der Rausch <strong>der</strong> Nachrichtenbil<strong>der</strong> aus aller Weltwird nicht selten zu einem Bil<strong>der</strong>cocktail vermengt, <strong>der</strong> kaum mehretwas vermittelt, aber das gute Gefühl hinterlässt, man wisse ja, wasgerade rund um den Globus passiert. Nicht nur mit „mo<strong>der</strong>iertenNachrichten“ haben sich die Medien auf die Bedürfnislage <strong>des</strong> Publikumsund die gleichzeitige Randlage <strong>der</strong> Politik eingestellt.Folgende Trends fügen sich zu einem elektronischen Testbild zusammen:* Es gibt eine Komplexitätsfalle, <strong>der</strong> man selbst in journalistischenFormaten entgehen will. Politik soll Spaß machen, persönlichnachvollziehbar sein, betroffen machen. Eine Vereinfachungsspiraledreht sich mit beeindruckendem Tempo immer weiter. In Kursen zumThema Boulevard-Journalismus für Politikjournalisten (in <strong>der</strong> ARD) wird<strong>des</strong>halb auch konsequent die erlösende Losung vermittelt:„Informations-Reduzierung bedeutet Quotensteigerung.“* Hier schließt sich eine Personalisierungsfalle an. Themen, die keinedurchgehende Personalisierung zulassen, fallen durch das Raster <strong>der</strong>„Planer“, die formatgerechte Kriterien erfüllen müssen. Die Expansion<strong>der</strong> Talkshows auf allen Kanälen und Wellen stützt diesen Trend. Auffälligist hier, dass es eine Korrelation gibt zwischen <strong>der</strong> Bereitschaft vonPolitikern, an „weichen Sendungen“ von Kerner bis Christiansen teilzunehmen,und gleichzeitig konventionelle Interviewwünsche politischerMagazine abzulehnen.* Im Sog <strong>der</strong> Service-Orientierung ist eine Nutzwertfalle festzustellen.Die Kriterien, wann ein Thema zur Nachricht o<strong>der</strong> zum vertiefendenBericht wird, haben sich in den vergangenen Jahren grundlegend geän<strong>der</strong>t.Statt <strong>der</strong> üblichen Relevanzkriterien geht es nun um Gesprächswert,Nutzwert, Unterhaltungswert einer Nachricht. Der Informationswert– im politischen Sinne – gerät in eine Randposition. In seiner fortgeschrittenenVollkommenheit ist diese Tendenz in den Privatradios anStandorten mit hoher Konkurrenz – wie etwa Berlin – hörbar: die Ergebnisse<strong>der</strong> geistigen Selbstverdünnung zwischen Quiz, Hits und Clips.Aber auch die populären Wellen <strong>der</strong> öffentlich-rechtlichen Konkurrenzbewegen sich mitten in dieser Konkurrenzspirale. Mit wachsendemPublikumserfolg, was die Hörer-Resonanz angeht; dies weist die jüngsteMedia-Analyse aus. Kein Wun<strong>der</strong>: Beide Systeme beschäftigen seitJahren die gleichen Beratungsfirmen, die den Radiomarkt – von denKultur- und Infowellen abgesehen – normiert haben. Die alte „Konvergenz-These“– also die erwartete Anpassung <strong>der</strong> beiden Systeme inInhalt, Stil und Anmutung – wird heute wohl niemand mehr ernsthaftbestreiten. Alle Medien bedienen sich im Supermarkt <strong>der</strong> Wirklichkeitund haben dabei einen beson<strong>der</strong>en Blick auf das Leichte, Seichte,Schräge und natürlich Unterhaltsame.* Zu all diesen Tendenzen kommt – sozusagen als verbinden<strong>des</strong> Gliedzwischen Politik und Journalismus – die Kompetenzfalle. Nicht wenigeprofessionelle Beobachter haben bemerkt, dass Politiker in <strong>der</strong> Regelden Journalisten überlegen sind. Sie haben meist „leichtes Spiel“ mitJournalisten, die froh sind einen „Soundbite“ abzufangen und den dannin <strong>der</strong> Redaktion abzuliefern. Insgesamt gibt es die Tendenz – vor allemin den elektronischen Medien – hin zum Producer, <strong>der</strong> Themen nach Vorgabeumsetzt und überhaupt kein Interesse mehr an eigener Einordnungo<strong>der</strong> gar individueller, aus Erfahrung gespeister Kommentierung hat.* Ergänzt wird dieser Werkstattbericht durch zunehmende Bemühungen<strong>der</strong> Pressestellen und beauftragten PR-Agenturen in den Prozess <strong>des</strong>Agenda-settings und Agenda-cuttings einzugreifen. Das bedeutet: DasAusmaß an gesteuerter und blockierter Information wird immer größer.Die Medienprofis verfolgen das Ziel <strong>der</strong> Erwartungs-Steuerung <strong>des</strong>Publikums. Kombiniert wird dieser Trend mit dem Bemühen <strong>der</strong> Themenausblendungund <strong>der</strong> Themenausstattung mit einem bestimmten, vorhergeplanten „wording“. Dass dies funktioniert, beweisen die täglichen,knappen „statements ohne Nachfrage“ <strong>der</strong> wichtigsten Akteure in denelektronischen Medien.Die Hektik <strong>des</strong> Politikbetriebs in Berlin verschärft diesen Trend zur3233


Oberflächlichkeit. Professionelle Medienstrategen konzentrieren sich beiihrem Geschäft gerne auf die mächtigen Nachrichtenagenturen und dierelevanten Fernsehkanäle und versuchen über sie ihre Botschaften zuplatzieren. Gegen die Macht <strong>der</strong> Agenturen kommt dann selbst ein gutwilligerund kompetenter Hörfunkredakteur nicht mehr an. Die Zentralenstützen sich in <strong>der</strong> Praxis in <strong>der</strong> Regel allein auf das Agenturmaterial.Zu dem Spiel auf <strong>der</strong> Medienbühne gehören auch <strong>der</strong> rasche Wechselvon Themen, die kaum aufgeworfen – in <strong>der</strong> Fachsprache heißt das„angeteast“ – sind und schon wie<strong>der</strong> von <strong>der</strong> Agenda verschwinden. Esgibt also einen großen Themenverschleiß; die Spirale <strong>des</strong> aktuellen„News-Durchlaufs“ dreht sich immer schneller. Nur wenige Themen könnensich mittel- und langfristig „halten“, meist nur, wenn ihre Sinnstruktureinfach ist und gleichzeitig polarisiert zwischen den politischenLagern diskutiert wird. Was wichtig und was unwichtig ist, welcheThemen interessieren und welche langweilen, geht immer wie<strong>der</strong> auf diein <strong>der</strong> „Quote“ gemessene Zuschauer- o<strong>der</strong> Zuhörer-Resonanz zurück. ImPrint-Bereich entscheiden die Auflagenzahlen. Rein quantitative Kriterienbestimmen den Platz im journalistischen Angebot. Wie fragwürdig dieReduzierung allein auf die Quote ist, zeigt das Beispiel <strong>des</strong> ZDF-Morgenmagazins,das auch in <strong>der</strong> ARD ausgestrahlt wird. 2001 erreichte es in<strong>der</strong> ARD einen Marktanteil von 16,2 - im eigenen Kanal nur von 7 Prozent.Der Trend zur Unterhaltung hat in den elektronischen Medien aber nocheinen an<strong>der</strong>en simplen Grund. Talk-Formate, Call-In- und Service-Sendungenaller Art sind billiger zu produzieren. Da auf Grund teurer Show-Sendungen, explodieren<strong>der</strong> Sport- und Spielfilmrechte etc. die Budgetsimmer knapper werden, geraten journalistisch aufwändigereProduktionen immer stärker in den Hintergrund. Die immer wie<strong>der</strong> aufkeimendeDiskussion über die Reduzierung <strong>der</strong> politischen Magazine in<strong>der</strong> ARD ist ein Sinnbild für diesen Medientrend.Themensetzung – die feinen Filter <strong>der</strong> MedienFür die politische Kommunikation bedeuten all diese ineinan<strong>der</strong> greifendenProzesse zunächst einmal eine Vereinheitlichung <strong>der</strong>Kommunikationsangebote und eine Verzerrung <strong>der</strong> politischen Realitätdurch die Betonung einfacher, eingängiger, unkomplizierter Stoffe. Diehintergründige, stimmige, analytisch eingeordnete Information in denMassenmedien wird Mangelware. Dies betrifft vor allem den flüchtigenMassenkonsum; selbstverständlich gibt es ein überragend gutes Informationsangebotin den 2. Hörfunkprogrammen, im Fernsehen nachMitternacht o<strong>der</strong> aber im Print-Sektor in den Qualitätszeitungen. Imeuropäischen Vergleich nimmt <strong>der</strong> Qualitäts-Sektor immer noch eine führendeStellung ein.Die wichtigste Erkenntnis aus diesen Medientendenzen ist aber einean<strong>der</strong>e Tagesordnung <strong>der</strong> Politik. Die Medienresonanz und die Medienthematisierungwerden zur bestimmenden Größe <strong>der</strong> Politikgestaltung.Die Abbildung in den Medien hat eine Ersatzfunktion, die den engenGestaltungsspielraum im politischen Geschäft kompensieren soll.Die Medien geben also mit ihren oben skizzierten Filterprozessen dieRichtung im öffentlich beachteten Politikprozess an. Die Medien bestimmenmit ihrer inneren Logik überwiegend die Agenda, nicht die Politikselbst. Nur was in den Medien behandelt wird, ist überhauptGegenstand öffentlicher Debatten und damit <strong>der</strong> Politik.Dies führt im Umkehrschluss dazu, dass die politischen Akteure zunehmendweniger auf ihre eigenen Wurzeln, Ideen und Konzepte vertrauen,son<strong>der</strong>n bereits in <strong>der</strong> ersten Stufe <strong>der</strong> Entwicklung politischer Überlegungenan den medialen Wirkungshorizont denken. Kommt dieses o<strong>der</strong>jenes an o<strong>der</strong> fällt For<strong>der</strong>ung X und Konzept Y schon durchs (vermutete)Raster <strong>des</strong> Möglichen?Natürlich haben die Akteure in <strong>der</strong> politischen Arena einen erheblichenEinfluss auf die Themensetzung. Über die Ausgestaltung eines Themasim Wechselspiel mit den Medien entscheiden sie aber nicht selbst. In <strong>der</strong>Studie zur „Mediendemokratie“ im Auftrag <strong>der</strong> NRW-Lan<strong>des</strong>anstalt fürRundfunk wurde beispielsweise herausgefunden, dass die Wahlkampfmanagerverstärkt versucht hatten, fernsehgerechte Ereignisse zuinszenieren. Auffällig war, dass die Journalisten mit den Parteien deutlichkritischer als mit den Kandidaten umgegangen seien. Diese journalistischeAkzentuierung schlägt sich dann auch in den besserenSympathiewerten <strong>der</strong> Kandidaten gegenüber den Parteien nie<strong>der</strong>.Die Medien haben auf Grund ihrer Filterfunktion – wer und was kommtan – folglich auch einen indirekten Einfluss auf die Personal-Rekrutierung <strong>der</strong> Parteien. Der Faktor „Tele-Charisma“, Inszenierungsfähigkeit,Medien-Vertrautheit etc. wird immer wichtiger. Auch hierentstehen versteckte Verzerrungen, die bislang kaum untersucht wurden.Der Aufstieg Guido Westerwelles zum FDP-Vorsitzenden o<strong>der</strong> die relativstarke Rolle <strong>des</strong> liberalen Medien-Experten Jürgen Möllemann illustrierendiese Tendenz. Zugespitzt kann man bilanzieren: Die Schwäche <strong>der</strong>Parteien, die sich einhegen und gelegentlich einspannen lassen, istgleichzeitig die Stärke <strong>der</strong> Medien.3435


Inszenierung – das Wechselspiel zwischen Politik und MedienWem nützt all das? Auffällig ist, dass sich die Politik nicht über die skizzierteMachtverschiebung beschwert, son<strong>der</strong>n sich dieser Logik weiteranpasst. Als Anfang Januar 2002 die CSU in Kreuth zusammentraf, eröffnetedas „heute-journal“ seine Berichterstattung mit dem skifahrendenCSU-Politiker Peter Ramsauer. Dieser kommentierte seine „Inszenierung“später noch im Detail. Nach dem Motto: Wäre er nicht mit den Skierngefahren, hätte man doch sicher nicht berichtet. Auch <strong>der</strong> CSU-Generalsekretär Thomas Goppel philosophierte vor laufenden Kamerasüber das Medienpotential, das in <strong>der</strong> K-Frage angelegt sei.Man mache sich so interessant und habe da von <strong>der</strong> SPD gelernt. Derinterne Wahlkampf wird selbst Thema im Vor-Wahlkampf. Die Politik, diefür die Medien inszeniert, und die Medien, die die Politik aufInszenierung trimmen: ein funktionieren<strong>des</strong> Wechselspiel in <strong>der</strong>Mediendemokratie. Offene Inszenierung gehört also zum Alltagsgeschäft.Ganz gleich ob Cem Özdemir als Mode-Modell in Anzeigen und Spotsposiert (wie zuvor Gerhard Schrö<strong>der</strong>, Gunda Röstel o<strong>der</strong> WolfgangSchäuble) o<strong>der</strong> Hinterbänkler im Bun<strong>des</strong>tag rote Laternen überreichenwollen o<strong>der</strong> Otto Schily sich bei <strong>der</strong> Übernahme <strong>der</strong> Berliner Pfer<strong>des</strong>taffel<strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>grenzschutzes als Pferdeflüsterer abbilden lässt. Diesymbolische Vermittlung von Politik wird aber auch auf <strong>der</strong> internationalenBühne gepflegt: Das demonstrative Händehalten von Ex-KanzlerHelmut Kohl und dem Französischen Staatspräsidenten FrançoisMitterrand auf dem Soldatenfriedhof von Verdun, <strong>der</strong> gemeinsameKneipenbesuch vom ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton und Bun<strong>des</strong>kanzlerGerhard Schrö<strong>der</strong>, aber auch die in deutsch gehaltene Rede<strong>des</strong> russischen Präsidenten Wladimir Putin vor dem Deutschen Bun<strong>des</strong>tagbelegen dies. Bill Clinton hat bewiesen, wie professionelle Fotos – etwagemeinsam mit dem damaligen südafrikanischen Präsidenten NelsonMandela – Botschaften setzen und den eigenen Marktwert heben können.Die Entdeckung <strong>der</strong> Kanzler-Verwandtschaft im Osten sollte die NäheSchrö<strong>der</strong>s zu den neuen Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong>n sinnlich vermitteln. SeineSommerreisen haben eine ähnliche Funktion wie die von <strong>der</strong> CDU inszenierten„Regionalkonferenzen“. All diese Elemente <strong>der</strong> Darstellungskunstgelten als Formen <strong>der</strong> Politikvermittlung. Die Platzierung von Plakaten,die nur einmal plakatiert, aber millionenfach in den Medien gedrucktwerden, sind die Spitze <strong>der</strong> Inszenierung. Weil sie kostengünstig undwirksam sind, gehören diese „Satelliten-Motive“ mittlerweile zum festenRepertoire <strong>der</strong> politischen Akteure.Zum Wechselspiel zwischen Journalisten und politischen Akteuren gehörenaber noch weitere Methoden, um die Verknüpfung von „Thema &Person“ durchzusetzen. Dazu kommt etwa die intensive Kommunikationmit den 12 bis 15 wichtigsten Journalisten (den Meinungsmachern) inBerlin. Fast täglich wird mit ihnen intensiv kommuniziert. Einzelne – wieetwa <strong>der</strong> begehrte FAZ-Redakteur Michael Inacker – erhalten dann schoneinmal „exklusiv“ vor dem SPD-Kongress zu „Mitte in Deutschland“ dasvorbereitete Strategiepapier <strong>des</strong> SPD-Generalsekretärs. Dieser Text wirddann entsprechend in <strong>der</strong> Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitunggedruckt und kommentiert. In diesem Wechselspiel mit dem ausgewähltenkonservativen Publizisten haben alle einen Nutzen: Die Medienhaben die „Exklusivität“ mit dem Nachhall in den Agenturen; dieInformationsvermittler bestimmen Timing und Platzierung.Dieses Wechselspiel und die erwartete Resonanz in den Medien habenauch Einfluss auf den Terminplan von Kongressen und Parteitagen.Nachdem die SPD-Kampa von den CDU-Plänen für eine „Ost-Initiative“erfuhr, platzierten sie ihren „Ost-Parteitag“ unmittelbar nach denbekannten Terminen, um so den „drive <strong>der</strong> Konkurrenz“ zu bremsen. DieEreignispPlanung entlang <strong>der</strong> erwarteten Medienresonanz <strong>des</strong>Wettbewerbers ist mittlerweile eine feste Größe. Selbst die Grünenbegannen ihren Programm-Parteitag Mitte März im grün erleuchteten3637


Tempodrom mit verfeinerten Medienstrategien. Und sie werden – umAufmerksamkeit zu produzieren – Themenwochen im Wahlkampf organisieren.Die Verknüpfung von Botschaften (Slogans) mit Personen undSituationen haben nun auch die Grünen auf ihrer Tagesordnung. Dochalle Akteure aus allen Lagern beklagen, dass das Organisations-Lernenim Medienfeld weit hinter den eigentlichen Erfor<strong>der</strong>nissen zurückliegt.Visualisierung – das Tempo <strong>des</strong> Leitmediums TV „Ein Bild sagt mehr alstausend Worte“ – diese Volksweisheit begründet den Boom <strong>der</strong> skizziertenBil<strong>der</strong>produktion zur Vermittlung politischer Botschaften. Eine Untersuchung<strong>der</strong> University of Columbia belegt, dass über die persönlicheAusstrahlung zu 55 Prozent nonverbale Signale und zu 38 Prozent dieStimme entscheiden. Nur zu 7 Prozent wirkt sich <strong>der</strong> Inhalt in <strong>der</strong>Beurteilung <strong>der</strong> persönlichen Ausstrahlung aus. Diese Ergebnisse korrespondierenmit <strong>der</strong> Erkenntnis, dass <strong>der</strong> Mensch seine Umwelt mit etwa75 Prozent über das Auge und mit etwa 10 Prozent über das Ohr wahrnimmt.Auf diesen Befunden baut die Darstellungspolitik auf. KeinWun<strong>der</strong>, dass in diesem Umfeld die Farbe <strong>der</strong> Haare <strong>des</strong> Kanzlers zwischenNatur und Grau keine unwesentliche Rolle spielt und sogar dieGerichte beschäftigen soll.Der medienerfahrene Politikwissenschaftler Jürgen Falter hat den politischenBetrieb immer wie<strong>der</strong> von innen besichtigt und kommt zu einemBefund, <strong>der</strong> als Leitsystem für die Entwicklung von Medienstrategiengelten kann: „Politik besteht heute viel stärker als früher aus einerAbfolge von Inszenierungen. Das liegt nicht zuletzt an <strong>der</strong> Ausbreitung<strong>des</strong> Fernsehens, das dem Betrachter eine scheinbar direkte Beziehungzwischen Politikern und Bürgern über den Bildschirm vorgaukelt.Scheinbar <strong>des</strong>halb, weil das Medium mit seinen Machern, seinenGesetzmäßigkeiten und Manipulationsmöglichkeiten ja immer dazwischengeschaltetist. Die Gesetzmäßigkeiten <strong>des</strong> Mediums Fernsehenwie<strong>der</strong>um begünstigen bestimmte Inszenierungsformen <strong>der</strong> Politik:Schnelle Statements vor laufen<strong>der</strong> Kamera, 20fach wie<strong>der</strong>holt, undTalkshows in scheinbar wechseln<strong>der</strong> und doch längerfristig gesehenimmer gleicher Besetzung mit 50 bis max. 75 Gesichtern und bestenfalls10 verschiedenen Meinungen.“ Damit ist die Größe <strong>der</strong> politischen Arenavermessen; die politischen Strategen aller Parteien haben sich daraufeingestellt. Beruhigend ist nur, dass wir weit entfernt von amerikanischenVerhältnissen sind und jenseits <strong>der</strong> Berliner Ebene, in Stadt undLand, eher Hilflosigkeit das mediale Feld bestimmt.Kampagnenfähigkeit – die Grenzen <strong>der</strong> SteuerungPolitische Kommunikation hat sich unter den skizzierten Bedingungen<strong>der</strong> Produktion von Öffentlichkeit und dem rasant gestiegenen Tempound Einfluss <strong>der</strong> elektronischen Medien auf den politischen Prozess zurpermanenten Kampagne – auch außerhalb <strong>der</strong> heißen Wahlkampfphase– entwickelt. Medienstrategen in allen Parteien können Themen setzen,regulieren und akzentuieren. Aber sie können nicht die gesamte„Performance“ – wie es neudeutsch heißt – steuern.Dem grundsätzlichen Befund von Malte Ristau, <strong>der</strong> seit Jahren in <strong>der</strong>politischen Planung <strong>der</strong> SPD arbeitet, ist zuzustimmen: „Man kannStimmungen und Trends durch eigenes Verhalten verstärken o<strong>der</strong> auchabschwächen. Selbstverständlich gibt es Bedingungen, auf die strategischePlanung begrenzten bis gar keinen (kommunikativen) Einfluss hat.Dazu gehören harte Trends wie Wachstumsraten, gesellschaftlicheGroßstimmungen, Anordnung <strong>des</strong> Konkurrenzumfel<strong>des</strong> sowie unvorhersehbareGroßereignisse. Es bleiben eine Reihe von Voraussetzungen, aufdie so o<strong>der</strong> so Einfluss genommen werden kann. Dazu gehören in ersterLinie Kampagnenfähigkeit mit einer leistungsfähigen Organisation,Markenfähigkeit mit integrativen Botschaften, Kommunikationsfähigkeitmit Geschlossenheit sowie als sine qua non eine personelle Aufstellung,die Autorität, möglichst verbunden mit Popularität, nach außen undnach innen sicherstellt.“Die von Ristau genannten Faktoren, die die Strategieplanung begrenzen,gelten im Wahljahr 2002 allesamt. Das heißt: Die Steuerungsfähigkeit<strong>der</strong> politischen Kommunikation ist auf Grund eines Bündels von unabwägbarenFaktoren nur sehr eingeschränkt möglich. Beson<strong>der</strong>s das wirtschaftspolitischeUmfeld beeinflusst die Chancenstruktur vonInszenierungen.Spin-Doctoren – die Mythen <strong>der</strong> MacherInsgesamt scheint es angeraten, bei <strong>der</strong> Analyse <strong>der</strong> Reichweite vonMedienstrategien eher vorsichtig zu agieren. Immer wie<strong>der</strong> präsentierteMythen etwa <strong>der</strong> Kampa – <strong>der</strong> SPD-Wahlkampfzentrale – entpuppen sichbei näherem Hinsehen lediglich als „Medien-Hype“. Die Bündelung allertraditionellen Arbeitsfel<strong>der</strong> für Wahlkampagnen unter einem Dach wurdevon den Medien als „Zauberwerkstatt“ samt „war room“ (den es niegab) interpretiert. Die Tatsache, dass die auf die Bun<strong>des</strong>tagswahl 1998folgende Europa-Kampa mit ähnlichen Personen (aber geringeren finan-3839


einhergehende Konzentration auf knappe Soundbites und kontrollierteStatements reduziert die Möglichkeit vertiefen<strong>der</strong> Hintergrundberichterstattung,erhöht aber die Chance <strong>der</strong> führenden Politiker „ihre“Botschaften zu setzen. Die zweite große Bühne für Politiker – die Talkshows– dienen überwiegend als Instrument <strong>der</strong> persönlichen Selbstdarstellungund weniger <strong>der</strong> Klarstellung politischer Positionen undalternativer Politikkonzepte.Bestimmen<strong>der</strong> Zug <strong>des</strong> politischen Marketings ist es, dass dieInteressenfel<strong>der</strong> <strong>der</strong> unterhaltungsorientierten elektronischen Leitmediensich hier mit den Interessen <strong>der</strong> politischen Akteure treffen. Manbegegnet sich auf einer Oberfläche, die tief blicken lässt. Die Politik lerntdie Grenzen ihrer Gestaltungsfähigkeit immer genauer kennen. Auf <strong>der</strong>Suche nach dem Wähler wendet sie sich den Medien zu – in <strong>der</strong>Hoffnung, ihre Botschaften zu adressieren. Um in diesem Filterprozesserfolgreich zu sein, muss sie sich den von den Medien gesetzten Regelnanpassen. Dieses Wechselspiel zwischen Politik und Medien führt zueiner bedenklichen Realitätsverkürzung, die wichtige Themen undProblemlagen ausblendet und den notwendigen demokratischen Diskursnicht beflügelt.NARZISS IM ZERRSPIEGEL – DIE GRENZENDES MARKETINGPARADIGMAS IN DER(POLITISCHEN) KOMMUNIKATIONMichael BehrentWenige Wochen vor Fertigstellung dieses Beitrages erschoss ein radikalerTierschützer den nie<strong>der</strong>ländischen Rechtspopulisten Pim Fortuyn, alser nach einem Radiointerview den Sen<strong>der</strong> in Hilversum verließ. „Nichtswird künftig so sein, wie vorher“, waren sich die Kommentatoren in denNie<strong>der</strong>landen und an<strong>der</strong>swo einig. In den Medien wechselten die Bil<strong>der</strong><strong>der</strong> blutüberströmten Leiche mit denen <strong>der</strong> endlosen SchlangenBetroffener vor den Kondolenzbüchern, unterlegt mit <strong>der</strong> ratlosen Frageaus dem Off, wie es denn nun werden wird.Keine zwei Wochen zuvor erschoss ein 19-jähriger Schüler in einem planvollenAmoklauf in Erfurt 16 Menschen und sich selbst. Die ersten TV-Teams trafen am Tatort ein, als <strong>der</strong> Täter noch lebte. Ihre Berichte produzierten– nicht nur in Deutschland – eine große Erschütterung. DieUnverständlichkeit <strong>der</strong> Tat warf die professionellen Berichterstatter,Kommentatoren und Deuter auf die Emotion <strong>der</strong> Betroffenen zurück, die,medial vervielfältigt, zu einer Betroffenheit aller Mediennutzer wurdeund die politischen Repräsentanten und die Betroffenen selber zuBetroffenheitsdarstellern machten. 100.000 Menschen nahmen an <strong>der</strong>Trauerfeier teil. „Nichts wird mehr so sein, wie es war“, stellten auch hierdie ratlosen Kommentatoren fest. Und wo wirklichkeitsmächtigeDeutungen fehlen, sucht sich die mediale Erzählung über die Ereignisseihren Sinn in <strong>der</strong> Kolportage. So wurde – um ein Beispiel zu nennen–aus dem Lehrer Heise, <strong>der</strong> sich dem Mör<strong>der</strong> in den Weg stellte, von denMedien in wenigen Stunden ein Held gemacht, dem vom Bun<strong>des</strong>ministerdas Bun<strong>des</strong>verdienstkreuz angeboten wurde und danach wurde in wenigenTagen aus dem Helden ein Aufschnei<strong>der</strong>, <strong>des</strong>sen soziale Existenz inErfurt ruiniert war und <strong>der</strong> öffentlich von Selbstmord sprach.Die Kommentatoren sind sich einig, dass diese beiden vorgenanntenEreignisse unterschwellig mit einer an<strong>der</strong>en Schockwelle verbundensind, nach <strong>der</strong> „alles an<strong>der</strong>s ist, als es vorher war“ – mit dem Anschlagauf das World-Trade-Center in New York am 11. September 2001, als einTerroristennetzwerk zwei Verkehrsflugzeuge in die Twin-Towers schickte4243


und das Publikum in <strong>der</strong> ganzen Welt mit Hilfe <strong>der</strong> Kameras von CNN zuZeugen <strong>der</strong> Katastrophe ihres Zusammenbruchs machte und damit auchzu Geiseln ihrer Inszenierung – überwältigt von Betroffenheit undMachtlosigkeit.Was alle drei Ereignisse miteinan<strong>der</strong> verbindet, ist die zentraleBedeutung <strong>der</strong> medialen Kommunikation für die unmittelbar Beteiligtenund die damit ermöglichte intensive Wirkung auf das Publikum und dieÖffentlichkeit. Was sie auch verbindet ist, dass sie nicht von professionellenAkteuren innerhalb <strong>des</strong> Mediensystems ausgelöst wurden, dasssie Profis und das Publikum überfor<strong>der</strong>n und beide den Mangel aneigener Steuerungsmacht fühlen lassen.Als im Oktober letzten Jahres das Symposium zur politischenKommunikation in Landau stattfand, war we<strong>der</strong> dem Autor noch einem<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Beteiligten klar, wie sehr sich mit dem 11. September dieBedeutung <strong>des</strong> Themas „Machtdarstellung und Darstellungsmacht“ verän<strong>der</strong>that. Noch im Oktober diskutierten wir die damit zusammenhängendenFragen ungebrochen im Kontext <strong>der</strong> neuesten Trends, technischerInnovation, <strong>der</strong> Angemessenheit, etc.. Spätestens die darauf folgendenmedialen „Geiselnahmen“ von Palästina bis Hilversum setzenaber große Fragezeichen hinter dieses ungetrübte Macher-Selbstbewusstsein. Die vergleichsweise wenig komplexen Aktionen <strong>der</strong>Attentäter und Akteure zwangen und zwingen <strong>der</strong> politischen und publizistischenElite ihr Thema auf und setzen zugleich hinter dieVermarktungssysteme und Konzepte <strong>der</strong> „Imagemacher“, „Spin-Doctors“, „Markengurus“, etc. ein großes Fragezeichen, mit dem ichmich an dieser Stelle auseinan<strong>der</strong> setzen möchte.Wahlkampf im Zeitalter seiner technischen ReproduzierbarkeitWahlkämpfe sind, man mag mir den <strong>des</strong>pektierlichen Vergleich verzeihen,so etwas wie Ausscheidungsturniere <strong>der</strong> politischenKommunikation. Der Bun<strong>des</strong>tagswahlkampf von 1998 brachte mit unerwarteterHeftigkeit ein neues Thema auf, und das waren die Kampagnen<strong>der</strong> Parteien selber. Zwar waren schon immer nicht nur die Personen undProgramme Thema <strong>der</strong> Kommentatoren und Medien. Schon immersprach man auch vom Unterhaltungswert <strong>der</strong> Wahlkämpfe. Aber noch niezuvor wurden in Deutschland in <strong>der</strong> Öffentlichkeit die Mechanismen <strong>der</strong>Wahlkampfinszenierung <strong>der</strong>art ausführlich thematisiert wie während undnach <strong>der</strong> letzten Wahl. Als am 27. September 1998 <strong>der</strong> Kanzlerkandidat<strong>der</strong> SPD, Gerhard Schrö<strong>der</strong>, vor das Publikum trat, um sich für denWahlsieg zu bedanken, markierte dies in den Augen <strong>der</strong> Beobachter inzweierlei Hinsicht einen epochalen Wandel: zunächst und vor allemnatürlich das Ende <strong>der</strong> 16-jährigen Amtszeit von Bun<strong>des</strong>kanzler HelmutKohl, dann aber auch den Erfolg einer „Amerikanisierung“ <strong>des</strong>Wahlkampfes in Deutschland und damit eine grundlegende Verän<strong>der</strong>ung<strong>der</strong> Kultur <strong>der</strong> politischen Auseinan<strong>der</strong>setzung. Was heißen sollte: Abjetzt ist politische Auseinan<strong>der</strong>setzung eine Show, in <strong>der</strong> diejenigengewinnen, die den größten Unterhaltungswert bieten. So lautete <strong>der</strong> insgesamtskeptische Tenor <strong>der</strong> Kommentatoren in den Medien.Zugleich war eine neue Spezies auf die Bühnen getreten, die sogenannten„Spin-Doctors“. So mancher Wahlkampforganisator sah denWahlsieg als Erfolg <strong>der</strong> Kampagne und nicht als politischen Erfolg. Unddies mit einem gewissen Recht: Denn in Anlehnung an die angelsächsischenVorbil<strong>der</strong> <strong>der</strong> erfolgreichen Wahlkämpfe von Bill Clinton und TonyBlair stand die Inszenierung <strong>der</strong> Medienpräsenz <strong>der</strong> eigenen Kandidatenund Botschaften im Zentrum <strong>des</strong> Wahlkampfes und die Partei wurde zumbegleitenden Chor. Es scheint so, als ob heute Wahlkämpfe allein in <strong>der</strong>Medienarena entschieden werden, d.h. übersetzt in die Kategorien <strong>des</strong>Kampagnenmanagements: die Performance ist wichtiger als <strong>der</strong> politischeWille.Es ist nötig, sich an diese Diskussionen zu erinnern, um dieFehlorientierungen in <strong>der</strong> politischen Kommunikation zu verstehen, dieangesichts <strong>der</strong> medialen Wirkungsmacht terroristischer Aktionen sichtbarwerden. Denn <strong>der</strong> Erfolg <strong>der</strong> SPD 1998, zu dem ohne Frage die professionellorganisierte „Kampa“ und die kreativ gute Kampagne beigetragenhat, wurde zum Auslöser einer breiten Debatte über die„Professionalisierung“ <strong>der</strong> politischen Kommunikation. Diese Debattekreiste inhaltlich um das Thema „Politik als Markenprodukt“ und spiegeltemehrere Interessen: Zunächst waren die „Profis“ innerhalb <strong>der</strong>Parteien an <strong>der</strong> Etablierung und Akzeptanz einer eigenen Kompetenzmit größerem Gewicht gegenüber den Gremien und Abstimmungsprozesseninteressiert. Werbe-, PR- und Internetagenturen priesen dieVorzüge professionellen Marketings, um Aufträge zu erhalten. Und dieMedien sahen sich mal irritiert, mal bejahend in <strong>der</strong> neuen Rolle einesMitveranstalters <strong>des</strong> Wahlkampfes.Dies führte dazu, dass neue Kategorien in die Verständigung über politischeKommunikation eingeführt wurden. So erläuterte im Herbst <strong>des</strong>Jahres 1999 <strong>der</strong> Chef einer großen Werbeagentur im Interview mit <strong>der</strong>ZEIT, wie er die Vermittlungsprobleme <strong>der</strong> Regierung lösen würde: „DasVokabular <strong>der</strong> Politiker muss ersetzt werden durch das Vokabular4445


