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themenheft 1 - DGAP

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Wechseljahre: Amerika zwischen den Wahlen<br />

dem in Zeiten nationaler Bedrohung freilich sehr behutsam<br />

umgegangen wird. Denn in Kriegszeiten ist jeder einzelne<br />

Abgeordnete und Senator angehalten, Partei für die nationale<br />

Sicherheit zu ergreifen. Obschon amerikanische Kon -<br />

gress mitglieder grundsätzlich keine Parteisoldaten, sondern<br />

unabhängige politische Unternehmer sind, stehen auch sie<br />

in solchen Zeiten an der Seite des Obersten Befehlshabers,<br />

wenn es darum geht, ihm „patriotische Hand lungsbefug -<br />

nisse“ zu geben und ihn bei der „Verteidigung des Heimat -<br />

landes“ zu unterstützen.<br />

In dieser Lage wäre die Legislative schlecht beraten,<br />

ihr institutionelles Gegengewicht in die politische<br />

Waag schale zu werfen, um eine starke und markante Op po -<br />

sitionsrolle zu spielen. Der Kongress hat in einer solchen<br />

Ausnahmesituation nicht das politische Gewicht, einen derartig<br />

populären Präsidenten im Kampf gegen den Terro ris -<br />

mus herauszufordern, würde er doch damit den Garanten<br />

der nationalen Einheit und Handlungsfähigkeit in Frage<br />

stellen.<br />

In Krisenzeiten kann der Kongress nur eine beratende<br />

und unterstützende Rolle spielen. Der amerikanische<br />

Politik wis senschaftler Charles O. Jones bringt es auf den<br />

Punkt: „So effektiv die Arbeit des Kongresses sein mag und<br />

so sehr sich der Kongress in den letzten dreißig Jahren er -<br />

folgreich darum bemühte, eine verantwortungsvollere Rolle<br />

in der politischen Auseinandersetzung zu übernehmen –<br />

eine Kri se wie diese, ein Pearl Harbor im eigenen Land<br />

gewissermaßen, verlangt nach politischer Führung. Der<br />

Kon gress ist keine Einheit. […] Er hat politische Führer,<br />

aber keinen Einzelführer. […] Die Macht kann sich also nur<br />

zum Prä sidenten verlagern. […] Der Kongress nimmt in<br />

diesem Pro zess eine beratende und unterstützende Rolle<br />

ein. Aber sie ist nicht darauf angelegt, einen Krieg zu führen.“<br />

21<br />

Mit den Anschlägen des 11. September 2001 wurde<br />

der bereits vorher artikulierte Wille der Exekutive katalysiert<br />

und legitimiert, die in den vergangenen drei Jahr -<br />

zehnten entstandene Machtfülle des Kongresses 22 wieder zu<br />

beschneiden. Schon unmittelbar nach Amtsantritt ließen<br />

Präsident George W. Bush und seine Gefolgsleute keinen<br />

Zweifel darüber aufkommen, dass sie die Position der Exe -<br />

kutive auf Kosten der Machtbefugnisse der Legislative zu<br />

stärken beabsichtigten. Diese offensive Strategie des Weißen<br />

Hauses, den vor allem in der Amtszeit des Vorgängers Bill<br />

Clinton erstarkten Kongress wieder in eine untergeordnete<br />

Rolle zu drängen, erhielt mit den Terroranschlägen von<br />

