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07/2015

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Fr. 7.50 7 /September <strong>2015</strong><br />

Elterncoaching<br />

Hilfe! Mein Kind<br />

findet keine Freunde<br />

Serie, Teil 1<br />

Michael, 16: «Mein<br />

Leben mit ADHS»<br />

Alleinerziehend<br />

Wir schaffen<br />

es allein


Editorial<br />

Foto: Geri Born<br />

Nik Niethammer<br />

Chefredaktor<br />

Liebe Leserin, lieber Leser<br />

Wenn Sie unser Magazin regelmässig lesen, kennen Sie Fabian Grolimund.<br />

Der Psychologe und Lerncoach aus Freiburg verfasste für uns die Dossiers<br />

«Was Kinder stark macht» (März-Ausgabe) und «Wie Lernen gelingt»<br />

(August-Ausgabe). Er betreibt den Biber-Blog (www.biber-blog.com), produziert<br />

Video-Lernkurse auf Youtube und bietet für Eltern Weiterbildungsseminare<br />

an. Ein vielbeschäftigter Mann also. Und einer der renommiertesten<br />

Fachleute bei Fragen zu Erziehung, Elternsein und Familienleben.<br />

Deshalb freut es mich ungemein, dass wir Fabian Grolimund als neuen<br />

Kolumnisten gewinnen konnten. Der zweifache Vater (ein Sohn, 3 Jahre,<br />

eine Tochter, 6 Monate) beantwortet ab dieser Ausgabe Fragen aus dem Alltag<br />

von Familien. Er tut dies in seiner gewohnt unaufgeregten Art, mit vielen<br />

praktischen Beispielen und Tipps.<br />

In der ersten Folge geht es um eine Situation, bei der sich viele Eltern hilflos<br />

fühlen: Was mache ich, wenn mein Kind keine Freunde findet? – ab Seite 58.<br />

«ADHS-Kinder drücken mit<br />

ihrem Verhalten das aus,<br />

woran ihre Eltern und die<br />

Gesellschaft leiden:<br />

permanenten Druck,<br />

dauernde Überforderung,<br />

keine Ruheräume,<br />

pausenloser Stress.»<br />

Jesper Juul, dänischer Familientherapeut<br />

Wer auf Google den Begriff ADHS eingibt, erhält über eine Million Treffer.<br />

Und wer sich die Mühe macht, die ersten 20 Artikel zu lesen, dem raucht<br />

spätestens nach einer halben Stunde der Kopf. Was stimmt denn nun? Ist<br />

ADHS gar keine Krankheit? Eine Erfindung der Pharmaindustrie? Eine einzige<br />

Fehldiagnose? Bücher mit dem Titel «Die<br />

ADHS-Lüge» oder «Die Ritalin-Gesellschaft» verkaufen<br />

sich gut, verstören aber auch.<br />

Fakt ist: Es gibt die Diagnose ADHS zweifellos.<br />

Kinder mit Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung<br />

dominieren das Leben ihrer Familien,<br />

überfordern ihre Lehrer, ihre Ärzte, ihr Umfeld.<br />

Über die Ursachen und die richtige Behandlung<br />

herrscht aber Unstimmigkeit, ja teilweise grosse<br />

Verwirrung. Eltern von Kindern mit ADHS<br />

werden ungefragt mit Tipps überhäuft, ungeniert<br />

aufgefordert, diese oder jene Behandlungsmethode<br />

bei ihrem Kind auszuprobieren. Ebenso oft werden<br />

Eltern alleingelassen mit ihren Sorgen und<br />

Fragen – von Ärzten, Lehrern, Behörden.<br />

Das Schweizer ElternMagazin startet in dieser Ausgabe die zehnteilige Serie<br />

ADHS. Unter der Leitung von Sandra Hotz vom Institut für Familienforschung<br />

und -beratung in Freiburg beleuchten führende Forscher und Wissenschaftler<br />

alle relevanten Aspekte von ADHS.<br />

Den Anfang aber machen die Betroffenen selbst: Bei Michael, 16, wurde<br />

in der 1. Klasse ADHS diagnostiziert. Er nahm fünf Jahre lang Ritalin, dann<br />