geschulter Kommunikatoren“, und: „Werbung darf eben nicht aus Sichteiner Partei o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Regierung geschrieben werden“. Die ZEIT resümierte:Politik ist wie ein Konsumprodukt.Auch Vertreter <strong>der</strong> Politik übernahmen diese Sichtweise. ImWerbefachblatt HORIZONT vom 27.4.2000 wird Herbert Reul,Generalsekretär <strong>der</strong> CDU in NRW, mit folgen<strong>der</strong> Einsicht zitiert:„Politische Kommunikation unterliegt denselben Prinzipien wie Werbungfür Konsumgüter.“ So ermutigt titelte <strong>der</strong> Redakteur auf <strong>der</strong> Titelseite:„Die Politik avanciert zum Markenartikel“. Was heißt avanciert? Entflieht<strong>der</strong> Verbraucher mit „Kin<strong>der</strong> statt In<strong>der</strong>“ <strong>der</strong> schmuddeligen Realität indie schönen Life-Style-Welten <strong>der</strong> Markenartikler? Ins „Ich-bin-dochnicht-blöd“-Universum?Dorthin, wo <strong>der</strong> Strom gelb ist und die Kühe lila?Mathias Machnig, Bun<strong>des</strong>geschäftsführer <strong>der</strong> SPD äußerte sich in <strong>der</strong>selbenAusgabe differenzierter: Ziel <strong>der</strong> SPD-Wahlkampfkampagne seies, „die Inhalte <strong>des</strong> Parteiprogramms nicht nur intellektuell, son<strong>der</strong>nauch emotional zu vermitteln.“ Nun ja, Emotionalität ist zwar ein Prinzip<strong>der</strong> Markenkommunikation, aber auch „Willi wählen“ war ja nicht geradeeine intellektuelle Kampagne. Aber Machnig macht dann doch denUnterschied zwischen politischer Kommunikation und Markenkommunikationan gleicher Stelle deutlich: „Politische Produkte verän<strong>der</strong>nsich durch aktuelle Ereignisse schneller als Markenartikel. UndPolitik ist ohnehin ein öffentliches Ereignis. Dabei muss dieKommunikation auf das Tagesgeschehen und die Parteivertreter abgestimmtwerden. Überdies handelt es sich um ein heterogenes Produkt,für das ein einheitliches Profil entwickelt werden muss.“Wie auch immer, das euphorische Gerede von <strong>der</strong> Politik als Markewurde zum Thema <strong>der</strong> politischen Auseinan<strong>der</strong>setzung. Die FAZ erkanntein einem Leitartikel mit dem Titel „Marke Schrö<strong>der</strong>“ am 19.4.2000schon früh den tiefer liegenden Schaden für den erfolgreichenKandidaten <strong>der</strong> SPD: „Bis jetzt ist den Kommunikationsspezialisten imKanzleramt bei <strong>der</strong> Erneuerung <strong>der</strong> Marke Schrö<strong>der</strong> noch kein richtigerDurchbruch gelungen. Und auf dem politischen Markt ist mit Frau Merkeleine Konkurrenz erschienen, die zivilgesellschaftliche Erneuerung authentischverkörpert, ohne einen beson<strong>der</strong>en Aufwand intellektuellerKosmetik betreiben zu müssen.“ Die brave Frau Merkel ist authentischund <strong>der</strong> Kanzler künstlich. Seither spielt die CDU unverdrossen un<strong>der</strong>folgreich die Platte vom Blen<strong>der</strong> und Showmaster <strong>der</strong> Politik.Im aktuellen Bun<strong>des</strong>tagswahlkampf werden die 1998 begonnenEntwicklungslinien fortgesetzt. Inzwischen haben alle Parteien ihre„Kampa“, neue und frische Agenturen verpflichtet und <strong>der</strong> Öffentlichkeitihre „professionellen“ Kampagnen vorgestellt. Die Kommentatoren inden Medien haben aus dem letzten Wahlkampf gelernt und interessierensich für die Inszenierung <strong>der</strong> Inszenierung. Politischer Wahlkampfbefindet sich aus <strong>der</strong> Sicht <strong>der</strong> Macher und <strong>des</strong> Publikums und inAbwandlung eines Begriffs von Walter Benjamin im Status seiner technischenReproduzierbarkeit. Ein guter Grund, einen Blick auf das Handwerkszeug<strong>der</strong> Beteiligten zu werfen.Das Credo <strong>des</strong> Marketing: Der Wurm muss dem Fisch schmeckenEs ist nicht möglich, eine allgemein gültige Definition für Marketing zugeben. Die umfassendste Definition versteht Marketing als Führungsfunktion<strong>des</strong> Unternehmens. Dabei wird die gesamte Unternehmung undihre Prozesse auf den Markt ausgerichtet, d.h. an <strong>der</strong> Absatzfunktionorientiert. Produktentwicklung, Vertrieb, Kommunikation werden konsequentaus <strong>der</strong> systematischen Analyse <strong>des</strong> Marktes, d.h. <strong>des</strong> Umfel<strong>des</strong><strong>der</strong> Wettbewerber und <strong>der</strong> Bedürfnisse und Zugänglichkeit <strong>der</strong>„Zielgruppen“ abgeleitet. Das Unternehmen sieht sich als Erfüller <strong>der</strong>Wünsche und Bedürfnisse seiner Kunden, wobei es für sich in Anspruchnimmt, diese Wünsche mitunter besser zu kennen, als die Kunden selber.Die Identifizierung und Differenzierung von Zielgruppen ist die entscheidendeGrundlage von Marketing. Sie basiert fundamental auf demWesensmerkmal <strong>des</strong> Marktes, <strong>der</strong> Verteilung begrenzter Güter.Marktfähig sind nur Güter, die nicht allgemein zugänglich sind.Exklusivität und Markt sind mithin nicht zu trennen. Marketing produziertExklusivität und wird beson<strong>der</strong>s in Produktbereichen zur zentralenFunktion, in denen <strong>der</strong> Markt „eigentlich“ gesättigt ist von gleichwertigenAngeboten – mit <strong>der</strong> Folge <strong>des</strong> Preisverfalls, etc. Exklusivität wird hergestellt,indem das Produkt zielgruppenspezifische Eigenschaften erhält.Damit ist klar, dass gerade in gesättigten Märkten die Fähigkeit,Zielgruppen zu differenzieren entscheidend für den Vorsprung imWettbewerb ist. Die Differenzierungsmerkmale finden sich dabei immerstärker auch im psychologischen, symbolischen und kommunikativenBereich. Dies ist <strong>der</strong> Grund, warum insgesamt im Marketing dieMarkenführung und die Markenkommunikation immer wichtiger gewordensind, während die Vertriebsfunktionen an Bedeutung verloren.Was ist nun die Funktion <strong>der</strong> Marke? Der Käufer soll ein spezifisches4647


Bedürfnis treu und fest an ein bestimmtes Produkt binden. Je festerdiese Bindung jenseits eines rein sachlich darstellbaren Produktnutzensbzw. <strong>der</strong> situativen Produktverwendung ist, <strong>des</strong>to weniger Aufwand hat<strong>der</strong> Hersteller <strong>der</strong> Marke mit dem erneuten Verkauf seines Produktes anden Käufer und mit <strong>der</strong> Erhöhung seines Preises und damit <strong>der</strong>Gewinnspanne. Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite hat <strong>der</strong> Käufer die Sicherheit, dass<strong>der</strong> Hersteller nicht nur gute Qualität liefert, son<strong>der</strong>n auch ein positivesImage, mit dem er sein eigenes Selbstwertgefühl steigern kann. DieMarke repräsentiert den Beziehungsvertrag zwischen Hersteller undKunde. Als symbolische Repräsentation dieser Beziehung macht sie dieBeziehung medial kommunizierbar und stellt zugleich symbolischExklusivität sicher. Inhaltlich wird die Marke zum Spiegel <strong>des</strong> Narzissmus<strong>der</strong> Konsumenten. Erst damit entsteht ein Massenmarkt, <strong>der</strong> erhöhteAbsatzchancen für die einen und Preisvorteile für die an<strong>der</strong>en hervorbringt.Je größer dieStammkundschafteiner Marke, <strong>des</strong>togrößer ihr Wert.Denn die Akquisitioneines neuenKunden ist vielteurer, als diePflege etablierterKunden. Die Aufgabe<strong>der</strong> Markenführungbestehtdarin, die versprocheneExklusivitätin <strong>der</strong> Spannung zwischen Traditionspflege und Innovation richtigzu bestimmen. Dazu nutzt man ein hoch differenziertes analytischesInstrumentarium, <strong>des</strong>sen Bestandteile hier nur aufgelistet sein sollen:–Wettbewerbsanalysen– Analyse <strong>der</strong> Marktstrukturen– Analyse <strong>des</strong> Lebenszyklus einer Produktkategorie– Analyse von Kundenzufriedenheit, Relevanz für den Kunden,Kundennutzen– Analyse, Clusterung, Typisierung und Priorisierung möglicherZielgruppen– Analyse <strong>des</strong> „Insight“ <strong>der</strong> identifizierten Zielgruppe und psychologischePositionierung <strong>der</strong> MarkeAufbauend auf diesen Analysen muss nun die Markenkommunikation dieZielgruppen erfolgreich ansprechen. Die Ziele sind Stärkung <strong>der</strong>Markenbindung und För<strong>der</strong>ung <strong>des</strong> Absatzes. Die Kanäle sind Medien,Events, Promotions und Verkaufsför<strong>der</strong>ung. Entscheidend ist die Frage,womit die Zielgruppen angesprochen werden können, also was <strong>der</strong>Inhalt <strong>der</strong> Kommunikation ist, <strong>der</strong> die Beziehung zwischen Marke undZielgruppe erneuert bzw. erst herstellt. Diese Frage wird in <strong>der</strong> Regel vonAgenturen beantwortet und ist Kern <strong>der</strong> kreativen Leistung. Die Aufgabeist, eine Idee zu finden, die drei Anfor<strong>der</strong>ungen gerecht wird:–Sie muss zur Marke passen und die Zielvorgaben erfüllen.– Sie muss in die Formate <strong>der</strong> Kommunikationskanäle passen.– Die Zielgruppen müssen von ihr involviert werden.Alle Schritte vorher führen zur Idee einer Kampagne, o<strong>der</strong> können zu ihrführen, aber die Idee <strong>der</strong> Kampagne lässt sich nicht aus ihnen ableiten.Eine funktionierende Idee ist immer im Sinne <strong>des</strong> Wortes unberechenbar.Die Leute, die sich die Ideen ausdenken, setzen sich in einemgedanklichen Rollenspiel in Beziehung zur gedachten Zielgruppe undstellen sich vor, wie sie diese gedachten Menschen beeindrucken undverführen können. Sie sagen etwas, was diesem gedachten Gegenübergefällt und sie sagen es auf eine für ihn überraschende und beeindruckendeWeise.Auch wenn die Idee nicht ausrechenbar ist und sich über Herstellungguter Kreation nicht wesentlich mehr wissen lässt, als dass sie vonguten Kreativen bewerkstelligt wird, so ist doch das Ergebnis <strong>der</strong>Kreation überprüfbar, bevor es in Form einer Kampagne sichtbar wird.Und so werden Kampagnen in sogenannte Copytests geschickt, um ihreWirkungen zu überprüfen und mögliche Wirkungsdefizite zu beheben,bevor Millionen für ihre Umsetzung ausgegeben wurden. Das gesamteSystem hat zum Ziel, kommunikative Wirkung berechenbar zu machen,weil nur so die eigenen Aktivitäten steuerbar und die Investments zurechtfertigen sind.Der Werbemarkt in Deutschland hatte im Jahre 2001 ein Volumen von ca.31Mrd. €. Allein das Volumen macht deutlich, welch entwickelteStrukturen existieren, wenn man von professionellem Marketing spricht.Und was alle Beteiligten eint – vom Werbetreibenden über die Marktforschungsinstitute,die Agenturen bis hin zu den Verlags- undMedienmanagern – ist eine gemeinsame konzeptionelle Perspektive:„Der Wurm muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler“. Das ist4849


<strong>der</strong> Kern <strong>der</strong> Professionalität und bedeutet in <strong>der</strong> Praxis ein im bestenFall sachlich-distanziertes, im schlechtesten Fall zynisches Verhältnis zurkommunikativen Instrumentalisierung <strong>des</strong> Narzissmus <strong>der</strong> „Zielgruppen“.Das ist <strong>der</strong> Grund, warum diese Professionalität nur für einebestimmte politische Programmatik tauglich ist, bzw. nur eingeschränktin <strong>der</strong> Lage ist, politische Programmatik zu kommunizieren. Denn einPolitiker kann zwar die narzisstischen Bedürfnisse <strong>der</strong> Bürger kommunikativnutzen, aber er wird nie wirklich die Macht haben, sie auch zubefriedigen. Im Unterschied zum normalen Werbetreibenden verzeihtman ihm das nicht.Die Medienarena als AffektraumMo<strong>der</strong>nes Marketing ist undenkbar ohne Medien. Dabei ist dasMarketingdenken beherrscht vom werblichen Denken, von demHervorbringen <strong>der</strong> zündenden Idee, die schlagartig Aufmerksamkeit undWirkung erzielt. Im Copytest werden dann, wie gesagt, Anzeigen, TVo<strong>der</strong> Kino-Spots ausgewählten Personen vorgelegt, die dazu befragtwerden. Im wirklichen Leben ist ihr Kontext natürlich ein ganz an<strong>der</strong>er.Im wirklichen Leben müssen sich die Kampagnen <strong>der</strong> Werbetreibendennicht nur gegen die konkurrierenden Anstrengungen an<strong>der</strong>er Werbetreibendendurchsetzen, im wirklichen Leben müssen sie sich im Kontextaller medialer Themen und Events positionieren und behaupten. DasBewusstsein, dass sich die „Zielgruppen“ als Teil einer Öffentlichkeitwahrnehmen, ist im Marketing nicht weit verbreitet, für das politischeDenken aber konstitutiv.Mit <strong>der</strong> Frage nach <strong>der</strong> Öffentlichkeit begeben wir uns aus dem Feld <strong>des</strong>Marketing ins Feld <strong>der</strong> Kommunikationswissenschaften bzw. <strong>der</strong> PR-Praxis. Dort gibt es wie<strong>der</strong>um keinen abschließend geklärten Begriff vonÖffentlichkeit. Für unser Thema, nämlich <strong>der</strong> Frage nach dem professionellenUmgang mit Öffentlichkeit, sind die Begriffe bedeutsam, die in <strong>der</strong>Praxis am meisten genutzt werden. Und dies sind in <strong>der</strong> Regel systemtheoretischebzw. konstruktivistische Begriffe. Demnach stellt man sichÖffentlichkeit als gemeinsame Anwesenheit bzw. als virtuelleAnwesenheit vor. Entscheidend ist dabei die reflexive Struktur dieserAnwesenheit. Sie ist die Basis eines „Wir“ o<strong>der</strong> eines „Man“, <strong>des</strong>senreflexive Struktur wie<strong>der</strong>um Images und Meinungen produziert. Je<strong>der</strong>öffentliche Akteur versucht daher wie<strong>der</strong>um, diese Meinungen undImages zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Dazu passt er seineBotschaft an die medialen Formate an.Aber was heißt heute „Format“? Wenn man sich die Medienhypes <strong>der</strong>letzten Jahre anschaut, stößt man auf Themen wie Boris, Babs, Bohlenund Big Brother. Das Private wird öffentlich und das Öffentliche privat.Je<strong>der</strong> <strong>der</strong> wirklich will, kann in irgendeiner Talkshow auftreten, sich umdie Mitgliedschaft in irgendeiner Boy-Group bewerben o<strong>der</strong> sonst wieeine Viertelstunde berühmt werden. In einem Doppelpassspiel zwischenPrint und TV werden Personen und Themen gehypt und verschwindenoft so schnell, wie sie aufgetaucht sind. An dieser Stelle gibt es eineorganische Verbindung zwischen <strong>der</strong> Spekulation auf den Narzissmus<strong>des</strong> Publikums durch die Medien und <strong>der</strong> Spekulation <strong>der</strong> Werbetreibendenauf den Narzissmus <strong>der</strong> Zielgruppe. Die Medien schaffen einemediale Arena als kollektiven Affektraum, in dem ein „Wir“-Gefühl entsteht,eine Betroffenheitsgemeinschaft. Und die politische Kommunikationnutzt diesen medialen Mechanismus, um durch strategischeSteuerung von Konflikten die Definitionsmacht über diese virtuellenKollektive zu gewinnen.Dieser Mechanismus erfasst somit auch wirklich bedeutsamen Themen,die zunächst nichts mit Narzissmus zu tun haben. Als Beispiele von fatalenHypes sei hier nur auf Sebnitz und den sogenannten Neuen Markt<strong>der</strong> Börse verwiesen. Aber je<strong>der</strong> Hype bringt Umsatz für die Medien und<strong>des</strong>wegen konnten wir in den letzten Jahren so viele Themen sehen, diesich wie eine Welle aufbauten und wie<strong>der</strong> abebbten. Natürlich hat dasauch mit Qualitätsproblemen im Journalismus zu tun. Vor allem aber hatdas etwas mit einer Verän<strong>der</strong>ung in <strong>der</strong> Ökonomie <strong>der</strong> Aufmerksamkeitzu tun. Das genannte Doppelpassspiel zwischen Print und TV funktioniertfür alle Themen, die einer Anfor<strong>der</strong>ung genügen: Sie müssen denFormaten <strong>des</strong> Boulevards entsprechen. Das heißt, Konflikte müssen alsBeziehungskonflikte darstellbar sein, Argumente müssen mit Emotionenverbunden sein, Positionen müssen von Personen repräsentiert werden.Aktualität, Rasanz, Authentizität sind die zentralen Anfor<strong>der</strong>ungen aneine Geschichte, die Beachtung in den Medien finden soll, und vor allemmuss sie eines liefern: Bil<strong>der</strong>. Nur so schafft man Aufmerksamkeit undInvolvement <strong>des</strong> Publikums, d.h. Quote und Auflage.In Bezug auf die politische Kommunikation kennzeichnen Journalistendie Entwicklung ironisch mit dem Begriff <strong>der</strong> „Christianisierung <strong>der</strong> politischenBerichterstattung“. Ich würde sie aber lieber mit dem Schlagwort„Boulevardisierung“ kennzeichnen, weil es um mehr geht, als die bloßeZunahme von Talkshows und <strong>der</strong> damit einhergehenden Fokussierung<strong>der</strong> politischen Debatte auf einen kleinen Kreis TV-tauglich diskutieren<strong>der</strong>Personen. Praktisch gewinnen die Leitmedien die Aufmerksamkeit5051


nur, wenn sie große Gefühle bieten. Dies heißt aber umgekehrt nicht,dass das Publikum den Medien vertrauensvoll folgt. Untersuchungen zeigenvielmehr, dass seit den sechziger Jahren die Glaubwürdigkeit <strong>der</strong>Medien stetig nachlässt. Zwar badet das Publikum mit Lust in denEmotionen <strong>der</strong> Hypes – wenn es aber mit einem Kater erwacht und sichselber bei einem unangemessenen Umgang mit einem Thema ertappt,fällt dies negativ auf die Veranstalter und Akteure zurück. Daher rührtdie recht geringe Wertschätzung von Journalisten, PR-Managern undSelbstdarstellern im Vergleich zu Ärzten, Richtern und Professoren in <strong>der</strong>Bevölkerung.Der aktuelle Bun<strong>des</strong>tagswahlkampf bestätigt, dass die Medien eine Rollejenseits eines journalistischen Selbstverständnisses spielen: Sie werdenzu Mitveranstaltern <strong>der</strong> Ereignisse und in diesem Falle eben <strong>der</strong> Wahl.Die Debatte um das „Kanzlerduell“ im Fernsehen fand breiten Raum in<strong>der</strong> Berichterstattung und nach <strong>der</strong> Einigung auf Termine und Umständetitelte eine Zeitung: „Das TV-Ereignis <strong>des</strong> Jahres steht fest.“ Wohl wahr,und um so vieles günstiger zu produzieren, als die Fußballweltmeisterschaftin Asien wenige Monate zuvor.Bun<strong>des</strong>tagswahlkampf 2002: Machen. Machen. Machen.Im aktuellen Bun<strong>des</strong>tagswahlkampf orientieren sich alle Parteien unddie Medien an den beschriebenen Mechanismen <strong>der</strong> „professionellen“Kampagnenführung. Ich verstehe das als die konzeptionelle Fusion <strong>des</strong>wie oben dargestellten Marketingdenkens mit <strong>der</strong> mediengerechtenFormatierung von Inhalten.Wie das konkret aussieht, zeigt am besten <strong>der</strong> Wahlkampf <strong>der</strong> FDP. DieFDP hat sich entschieden, konsequent die Lehren aus dem erfolgreichenletzten Wahlkampf <strong>der</strong> SPD zu ziehen. Sie setzt auf ein medienkompetentesPublikum und pflegt den Gestus: „Ich weiß, dass ihr wisst, dassich tue, was ich tue, um euch zu beeindrucken. Aber das mach ich dochgut, o<strong>der</strong>?“ Bestätigt wurde die FDP durch ihr sehr gutes Abschneidenbei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt: Bei einer zwar historischgeringen Wahlbeteiligung von ca. 55 % konnte sie mit einer ähnlich gestricktenKampagne absolut und relativ stark hinzugewinnen.So ermutigts rief die FDP einen Kanzlerkandidaten aus, um ein Thema zusetzen und die Debatte über die Fragwürdigkeit dieser Aktion nutzte sie,um ihre Kernbotschaft <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>nität rüberzubringen. Ihr Kernthema istdie 18 und dieses Thema schien <strong>der</strong>artig unangreifbar von allen jenenRealitäten, von denen Herr Machnig sein politisches Produkt immer nochaffiziert sieht (s.o.), dass es auf <strong>der</strong> Klaviatur <strong>der</strong> Marketingkommunikationperfekt durchdekliniert werden kann. Mit <strong>der</strong> „18“ ist <strong>der</strong> FDP-Wahlkampf „gebrandet“, wie es auf Agenturdeutsch heute heißt. „18“ istdas Thema <strong>des</strong> Wahlkampfauftaktes <strong>der</strong> FDP, „18“ ziert Fähnchen,Ballons, Hemdchen und was sonst noch alles zu einer mo<strong>der</strong>nen Fan-Ausstattung gehört, „18“ malt sich <strong>der</strong> Kanzlerkandidat sogar auf dieSchuhsohle, wo sie wie das Loch im Schuh <strong>des</strong> Camel-Manns zurBotschaft für die Kameras wird. (Für die Jüngeren: „Ich geh meilenweitfür meine Camel“ war eine weltweite Kampagne, als Camel noch eineernsthafte Konkurrenz zu Marlboro darstellte und ihr Markenwert durcheine „ironische“ Kampagne verrückter Kamele nicht vollends zugrundegerichtet wurde. Übrigens kann man auch für unser Thema etwas darauslernen, warum Marlboro erfolgreich ist, und Camel nicht: DerMarlborocowboy ist ein in <strong>der</strong> Natur verwurzelter beständiger Typ, <strong>der</strong>Camelmann dagegen ein unberechenbarer Abenteurer.)Wenn man die Medienresonanz sieht, muss man klar feststellen:Technisch hat diese Kampagne bisher ganz sicher hervorragend funktioniert.Die FDP hat sicherlich überproportional zu ihrem WähleranteilAufmerksamkeit gebunden, hat Kommentatoren und Publikum in ihreÜberlegungen verwickelt und in <strong>der</strong> Art und Weise <strong>des</strong> Auftretens einesympathische Unbekümmertheit und Tatkraft dargestellt. „Machen.Machen. Machen.“ ist ihr Slogan, und ihre Darstellungsmacht reichte bislangimmerhin so weit, dass dieser Anspruch deutlich wurde. Das Prinzipdieser Darstellungsmacht hat sie ihrem stellvertretenden ParteivorsitzendenJürgen W. Möllemann zu verdanken, <strong>des</strong>sen Aufstieg alsMedienpolitiker von Torben Lütjen und Franz Walter kürzlich hervorragendanalysiert wurde.Mit Möllemann begann die Kampagne <strong>der</strong> FDP, aber von ihm wurde sieauch gleich nach ihrem Start massiv beschädigt. Die Debatte um dieantisemitischen Äußerungen <strong>des</strong> Landtagsabgeordneten Karsli zeigt diepolitischen Grenzen dieses Konzeptes auf: bestimmte Probleme undThemen sprengen die Formate <strong>der</strong> Kampagnen. Mit Karsli und seinerVerteidigung durch Möllemann wurde unklar, wie die 18 % eigentlichzustande kommen sollten. Durch Wechselwähler von PDS und Republikanern?Plötzlich trübte sich das einfache Identifikationsangebot an denNarzissmus <strong>der</strong> Zielgruppen – „sei bei den Gewinnern“ – bräunlich einund wurde damit fragwürdig.Und damit sind wir wie<strong>der</strong> bei Osama bin Laden und <strong>der</strong> Frage nach <strong>der</strong>Darstellungsmacht. Die FDP-Kampagne hält eine Karsli-Dabatte nicht5253


unbeschadet aus. Noch weniger hält sie einen neuen Anschlag aus. Sieist eine Spekulation à la hausse.Narziss im ZerrspiegelMeine These ist, dass die Kampagnenstrategien <strong>der</strong> politischen Parteienzunehmend selbstreferentiell im politisch-publizistischen System entwikkeltund abgefahren werden. Dies wird verstärkt durch die sogenannteProfessionalisierung im Sinne eines politischen Marketings. Daraus folgtein rasen<strong>der</strong> Vertrauensverlust im Publikum und Glaubwürdigkeitsverlust<strong>der</strong> Akteure, d.h. <strong>der</strong> Medien und <strong>der</strong> Politik. Das Publikum seinerseitsverfängt sich immer wie<strong>der</strong> emotional in den neuesten Ungeheuerlichkeitenund erlebt dabei, wie Politik und Medien sich vampirhaft von denöffentlichen Emotionen nähren. Aufgrund seiner zunehmenden Medienkompetenzerkennt es aber, mit welchen Methoden gearbeitet wird.Daher erkennt es auch den Grad <strong>der</strong> Selbstreferentialität.Der Narziss blickt in einen Zerrspiegel und ihm gefällt nicht, was er dortsieht, denn er sieht sich entwertet. Einerseits sieht er sich gefährdetdurch mediale Geiselnahmen à la Osama bin Laden, und niemand kannihm wirksamen Schutz versprechen. An<strong>der</strong>erseits sieht er sich unter Werterkannt und missverstanden durch eine Politik, die den Machtkampfnicht als Kampf um den besten Weg versteht, son<strong>der</strong>n als bloßen Kampfum die Macht. Es geht um seine Stimme, und er fragt sich, was sie wertist. Und er relativiert seine narzisstischen Motive, die Ansatzpunkt <strong>der</strong>Kampagnen und <strong>der</strong> medialen Identifikationsangebote sind.Mir ist bewusst, dass meine Überlegungen an dieser Stelle ins Spekulativegeraten. Denn wie soll man die aufgeworfene Fragestellungempirisch untersuchen? Es gibt nur verstreute Symptome, die sich zitierenlassen, und die ein Bild ergeben. Eines dieser Symptome ist eineschrumpfende Wahlbeteiligung. Sie weist auf das zunehmende Versagen<strong>des</strong> politisch-publizistischen Systems bei dem Versuch, das Publikum zumobilisieren. So entsteht, um es in <strong>der</strong> Marketingsprache zu formulieren,ein Wettbewerb in einem schrumpfenden Markt mit allen negativenBegleiterscheinungen: Son<strong>der</strong>angebote, Preisaktionen, Herabsetzen <strong>des</strong>Wettbewerbs, etc.Apropos negative campaigning: Auch wenn die Erfahrungen im angelsächsischenRaum zeigen, dass sich negative campaigning für denAngreifer lohnt, verstärkt diese Strategie zugleich die Selbstreferentialität.Und verringert nach meiner Überzeugung die Wahlbeteiligung.Natürlich ist in diesem Sinne auch eine Spekulation à la baisselegitim. Aber die Unberechenbarkeit einer solchen Spekulation nimmtzu, wie etwa <strong>der</strong> Verlauf <strong>der</strong> Präsidentschaftswahlen in Frankreich zeigt.Und wer kann diese Risiken noch eingehen?Die vielbeschworene professionelle Kommunikation ist jedenfalls gutberaten, ihre Grenzen klar zu definieren und auf die Substanz <strong>des</strong> politischenProduktes zu reflektieren. Das Publikum will die Macht anProblemlöser delegieren, die Orientierung geben und glaubwürdig einegewisse Sicherheit versprechen können. Um dieses Image zu erzeugen,ist es mitunter erfor<strong>der</strong>lich, sich nicht den Formaten <strong>der</strong> Medien zu beugenund nicht auf die Kampagne <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite einzusteigen. Politikmuss sich um die realen und zentralen Themen <strong>der</strong> Gesellschaft organisieren,anstatt sie zu verschweigen. Diese Themen muss sie mit allenMitteln mo<strong>der</strong>ner Kommunikation bearbeiten. Das Marketingparadigmahilft ihr dabei nur bedingt. Wenn es zu stark in die Kernkonzeption einfließt,ist es sogar schädlich.Anfang Juni 2002, zu dem Zeitpunkt, zu dem dieser Beitrag fertiggestellt wurde, gibt es wenig überzeugte Auffassungen bzgl. <strong>des</strong> Ausgangs<strong>der</strong> Wahl im Herbst. Die groß angekündigten Kampagnen <strong>der</strong>Parteien laufen bislang eher verhalten. Der Wahlkampf hat sein Themanoch nicht gefunden. Möglicherweise wird es uns erneut von außen aufgezwungen.Wenn nicht, rechne ich mit einer geringen Wahlbeteiligungund einem uneindeutigen Mandat.Literatur:Marco Althaus (Hrsg.): Kampagne! Neue Strategien für Wahlkampf, PR und Lobbying; LIT-Verlag 2001Michael Behrent, Peter Mentner: Campaigning – Werbung in den Arenen <strong>der</strong> Öffentlichkeit;LIT-Verlag 2001Torben Lütjen, Franz Walter: Der wahre Möllemann; in Berliner Republik 1/2002Naomi Klein: No Logo; Bertelsmann 2001Klaus Merten: Das Handwörterbuch <strong>der</strong> PR; FAZ-Institut 2000Markus Retich, Roland Schatz: Amerikanisierung o<strong>der</strong> die Macht <strong>der</strong> Themen; InnoVatioVerlag 1998Die Zeit vom 1<strong>6.</strong>9.1999; darin Interview mit Bernd MichaelFAZ vom 19.4.2000; darin Leitartikel von Eckehard FuhrHorizont vom 27.4.2000; darin Interviews mit Herbert Reul und Mathias MachnigMichael Behrent, geboren 1957, Kommunikationsberater mit Schwerpunkt Unternehmenskommunikationund politische Kommunikation, bis 2001 geschäftsführen<strong>der</strong> Gesellschafter<strong>der</strong> Agentur Ahrens & Behrent, davor tätig als PR-Berater bei Leipziger & Partner und alsDramaturg am Schauspiel Frankfurt. Studium <strong>der</strong> Philosophie, Germanistik und Soziologie.5455