New York und Washington ihre Legitimation – die in der<br />

amerikanischen Bevölkerung gemeinhin gehegte Überzeu -<br />

gung, dass dies angesichts der nationalen Bedrohung rechtens,<br />

ja notwendig sei. Im so genannten Globalen Krieg<br />

gegen den Terror konnte der Präsident nunmehr die dominante<br />

Rolle des Oberbefehlshabers der Streitkräfte spielen.<br />

Aber auch in der nationalen Diskussion gelang es George<br />

W. Bush, seine Diskurshoheit zu etablieren und sich als<br />

Schutzpatron zu gerieren, der die traumatisierte Nation vor<br />

weiteren Angriffen bewahrt. 23<br />

Das Weiße Haus ließ denn auch keinen Zweifel an<br />

seinem Selbstverständnis und nutzte das enorme Macht -<br />

potenzial, die so genannte contingency power, die dem Prä -<br />

sidenten bei nationalen Notlagen zufällt: „Auf grund der<br />

Art und Weise, wie unsere Nation konstituiert und unsere<br />

Verfassung geschrieben ist, liegt die politische Macht in<br />

Kriegszeiten hauptsächlich in den Händen der Exekutive“<br />

– lautete der Klartext des damaligen Pressesprechers Ari<br />

Fleischer. 24 Um jeglichen Missverständnissen vorzubeugen,<br />

wurde der damalige Justizminister John Ashcroft im Kon -<br />

gress noch deutlicher: „Ich hoffe auch, dass der Kongress<br />

die Amtsgewalt des Präsidenten respektiert, den Krieg ge -<br />

gen den Terrorismus zu führen und unsere Nation und ihre<br />

Bürger mit der ganzen ihm von der Verfassung zugedachten<br />

und vom amerikanischen Volk anvertrauten Machtfülle zu<br />

verteidigen.“ 25<br />

Im Zuge des Globalen Krieges gegen den Terror hat<br />

Präsident George W. Bush als Oberster Befehlshaber<br />

vor allem bei der inneren Sicherheit seine Handlungs -<br />

macht auf Kosten der Legislative und Judikative aus -<br />

geweitet. Zudem verdeutlichen die Einschränkungen<br />

persönlicher Freiheitsrechte, insbesondere der Habeas-<br />

Cor pus-Rechte mutmaßlicher Terroristen, partielle<br />

und vermutlich temporäre Defizite der einstigen Vor -<br />

bild-Demokratie USA. Diese – auch unter der Regie -<br />

rung Obama bislang fortgeführte – Entwicklung ist<br />

umso prekärer, als der Zustand der amerikanischen,<br />

freiheitlich verfassten offenen Gesellschaft aufgrund<br />

ihres Vorbildcharakters die weltweite Perzeption de -<br />

21 Zit. n. John Cochran/Mike Christensen: Regrouping with a Common Purpose, in: Congressional Quarterly Weekly, 59 (15.9.2001) H. 35,<br />

S. 2114.<br />

22 Ausführlicher zum „Triumph der Legislative“ siehe Jürgen Wilzewski: Triumph der Legislative: Zum Wandel der amerikanischen Sicher -<br />

heitspolitik 1981-1991, Frankfurt am Main/New York 1999.<br />

23 Ausführlich dazu: Josef Braml: Machtpolitische Stellung des Präsidenten als Schutzpatron in Zeiten nationaler Unsicherheit, in: Zwei Jahre<br />

Präsident Bush: Beiträge zum Kolloquium der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin am 13. Februar 2003, SWP-Studie S 9, Berlin<br />