verweigerte er medikamentöse und psychologische Unterstützung. Heute<br />

besucht Michael die 8. Förderklasse. Der erste Satz in seinem Bericht für<br />

unsere Serie lautet: «Ich fühle mich als total normaler Junge.»<br />

Leben mit ADHS – ab Seite 60.<br />

Ich wünsche Ihnen gute Tage und viel Lesevergnügen.<br />

Herzlichst, Ihr Nik Niethammer<br />

SEPTEMBER <strong>2015</strong>3


Inhalt<br />

Ausgabe 7 / September <strong>2015</strong><br />

Augmented Reality<br />

Überall, wo Sie dieses Zeichen sehen, erhalten Sie digitalen<br />

Mehrwert im Heft. Hinter dem ar-Logo verbergen sich Videos<br />

und Zusatzinformationen zu den Artikeln.<br />

Psychologie & Gesellschaft<br />

39 Pro Juventute<br />

Bei der Einbindung der Kinder im Sinne<br />

des Mitbestimmungsrechts gibt es<br />

noch einiges Verbesserungspotenzial.<br />

40 Sozial, aber nicht angepasst<br />

Sozial kompetente Kinder halten die<br />

Balance zwischen Autonomie und<br />

sozialer Eingebundenheit.<br />

66 Ein Mädchen sorgt für die Mutter<br />

Wut, Trauer, Überforderung prägten<br />

Selmas Jugend. Sie war Freundin<br />

und Vertraute ihrer alleinerziehenden<br />

Mutter und erzählte niemandem etwas<br />

von deren Suchtkrankheit.<br />

12<br />

Dossier:<br />

Alleinerziehend<br />

Foto: Anne Gabriel-Jürgens / 13 Photo<br />

12 Auf sich gestellt<br />

Der Alltag von Alleinerziehenden ist vielfältig<br />

und streng, und manche von ihnen befinden<br />

sich in einer prekären Lage.<br />

24 Und plötzlich war die Mutter weg<br />

Ein Vater berichtet, wie er sich mit seinem<br />

Sohn alleine zurechtfinden muss.<br />

26 Sind Väter bei Scheidungen im Nachteil?<br />

Der Präsident des Vereins elterliche<br />

Verantwortung, Oliver Hunziker, kämpft<br />

für die Väter und ihre Rechte. Ein Gespräch.<br />

32 Trennen sich Scheidungskinder öfter?<br />

Antworten auf sechs wichtige Fragen.<br />

Cover<br />

Seit dem Tod ihres Mannes<br />

erzieht die Brasilianerin<br />

Aparecida Hefti-Pinto ihre<br />

gemeinsame Tochter<br />

Anna-Sophia, 12, allein.<br />

Fotos: Anne Gabriel-Jürgens / 13 Photo, Daniel Auf der Mauer / 13 Photo, Martin Mischkulnig / 13 Photo, Michael Hudler / 13 Photo<br />