KOPIEREN STATT RECHERCHIERENDr. Fritz Goergen*Schnell statt gut, kopieren statt recherchieren, parteiisch und konfliktscheuzugleich – das ist mein Befund zu den Medien im Allgemeinen wiezur gefährlichen Liebschaft zwischen Medien und Politik im Beson<strong>der</strong>en.In seinem brandneuen Buch zur Lokalpresse kommt Manfred Hintze zueinem Urteil, das in Leserbefragungen nach Land, Kreisstädten undGroßstädten nur graduell abweicht:„Aus <strong>der</strong> Untersuchung <strong>des</strong> Jahres 2000 geht hervor, dass die fehlendeKommentier- und Meinungsfreudigkeit <strong>der</strong> deutschen Lokalpresse auf<strong>der</strong> gleichen Linie liegt wie die unkritische Grundhaltung. Und diese istwie<strong>der</strong>um in ländlichen Wohngebieten (dort wohnen 50 Mio.) deutlichausgeprägter als in <strong>der</strong> Stadt. In den überregionalen Mantelteilen wird12- bis 13-mal so viel kommentiert o<strong>der</strong> sonst als persönlicheMeinungsäußerung dargestellt wie auf dem Lande. Nicht zuletzt <strong>des</strong>wegennimmt sich <strong>der</strong> Lokalteil oft wie ein Selbstdarstellungsmechanismusaus, <strong>der</strong> lokale Größen in ein gutes Licht rückt.“Auf den Punkt: Der Mut zur Kritik nimmt mit <strong>der</strong> Entfernung vom eigenensozialen Umfeld zu.Um eines klar zu machen: Mir geht es um keine eilfertige Schuldzuweisungan Journalisten.An den wirtschaftlichen Nöten, in die jeden Tag neue Teile <strong>der</strong>Medienwirtschaft kommen, liegt <strong>der</strong> Befund allerdings auch nicht. DennHintze zeigt in seinem Buch eine Entwicklung, die seit bald 30 Jahrenandauert.Kommen wir zu den überregionalen Medien. Sie sind die eine Seite <strong>der</strong>Medaille Medien, <strong>der</strong>en an<strong>der</strong>e die Lokalpresse ist. Die überregionalensind bei <strong>der</strong> scharfen Kritik an lokalen Personen und Ereignissen ganzvorn. Die Wichtigen in Berlin und den Lan<strong>des</strong>hauptstädten dürfen sichwohlwollen<strong>der</strong> Berichterstattung <strong>der</strong> zugewandten Medien bis knapp vordem offenkundigen Skandal sicher sein. „Kommentier- undMeinungsfreudigkeit“ nehmen mit <strong>der</strong> sozialen Nähe zu den politisch„eigenen“ deutlich ab.Journalistische Unvoreingenommenheit braucht wohl noch einenKlimawechsel in den Medien.Die WELT vom 7. Mai zitierte Klaus-Peter Schöppner von Emnid: „Für 76Prozent <strong>der</strong> Bürger sind politische Inhalte entscheidend“. DerMedientenor sagt: „Die Berichterstattung in den tonangebenden Mediengeht allerdings in eine völlig an<strong>der</strong>e Richtung.“ Warum?Seit 5 Jahren haben die Medien im Durchschnitt ein Drittel <strong>der</strong> Auflagenund Quoten verloren. Man schreibt rote Zahlen. Gleichzeitig explodiertdie Zahl <strong>der</strong> Formate und Titel. Man kämpft um das knappe GutAufmerksamkeit.Aber nur wenige Profis sind professionell.Im Fernsehen findet eine perverse Angleichung statt: Die öffentlich-rechtlichenübernehmen die seichte Unterhaltung <strong>der</strong> privaten, jene die langweiligepolitische Hofberichterstattung <strong>der</strong> öffentlich-rechtlichen.Politische Magazine und Talkshows verzichten – je länger, je mehr – aufInformationen und Hintergrund; sie wandeln sich zu Verhör undPropaganda. Ihre regelmäßigen Zuschauer sind bald nur nochKernwähler, die von an<strong>der</strong>en Magazinen und Talkshows, nachschreibendeJournalisten sowie professionelle Beobachter.Haben die Medien-Regisseure nur noch eine einzige Zielgruppe – diean<strong>der</strong>en Regisseure? Und haben sie das möglicherweise noch gar nichtbemerkt? Wissen sie nicht, dass Mehrfach-Spots zuerst die Zuschauerverjagen und dann die Werbekunden? Was haben die Menschen davon,dass sie im 1. die Hochrechnungen am Wahlabend o<strong>der</strong> die Nachrichtüber neue Tote früher kriegen als im 2.? Halten die von ihrer Wichtigkeitso eingenommenen Medienleutenie inne, reden nie mitrichtigen Menschen?Unter den Überregionalengibt es aber auch jene, die anAuflage wenig eingebüßthaben:Der SPIEGEL, die FAZ, dieSüddeutsche und PM samtseinen Spinoffs. PeterMoosleitners Technikmagazinist einfach gut. TechnischNeugierige erfahren korrekt5657


und verständlich, was sie sonst nur noch in dritten TV-Programmen, daaber nur zu festen Zeiten, geboten kriegen.Auch SPIEGEL, FAZ und Süddeutsche geben solchen hin und wie<strong>der</strong>Raum, die Politik statt Journalismus machen; ich komme darauf gleichzurück. Aber das prägt den Charakter dieser Blätter nicht. Ihre Qualitätüberzeugt. Deshalb werden sie gut bestehen – bei allem, was auch siewirtschaftlich zu verkraften haben werden.Wo bleibt die am meisten zitierte BILD-Zeitung, fragen Sie sich vielleichtan dieser Stelle. BILD wurde zwar auch 2001 am häufigsten zitiert undbestimmte die Themen <strong>der</strong> Wochenpresse, nur bei TV-Journalisten wurdeBILD vom SPIEGEL knapp geschlagen. Aber: BILD wurde 2001 wenigeroft zitiert als 2000 und hat nun die niedrigste Auflage seit langem.Drei an<strong>der</strong>e Fakten: Die Marketinger gaben vor 25 Jahren 80-85 % ihrerEtats für Mediawerbung aus und 20-15 „below the line“. Heute ist dasumgekehrt. Die Wirtschaft macht ihre eigenen Medien. In 10 Jahrenhaben sich Kundenmedien verzwanzigfacht.Tritt heute ein Minister auf, tummeln sich 85 TV-Teams. Davon sind fastalle freie Teams, darauf aus, um jeden Preis etwas zu ergattern, was diean<strong>der</strong>en nicht haben. O<strong>der</strong> zu inszenieren.Dem folgen auch immer mehr Printmedien. Ungeprüft Beiträge Freierkaufen, einfach von an<strong>der</strong>en abschreiben senkt die Recherchekostenund die persönliche Verantwortung zugleich auf Null. Und bei je<strong>der</strong>Station erfindet man wie beim Nachbarntratsch noch etwas dazu.Was ich in wenig Zeit nur unvollständig skizzieren kann, will ich in dreizehnPunkte fassen:1. Das Tempo <strong>der</strong> Medien nimmt zu, aber immer mehr Menschen verweigernsich und wenden sich ab. Die Parallele zur Politik: DiePartei <strong>der</strong> Nichtwähler wächst.2. Zu viele Medien opfern ihre Qualität dem Tempo. Die Parallele zurPolitik: Hektische Gesetzgebung statt Vernunft.3. Das Paparazziprinzip ist Trumpf geworden. Die Unterhaltungsfuzzisdominieren alles. Das för<strong>der</strong>t in Medien wie Politik die falschen.Roger de Weck schrieb in <strong>der</strong> FAZ vom 15. Juni: „Unter den Journalistenfinden sich mehr Populisten als unter den Politikern.“4. Es gibt keine Verleger mehr, son<strong>der</strong>n nur noch Medien-Inhaber. Siesehen sehr kurz. Die Parallele zur Politik: Der Berufspolitiker siehtin <strong>der</strong> Regel nur bis zur nächsten Wahl durch Mitglie<strong>der</strong> undDelegierte nicht durch die Wahlberechtigten.5. Und dann haben wir noch „...die Mitläufer und Nachzügler von 68,die haben die Macht ... am Kiosk, am Bildschirm, im Kanzler- undAußenamt“; so Detlef Gürtler am 14. Juni 2002 in <strong>der</strong> taz. Gürtlerhätte hinzufügen können: sowie in den Parteien.<strong>6.</strong> Für Politiker geht es in diesen Monaten oft um weniger als für jeneMedienleute, die gegen den Verlust <strong>der</strong> Meinungshoheit und denihres Interpretationsmonopols ein letztes Mal kämpfen.7. Je<strong>der</strong>, <strong>der</strong> sich auskennt, weiß, <strong>der</strong> Kampf geht quer durch dieRedaktionen. Es muss besorgt machen, dass guter Nachwuchs dortfehlt wie in <strong>der</strong> Politik.8. Die Meinungshoheitler machen Politik. Sie schonen „ihre Leute“.Gegen die fremden schicken sie gnadenlos die Paparazzis aus.9. Je<strong>der</strong>, <strong>der</strong> sich auskennt, weiß, dass man die Meinungshoheitlermit den Paparazzis schlagen kann. Man machte Bil<strong>der</strong> für dieBil<strong>der</strong>macher. Das funktioniert? Nicht immer, aber immer öfter.10. Die Regeln, denen Politiker sich mehr als an<strong>der</strong>e öffentlichePersonen unterziehen müssen, machen die Medien.11. Doch Qualität setzt sich immer durch, mal langsam, mal schnell.Auch in <strong>der</strong> Politik.12. „Morgen“ wird es wie<strong>der</strong> Verleger geben, die Journalisten fürsRecherchieren bezahlen. Weil ihnen sonst auch noch die letztenInserenten, Leser und Zuschauer davonlaufen.13. Es gibt den Qualitäts-Journalismus nach wie vor: Wir finden ihnmit zunehmen<strong>der</strong> Entfernung vom Thema Politik. Sehr oft imRadio, das die Politik leicht vergisst.Monopole sind immer schlecht, Meinungs-Monopole und Interpretationsmonopoleverheerend.Seit vielen Jahren gefällt mir in einem politischen Text dieser Teilbeson<strong>der</strong>s:„Ohne Freiheit ermüdet <strong>der</strong> menschliche Geist, verfallen Kultur undWissenschaften, stagniert die Wirtschaft. Geistiges Leben brauchtFreiheit genauso wie <strong>der</strong> Körper die Luft zum Atmen.“Die gefährliche Liebschaft, von <strong>der</strong> wir hier reden, die zwischen Medienund Politik, braucht dringend frische Luft.* Vortrag: Cologne Conference 21.0<strong>6.</strong>20025859


IM BIOTOP FÜR RECHTHABER –JOURNALISMUS NACH DEM 11. SEPTEMBERHans Leyendecker*Journalismus ist, ein paar Langeweiler ausgenommen, ein Biotop fürRechthaber. Am häufigsten haben die Leitartikler Recht. Beson<strong>der</strong>s inKriegszeiten.Dann tragen sie ihre alten Schlachten mit beson<strong>der</strong>er Verve aus und tun,als ginge es um wirklich alles o<strong>der</strong> nichts. Schon aus Friedenszeiten allzu gut bekannte Argumente werden recycelt, frisch angestrichen und mitgroßer Geste als neu ausgegeben.Selbst die Drohung eines Großpublizisten vom Format eines Karl Kraus– „Mein Herr, wenn Sie nicht schweigen, werde ich Sie zitieren“, könntediese Streithähne nicht stoppen.Polemiken <strong>der</strong> kommentierenden Klasse sind beson<strong>der</strong>s erquickend,weil sie mit beson<strong>der</strong>er Bosheit ausgetragen werden. In einem„Leitfaden für Polemiken“ hat ein an<strong>der</strong>er Wiener Großpublizist malbeschrieben, um was es bei den Kampfspielen dieser Branche geht. „Umden Kampf“ gehe es, „nicht um den Sieg“, welcher ohnehin von beidenParteien in Anspruch genommen werde. Die Gemeinde <strong>des</strong> A sage beisolchen Gelegenheiten: „Du hast den B in <strong>der</strong> Luft zerrissen“. DieGemeinde <strong>des</strong> B sage: „Soll uns wun<strong>der</strong>n, wenn sich <strong>der</strong> A überhauptnoch unter die Leute traut.“ Wenn Sie wollen, können Sie bei demgegebenen Anlass A durch den Namen Roger Willemsen und B durch denNamen Henryk M. Bro<strong>der</strong> ersetzen.Beide haben die Gabe <strong>des</strong> inszenierten Pathos und tun so, als würde<strong>der</strong> rechtschaffene Zorn sie übermannen, wenn sie losschlagen.Willemsen nennt Bro<strong>der</strong> einen „Kriegsapologeten“, Bro<strong>der</strong> schimpftWillemsen einen Friedensfreund, <strong>der</strong> wahrscheinlich aus <strong>der</strong> Rippe einesGartenzwerges erschaffen wurde.Zum Team A gehörten noch: Der Verschwörungsjunkie Andreas vonBülow, <strong>der</strong> taz-Humorist Wiglaf Droste, Gregor Gysi, Günter Gaus, sowiePeter Sloterdijk, <strong>der</strong>, die Katastrophenlandschaft <strong>des</strong> 20. Jahrhun<strong>der</strong>tsüberblickend, den 11. September unter <strong>der</strong> Bezeichnung „schwer wahrnehmbareKleinzwischenfälle“ abtat.Die Gruppe A stellte früh Überlegungen an, ob es sich bei denAnschlägen um eine kriegerische Aktion o<strong>der</strong> ein Verbrechen handelteund wollte auf keinen Fall Vergeltung, son<strong>der</strong>n for<strong>der</strong>te, die Ursachen<strong>des</strong> Terrorismus wie Armut und Unterdrückung abzuschaffen und dieIsraelis zu bremsen. Interkulturelle Dialoge als Antwort auf denMassenmord. „Terror ist die Waffe <strong>der</strong> Ohnmächtigen“ erklärte <strong>der</strong>Moraltheologe Eugen Drewermann, auch einer aus dem A-Team gleicham Abend <strong>des</strong> 11. September im Rundfunk.Auch wurde ernsthaft darüber diskutiert, ob Hochhäuser die Arroganz<strong>der</strong> Macht verkörperten und ob folglich irgendwie die Anschläge von denHochhausbauern und vielleicht sogar von den Hochhausbewohnern provoziertworden seien. Terrorismus sei die Waffe <strong>der</strong> Schwachen.Bro<strong>der</strong>s B-Team bestritt heftig, dass die menschliche Armut o<strong>der</strong> dieglobale Ungerechtigkeit die wirklichen Gründe für den Terror sind.Terrorismus sei nicht <strong>der</strong> letzte Ausweg, son<strong>der</strong>n die erste Wahl. DiesesTeam, das für einen Krieg zur Prävention, manchmal auch zur Vergeltungplädierte, war den A-Leuten zahlenmäßig zumin<strong>des</strong>t überlegen.Vorneweg die Springer-Journalisten, die das Bekenntnis zur Solidaritätmit den USA in ihre Verträge aufnahmen und auch die FAZ-Mannschaftwar, bis aufs Feuilleton, gut vertreten. Tapfer verteidigten sie die freieWelt gegen ein paar „mittelalterliche Fundamentalisten“ und machtenden Marschbefehl zur Losung <strong>des</strong> Tages. Immer feste druff. Die AmerikatreueB. Z. mit dem Journalisten-Darsteller Georg Gafron an <strong>der</strong>Spitze, äußerte, Ausgabe 8. Dezember 2001, auf <strong>der</strong> Titelseite denschlimmen Verdacht, dass Bin Laden möglicherweise Lady Di ermordethat. Das war keine Parodie, vielleicht aber eine Antwort auf Droste, <strong>der</strong>in <strong>der</strong> taz über den Amerika-Freund Peter Struck räsonierte, <strong>der</strong> sich aufführe,„als sei die Friseuse Diana Spencer in Paris ein zweites Malgetunnelt worden“.We<strong>der</strong> A noch B hielten es später für nötig, sich in irgendeinem Punktzu korrigieren. Dabei hatten die von A gleich in langen Kommentarendavor gewarnt, die US-Regierung werde Weltpolizist spielen und allerortenwild zuschlagen. „Die Schläge gegen das World Trade Center, dasPentagon und das Weiße Haus verhelfen Bush zur Gelegenheit seinesLebens“ schrieb Droste, <strong>der</strong> bei <strong>der</strong> taz die Abteilung „finaler Humor“betreut. B zeigte einen Osama bin Laden, <strong>der</strong> min<strong>des</strong>tens 3,40 Metergroß war und erklärte den Terroristenchef zum Feind <strong>des</strong> Arbeitsamtesin Neumünster, das er mit Anthrax vernichten wollte. Bei den Berichtenüber mögliche Verstecke <strong>des</strong> Oberterroristen und seiner Glaubenskämpferwurde verschwiegen, dass viele dieser Angaben auf falschenInformationen von korrupten Warlords beruhten, die nur an Geld6061


interessiert sind. „Es ist ein Spiel, die Afghanen spielen es blendend“, hatAhmed Rashid diese Woche in einem Interview mit <strong>der</strong> „Weltwoche“gesagt.Wenn alles Frieden ist, ist nichts Frieden. Wenn alles Terror ist, ist nichtsTerror.In <strong>der</strong> Bilanz <strong>der</strong> Toten standen 3000 pulverisierte Amerikaner gegen 2000bis 8000 tote Afghanen, die nach dem Exitus zumin<strong>des</strong>t noch identifizierbarwaren. Ich erinnere mich, dass Sonia Mikich auf einerVeranstaltung in Berlin erklärte, Monitor wolle herausfinden, wie vieleZivilisten in Afghanistan ums Leben gekommen seien und die Nachrichtwerde Furore machen. Bei Monitor vielleicht. Dabei wissen doch wir übrigenJournalisten, dass manche Tote an<strong>der</strong>s zählen als an<strong>der</strong>e Tote. O<strong>der</strong>interessiert es Sie wirklich ernsthaft, wenn in Ruanda hun<strong>der</strong>ttausendeTutsi umgebracht werden?A gegen B –- ein altes Spiel. „Fünfundneunzig Prozent aller solcherHändel sind persönlicher Natur“, hat Alfred Polgar mal geschrieben. „Dieübrigen fünf Prozent hingegen sind es auch“, hat er hinzugefügt. Wir wollenuns aber aus dem Geistesgemenge, das all zu oft nur ein Handgemengeist, für einen Augenblick abwenden und uns mehr um empirischeErkenntnisse bemühen.Denn wenn die Kriegstrommeln dröhnen, sind auch die Spezialisten fürdas tägliche Allerlei gefragt, die dann prompt, mit <strong>der</strong> Schere bewaffnet,unerhört Neues zu Papier o<strong>der</strong> auf den Sen<strong>der</strong> bringen. Wer fix ist,schreibt mit Hilfe <strong>des</strong> Archivs auch noch rasch bis zum Ende <strong>des</strong> Kriegesein Büchlein über die Bösen und die Guten. Hilfreich kann es in jedemFall sein, den Begriff Netzwerke im Titel vorkommen zu lassen. In <strong>der</strong>Regel müssen die alten Erkenntnisse, die man früher irgendwie (mit <strong>der</strong>Schere vielleicht?) gewonnen hat, nicht noch einmal überprüft werden.Man macht sich doch keine Geschichte kaputt.In jedem Fall empfiehlt es sich, auch aus belanglosen Papieren zu zitieren,vorausgesetzt, sie sind von irgendjemand für vertraulich erklärt worden.Mit dem Etikett vertraulich lässt sich übrigens zu allen Zeiten alles verkaufen.Wenn eine Geschichte wenig Neues zu bieten hat, kann einerNachrichtenagentur eine Meldung über das „Exklusive Nichts“ angebotenwerden. Die übliche Standardformel lautet dann, dass sich die Geschichteausweitet. Immer weitet sich alles aus, bis es dann wie<strong>der</strong> platzt. DasWun<strong>der</strong>bare ist das Wahre und sogar <strong>der</strong> Zufall wird zur Erscheinungsweise<strong>des</strong> Sinnvollen, heißt es dazu in Grimms Märchen.In Kriegszeiten sind im Fernsehen vorzugsweise vielgereiste Männer mitverwitterten Gesichtszügen zu bestaunen, die zu allem was Wichtiges zusagen haben. Ihre Berufsbezeichnung lautet zumeist Experte und in <strong>der</strong>Regel werden sie Peter Scholl-Latour gerufen. Manchmal, wenn dieScholl-Latours angeblich verhin<strong>der</strong>t sind, werden sie Udo Steinbachgenannt, aber das kann auch ein Tarnname sein. Unsereins wun<strong>der</strong>t sichja schon, wenn die Bäume jenseits <strong>der</strong> Grenze genauso aussehen wiediesseits <strong>der</strong> Grenze.Ende <strong>des</strong> Exkurses.Ich soll heute ein paar Worte über den Krieg in Afghanistan und die entsprechendenKollateralschäden sagen, aber eigentlich war es so wieimmer. Diejenigen, die nur Fragen und keine Antworten kennen, strittenmit denjenigen, die auf alles eine Antwort haben. Warum soll man sichdie alten Schlachtordnungen und Gewohnheiten durch einen Kriegkaputtmachen lassen.Am Dienstag voriger Woche begann in Frankfurt <strong>der</strong> erste angebliche Al-Kaida-Prozess. Fünf mutmaßliche Terroristen aus Algerien sollen geplanthaben, zur Jahreswende 2000/2001 eine Bombe in Straßburg hochgehenzu lassen. Den Männern wird Mitgliedschaft in einer terroristischenVereinigung vorgeworfen. Laut Anklageschrift gehörten sie einer „abgeschotteten,konspirativ arbeitenden Organisationseinheit“ an. Es sollsich um so genannte Schläfer gehandelt haben.Der Begriff stammt eigentlich aus <strong>der</strong> Geheimdienstwelt und er trifft aufdie Terroristen dieses Schlages überhaupt nicht zu, doch darauf kommtes manchem Beobachter längst nicht mehr an.An dieser Stelle zunächst ein paar Worte über die Schläfer-Theorien <strong>der</strong>vergangenen Monate. Minister, die bekannten, über die Zellen <strong>der</strong> mutmaßlichenTerroristen nichts zu wissen, wussten plötzlich ganz genau,dass min<strong>des</strong>tens einhun<strong>der</strong>t Schläfer hierzulande auf den Weckruf warteten.Dabei beriefen sie sich auf Berichte von Medien, die auch nichtswussten.Im Niemandsland zwischen Wahrheit und Dichtung gedieh eine neueForm <strong>des</strong> Bor<strong>der</strong>line-Journalismus mit Falschmeldungen undWichtigtuerei. Die gleich am Anfang, im September 2001 kolportierteGeschichte über einen anonymen Geheimdienst, <strong>der</strong> einen anonymen6263


libanesischen Autohändler in Frankfurt verdächtigte, Spinne im deutschenNetz <strong>des</strong> bin Laden zu sein, war eine Geschichte aus Absurdistan,auf die eigentlich niemand hätte hereinfallen dürfen. Gleichwohl wurde<strong>der</strong> Beitrag zur besten Fernsehzeit in den Tagesthemen gesendet.O<strong>der</strong> ist Ihnen noch die Frankfurter Kiosk-Besitzerin (B.K.) erinnerlich,die angeblich einen <strong>der</strong> To<strong>des</strong>piloten wie<strong>der</strong>erkannt haben will, alsdieser Mudschaheddin-Freunde in <strong>der</strong> Mainstadt besuchte? Ganzsicher hat sie Moammed al Schahi erkannt, ganz genau. EinFernsehmann hatte ihr ja Fotos vorgelegt. Auch das wurde in <strong>der</strong> ARDgesendet.Interessanterweise wurde zu allen Zeiten in den Medien vor den Mediengewarnt. Dass „die Wahrheit das erste Opfer <strong>des</strong> Krieges ist“, dieserKlassiker <strong>des</strong> Schriftstellers Ruydard Kipling wurde so häufig zitiert, alshandele es sich um einen unerhört mutigen Spruch. Gern bemüht wurdevon diversen Berichterstattern <strong>der</strong> Satz <strong>des</strong> früheren britischen PremiersWinston Churchill, dass die Wahrheit im Krieg „immer von einerLeibwache <strong>der</strong> Lüge umgeben sein sollte“. Lügen für den Sieg?In Afghanistan war das Fernsehen zunächst eine Weile himmelweit wegvon <strong>der</strong> Schlacht. Und das war eigentlich gar nicht so schlecht. Fast alledeutschen Reporter, die im Lager <strong>der</strong> Nordallianz o<strong>der</strong> sonst wo waren,konnten dem Publikum erklären, dass sie den Wahrheitsgehalt irgendwelcherNachrichten nicht überprüfen könnten und sie versuchten später,auch die hässlichen Seiten <strong>des</strong> Krieges zu zeigen. Offenkundig hattendie Akteure aus den Erfahrungen <strong>des</strong> Golfkrieges und <strong>des</strong>Waffengangs im Kosovo gelernt.Der Golfkrieg, nur noch einmal zur Erinnerung, ist ein Videokrieg gewesen.Lasergesteuerte Bomben schienen die Ziele immer punktgenau zutreffen. Verstümmelte Menschen passten nicht in die Bil<strong>der</strong>welt. DasMilitär zensierte und fast 1800 Journalisten rangelten um knapp zweihun<strong>der</strong>tso genannte Pool-Plätze.Wer nicht spurte, konnte seine Akkreditierung verlieren. Wer die falschenFragen stellte, war draußen. Erst nach dem Krieg wurde bekannt,dass die Amerikaner knapp 90 000 Tonnen Bomben abgeworfen hatten,von denen mehr als 60 000 Tonnen an<strong>der</strong>e Ziele trafen als beabsichtigt.Für amerikanische Medien allerdings ging <strong>der</strong> Golfkrieg in Afghanistanweiter. Die Macher von CNN nannten es „pervers, sich zu sehr auf dieOpfer und Härtefälle in Afghanistan zu konzentrieren“. Auf den Effekt <strong>der</strong>Bil<strong>der</strong> komme es an. Ans Ende <strong>der</strong> Nachrichten gehöre ein „proamerikanischesSiegel“.Ich hatte immer einen Kin<strong>der</strong>glauben in die Unabhängigkeit und dieTüchtigkeit <strong>der</strong> amerikanischen Kollegen. Der Glauben ist erschüttertworden.Heute weiß ich, dass selbst journalistische Heroen wie Bob Woodwardo<strong>der</strong> Seymoun Hersh nur mit Wasser kochen. Woodward hing amRockzipfel <strong>der</strong> Geheimdienste und konnte den Nachrichtendienstlernhier und da über die Schulter schauen. Hersh kam zu dem überraschendenBefund, dass die Attentäter die vier Anschläge entwe<strong>der</strong> perfektvorbereitet o<strong>der</strong> nur großes Glück gehabt hätten. Also, da war nichtviel – wie man auch bei Besuchen durch amerikanische Kollegen erfahrenkonnte.Vorher habe ich gedacht, dass <strong>der</strong> amerikanische Journalismus, wenn esdarauf ankommt, in Teilen kritisch ist. Heute weiß ich, dass amerikanischeJournalisten in solchen Lagen schon mal die Nationalflagge amRevers tragen. Wer es wagte, gegen den Strom zu schwimmen, musstemit Konsequenzen rechnen. Journalisten, die zu kritisch waren, wurdengefeuert. Die Fernsehsen<strong>der</strong> predigten Patriotismus. Ein Ex-Senator fragteallen Ernstes die Journalisten, ob sie zuerst Amerikaner o<strong>der</strong> zuerstJournalisten seien.Nun kommen wir wie<strong>der</strong> zurück nach Deutschland. Wo die Öffentlichkeitaufhöre, hat Hannah Arendt mal geschrieben, werde Macht gefährlich.Wie soll aber eine Öffentlichkeit funktionieren, wenn es längst einezweite Öffentlichkeit gibt, wenn vor allem das Konspirative den Tonangibt?Die meisten Berichte über das Netzwerk <strong>des</strong> Terrors stammten von amerikanischeno<strong>der</strong> sonstigen Geheimdiensten. Was aber die Kanalarbeiterim Reich <strong>des</strong> Bösen an Erkenntnissen liefern, das kann sehr schmutzigsein. Die Spielregeln <strong>des</strong> Metiers sind kompliziert.Es gibt Amtswahrheiten, private Ansichten und auch Schwindeleien fürdie Kundschaft. Geheimdienstberichte müssen nicht falsch sein, aber siesind auf keinen Fall das Orakel von Delphi. Desinformation ist Teil <strong>des</strong>Geschäfts.Was ist wahr, was ist unwahr? Was kann man glauben, was nicht?Beson<strong>der</strong>s im Krieg sind <strong>der</strong> Manipulation Tür und Tor geöffnet undjournalistische Distanz sowie Skepsis sind noch wichtiger als ohnehinschon.6465


Dennoch wurden Leser und Zuschauer mit angeblichen Enthüllungenbombardiert. Es gab ein Rennen um die Platzierung exklusiverNichtigkeiten mit Hilfe <strong>der</strong> Nachrichtenagenturen.Schreckensszenarien sollten Aufmerksamkeit erzeugen: Angst vor <strong>der</strong>Angst verkauft sich gut.Beobachtern <strong>der</strong> Szene war das vertraut. Immer häufiger beziehen sichMedien auf Medien, die auch nichts wissen. Es wird etwas als Tatsachepräsentiert, was allenfalls eine Vermutung sein könnte. Längst gibt esden Mainstream, den Kommunikationswissenschaftler gern Selbstreferenznennen. Medien beziehen sich immer stärker auf Medien unddaraus wird dann wie<strong>der</strong> eine Nachricht.Wir leben heute in einer aufgeregten Zeit, in einer permanentenGegenwart, ohne Vergangenheit, ohne Zukunft. Ständig wird eine neueSau durchs Dorf getrieben, es sind ganze Herden von Schweinen unterwegsund es gibt immer mehr.Der 11. September und <strong>der</strong> Krieg in Afghanistan war nicht die ganz großeZeit <strong>der</strong> Enthüller. Kein Blatt in Europa und Übersee konnte Fakten präsentieren,die einen neuen Blick auf die Ereignisse ermöglicht hätten.Die wichtigsten Fragen sind noch unbeantwortet: Wer war <strong>der</strong>Mastermind, <strong>der</strong> die Anschlagsvorbereitungen in Europa koordinierteo<strong>der</strong> gab es gar keinen solchen Mastermind? Wer hatte ursprünglich dieIdee zum Massenmord? In einigen Blättern kursierten umgeschriebeneZwischenberichte <strong>der</strong> westlichen Geheimdienste, aber solcheErkenntnisse sind nur schwer zu überprüfen.Wie war es also? Ein großes Ja mit einem kleinen Nein o<strong>der</strong> umgekehrt?Alles in allem, so ist mein Eindruck, haben die Medien nicht versagt undauch nicht triumphiert. Es gab exzellente Reportagen wie die zwischenBuchdeckel gebrachte Spiegel-Serie über den 11. September und dieFolgen, es gab Passables, es gab Durchschnittliches und es gab denüblichen Krawall.A gegen B - Sie wissen schon.* Vortrag: Jahrestagung <strong>des</strong> Netzwerk Recherche am 2<strong>6.</strong>04.02 im NDR-Konferenzzentrum HamburgLAUDATIO ANLÄSSLICH DER VERLEIHUNG DER„VERSCHLOSSENEN AUSTER“ AN OTTO SCHILYUlrich KienzleNur Dummköpfe än<strong>der</strong>n ihre Meinung nicht.Mit diesem wun<strong>der</strong>baren Goethesatz habe ich immer ihre politischenHäutungen gegenüber meinem Kollegen Hauser verteidigt.Der war natürlich sauer, weil Sie den Konservativen ein wahlwirksamesThema geklaut haben. Sie haben rechtzeitig die Bedeutung <strong>des</strong> Themasbegriffen. Jedenfalls vor den Hamburger Sozialdemokraten und vor denFranzösischen Sozialisten. Deshalb ist es kein Wun<strong>der</strong>, dass man heuteInnere Sicherheit so steigert: Beckstein–Schill–Schily.Sie waren jedenfalls häufig schneller als Beckstein und sie haben IhrePostulate auch immer besser formuliert. Das meine ich durchaus alsKompliment. Zum ersten Mal nachdenklich geworden bin ich, als Sie„Frontal“ ein Interview verweigerten. Das ist schon lange her. Es gingum Ihre umstrittene Äußerung ,,das Boot ist voll“. Dazu hätten wir gerneein bisschen mehr von Ihnen gehört. Ihr Pressesprecher hat uns damalsden Rat gegeben, doch einfach die ,,ZEIT“ zu lesen.Das war eine ungewöhnlich freche Antwort. Aber: sie war wenigstensehrlich. Kein Drumherumgerede, keine Ausflüchte. Eminenz wollten einfachnicht. Bis zu diesem Zeitpunkt glaubte ich noch an einen Zufall.Aber denkste!Es sprach sich unterKollegen herum, unterLinken und Rechten,im Bun<strong>des</strong>innenministeriumsitzt eingroßer Schweiger. Erschwieg „Frontal“gegenüber, „ReportMainz“, „Panorama“und „Monitor“. Journalistenfragten undMagazinjournalistenwun<strong>der</strong>ten sich.6667


Die meisten Minister leiden ja an Logorrhoe. Sie halten ihren Wortdurchfallschon für Information. Die Cleveren haben einen Spin-Doctor,<strong>der</strong> sie verkauft. Statt eines Spin-Doctors hat Otto Schily seinenPressesprecher Lingenthal, <strong>der</strong> versucht seinen Minister zu verstecken.Ein irritieren<strong>der</strong> Vorgang, zumal sich auch an<strong>der</strong>e Minister <strong>der</strong> Methodebedienen. Scharping zum Beispiel. Und Frau Däubler-GmeIin.Ausgerechnet Sozialdemokraten verweigerten sich kritischen Medien.Und Sie ließen das angekündigte Informations-Freiheitsgesetz in denSchubladen. Bald wurde klar: dahinter steckt Methode.Dieses Verhalten, das übrigens nicht unbedingt von Selbstbewusstseinstrotzt, markiert das Ende einer jahrzehntelangen Informationskultur.Die Vorgänger haben noch Rede und Antwort gestanden, wenn häufigauch wi<strong>der</strong>willig, aber sie haben geantwortet.Es ist übrigens mal wie<strong>der</strong> eine Medienmanipulationsmethode, die ausden USA kommt. Bill Clinton war <strong>der</strong> Erste, <strong>der</strong> seinen Wahlkampf ausschließlichüber TaIkshows geführt hat. Kritische Journalisten hat er linksund rechts liegen lassen. Lei<strong>der</strong> hat er damit Erfolg gehabt.Bei uns ist das Phänomen unter dem Begriff „Christiansenierung“ <strong>der</strong>Politikberichterstattung bekannt geworden. Ich sage das übrigens ohnejeden polemischen Unterton gegenüber <strong>der</strong> Kollegin. Die Politiker gehenverständlicherweise lieber in eine Talkshow als sich kritischemJournalismus zu stellen.Es ist auf jeden Fall angenehmer, sich mit <strong>der</strong> geretteten Berliner Reiterstaffelablichten zu lassen, als kritische Fragen von „Monitor“ zur frisiertenPolizeistatistik zu beantworten. Die Medienexperten haben dafüreinen Fachausdruck: Agenda-setting-Politik und Agenda-cutting-Politik.selbstbewusster Schritt wäre <strong>der</strong> Verzicht auf Interviews mit bestimmtenMinistern und eine Verschärfung <strong>der</strong> Tonart in den Stücken.Das dient eher <strong>der</strong> Klarheit <strong>der</strong> Beiträge.Von Ihnen, Herr Schily, kein Interview zu bekommen, gilt inzwischen alsjournalistisches Statussymbol. Es ist schon fast eine Frage <strong>der</strong> Ehre, vonIhnen als Interviewer abgelehnt worden zu sein.Sie haben sich also ganz unfreiwillig um den Recherchejournalismusverdient gemacht.Das müsste Sie eigentlich stutzig machen. Dass Sie die Chuzpe hattenhierher zu kommen, spricht für Sie.Vielleicht fühlen Sie sich in <strong>der</strong> Rolle doch nicht ganz so wohl, wie esgelegentlich scheint. Wie sagte doch Goethe: Nur Dummköpfe än<strong>der</strong>nIhre Meinung nicht.Das ist noch lange nicht das Ende <strong>der</strong> Pressefreiheit wie einige Kollegenfast weinerlich beklagen. Es ist aber das Ende einer jahrzehntelanggepflegten Informationskultur. Dass ausgerechnet Sozialdemokraten dasexekutieren, gehört zur Ironie <strong>der</strong> Geschichte. Die Zersplitterung <strong>der</strong>Medien erlaubt wie<strong>der</strong> eine fast höfische Günstlingswirtschaft undGefälligkeitsjournalismus.Wer nett ist, bekommt ein Interview, wer nicht nett ist, wird bestraft.Das ist nicht <strong>der</strong> Untergang <strong>des</strong> Magazinjournalismus und <strong>des</strong>Recherchejournalismus. Er befindet sich heute zwar in einerNotwehrsituation, aber Krisen haben auch ihr Gutes. Und ein erster* Vortrag: Jahrestagung <strong>des</strong> Netzwerk Recherche am 2<strong>6.</strong>04.02 im NDR-Konferenzzentrum Hamburg68 69


