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ZUHAUSE<br />

Schauspiel nach Kristof Magnusson<br />

URAUFFÜHRUNG


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2<br />

WER WEISS, WO ER HERKOMMT, WEISS, WER ER IST.<br />

WER WEISS, WER ER IST, WEISS, WO ER HINWILL.<br />

Kristof Magnusson: Zuhause, 2007


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URAUFFÜHRUNG<br />

ZUHAUSE<br />

Schauspiel nach dem Roman von Kristof Magnusson<br />

für die Bühne bearbeitet von Ronny Jakubaschk<br />

LÁRUS Benjamin Bieber<br />

MATILDA Caroline Erdmann<br />

DAGUR/FREYR/KAPITÄN Hannes Florstedt<br />

KJARTAN/RAPHAEL/U.A. Ulrich K. Müller<br />

SIGURRÓS/BERGLIND/U.A. Eva Geiler<br />

INSZENIERUNG Ronny Jakubaschk<br />

AUSSTATTUNG Matthias Koch<br />

VIDEO Carlo Siegfried<br />

DRAMATURGIE Marc Steinbach<br />

REGIEASSISTENZ Susanne Menning<br />

SOUFFLAGE Monika Boysen<br />

INSPIZIENZ Konstanze Wussow/Magdalena Botewa<br />

REGIEPRAKTIKUM Eszter Dunkl<br />

Musik von Radiohead, Múm, Sigur Rós und Mogwai<br />

Technischer Leiter: Peter Martins · Ausstattungsassistent: Ingo Böhling · Kommissarischer Werkstattleiter: Dirk Butzmann ·<br />

Bühnen inspektor: Holger Fleischer · Bühnentechnik: Ingo Templin · Leiterin der Kostümabteilung: Jenny-Ellen Fischer ·<br />

Assistentin der Kostümabteilungsleiterin: Jana Maaser · Kostüm anfertigung: Kornelia Junge, Martina Steckert · Chef maskenbildnerin:<br />

Beatrice Rauch · Maske: Judith Müller · Leiter der Beleuchtung: Andreas Lichtenstein · Beleuchtung: Uwe Dittrich ·<br />

Leiter der Tonabteilung: Michael Martin · Ton: Paul Cornelius · Kommissarische Leiterin der Requisite: Katja Schönberg ·<br />

Requisite: Jarste Hinrichsen<br />

Herstellung der Dekorationen und Kostüme in den Werkstätten des <strong>Volkstheater</strong>s <strong>Rostock</strong><br />

Das Fotografieren sowie Film- und Tonaufnahmen während der Vorstellung sind nicht gestattet.<br />

Photographing, video recording and sound recording during the performance is prohibited.<br />

PREMIERE: 30. April 2010, 20.00 Uhr · THEATER IM STADTHAFEN<br />

Aufführungsrechte: Verlag der Autoren, Frankfurt am Main<br />

Aufführungsdauer: ca. 2 Stunden und 40 Minuten · Eine Pause<br />

3


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4<br />

DAS STÜCK<br />

Wie in jedem Jahr kehrt Lárus heim auf die Insel seiner Kindheit, um dort mit alten Freunden<br />

Weihnachten zu feiern. – Warum nur ist diesmal alles anders? Ihn selbst hat Milan verlassen, seine<br />

Freundin Matilda hat sich von Svend getrennt, und bei der Videoausleihe erfährt der Exilant, er<br />

sei im Einwohnerverzeichnis als tot eingetragen. Da begegnet er Dagur, einem Bekannten von<br />

früher, Sproß einer der mächtigsten Familien Islands, die mit ihrem Mýrar-Konzern das ganze<br />

Land kontrolliert.<br />

Lárus’ Zuhause versinkt im Chaos: Vor ihm geht ein Haus in Flammen auf, der französische DJ<br />

aus dem kaffí gógó tritt ihm die Tür ein, in einem Landrover rast er auf eine Fastfoodfiliale zu, auf<br />