4 SEPTEMBER <strong>2015</strong>


66 48 34<br />

Mit 13 Jahren ist Selma zur Komplizin ihrer<br />

alkoholkranken Mutter geworden.<br />

Dass er stottert, ist Silvan Vögele nicht mehr<br />

peinlich. Doch er will mehr.<br />

Ernst Fritz-Schubert, verändert das<br />

Fach «Glück» die Schüler?<br />

Erziehung & Schule<br />

48 Auf Kriegsfuss mit den Lauten<br />

Jugendliche Stotterer werden ihre<br />

Sprechstörung nicht mehr los. In<br />

einem speziellen Camp lernen sie, mit<br />

ihrem Handicap umzugehen.<br />

56 Wenn das Kind behindert ist<br />

Familien mit behinderten Kindern<br />

tragen immense Belastungen, fühlen<br />

sich aber auch bereichert.<br />

60 Alles über ADHS<br />

Im ersten Teil der Serie berichtet ein<br />

betroffenes Geschwisterpaar – und<br />

ihre Schwester.<br />

Ernährung & Gesundheit<br />

72 Kinder und Fliegen<br />

Wer mit Kindern eine Flugreise bucht,<br />

sollte sich besonders gut vorbereiten.<br />

Die wichtigsten Tipps.<br />

74 Süsses – wie viel ist zu viel?<br />

In Bezug auf Schoggi & Co.<br />

sollten Eltern klare Absprachen<br />

mit ihren Kindern treffen.<br />

Digital & Medial<br />

76 Liebe und Treue 2.0<br />

Dating-Apps boomen. Was Eltern<br />

wissen und ihren Kindern vorleben<br />

sollten.<br />

80 Medienkompetenz<br />

Kinder lernen durch Nachahmung,<br />

das gilt auch für den Umgang mit<br />

Handy & Co.<br />

81 Mixed Media<br />

Rubriken<br />

03 Editorial<br />

06 Entdecken<br />

34 Monatsinterview<br />

Wer seinen Platz im Leben finden will,<br />

muss seine Stärken kennen, sagt der<br />

Therapeut und «Glücksforscher»<br />

Ernst Fritz-Schubert.<br />

42 Aufgeklärt<br />

Es ist aus! Wie sag ichs meinem<br />

Partner?<br />

44 Stiftung Elternsein<br />

Ellen Ringier über weggeschmolzene<br />

Gletscher<br />

45 Leserbriefe<br />

46 Abgedruckt<br />

Vive la famille – Warum französische<br />

Familien entspannter leben.<br />

58 Elterncoaching<br />

Wenn Kinder keine Freunde finden,<br />

können Eltern sie unterstützen. Und<br />

sollten dabei Rücksicht auf die<br />

Persönlichkeit ihres Kindes nehmen,<br />

sagt Psychologe Fabian Grolimund.<br />

64 Kolumne<br />

Michèle Binswanger über die Frage,<br />

ob Eltern ihren Kindern Alkohol<br />

erlauben sollten.<br />

90 Eine Frage – drei Meinungen<br />

Wie reagiere ich angemessen auf den<br />

unverschämten, besserwisserischen<br />

und unhygienischen Freund meiner<br />

Tochter? Drei Experten antworten.<br />

Service<br />

84 Unser Wochenende …<br />

… im Emmental<br />

86 Bonbons<br />

87 Abo<br />

88 Impressum/Sponsoren<br />

89 Buchtipps<br />

SEPTEMBER <strong>2015</strong>5


Entdecken<br />

Mehr Teilzeit bitte! Nur noch 47 % der 18- bis 39-jährigen und<br />

43 % der 40- bis 69-jährigen Männer wollen hierzulande neben ihrer<br />

Familie eine Vollzeitbeschäftigung. In Deutschland sind es 60 % bzw. 69 %.<br />

Dies geht aus einer Befragung der Online-Partneragentur Parship hervor.<br />

Nachhilfe muss nicht teuer sein<br />

Ob Mathe, Physik oder Französisch: Nachhilfeunterricht<br />

von qualifizierten Nachhilfelehrern ist nicht günstig. Mit deutlich<br />

tieferen Preisen wirbt der neue Anbieter «Students support<br />

Students» im Raum Zürich. Ein Zusammenschluss von<br />

Gymnasiasten und Studenten, die zwar noch keine<br />

abgeschlossene Ausbildung, dafür aber gute Noten haben und<br />

von der Lebenswelt der nachhilfebedürftigen Schüler noch<br />

nicht weit entfernt sind – so ihr Verkaufsargument.<br />

Alle Infos auf www.students-support-students.ch<br />

ar<br />

Laden Sie die<br />

Fritz+Fränzi-App,<br />

starten Sie die App,<br />

scannen Sie diese Seite und<br />

sehen Sie einen Imagefilm<br />

von Felix Immler.<br />

«Das Sackmesser ist ein guter Mentor»<br />

Felix Immler gibt im Auftrag des Traditions-Taschenmesserherstellers<br />

Victorinox Sackmesserkurse an Primarschulen. Hier erklärt der<br />

Naturpädagoge und Buchautor, worauf es ankommt, wenn Kinder ein Messer<br />

gebrauchen. Interview: Evelin Hartmann<br />

Fotos: Plainpicture / Johner<br />

Lachen macht glücklich<br />

Ein «Humor» was? Genau, ein Humorkongress, auf dem<br />

selbstverständlich ordentlich gelacht werden darf, findet am<br />

26. und 27. September <strong>2015</strong> im Congress Center Basel statt. Neben<br />

den klassischen professionellen Anwendungsfeldern am<br />

Arbeitsplatz – Humor in Therapie, Pflege, Pädagogik, Management<br />

und Führung – liegt in diesem Jahr der Schwerpunkt auf dem<br />

Humor als persönliche Lebensressource. Teilnehmen kann also nicht<br />

nur jeder, der mehr Witz in seine Arbeit einfliessen lassen will,<br />

sondern auch wer Humor für sein eigenes körperliches<br />

und psychisches Wohl entwickeln möchte. Na denn: Viel Spass!<br />

Alle Infos unter: www.humorkongress.ch<br />

Herr Immler, «Messer, Gabel, Schere, Licht sind für kleine Kinder nicht»,<br />

lautet ein Sprichwort. Wovor haben Eltern Angst, wenn es um den Gebrauch<br />

von Messern geht?<br />

Natürlich vor Verletzungen. Aber ich bin der Meinung, wenn wir unseren Kindern<br />

alles verbieten, was ihnen als Herausforderungen begegnet, können sie auch nicht<br />

wachsen. Das Messer ist ein guter Mentor: Wenn ich hier Seich mache, spüre ich<br />

sofort die Auswirkungen. Ich mache in meinen Kursen die Erfahrung, dass sogar<br />

sehr unruhige Kinder plötzlich mit einem Messer in der Hand konzentriert arbeiten.<br />