GEGENREDE VON BUNDESINNENMINISTEROTTO SCHILY ANLÄSSLICH DER VERLEIHUNGDER „VERSCHLOSSENEN AUSTER“*Guten Tag meine Damen und Herren, ich bedanke mich selbstverständlichsehr herzlich für diesen Preis, <strong>der</strong> nun ein wirkliches MusterexemplarHamburger Heimatkunst ist, und natürlich auch für die Lobrede.Dieser Dank ist umso umfassen<strong>der</strong>, als nach meinem Amtsverständnisein verschwiegener Innenminister, <strong>der</strong> Diskretion zu wahren weiß, vermutlichin <strong>der</strong> Bevölkerung mehr Vertrauen genießt, als ein allzu redseliger,um nicht zu sagen, ein geschwätziger.Aber so sehr ich mich durch die Lobesworte von Herrn Kienzle geehrtfühle, in meiner schon sprichwörtlichen Bescheidenheit muss ich dochZweifel anmelden, ob ich den Preis wirklich verdient habe. DieOpposition lamentiert tagaus, tagein, dass bei mir die Journalisten einund aus gehen, tagtäglich, ich muss lei<strong>der</strong> sagen, manchmal sogar ohnemein Wissen.Sie haben, lieber Herr Kienzle, als einen <strong>der</strong> Gründe, das habe ich jaauch schon in den Vorinformationen gelesen, genannt, dass ich dasInformationsgesetz in irgendwelchen Schubladen verschwinden lasse.Das ist ein wenig zuviel <strong>der</strong> Ehre, muss ich sagen.Dieses Gesetz ist noch in keiner Schublade. Im Übrigen habe ich mirsagen lassen, dass die Jury, und ich sehe ja auch einige Exponenten hierin erster Reihe, dass die Jury, die über die Vergabe dieses Medienpreisesentscheidet, sich vornehmlich aus herausragenden Vertretern <strong>des</strong> investigativenJournalismus zusammensetzt. Ich muss Ihnen lei<strong>der</strong> sagen,bei <strong>der</strong> Suche nach <strong>der</strong> Begründung für meinen Medienpreis hat Ihrinvestigativer Journalismus nicht eine Sternstunde gehabt, denn wennich Sie einfach mal mit den nüchternen Tatsachen bekannt machen darf,dann ist in meinem Hause ein ganz passabler Entwurf <strong>des</strong> Informationsfreiheitsgesetzesentstanden. Aber ich will Ihnen hier offendarlegen, diejenigen, die das hier offenbar interessiert, dass es beian<strong>der</strong>en Ressorts Bedenken gibt. Das hat allerdings einen sachlichenHintergrund, auf den ich vielleicht nachher noch mal zurückkommenwerde. Dass es nämlich einen Grundkonflikt gibt zwischen Informationsinteresseund Informationsfreiheit auf <strong>der</strong> einen Seite undDatenschutz auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite. Und wenn Sie mir die AnmerkungFoto: Ekkehart Veyhelmanngestatten, dann sind häufig es die selben, die mangelnden Datenschutzdurch den Staat beklagen, aber auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite die volleInformationsfreiheit verlangen. Das ist ein etwas seltsames Spannungsverhältnis,mit dem man sich aber auch mal auseinan<strong>der</strong> setztenmuss.Nun ist meine Erfahrung die, das will ich Ihnen ja auch nicht vorenthalten,dass es bei <strong>der</strong> Beurteilung <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>ministers <strong>des</strong> Inneren undmeines Hauses meist sowieso nicht auf irgendwelche Tatsachenankommt. Von Hegel wissen wir ja, dass er den Konflikt zwischenTheorie und Wirklichkeit auf seine eigentümliche Weise gelöst hat, indem Sinne um so schlimmer für die Tatsachen.Ob das eine gute journalistischeMethode ist, weiß ich nicht sorecht. Aber natürlich kann manauch sagen, es kommt auf denErfindungsreichtum an. Ein Komplimentist das immer, ein nettesKompliment, [...] warum dennnicht? Sie sind Künstler in <strong>der</strong> virtuellenWelt, da mag das ein o<strong>der</strong>an<strong>der</strong>e Ornament dann auch nichtschaden.Skulptur:Verschlossene Auster <strong>des</strong> Künstlers Ulrich BehnerWeil ich ja <strong>der</strong> erste Preisträgerdieses wun<strong>der</strong>baren Geschenkesbin, werden Sie mir sicherlichauch einen Kommentar zu <strong>der</strong> Symbolwahl gestatten, eine gelungeneSymbolwahl: Ich bin darüber erfreut, denn Sie hätten mir genauso guteine goldene Miesmuschel verleihen können, und das wäre nicht soschön gewesen.Es handelt sich bei <strong>der</strong> Miesmuschel, wie ich in Brehms Tierleben nachgelesenhabe, um eine nahe Verwandte <strong>der</strong> Auster, aber bei weitem nichtso schmackhaft, also lieber die Auster.Bei Brehms Tierleben findet man relativ wenig Informationen über dasSeelenleben <strong>der</strong> Austern, es soll sich um eine Tierart handeln, die jedeBeweglichkeit eingebüßt hat. Das ist nun nicht so beson<strong>der</strong>s schmeichelhaft,und sie soll auch ziemlich schweigsam sein, insofern stimmtdas wohl. Aber es ist durchaus, wie gesagt, ein Produkt, das man auchin Hamburg hoch zu schätzen weiß, in den entsprechenden Stuben, undich kann mich min<strong>des</strong>tens jetzt mit dieser Auszeichnung dagegen zur7071


Wehr setzten, was ja auch so ein bisschen eine Schablone in <strong>der</strong> journalistischenBeurteilung <strong>des</strong> Innenministers ist, ich sei eigentlich einEinsiedlerkrebs. Aber gut, jetzt bin ich eine Auster, die sich durch beson<strong>der</strong>eGeselligkeit auszeichnet.Herr Kienzle, wenn ich Ihnen richtig zugehört habe, dann hat den eigentlichenPreis mein Pressesprecher verdient.Einwurf Kienzle: „Da ist was dran... .“Aber das wäre nun auch nicht fair. Denn Herr Lingenthal ist wahrlich einhervorragen<strong>der</strong> Mitarbeiter, von dem ich wirklich sagen kann, dass ermir die Möglichkeiten zum Medienzugang immer wie<strong>der</strong> verschafft hat,und dass er frech ist, hab ich eigentlich auch noch nicht erlebt.Einwurf Kienzle: „Ja Ihnen gegenüber nicht.“Aber dass nun ein Pressesprecher sich durch beson<strong>der</strong>e Demut denJournalisten gegenüber auszeichnen soll, weiß ich auch nicht so recht,ich würde es nicht zu seinen beson<strong>der</strong>s guten Eigenschaften rechnen.Aber es ist ja ganz interessant, wie Sie Ihre Argumentation aufgebauthaben, bei einer, wie Sie sagen, Informationsverweigerung o<strong>der</strong>Interviewverweigerung. Sie haben das nämlich mit einem Satz begonneno<strong>der</strong> „belegt“, <strong>der</strong> durch die gesamte Berichterstattung <strong>der</strong> Journalistenimmer wie<strong>der</strong> fortgesetzt wird. Ich hab es inzwischen aufgegeben, michdagegen zur Wehr zu setzen.Mir wird nämlich <strong>der</strong> Satz zugeschrieben: „Das Boot ist voll.“ Ich bitteSie einmal, da Sie ja hier ja auf dem investigativen Journalismus verpflichtetsind, irgendwo ein Interview auszugraben, sei es mit einemMagazin, sei es mit einem Fernsehjournalisten, einem Hörfunkjournalisteno<strong>der</strong> einem schreibenden Journalisten, in dem dieser Satz vonmir vorkommt – den gibt es nicht.Einwurf Kienzle: „Aber das hätten wir vor zweieinhalb Jahren korrigierenkönnen.“Ja gut, lieber Herr Kienzle. Also, da sag ich Ihnen, sehen Sie, was da passiert.Als Schweiger in <strong>der</strong> Medienlandschaft, um ein wenig ernsthafterzu werden, kann ich mich wahrlich nicht verstehen. Aber, wenn Sie mirjetzt einige ernstgemeinte weitere Ausführungen gestatten:Sehen Sie, ich habe manchmal den Eindruck, Sie betrachten die Politikeher als ein Objekt. Und nicht als Subjekt. Also zum Beispiel werfen Sieuns vor: „Agenda-setting“.Das tun wir, in <strong>der</strong> Tat, das ist auch unsere Verantwortung, wir lassennun nicht so mit uns umgehen, dass wir sagen, die Tagesordnungbestimmen die Journalisten. Das tun sie zwar im weiten Maße, weil siein <strong>der</strong> Tat ja das öffentliche Bewusstsein viel stärker beherrschen, als esPolitiker, die ja auf die Vermittlung durch die Medien angewiesen sind,können.Sehen Sie, da ich hier ein Mitglied <strong>der</strong> Redaktion <strong>der</strong> SüddeutschenZeitung vor mir sehe. Ich fand es überhaupt nicht komisch, dass,wenn die Regierungspartei ihr Wahlprogramm vorstellt, an dem Tageseltsamerweise auf <strong>der</strong> ersten Seite nicht das Regierungsprogramm<strong>der</strong> größten Regierungspartei irgendwie beschrieben, meinetwegenverrissen wird – das ist ja in Ordnung. Aber es wird berichtet über dasRegierungsprogramm <strong>der</strong> Opposition. Gut, das ist Agenda-setting.Ja gut, das kann man ja so machen – ob das fairer Journalismus ist, weißich nicht. Ist vielleicht Agenda-setting. Vielleicht war es auch <strong>der</strong>Coup, dass man als Erster das Papier in <strong>der</strong> Hand hat, das mag ja sein.Und <strong>des</strong>halb sagt man, da verkauf ich eher, die an<strong>der</strong>en hatten’snoch nicht.Aber da ich nun schon mal bei <strong>der</strong> Zeitung bin, die zu meiner täglichenLektüre gehört und die ich sehr zu schätzen weiß, scheue ich mich <strong>des</strong>halbnicht, damit auch kritisch umzugehen.Ich war entsetzt, als ich auf <strong>der</strong> ersten Seite in dieser Zeitung las, inSchlagzeilen:Der israelische Ministerpräsident Sharon, <strong>der</strong> wahrlich auch durchauskritisch zu sehen ist, das würde ich auch nie als Antisemitismus kritisieren,und <strong>der</strong> wird zitiert mit dem Satz: „Sharon for<strong>der</strong>t den totalenKrieg.“ Dieser Satz ist mir schwer in die Glie<strong>der</strong> gefahren, wie je<strong>der</strong> verstehenkann, <strong>der</strong> weiß, aus welcher Generation ich stamme.Später, einige Ausgaben später, habe ich auf einer <strong>der</strong> hinteren Seitenganz unten eine kleine Notiz gesehen, da stand die Überschrift:„Korrektur“. Und da stand dann: Ja, es ist uns lei<strong>der</strong> ein Übersetzungsfehlerunterlaufen, dieser Satz ist eher an<strong>der</strong>s zu verstehen gewesen.Ja, meine Damen und Herren, was ist jetzt? Agenda-setting o<strong>der</strong> wie istdas?Ich lese heute in <strong>der</strong> Zeitung, aber da kommen wir auf ein viel schwierigeresThema, meine Damen und Herren, das sag ich ihnen jetzt inallem Ernst, jetzt bin ich ganz weg von allen komischen Aspekten, diewir heute vielleicht auch gerne wahrnehmen. Heute lese ich in eineran<strong>der</strong>en großen Tageszeitung über einen Bericht, <strong>der</strong> dem BKA zuge-72 73


schrieben wird, es stehen in den nächsten 20 Tagen Selbstmordanschlägein Deutschland bevor, was verständlicherweise zu Unruhen in<strong>der</strong> Bevölkerung führen könnte.Ich kenne diesen Bericht. Der enthält eine solche Aussage nicht, <strong>der</strong> isteinem Hinweis nachgegangen, <strong>der</strong> durchaus <strong>der</strong> sehr sorgfältigen Überprüfungbedurfte, <strong>der</strong> aber eine Aussage, wie sie in <strong>der</strong> Zeitung steht,überhaupt nicht trägt. Das ist ein Bericht <strong>des</strong> BKA, <strong>der</strong> ist an alleLan<strong>des</strong>kriminalämter gegangen, wie sich das auch gehört, weil wir jaunter den Sicherheitsinstitutionen solche Informationen verteilen wollen.Und nun kommen wir auf das eigentlich Problem – ich könnte das jetztauch wie<strong>der</strong> ironisieren – dass wir nämlich Tatsachen geheim halten, vertraulichhalten. Wenn wir das nicht täten, dann wäre <strong>der</strong> Markt für dieseArt von Wettbewerb, journalistischen Wettbewerb, natürlich schonkaputt.Weil ja offenbar <strong>der</strong> ganze Ehrgeiz darin besteht, als Zeitung einDokument zu veröffentlichen, was von <strong>der</strong> staatlichen Institution alsgeheim o<strong>der</strong> vorerst vertraulich eingestuft worden ist. Ich weiß nicht, obdas eigentlich in seinen Dimensionen erkannt wird, was da geschieht,vom Einzelfall mal abgesehen.Wenn zum Beispiel ein Ermittlungsverfahren in Gefahr gebracht werdenkann, wenn Entscheidungen in einem Ermittlungsverfahren <strong>des</strong>halbgetroffen werden müssen, zu einem bestimmten Zeitpunkt, weil manbefürchten muss, es gerät sonst vorher etwas in die Öffentlichkeit.In einer Lage, in <strong>der</strong> wir uns als Deutschland befinden und viele Län<strong>der</strong>,wir nicht allein, in <strong>der</strong> die Bedrohung wahrlich nicht mehr eine Spielereiist, sind solche Geheimhaltungs- und Vertraulichkeitsvorschriften nichtirgendwie „just for fun“, son<strong>der</strong>n sie dienen <strong>der</strong> Sicherheit unsererBürgerinnen und Bürger.Ganz leise dazwischen gesagt: Diejenigen, die dafür verantwortlich sind,dass solche Informationen in die Öffentlichkeit verbracht werden,machen sich in <strong>der</strong> Regel strafbar, das Min<strong>des</strong>te ist, dass sie eineDienstvergehen begehen. Und das sich so etwas auf die Institutionenzerstörerisch auswirken kann, dass sollte je<strong>der</strong> vielleicht auch einmal imstillen Kämmerlein bedenken.Ich will verzichten auf weitere Beispiele, es gibt <strong>der</strong>er genug und lei<strong>der</strong>zu viele. Damit sage ich nicht, dass an <strong>der</strong> ein o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Stelle auch<strong>der</strong> Staat einmal falsch handeln kann, wenn er Dinge versucht, imVerborgenen zu halten, unter den Teppich zu kehren. Und dass esdann auch ein Verdienst ist, wenn Dinge in die Öffentlichkeit gebrachtwerden – das ist ein Spannungsverhältnis, wie ich ja gar nicht bestreite.Aber: Ich finde, je<strong>der</strong> muss seine Verantwortung kennen, und ich lassees mir nicht zum Vorwurf machen, dass ich darauf achte, dass wir imstaatlichen Handeln auch diese Art von Diskretion brauchen. Übrigensgilt das auch für Entscheidungsvorbereitungen. Ich wüsste ja nicht, dassSie Ihre Redaktionssitzungen alle öffentlich machen. O<strong>der</strong> Ihre Planungenüber journalistische Vorhaben alle öffentlich machen.Es ist für einen ordentlichen demokratischen Willensbildungsprozesswichtig, auch gerade innerhalb <strong>der</strong> Regierung, dass wir mal das Für undWi<strong>der</strong> argumentativ erwägen können, ohne dass uns schon je<strong>der</strong> überdie Schulter schaut. Das ist notwendig, zumal ja dann dieFehlinterpretation auch zustande kommt, in dem Sinne, dass man nurStreitereien in <strong>der</strong> Regierung wie<strong>der</strong>gibt. Aber es muss möglich sein,dass mal ein Ressort sagt, so muss es gehen, das an<strong>der</strong>e Ressort machtBedenken dagegen geltend, ohne dass es gleich in die Öffentlichkeitkommt, das muss möglich sein.Das ist so ähnlich wie mit einer Pflanze, <strong>der</strong> es nicht gut tut, wenn mandas Samenkorn in die Erde gelegt hat und dann immer schon imErdboden rumsucht, was ist denn nun mit dem Samenkorn? Es darf einbisschen wachsen, bis es über die Erdoberfläche kommt, und dannkönnen Sie es sich ja wirklich anschauen, im Sonnenlicht IhrerPresseöffentlichkeit.So und nun ist mir das Lob zuteil geworden, dass ich mich den politischenMagazinen verweigere und überhaupt kritischen Journalisten.Und zu meiner großen Verwun<strong>der</strong>ung, lieber Herr Kienzle, ich weiß ja,dass die Staatsanwaltschaften längst den Ruf abgegeben haben an dieJournalisten, bisher waren immer die Staatsanwälte die objektivsteBehörde <strong>der</strong> Welt, inzwischen weiß ich, <strong>der</strong> Journalismus ist die objektivsteInstitution unserer Öffentlichkeit.Also, ich war natürlich überrascht, weil Sie ja gesagt haben, Sie habenGoethe zitiert, übrigens stammt das auch vom „Pompidou“. Goethe undPompidou, passt ja auch nicht schlecht zusammen. Sie haben gesagt:„Früher war alles viel besser“, also das ist ja...Einwurf Kienzle: „Es war an<strong>der</strong>s.“An<strong>der</strong>s? Viel besser, nein, nein, Sie haben gesagt: „Eine Informationskulturist zu Ende gegangen.“Einwurf Kienzle: „Ja!“Ja, das hab ich ja noch gar nicht gewusst. Helmut Kohl als Symbol <strong>der</strong>74 75


Informationskultur, das ist mir wirklich entgangen, meine Damen undHerren, das ist mir wirklich entgangen. Und mein Vorgänger, <strong>des</strong>senNamen die Opposition gar nicht mehr auszusprechen wagt, und <strong>des</strong>halbbin ich höflich und tue es auch nicht. Der ist ja nun ständig in diesen,wie Sie es genannt haben, kritischen Magazinen zu sehen gewesen,ständig. Aber ich führe keine Gespräche mit kritischen Journalisten...Also demnächst habe ich ja wie<strong>der</strong> ein Gespräch mit Ihnen, ein großesInterview werden wir vereinbaren mit „Ritter Heribert“ [Heribert Prantl,SZ, die Red.]. Der ist ja nun bekannt, dass er mir grundsätzlich nur wohlgesonnen ist. Grundsätzlich...Mit dem hab ich noch kein einziges Interview gemacht, weil <strong>der</strong> einfach...na ja, also, ich meine...Nun kommen wir aber auf einen Punkt, <strong>der</strong> ist ernst. Mit den Magazinen:Ich nehme mal Monitor. Das liegt einige Zeit zurück, <strong>des</strong>halb ist dasleichter zu verschmerzen, die Kritik an dieser Stelle. Da hat michMonitor eingeladen zu einem Streitgespräch mit meinem Freund Rupertvon Plottnitz, das war ein schönes Gespräch, die Mo<strong>der</strong>atorin wartotal einseitig, gut das kann ja sein, die war eben grün eingefärbt, warumsoll das nicht sein, da hätt ich nicht so furchtbar viel damit zu tun.Das ging ganz flott, Rupert hatte ein paar gute Argumente, ich hatte aberauch ein paar ganz gute. So, das haben wir da abgedreht, und dann habich mir das später angesehen und dann hab ich festgestellt, diePassagen, in denen ich ein bisschen besser war in <strong>der</strong> Argumentation,waren alle draußen. Waren alle rausgeschnitten. Dann hab ich einenBrief geschrieben an Herrn Bednarz und gesagt: „Das find ich aber nichtso ganz fair“. Da sagte er: „Jetzt seien Sie aber mal nicht so empfindlich!“.Aber da bin ich empfindlich, das sag ich Ihnen. Das ist dann nämlichkein Journalismus, son<strong>der</strong>n das ist Manipulation. Also das ist dasMin<strong>des</strong>te, was man einem dann vorher sagt: „Also gucken Sie mal, dassist kein Live-Mitschnitt, son<strong>der</strong>n das werden wir dann hinterher schneiden“.Und ich kann Ihnen das jetzt nicht in allen Beispielen darlegen,ich hab jetzt auch nicht so furchtbar viel Zeit, aber wir habenErfahrungen dieser Art gemacht.Und <strong>des</strong>halb sage ich Ihnen, bevorzuge ich in aller Regel Sendungen, indenen eben nicht geschnitten wird, son<strong>der</strong>n live. Und das ist <strong>der</strong> Vorzugvon Talkshows.Ich geh gar nicht so oft in Talkshows, aber <strong>der</strong> Vorteil einer Talkshowist, und ich finde, das hat Frau Christiansen nicht verdient, nun zusagen, das sei kein kritischer Journalismus, das mag ja dem ein o<strong>der</strong>an<strong>der</strong>en nicht ganz so gefallen, wie sie das macht o<strong>der</strong> nicht, vielleichtkann man da auch Kritik daran üben, da bin ich frei davon, dasbeurteilen zu wollen. Herr Stoiber hat ´ne ganz an<strong>der</strong>e Erfahrunggemacht...Also, meine Damen und Herren, da sag ich im Übrigen: Es gibt nichtnur die freie Arztwahl... Es gibt auch keinen Zwang, einem bestimmtenJournalisten ein Interview zu geben. Das entscheide noch immer ich.Da kann er gekränkt sein, dass ich ihn also... Aber er sollte es nichtimmer unbedingt als Auszeichnung verstehen, Herr Kienzle, da mussich Ihnen schon wi<strong>der</strong>sprechen. Diejenigen sollten nicht in den Rufgebracht werden, die zu mir zugelassen werden zum Interview, so istes ja doch nicht. Also die solltennicht in den Ruf kommen, sieseien betuliche Journalisten.Also, ich hab in meinem Leben`ne ganze Menge an hartenFragen über mich ergehen lassenmüssen, übrigens in den unterschiedlichstenFunktionen, einbisschen abgehärtet bin ichauch, so dass ich meine, dasswir ganz gut miteinan<strong>der</strong> auskommen.Denn heute, Sie habenGoethe zitiert, ich zitierePompidou, verspreche ich jetzt allen Panorama- und Monitor-Sendungen,dass ich demnächst Ihnen zu Interviews zur Verfügung stehe, damit Siealso getröstet auch von dannen gehen.Zumal die jüngste – ich hab sie lei<strong>der</strong> nicht gesehen, ich bin jaFernsehmuffel, weil ich gerne ein bisschen ja noch mal zu mir kommenmuss, und dann doch lieber ein Buch bevorzuge. Also, ich habe sie selbernicht gesehen, hab es mir aber berichten lassen – die jüngsteMonitor-Sendung. Interessant ist, was kritische Nachfrage zurKriminalstatistik angeht, ich wüsste übrigens nicht, dass wir dazu eingeladenworden sind, es sei denn, Herr Lingenthal hätte mir das verschwiegen.7677


Aber er hätte dann auch einen Grund gehabt: Dass wir über dieKriminalstatistik erst dann reden, wenn wir sie veröffentlicht haben.Aber sonst finde ich das einen interessanten Beitrag, das trifft sich mitunserer Einschätzung, dass die Kriminalstatistik sehr zu Fehlschlüssenverführen kann, und <strong>des</strong>halb haben wir ja als Bun<strong>des</strong>regierung neben<strong>der</strong> Kriminalstatistik auch einen periodischen Sicherheitsbericht gestellt.Ja, und die Reiterstaffel, das ist doch was Gutes, ich weiß gar nicht, wasdagegen einzuwenden ist.Also ich meine, dass wir damit gut miteinan<strong>der</strong> auskommen. Vielleichtweckt das ja auch mal das Interesse an positiver Nachricht. Denn eines– da brauch ich keinen Geheimhaltungsstempel drauf zu setzen o<strong>der</strong>vorerst vertraulich, das bleibt tief geheim: Wenn wir positive Nachrichtenzu bringen haben. Dafür interessiert sich überhaupt niemand, und dasteh ich Ihnen für je<strong>des</strong> Interview Tag und Nacht zur Verfügung, meineDamen und Herren, Tag und Nacht.Und da ich nun zwischendurch auch Hegel zitiert habe, will ich einenpositiven Satz von Hegel zitieren zum Schluss, <strong>der</strong> lautet: „Das Wahreist das Ganze“, und das ist ein gutes Leitmotiv für Journalismus, aberauch für die Politik.* Bandabschrift vom 27.04.2002MEDIENWANDLUNG UNDDEMOKRATIE-ENTWICKLUNGKlaus HarpprechtDer Bun<strong>des</strong>präsident, <strong>der</strong> vor einigen Wochen im Berliner SchlossBellevue die publizistische Prominenz zu einem Gespräch gebeten hat,erinnerte in seiner kleinen Eingangsrede daran, dass seit <strong>der</strong>Französischen Revolution, genauer: seit dem Aufbruch <strong>des</strong> angelsächsischenBürgertums zu beiden Seiten <strong>des</strong> Atlantiks Demokratie undMedien zusammengehörten. Der Hinweis auf diese Grundwahrheit istverdienstvoll, aber sie bedarf einer Ergänzung: auch die Feinde <strong>der</strong>Demokratie haben es gelernt, sich mit oft beklemmen<strong>der</strong> Virtuosität <strong>der</strong>Medien zu bedienen. In den Anfängen <strong>des</strong> Fernsehens wurde gernbehauptet, <strong>der</strong> Aufstieg Hitlers und seiner Stoßtrupps wäre unter denwachsamen Augen <strong>der</strong> Kameras nicht möglich gewesen. Das ist, fürchteich, eine schöne Täuschung. Der Volkstribun bediente sich <strong>des</strong>Massenmediums jener Zeit, nämlich <strong>des</strong> Radios, mit frappantem Erfolg.Wir können heute seine belfernde Stimme, wenn sie uns in den historischenChroniken begegnet, nur noch ertragen, wenn wir uns vorher miteinem Anti-Brechmittel immunisiert haben – und die Jungen, so weit sienicht ihren Verstand so glatt rasierten wie ihre Köpfe, reagieren mitungläubigem Lachen. Hitlers trommelnde Rhetorik entsprach dem Stilund <strong>der</strong> Unart jener Epoche, wenn auch nicht auf dem gesamten Erdkreis– nur an Franklin Roosevelt o<strong>der</strong> an Winston Churchill zu denken. Doches gibt keinen Zweifel, dass er seine Propaganda-Technik den Gesetzen<strong>des</strong> Fernsehens angepasst hätte. Nahezu alle Diktatoren sind auf ihreWeise geniale Propagandisten.Was die Macht <strong>der</strong> Bil<strong>der</strong>, <strong>der</strong> offiziellen Propaganda entgegen, zumBesseren auszurichten vermag, das hat <strong>der</strong> Vietnam-Krieg gezeigt, alsdas Elend verrecken<strong>der</strong> Soldaten von den Kamera-Leuten <strong>des</strong>Fernsehens in je<strong>des</strong> amerikanische Bürgerhaus transportiert wurde. Sienährten damit die Ängste und den Zorn <strong>der</strong> Wähler, vor allem aber denWi<strong>der</strong>stand <strong>der</strong> jungen Protestgeneration. Sie waren es – und nicht nurdie staatsmännische Einsicht von Doktor Kissinger – die das Eingeständnis<strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lage und den Rückzug erzwangen.Man fragt sich, ob die Bil<strong>der</strong> <strong>des</strong> Grauens am 11. September unsereWirklichkeit mit einer noch böseren Radikalität verän<strong>der</strong>t haben. Die7879


Vernichtungsschläge <strong>der</strong> Terroristen, die so viele Tausend Menschenlebenkosteten, waren zuerst und zuletzt eine gewaltige Propaganda-Aktion <strong>der</strong> islamistischen Fanatiker, die das amerikanische Volk mitFurcht und Schrecken überziehen sollte. Das ist partiell gelungen. Aber<strong>der</strong> Effekt war nicht <strong>der</strong> kalkulierte: vielmehr wurde <strong>der</strong> Terrorismus zumWeltfeind und Wi<strong>der</strong>sacher <strong>der</strong> Menschheit erklärt, und zwei Monatespäter hoben die Vereinigten Staaten die wichtigste seiner Bastionenaus. Die Medien, die <strong>der</strong> Autorität <strong>des</strong> tapferen Bürgermeister Giulianisofort nach <strong>der</strong> Katastrophe den Weg zu den Bürgern öffneten, erwiesendamit ihre Fähigkeit zu einer ordnenden Funktion im Dienst <strong>der</strong>Vernunft. Das also können sie auch.Unsere Existenz ist, obwohl Amerika den Mythos <strong>der</strong> Unverletzbarkeiteingebüßt hat, durch den 11. September keine an<strong>der</strong>e geworden. (InWirklichkeit bewies <strong>der</strong> inneramerikanische Terrorismus durch seine mör<strong>der</strong>ischenAnschläge lange zuvor, dass die völlige Sicherung <strong>des</strong> täglichenDaseins auch einer Supermacht nichts als die schiere Utopie ist.)Der Terror und die lähmende Furcht, die vom Terror ausgeht, war stetsdas wirksamste Instrument totalitärer Propaganda, ohne die keineDiktatur allzu lange überleben könnte.Umgekehrt: die konkurrierende Vielzahl <strong>der</strong> Stimmen und Bil<strong>der</strong> bietet<strong>der</strong> Freiheit, <strong>der</strong> Demokratie, dem Recht einen gewissen Schutz. Mansollte sich freilich nicht allzu naiv auf ihn verlassen. Die Konzentration<strong>der</strong> Medienmacht unter <strong>der</strong> Kontrolle autoritärer Geister bleibt einelatente Gefahr: siehe den Versuch unseres Nachbarn Berlusconi, dieInstrumente <strong>des</strong> öffentlichen Fernsehens in Italien, die sich bisher seinerAufsicht entzogen, Schritt für Schritt zur Gleichschaltung zu zwingeno<strong>der</strong> ihren Einfluss auf eine verschwindende Min<strong>der</strong>heit zu reduzieren:eine Entwicklung, die längst Anlass zu einem schmetterndem Nein <strong>der</strong>Europäischen Kommission in Brüssel, zu einem Protest <strong>des</strong> Ministerrates<strong>der</strong> Union o<strong>der</strong> zu einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof hättegeben sollen. Lei<strong>der</strong> blieben die Institutionen <strong>der</strong> Europäischen Unionbis heute still und stumm.Eine zweite Gefahr: die schleichende Machtergreifung einer sogenanntenMediokratie, die – wie ich fürchte – dem Ursprung <strong>des</strong> Wortes nach mehrmit Mediokrität als mit einer Meritokratie zu tun hat. Die Dirigenten <strong>der</strong>Medien, ihre Reporter, Redakteure, ihre Mo<strong>der</strong>atoren, ihre Stars geratenohne Zweifel von Zeit zu Zeit in Versuchung, sich als die eigentlichenLenker <strong>des</strong> Volkswillens zu betrachten, das heißt aber: als die Grundquelle<strong>der</strong> Macht. Das Selbstgefühl prominenter Kollegen ist nicht immergegen diese Verführung gewappnet, obwohl sie sich einer Illusion hingeben,denn noch sind die Entscheidungen <strong>der</strong> legitim Verantwortlichen,<strong>der</strong> Parlamente und <strong>der</strong> Regierungen nicht völlig dem Diktat <strong>der</strong> artifiziellproduzierten Stimmungen und <strong>der</strong> Meinungsumfragen unterworfen– obschon sie immer mehr zu einem <strong>der</strong> wichtigsten Kriterien werden,an denen die Parteien und ihre Strategen ihre Programme, aber auchkonkrete Regierungsbeschlüsse messen. Hier kann man nur warnen undimmer nur warnen: uns selbst und die Regenten <strong>der</strong> politischen Klasse,mehr und mehr aber auch die Kommandeure <strong>der</strong> Wirtschafts-, <strong>der</strong>Finanz- und <strong>der</strong> Gewerkschaftseliten, <strong>der</strong>en sogenannte Strategienimmer kurzatmiger zu werden drohen, auf den täglichen taktischenVorteil bedacht, selten mehr einer weitsichtigen Planung unterworfen.Eine zweite, nur virtuelle Realität droht <strong>der</strong> Wirklichkeit davonzulaufen,unsägliche Konfusionen produzierend. Doch schließlich: die wucherndeMedienmacht könnte an sich selbst ersticken. Hustenanfälle gibt esgenug. Wir haben uns allesamt daran gewöhnt, hier und jenseits <strong>des</strong>Atlantiks, links und rechts <strong>des</strong> Rheines, von unablässig schäumendenWort und Bildkaskaden überschüttet zu werden, ja wir drohen in denFluten <strong>der</strong> inflationär gewordenen Worte und Bil<strong>der</strong> unterzugehen. Aberfügen sich – in den abertausend Radio- und Fernsehprogrammen, in <strong>der</strong>Schwemme <strong>der</strong> Talkshows, in den Geröllmassen <strong>der</strong> Zeitungen, <strong>der</strong>Magazine, <strong>der</strong> Bücher, auf den Strömen <strong>des</strong> Internet – die Worte nochzu Sprachen, die den Namen verdienen und zu Bil<strong>der</strong>n, die sich sinnvollzusammenfügen? Haben wir nicht längst vor dem Terror <strong>der</strong>Ersatzsprachen kapituliert: dem Sozio-, dem Psycho-, dem Kathe<strong>der</strong>pathos<strong>der</strong> Universitäten, dem Techno-, dem Werbe-, dem Polit-, demMilitär-, dem Behördenjargon, dem Müll, <strong>der</strong> aus dem marxistischenStandard-Vokabular und aus den nazistischen Vulgär-Phrasen in dendüsteren Ecken unserer Häuser herumliegt? Überdeckt das babylonischeGewirr <strong>der</strong> Stimmen nicht in Wirklichkeit einen Zustand <strong>der</strong>Sprachlosigkeit, den auch die Literatur nur noch in Glücksfällen zu überwindenvermag? Sind wir nicht längst allesamt – ob als Stars o<strong>der</strong> bloßesFußvolk – zu armseligen Geschöpfen <strong>der</strong> „Chattering Class“, <strong>der</strong>Schwätzer-Gesellschaft geworden?Sind die Worte, ist nicht das Wort selbst – das nach dem Evangelium<strong>des</strong> Johannes „im Anfang“ war – vor allem in dem reißenden Chaos <strong>der</strong>Bil<strong>der</strong> versackt? Und werden die Bil<strong>der</strong> nicht immer stereotyper, in millionenfacherWie<strong>der</strong>holung verschlissen? Ein fast beliebiges Beispiel: die80 81