Dagurs Beerdigung landet er selbst im offenen Grab. Dennoch erscheint Lárus in der Konzernzentrale<br />

zur Buchpremiere von ›Wir Menschen von Mýrar‹, in dem Dagurs Vater die Familiengeschichte<br />

über 1.000 Jahre zurück bis auf den legendären Volkshelden Egill Skallagrímsson datiert.<br />

Dort erlebt er, wie das erste Exemplar ausgerechnet dem Leiter des Einwohnermeldeamts verehrt<br />

wird. Lárus, der ewige Verdränger, ist endlich gezwungen, sich der eigenen Vergangenheit, wie der<br />

Geschichte seiner Heimat zu stellen. Dabei entdeckt er immer Unheimlicheres über sein Land,<br />

über seine Familie und über sich selbst. Doch der Weg nach Hause, zurück in die eigene Erinnerung<br />

genauso wie ins kollektive Gedächtnis erweist sich als schmerzhaft und verlustreich. Und<br />

bald weiß Lárus genug, dass er wirklich um sein Leben fürchten muss. Wer würde ihn denn auch<br />

vermissen? Offiziell ist er ja längst tot.<br />

Was Romanautor Kristof Magnusson mit dem aktuellen Porträt einer unbehausten Generation eröffnet,<br />

das treibt er in einen rasch eskalierenden Familienthriller vom Verdrängen und Erinnern,<br />

um schließlich Wahrheit und Macht des isländischen Nationalmythos in Frage zu stellen. Der<br />

Deutsch-Isländer, der gegenwärtig an einer Neuübersetzung der isländischen Grettis Saga arbeitet,<br />

hat 2005 nach mehreren erfolgreichen Stücken (›Enge im Haus und im Sarg‹, 2000; ›Der totale<br />

Kick‹, 2001; ›Männerhort‹, 2002) einen höchst dramatischen Roman vorgelegt, den er selbst<br />

bereits für eine 53-minütige Hörspielfassung (WDR 2007) szenisch bearbeitete. In der neuen Bühnenfassung<br />

des Berliner Regisseurs Ronny Jakubaschk, der im Herbst am Theater Basel auch Magnussons<br />

zweiten Roman ›Das war ich nicht‹ (2010) in Szene setzen wird, erlebt die Geschichte<br />

nun am <strong>Volkstheater</strong> <strong>Rostock</strong> ihre Uraufführung.


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Hannes Florstedt, Benjamin Bieber<br />

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6<br />

WIE LEBT EINER, DER SEINEN ROMAN ›ZUHAUSE‹ NENNT?<br />

LEBEN. Kristof Magnusson, der in Hamburg aufwuchs, aber wegen seines isländischen Vaters<br />

viel Zeit auf der Insel verbrachte, wohnt mit dem Schriftsteller Tobias Hülswitt zusammen.<br />

Mit den Nachbarn im Haus haben die beiden ein kleines Dorf gebildet, elektronisch gesehen:<br />

eine Etage, Internet ohne Schnur, eine Flatrate. Freunde in der Stadt sind auch noch wichtig,<br />

damit das Zuhause seinen Namen verdient, sagt Kristof. Manchmal sitzen die beiden Schreiber<br />

in ihren Zimmern und schicken sich Mails. Und weil man in einer WG ständig kommunizieren<br />

muss, sich ankündigen und gegenseitig warnen, vor einem selbst und vor anderen, hat<br />

Kristof eines Nachts noch schnell »Bin, ähm, nicht allein …« auf einen Zettel in der Küche gekritzelt.<br />

»Niemand sollte alleine wandern gehen«, hatte Hülswitt darunter geantwortet.<br />

ALLEIN. Nach seiner Zeit bei den Eltern in Hamburg, in der er das Abitur machte und eine Ausbildung<br />

zum Kirchenmusiker, wollte Kristof endlich alleine wohnen. Er machte seinen Zivildienst<br />

in New York, und seine erste eigene Bude war ein Zimmer am Times Square. Tisch, Stuhl, Schrank,<br />