Ab wann kann man einem Kind den Umgang mit einem Sackmesser<br />

beibringen?<br />

Eine konkrete Altersempfehlung gibt es nicht. Der Impuls sollte aber vom Kind<br />

ausgehen. Und es gilt die Faustregel: Wenn ein Kind beim Sackmesser die grosse<br />

Klinge auf- und zuklappen kann, ist es auch feinmotorisch in der Lage, Rinde von<br />

einem Stock zu schnitzen. Natürlich sollte ein vier- oder fünfjähriges Kind mit<br />

einem Messer nicht allein gelassen, sondern eins zu eins begleitet werden.<br />

Wie alt sind die Kinder in Ihren Kursen?<br />

Wenn ich Kinder im Klassenverband unterrichte, sollten das mindestens Zweit-,<br />

noch besser Drittklässler sein. Und der Kurs sollte in einem Umfeld stattfinden, in<br />

dem wenig Reizeinflüsse von aussen auf die Kinder einwirken. Als Erstes<br />

besprechen wir dann die Sackmesserregeln: «Wer schnitzt, der sitzt», «Ich halte<br />

immer eine Armlänge Abstand zum Nachbarn», «Ich schnitze keine Bäume an».<br />

Anschliessend geht es um den richtigen Gebrauch des Messers und die<br />

verschiedenen Grundtechniken. Ich habe auch eine Sackmesserprüfung für Kinder<br />

entwickelt, in der sie all das noch einmal umsetzen.<br />

Alle Informationen auf www.taschenmesserbuch.ch<br />

6 SEPTEMBER <strong>2015</strong>


Für Kinder gratis.<br />

Immer da, wo Zahlen sind.<br />

Für die ganze Familie:<br />

Die Zentralschweiz zum Vorzugspreis.<br />

Raiffeisen-Mitglieder erhalten 50 % Ermässigung auf die Zugfahrt,<br />

auf eine Hotelübernachtung sowie auf Bergbahn und Schiff. Zudem<br />

begleiten Sie zwei Kinder gratis.<br />

raiffeisen.ch/zentralschweiz<br />

Wir machen den Weg frei


Entdecken<br />

[ ]<br />

«Ob die Ernährung aller gelingt, wird auch davon abhängen, (…) mit welchen<br />

Nahrungsmitteln sich die Menschen ernähren werden. Wenn sie so viel Fleisch und<br />

Milchprodukte konsumieren wie heute Herr und Frau Schweizer, dürfte es schwierig werden.»<br />

Agrarökonom Simon Peter in einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger».<br />

Die Freizeit-App<br />

«Family Trips»<br />

von Schweiz Tourismus<br />

erscheint im neuen Design<br />

und bietet Familien über 1000<br />

Ausflugs-Tipps (z. B. im iTunes<br />

App Store erhältlich).<br />

An den Stärken arbeiten<br />

Die Professorin und Mediatorin Christine Meier Rey bietet ein neues Programm<br />

für Familien an. Die Erziehungsexpertin erklärt, worum es beim «Zielstrebigen<br />

Familiencoaching» geht. Interview: Eveline von Arx<br />

Fotos: ZVG<br />

Neuer Biberfilm:<br />

Wie man konstruktive Kritik übt<br />

Kinder müssen lernen, mit Kritik umzugehen. Wenn wir als Eltern<br />

jedoch wollen, dass unsere Kritik nicht verletzt, sondern etwas<br />

bewirkt und dass Kinder diese annehmen, sollten wir darauf<br />

achten, wie wir sie vorbringen. In der aktuellen Episode mit dem<br />

kleinen Biber erfahren Sie,<br />

wie Nora als Lehrerin das<br />

ständige Gequassel von<br />

Biber und Hase unterbindet,<br />

Stefanie ihre wilden Jungs<br />

dazu animiert, nicht mit<br />

dreckigen Füssen hereinzukommen,<br />

und Fabian sich<br />

mit etwas Phantasie<br />

genügend Ruhe für die<br />

Arbeit schafft.<br />

ar<br />

Hier geht es<br />

zum neuen Film<br />

mit dem Biber:<br />

Fritz+Fränzi-App laden,<br />

starten, diese Seite<br />

scannen und Film ab!<br />

Frau Meier Rey, Sie richten sich an Familien mit Kindern von 2 bis 17 Jahren,<br />

bei denen die Entwicklung gefährdet ist. Was unterscheidet Ihr «Zielstrebiges<br />