BSE-Krise, die in Deutschland Anlass zu einem hysterischen Veitstanz(vor allem <strong>der</strong> Medien) wurde, verbannte sämtliche Kamerateams <strong>der</strong>öffentlichen und privaten Fernsehanstalten für lange Wochen in dieStälle Bayerns und Schleswig-Holsteins, und es gab kaum eine Kuh, obwahnsinnig o<strong>der</strong> normal, die nicht von den immer hungrigen Linsen portraitiertworden wäre: je<strong>des</strong> Rindvieh erlebte so die prophetischeWahrheit Andy Warhols, dass uns die mo<strong>der</strong>nen Medien allesamt für dreio<strong>der</strong> fünf o<strong>der</strong> fünfzehn Minuten berühmt machen würden. Unverzüglichfolgte die Urankrise. Nun sehen wir, aus wichtigerem Grund, nur nochTurbane, und das Gefuchtel mit Maschinenpistolen, Kampfmaschinen,die von den Decks <strong>der</strong> Flugzeugträger Bin Laden entgegen geschleu<strong>der</strong>twerden. Darüber hinaus: soviel Islam war nie. Morgen wird er wie<strong>der</strong>von den Bildschirmen und aus den Schlagzeilen verdrängt sein.Man hat uns versprochen, durch die „globale Vernetzung“ werde unsertägliches Leben mit schöner Zwangsläufigkeit internationalisiert. Aber istdas wahr? Wer die Gelegenheit wahrnehmen kann, mit einigerRegelmäßigkeit die Fernseh-Nachrichten in den Vereinigten Staaten, inFrankreich und in Deutschland zu vergleichen, wird rasch zu <strong>der</strong> Einsichtgelangen, dass dieses mo<strong>der</strong>nste aller Medien, das uns inSekundenschnelle zu vermitteln vermag, was sich in Feuerland, inVancouver, in Novosibirsk, in Port Madeleine o<strong>der</strong> in Nürtingen amNeckar zuträgt, in allen drei Län<strong>der</strong>n von Jahr zu Jahr provinzieller gewordenist, es sei denn, wir würden von einer Krise à la Manhattan undAfghanistan heimgesucht.Der Anteil <strong>der</strong> internationalen Berichte an den prominentenNachrichtenprogrammen <strong>des</strong> amerikanischen Fernsehens beträgt etwaacht Prozent. Die französischen und die deutschen Sendungen bieteneine nicht ganz so beschämende Auskunft, aber auch bei uns ist <strong>der</strong>Blick <strong>der</strong> Redakteure und <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>atoren für gewöhnlich starr auf dieEreignisse und Persönlichkeiten <strong>der</strong> nationalen Politik gerichtet. Die TV-Journalisten <strong>der</strong> Vereinigten Staaten können entschuldigend darauf hinweisen,dass ihr Land ein Kontinent in sich selber sei.Wir aber können nicht behaupten, dass unser Journalismus, gleichviel obin Frankreich o<strong>der</strong> Deutschland, dem europäischen Fortschritt entschlossennachgeeilt sei. Brüssel und erst recht das Europäische Parlament inStraßburg fristen eine Schattenexistenz in den Nachrichtensendungen,obschon selbst ein ausgewiesener Euro-Skeptiker wie <strong>der</strong> bayrischeRegierungschef Edmund Stoiber mit bemerkenswertem Realismus fest-stellte, dass an die siebzig Prozent <strong>der</strong> politischen und wirtschaftlichenEntscheidungen, die unsere Bürger angehen, nicht in <strong>der</strong> National-Versammlung, im Hotel Matignon o<strong>der</strong> im Palais d’Elysée, nicht imBun<strong>des</strong>tag, nicht im Berliner Kanzleramt, schon gar nicht in den Län<strong>der</strong>o<strong>der</strong>Regional-Parlamenten getroffen werden, son<strong>der</strong>n in Brüssel und inStraßburg.Die Erklärung für die frappante Diskrepanz zwischen <strong>der</strong> Medien-Realitätund <strong>der</strong> politisch-sozialen Wirklichkeit ist beunruhigend. Sie könnte zueinem Teil von <strong>der</strong> provinziellen Beengtheit <strong>der</strong> Medien-Operateurebedingt sein, aber auch von den Rücksichten auf die nationale Klientelin den Parteien, den Regierungen, den Verwaltungen, den Parlamenten,den Gewerkschaften, denBerufsverbänden, die – hierwie dort – über die Machtverhältnisseund über dieKarrieren in den Funkhäusernein Wort mitzureden haben.Sie wollen gesehen undgehört werden. Ein bretonischerFischer hat, wir wissenes wohl, in einem deutschenFernseh- und Rundfunkratkeine Stimme, und dieMeinung eines nie<strong>der</strong>sächsischenVolkswagen-Technikerszählt in den audiovisuellenGremien Frankreichs nicht viel.In den Vereinigten Staaten brauchen die Medien-Gewaltigen auf dieRegierung, die Parteien, die Institutionen keine Rücksicht zu nehmen: esentscheidet <strong>der</strong> kommerzielle Erfolg und, bis zu einem gewissen Grade,das öffentliche Interesse. Die klassischen networks – NBC, CBS und ABC– schlugen bei <strong>der</strong> Wahl zwischen Qualität und unterhaltsamer Quantitätden Weg <strong>des</strong> geringsten Wi<strong>der</strong>stan<strong>des</strong> ein. Doch sie erreichen, so sehrsie ihr Niveau nach unten schraubten, heute nur noch eine Min<strong>der</strong>heit<strong>der</strong> lan<strong>des</strong>weiten Zuschauerschaft, wenngleich eine starke.Es ist kaum mehr vorstellbar, dass in meinen amerikanischenAnfangsjahren, von 1958 an, die NBC an jedem Sonntagnachmittag, denGott gab, eine Shakespeare Hour ausstrahlte: glanzvolle Aufführungen,die aus Großbritannien übernommen o<strong>der</strong> in eigener Regie produziert82 83


wurden. Knapp zwei Jahrzehnte später, als sich fast über Nacht die ewigedritte <strong>der</strong> Konkurrentinnen, die ABC, an die Spitze <strong>der</strong> Konkurrenzdurchboxte, erklärte einer <strong>der</strong> Vizepräsidenten <strong>des</strong> Unternehmens, <strong>der</strong>Aufstieg verdanke sich keineswegs dem Triumph einiger beson<strong>der</strong>serfolgreicher Serien: Nein, das Geheimnis ist, rief er ohne eine Spur <strong>der</strong>Scham, dass wir den Intelligenz-Anspruch <strong>der</strong> Durchschnittsprogramme,<strong>der</strong> zuvor auf die Gehirne <strong>der</strong> Elf- bis Zwölfjährigen zugeschnitten war,auf das Fassungsvermögen von Neunjährigen herabgesetzt haben. Nichtin den Kin<strong>der</strong>programmen, wohlverstanden. Ist es bei uns sehr vielan<strong>der</strong>s?Zwischen dem sechsten und dem achtzehnten Lebensjahr hocken diejungen Amerikaner etwa dreißig Stunden pro Woche vor <strong>der</strong> Glotze: dassind 1500 Stunden pro Jahr, 15 000 Stunden in einem Jahrzehnt – videoergo sum. Das Format <strong>der</strong> Programme kommt dem Mangel anKonzentrationsfähigkeit <strong>der</strong> jungen (und alten) Menschen immer weiterentgegen: <strong>der</strong> Schnittrhythmus entspricht längst nicht mehr <strong>der</strong> sogenanntenAufmerksamkeitsspanne von acht bis zehn Sekunden, son<strong>der</strong>nwurde auf drei o<strong>der</strong> vier Sekunden gesenkt: ein circulus vitiosus. Ichwage nicht, mir auszudenken, welchen Intelligenz-Quotienten die heutigenProgramme <strong>der</strong> amerikanischen TV-Industrie voraussetzen. Vielleichtwerden sie erst zufrieden sein, wenn sich sabbernde Säuglinge, die vor<strong>der</strong> Scheibe in ihren Windeln strampeln, als die ideale Zielgruppe <strong>der</strong>Werbung erweisen, <strong>der</strong>en Unterbewusstsein nach Belieben formbar ist,wie es die Psyche <strong>der</strong> Erwachsenen und <strong>der</strong> Heranwachsenden schonheute zu sein scheint: durch die sogenannten Talkshows primitivstenZuschnitts, die an die miserabelsten Instinkte unserer Mitmenschheitappellieren, oft genug in Keif- und Prügelszenen ausartend, unter demjohlenden Vergnügen <strong>der</strong> Zuschauer, durch die stereotypenGewaltszenen, die selbstverständlich infektiös wirken, was immer manuns über die angebliche Ableitungsfunktion einreden will, durch diebizarren Horrormovies, die ganz gewiss nicht geeignet sind, dieDenkfähigkeit zu trainieren, durch die chronische Banalisierung <strong>der</strong>Sexualität, die junge Leute um die schönsten und kostbarstenErfahrungen unseres menschlichen Daseins betrügt.Nur gibt es das alles bei uns auch. Spätestens mit dem Einbruch <strong>des</strong>privat-kommerziellen Fernsehens in unsere europäische Welt sank <strong>der</strong>Wi<strong>der</strong>stand gegen das Diktat <strong>der</strong> Zuschauerquote auch bei den öffentlich-rechtlichenAnstalten in Deutschland und den regierungskontrollier-ten Kanälen in Frankreich ruhmlos in sich zusammen. Die Teilfinanzierungdurch die Werbung gibt keine hinreichende Auskunft für dieweitgehende und beschämende Preisgabe <strong>des</strong> sogenannten Kultur- undInformationsauftrags, <strong>der</strong> nur noch spät in <strong>der</strong> Nacht, wenn die Mehrheit<strong>des</strong> Publikums längst in den Fe<strong>der</strong>n liegt, noch eine begrenzte Geltunggenießt: Selbst Unterhaltungsprogramme von <strong>der</strong> Qualität und dem Witz<strong>der</strong> Klein-Mafia Serie „Die Sopranos“, in Amerika mit Preisen überhäuft,werden bei uns nur als Nachtschattengewächs geduldet.Um das Schlimmste nicht zu verschweigen: auch die Nachrichtensendungengaben in Deutschland wie in Frankreich <strong>der</strong> amerikanischenVersuchung <strong>des</strong> Infotainment ohne erkennbaren Zwang immer weiternach. Nicht nur die Kommentare <strong>der</strong> Korrespondenten werden knapperund knapper – neunzig Sekunden gelten in <strong>der</strong> Branche schon als eineEwigkeit – nicht nur die zitierten Äußerungen <strong>der</strong> Zeitzeugen und <strong>der</strong>Politiker werden mit taktloser Brutalität zu immer kürzerenStummelsätzen zerhackt: auch die Aufmachung und <strong>der</strong> Inhalt gleichensich in wachsendem Maße den Boulevard-Blättern. Der Prozess <strong>der</strong>Deformation setzt sich durch die Kleinteiligkeit, die Kurzatmigkeit, dieDisko-Illuminierung <strong>der</strong> historischen Programme fort, bei denen die Aufklärungoft genug im Wirbel <strong>der</strong> Unterhaltungs-Technik zugrunde geht.Die Gretchenfrage: kann die Presse den Schaden auch nur halbwegs ausgleicheno<strong>der</strong> gar wie<strong>der</strong> gut machen? Zweifel sind angebracht. In <strong>der</strong>Vereinigten Staaten sanken manche <strong>der</strong> Provinz-Zeitungen, die einsteinen großen Ruf genossen – die Times Picayune in New Orleans o<strong>der</strong>die Atlanta Constitution – zu Unterhaltungs- und Lokalblättern unterschiedlichenNiveaus ab. Zeitungen, die das Verlangen nach umfassen<strong>der</strong>Information, nach Bildung, nach Qualität erfüllen, lassen sich aneiner Hand aufzählen: die New York Times natürlich, die WashingtonPost, die Los Angeles Times, das Wallstreet Journal: alle in ihrem Bereichkonkurrenzlos, was den Redaktionen nicht immer zuträglich ist – amwenigsten <strong>der</strong> „Washington Post“, die von <strong>der</strong> Regierung und vomKongress so sehr hofiert wird wie die „New York Times“ und überdiesseit Watergate gefürchtet: dieser epochalen Glanztat <strong>des</strong> „investigativenJournalismus“, <strong>der</strong> seitdem zu viele Jung-Reporter dazu anstachelte, esden Helden Woodward und Bernstein gleichzutun, indem sie in weiß <strong>der</strong>Himmel welchen Keller gelassen nach klappernden Skeletten o<strong>der</strong> nachwohlgepolsterten Monicas suchen.Redakteure, Reporter und vor allem die Leser jener Blätter betrachtensich als Mitglie<strong>der</strong> einer Elite (was sie vermutlich auch sind). Zu ihnen84 85


gesellen sich die Hörer <strong>des</strong> public radio-networks, das brillanteInformationsprogramme, klassische Musik-, Jazz- und Folklore-Sendungen,gelegentlich auch Literatur-Debatten o<strong>der</strong> Lesungen produziert.Schließlich: das public TV, das sich – wie das öffentliche Radio – durchSpenden, durch Sponsoring und bescheidene Zuwendungen <strong>der</strong> Städteo<strong>der</strong> <strong>der</strong> Staaten finanziert.Die lokal verankerten Sen<strong>der</strong> liefern trotz ihrer dürftigen Mittel – o<strong>der</strong>gerade <strong>des</strong>wegen? – Programme, die den Vergleich mit Arte o<strong>der</strong> 3Satnicht zu scheuen brauchen. Sie erreichen nicht mehr als – im Höchstfall– drei Prozent <strong>der</strong> Zuschauer (aber das sind insgesamt immer noch mehrals sieben Millionen Menschen). Es ist just jenes Publikum, das auch diegroßen Zeitungen, Magazine wie den „New Yorker“ (mit einer Auflagevon mehr als 600.000), das anspruchsvolle Bücher liest, ins Theater, insKonzert, gelegentlich in die Oper geht (und jene Institutionen durch kleineund große Stiftungen am Leben hält). Wir Europäer japsen und tapsenden gesellschaftlichen Entwicklungen in Amerika stets im Abstandvon fünf o<strong>der</strong> zehn Jahren hinterher. Parallelen in<strong>des</strong> sind sichtbar. LeMonde und Figaro, die Frankfurter Allgemeine Zeitung und dieSüddeutsche Zeitung sind bei uns, gottlob, nicht nur einsame Inseln <strong>der</strong>Qualität, während die „Welt“ immer aufs Neue gegen die Tendenz <strong>der</strong>„Verwamsung“ zu kämpfen hat. Noch behauptet sich – diesseits undjenseits <strong>des</strong> Rheines – eine Regionalpresse, die ein beträchtlichesNiveau hält. In<strong>des</strong>, die Zahl <strong>der</strong> Zeitungen und die Auflagen sind in <strong>der</strong>Regel geringer geworden – nicht wesentlich, noch nicht –, und sie geratenzunehmend unter den Druck <strong>der</strong> Billigkonkurrenz.Dazu die großen Wochen-Magazine, die <strong>der</strong> Pflicht zur intellektuellenund kulturellen Stimulanz nicht aus dem Wege gehen. Wirtschaftsmagazine,die über diesen zentralen Bereich im Dasein informieren,arbeiten mit unterschiedlichem Glück. Die Spezialisierung auf engeThemen schuf neue Märkte. Dafür vegetieren unsere politischen und literarischenZeitschriften in kümmerlichen Auflagen dahin. Nichts, das sichmit <strong>der</strong> sonntäglichen Book Review <strong>der</strong> „New York Times“ (mit gut einerMillion Auflage), nichts was sich mit <strong>der</strong> „New York Review of Books“vergleichen ließe, ein Blatt hohen Anspruchs, das weit mehr als 100 000Exemplare verkauft – zweimal im Monat.Die Anzeigenflaute als Konsequenz <strong>der</strong> schleppenden Konjunktur, diewomöglich zu einer formidablen Rezession wird, lässt uns nichts Gutesahnen. Manche hochgemute Investition <strong>der</strong> vergangenen Jahre undMonate könnte in einem Marasmus versacken. Es wäre die blankeNarrheit, dass <strong>der</strong> partielle Rückzug <strong>der</strong> Werbung auch aus dem kommerziellenFernsehen – die amerikanischen Networks entließen viele tausendMitarbeiter – unsere ohnedies blassen Hoffnungen beflügeln zulassen, dass am Ende das gedruckte Wort davon profitiere. Die Jagd aufdie Quote wird immer nur härter, aggressiver, vulgärer und idiotischerwerden.Man kann nicht vorgeben, dass sich unser Fernsehen – ob privat o<strong>der</strong>öffentlich – dem fatalen Sog <strong>des</strong> ratings entzöge. Wir haben es, zumalin Deutschland, mit monströsen Produkten ordinärer Langeweile wie den„live soaps“ nach Art <strong>des</strong> „Big Brother“ ziemlich weit gebracht. Doch wirdürfen uns ein wenig trösten: noch bietet die Vielzahl <strong>der</strong> „DrittenProgramme“ mit <strong>der</strong> klassischen <strong>Dokumentation</strong>, dem Fernsehdrama,den besseren Filmen eine Chance, noch gibt es Arte, das in Frankreichübrigens viermal so viele Zuschauer findet wie in Deutschland.Allerdings existiert drüben kein Phoenix-Programm, das sich bei uns freilichnicht nur um Berlin, son<strong>der</strong>n intensiv um Brüssel und Straßburgkümmern sollte. Es gibt auch die zweiten, die dritten, die vierten undfünften Programme <strong>der</strong> Radio-Stationen, die gegen wachsenden Druckin Richtung „Klassik light“ und Hip-hop-Magazine tapfer und vermutlichauf verlorenem Posten einen gewissen Kultur-Standard verteidigen.Wir wissen es wohl: die Zuschauerzahlen <strong>der</strong> Qualitätsprogramme sindauch bei uns eng begrenzt. Nicht an<strong>der</strong>s als in Amerika entsteht, wennich mich nicht täusche, in Europa eine neue Klassengesellschaft: eineschmale Bildungselite, die bedeutende Fel<strong>der</strong> <strong>der</strong> Macht kontrolliert,neben ihr eine breitere technische Elite, die über seine Managementfunktionin <strong>der</strong> Wirtschaft, später wohl auch in <strong>der</strong> Politik, die gesellschaftlichenEntwicklungen in wesentlichen Zügen bestimmt; darunterdie breite Mittelschicht, die sich außerhalb ihrer professionellenPflichten auf sinkendem Niveau fast nur noch unterhalten lässt; schließlichein Bodensatz von Analphabeten, <strong>der</strong>en Zahl in Deutschland wie inFrankreich eher zu wachsen scheint.Ich fürchte, die neue Klassengesellschaft könnte in vieler Hinsicht grausamerund härter sein als die alte, die sich auf Besitz, auf Geld o<strong>der</strong> Titelgründete, weil sie nicht nur die materielle, son<strong>der</strong>n die geistige und psychischeLebensqualität bestimmt.Es ist kein Trost, dass selbst inmitten <strong>der</strong> Eliten, den sogenannten, eineSchicht Halbanalphabeten gedeiht. Eine Beobachtung nicht am Rande:in einem <strong>der</strong> beiden zweisprachigen Gymnasien einer stolzen86 87


Hansestadt wurde kürzlich festgestellt, dass 40 Prozent <strong>der</strong> sechzehnjährigenSchüler keinen Schimmer hatten, wer Willy Brandt gewesen seinkönnte. Es scheint, dass die Medien insgesamt ihre Informationspflichtentgegen aller Schwüre nicht erfüllen – von den Elternhäusern zuschweigen.LEITFRAGEN ZUMWIRTSCHAFTSJOURNALISMUSWirtschaftsjournalismus zwischen Kunden, Kohle undKumpanei• Wie unabhängig und glaubwürdig ist <strong>der</strong> Online-Journalismus heute?•Welche Rolle spielen Sponsoring und Kooperationen?•Welche Auswirkungen haben Vergünstigungen undRabatte von Unternehmen auf die Berichterstattung?•Welchen Einfluss hat Public Relations auf die journalistischeRecherche? Sind die Redaktionen auf dieseQuelle angewiesen?•Ist Wirtschaftsjournalismus generell aufgrund <strong>der</strong> Nähezu den Unternehmen zu unkritisch?•Welche Vorschläge haben Sie, um die Qualität imWirtschaftsjournalismus zu verbessern?8889


angesprochen werden – als Angestellter o<strong>der</strong> Selbstständiger, Auszubilden<strong>der</strong>o<strong>der</strong> Rentner, Mieter o<strong>der</strong> Eigentümer. WirtschaftlicheProbleme (Arbeitslosigkeit, Renten) stehen daher auf den ersten Plätzen<strong>des</strong>sen, was die Bevölkerung bewegt. Sie haben im öffentlichenInteresse inzwischen nahezu eine Alleinstellung und sind eng vernetztmit politischen Entscheidungen.Viele Bürger wenden sich Wirtschaftsthemen in den Medien zu – wenigerweil sie einem Bildungsideal nachstreben und Lücken in ihrem Wissenschließen wollen, son<strong>der</strong>n weil sie glauben, dass es für ihre Zukunft entscheidendist. Wirtschaft war früher weit weg und betrifft angesichts <strong>der</strong>Unsicherheit auf den Arbeitsmärkten heute jeden. Die Nachfrage nachWirtschaftsinformationen lebt von <strong>der</strong> persönlichen Betroffenheit,wodurch das Defizit an Wissen stärker als früher spürbar wird.Nach den Kursstürzen an den Börsen ist nun die Phase <strong>der</strong> Marktbereinigunggekommen. Reine Anlegermagazine, die bislang ihre Lesermit Titelüberschriften wie „So werden Sie durch Aktien reich“ lockten,verlieren an Auflage und Lesergunst. Schließlich wollen die meistenLeser nach dem Blick auf ihre Depotauszüge nicht an die Verlusteerinnert werden, son<strong>der</strong>n erfahren, wie sie es besser hätten machen sollen.Flugs werden Redaktionskonzepte umgestrickt. So wurdeAktienResearch in Aktien & Co. umgestellt. Mit dem neuen Markt kamenauch Zeitschriften über New Business in Bedrängnis o<strong>der</strong> wurden eingestellt(z.B. Net-Business).Durch die übermäßige Konzentration auf Börsenthemen bei gleichzeitigerVernachlässigung <strong>der</strong> Probleme, die die Bevölkerung ebenfallsbewegen, hat <strong>der</strong> Wirtschaftsjournalismus nicht nur eine harte Landungzu verkraften, son<strong>der</strong>n sich selbst in eine Krise hineinmanövriert. VieleAnleger sind nach den Erfahrungen <strong>der</strong> letzten Jahre durch das kritikloseHochjubeln von Aktien und Branchen schockiert und wollen amriskanten Spiel an den Börsen nicht mehr mitmachen. Das Geld ist verlorenund damit auch das Interesse an den Börsenthemen. DenWirtschaftsmedien schwimmen die Felle weg. Nicht nur das Anzeigengeschäftbricht weg, son<strong>der</strong>n auch die Lesernachfrage.Die Allensbacher Werbeträger-Analyse spricht von einem Verlust einerhalben Million Leser. Ähnlich wie diese nehmen auch die Führungskräftewie<strong>der</strong> mehr Abstand von den reinen Wirtschaftsblättern (LeseranalyseEntschei<strong>der</strong> LAE) und orientieren sich an allgemeineren Titeln wie Focus(69%), Spiegel (59%), Stern (49%), Handelsblatt (47%) und FrankfurterAllgemeine Zeitung (41%), <strong>der</strong>en Reichweite leicht zunimmt. Anlegertitelallerdings spielen nach dieser Studie mit Reichweiten zwischen 1,5 %(Die Telebörse) und 4,5 % (Börse online) eine verschwindende Rolle.Dementsprechend düster ist die Stimmung bei Anlegertiteln, die im 1.bis dritten Quartal 2001 im Vergleich zum Vorjahr durchschnittlich 17,7%Anzeigenseiten einbüßten (ZAS/PZ-Online). Börse online verlor sogar38,9 %, Die Telebörse 30,5 % und Euro am Sonntag 23,1 %.Ist die Talsohle nun erreicht? Die Konsolidierung <strong>der</strong> Wirtschaftsmedienmuss über eine inhaltliche Überprüfung <strong>der</strong> redaktionellenSchwerpunktthemen hinausgehen, um die Krise nicht zu verschärfen.Schließlich haben die Anlegermedien das neue Image <strong>des</strong>Wirtschaftsjournalismus nachdrücklich geprägt. Inhaltsanalysen <strong>des</strong>Instituts Medien Tenor (Bonn) ergaben, dass auch noch im Jahr 2000 inüberregionalen Pressetiteln und nationalen Rundfunksendungen <strong>der</strong>Erfolg von Fusionen fast ausschließlich positiv bewertet wurde, obwohlalle gängigen wirtschaftswissenschaftlichen Analysen Erfolgsquoten vonunter 30 % ausweisen.Trotz massiven Börseneinbrüchen stiegen in ausgewählten Titeln <strong>der</strong>Wirtschaftspresse zwischen Februar 2000 und Mai 2001 die Verkaufs-Auffor<strong>der</strong>ungen kaum – we<strong>der</strong> für DAX, MDAX, EUROSTOXX50 o<strong>der</strong> denNeuen Markt. Selbst im September 2000, als <strong>der</strong> NEMAX50 bereits aufein Drittel seines Frühjahrshochs gefallen war, wurden nach Angaben <strong>des</strong>Medien Tenor noch überwiegend Kaufempfehlungen ausgesprochen.Mit dem Einbruch an den Börsen, <strong>der</strong> vielen Anlegern wohl nach denTerroranschlägen unauslöschbar bewusst bleibt, hat <strong>der</strong> Wirtschaftsjournalismusein ernst zu nehmen<strong>des</strong> Glaubwürdigkeitsproblem bekommen.Der Vertrauensvorschuss ist aufgebraucht. Die Mediennutzer sindverunsichert und irritiert. Die Illusion einer risikoarmen Form <strong>der</strong>Geldvermehrung wurde abgelöst durch ein nüchtern-ernstes Abwägenvon Gefahren, Hintergründen und eine Rückbesinnung auf klassischeGrundwahrheiten.Hans Leyendecker sagt, <strong>der</strong> Journalismus werde durch Gegensätze wie„Kumpanei und Distanz, Hysterie und Ratio“ (Süddeutsche Zeitung23.10.2001) geprägt: „Wirklichkeit wird inszeniert und dann ‚objektiv’beschrieben.“ Wenn Journalisten sich lediglich als Lieferanten vonmediengerecht aufgemachtem Inhalt für Zielgruppen verstehen, werdensie den Glaubwürdigkeitskampf nicht gewinnen.Im Gegenteil: Der schleichende Erosionsprozess wird fortschreiten, wennsie das Ziel <strong>der</strong> Aufklärung, <strong>der</strong> kritisch-fachlichen Prüfung von Inhalten92 93


aus einer Position <strong>der</strong> Unabhängigkeit aufgeben. Wirtschaftsredaktionenstehen – nicht erst seit dem 11. September – vor <strong>der</strong> entscheidendenFrage, welche Rolle sie künftig (noch) spielen wollen und welcheMöglichkeiten ihnen dazu von den Medienunternehmen zugestandenwerden. Werden sie zu Produzenten von Content degradiert, <strong>der</strong> nur alsbilliges Werbeumfeld dient und in Online-Medien auch als „Lockvogel“für E-Commerce-Geschäfte benutzt wird, und geben sie ihren Auftrageiner unabhängigen und kritischen Information und Kommentierungwirtschaftlicher Entwicklungen auf?Der Höhenflug und die harte Landung haben die Sensibilität für dieGefahren geschärft. Die Doppelfalle für den Wirtschaftsjournalismus istbereits aufgestellt. Es geht um seine Unabhängigkeit und seine fachlichkritischeKompetenz, verlässliche Nachrichten und Bewertungen zu liefern.In <strong>der</strong> Kompetenzfalle verstricken sich Redaktionen, die kritiklosWaschzettel z.B. auf Immobilienseiten abdrucken, Artikel und Beiträgenur durch eine einzige Quelle abstützen o<strong>der</strong> ungeprüft z.B.Analystenmeinungen transportieren – wohl wissend, dass dieseStimmen durchaus einzelne Interessen verfolgen. Roland Berger stuftAnalysten in das Spannungsfeld zwischen „blasierten Richtern undHenkern o<strong>der</strong> versierten Strategen und Denkern“ ein. Wie glaubwürdigsind regionale und lei<strong>der</strong> auch überregionale Zeitungen, die in ihrenGeldteilen Vertreter von Banken und Sparkassen unkritisch über Anlagethemenschreiben, also Verkäufer von Produkten im redaktionellenTeil ungefiltert zu Wort kommen lassen?Der Mediennutzer ist mit dem Wirrwarr unterschiedlicher, durchaus parteiischerEinschätzungen allein gelassen, zumal er die Verlässlichkeitdieser Quellen oft fachlich nicht mehr einschätzen kann. WennRedaktionen dazu übergehen, Quellen nicht mehr offen zu deklarieren,übernehmen sie selbst ein hohes Risiko. „Wenn Medien falsch informieren,ist das peinlich. Wenn Wirtschaftsjournalisten falsch informieren,dann kann das viel Geld kosten“ (Helmut Brandstätter, Programmgeschäftsführervon n-tv). Und <strong>der</strong> Verlust an Glaubwürdigkeit ist nichtmit Geld zu bezahlen.Die Unabhängigkeitsfalle ist gleichermaßen gefährlich für das Image <strong>des</strong>Wirtschaftsjournalismus. Auf den Münchner Medientagen hat Capital-Herausgeber Werner Funk darauf hingewiesen, dass <strong>der</strong> Druck einigerAnzeigenkunden auf die Verlage in <strong>der</strong> Konjunkturkrise noch zugenommenhabe. Wer kritisiert, werde bestraft. Doch nicht nur <strong>der</strong> Druck <strong>der</strong>Werbekunden bedroht die Glaubwürdigkeit <strong>der</strong> Wirtschaftsjournalisten,son<strong>der</strong>n auch die sichtbar gewordenen Einzelfälle unter Journalisten, dieInsi<strong>der</strong>-Wissen in <strong>der</strong> Börsenberichterstattung zum eigenen Interessenutzten. „Wer spekuliert, kann nicht beraten“ (Thomas Löffelholz). DieInsi<strong>der</strong>-Regelungen einiger Verlage sind nur ein erster Schritt, um weiterenSchaden zu vermeiden.Glaubwürdigkeit ist ein äußerst fragiles Gut, das aus dem Vertrauen <strong>der</strong>Mediennutzer gespeist wird, dass die Redaktionen unabhängig von singulärenInteressen und mit hoher Fachkompetenz die wirtschaftlichenEntwicklungen beschreiben und beurteilen. Mit ihrer Fokussierung aufAnlegerthemen in <strong>der</strong> Vergangenheit haben viele Redaktionen ein glattesParkett betreten, auf dem unkalkulierbare Risiken lauern und beson<strong>der</strong>eRegeln gelten, um die Glaubwürdigkeit zu wahren. Wenn dieBerichterstattung sich zu einem puren Ratgeberjournalismus verengt,können Leser im Übrigen den Nutzwert solcher Aktien-Kauftipps – wie in<strong>der</strong> Vergangenheit auch – auf ihrem Konto unmittelbar überprüfen.Glaubwürdiger Wirtschaftsjournalismus kostet Zeit und Geld. Bei<strong>des</strong> wirdin den Verlagen und Sen<strong>der</strong>n knapp. Je härter <strong>der</strong> Zeit- und Spardruckin den Redaktionen wird, <strong>des</strong>to höher wird das Risiko für Fehlentwicklungen.Die Warnung lautet: Wenn Wirtschaftsjournalisten zupuren Produzenten von Werbeumfel<strong>der</strong>n verkommen, verlieren sie auchfür die Werbekunden an Wert.Zur Person:Prof. Dr. Claudia Mast ist Inhaberin <strong>des</strong> Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft undJournalistik <strong>der</strong> Universität Hohenheim (Stuttgart) und Herausgeberin <strong>des</strong> „ABC <strong>des</strong>Journalismus“.Buchtipp:Claudia Mast: Wirtschaftsjournalismus. Grundlagen und neue Konzepte für die Praxis.Wiesbaden: Westdeutscher Verlag 1999, 304 S.Claudia Mast: ABC <strong>des</strong> Journalismus. Ein Leitfaden für die Redaktionsarbeit. Konstanz: UVKMedien 2002 (9. Aufl.)94 95


BESTECHUNG UND BESTECHLICHKEITGIBT ES ÜBERALLThesen von Adolf Theobald (Grün<strong>der</strong> Capital)1. Bestechung und Bestechlichkeit gibt esüberall: An Universitäten, Akademien, Stiftungenund auch im Wirtschaftsjournalismus.Das ist eine allgemein moralische, amoralischeFrage.2. Erst kommt das Wissen, dann die Moral.Um informieren zu können, muss sich <strong>der</strong>Journalist erst einmal selber informieren. Daskann auch auf gewundenen Pfaden geschehen.Den Leser <strong>der</strong> Wirtschaftsspalten interessiertnur: Nutzt mir die Information o<strong>der</strong>schadet sie mir? Das Urteil darüber fällt er selber. Sein Risiko: Dass erreinfällt. Davor schützen können ihn nur ordentliche Gerichte, ein wenigwohlmeinende Stan<strong>des</strong>regeln, überhaupt nicht: applausträchtigeEmpörungsgesten, sie taugen nur als Wort zum Sonntag.3. Zeitungen, Zeitschriften, die als verkaufsträchtige Produkte konzipiertwerden, also nicht journalistisch, können sich auf Dauer im Markt nichthalten. Der „Boom <strong>der</strong> Anlegermagazine“ ist schon wie<strong>der</strong> vorbei. Wasbleibt, sind die Seiten <strong>der</strong> seriösen Zeitungen und die Oldtimer unterden Wirtschaftsmagazinen.4. Was oft als Spielart eines bestochenen Wirtschaftsjournalismus übersehenwird: Kollegen, die sich dafür bezahlen lassen, wenn sie etwas nichtschreiben. Das ist – weil unerkannt – schlimmer als eine offene, nachprüfbareSchweinerei.PRINT-JOURNALISMUS VERKOMMT IMMERMEHR ZUM NUTZWERT-JOURNALISMUSThesen von Dr. Wolfgang Kaden1. Wirtschaftsmedien standen schon immer in dem Konflikt, dass dieUnternehmen, die mit ihren Werbegel<strong>der</strong>n diese Medien ermöglichen,gleichzeitig Gegenstand kritischer Darstellung sein sollen. Dieser Konfliktverschärft sich natürlich in wirtschaftlich schwachen Zeiten wie diesen:Unternehmen können leichter Druck ausüben. Und ich vermute, dass siedies auch tun.2. Gleichzeitig werden die Verlage zunehmend nach kaufmännischenKriterien geführt. Der klassische Verleger, <strong>der</strong> zunächst an einem journalistischattraktiven Produkt interessiert ist, stirbt aus. DieVerlagsmanager sind im Vormarsch. Und die messen ihren Erfolg alleinan <strong>der</strong> Rendite.3. Das Renditedenken in den Verlagen sorgt für extrem schlank geschnitteneRedaktionen. Das heißt: Es bleibt zu wenig Zeit für eigenständigeRecherche; eine Spezialisierung, die eine kompetente Berichterstattungermöglicht, findet nicht statt.4. Das Ungleichgewicht zwischen Unternehmen und Redaktionen wirdimmer größer. Unternehmen haben erkannt, welche Bedeutung Öffentlichkeitsarbeitfür das Image und damit für den Erfolg hat. Sie steckenimmer mehr Geld in diesen Bereich; viele Medien hingegen rüsten personellab.5. Der Print-Journalismus verkommt immer mehr zum Nutzwert-Journalismus. Viele Zeitgenossen unterziehen sich nur noch <strong>der</strong> Mühe<strong>des</strong> Lesens, wenn aus dieser Anstrengung ein persönlicher Gewinn resultiert:bessere Aufstiegschancen, schnelle Börsengewinne, schöneSteuervorteile. Die Bereitschaft, sich unabhängig von diesem Nutzen mitkomplexeren Sachverhalten zu beschäftigen, nimmt hingegen ab.<strong>6.</strong> Allenthalben verstärkt sich im Wirtschaftsjournalismus die Neigung,auf kurzfristigen Modewellen zu reiten. Alle stürzen sich auf die gleichenThemen – und springen schnell wie<strong>der</strong> ab (typisches Beispiel: Lipobay).9697


