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Kunst als Ausruck politischen Widerstands in Mittelamerika

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Thema<br />

<strong>Kunst</strong> <strong>als</strong> Ausdruck <strong>politischen</strong> <strong>Widerstands</strong><br />

Performance vere<strong>in</strong>t<br />

<strong>Kunst</strong> und Protest<br />

ganz unmittelbar<br />

HAUTNAH<br />

Hände <strong>in</strong> klebrigem Menschenblut, e<strong>in</strong>e Nadel, die statt<br />

durch e<strong>in</strong> Tischtuch durch die menschliche Haut gleitet,<br />

e<strong>in</strong> Mann, der auf e<strong>in</strong>e zusammengekauerte Frau ur<strong>in</strong>iert<br />

- kaum e<strong>in</strong>e <strong>Kunst</strong>form vermag so sehr zu schockieren wie<br />

Performance. In e<strong>in</strong>em Land, <strong>in</strong> dem der weibliche Körper<br />

oft e<strong>in</strong> Ort des Schmerzes ist, hat sie sich zu e<strong>in</strong>er beliebten<br />

Protestform entwickelt. TEXT: ISABELL ULLRICH (CIR)<br />

Reg<strong>in</strong>a José Gal<strong>in</strong>do ist die bekannteste<br />

Vertreter<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er wachsenden Gruppe<br />

politischer Video- und Performance-KünstlerInnen<br />

<strong>in</strong> <strong>Mittelamerika</strong>. Wenn es darum<br />

geht, Ungerechtigkeiten anzuprangern, ist sie<br />

– wortwörtlich – mit vollem Körpere<strong>in</strong>satz<br />

dabei: Ihr Körper ist ihre Le<strong>in</strong>wand. Auf der<br />

Biennale <strong>in</strong> Venedig am 9. Juni 2005 war e<strong>in</strong><br />

Herrengürtel ihr P<strong>in</strong>sel. Mit ihm schlug sie sich<br />

279 Mal – e<strong>in</strong>en Schlag für jede Frau, die bis<br />

zu diesem Tag des Jahres <strong>in</strong> ihrer Heimat<br />

Guatemala ermordet worden war.<br />

Muss diese Gewalttätigkeit<br />

se<strong>in</strong>?<br />

Diese Art <strong>Kunst</strong> ist nicht schön. Sie ist brutal.<br />

Sie will schockieren und aufrütteln. Die angesehene<br />

costa-ricanische Künstler<strong>in</strong> und Kurator<strong>in</strong><br />

Vig<strong>in</strong>ia Pérez-Ratton beschrieb Gal<strong>in</strong>dos<br />

Werk, bei dem sie ihr Jungfernhäutchen operativ<br />

wiederherstellen und dabei filmen ließ,<br />

so: „Gal<strong>in</strong>dos Aktion ist nicht nur e<strong>in</strong> fem<strong>in</strong>istisches<br />

Traktat, sondern e<strong>in</strong>e politische Stellungnahme,<br />

bei der e<strong>in</strong>e Frau ihren eigenen<br />

Körper riskiert, um die geheimen Praktiken an<br />

die Öffentlichkeit zu br<strong>in</strong>gen, zu denen andere<br />

Frauen durch gesellschaftlichen Druck gedrängt<br />

werden.“ Viele Mädchen und Frauen <strong>in</strong><br />

<strong>Mittelamerika</strong> unterziehen sich dieser Prozedur<br />

<strong>in</strong> geheimen Kl<strong>in</strong>iken, weil es ihren sozialen<br />

Status erhöht, wenn sie „unbefleckt“ <strong>in</strong> die Ehe<br />

gehen. Gal<strong>in</strong>dos <strong>Kunst</strong> ist <strong>als</strong>o genau deshalb<br />

so <strong>in</strong>tensiv und unmittelbar, weil sie die Gewalt<br />

dort zeigt, wo sie <strong>in</strong> der Realität passiert:<br />

am menschlichen Körper.<br />

Dabei s<strong>in</strong>d ihre Motive nicht nur fem<strong>in</strong>istischer<br />

Natur. In Berl<strong>in</strong> ließ sie sich 2010 acht<br />

Goldzähne ziehen – <strong>als</strong> Symbol der Ausbeutung<br />

ihrer Heimat durch Deutschland und den<br />

globalen Norden.<br />

Ist das <strong>Kunst</strong> oder Protest?<br />

Gal<strong>in</strong>dos wohl berühmteste Performance<br />

„Wer kann die Spuren auslöschen?“ zeigt sehr<br />

deutlich, wie sehr Protest und <strong>Kunst</strong> sich bei<br />

ihr vermischen. Als 2003 der General und<br />

Völkerrechtsverbrecher Efraín Ríos Montt für<br />

das guatemaltekische Präsidentenamt kandidierte,<br />

lief sie barfuß vom Verfassungsgericht<br />

zum Nationalpalast und h<strong>in</strong>terließ mittels e<strong>in</strong>er<br />

Schüssel Menschenblutes, <strong>in</strong> das sie ihre<br />

Füße tauchte, blutige Fußspuren. Tatsächlich<br />

s<strong>in</strong>d blutrot gefärbte Körper ke<strong>in</strong>e Seltenheit<br />

bei Protestmärschen und Kundgebungen <strong>in</strong><br />

<strong>Mittelamerika</strong>. Und dabei zählt, wie auch<br />

bei Reg<strong>in</strong>a Gal<strong>in</strong>do, die Botschaft und die<br />

Wirkung – ob man es nun <strong>Kunst</strong> nennt oder<br />

Protest.<br />

FOTO: INA RIASKOV (PRODUCCIONES Y MILAGROS AGRUPACIÓN FEMINISTA)<br />

10 presente 2/2015

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