Familiencoaching» von anderen Erziehungskursen für Eltern?<br />

Meine Erfahrung als Kinderanwältin, Mediatorin, Erziehungs- und Paarberaterin<br />

zeigt, dass es nicht ausreicht, das Kind als Symptomträger zu therapieren. Ebenso<br />

wenig wie ausschliesslich die Eltern zu beraten. Oftmals sind zu viele Helfende an<br />

einer Familie dran. Jede involvierte Fachperson versucht, aus ihrer fachlichen<br />

Perspektive das Beste für die Familie zu tun. Mir geht es darum, mit der Familie als<br />

ganzes System zu arbeiten, im Kern der Familie an ihren Stärken anzusetzen, ihr<br />

Erfahrungen zu ermöglichen, die Sicherheit und Vertrauen schaffen.<br />

Wie sieht das Coaching konkret aus?<br />

Das Üben von hilfreichen Kommunikations- und Kooperationsmustern steht im<br />

Zentrum. In einem Erstgespräch werden mit der Familie die Grundlagen, das<br />

Konzept und die Zielsetzung des Coachings dargelegt. Die Familie ihrerseits bringt<br />

ihre Fragen und Schwierigkeiten ins Gespräch ein. Es geht darum, herauszufinden,<br />

was in der Familie reibungslos und was problematisch läuft. Daraufhin folgt ein<br />

Intensivworkshop, in dem sich die Familie während der vereinbarten Zeitfenster mit<br />

dem Familiencoach trifft. Hilfreiche Kommunikations- und Kooperationsmuster<br />

werden geübt. Zum Abschluss werden die gemeinsamen Treffen ausgewertet. Der<br />

Familiencoach leitet daraus konkrete Aufgaben ab, die die Familie im Alltag erprobt.<br />

Wie erreichen Sie die Eltern?<br />

Die Anmeldungen werden direkt von den Eltern selbst oder durch zuweisende<br />

Behörden wie Kinder- und Erwachsenenschutzbehörden, Sozialämter oder Schulen<br />

erfolgen. Im Sommer haben wir das Pilotprojekt gestartet, das mit Sponsorenbeiträgen<br />

von Stiftungen und Serviceclubs finanziert wird. Die Implementierung<br />

wird Anfang 2016 sein; vorerst in den Kantonen Zürich und Aargau.<br />

Alle Infos unter: www.meierrey.ch<br />

8 SEPTEMBER <strong>2015</strong>


Eine coole Klasse<br />

Babsi Banane<br />

Bruno Broccoli<br />

Ruedi Rüebli<br />

Berta Birne<br />

Goodness Gang is a trademark of TCC Global N.V.<br />

Albert Aubergine<br />

Koni Knoblauch<br />

JETZT SAMMELN<br />

UND GRATIS<br />

VITAMINI ABHOLEN!<br />

Jetzt Treuepunkte sammeln, volle Sammelkarte (30 Treuepunkte) abgeben und gratis Vitamini abholen.<br />

Sammelaktion gilt bis 24.10.<strong>2015</strong>.<br />

Vitaminis können zum Einzelpreis von CHF 14.99 erworben werden.<br />

Erika Erdbeere<br />

Besuch uns auf<br />

www.vitaminis.ch<br />

Einfach ALDI.


Entdecken<br />

18 % der in einer Umfrage befragten Mütter senken die Temperatur ihres Kindes<br />

bereits bei unter 38,5 Grad Celsius – und damit zu früh. Die Mütter sind<br />

es auch, die in 91 % der Krankheitsfälle ihrer Kinder zu Hause bleiben.<br />

Aus einer Umfrage unter deutschen Müttern im Auftrag des Fieberthermometer-Herstellers Braun.<br />