Dieser Trend wird von <strong>der</strong> Schnelllebigkeit <strong>des</strong> Fernsehens verschärft.7. Ein beson<strong>der</strong>er Problembereich ist das Online-Angebot. Da die Nutzerbis heute nicht für dieses Angebot zahlen, müssen sich die Verlagedurch Kooperationen o<strong>der</strong> Content-Verkäufer refinanzieren.Unternehmen, die auf einer solchen Ebene Geschäftspartner sind, werdenbei <strong>der</strong> Berichterstattung möglicherweise mit beson<strong>der</strong>em Wohlwollenbedacht.8. Im Bereich <strong>der</strong> Unternehmensberichterstattung wie im übrigenJournalismus verschärft sich ein schon seit längerem zu beobachten<strong>der</strong>Trend: die Trennung <strong>des</strong> Medienangebots in Qualitätsmedien einerseitsund Wegwerfware an<strong>der</strong>erseits. Dieser Trend wird sich noch verstärken.9. Gerade im Bereich <strong>der</strong> Wirtschaftsmagazine besteht <strong>der</strong>zeit ein Überangebot.Ich kann nicht erkennen, dass dieses Angebot zu einerVerbesserung <strong>der</strong> journalistischen Qualität geführt hat. Womöglich sorgtdie anhaltende Schwäche <strong>des</strong> Anzeigenmarkts für eine Bereinigung.10. Trotz aller kritischen Anmerkungen: zu Kulturpressimismus bestehtkein Anlass. Die Nachfrage nach qualitativ hochwertigem Wirtschaftsjournalismusist groß; wir haben in allen Bereichen leistungsfähigeRedaktionen, die sich durchaus kritisch mit den Unternehmen auseinan<strong>der</strong>setzen.Erfolg wird auf Dauer nur haben, wer bei seiner Kundschaftglaubwürdig bleibt, und das dauerhaft. Soll heißen: guter Wirtschaftsjournalismusbehält seine Chance.INFORMATION ALS WETTBEWERBS-VORTEILThesen von Rainer Hank (Financial Times Deutschland)1. Wettbewerb belebt das Geschäft. Und verbessert die Qualität.Sagt die Theorie. Wettbewerb drückt die Preise. Und verdirbt dieQualität. Sagt <strong>der</strong> Volksmund. Wie immer im Leben hat die TheorieRecht. Und nicht <strong>der</strong> Volksmund.2. Der Beweis ist einfach: Kaufen Sie sich an einem beliebigenWochentag FAZ, Handelsblatt, FTD und Tagesspiegel. Und versuchenSie, sich auch nur grob an <strong>der</strong>en Wirtschaftsteile von früher zu erinnern.O<strong>der</strong> lassen Sie sich von Ihrem Archiv die entsprechendenZeitungen vor 10 und 20 Jahren heraus suchen. Das Ergebnis: DieWirtschaftsberichterstattung heute ist näher am Kunden, kritischerund quellenvielfältiger. Was will man mehr?3. Natürlich gibt es Scalping, Front-running, Pooling o<strong>der</strong> Ticker-supporting.Die englischen Begriffe zeigen: Die Amis wissen das schonlange und haben uns Spätgeborenen beigebracht, damit umzugehen.Natürlich gibt es die Marian von Korffs und Egbert Priors dieserWelt. Publizistische Kursmanipulation nennt man das. Es wäreverniedlichend, von Schwarzen Schafen zu sprechen. Wir haben esmit einer hoch riskanten Spielart zu tun, aus InformationsprivilegienProfit zu ziehen. Aber es kann auffliegen. Siehe Marian von Korff,Egbert Prior e tutti quanti. Das bringt dann auch diese Magazine inVerruf. Zu Recht.4. Die Debatte über Ehrenkodizes etc. ist im Prinzip okay. Wenn manes mit <strong>der</strong> Regulierungswut nicht übertreibt. Wozu die Deutschenneigen. Denn <strong>der</strong> „unbeeinflusste Kapitalmarkt“ ist eine Illusion.Und die Vorstellung, alle verfügten im Wettbewerb über dieselbenInformationen verkennt gerade die Eigenart <strong>des</strong> Wettbewerbs: Ausden Informationen, die ich (und nur ich) habe, kann ich einenWettbwerbsvorteil machen.5. Das ist, wohlgemerkt, kein Plädoyer für Betrug und Kumpanei.Aber was soll <strong>der</strong> Vorwurf, die Wirtschaftsjournalisten hätten dieSpekulationsblase mit ausgelöst? Sie wussten es eben auch nicht9899


esser – als Händler, Analysten und Ökonomen. Und sind mit allenan<strong>der</strong>en jetzt angeschmiert. So ist das mit den begrenztenInformationen. Alle haben wir dazu gelernt. Das ist ein Prozess <strong>der</strong> Reife.VERSUCHE DER EINFLUSSNAHME NEHMEN ZUThesen von Dr. Ursula Weidenfeld (Der Tagesspiegel)1. Es hat wohl selten Zeiten gegeben, in denen Wirtschaftsjournalistenbesser ausgebildet und besser bezahlt wurden als heute. Das schütztdie Journalisten nicht vor allen Versuchungen, aber vor vielen. Deshalbhat es nie einen unabhängigeren Wirtschaftsjournalismus gegeben als jetzt.2. Bis vor wenigen Jahren hatten Wirtschaftsmagazine, -redaktionen und-blätter in Deutschland nur in den seltensten Fällen Vereinbarungen überInsi<strong>der</strong>wissen und -handel. Heute haben selbst Wirtschaftsredaktionenvon Regionalzeitungen solche Übereinkünfte. Auch das ist ein Indizdafür, dass <strong>der</strong> Wirtschaftsjournalismus insgesamt unabhängiger gewordenist.3. Natürlich nehmen auch die Versuche <strong>der</strong> Einflussnahme zu. PresseundÖffentlichkeitsabteilungen arbeiten immer professioneller, sie versuchenimmer stärker, die Inhalte zu beeinflussen, das Anzeigenumfeldzu verbessern. In Branchensegmenten o<strong>der</strong> Regionen, in denen es keinenWettbewerb gibt, besteht in <strong>der</strong> Tat die Gefahr, dass dieser Einfluss tatsächlichauch ausgeübt werden kann. In kompetitiven Bereichen dagegenist dem Einfluss <strong>der</strong> Öffentlichkeitsarbeiter eine natürliche Grenzegesetzt.4. Der Druck <strong>der</strong> Anzeigenabteilungen: Immer wie<strong>der</strong> wird berichtet,dass <strong>der</strong> Druck und <strong>der</strong> Einfluss <strong>der</strong> Anzeigenabteilungen auf dieRedaktionen und die Inhalte zunimmt. Ich kann das nicht bestätigen.Diesen Druck hat es immer gegeben. In wirtschaftlich schwachen Zeitenwar er immer größer als in konjunkturell guten Phasen. Aber insgesamtschlägt sich die wachsende journalistische Unabhängigkeit auch imVerhältnis zwischen Anzeigenabteilungen und Redaktionen nie<strong>der</strong>: Undauch die Anzeigenabteilungen haben begriffen, dass das besteAnzeigenumfeld ein unabhängiges ist. Das schließt natürlich nicht aus,dass es in Einzelfällen immer wie<strong>der</strong> Versuche gibt, die Redaktion überAnzeigenschaltungen massiv zu beeinflussen.5. Je mehr Angebote es gibt, <strong>des</strong>to stärker differenziert sich auch dieQualität aus: In einem Markt, <strong>der</strong> bis vor einem Jahr mit ständig neuen100101


Produkten gesegnet war, haben sich neben hochwertigen Produktenauch schlechte o<strong>der</strong> sehr schlechte etabliert. Im Augenblick findet eineMarktbereinigung statt: Doch niemand sollte annehmen, dass es nur dieguten und sehr guten Produkte sind, die überleben werden. ImWirtschaftsjournalismus wird es immer eine Mischung geben, die auchmiserable und stark von Anzeigenkunden beeinflusste Produkte beinhaltet.Das gilt aber für jeden an<strong>der</strong>en journalistischen Bereich auch.LEITFRAGEN ZURMEDIENPOLITIKMedienpolitik – am Publikum vorbei?•Welche Entwicklungen wird es in den nächsten Jahrenin <strong>der</strong> Medienlandschaft geben?•Gleichen sich öffentlich-rechtliche und private Sen<strong>der</strong>immer stärker an?•Sollten öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten künftigeigenständige Onlineangebote als vierte Programmsäulerepräsentieren?•Welche Gestaltungsspielräume hat Medienpolitik überhauptheute noch?•Blutet das öffentlich-rechtliche System durch Lizenzenund teure Unterhaltung aus?•Sollen die politischen Kontrollgremien künftig politikfernbesetzt werden (For<strong>der</strong>ung Heide Simonis, MinisterpräsidentinSchleswig Holstein)•Welche Reformperspektiven sehen Sie generell für dieMedienlandschaft?102103


MEDIENPOLITIK – AM PUBLIKUM VORBEI?Thesen von Kurt Beck, Ministerpräsident Rheinland-Pfalz1. Im publizistischen Wettbewerb kommt es zwangsläufig bei denMarktteilnehmern im Rundfunkbereich (öffentlich-rechtliche und privateRundfunkveranstalter) zu Überschneidungen und gegenseitigen Angleichungenbei Programmformaten und Inhalten. Grenze <strong>der</strong> gegenseitigenAngleichung muss jedoch beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk dieWahrung seiner Kernfunktionen sein.2. Ein Programm ohne jegliche Berücksichtigung<strong>der</strong> Quote ist auch bei denÖffentlich-Rechtlichen letztendlich nichtsinnvoll, da Programme, die nicht auf entsprechen<strong>des</strong>Interesse stoßen, niemandemdienen. Im Hinblick auf den öffentlich-rechtlichenRundfunk ist Gebührenakzeptanzimmer auch eine Frage <strong>der</strong> Zuschauerakzeptanz.3. Programme, die auf den „Kick <strong>der</strong> Reize“ setzen, haben sich in <strong>der</strong>Vergangenheit oftmals als kurzlebige Modetrends gezeigt, die imGegenzug beim Zuschauer wie<strong>der</strong> Appetit auf mehr Qualität machen.4. Öffentlich-rechtliche Online-Angebote sind aus dem Selbstverständnissowie dem Auftrag <strong>des</strong> öffentlich-rechtlichen Rundfunks heraus gerechtfertigtund notwendig.5. Das Werbe- bzw. Sponsoringverbot sollte vor dem Hintergrund <strong>der</strong>dramatischen Einbrüche im elektronischen Werbemarkt und dem Schutz<strong>der</strong> Finanzierung privater Anbieter beibehalten werden. Deshalb mussdie Finanzierung über Rundfunkgebühren im Interesse eines medialenGesamtangebotes an die Bürgerinnen und Bürger gesichert sein.7. Eine weitere Begrenzung erscheint im Rahmen einer künftigenAusformung <strong>des</strong> Funktionsauftrages <strong>des</strong> öffentlich-rechtlichenRundfunks in Form von Selbstverpflichtungen – ähnlich dem BBC-Modell– <strong>des</strong> öffentlich-rechtlichen Rundfunks sinnvoll.8. Alle gesellschaftlichen Gruppen sind in <strong>der</strong> Praxis irgendwie zugeordnet!Deshalb macht es auch keinen Sinn, eine Ausgrenzung politischerVertreter von Regierungen und Parlamenten vorzunehmen. Regierungsvertreterwie auch Parlamentarier in Rundfunkgremien haben eine hohedemokratische Legitimation, die <strong>der</strong> von Verbands- und Gruppenvertreternin den Rundfunkräten in nichts nachsteht.9. Die Interessenvertretung <strong>des</strong> öffentlich-rechtlichen Rundfunks beruhtletztlich auch darauf, dass sich Politik gerade mit dem öffentlich-rechtlichenRundfunk und seiner Finanzierung durch Gebühren identifiziert.10. Die Gefahr, dass künftig zwar die Anzahl <strong>der</strong> Kanäle hoch ist, jedochkeine inhaltliche Vielfalt geboten wird, zeigt, dass die Diskussion überQualitätssicherung <strong>der</strong> Programme und die Akzeptanz von Programmendurch das Publikum stärker in den Mittelpunkt zu rücken ist.11. In <strong>der</strong> Angebotsvielfalt muss <strong>der</strong> öffentlich-rechtliche Rundfunk einklar strukturiertes und umfassen<strong>des</strong> Angebot den Zuschauerinnen undZuschauer unterbreiten. Dies geschieht durch die Vollprogramme, dieOrientierung bieten, aber auch ergänzend durch Spartenprogramme wiePhoenix, Kin<strong>der</strong>kanal und Arte.12. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk darf nicht in einen Wettlauf in <strong>der</strong>Quantität <strong>der</strong> Angebote mit den Privaten verfallen. Dies ist we<strong>der</strong> finanzierbarnoch zielführend. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss seinAngebotspaket letztlich definieren, um seinen öffentlich-rechtlichenAuftrag umfassend und vollständig zu erfüllen.<strong>6.</strong> Begrenzt wird das Online-Engagement <strong>des</strong> öffentlich-rechtlichenRundfunks hierbei durch die rechtlichen Rahmenbedingungen <strong>des</strong>Rundfunkstaatsvertrages, in dem nur vorwiegend programmbezogeneDienste zugelassen sind.104 105


WER QUALITÄT WILL, MUSS DIE DIKTATURDER QUOTE ABSCHAFFENThesen von Arno Luik (Stern)1. Brutales, Banales, Bizarres – das Schlechte setzt sich durch. Auf <strong>der</strong>Jagd nach <strong>der</strong> Quote verkommt das Programm. Die Öffentlich-Rechtlichen unterscheiden sich kaum mehr von den Privaten. Die Deviseheißt: Was gefällt, ist erlaubt; nichts, rein gar nichts, ist peinlich – wennnur die Quote stimmt.aus, bittet, Videos von bin Laden nur noch nach ,,sorgfältigerBearbeitung“ zu senden. Was heißt das für Deutschland, das stets imitiert,was in den USA vorgemacht wird? Sollen Journalisten – aus Staatsräson(aber wer definiert die?) – sich beschränken, sich selbst zensieren?7. Mit Schilys Sicherheitsgesetzen kündigt sich in Deutschland einSchnüffelstaat orwellscher Dimension an: Medienmitarbeiter sollen aufihre Zuverlässigkeit überprüft werden: Uniformität <strong>des</strong> Denkens greiftum sich.2. Fetisch Quote: Wer Qualität will, muss dieDiktatur <strong>der</strong> Quote abschaffen.3. Die Zahl <strong>der</strong> Print- und TV-Mediennimmt ständig zu – und die Informiertheit<strong>der</strong> Bürger? Die Vielfalt verstärkt dieEinfalt. Verstärkt durch Konkurrenzdruckund Gerangel um Marktanteile – geradeauch bei sensiblen Themen: ,,Müssen dieNetworks“, klagt etwa <strong>der</strong> Christian Sciene Monitor über dieKriegsberichterstattung, ,,wirklich auf Übertreibungen und Platitüdenzurückgreifen, um eine fast identische Berichterstattung zu differenzieren,so als verkauften sie Kartoffelchips?«4. Medienpolitik ist mehr als Standortpolitik: Es ist kein Naturgesetz,dass es immer mehr TV-Stationen, immer mehr Programme gibt. Je<strong>der</strong>zusätzliche TV-Kanal, je<strong>der</strong> zusätzliche Spartensen<strong>der</strong> atomisiert dieGesellschaft, untergräbt den sozialen Zusammenhalt, die For<strong>der</strong>ung fürdie Zukunft muss heißen: Wir brauchen nicht noch mehr, wir brauchenweniger TV-Programme!5. Politiker wollen gewählt werden, Politiker sind Populisten. Deshalb:Politiker sind aus den Rundfunkräten zu verbannen.<strong>6.</strong> Der 11. September hat in den USA direkte Auswirkungen auf dieMedien: Sie stehen stramm, sie überbieten sich in patriotischem Eifer,die Fahne weht: Wer versucht objektiv zu berichten, gerät unterVerdacht. Die Regierung weist die Medien an, gibt Sprachregelungen106107


ES GIBT KEINE MEDIENPOLITIKThesen von Prof. Thomas Schadt1. Inwieweit sind politische Inhalte, Sachverhalte und Abläufe überhauptmit den Mitteln <strong>des</strong> (Fernseh-)Journalismus für das Volk transparent darzustellen?Nur sehr bedingt, da politische Sachverhalte äußerst kompliziert sindund <strong>des</strong>halb nicht in 90 Sekunden-Statements zu fassen sind. Vermitteltwerden in <strong>der</strong> Regel keine Inhalte, son<strong>der</strong>n (strategische) Botschaften.2. Welches „Bild“ wird dem Volk durch die Medien a) von den Politikern,b) von den Journalisten vermittelt?Ein Bild, das deutlich macht, dass Politiker und „ihre“ Journalisten vielgemeinsam haben, sie in großer gegenseitiger (auch existentieller)Abhängigkeit agieren und mit Informationen ein gnadenloses Geschäftbetreiben. Wie ein Raumschiff schwebt dieses Szenario hoch über demVolk, um auf dieses täglich ein buntes Feuerwerk von Bild- undSprechblasen herabrieseln zu lassen.3. Wer besitzt mehr Macht: Medien o<strong>der</strong> Politik?Je länger ich darüber nachdenke, <strong>des</strong>to mehr komme ich zu <strong>der</strong> Ansicht,dass die Medien die größere Macht besitzen und zwar nicht in Form vondirekter Gesetzgebung, son<strong>der</strong>n weil sie über atmosphärischeBeeinflussung und Stimmungsmache massiv auf politische Entscheidungeneinwirken können.Journalisten immer mehr schwinden. Weil viele Journalisten schlecht aufihre Arbeit vorbereitet sind, dem Druck nicht standhalten und von <strong>der</strong>Kunst <strong>des</strong> Fragens nur wenig zu wissen scheinen.7. Wie viel erfährt das Volk im Wechselspiel zwischen Politik und Medienvon <strong>der</strong> tatsächlich stattfindenden politischen Realität in diesem Lande?Was wird von ihr öffentlich, was bleibt nicht-öffentlich?Das Volk erfährt davon nicht viel. Und das, was öffentlich wird, ist nahezuausschließlich taktisches Kalkül <strong>der</strong> Politik o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Medien, o<strong>der</strong>eine Absprache von beiden. Wirkliche Politik findet mehr denn je hinterverschlossenen Türen im nicht-öffentlichen Raum statt.Provozierende Schlussthese:Gerhard Schrö<strong>der</strong> ist kein Medienkanzler.Es gibt keine Berliner Republik.Es gibt keine Mediendemokratie (höchstens die „Diktatur <strong>des</strong> Fernsehens“).Es gibt keine Medienpolitik.Es gibt Politik und Medien o<strong>der</strong> Medien und Politik, und es gibt Politikerund Journalisten, die Politik machen o<strong>der</strong> darüber berichten.Der einzig wahre Unterschied zwischen Politiker und Journalisten bestehtdarin, dass viele Journalisten Politiker werden wollen, Politiker aber nieJournalisten.4. Gibt es eine unabhängige Berichterstattung?Nein, genauso wenig wie einen objektiven o<strong>der</strong> neutralen Standpunkt.5. Wie verläuft die Grenze zwischen Information, Interpretation undManipulation?Fließend und für den Konsumenten wenig sichtbar. Hier stellt sich dieFrage <strong>der</strong> Ethik und <strong>der</strong> Verantwortung von Politikern und Journalistengegenüber <strong>der</strong> Realität.<strong>6.</strong> Warum verliert die journalistische Kultur in Deutschland an Qualität?Weil im Überbedarf <strong>des</strong> Fernsehens zu viele Journalisten benötigt werdenund viele von ihnen im Konkurrenzkampf <strong>des</strong> Geschäftes aufgeriebenwerden. Weil gegenseitige Achtung und Respekt zwischen Politikern und110111


DER GRUNDSATZ DER STAATSFERNE WIRDZUNEHMEND DURCHLÖCHERTThesen von Manfred Helmes(Direktor <strong>der</strong> Lan<strong>des</strong>zentrale für privaten Rundfunk Rheinland-Pfalz)1. Welche Funktionen haben die Medien in Staat und Gesellschaft?Elektronische Medien sind keine Privatveranstaltungen, die <strong>der</strong> individuellenMeinungsäußerung o<strong>der</strong> dem persönlichen Gewinnstreben dienen.Dem gesetzlichen Freiraum für eine medienwirtschaftliche Betätigungsteht somit die Aufgabe <strong>des</strong> Staates gegenüber, die strukturellenVoraussetzungen für die Funktionserfüllung <strong>der</strong> Medien im Sinne <strong>des</strong>Artikels 5 GG zu schaffen.Diese sind:- Staatsferne- Sicherung <strong>der</strong> Meinungsvielfalt- Verhin<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Entstehung vorherrschen<strong>der</strong> Meinungsmacht.Dabei unterscheiden sich öffentlich-rechtlicher Rundfunk und kommerziellerRundfunk in <strong>der</strong> Erfüllung ihres Funktionsauftrages.Der öffentlich-rechtliche Rundfunk erfüllt seinen Auftrag in gesellschaftlicherVerantwortung.Der kommerzielle Rundfunk in privater Verantwortung ist diesem Ziel in<strong>der</strong> Bandbreite nicht verpflichtet.2. Wird Medienpolitik diesen strukturellen Voraussetzungen gerecht?Der Grundsatz <strong>der</strong> Staatsferne wird zunehmend durchlöchert.Das Gerangel um die Intendantenwahl beim ZDF spricht Bände.Die Einflusssuche <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong> und <strong>der</strong> obersten Jugendbehörden in <strong>der</strong>neuen Kommission Jugendschutz signalisiert nichts Gutes.Die For<strong>der</strong>ung nach einer politikfremden Besetzung <strong>der</strong> Aufsichtsgremienist dennoch nur opportunistisch. Die Konflikte werden dann auf eineran<strong>der</strong>en Ebene ausgetragen und dazu weniger offen.3. Die Sicherung <strong>der</strong> Meinungsvielfalt gilt für den einzelnen Veranstalterwie für das Programmpaket.Sie verän<strong>der</strong>t sich in ihrer Qualität beim Wechsel von analog zu digital.Es ist <strong>der</strong> Wandel von <strong>der</strong> Verwaltung <strong>des</strong> Mangels hin zur Missbrauchsaufsicht.4. Liberty Media ante portas! Hat die Politik bei <strong>der</strong> Deregulierung <strong>der</strong>Telekom versagt?Ist das Versäumnis im Kartellverfahren o<strong>der</strong> durch ergänzendeRegelungen im Rundfunkstaatsvertrag überhaupt noch zu korrigieren?Greifen die Instrumente <strong>der</strong> Lan<strong>des</strong>medienanstalten, um dieVersäumnisse <strong>der</strong> Politik zu überlagerno<strong>der</strong> scheitern sie erneut andem Postulat: Standortpolitik überlagertRegulierung?Führt die Aufgabe <strong>des</strong> Grundsatzes<strong>der</strong> Trennung von Netz und Nutzungzu vorherrschen<strong>der</strong> Meinungsmacht?5. Bleibt <strong>der</strong> Grundversorgungsauftrageine Bestands-und Entwicklungsgarantiefür den öffentlichrechtlichenRundfunk?Anlässlich einer zunehmenden Programmvervielfältigung im digitalenZeitalter?Anlässlich einer nicht zu bremsenden Kostenexplosion beim Rechte-Erwerb?Anlässlich einer verän<strong>der</strong>ten Struktur bei <strong>der</strong> Rundfunkgebühr?<strong>6.</strong> Welche Entwicklung soll die Medienaufsicht in Deutschland nehmen?Von <strong>der</strong> Koregulierung/Selbstkontrolle zur Aufsicht aus einer Hand?Die Stärkung <strong>der</strong> politikfernen Gremienmitglie<strong>der</strong> wäre ein geeignetesGegengewicht.112113


LEITFRAGENONLINEOnline-Journalismus zwischen Traffic und Content•Hat sich <strong>der</strong> Online-Journalismus bereits als Mediumdurchgesetzt o<strong>der</strong> ist es nur eine Plattform für ökonomischesHandeln?•Wie hoch ist die Gefahr, den Journalismus ökonomischenZielen unterzuordnen?•Welche Auswirkungen hat die Gratwan<strong>der</strong>ung zwischenPublic-Service-Verpflichtung und kommerziellen Zielen?•Die Internet-Nutzer sind es gewohnt, für Inhalte aus demWeb kein Geld bezahlen. Wirkt sich das auf die Qualität<strong>der</strong> Informationen aus? Und ist das <strong>der</strong> Grund, warum inzunehmendem Maße auf Money-Making gesetzt wird?•Welche Unterschiede gibt es überhaupt noch zwischenOnline-Journalismus und E-Commerce?•Wie sind die Arbeitsbedingungen von Online-Journalisten?Bleibt Zeit zum Recherchieren o<strong>der</strong> müssen sie gezwungenermaßenPressemitteilungen eins zu eins übernehmen?•Was ist die neue spezifische journalistische Qualität vonOnlinejournalismus (Sprache, Visualisierung)?•Glauben Sie, dass die Nutzer künftig für unabhängigejournalistische Beiträge im Internet zahlen müssen?•Wie bewerten Sie es, wenn die öffentlich-rechtlichenRundfunkanstalten eigene Online-Säulen aufbauen?114115


NICHT DAS MEDIUM – DER VERLAGBESTIMMT DIE ARBEITSBEDINGUNGENThesen von Kirsten Haake(Redaktionsleiterin Online, Financial Times Deutschland)Und sie leben noch!Zweifellos sind die Zeiten für Online-Journalisten sind nicht gerade rosig,son<strong>der</strong>n gräulich. Der Gattung aber den schleichenden Tod vorauszusagen,ist voreilig.Die Lage ist schlecht, aber nicht hoffnungslos – ähnlich, wahrscheinlichsogar stärker als Printmedien und viele Fernsehsen<strong>der</strong>, verbuchen dieOnline-Medien <strong>der</strong>zeit starke Werbeeinbrüche. Was es den Onlinernnoch etwas schwerer macht, ist die Tatsache, dass sie im Gegensatz zuden etablierten Medien noch nicht bewiesen haben, dass sie Gewinnerwirtschaften können. Das erhöht sowohl den Druck auf dieRedaktionen, Kosten zu senken, als auch die Begehrlichkeiten <strong>der</strong>Werbekunden. Das aber trifft alle Redaktionen gleichermaßen. Es wärealso falsch zu sagen, die journalistische Unabhängigkeit ist in Online-Medien stärker gefährdet als in an<strong>der</strong>en, sie ist genauso stark gefährdet.Ich setze damit voraus, dass es diese Unabhängigkeit gibt – unddas aus Erfahrung.Umständen sogar mehr als in an<strong>der</strong>en Medien.Alles hat seinen Preis – auch Online-Inhalte – den seriösen Online-Medien muss es bald gelingen, Erlöse aus dem Verkauf von Contentund nicht nur durch Werbung zu erzielen. Nur diese Mischung – inwelchem Verhältnis auch immer – garantiert auf Dauer journalistischeLeistung und Qualität. Dass es an<strong>der</strong>s nicht funktioniert, beweisen dieAnzeigenblätter: Gratis gibt es keine Qualität. Die Zeitungsleser wissenes schon, die User werden es lernen.Das Ansinnen, endlich für Online-Inhalte Geld zu verlangen, beweistaußerdem gewachsenes Selbstbewusstsein: Das Produkt ist Geld wert!Ein Journalist ist ein Journalist, ist ein Journalist, ist ein Journalist ...– Egal ob er für eine Nachrichtenagentur, eine Wochenzeitung o<strong>der</strong> eineWebseite arbeitet. Nicht das Medium bestimmt die Arbeitsbedingungen,son<strong>der</strong>n – verkürzt gesagt – <strong>der</strong> Verlag.Dass das Internet längst auch ein journalistisches Medium ist, hat esspätestens am 11. September bewiesen. Nur wenige Minuten nachdemdas erste Flugzeug in das World Trade Center gestürzt war, stiegen weltweitdie Zugriffszahlen im Internet – insbeson<strong>der</strong>e auf denNachrichtenseiten.Ein Bildschirm ist keine Zeitung – an<strong>der</strong>s gesagt, ein Online-Journalistmuss seine Geschichte an<strong>der</strong>s erzählen als <strong>der</strong> Kollege von Fernseheno<strong>der</strong> Zeitung. Eine knackig formulierte Schlagzeile zahlt sich sofortmessbar in Klicks aus, reicht aber nicht. Der User soll ja bei <strong>der</strong> Stangegehalten werden, obwohl das Lesen am Bildschirm mühsamer ist als aufPapier. Dazu nur einige Stichworte: Das Zerschlagen eines großenThemas in verschiedene Aspekte und vor allem Formen: als kleinereTexte, Audio-Bericht, Fotostrecke, Link-Sammlung o<strong>der</strong> Online-Umfrage.In <strong>der</strong> Summe bedeutet das nicht weniger Information, son<strong>der</strong>n unter116 117


DIE KUNST DER BESCHRÄNKUNG AUF DASWESENTLICHEPhilipp J. Fleischmann1. Hat sich <strong>der</strong> Online-Journalismus bereits als Medium durchgesetzto<strong>der</strong> ist er nur eine Plattform für ökonomisches Handeln?These: Die traurigen Ereignisse am 11. September haben bewiesen, dasssich das Internet als eigenständiges Medium sowohl im Journalismus alsauch bei den Nutzern durchgesetzt hat. Im Übrigen basiert guterJournalismus immer auf erfolgreichen Geschäftsmodellen. Im Netz entstehendabei aufgrund <strong>der</strong> gemeinsamen digitalen Basis neue Angebotsformenauf einer Bandbreite von reinen Informationsangeboten bis zuE-Commerce-Plattformen. Es geht also nicht um ein „entwe<strong>der</strong> o<strong>der</strong>“.2. Wie hoch ist die Gefahr, den Journalismus ökonomischen Zielen unterzuordnen?These: Diese „Gefahr“ existiert in erfolgreichen Verlagshäusern mitQualitätstiteln nicht, da die ökonomischen Ziele am besten mit gutemJournalismus erreicht werden können. Durch die exakte Zurechenbarkeit<strong>des</strong> Traffics zu Rubriken o<strong>der</strong> Werbeformen kann es aber im Online-Bereich zu einem stärkeren, indirekten Einfluss <strong>der</strong> Werbekunden auf dieSteuerung <strong>der</strong> Redaktionsressourcen kommen, als beispielsweise bei<strong>der</strong> klassischen Beilagenplanung von Printtiteln. Das muss sorgsam beobachtetwerden.3. Welche Auswirkungen hat die Gratwan<strong>der</strong>ung zwischen Public-Service-Verpflichtung und kommerziellen Zielen?These: Eine Public-Service-Verpflichtung können nur Inhaltsanbieterhaben, die für diese Verpflichtung einen Auftrag erhalten und in entsprechen<strong>der</strong>Weise alimentiert werden. Ansonsten gelten für den Online-Journalismus dieselben Regeln wie für an<strong>der</strong>e Mediengattungen: Nur eingutes Produkt findet seine Käufer und kann durch die dadurch möglicheReichweitenvermarktung den kommerziellen Zielen <strong>des</strong> Verlages dienen,die wie<strong>der</strong>um im Sinne <strong>der</strong> Leser sind. Ein Ergebnis sind zum Beispieldie Stan<strong>des</strong>regeln <strong>der</strong> Verlagsgruppe Handelsblatt, die sich einVerlagshaus auch „leisten“ können muss.4. Die Internet-Nutzer sind es gewohnt, für Inhalte aus dem Web keinGeld zu bezahlen. Wirkt sich das auf die Qualität <strong>der</strong> Information aus?Und ist das <strong>der</strong> Grund, warum in zunehmendem Maße auf Money-Making gesetzt wird?These: Informationen – nicht Neuigkeiten – waren noch nie ein freiesGut. Das Internet wird auch nicht den Gegenbeweis antreten. In absehbarerZeit werden Inhalte, die in den Augen <strong>der</strong> Nutzer einen Werthaben, Geld kosten. Das kann nur im Interesse <strong>der</strong> Journalisten sein, dadadurch die Abhängigkeit <strong>des</strong> Geschäftsmodells von <strong>der</strong> Werbekundschaftreduziert wird.5. Welche Unterschiede gibt es überhaupt noch zwischen Online-Journalismus und E-Commerce?These: Wenn <strong>der</strong> Unterschied zwischen Online-Journalismus und E-Commerce in Sinne von Produktwerbung und -vertrieb in diesem Landenicht mehr klar ist, steht es schlecht um die Zukunft <strong>des</strong> Journalismus.<strong>6.</strong> Wie sind die Arbeitsbedingungen von Online-Journalisten? Bleibt Zeitzum Recherchieren o<strong>der</strong> müssen sie gezwungenermaßen Pressemitteilungeneins zu eins übernehmen?These: In dem Maße, in dem das Internet an<strong>der</strong>e Medien alsInformationsquelle ergänzt o<strong>der</strong> ersetzt, müssen klassische journalistischeGrundsätze mit den Anfor<strong>der</strong>ungen <strong>des</strong> Mediums gepaart werden.Derzeit wird das Medium noch sehr stark zur gezielten Informationssuchein datenbankbasierten Applikationen genutzt. Nichtzuletzt die Pflege dieser Angebote führt dazu, dass oft ungenügend Zeitzum Recherchieren bleibt. Das kann aber durch eine effizienteArbeitsorganisation verbessert werden.7. Was ist die neue spezifische journalistische Qualität von Online-Journalismus (Sprache, Visualisierung)?These: Die spezifische Qualität von Online-Journalismus ist die Kunst<strong>der</strong> Beschränkung aufs Wesentliche. Typische Merkmale sind außerdemAktualität, Interaktivität, Multimedialität, Speicherkapazität, Hypertextprinzipund weltweite Distribution.8. Glauben Sie, dass die Nutzer künftig für unabhängige journalistischeBeiträge im Internet zahlen müssen?These: Zur Formulierung einer These müsste <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong>Unabhängigkeit definiert werden. Sind z.B. die redaktionellen Berichte in118 119


kostenlosen Anzeigenblättern unabhängig o<strong>der</strong> nicht? Meines Erachtenswird es unabhängige Berichterstattung auch im Netz immer kostenpflichtigund kostenfrei geben. Kostenpflichtige Angebote müssen aberqualitativ – entwe<strong>der</strong> inhaltlich o<strong>der</strong> z.B. bzgl. <strong>der</strong> Aufbereitung <strong>der</strong>Informationen – höherwertiger als kostenfreie Angebote sein. Da dieMarkteintrittsbarrieren <strong>des</strong> klassischen Verlagsgeschäfts im Internetweitgehend wegfallen, stehen die Verlagshäuser somit vor einer sehrgroßen Herausfor<strong>der</strong>ung.9. Wie bewerten Sie es, wenn die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalteneine eigene Online-Säule aufbauen?These: Ich möchte nicht beurteilen, inwiefern ein Medium wie dasInternet Angebote benötigt, die einen Versorgungsauftrag erfüllen sollen.Die Meinungsvielfalt ist ohnehin eine <strong>der</strong> media-immanentenEigenschaften <strong>des</strong> Internet.WER DIE KRISE MEISTERT, WIRD EINE KAUMEINHOLBARE POSITION ERREICHENThesen von Mathias Müller von Blumencron(Chefredakteur Spiegel-Online)1. Die führenden US-News-Sites wie cnn.com, wsj.com o<strong>der</strong> nyt.com sindlängst ernsthafte journalistische Produkte, die es qualitätsmäßig mitje<strong>der</strong> Print-Zeitung aufnehmen können. In Deutschland ist die Entwicklungverzögert, geht aber in die gleiche Richtung.2. Im letzten Jahr hat sich die Qualität <strong>der</strong> besten deutschen News-Seiten durch hohe Investitionen <strong>der</strong> Verlage sprunghaft verbessert. Siesind zum Massenmedium geworden und für Hun<strong>der</strong>ttausende täglicheine unentbehrliche Info-Quelle. Ihr Erfolg ist allerdings wegen <strong>der</strong> weggebrochenenKonjunktur gefährdet.3. Eine gute Online-News-Site ist eine hochkomplexe redaktionelle Veranstaltungmit hohen Anfor<strong>der</strong>ungen an die Redakteure. Sie müssenschnell sein, geübt in <strong>der</strong> Nachrichtenauswahl, rasch recherchieren undstilsicher schreiben können. Den Erfolg einer News-Site bestimmt nichtnur ihre Aktualität und ihre Tiefe, son<strong>der</strong>n auch ihr charakteristischerSound (im Sinne von Mischung, nicht akustisch gemeint).4. Wer sich als News-Seite auf das Kopieren von Agentur-Meldungenbeschränkt o<strong>der</strong> gar PR-Mitteilungen verbreitet, hat heute keine Chancemehr. Die Leser erwarten Aktualität, aber auch Hintergrund, Analyse,Meinung. Und gute Unterhaltung.5. Fernsehen und Internet werden sich annähern, aber vorerst nicht verschmelzen,wie in <strong>der</strong> Internet-Euphorie prophezeit. Internet erfor<strong>der</strong>tweiterhin einen aktiven Nutzer, eher am Schreibtisch, TV bleibt passiveUnterhaltung auf <strong>der</strong> Couch.<strong>6.</strong> Es werden sich kaum mehr als drei bis fünf News-Seiten als führendeProdukte in Deutschland etablieren. Wer die <strong>der</strong>zeitige Krise erfolgreichmeistert, wird bei anziehen<strong>der</strong> Werbekonjunktur eine kaum einholbarePosition erreichen.120121