Kochplatte, Klo auf der Etage. Er hat sich nie gefürchtet, vor dem Alleinsein, im Gegenteil, er<br />

fand es wild und romantisch. »Ich dachte, ich bin Paul Auster.« Und noch während er das dachte,<br />

veränderte er sich. Alleine, sagt Kristof, findet man sich nicht mehr damit ab, dass man immer<br />

alles suchen muss. Tagsüber ging Kristof in die jüdische Obdachlosenunterkunft zu denen, die<br />

die Stadt nur duldete, und wärmte ihnen koscheres Fertigessen auf. Er besuchte mit den Unbehausten<br />

die Ämter und versuchte, auch ihnen ein Dach über dem Kopf zu verschaffen. Er hat gelernt,<br />

woran man die erkennt, die keines haben. Es sind vor allem die Gesten, mit denen sie das<br />

behandeln, was sie dabeihaben. Mit unverhältnismäßiger Sorgfalt gehen sie mit dem um, was<br />

doch nur nach räudigen Tüten aussieht. Bewusst gruppieren sie ihre Habseligkeiten um sich<br />

herum. Alles muss seinen Platz haben. »Sie projizieren das Zuhause an einen öffentlichen Ort.«<br />

HEIMAT. »Zuhause ist immer positiv besetzt«, sagt Kristof. Anders als zum Beispiel Heimat. Zuhause<br />

gibt es mehrere in einem Leben, Heimat nur einmal. Damit eine Heimat eine Heimat ist, müssten<br />

dort mehrere verschiedene Lebensphasen stattgefunden haben. Zuhause ist weniger als Heimat und<br />

mehr als eine Wohnung. Kristof war von Anfang an klar, dass sein erster Roman ›Zuhause‹ heißen


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Ulrich K. Müller, Benjamin Bieber<br />

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sollte. Und er spielt in Island, wo Kristof viel Zeit verbracht hat. »In Island ist das Zuhause eine Extremsituation«,<br />

sagt er, denn weil die Tage so dunkel werden und die Temperaturen schnell fallen,<br />

verbrächten die Isländer viel Zeit in ihren Häusern. Häuser sind dort hell erleuchtet und wichtig und<br />

oft fast so groß, wie das Grundstück, auf dem sie stehen. »Aber paradoxerweise führte das Schreiben<br />

eines Romans mit dem Namen ›Zuhause‹ dazu, dass sich mein eigenes Zuhause auflöst.«<br />

SCHREIBEN. Kristof Magnusson studierte sein Handwerk am Literaturinstitut in Leipzig. Kristof<br />

dachte, das Schreiben würde ihm leichter fallen in einer sanierten Wohnung mit Blick und Fußbodenheizung,<br />

und es war von dort aus, dass Kristof Magnusson die Krähenflugbewegung von<br />

ganz Leipzig beobachten konnte, während er sich übte. Das hatte so viel Erfolg, dass er jetzt eigentlich<br />

gar nicht mehr zu Hause ist, sondern viel auf Lesereise. Gleichzeitig hat er ein Aufenthaltsstipendium<br />

in der Schweiz für ein Jahr, was dazu führt, dass er immer hin- und herreist<br />

zwischen Langenthal und Berlin und die Klamotten immer gerade am falschen Ort sind.<br />

Zuhause ist tatsächlich ein Konstrukt, denn es gibt keinen zwingenden Grund, an einem Ort zu<br />

sein. Kein Arbeitgeber, der einem neue Städte aufzwingt, sagt Kristof, also sei es gut, einen Grund<br />

zu finden, aus dem heraus man sich bewegen kann. »Sonst kommt man nie aus der studentischenlinken<br />