Es gibt was zu erleben auf dem Gurten!<br />

In die Haut eines Wildtieres schlüpfen. Erfahren, wie Armee und Feuerwehr<br />

früher ohne Telefon mobilisiert wurden oder ein Ritter vom Gurten mutig in<br />

den Kampf zog: All dies bietet der Erlebnisweg des Grünen Bandes der<br />

Gemeinde Köniz BE. Am 10. Oktober wird er eröffnet. Startpunkt ist der<br />

Gurten Kulm. Von dort aus führt die Wanderung an verschiedenen<br />

Wissens- und Erlebnisstationen vorbei bis hinunter in die Gemeinde<br />

Kehrsatz, wo Bauern auf dem Herbstmarkt kulinarische Leckereien anbieten<br />

und traditionelles Handwerk zeigen. Unterwegs werden Quizfragen gestellt.<br />

Und wer sie richtig beantwortet, erhält am Schluss eine Belohnung! Die<br />

Stationen des Erlebnisweges bleiben bis Ende Oktober geöffnet.<br />

Alle Infos unter: www.gruenesband/erlebnisweg.ch<br />

Aus dem Ausflug ein Erlebnis machen<br />

Der WWF möchte Kinder und Jugendliche für Natur und Umwelt<br />

begeistern. Wie das gelingt, erklärt Andrea Lüthi, verantwortlich<br />

für die WWF-Kinderpublikationen. Interview: Evelin Hartmann<br />

Vorsicht Eltern!<br />

«Das kann doch nicht schaden!»,<br />

denken manche Eltern, wenn ihre<br />

Kinder ab und zu mal am Bier- oder<br />

Weinglas nippen. Dabei fanden<br />

Wissenschaftler der Brown University<br />

von Providence im US-Bundesstaat<br />

Rhode Island in einer Studie heraus,<br />

dass Kinder, die im Alter von elf<br />

Jahren daheim ab und zu bei Mama<br />

und Papa probieren durften, drei<br />

Jahre später häufiger alkoholische<br />

Drinks zu sich nahmen als ihre<br />

Mitschüler.<br />

Fotos: Stephanie Zemp / Gemeinde Köniz , Peter Marlow / Magnum Photos<br />

Frau Lüthi, ist es im Zeitalter der digitalen Medien nicht<br />

schwerer, Kinder und Jugendliche für Natur und Umwelt zu<br />

begeistern als noch vor 10, 15 Jahren?<br />

Nein, das Interesse ist nach wie vor gross. Die Ferienlager, die wir<br />

für unsere Mitglieder anbieten, sind beispielsweise sehr beliebt.<br />

Und dort verzichten die jungen Teilnehmer freiwillig auf Computer<br />

und Handy. Das heisst aber nicht, dass wir uns der Technik<br />

verschliessen. Im Gegenteil. An anderer Stelle unserer Jugendarbeit<br />

beziehen wir die neuen Medien bewusst mit ein.<br />

Welche Kanäle nutzen Sie?<br />

Neben den Printprodukten wie dem «Panda Club» gibt es auch die<br />

Kinder-Homepage pandaclub.ch, im Jugendbereich nutzen wir<br />

Social-Media-Angebote wie Facebook. Und auf unserer WWF-<br />

Homepage gibt es jetzt einen neuen Bereich für Eltern, in dem wir<br />

jede Saison Outdoor- und Umwelttipps geben, mit denen sie ihre<br />

Kinder für die Natur begeistern können. Das ist wichtig, da die Eltern<br />

in der Umweltbildung der Kinder die bedeutendste Rolle spielen.<br />

Wie können Eltern ihre Kinder für einen Ausflug in die Natur<br />

begeistern?<br />

Indem sie aus dem Ausflug ein Erlebnis machen. Eltern könnten ein<br />

attraktives Ziel wie einen Badesee aussuchen, den Kindern die<br />

Verantwortung des Kartenlesens übergeben, ein Schiffchen aus<br />

Rinde basteln. Auch ein kindgerechter Themenweg begeistert.<br />

Alle Infos auf: www.pandaclub.ch und www.wwf.ch/zukunft<br />

10 SEPTEMBER <strong>2015</strong>


TOYOTA SIENNA<br />

EINZIGER LUXUS-<br />

VAN MIT 4x4<br />

DER 4x4-GROSSRAUM-VAN FÜR FREIZEIT UND FAMILIE<br />

– Starker 3,5-l-V6-Motor mit 269 PS und 6-Stufen-Automatik<br />

– Vollausstattung inklusive<br />

– In der 2. Sitzreihe verstellbare Rücken-, abklappbare Armlehnen und bequeme Beinauflagen<br />

– 7-Plätzer mit höchster Ladeflexibilität (bis 4’250 Liter Volumen)<br />

– Touch&Go-Navi mit Bluetooth® und Rückfahrkamera<br />

– 6 Jahre Gratis Service<br />

JETZT AB CHF 58’900.– *<br />

toyota.ch<br />

* Empf . Netto - Verkaufspreis , inkl . MwSt . Sienna 3 ,5 l V6 , 4x4 , 198 kW ( 269 PS ) , CHF 58’900 .– , Ø Verbr. 11 ,3 l / 100 km , Ø CO₂ 260 g / km , En.-Eff. G . Ø CO₂ - Emissionen aller in der Schweiz immat. Fahrzeugmodelle: 144 g / km .<br />

Toyota Free Service beinhaltet kostenlose Servicearbeiten bis 6 Jahre oder 60’000 km (es gilt das zuerst Erreichte). Inserat zeigt aufpreispflichtige Optionen.