7. Es liegt in <strong>der</strong> Verantwortung je<strong>der</strong> Redaktion: Wer als Info-Seite seineredaktionelle Glaubwürdigkeit durch Vermischung von Inhalt undKommerz gefährdet, setzt seinen Ruf und damit seinen langfristigenErfolg aufs Spiel.8. Die Glaubwürdigkeit je<strong>der</strong> News-Site bestimmt sich in <strong>der</strong> sauberenTrennung von Redaktion und Anzeigen.9. Das Problem E-Commerce hat sich entschärft. Mit E-CommerceGewinne zu machen, gelingt noch nicht einmal Spezialisten wie Amazon.Erst recht wird es nicht den Verlagen und an<strong>der</strong>en Betreibern von News-Seiten gelingen.10. Wenn die Online-Leser Geld zahlen, würde die Qualität <strong>der</strong> Angeboteviel schneller wachsen. Bezahlmodelle lassen sich aber nicht so ohneweiteres durchsetzen – nicht zuletzt wegen <strong>der</strong> Konkurrenz <strong>der</strong> Öffentlich-Rechtlichen.Dennoch werden immer mehr Inhalte im Netz einenPreis haben.11. Die Öffentlich-Rechtlichen überschreiten ihren verfassungsgemäßenAuftrag, wenn sie sich massiv im Netz ausbreiten. Sendebegleitung ja,eigenständige Info-Produkte nein.12. In naher Zukunft werden sich auch die deutschen Online-News-Siteseine eigenständige Position in <strong>der</strong> Medien-Welt erkämpft haben, aktuellerals Tageszeitungen, hintergründiger als Fernsehen, vielseitiger als Radio.ONLINE-JOURNALISMUS ZWISCHEN TRAFFICUND CONTENTThesen von Willi KaczorowskiEntwicklungen und Tendenzen im online-Markt• Internetnutzung in Deutschland• E-Business• E-Journalism• E-Government• E-DemocracyInternetnutzung in DeutschlandFacts & Figures• 39% <strong>der</strong> Erwachsenen in Deutschland verfügen über Internet-Zugänge; Versechsfachung innerhalb <strong>der</strong> letzten vier Jahre• größte Verbreitung findet das Internet nach wie vor bei jungenMännern mit formal hoher Schulbildung• <strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> Frauen steigt deutlich und liegt inzwischen bei 41 %• unter den 14 bis 29-Jährigen sind 2/3 online, bei den über 60-Jährigen nur 8 %Trends• weitere Zunahme <strong>der</strong> Internetnutzung, jedoch „nur“ noch zwischen15 und 20 % p.a.• Internetkompetenz wird zentrale Kulturtechnik• umfassende Sicherheitsinfrastruktur wird aufgebaut• kein Durchbruch <strong>der</strong> Internetnutzung in allen Bevölkerungsschichten,nach wie vor eine nennenswerte Zahl von Skeptikern undVerweigerern• <strong>der</strong> Internetzugang wird durch Wireless- und Broadband-Lösungennahezu flächendeckendE-Business in DeutschlandFacts & Figures• 1999 wurden mit E-Business weltweit Umsätze in Höhe von 180 Mrd.Euro getätigt• Wachstum gegenüber dem Vorjahr: 143 %• 90% <strong>der</strong> Unternehmen sind online, 61 % verfügen über eine Webpage122123


• im Vor<strong>der</strong>grund stehen dabei jedoch Produkt- und Dienstleistungsinformationund die Kommunikation via E-Mail• dem E-Business wird in den Unternehmen höchste Priorität eingeräumtTrends• deutlicher Ausbau <strong>der</strong> Online-Aktivitäten in den nächsten drei Jahren• beson<strong>der</strong>s Beschaffung und Einkauf, Marktplätze und elektronischerZahlungsverkehr werden dabei an Bedeutung gewinnen• Unternehmen erwarten in drei Jahren zwischen 10 und 20 % ihresUmsatzes mit E-Commerce zu erwirtschaften• Deutschland und Großbritannien gelten als <strong>der</strong> Zukunftsmarkt imE-Business• Internet-Hype wird durch realistische Betrachtung abgelöstE-JournalismFacts & Figures• 88 % <strong>der</strong> User gehen ins Internet, da sie dort gezielt für sie interessanteInformationen abrufen können• in Deutschland sind ca. 260 Tages- o<strong>der</strong> Wochenzeitungen bzw.Magazine im Internet präsent, zudem 46 Nur-Onlineanbieter• Entwicklung von bloßem „Nachrichtenrecycling“ hin zu mediengerechtenAngeboten• die online-Medien haben Fernsehen, Hörfunk und Print-Medien nichtverdrängt, sie dienen <strong>der</strong> ErgänzungTrends• Substitutionseffekte befürchtet: Presse & Rundfunk versuchen ihrKerngeschäft zu schützen• die Content-Nutzung im Internet wird zunehmend kostenpflichtig• Gestaltung von Kundenauftritten und E-Commerce werden wichtigeneue Einnahmequellen für die Medien• zunehmende Mobilität (M-Business) und „on-demand“- Zugriffe führenzu neuen Entwicklungen und neuem PotentialE-GovernmentFacts & Figures• Webpräsenz <strong>der</strong> deutschen Verwaltungen im Wesentlichen aufInformation und Kommunikation angelegt, nur 17 % <strong>der</strong> Behördenpraktizieren ganzheitlich E-Government• in einzelnen Kommunen können jedoch vermehrt Dienstleistungenonline abgewickelt werden, z.B. Ummeldungen o<strong>der</strong> Einschreibungen• mit BundOnline 2005 hat sich die Bun<strong>des</strong>regierung verpflichtet, alleinternetfähigen Dienstleistungen bis 2005 online anzubieten, z.Zt.sind 21 von 376 geplanten Anwendungen via Internet abzuwickeln• Know-How-Defizite, Kosten- und Sicherheitsbedenken stellen wesentlichesHin<strong>der</strong>nis darTrends• <strong>der</strong> Zugang zum Front-Office geschieht über spezifisch zugeschnittenePortale• Arbeit <strong>der</strong> Behörden wird interkommunal und ämterübergreifend;Geschäftsprozesse werden neu organisiert• das Internet wird Teil <strong>der</strong> strategischen Behördensteuerung• Know-How-Transfer zwischen Wirtschaft und Verwaltung wird systematischer• Parallelität von Online- und Offline-Verwaltung in den nächstenJahrenE-DemocracyFacts & Figures• in ersten Projekten nutzen die Parteien erfolgreich Chancen <strong>des</strong>Internets (SPD-Online)• Ansätze direkter Demokratie via Internet (www.vote.de)• es finden online-Diskussions-Foren zu Gesetzentwürfen statt,beispielsweise auf <strong>der</strong> Seite <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>innenministeriums• Internet wird zunehmend im Wahlkampf eingesetzt:• Parteitag im Internet• Fundraising• E-Mail-Versand• Online-campaigning• MaterialbeschaffungTrends• virtuelle Parteiorganisation ergänzt traditionelle Strukturen; es124125


kommt langfristig zur Auflösung <strong>der</strong> dezentralen hierarchischenParteiorganisation• Partizipation und Entscheidungsfindung werden leichter, transparenterund schneller• laut Dick Morris wird die intermediäre Ebene in <strong>der</strong> Kommunikationzwischen Wähler und polit. Repräsentanten ebenso wie enormesKapital überflüssig• Gefahr einer „non-content-Organisation“ o<strong>der</strong> Chancen einer„lernenden Organisation“• professionelle Medienkompetenz wird noch mehr zur Bedingungerfolgreichen politischen EngagementsInternetnutzung in Deutschland„RUNDFUNK-ONLINE“Klaus Rüter*Wenn von medienrechtlichen und politischenAspekten, von Rundfunk-Onlinedie Rede ist, so ist natürlich zuerst <strong>der</strong>öffentlich-rechtliche Rundfunk gemeint;denn dass Online zum normalen kommerziellenGeschäft von privatenRundfunkanstalten gehört, ist ohnehinunstreitig und bedarf keiner Begründungund Legitimation.Die rechtlichen Grundlagen für denöffentlich-rechtlichen Rundfunk ergebensich aus den Staatsverträgen, wonachdie Anstalten berechtigt sind, imRahmen ihrer Aufgabenerfüllung „Mediendienste im Sinne von § 2Mediendienste-Staatsvertrag (Abrufdienste) mit vorwiegend programmbezogenemInhalt anzubieten“. Werbung und Sponsoring dürfen indiesen Mediendiensten nicht stattfinden.Soweit <strong>der</strong> Gesetzgeber, <strong>der</strong> zu diesem Kompromiss nach langemFingerhakeln zwischen den 16 Län<strong>der</strong>n gekommen war.Übrigens halte ich diesen Kompromiss für durchaus sinnvoll. Daraufkomme ich noch!Ein weiterer Ausgangspunkt ist für mich ebenfalls klar:Es besteht eine Notwendigkeit für öffentlich-rechtliche Angebote imInternet. Dabei müssen wir uns zunächst an dem Funktionsauftrag <strong>des</strong>öffentlich-rechtlichen Rundfunks orientieren. Dieser verfassungsrechtlichformulierte Auftrag <strong>des</strong> Rundfunks war in den Anfangsjahren geprägtvom Verständnis einer umfassenden vollständigen Versorgung <strong>der</strong>Bevölkerung mit Rundfunk vor dem Hintergrund bestehen<strong>der</strong> Frequenzknappheit.Obgleich sich die Dinge durch das Hinzutreten insbeson<strong>der</strong>e <strong>des</strong> privatenRundfunks, wie auch <strong>der</strong> Erschließung neuer Übertragungswege undTechniken fortentwickelt haben, bedeutet dies nicht zwangsläufig dieErledigung <strong>des</strong> Auftrags.Im Gegenteil: Die Angebote <strong>des</strong> öffentlich-rechtlichen Rundfunks gewin-126127


nen angesichts solcher neuer technischer Möglichkeiten, die etwa dasInternet bietet, vor dem Hintergrund von Artikel 5 GG zusätzlich anBedeutung.Der verfassungsrechtliche Grundsatz, dass je<strong>der</strong>mann sich aus freizugänglichen Informationsquellen unterrichten kann, schließt auch ein,dass die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gemäß ihrem Auftrag,die Bevölkerung mit Beiträgen aus den Bereichen Information, Bildung,Kultur und Unterhaltung zu versorgen, auch in diesem zeitgemäßenMedium erreichbar sein müssen.Es ist auch meine persönliche Überzeugung, dass entsprechend gestalteteöffentlich-rechtliche Angebote ihre medienpolitische Berechtigung in<strong>der</strong> heute verfügbaren Angebotspalette <strong>der</strong> neuen Medien haben.Ein Ausschluss <strong>des</strong> öffentlich-rechtlichen Rundfunks von diesenMöglichkeiten, Brücken zu den Rundfunkteilnehmern auch über diesesmo<strong>der</strong>ne Medium zu schlagen, würde zwangsläufig eine Abkopplung voneiner technischen Weiterentwicklung bedeuten, an <strong>der</strong>en Anfang wir erststehen. Das wird inzwischen, wie ich vor kurzem wie<strong>der</strong> einmal erfahrendurfte, nicht einmal mehr vom VPRT bestritten.Wenn ich von Angeboten spreche, so meine ich Angebote, die in <strong>der</strong>Tradition <strong>der</strong> guten journalistischen Arbeit stehen. Angebote, die eineKonzentration und Besinnung insbeson<strong>der</strong>e auf die Stärken <strong>des</strong> öffentlich-rechtlichenRundfunks in den Bereichen Bildung und Informationzeigen.Die Mediennutzer sehen sich einer Informationsflut ausgesetzt, die oft inkeinem Verhältnis zu dem für sie persönlich wichtigen Informationswertsteht. Deshalb ist hier vor allem auch die Funktion <strong>des</strong> öffentlich-rechtlichenRundfunks, Orientierung in <strong>der</strong> Informationsflut zu bieten. Das giltganz beson<strong>der</strong>s auch im Online-Bereich.Bei diesen Angeboten <strong>des</strong> öffentlich-rechtlichen Rundfunks geht es allerdingsnicht nur um Informationsangebote. Erfasst werden muss auch <strong>der</strong>Bereich <strong>der</strong> Unterhaltung. Unterhaltung ist notwendig, um die Nutzer zuerreichen. Dabei sind die Kategorien Unterhaltung/Information nichtstreng abgrenzbar. Als Beispiel sei hier nur <strong>der</strong> Sport genannt.Meine Betonung <strong>der</strong> qualitätsvollen, öffentlich-rechtlichen Unterhaltungist von dem ein o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Presseorgan etwas ironisch kommentiertworden, ich bleibe aber dabei, dass insoweit eine beson<strong>der</strong>e Verpflichtung<strong>des</strong> öffentlich-rechtlichen Rundfunks besteht, die man meinetwegenmit Thoma auch schlicht und einfach mit <strong>der</strong> Differenzierungzwischen guter und schlechter Unterhaltung qualifizieren kann, bei <strong>der</strong>eben Einschaltquoten nicht alleine maßgeblich sind.Auch ein differenziertes Angebot über verschiedene Gruppen hinweg isterfor<strong>der</strong>lich. Gerade zum Beispiel die Gruppe <strong>der</strong> jungen Menschen undtechnisch multimedial orientierte Kreise können so angesprochen undan die Programme <strong>der</strong> öffentlich-rechtlichen Anstalten herangeführt werden.Auch dies gehört zum Auftrag.Aber, und dies kann nicht deutlich genug betont werden: Nicht alles,was denkbar und auch technisch machbar ist, sollte auch umgesetztwerden. Angesichts <strong>der</strong> Vielzahl auch negativer Beispiele gerade imBereich <strong>der</strong> Medien- und Teledienste kann es hier nicht um eine reineKopie privater Angebote gehen. Und pars pro toto füge ich hinzu: DieHerausnahme <strong>der</strong> inzwischen schon legendären Bratpfanne aus demMarketingangebot von WDR-Online hat zumin<strong>des</strong>t als symbolhafteHandlung durchaus ihre Bedeutung.Angesichts <strong>des</strong> öffentlich-rechtlichen Auftrags und <strong>der</strong> Aufgabe <strong>des</strong>öffentlich-rechtlichen Rundfunks müssen die Anstalten darüber hinausmit ihren Angeboten ein eigenes Profil entwickeln, mit den von mirgenannten journalistischen Schwerpunkten.Diese verschiedenen Facetten, auf die ich nur hinweisen konnte, zeigen,dass sich nach meiner festen Überzeugung öffentlich-rechtlicherRundfunk angesichts <strong>der</strong> technischen Entwicklung auf seiner gesetzlichenGrundlage hin zu einem medialen Gesamtangebot entwickeln könnenmuss. Dies muss auch ein entsprechen<strong>des</strong> Online-Engagementumfassen. Insoweit folge ich auch Ministerpräsident Gabriel, <strong>der</strong> dazuvor kurzem sehr engagierte Ausführungen bei einem Referat in Berlingemacht hat.Nun komme ich zu dem zentralen Punkt, den die KEF in ihrem Berichtangesprochen hat und <strong>der</strong> im Zentrum <strong>der</strong> heutigen Veranstaltung steht:Ist dieses Angebot, das wir wollen und für richtig halten, angesichts <strong>des</strong>umfassenden Auftrags <strong>der</strong> Anstalten für die Berichterstattung über dastägliche Leben sowie ihrer Ermächtigung zur Unterhaltung grenzenlosbzw. wenn nicht, welche Grenzen sind zu ziehen?Die KEF hat hier in ihrem jüngsten Bericht die Län<strong>der</strong> in dieVerantwortung genommen. Sie hat deutlich gemacht, dass durch diesesneue Betätigungsfeld <strong>des</strong> öffentlich-rechtlichen Rundfunks Kosten entstehen,die in erheblichem Maße gebührenrelevant sind. Und dieAnalyse ist sicherlich richtig, dass ein grenzenloses Angebot auch grenzenloseGebührenhöhen nach sich ziehen würde. Dies kann niemand,<strong>der</strong> gesamtverantwortlich in dieser Gesellschaft entscheiden muss, wollen.128129


Steht doch die Akzeptanz <strong>der</strong> Rundfunkgebühr in <strong>der</strong> Bevölkerung imZuge <strong>der</strong> Informationsgesellschaft zunehmend insgesamt auf demPrüfstand.Damit ist die Frage <strong>der</strong> Grenzziehung <strong>der</strong> Online-Aktivitäten öffentlichrechtlicherSen<strong>der</strong> aufgeworfen. Die KEF hat hier – meines Erachtensdurchaus zutreffend – ebenfalls darauf hingewiesen, dass ihre Instrumentarienallein nicht geeignet sind, diese Grenzziehung im Rahmeneines weiten öffentlich-rechtlichen Auftrags vorzunehmen. Sie kann nureklatante Überschreitungen <strong>des</strong> Auftrags gebührenmäßig nicht honorieren.Eine schlichte Verweigerung <strong>der</strong> Finanzmittel steht ihr jedoch grundsätzlichnicht zu.Damit ergeben sich aus Sicht <strong>der</strong> Län<strong>der</strong> drei Handlungsvarianten:a) Einengung <strong>der</strong> gesetzlichen bzw. staatsvertraglichenErmächtigungsnormen durch spezifischere Kriterienb) Ausweisung eines Finanzierungsrahmens für Online-Aktivitäten (Deckelung)c) Nachkontrollierbare Selbstverpflichtung <strong>der</strong> Anstalten mitVorlage von Konzeptionen für die zukünftige Gestaltung <strong>der</strong>Online-Aktivitäten, die von den Län<strong>der</strong>n und <strong>der</strong> KEF geprüftwerden.Zu a): <strong>der</strong> rechtlichen Eingrenzung:Die Präzisierung <strong>des</strong> Funktionsauftrags öffentlich-rechtlichen Rundfunksim Bereich Online erscheint zunächst <strong>der</strong> naheliegende Ansatz zu sein.Das Bun<strong>des</strong>verfassungsgericht hat in seiner ständigen Rechtsprechungbetont, dass <strong>der</strong> Gesetzgeber diesen Rahmen vorzugeben hat.Angesichts <strong>der</strong> vielfältigen Darstellungsmöglichkeiten im Online-Bereichsind die schon für den Rundfunk vorhandenen Probleme bei <strong>der</strong>Präzisierung von Ermächtigungsgrundlagen hier noch ungleich schwieriger.Dies haben wir erlebt mit <strong>der</strong> Diskussion, die aufgrund <strong>der</strong> einengendenErmächtigung für ARD und ZDF mit den Begriffen „vorwiegendprogrammbegleitend und -ergänzend“ einsetzten. Je nach Blickwinkellassen diese Begriffe entwe<strong>der</strong> alles o<strong>der</strong> fast gar nichts zu. Ich will hiernicht eine Exegese dieser Bestimmungen vornehmen. Wir werden sieuns nochmals genau ansehen müssen. Ich meine jedoch, man wird hieran dieser Stelle nicht viel weiter kommen. Dies ist wie bei <strong>der</strong> Definition<strong>des</strong> Begriffes „Grundversorgung“.Zu b): <strong>der</strong> finanziellen Begrenzung:Wenn die Analyse zur ersten Handlungsvariante richtig ist, dann liegtVariante b) sehr nahe: Die Ausweisung eines Finanzvolumens für Online-Aktivitäten <strong>des</strong> öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Die Begrenzung würdedann auf <strong>der</strong> Finanzierungsseite vorgenommen. Die Anstalten hättensich zu überlegen, wie sie das Geld möglichst sinnvoll im Rahmen ihrerProgrammermächtigung ausgeben. Sie müssten entsprechendeKonzepte entwickeln, was sie am sinnvollsten mit dem vorhandenenGeld anfangen. Diese Variante hat den Vorteil <strong>der</strong> Klarheit und Überprüfbarkeitdurch die KEF. Sie wird zum Teil sogar von Seiten <strong>der</strong> ARD,Herrn Intendant Raff, ins Spiel gebracht.Sie hat allerdings für die Handlungsmöglichkeiten <strong>des</strong> Gesetzgeberseinen entscheidenden Nachteil: Sie steht im Wi<strong>der</strong>spruch zur bisherigenRechtsprechung <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>verfassungsgerichts, wonach die Programmautonomie<strong>des</strong> öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht im Wege einerfinanziellen Deckelung eingeschränkt werden darf.Aufgabe <strong>der</strong> Län<strong>der</strong> ist es nach dieser Rechtsprechung eindeutig, den fürden Bestand und die Entwicklung <strong>des</strong> öffentlich-rechtlichen Rundfunkserfor<strong>der</strong>lichen Finanzbedarf zur Verfügung zu stellen.Eine Entwicklungsperspektive wäre hier nicht o<strong>der</strong> nur unter schwierigenBedingungen gegeben.Dies gilt für sämtliche Varianten, gleich, ob man einen festen Betrag ausweisto<strong>der</strong> einen prozentualen Anteil an <strong>der</strong> Rundfunkgebühr festlegt.Auch wenn man die Verfassungsrechtsprechung grundsätzlich dynamischsieht und sie als fortentwickelbar betrachtet, bezweifele ich, ob solcheGrundsätze <strong>der</strong> Medienrechtsprechung vom Bun<strong>des</strong>verfassungsgerichteinfach über Bord geworfen werden würden.Es wäre ein Paradigmenwechsel, weil das Prinzip verlassen wird, dassdie Stellschraube für den Gesetzgeber <strong>der</strong> Auftrag und nicht dieFinanzzuweisung ist.Zu c): <strong>der</strong> Möglichkeit <strong>der</strong> Selbstverpflichtung:Damit komme ich zur dritten Handlungsvariante: Die nachkontrollierbareSelbstverpflichtung <strong>der</strong> Anstalten.Wir als Rundfunkkommission haben diese Variante gegenüber denRundfunkanstalten nochmals nachdrücklich ins Spiel gebracht.Sie stellt unseres Erachtens die schonendste Lösung für alle Beteiligtendar. Eine stark spezifizierte einengende Ermächtigung gibt Grundlage für130131


sehr viel Streit. Wenn sie hinreichend präzise formuliert ist, engt siegerade die Entwicklungsmöglichkeiten und das Eingehen auf neueStrömungen für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ein.Dagegen ist eine Selbstverpflichtung, die nicht nur im Online-Bereichaber eben gerade auch dort gelten soll, zum einen mit <strong>der</strong>Programmautonomie <strong>der</strong> Sen<strong>der</strong>, zum an<strong>der</strong>en aber auch mit <strong>der</strong>Rechtsprechung <strong>des</strong> Verfassungsgerichts uneingeschränkt vereinbar. Siewürde zudem die europäischen Anfor<strong>der</strong>ungen erfüllen.Die Selbstverpflichtung ist auch nach <strong>der</strong> Rechtsprechung <strong>des</strong>Bun<strong>des</strong>verfassungsgerichts als Aufgabe <strong>der</strong> Anstalten systemimmanent.Solche Überlegungen müssen heute schon angestellt werden und werdenauch schon angestellt, ohne dass es eine gesetzliche finanzielleDeckelung gibt.Wie wir alle wissen, liegen die Konzeptionen <strong>des</strong> öffentlich-rechtlichenRundfunks für den Online-Bereich längst in den Schubladen. Zum Teilsind sie auch bekannt. Ich frage ARD und ZDF <strong>des</strong>halb, warum es nichtmöglich ist, diese mittelfristigen Konzepte, nach entsprechen<strong>der</strong>Diskussion und Beschlussfassung in den Gremien im Wege einerSelbstverpflichtung und Selbstbeschränkung in einer einerseits genügendabstrakten, an<strong>der</strong>erseits aber auch nachvollziehbaren und nachprüfbarenErklärung zu präsentieren.Dies wäre die Spiegelung <strong>der</strong> Programmautonomie <strong>der</strong> Anstalten imOnline-Bereich bei gleichzeitiger Wahrung von Entwicklungsperspektiven.Damit wäre auch ein finanzieller Rahmen absteckbar, <strong>der</strong>nicht in absoluten Zahlen abgrenzt, gleichzeitig aber eben dieEntwicklung ins Uferlose verhin<strong>der</strong>t.Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass es auf <strong>der</strong> Basis <strong>der</strong> vorhandenenUnterlagen sehr schnell möglich wäre, zu solchen Festlegungen zukommen. Die Frage ist nur, ob dies gewollt ist. Bisher ist die Bereitschaftnicht übermäßig ausgeprägt, weil man sich einfach nicht binden will. DieFrage ist aber, ob dies nicht letztlich die beste und einfachsteMöglichkeit ist, die europarechtlichen und auch wirtschaftspolitischenUnwägbarkeiten zu beseitigen.Ich fände es gut, wenn die Rundfunkanstalten in den nächsten Wochendazu konsensfähige Lösungsvorschläge unterbreiten könnten.Spätestens aus Brüssel droht uns sonst allseits bekanntes Ungemach.Meine Damen und Herren,lassen Sie mich noch kurz auf das Thema Werbung und Sponsoring imUmfeld solcher Mediendienste eingehen.Hierzu haben die Län<strong>der</strong> mit dem Fünften Rundfunkän<strong>der</strong>ungsstaatsvertrag,<strong>der</strong> zum 1. April 2000 in Kraft getreten ist, eine klare Vorgabegemacht:Werbung und Sponsoring dürfen in Online-Angeboten von ARD und ZDFnicht enthalten sein.Damit wird natürlich auch ein wichtiger Schritt zur Sicherung <strong>der</strong> immerbrüchiger werdenden finanziellen Grundlagen <strong>der</strong> übrigen Anbietergemacht. Auch dies ist durchaus Auftrag <strong>des</strong> Rundfunkgesetzgebers.Nach den gravierenden Einbrüchen in dem elektronischen Werbemarktwerden die Ressourcen auch für die an<strong>der</strong>en Marktteilnehmer knapper.Ich sagte schon, dass man an diesem politischen Kompromiss nicht rüttelnsollte, und zwar we<strong>der</strong> nach <strong>der</strong> einen Seite, in dem <strong>der</strong>Programmbezug wegfällt, noch nach <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite, dass Werbungund Sponsoring wie<strong>der</strong> eingeführt werden. Für bei<strong>des</strong> wird es nicht nurkeine Mehrheiten geben, für bei<strong>des</strong> gibt es auch keine ausreichendenGründe.Klar ist natürlich, dass beim Verbot von Werbung und Sponsoring dieentsprechenden Gebührengel<strong>der</strong> aufgebracht werden müssen. Das istdie zwingende Folge und dies kann von Kritikern ernsthaft auch nicht inFrage gestellt werden, denn <strong>der</strong> Ausschluss <strong>der</strong> einen Finanzierungsalternativebedingt die Garantie <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en.Ich habe schon mehrfach darauf hingewiesen, dass man auch über einrein werbefinanziertes Online-Angebot ohne Gebührengel<strong>der</strong> diskutierenkönnte. Aber dies will offensichtlich we<strong>der</strong> bei <strong>der</strong> ARD noch dem ZDFjemand ernsthaft ins Auge fassen; es ist wohl auch nur schwer umsetzbar.Abschließend noch ein paar kurze Anmerkungen zur europäischenEbene:Auch dort sehen sich die Län<strong>der</strong> seitens <strong>der</strong> EU-Kommission mitVorbehalten konfrontiert. In Brüssel herrscht in vielen Bereichen immernoch das Denken vor, öffentlich-rechtlicher Rundfunk dürfe nur das veranstaltenund verbreiten, was an<strong>der</strong>e nicht senden wollen, weil es keineo<strong>der</strong> kaum Zuschauer findet.Gleichzeitig sollen ihm die neuen technischen Möglichkeiten weitgehendversperrt werden, da nur dadurch <strong>der</strong> private Sektor aufblühen könne.Das ist die Philosophie. In <strong>der</strong> Konkretisierung klingt das in <strong>der</strong> Tat öfter132133


durchaus an<strong>der</strong>s und liberaler.Der Grundgedanke ist eindeutig falsch: Der öffentlich-rechtlicheRundfunk war schon immer auch Motor für Innovation und insbeson<strong>der</strong>eauch für neue Techniken.Als Beispiel möchte ich unter an<strong>der</strong>em die Digitalisierung <strong>des</strong> Rundfunksund insbeson<strong>der</strong>e DVB-t, das digitale terrestrische Fernsehen nennen,bei denen sich <strong>der</strong> öffentlich-rechtliche Rundfunk sehr stark engagiertund diese Techniken för<strong>der</strong>t.Das Fazit: Wir sehen bei <strong>der</strong> Online-Tätigkeit <strong>der</strong> öffentlich-rechtlichenRundfunkanstalten keinen Wettbewerbsverstoß. Die notwendigeVerwendung öffentlich-rechtlicher Gebührenmittel im Rahmen <strong>des</strong>Funktionsauftrags (sofern Rundfunkgebühren überhaupt Beihilfen sind)ist kein Verstoß gegen Beihilfebestimmungen. Deswegen werden wirauch die sich in den staatsvertraglichen Grenzen haltenden Online-Aktivitäten von ARD und ZDF gegen die EU-Kommission vehement verteidigen.Ich weiß nicht, ob private Rundfunkveranstalter o<strong>der</strong> auch Presseunternehmengut beraten sind, diesen nationalen Streit <strong>der</strong> Begrenzung<strong>der</strong> Online-Aktivitäten nach Brüssel zu tragen. Ich denke, wir sollten ihnhier in Deutschland lösen. Ansatzpunkte dazu habe ich Ihnen präsentiert.LEITFRAGEN ETHIKEthik war gestern ...Über journalistische Werte gestern und heute•Wie stehen Journalisten zu gesellschaftlicher Verantwortung,Objektivität <strong>der</strong> Berichterstattung und Beziehungzu einflussreichen Interessengruppen? Hat sich das inletzter Zeit geän<strong>der</strong>t?•Wie haben sich Rollenselbstverständnis und Haltung<strong>der</strong> Journalisten gewandelt?•Welchen Einfluss hat die zunehmende Kommerzialisierung<strong>der</strong> Gesellschaft auf die journalistische Qualität?•Orientieren sich Journalisten immer mehr an ökonomischenZielsetzungen? Werden die eigentlichen Ziele <strong>des</strong>Journalismus – Information, Aufklärung, Beitrag zurMeinungsbildung – schon heute überlagert?•Hat sich die journalistische Moral gewandelt?Werden sie immer skrupelloser? Wo ist die Grenze?•Wie hat die Orientierung an <strong>der</strong> Quote und an <strong>der</strong>Auflage das Berufsbild <strong>des</strong> Journalisten verän<strong>der</strong>t?•Wie haben sich Nachrichtenfaktoren und Nachrichtenwertegeän<strong>der</strong>t (Boulevardisierung)?* Rede von Staatssekretär Klaus Rüter, Chef <strong>der</strong> Staatskanzlei <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> Rheinland-Pfalz beim4. Symposium <strong>der</strong> KEF am Donnerstag, den 7. März 2002, 10.00 Uhr beim ZDF in Mainz.134135