WG-Schriftstellerei heraus.« Und deshalb genießt er es, zur Literaturproduktion<br />

in abgeschiedene Dörfer verschickt zu werden, wo<br />

andere Menschen in engeren Beziehungen leben.<br />

»Ich habe so wenige und so leichte, zusammenklappbare Möbel, dass<br />

ich innerhalb von drei Stunden verschwinden kann«, sagt Kristof. Ohne<br />

Spuren zu hinterlassen. Er würde nicht lange brauchen, um die Mozartbüste<br />

einzupacken, das Metronom, das Schlafsofa und den Ledersessel.<br />

Zu Hause stehen nur die Dinge, die jemand aus dem ganzen Wust<br />

der Welt für wichtig hält.<br />

Deike Diening, 2005<br />

IN ISLAND IST DAS ZUHAUSE EINE EXTREMSITUATION<br />

Kristof Magnusson, 2005


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Benjamin Bieber<br />

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10<br />

EGILLS SAGA<br />

Die Saga besingt Herkunft, Schicksal und Nachfolge des Egill Skallagrímsson (910 – ca. 990<br />

n.Chr.), eines mächtigen isländischen Goden (Clanchef) und bedeutendem Skalden (Lieddichter)<br />

aus der ersten Siedlergeneration der Insel. Seine Existenz wird sogar vom historischen<br />

Landnahmebuch, dem frühesten Einwohnerverzeichnis der jungen Nation beglaubigt.<br />

Dieser Legende nach entstammt er einer Dynastie norwegischer Kleinfürsten. Infolge eines<br />

Konflikts mit dem König sah sich seine Familie allerdings gezwungen, nach dem kurz zuvor<br />

entdeckten Island auszuwandern. Bei der Landnahme soll sich sein Vater Skallagrímur dort<br />

niedergelassen haben, wo der Sarg seines Großvaters ans Ufer trieb: in Borg am Borgarfjord<br />

nahe Borganes in der westisländischen Region von Mýrar.<br />

Vier große Auslandsreisen führen den frühen Isländer in diplomatischen wie militärischen Missionen<br />

immer wieder zurück in den Machtbereich der alten Widersacher, nach Norwegen wie<br />

nach England. Daheim auf der Insel greift er im Allthing, der isländischen Gesetzes- und Gerichtsversammlung<br />

freier Bauern, häufig in die Geschicke seiner Heimat ein. Auch seine Nachkommen<br />

prägen Jahrhunderte hindurch die Geschichte Islands, und jeder Isländer kann sich<br />

heute als Erbe Egills begreifen.<br />

Die Dichtung kennzeichnet ihren Helden nicht nur mit allen Merkmalen des damaligen Berserker-Kults<br />

als unbesiegbar groß, stark und wild: So soll er bereits mit sieben Jahren aus Wut<br />

einen überlegenen Gegner im Ballspiel erschlagen haben; und um sich am Vater zu rächen, der<br />

ihn selbst fast erschlagen hätte, dafür aber die Magd tötete, die ihn in Schutz nahm, soll er<br />

den vom Vater geschätzten Gutsverwalter ermordet haben.<br />

Ungewöhnlicherweise beschreibt das Lied seine Titelfigur auch als auffallend häßlich, kälteempfindlich<br />

und kopfschmerzgeplagt. Diese Symptome sowie eine Exhumierung Anfang des<br />

13. Jahrhunderts, die überdimensionierte Knochen sowie einen verwachsenen, auch mit einer<br />

Axt nicht zu spaltenden Schädel zutage förderten, legen für Egill die Diagnose eines Paget-


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Benjamin Bieber, Eva Geiler<br />

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Syndroms nahe, einer erblichen Krankheit mit übermäßigem Knochenwachstum und den erwähnten<br />

Folgeerscheinungen.<br />

Zugleich muss das historische Vorbild des Sagenhelds mit besonderer Intelligenz und Sensibilität<br />

begabt gewesen sein, als Politiker ebenso wie als Poet. Erst dreijährig soll er sein erstes<br />