Dossier<br />

Auf sich gestellt<br />

Sie machen täglich den Spagat zwischen Kindererziehung und<br />

Job: alleinerziehende Mütter und Väter. Im komplizierten Alltag<br />

kämpfen viele von ihnen mit finanziellen Schwierigkeiten. Und<br />

der Gewissheit, ihren Kindern nicht immer gerecht zu werden.<br />

Text: Martina Bortolani / Mitarbeit: Evelin Hartmann Fotos: Anne Gabriel-Jürgens<br />

12 SEPTEMBER <strong>2015</strong>


Andre Lehner ist seit<br />

zwölf Jahren<br />

alleinerziehend.<br />

Seine Frau verliess<br />

ihn, als Sohn Robin<br />

ein Jahr alt war.<br />

SEPTEMBER <strong>2015</strong>13


Dossier<br />

In der Schweiz gibt es rund<br />

440 000 Eltern, die getrennt<br />

voneinander leben. Die Kinder<br />

wohnen in beinahe 90<br />

Prozent der Fälle bei der Mutter,<br />

der Rest beim Vater, in sogenannten<br />

«Einelternhaushalten» oder<br />

«Einelternfamilien».<br />

Noch vor 40 Jahren eine gesellschaftliche<br />

Randerscheinung, wird<br />

diese Familienkonstellation neben<br />

der klassischen Kleinfamilie mehr<br />

und mehr zum Normalfall. So hat<br />

sich die Zahl der Alleinerziehenden<br />

seit 1970 verdoppelt. Bereits jedes<br />

achte Kind lebt in einem Einelternhaushalt<br />

und in fast jeder Schulklasse<br />

sitzen heute zwei oder drei Kinder,<br />

die allein mit ihrer Mutter<br />

aufwachsen.<br />

Unter dem Begriff Einelternfamilie<br />

werden so viel verschiedene Konstellationen<br />

gefasst, wie das Leben<br />

facettenreich ist: die alleinerziehen-<br />

Jedes achte Kind in der<br />

Schweiz lebt heute in einem<br />

Einelternhaushalt.<br />

de Mutter, der alleinerziehende<br />

Vater, der nach der Trennung mit<br />

oder ohne Alimente klarkommen<br />

muss, Witwer und Witwen mit<br />

unmündigen Kindern sowie Frauen,<br />

die trotz geplanter oder ungeplanter<br />

Schwangerschaft nicht zusammenleben<br />

wollen oder können. Gemeinsam<br />

haben all diese Haushalte, dass<br />

ein Elternteil – neben der Unterstützung<br />

durch den Ex-Partner, Freunde<br />

und Verwandte – hauptsächlich<br />

alleine für das eine oder mehrere<br />

Kinder sorgt.<br />

17 Uhr: Den Computer runterfahren,<br />

das Nötigste einkaufen. 18<br />

Uhr: den Jüngsten bei der Nachbarin<br />

abholen. 19 Uhr: Abendessen.<br />

Dann die 13-jährige Tochter Vokabeln<br />

abfragen. Schimpfen. Trösten.<br />

20 Uhr: Wäsche in die Maschine.<br />

20.30 Uhr: Den 6-Jährigen unter<br />

Protest ins Bett bringen. 21 Uhr:<br />

Küche putzen. 22 Uhr: Wäsche in<br />

den Trockner. 23 Uhr: Wäsche falten.<br />

Verräumen. 23.30 Uhr: Den<br />

Kinderrucksack für den morgigen<br />

Klassenausflug packen. Todmüde<br />

ins Bett fallen.<br />

Das Tagespensum Alleinerziehender<br />

ist streng, ihre Lebenssituation<br />

in nicht wenigen Fällen sogar<br />

prekär, wie unlängst eine von der<br />

Caritas in Auftrag gegebene Studie<br />

zur Lebenswirklichkeit von Alleinerziehenden<br />

zeigt. Durchgeführt<br />

wurde die Erhebung vom Interdisziplinären<br />

Zentrum für Frauen- und<br />

Geschlechterforschung der Universität<br />

Bern. Die Ergebnisse: Jede<br />

sechste Einelternfamilie ist von<br />

Armut betroffen, das sind 16,5 Prozent.<br />

Als arm gelten zum Beispiel<br />

Einelternfamilien mit zwei Kindern,<br />

denen höchstens 3500 Franken pro<br />

Monat zur Verfügung stehen. Verglichen<br />

mit der Gesamtbevölkerung<br />

sind Alleinerziehende mehr als doppelt<br />

so häufig von Armut betroffen.<br />

Ein zentraler Grund für die<br />

Armut Alleinerziehender ist die<br />

unzureichende Existenzsicherung.<br />

Viele alleinerziehende Mütter arbeiten<br />

Teilzeit, nicht selten im >>><br />

