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Gemeindebrief 2014-10 Oktober & November

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Auf eiN Wort<br />

Als mein Großvater verstarb, war er 74<br />

Jahre alt. Im Jahre 1896 geboren, hatte<br />

er zwei Weltkriege miterlebt. Reste eines<br />

Granatsplitters im Kopf bereiteten ihm seit<br />

dem 1. Weltkrieg gelegentlich Schmerzen.<br />

Das sei nicht so schlimm, sagte er, man<br />

dürfe an der betreffenden Stelle nur keinen<br />

Schlag abbekommen. Was ihn viel mehr<br />

beschäftigte als die Verletzung, war eine<br />

Enttäuschung. Bis ins hohe Alter ärgerte er<br />

sich darüber, dass ihm vor dem 1. Weltkrieg<br />

der Zugang zu einer Eliteeinheit des Kaisers<br />

verwehrt wurde. Als einfacher Soldat<br />

musste er in den Krieg ziehen, doch dies tat<br />

er mit Begeisterung. Mit 18 Jahren wurde<br />

er in die Schlacht geschickt – und überlebte.<br />

Mit Hochachtung sprach er bis zuletzt vom<br />

Kaiser und erzählte ausführlich und gerne<br />

aus jener „guten alten Zeit“. Er hatte drei<br />

seiner zehn Brüder verloren in jenem Krieg,<br />

er hatte den Tod gesehen, doch all dies<br />

machte seiner Begeisterung kein Ende.<br />

Im Gegenteil: Nach dem Krieg war für<br />

ihn vor dem Krieg. Er wurde Berufssoldat<br />

und zog 1939 erneut an die Front. Nun<br />

war er in Russland. Wieder verlor er einige<br />

seiner Brüder. Seine Familie musste aus der<br />

Sicherheit eines geordneten Lebens in eine<br />

ungewisse Zukunft nach Westen fliehen.<br />

Er selbst überlebte die Gefangenschaft nur,<br />

weil er ein begnadeter Musiker war und als<br />

Gefangener für die neuen Herren musizieren<br />

durfte.<br />

er in eine neue, ihm fremde Heimat<br />

um zwei verlorene<br />

Kriege. Er misstraute<br />

der Demokratie, er<br />

weigerte sich, mit<br />

Engländern, Franzosen<br />

oder Amerikanern<br />

auch nur<br />

zu sprechen. Als<br />

1966 Deutschland<br />

bei der Fußballweltmeisterschaft<br />

im Halbfinale gegen die<br />

UdSSR spielte (Großvater sagte immer<br />

„Russland“), verbot er uns, das Spiel im<br />

Fernsehen anzuschauen. Statt dessen legte<br />

er eine Schallplatte mit Marschmusik auf.<br />

Er war ein großzügiger, sehr freundlicher,<br />

gottgläubiger, uns Kindern stets mit Milde<br />

zugewendeter Großvater, unser „Opi“ eben<br />

– aber das Leben hatte ihn unversöhnlich<br />

gemacht.<br />

er das Titelbild unseres Gemein-<br />

Hätte debriefes in der Hand gehalten, hätte<br />

er sich abgewandt. Eine Welt ohne Waffen?<br />

Eine Welt ohne Krieg? Eine Welt ohne<br />

Soldaten? Für ihn undenkbar, unglaublich,<br />

unmöglich. Dem Schmied Stefan Nau,<br />

der 1983 ein Schwert zu einer Pflugschar<br />

umschmiedete, hätte er nichts Gutes gesagt.<br />

Vielleicht hätte er der Stasi Beifall gezollt,<br />

die den Schmied ruinierte und zur Ausreise<br />

aus der DDR trieb. Dass eines Tages gar die<br />

Mauer wieder fallen würde, hätte er, wie die<br />

Stasi, nicht für möglich gehalten.<br />

Frieden weltweit ein unvorstellbarer Erfolg<br />

wäre. Aber ein einziges umgeschmiedetes<br />

Schwert ist eine Waffe weniger und ein<br />

kurzes versöhnendes Wort ist die Vorbereitung<br />

eines Friedensgrußes. „Darum lasst<br />

uns dem nachstreben, was zum Frieden<br />

dient und zur Erbauung untereinander“,<br />

schreibt Paulus an die Römer. Das wünscht<br />

25 JAHRE MAUERFALL<br />

Ohne die Maueröffnung vor 25<br />

Jahren und die damit eingeleitete<br />

„Wende“ wären wir nie nach Langen<br />

gekommen. Als Kantorkatechetin<br />

(Kantorin, Organistin und Katechetin<br />

= Religionslehrerin) und als Pastor<br />

in drei Gemeinden am Stadtrand von<br />

Erfurt (Landeshauptstadt von Thüringen)<br />

waren wir fest eingebunden in die<br />

kirchliche Arbeit, die sich auf Verkündigung<br />

und Seelsorge konzentrierte.<br />

Schwierigkeiten durch staatliche Repression<br />

und die bekannte Mangelwirtschaft<br />

prägten vor der Wende unseren Alltag.<br />

Davon könnte ich viele Geschichten<br />

erzählen. Unsere Kinder konnten nicht<br />

studieren, was sie wollten. Wir konnten<br />

unsere Geschwister „im Westen“ 23<br />

Jahre lang überhaupt nicht und ab 1984<br />

nur in Ausnahmefällen besuchen – und<br />

dann nur allein, ohne den Ehepartner<br />

uns in diesem Jahr voller tödlicher Konflikte,<br />

<strong>10</strong>0 Jahre nach dem Beginn des 1.<br />

Weltkrieges und dankbar für eine lange<br />

Friedenszeit in unserem Lande<br />

prozentuale Verringerung (natürlich<br />

auch des Gehalts) erreicht wurde.<br />

Der Religionsunterricht in den Schulen<br />

konnte eingeführt werden – nur<br />

durch den Einsatz vieler Katechetinnen<br />

und Pastoren war das möglich, denn<br />

natürlich gab es noch keine Religionslehrer.<br />

Längst überfällige Sanierungen<br />

von Kirchen, Gemeinde- und Pfarrhäusern<br />

konnten nun geplant und in Angriff<br />

genommen werden, brachten aber auch<br />

viel Verwaltungsaufwand mit sich.<br />

Die alten Feindbilder standen fest – und<br />

es wird deutlich, wie wertvoll die Friedensworte<br />

und Friedenshoffnungen der<br />

und die Kinder.<br />

A D<br />

ls Bibel sind. Sie rufen uns auf zur Umkehr<br />

ie Wende eröffnete uns viele neue<br />

heimkehrte, fand er seine Ehefrau, auf festgefahrenen Wegen. Sie rufen uns<br />

Möglichkeiten in der Gemeindearbeit,<br />

seine beiden Töchter und zwei seiner auf zum Umdenken und zur Versöhnung.<br />

machte aber auch viele Umstruktu-<br />

Brüder im Ruhrgebiet wieder. Doch das Sie rufen uns auf zur Friedfertigkeit und<br />

rierungen nötig, die viel Kraft und Zeit<br />

Leben wurde nie wieder, wie es war. Er auch zum Handeln gegen jede Form des<br />

kosteten. Z.B. mußten die Pfarrstellen im<br />

trauerte seiner Jugend nach, er trauerte um Unfriedens. Das ist im Kleinen schon nicht<br />

Kirchenkreis von 35 auf 22 Stellen reduziert<br />

acht Brüder, um die verlassene Heimat - und leicht, und wir wissen, dass dauerhafter<br />

werden – was vielfach nur durch<br />

Fortsetzung nä. Seite<br />

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