Gedicht verfasst haben. Später schlägt ein von ihm komponierter Fluch den König Norwegens<br />

in die Flucht, und als Egill darauf in England diesem Eiríkur Blutaxt in die Hände fällt, rettet<br />

der todgeweihte Skalde seinen Hals mit einem Preislied auf seinen Todfeind. Auch für die<br />

erwiesene Treue seines besten Freundes und Gefährten dieser Kämpfe stimmt Egill eine Hymne<br />

an, muss jedoch vor Ende seines Lebens noch den Verlust zweier Söhne ebenso wie die eigene<br />

Todessehnsucht überwinden, in einem sehr persönlichen Klagelied.<br />

Als Verfasser dieser autobiographischen Gedichte sowie der meisten von weiteren 60 Strophen,<br />

die ihm das Epos in den Mund legt, dürfte Egill selbst wohl als erster Urheber der Saga anzusehen<br />

sein. Einer der letzten Autoren des Werks mag sein Nachkomme Snorri Sturlusson (1179-<br />

1241) sein, ebenfalls ein bedeutender isländischer Dichter und Diplomat, der gleichfalls in<br />

Mýrar lebte, zeitweise sogar am Stammsitz der Familie auf dem Hof Borg. Zu seinen Lebzeiten<br />

wurden die Gebeine des Vorfahren umgebettet und die mündliche Überlieferung von seinem<br />

Ahnen schriftlich niedergelegt zur ›Egills Saga‹. Anders aber als sein Ahne, der etwa<br />

80-jährig eines natürlichen Todes starb, wurde Snorri ein Opfer jener Erbfehde mit dem norwegischen<br />

Königshaus, die einst die Landnahme auf der unwirtlichen Insel überhaupt erst<br />

ausgelöst und längst ganz Island ergriffen hatte.<br />

NUR WAS NICHT AUFHÖRT,<br />

W E H Z U T H U N,<br />

BLEIBT IM GEDÄCHTNISS.<br />

Friedrich Nietzsche, 1887


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Caroline Erdmann, Benjamin Bieber<br />

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14<br />

DER SÖHNE VERLUST (SONATORREK)<br />

Schwer ist’s mir / die Zunge zu rühren / oder emporzuheben / des Liedes Waagarm; / […] //<br />

Denn mein Geschlecht / steht am Ende, / gleich sturmzerschlagnen / Ahornen im Wald. / Nicht<br />

heiter ist, / wer vom Hause hinab / eines toten Gesippen / Glieder trägt. / […] // Eine bittere<br />

Lücke / brach die Woge mir / in meines Vaters / Verwandtenzaun. / Leer seh ich und offen /<br />

statt meines Sohns / die Bresche stehen, / die die See mir schlug. // Hart hat Ran / mich gepackt,<br />

/ bin ganz beraubt / lieber Freunde; / meiner Sippe Band / zerriss das Meer, / den festen Strang<br />

/ von mir selbst. // Weißt du, wenn das Unrecht / mit dem Schwert ich rächte – / der Bierbereiter<br />

hätte / seine Zeit erfüllt; / könnte ich kämpfen, / zöge ich zum Streite / wider Wellentreibers<br />

Bruder, / wider Ägirs Macht. // Nicht aber, glaub ich, / habe ich Kraft / zum Streiten<br />

wider / den Töter des Sohns, / vor Augen wird stehen / allem Volk / des alten Mannes / Hilflosigkeit.<br />

// Viel hat das Meer / mir geraubt, / bitter zu nennen / ist der Verwandten Tod, / nachdem<br />

verschwand / auf der Freuden Pfad, / des Lebens beraubt, / meiner Familie Schild. // Ich<br />

weiß es selbst, / in meinem Sohn / lag der Stoff nicht / zu einem üblen Mann, / wenn dieser<br />

Schildbaum / hätte wachsen dürfen, / bis mit seinen Händen / Heer-Gaut ihn nähme. // Zuhöchst<br />

er stets schätzte, / was der Vater sprach, / wenn alles Volk auch / anderes sagte. / Und<br />

standhaft hielt er / im Steingeröll mich, / er stützte meine Kraft / am stärksten mir. // […] //<br />