ETHIK WAR GESTERN ... ÜBER JOURNALISTI-SCHE WERTE GESTERN UND HEUTEThesen von Ilka Brecht (NDR/Panorama)Kommerzielle Denkweise im Journalismus: Na, und?„Kommerziell“ wird im Diskurs um Medienethik oft so abfällig bewertetwie „Quote“. Machern, die sich an <strong>der</strong> Quote orientieren, wird häufigmangeln<strong>des</strong> Interesse an Qualität unterstellt. Dabei hat <strong>der</strong>Konkurrenzdruck <strong>der</strong> öffentlich-rechtlichen Systeme durch die kommerziellenSen<strong>der</strong> auch nachweislich positive Effekte gezeitigt. Stärker alsdie kommerziellen Sen<strong>der</strong> wollen/müssen die öffentlich-rechtlichen aberauf eine Balance zwischen Quote und Qualität achten, wobei bei<strong>des</strong>sowieso nicht im Gegensatz zueinan<strong>der</strong> stehen muss.Unbestritten sind die Nachteile <strong>der</strong> Kommerzialisierung im Journalismus:Die Story – sogar die Nachricht – wird immer mehr zur Ware auf demMedienmarkt. Auch Themen, die langfristig und kontinuierlich bearbeitetwerden müssten, haben nur zu bestimmten Zeiten Konjunktur und späterlediglich in Nischen eine Chance auf Veröffentlichung. Eine häufignicht näher definierte Nachfrage bestimmt das Angebot: Das Schielennach dem Zuschauer, sprich: dem Konsumenten, führt zu einer spezifischenAuswahl eines Themas, ohne Rücksicht darauf, ob es wirklich relevantist (Stichwort: „Nicht zuviel Ausland, ohne deutschen Bezug interessiertdas keinen!“). Eine weitere negative Begleiterscheinung <strong>des</strong>Quoten- und Konkurrenzdrucks ist die Strukturierung und Formatierungvon Sendungen: Sie werden nicht mehr für sich durchgestaltet, son<strong>der</strong>nnach Umschaltzeitpunkten gebaut. So dominiert das Interesse <strong>der</strong>Zapper die möglicherweise immer kleiner werdende Schar <strong>der</strong> treuen,konzentrierten Zuschauer.Die Frage ist aber, ob früher alles besser war. Sicher, beim Fernsehenzum Beispiel kannten die öffentlich-rechtlichen Sen<strong>der</strong> keinenQuotendruck. Sie hatten das Monopol und konnten faktisch ohneRücksicht auf den Zuschauer senden, was sie wollten. Das führte abermitunter zu einem „Meinungsabsolutismus“, bei dem Redakteure ohnekritische Recherche nur ihre Meinung bebil<strong>der</strong>ten, und – in den drittenProgrammen – zu einem trockenen Belehrungsfernsehen mit erhobenemZeigefinger. Dessen Macher schienen mitunter mit <strong>der</strong> elitären Devise zuproduzieren: „Uns sollen bloß nicht zu viele sehen!“. Vor Jahren hatteFriedrich Nowottny den öffentlich-rechtlichen Sen<strong>der</strong>n einmal vorgehalten:„Ihr habt Euer Publikum nicht lieb!“Mit dem Aufkommen <strong>der</strong> privaten Sen<strong>der</strong> haben die öffentlich-rechtlichenviel dazu gelernt. Gelungene Beispiele von Massenakzeptanz undQualität sind Reportagen in <strong>der</strong> Reihe „ARD-exclusiv“ o<strong>der</strong> ZDF-<strong>Dokumentation</strong>sreihen von Guido Knopp. Eine vorbildliche Wandlung imAusland hat die BBC durchgemacht, <strong>der</strong>en Hochglanzprodukte heutesogar von kommerziellen Sen<strong>der</strong>n gekauft werden. Dass qualitativhochwertiger Journalismus nach wie vor seine Marktchancen hat, zeigtenund zeigen die hohen Einschaltquoten bei Sendungen („Brennpunkte“)zur Spendenaffäre und dem Krieg in Afghanistan, die Dauererfolge <strong>der</strong>politischen Magazine in ARD und ZDF sowie die Entwicklung <strong>des</strong> wichtigstenKommerzsen<strong>der</strong>s in Deutschland, RTL. Anfangs als bloßer„Skandal- und Tittensen<strong>der</strong>“ positioniert, flossen immer mehr Elementein das Programm ein, die auch jedem öffentlich-rechtlichen System gutzu Gesicht stehen würden (z.B. Nachrichten, SPIEGEL-TV, „Wer wirdMillionär?“).Für die entscheidende Balance zwischen Quote und Qualität – sowohl ineinzelnen Sendungen als auch im Gesamtprogramm – gibt es meinesErachtens keine objektiven Kriterien. Hier sind – altmodisch gesagt –Erfahrung, Gefühl und Geschmackssicherheit gefragt. Sowie <strong>der</strong> Respekteines jeden Journalisten vor seiner Aufgabe.Schnelligkeit schlägt SeriositätDrei Dinge haben sich aber im Zuge <strong>der</strong> Vergrößerung <strong>des</strong>Medienmarktes verän<strong>der</strong>t: 1) die Beiträge sind kürzer geworden, 2) beiechten o<strong>der</strong> eben auch vermeintlichen Skandalen und Sensationen gehtman viel schneller – und manchmal lei<strong>der</strong> auch voreilig – auf Sendungund 3) gibt es eine Explosion von Formaten (Stichwort: Talkshows), diedie Funktion <strong>des</strong> Journalisten unpräziser werden lassen. „Ist Rot-Grünam Ende?“ und „Wie wird mein Busen größer?“ – Beide Fragen werdenvon Mo<strong>der</strong>atoren in Talkshows abgehandelt, gleichwohl haben Sendeplätzeund Akteure journalistisch nichts mehr miteinan<strong>der</strong> gemein.Vor allem das Streben nach Schnelligkeit hat den Nachrichten-Journalismus nicht nur im Fernsehen gravierend verän<strong>der</strong>t. RangiertSchnelligkeit vor Qualität, kann es zu schlimmen Fehlleistungen kommen.In vielen Redaktionen wurde nach <strong>der</strong> ersten Sebnitz-Schlagzeilegefragt: „Warum hatten wir das nicht?“. Hinterher – als sich die136137


Schnelligkeit von BILD als fahrlässige Voreiligkeit entpuppte – hörte manin den gleichen Redaktionen: „Uns wäre das nie passiert!“. Schließlich<strong>der</strong> Gipfel an Schnelligkeit am 11. September: Die erste Katastrophe„live“ im TV. In den nächsten Tagen wurden dauernd dicht bevorstehendeamerikanische Gegenschläge prophezeit, die dann aber ausblieben.Und im Nachhinein haben Korrespondenten zugegeben: „Wir habenBil<strong>der</strong> kommentiert, ohne sie einordnen zu können“.Wi<strong>der</strong> die KurzatmigkeitWir können das Rad natürlich nicht mehr zurückdrehen: Die Rezipientenerwarten heute Schnelligkeit und honorieren sie als Leistung, indem siegucken, kaufen, lesen. Aber sie sollten noch mehr erwarten:Schnelligkeit muss immer ergänzt werden durch Programmangebote, dietiefgründige Recherche und Hintergründe nachliefern. Deshalb müssenVerleger und Sen<strong>der</strong> in Zukunft mehr Zeit und Geld investieren, um sichJournalisten zu leisten, die diesen längeren Atem haben. Die mühsamGeschichten ausbuddeln. Und auch nicht gefeuert werden, selbst wennnach Monaten immer noch nichts dabei herausgekommen ist. Das musses auch geben im pluralistischen Medienmarkt, sonst ist sein breitesAngebot nichts wert.Eine generelle Fehlentwicklung unserer immer schnelleren und kurzatmigenMediengesellschaft: Die Nachhaltigkeit bleibt auf <strong>der</strong> Strecke. Dasist <strong>der</strong> bittere Nachgeschmack <strong>der</strong> nachrichtlich verschluckten, aberlängst noch nicht verdauten Spendenaffäre. Da haben Journalisten vielesgeleistet, eigentlich alles, was Aufklärung und Information anbelangt,denn von den an<strong>der</strong>en Gewalten im Staate (außer eben <strong>der</strong> sogenanntenvierten) war nicht viel zu sehen. Aber jetzt hakt kaum jemand mehrnach, nervt mit <strong>der</strong> Frage: „Wo sind die Konsequenzen, was passiertjetzt?“. Die Spendenaffäre? Schnee von gestern! Wir laufen Gefahr, ausdem Skandal wie<strong>der</strong> herauszukommen, wie wir hineingegangen sind –und daran wären dann auch wir Journalisten schuld.ETHIK WIRD ÜBER BORD GEWORFENThesen von Herlinde KölblNach meinen Recherchen sind die jüngeren Journalisten „unbekümmerter,respektloser“. Sie sehen ihren Beruf pragmatischer und sie sind„politisch nicht so anfällig“ wie die 68er Generation und jetzt etabliertenKollegen. Der marktwirtschaftliche Aspekt ist prägen<strong>der</strong> als <strong>der</strong> ideologische.Sie denken nicht mehr in den starren Kategorien von linksund rechts. Sie sehen ihren Beruf mehr unter dem Gesichtspunkt: „Wiebestehe ich im Wettbewerb?“Der Einfluss <strong>der</strong> Konzerne/Verlage ist größer geworden, <strong>der</strong>en Zeitungenund Magazine werden immer mehr unter dem Aspekt vonWirtschaftlichkeit gesehen. Die Zahlen müssen stimmen und beson<strong>der</strong>sin Berlin stimmen diese Zahlen im vorhandenen Zeitungskampf oft nicht.In <strong>der</strong> Hauptstadt macht es sich auch dadurch bemerkbar, dassChefredakteure laufend ausgewechselt werden. Man erhofft sich dadurchhöhere Auflagen und bessere Umsätze.Man spricht vom Journalismus als vierte Gewalt im Staat, nichts<strong>des</strong>totrotzsagt z.B. Roger de Weck, ehemaliger Chefredakteur <strong>der</strong> Zeit, dassdie vierte Gewalt die Wirtschaft sei und nicht <strong>der</strong> Journalismus. AuchLudger Reuber, ehemaliger langjähriger Pressesprecher von NorbertBlüm, betont den großen Einfluss <strong>der</strong> Wirtschaft auf die Politik, <strong>der</strong> vonden Journalisten kaum thematisiert, jedenfalls nicht so kritisch gesehen,wie die Politik o<strong>der</strong> vielleicht gar nicht wahrgenommen wird.Eine weitere einflussreiche Gruppe sind die PR-Agenturen. Sie nehmenimmer mehr auf die Medien Einfluss und versorgen sie mit journalistischenArtikeln, die kaum mehr als PR-Material wahrgenommen werden.Unterschwellig tragen sie damit die Interessen ihrer Auftraggeber in dieÖffentlichkeit.Durch die Orientierung an <strong>der</strong> Quote und die Schnelligkeit <strong>des</strong> Berufeshat sich die Moral verän<strong>der</strong>t. Für Recherche und die Überprüfung vonFakten bleibt oft keine Zeit mehr, weil das Thema in die Medien muss.„Man ist ein Stück weit gezwungen, wenn man die Fakten beieinan<strong>der</strong>hat, es zu veröffentlichen, sonst bin ich vielleicht nur <strong>der</strong> zweite Sieger.“Der erste zu sein, exklusiv zu sein mit einem Thema o<strong>der</strong> einer Meldung,138139


ist fast schon das Wichtigste.Obwohl sich die Journalisten bereits kritisch mit den eigenen Fehlernauseinan<strong>der</strong>setzen, um die Glaubwürdigkeit zu erhalten, sehe ich trotzdemeine große Gefahr, dass Ethik und Moral unter dem Druck <strong>der</strong>Profilierung zu Gunsten von Schlagzeilen und Exklusivität über Bordgeworfen werden.MANGELNDE KOMPETENZ –PURE AHNUNGSLOSIGKEITThesen von Kristina Läsker (Bertelsmann Stiftung)Wirtschaftsjournalismus ... auf <strong>der</strong> Suche nach dem eigenen AnspruchAuf Boom, Krise und Konsolidierung folgt zeitverzögert die Diskussionum Unabhängigkeit, Objektivität und Sorgfalt. Die Wirtschaftsberichterstattung,als die in den letzten Jahren am stärksten gewachsene journalistischeDisziplin zeigt exemplarisch, wie <strong>der</strong>zeit mit journalistischerVerantwortung umgegangen wird. Die Eigenreflexion <strong>der</strong> Medien überdie Inhalte deutscher Wirtschaftsberichterstattung hat spärlich und spätbegonnen, wozu das oszillierende Selbstverständnis <strong>des</strong> Wirtschaftsjournalisten,er mutierte bisweilen vom Reporter zum Ratgeber und vomAufklärer zum Entertainer, ebenfalls beigetragen hat.Die folgenden Phänomene mangelhafter Wirtschaftsberichterstattungverdeutlichen, warum es wichtig ist, professionelle Standards zu formulierenund zu leben.Mangelnde Kompetenz – Pure AhnungslosigkeitGestern noch Germanist, heute Aktienexperte – <strong>der</strong> Boom <strong>der</strong> Wirtschaftsberichterstattunghat die Suche nach qualifizierten Redakteurenverschärft. So mancher Quereinsteiger darf on-the-job auf Kosten <strong>des</strong>Lesers seine Erfahrungen sammeln.Mangelnde Unabhängigkeit - GurutumOb in <strong>der</strong> TV-Berichterstattung o<strong>der</strong> in Anlegermagazinen; schwarzeSchafe unter den Ratgebern missbrauchen ihre Medienpräsenz, um füreigene Wertpapiere zu werben.Tra<strong>der</strong> unter sich„Um Wertpapiere beurteilen zu können, muss <strong>der</strong> Redakteur welche handeln“,heißt es sogar in einigen Chefredaktionen. Ob ein Wirtschaftsjournalistüberhaupt Aktien handeln sollte, und wenn ja, aus welcherBranche und wer das eigentlich kontrollieren soll, auf diese Fragen gibtes hierzulande kaum konkrete Antworten.140141


Kleine Geschenke erhalten die FreundschaftAuch hier gibt es noch keine einheitlichen Regeln; Reisen, Hotelrechnungen,Testgeräte; wo hört die Pflege <strong>der</strong> Geschäftskontakte auf,wo fängt die Korruption an?PRler und Wirtschaftsjournalist: Duo InfernaleIn dieser Zweier-Beziehung wird das Geben und Nehmen gepflegt – doch<strong>der</strong> produktive Grat zwischen Distanz und Nähe ist schmal und abgedrucktePR-Mitteilungen sind für den Leser nicht immer von Nutzen.Verletzung <strong>der</strong> SorgfaltspflichtQuellen I: Der Analyst weiß es besser als <strong>der</strong> UnternehmerDie Anzahl <strong>der</strong> Analystenstimmen unter allen Zitaten ist in den letztenfünf Jahren von 2% auf 10% geschnellt. Oftmals erscheint <strong>der</strong> Analystglaubwürdiger als <strong>der</strong> Unternehmer, obwohl beide eine eigeneGeschäftsmotivation haben. Denkt da <strong>der</strong> Journalist wohl noch selbstund inwieweit lässt er den Analysten seine eigene Meinung ausdrücken?Quellen II: Mr. Anonymous„Wie ein dem Haus bekannter Analyst berichtet...“; laut Medien Tenor-Untersuchung in 1/2001 variiert bei führenden Wirtschaftsmedien dieAnzahl <strong>der</strong> anonymen Analystenzitate zwischen 8 und 31%. Hier handeltes sich wohl eher um unsaubere Recherche als um Quellenschutz.Quellen III: Der Analyst von <strong>der</strong> Volksbank nebenanOftmals finden die unbekanntesten Bankhäuser Gehör in den renommiertenMedien, so sie zumin<strong>des</strong>t räumlich <strong>der</strong> Redaktion nahe sind.Dabei wäre es ein Leichtes, vor allem Institute zu zitieren, <strong>der</strong>enPrognosequalität erwiesenermaßen solide und treffsicher ist.stetig in den Aufmerksamkeitsfokus <strong>der</strong> Öffentlichkeit. Ebenso sindQualitäts-Initiativen wie die vom DJV ins Leben gerufene „InitiativeQualität im Journalismus“ sinnvoll, um gemeinsam ein neuesSelbstverständnis zu bilden. Während <strong>des</strong> DJV Forums am 8. Oktoberwurden dazu interessante Ansätze diskutiert.Vor allem aber wird <strong>der</strong> Versachlichung <strong>des</strong> „hätte“, „könnte“ und „sollte“in Form einheitlicher Standards und Verhaltens-Kodices und ihrerverbindlichen Einführung in den Medienhäusern große Bedeutungzukommen. Die für das Handelsblatt formulierte „Regelung zur Wahrung<strong>der</strong> publizistischen Unabhängigkeit...“ ist hier sicherlich vorbildlich. Sieregelt explizit moralische Grenzfälle wie den Wertpapierhandel vonRedakteuren, den Umgang mit vertraulichen Informationen und dieAnnahme von Annehmlichkeiten. Nun muss die gesamte Redaktion dieformulierten Ideen leben und klären, wer hier kontrollieren darf und soll.Letztes En<strong>des</strong> ist es richtig, die Verantwortung zurück an die einzelnenRessorts zu geben, die diese Chance nutzen sollten, eine interneKritikkultur zu etablieren und sich in Qualität von <strong>der</strong> Konkurrenz abzugrenzen.Es sei die These gewagt, dass mit dem Grad <strong>der</strong> Professionalität einesJournalisten <strong>des</strong>sen unmoralisches Verhalten abnimmt. Sachkompetenzund Beherrschung <strong>des</strong> Handwerkzeugs sind Voraussetzungen fürQualität. Der Redakteur kann und weiß es dann schlicht und ergreifendbesser. Verbesserte, praxisorientierte Aus- und Weiterbildungsmöglichkeitenund ihre Inanspruchnahme trotz knapper Zeit und Mittelsind wegweisend für die Zukunft.Fehlende KontrollmechanismenDer Deutsche Presserat – ein zahnloser PapiertigerDie von ihm aufgestellten Regeln sind einwandfrei, doch werden sieauch angewendet? Der Presserat äußert sich selten bis nie über dieWirtschaftsberichterstattung und seine Sanktionen sind nicht sehrgefürchtet.Jammern hilft nicht. Es ist <strong>der</strong> Sache dienlich, auf Panels wie diesemjournalistische Werte zu diskutieren. Das Thema Verantwortung in <strong>der</strong>Wirtschaftsberichterstattung rückt seit mehreren Monaten langsam aber142 143


ÖFFENTLICH-RECHTLICHE BEHINDERNQUALITATIV GUTEN JOURNALISMUSThesen von Gerald Praschl (Super Illu)Auch eine völlig privatwirtschaftlich organisierte Medienlandschaft hatgenügend Regulative, um qualitativ guten Journalismus sicherzustellen.Bestes Beispiel dafür sind die Print-Medien, die rein privatwirtschaftlicharbeiten.Die Regulative <strong>des</strong> „Freien Marktes“:1) Die Werbewirtschaft: Werbeetats finanzkräftiger Markenhersteller werdenvorzugsweise im Umfeld von qualitativ gutem Journalismus platziert.Philosophie <strong>der</strong> Werbe-Strategen: Werbung im Umfeld von schlechtemJournalismus, Schmuddel-Talkshows, Gewalt- und Sex-Themen färbtnegativ auf die Marke ab.2) Der Konsument: Solange es eine Nachfrage nach gut gemachtemJournalismus gibt, wird es auch ein qualitativ entsprechen<strong>des</strong> Angebotgeben.3) Die Konkurrenz: Berichterstattung von Medien über an<strong>der</strong>e Medienrückt immer mehr in den Vor<strong>der</strong>grund. Journalisten sind selbst zumMittelpunkt von Medien-Berichterstattung geworden. Wer heute schlampigund voreingenommen berichtet, läuft Gefahr, schnell selbstGegenstand kritischer Berichterstattung zu werden. Nicht nur übergeordnetenjournalistische Institutionen wie <strong>der</strong> Presserat, son<strong>der</strong>n auchdie Journalisten selbst kontrollieren sich gegenseitig auf korrekteRecherchen, objektive Darstellung.Viel mehr als Gebote o<strong>der</strong> Verbote halten bereits heute diese Regulativeden Print-Journalismus in den Bahnen gesellschaftlicher Verhaltensnormen.Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sind ein Anachronismusund behin<strong>der</strong>n die Existenz und Weiterentwicklung von qualitativ gutemJournalismus.4)Heute Kiosk-Situation, damals Versorgungs-Gedanke. Der Gründungsgedanke<strong>der</strong> öffentlich-rechtlichen Anstalten stammt aus <strong>der</strong>Frühgeschichte elektronischer Medien. Bedingt durch die technischenund wirtschaftlichen Rahmenbedingungen waren damals nur ganz wenigeRundfunk- und Fernsehsen<strong>der</strong> möglich, die praktisch alle Konsumenten„versorgen“ mussten. Deshalb war es natürlich beson<strong>der</strong>s wichtig, mitstrengen Statuten „politische Ausgewogenheit“ zu gewährleisten undInhalte in <strong>der</strong> knappen Sendezeit streng nach Relevanz abzuwägen. DieKonstruktion ist völlig überholt. Bei mehr als 30 Fernsehkanälen undunzähligen Rundfunksen<strong>der</strong>n ist es we<strong>der</strong> wichtig, ob ein Sen<strong>der</strong> „eherlinks“ o<strong>der</strong> „eher rechts“ berichtet, noch ob je<strong>der</strong> beson<strong>der</strong>s geistigwertvolle Programminhalte transportiert. Die freie Auswahl für denKonsumenten, die Kiosk-Situation auch auf dem TV-Markt macht staatlicheEingriffe überflüssig.5) Heute Meinungs-Vielfalt, damals Parteien-Proporz. Der Versuch, insbeson<strong>der</strong>edurch Personalpolitik „politische Vielfalt“ in den öffentlichrechtlichenProgrammen zu gewährleisten, ist unzureichend. „Proporz-Verteilung“ <strong>der</strong> Entschei<strong>der</strong>-Funktionen kann eine durch einen FreienMarkt enstandene Meinungs-Vielfalt nicht ersetzen. Echter Pluralismusist keine Theaterveranstaltung und braucht <strong>des</strong>halb auch keinenRegisseur.6) Heute Freier Markt, damals Staats-Wirtschaft. Wichtigstes Regulativunseres Gesellschaftssystems ist das Vertrauen in den Freien Markt und<strong>der</strong> Freiheit <strong>des</strong> Individuums. Die Existenz <strong>der</strong> de facto vom Staat initiiertenund getragenen„öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten“ und ihreFinanzierung durch eine De-facto-Son<strong>der</strong>steuer („Gebühren“) mag in <strong>der</strong>von einem Mangel an finanziell potenten Unternehmen gekennzeichnetenStaats-Wirtschaft <strong>der</strong> Nachkriegszeit gerechtfertigt gewesen sein.Heute behin<strong>der</strong>t sie den Freien Medien-Markt in seiner Entfaltung. Sieführt eben nicht zu einer „von Staats wegen“ garantierten Grundversorgungmit qualitativ gutem Journalismus, son<strong>der</strong>n verhin<strong>der</strong>t <strong>der</strong>enbreite Entfaltung im Bereich <strong>der</strong> privaten Sendeanstalten. Qualitativgutes Privat-Programm kann angesichts <strong>der</strong> „öffentlich-rechtlichen“Konkurrenz wirschaftlich kaum bestehen.Schwarzmalerei, die von einer „Verdummung“ <strong>der</strong> Konsumenten durchwahllosen Konsum qualitativ schlechter Medien spricht, basiert auf einerWahrnehmungsstörung. Der politische Bildungsgrad <strong>der</strong> Bevölkerungund die politische Kompetenz <strong>der</strong> Bürger hat in den letzten Jahrzehnten,in denen immer mehr Print- und TV-Medien auf den Markt kamen, nichtab- son<strong>der</strong>n stark zugenommen.144 145


MAINZER MEDIEN-DISPUT 27.11.2001Walter Schumacher(Sprecher <strong>der</strong> rheinland-pfälzischen Lan<strong>des</strong>regierung)Der Bildhauer Harald Kllingelhöller baut in einem neuen Kunstpark sprechendeRednerpulte auf.Eine Innovation! Sprechende Rednerpulte!Werden installiert zwischen Milbertshofen und Schwabing, im Petuelparkin München, und bei den Münchner Medientagen sind sprechendeRednerpulte längst gängig.Der Mainzer Medien-Disput setzt auf an<strong>der</strong>es, und drum sind Sie ja da.Eine größere Teilnehmerzahl als die Zahl im Jahr 2000. Rekord! hätteman in Nordrhein-Westfalen sofort gerufen, gesponsert von <strong>der</strong>Stadtsparkasse Köln, die ersten drei Teilnehmer gewinnen je ein Bonmotvon Helmut Thoma und werden für eine Comedy-Show gecasted. Siehaben gesehen, wie<strong>der</strong> in Mainz, dass ein Medien-Disput ohne HelmutThoma und ohne Helmut Markwort möglich ist. Wir haben ja auch dasWort „Kulturgut“ im Titel.Der Künstler Thomas Baumgärtel – by the way – ist als Bananensprayerberühmt. Seine Banane ist zum globalen Qualitäts-Logo geworden. Un<strong>der</strong> hat nun die Periode <strong>des</strong> „vielfarbigen Bananenpointillismus“ begonnen,in seinem Atelier, nicht im Fernseh-Studio.Das weiß ich nicht aus dem Feuilleton <strong>der</strong> FAZ, wo es vom Feuilletonzum Wirtschaftsteil nicht so weit ist wie „vom Kulturgut zumWirtschaftsgut“.„New Journalism“ in neuen und alten Medien in einem 8-Stunden-Tagwurde disputiert.Und ich darf – stolz – für die Organisatoren – die Friedrich-Ebert Stiftung,die Lan<strong>des</strong>anstalt für privaten Rundfunk und die Staatskanzlei <strong>des</strong>Lan<strong>des</strong> Rheinland-Pfalz – sagen, dass wir uns über die Kompetenz undProminenz <strong>des</strong> Disputs freuen. Wir danken dafür auch <strong>der</strong> Projektgruppe.„Wer besitzt die Macht: Medien o<strong>der</strong> Politik?“ fragte Thomas Schadt, <strong>der</strong>große Dokumentarfilmer, und antwortete:Zitat: „Je länger ich darüber nachdenke, <strong>des</strong>to mehr komme ich zu <strong>der</strong>Ansicht, dass die Medien die größere Macht besitzen ...“Weil die Lan<strong>des</strong>regierung Rheinland-Pfalz das ahnte, hat sie zumSchluss zum Empfang eingeladen. Hier ins ZDF – aber es werden keineGebühren verzehrt, son<strong>der</strong>n Steuern.Gestern Abend um 20 Uhr 30 hat dpa die „Vorausmeldung“ getickert:„Medien-Disput soll Medienpolitik stärker in Öffentlichkeit rücken.“So schön kann ich’s nicht sagen, nur bitten: „Medien-Disput soll stärkerin Öffentlichkeit gerückt werden.“Heute, morgen, in den nächsten Tagen und nächstes Jahr. Von Ihnenallen.Schönen Abend im ZDF – und auf Wie<strong>der</strong>sehen beim Mainzer Medien-Disput 2002.Folgende <strong>Dokumentation</strong>en können bei <strong>der</strong> Friedrich-Ebert-Stiftung,Büro Mainz kostenlos bestellt werden:Große Bleiche 18-20, 55116 MainzWa(h)re Nachrichten – Berichterstattung zwischen Medien-Realität undWirklichkeitMainzer Medien Disput vom 2<strong>6.</strong> November 1998Markt, Macht, Macher – Wohin treibt das ProgrammMainzer Medien Disput vom 4. November 1999Im Seichten kann man nicht ertrinken ...... Medien zwischen Sinn und SensationMainzer Medien Disput vom 9. November 2000New Journalism – vom Kulturgut zum WirtschaftsgutMainzer Medien Disput vom 27. November 2001146147


Historisches Dokument: SZ148 149


Autorenliste Programm MainzerMedienDisput am 30. Oktober 2002,Mainz (ZDF-Konferenzzentrum):Kurt BeckMinisterpräsident Rheinland - Pfalz,Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong> Rundfunkkommission<strong>der</strong> Län<strong>der</strong>Kristina LäskerBertelsmann- StiftungVerschwiegen, verschwunden, verdrängtWas (nicht) öffentlich wirdMichael BehrentKommunikationsberaterIlka BrechtRedakteurin NDR/PanoramaPhillip J. FleischmannVerlagsgruppe HandelsblattDr. Fritz GoergenKommunikationsberater u. a. für dieFDPKirsten HaakeRedaktionsleiterin Online,Financial Times DeutschlandRainer HankFinancial Times DeutschlandKlaus HarpprechtPublizistManfred HelmesDirektor <strong>der</strong> Lan<strong>des</strong>zentrale für privatenRundfunk Rheinland- PfalzMichael JürgsPublizistWilli KaczorowskiUnternehmensberaterDr. Wolfgang KadenChefredakteur CapitalUlrich KienzleJournalistHerlinde KölblFotografin und FilmautorinDr. Thomas LeifChefreporter Fernsehen SWR,Lan<strong>des</strong>sen<strong>der</strong> MainzHans Leyendeckerleiten<strong>der</strong> Redakteur Süddeutsche ZeitungArno LuikSternProf. Dr. Claudia MastUniversität HohenheimMatthias Müller von BlumencronChefredakteur Spiegel-OnlineDr. Ingo NathusiusRedakteur HRGerald PraschlSuper IlluStefan RaueRedakteur ZDFKlaus RüterChef <strong>der</strong> StaatskanzleiRheinland-PfalzProf. Thomas SchadtDokumentarfilmerOtto SchilyBun<strong>des</strong>minister <strong>des</strong> InnernWalter SchumacherSprecher <strong>der</strong> Lan<strong>des</strong>regierungRheinland- PfalzAdolf TheobaldGrün<strong>der</strong> CapitalDr. Ursula WeidenfeldDer Tagesspiegelab 9.00 Uhr10.00 Uhr11.00 UhrKaffee & KommunikationBegrüßungKlaus Rüter, StaatssekretärChef <strong>der</strong> Staatskanzlei Rheinland-PfalzAuftaktBestellte Wahrheiten, blockierte Informationen undbeschränkte ÖffentlichkeitenEine Reise durch deutsche MedienweltenHerbert Riehl-Heyse, Süddeutsche ZeitungZwischenrufUrban Priol, KabarettistEs gibt noch Werte neben dem DaxDiskussionDr. hc. Klaus G. AdamVorstandsvorsitzen<strong>der</strong>, Lan<strong>des</strong>bank Rheinland-PfalzPeter Christ,Chefredakteur, Stuttgarter ZeitungPräses Manfred Kock,Ratsvorsitzen<strong>der</strong>,Evangelische Kirche in Deutschland (EKD)Dagmar Reim,Direktorin, Lan<strong>des</strong>funkhaus Hamburg, NDRMichael Sommer,Vorsitzen<strong>der</strong>, Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB)Mo<strong>der</strong>ationMichaela MaxwellWDR, Kulturreport150151


14.00 UhrVerschwiegen, verschwunden, verdrängtVergessene Themen und die Macht <strong>der</strong> AgenturenImpulsProf. Dr. Dr. Peter Lu<strong>des</strong>, International University Bremen17.30 UhrWas kann Medienpolitik gestalten?RedeProf. Dr. Lutz Hachmeister,Gesellschaft für Medienberatung, KölnDiskussionDr. Fritz Goergen, Kommunikationsberater, KölnDr. Wim Herlyn, Chefredakteur, dpaJürgen Leinemann, Autor, Der SpiegelHerbert Riehl-Heyse, Süddeutsche ZeitungBettina Warken, Leiterin <strong>der</strong> Nachrichtenredaktion, ZDFGegenredeKurt Beck, Ministerpräsident, Rheinland-PfalzDiskussionGünther H. Oettinger,Landtag Baden-Württemberg, Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong> CDU-FraktionMarkus Schächter,Intendant, Zweites Deutsches Fernsehen (ZDF)15.30 UhrMo<strong>der</strong>ationSonia Mikich,WDR, MonitorGrammatik <strong>der</strong> SkandaleNorbert Schnei<strong>der</strong>,Direktor, Lan<strong>des</strong>anstalt für Rundfunk (LfR), DüsseldorfMo<strong>der</strong>ationLuzia Braun,ZDF AspekteImpulsRobert GernhardtDiskussionNachschlagWalter SchumacherSprecher <strong>der</strong> Lan<strong>des</strong>regierung Rheinland-PfalzThomas Borer-Fielding, Berlin (angefragt)Bodo Hombach,Geschäftsführer, Westdeutsche Allgemeine Zeitung, EssenProf. Dr. H. M. Kepplinger, Uni MainzHans Leyendecker, Süddeutsche Zeitung17.30 UhrMainzer MedientreffEmpfang <strong>des</strong> Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz,Kurt BeckVerleihung <strong>des</strong> MedienpreisesPaul Sahner, Chefreporter, BUNTEMo<strong>der</strong>ationStephanie RadkeSWRAnmeldung:Friedrich-Ebert-StiftungGroße Bleiche 18-20, 55116 MainzTelefax: (0 22 23) 44 44eMail: Anmeldung@MainzerMedienDisput.org152153


MITMACHEN:INITIATIVE NACHRICHTENAUFKLÄRUNGAuch im Jahr 2002 ist die Initiative Nachrichtenaufklärung, die in Kooperationmit dem Netzwerk-Recherche arbeitet, wie<strong>der</strong> auf <strong>der</strong> Suchenach Themen, über die in den Medien noch nicht ausreichend berichtetwird.Wir wenden uns an engagierte Bürgerinnen und Bürger, Medienschaffendeund an<strong>der</strong>e, an einer „aufgeklärten“ Gesellschaft Interessierte.Wir möchten Sie bitten, Ihren wichtigen Beitrag zur Aufklärung <strong>der</strong>Gesellschaft zu leisten und uns Ihre Vorschläge per E-Mail, Fax o<strong>der</strong> perPost einzureichen, damit wir sie mit Ihnen aufbereiten und veröffentlichenkönnen.Nominiert werden Themen, die• <strong>der</strong> Bevölkerung in Deutschland (und Europa) bekannt sein sollten,zu denen sie aber nur eingeschränkten o<strong>der</strong> gar keinen Zugang hat• für einen Großteil <strong>der</strong> Bevölkerung relevant sind• eindeutig konzipiert sind und auf zuverlässigen, überprüfbarenQuellen basieren• trotz ihrer Bedeutung noch nicht von den Medien (Tageszeitungen,Zeitschriften, Nachrichtenbriefe, Rundfunk, Fernsehen, Internet u.a.)aufgegriffen, bzw. recherchiert und veröffentlicht wurden• die in deutscher o<strong>der</strong> in einer an<strong>der</strong>en europäischen Sprache verfasstsind.Kontakt:Dr. Peter Lu<strong>des</strong>, Ph.D. (USA)apl. Prof. Kultur- und MedienwissenschaftCulture and Media StudiesUniversität Siegen, D-57068 SiegenTel.: 0271-740-4936, Fax: 0271-740-4943E-Mail: lu<strong>des</strong>@sfb240.uni-siegen.deSt.-Johann-Str. 18, D-57074 Siegenhttp://www.nachrichtenaufklaerung.denetzwerk rechercheDr. Thomas LeifTel. 0611-495151Fax. 061 -495152E-Mail: info@netzwerkrecherche.dehttp://www.netzwerkrecherche.deSie liegt schon lange in <strong>der</strong> Schublade o<strong>der</strong> sieschimmert durch eine aktuelle Meldung hindurch– die Geschichte – aber:„Ohne Geld und Zeit werden viele Themennie recherchiert“Das „netzwerk recherche“ bietet dazu eine Alternative:Die IdeeDas „netzwerk recherche“ sucht Journalisten, die mit Hartnäckigkeit,Fleiß und Ausdauer eine aufwendige Geschichte recherchierenmöchten.Das „recherche stipendium“- wird ausgeschrieben für Journalisten,die ein spannen<strong>des</strong>Thema in <strong>der</strong> Planung haben, dieses aber bislangnicht verwirklichen können. Aus einem För<strong>der</strong>topf werden jenach Aufwand <strong>der</strong> Recherche 2.500 bis 3.500 Euro gezahlt –Ziel dieses Recherche-Stipendiums ist es, kompetente und kritischeBerichterstattung auf <strong>der</strong> Basis gründlicher Recherche zu för<strong>der</strong>n,ganz gleich in welchem Medium.Die Themen -Es gibt drei Typen von Stipendien-„Umwelt-Stipendien“, „Wirtschafts-Stipendien“ und „StipendienOst“, mit denen ausschliesslich Themen aus den neuen Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong>ngeför<strong>der</strong>t werden.Unterstützt werden die Stipendien von Greenpeace, WWF undBUND, <strong>der</strong> Allianz-Group, sowie <strong>der</strong> „Otto Brenner Stiftung“.Eine unabhängige Jury <strong>des</strong> „netzwerk recherche“ wählt aus deneingereichten Recherchevorschlägen die för<strong>der</strong>ungswürdigenThemen aus.Wie bewerbe ich mich?In einem Expose soll die journalistische Relevanz <strong>des</strong> Themenvorschlagesdokumentiert werden. Eine Kurzbiografie und Arbeitsprobensind notwendig. Dazu muß ein Zeit- und Kostenplanerstellt werden. Das „netzwerck recherche“ unterstützt dieAutoren nach Beendigung <strong>der</strong> Arbeit bei <strong>der</strong> Veröffentlichung <strong>des</strong>Themas.Bewerbungen an:Dr. Thomas Leif „netzwerk recherche“Marcobrunnerstr 6 • 65197 WiesbadenMehr Infos unter www.netzwerkrecherche.de154

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