2003, S. 35-39.<br />

24 Zit. n. Dana Milbank: In War, It’s Power to the President, in: Washington Post v. 20.11.2001, S. A1.<br />

25 Testimony of Attorney General John Ashcroft, Senate Committee on the Judiciary, 6.12.2001, Washington, D.C.<br />

10<br />

Einsichten und Perspektiven Themenheft 1 | 12<br />

mokratischer Rechtsstaatlichkeit und internationale<br />

Rechts- und Ordnungsvorstellungen beeinflusst. 26<br />

In der amerikanischen Geschichte gab es immer wieder Pha -<br />

sen äußerer Bedrohung, in denen sich die Machtbalance zu<br />

Gunsten der Exekutivgewalt verschoben hat. In einer eingehenden<br />

Analyse dieses Phänomens mit dem Titel „All the<br />

Laws but One: Civil Liberties in Wartime“ warnte William<br />

Rehnquist, bis zu seinem Tode Anfang September 2005<br />

Chief Justice des U.S. Supreme Court, vor der Gefahr, dass<br />

der Oberste Befehlshaber in Kriegszeiten durch zusätzliche<br />

Machtbefugnisse dazu verleitet werde, den konstitutionellen<br />

Rahmen zu überdehnen. 27<br />

Judikative: Inter arma silent leges<br />

Nach seinem Blick in die Geschichte hat der Oberste Rich -<br />

ter jedoch kein allzu großes Vertrauen, dass seine Zunft der<br />

Exekutive die zu wahrenden Grenzen unmittelbar aufzeigt:<br />

„Wenn die (höchstrichterliche) Entscheidung getroffen<br />

wird, nachdem die Kriegshandlungen beendet sind, ist es<br />

wahrscheinlicher, dass die persönlichen Freiheitsrechte<br />

favorisiert werden, als wenn sie getroffen wird, während der<br />

Krieg noch andauert.“ 28 Obschon vereinzelt zivilgesellschaftliche<br />

advocacy groups einige Teilerfolge erzielt und<br />

einschlägige Urteile erwirkt haben, wurden diese in der Re -<br />

gel nach Gegenhalten der Exekutive von höheren Instan zen<br />

wieder zurückgewiesen oder für nicht rechtskräftig erklärt.<br />

Wechseljahre: Amerika zwischen den Wahlen<br />

Der Sitzungssaal des Obersten<br />

Gerichtshofs in Washington,<br />

D.C.<br />

Solange der „Globale Krieg gegen den Terror“ andauert,<br />

wird wohl die römische Maxime inter arma silent leges auch<br />

im politischen System der Vereinigten Staaten in Geltung<br />

bleiben. 29 Wenn auch das Recht nicht völlig ge schwiegen<br />

hat, so erweisen sich die bisherigen Äußerungen bislang<br />

doch als kraftlos. Das Oberste Gericht hält sich in Krisenund<br />

Kriegszeiten als (im eigenen Selbstverständnis) nichtpolitische<br />

Instanz eher zurück – es will dem Obersten<br />

Befehlshaber nicht in den Arm fallen.<br />

Zwischenzeitlich sprach jedoch der Oberste Gerichts<br />

hof ein „Machtwort“: zum rechtlichen Status des in<br />

Afghanistan festgenommenen amerikanischen Staatsbür -<br />

gers Yaser Esam Hamdi (Hamdi et al. vs. Rumsfeld) und zu<br />

den Rechtsansprüchen von Nicht-Amerikanern auf dem<br />

US-Marinestützpunkt in Guantánamo Bay, Kuba (Rasul et<br />

al. vs. Bush). Mit diesen Urteilen vom 28. Juni 2004 widersprach<br />

der Supreme Court der bisherigen Praxis der Exe -<br />

kutive, nach der diese die Möglichkeit einer Ex-Post-<br />

Überprüfung durch eine juristische Kontrollinstanz verwehrte<br />

und eigenmächtig a priori darüber urteilte, wer welche<br />

Rechte „verdient“. Der Oberste Gerichtshof verdeutlichte,<br />

dass die richterliche Kontrolle exekutiver Ent schei -<br />

dungen ein wesentliches Element des amerikanischen Sys -<br />

tems der checks and balances sei. Bei der Urteilsfindung<br />

ging es um nicht weniger als das Habeas-Corpus-Prinzip,<br />

das Recht jedes Häftlings in demokratisch verfassten Staa -<br />

ten, die Verfassungs- oder Gesetzmäßigkeit seiner Festnah -<br />

me vor Gericht anzufechten. Die Richter nahmen nur zur<br />

26 Ausführlicher: Josef Braml: Rule of Law or Dictates by Fear. A German Perspective on American Civil Liberties in the War Against Terro -<br />

rism, in: Fletcher Forum of World Affairs 27 (2003) H. 2, S. 115–140.<br />

27 William H. Rehnquist: All the Laws but One: Civil Liberties in Wartime, New York/Toronto 1998, S. 224.<br />

28 Ebd.<br />

29 „Wenn die Waffen sprechen, schweigen die Gesetze“, oder „Im Krieg ist das Recht kraftlos“ (Cicero, Rede für Milo; Übersetzung nach<br />

Detlef Liebs: Lateinische Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, München 1982, S. 197).<br />

Einsichten und Perspektiven Themenheft 1 | 12 11

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