Schwer find ich einen / unter allem Volk / von Elks Galgen, / dem trauen ich kann; / abgrundschlecht<br />

/ ist der Verwandtenstürzer, / der des Bruders Leichnam / für Ringe verkauft. // […]<br />

// Dies auch sagt man, / keiner bekomme / Ersatz für den Sohn, / wenn er selbst ihn nicht<br />

zeugt, / einen Nachkommen, / der anderen gilt / als Mann, geboren / an Bruders statt. // Nicht<br />

lieb ist mir, / der Menschen Umgang / wenn auch jeder / Frieden hält. / […] // ich weiß von<br />

ihm, / dass er entging / übler Rede / vor Fehlern sich hütend. // […] / Kunst gab mir / der<br />

kampfgewohnte / Feind des Wolfes, / ohne Fehl, / und solchen Geist, / daß offne Feinde / ich mir<br />

schuf / aus Ränkeschmieden. // Schwer ist’s zu tragen: / Die Schwester Narfis / und des Feindes<br />

von Tveggi / auf der Landspitze steht; / doch werde froh ich, / guten Sinnes / und ungetrübt<br />

/ Hel erwarten.<br />

Egill Skalagrimsson, 2. Hälfte, 10. Jh.n.Chr.


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LIEBESKUMMER<br />

SCHMERZ<br />

ZORN REUE<br />

VORBEI<br />

es ist keine schande schwach zu sein, es ist keine schande verletzt zu sein, es ist keine schande verlassen zu sein, es<br />

ist keine schande traurig zu sein, es ist keine schande wütend zu sein, es ist keine schande verwirrt zu sein, es ist<br />

keine schande kompliziert zu sein, es ist keine schande romantisch zu sein, es ist keine schande unproduktiv zu sein,<br />

es ist keine schande reich zu sein, es ist keine schande großzügig zu sein, es ist keine schande nett zu sein<br />

Schreiben Sie uns. Wir verwahren Ihre Erinnerungen für Sie, sicher und diskret.<br />

Gesellschaft der Liebeskranken, Graue Gasse 12, CH-8022 Zürich.<br />

LIEBESKUMMER’<br />

SCHMERZ’<br />

ZORN’ REUE’<br />

VORBEI’<br />

nach Kristof Magnusson: Zuhause, 2007<br />

TEXTQUELLEN: Romanzitate nach: Kristof Magnusson. Zuhause. München 2007; Deike Diening. Wie lebt einer, der seinen Roman ›Zuhause‹<br />

nennt? gekürzt aus: Tagesspiegel. Berlin 9.10.2005; Friedrich Nietzsche zitiert nach: derselbe. Zur Genealogie der Moral. 2. Abhandlung<br />

Nr.3. in: derselbe. Kritische Gesamtausgabe. herausgegeben von Giorgio Colli und Mazzino Montinari. Abteilung VI. Band 2.<br />

Seite 311. Berlin 1968; Egill Skallagrimsson. Der Söhne Verlust (Sonatorrek). gekürzt aus: Die Saga von Egil. übersetzt von Kurt Schier.<br />

Düsseldorf/Köln 1978 · BILDQUELLEN: Covermotiv von Matthias Koch (Photographie/Gestaltung); Busnetzplan der nat.is; Probenphotos<br />

von Dorit Gätjen und Matthias Koch (Hauptprobe 1, 26.04.2010); Autorenporträt auf Island von Martin Hossbass.<br />

Herausgeber: <strong>Volkstheater</strong> <strong>Rostock</strong> GmbH · 115. Spielzeit 2009/2010 · Intendant Peter Leonard · Kaufmännischer<br />

Geschäftsführer: Kay-Uwe Nissen · Redaktion und Texte: Marc Steinbach · Gestaltung: René Bakemeier ·<br />

Druck: Stadtdruckerei Weidner GmbH<br />

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