14 SEPTEMBER <strong>2015</strong>


Seit acht Jahren<br />

verwitwet: Aparecida<br />

Hefti-Pinto, Tochter<br />

Anna-Sophia, 12.<br />

SEPTEMBER <strong>2015</strong>15


Ein starkes Team:<br />

Zoe Moyano, 14, lebt<br />

seit ihrem dritten<br />

Lebensjahr bei ihrem<br />

Vater Marcelo.<br />

16 SEPTEMBER <strong>2015</strong>


Dossier<br />

Ich erzähle<br />

Regula, 36, seit zwei<br />

Jahren alleinerziehend<br />

«Ich habe drei Kinder im Alter zwischen 6 und 10 Jahren,<br />

und ich drehe jeden Rappen um, um uns über Wasser zu<br />

halten. Der Vater der Kinder und ich haben uns vor zwei<br />

Jahren getrennt. Glücklicherweise leben wir in einer von<br />

der Stadt subventionierten Wohnung mit überschaubaren<br />

Mietkosten. Trotzdem sind wir jeden Monat am Limit<br />

unserer finanziellen Möglichkeiten. Ich kalkuliere rund 500<br />

Franken für Essen und Haushalt ein, damit kaufe ich<br />

Lebensmittel und alles, was es sonst noch so braucht im<br />

Haushalt. Manchmal gönnen wir uns ein Stück Fleisch,<br />

aber in der Regel liegt das nicht drin. Deshalb ernähren wir<br />

uns praktisch ausschliesslich vegetarisch. Wir besitzen<br />

kein Auto, und wir machen nur Ferien in der Schweiz. Wir<br />

können zum Glück ein Ferienhaus von Freunden nutzen<br />

und müssen nicht viel Miete bezahlen. Ich weiss genau,<br />

dass wir «arm» sind im herkömmlichen, schweizerischen<br />

Sinne, trotzdem schäme ich mich nicht für unseren<br />

«Lifestyle». Denn er entspricht in seiner Einfachheit und<br />

Bescheidenheit meiner Lebensphilosophie. Ich bin sicher,<br />

dass man den Kindern schon sehr früh beibringen kann,<br />

was wichtige Werte sind. Und das sind nicht teure Ferien in<br />

fernen Ländern und auch nicht, dass jedes Kind ein<br />

eigenes Zimmer haben muss. Uns fehlt es an nichts. Wir<br />

führen ein schönes und ausgewogenes Leben – und ja, wir<br />

müssen auf unser Budget achten. Meine Kinder tragen<br />

Kleider aus der Secondhand-Börse, aber ich finde, sie sind<br />

nie schlecht oder schäbig angezogen. In meinem Freundeskreis<br />

ist es durchaus normal, dass wir Kleider und Spielsachen<br />

austauschen und weitergeben, anstatt immer Neues<br />

anzuschaffen. Meine Kinder bekommen von mir viele Werte<br />

vermittelt, die jenseits davon sind, wie viel Geld man als<br />

Familie hat. Sie finden es sogar komisch, wenn sie bei<br />

Freunden sind, die in einem grossen Haus wohnen. Sie<br />

leben bescheiden und ehren diesen Umstand gebührend.<br />

Das kann für ihre Zukunft nicht verkehrt sein. Ich arbeite<br />

Teilzeit in einer sozialen Institution. Mein Ex-Mann bezahlt<br />

nicht viele Alimente. Dafür gleicht er das mit seiner<br />

Präsenz als Vater aus. Die Kinder sind regelmässig bei ihm,<br />

und wir diskutieren gemeinsam darüber, wie unsere Kinder<br />

gross werden sollen. Sowohl er als auch ich leben mit<br />

neuen Partnern zusammen. Mein Partner hat auch eigene<br />

Kinder. Das ist nicht immer einfach, aber es ist auch<br />

bereichernd. Wir wursteln uns durch, aber ich glaube nicht,<br />

dass die Kinder darunter leiden. Denn wir sind immer<br />

ehrlich zu ihnen, und das kann in der Konsequenz nicht so<br />

schädlich sein für sie.<br />

>>> Stundenlohn, in Kleinstpensen<br />

oder mit unregelmässigen Arbeitszeiten.<br />

Davon sind gerade niedrig<br />

qualifizierte Frauen betroffen. «Oft<br />

hören sie bereits im Bewerbungsgespräch,<br />

dass ihnen die nötige Flexibilität<br />

fehle», sagt Bettina Fredrich,<br />

sie leitet die Fachstelle Sozialpolitik<br />

bei der Caritas.<br />

Für eine Verbesserung der beruflichen<br />

Situation wäre oftmals eine<br />

Weiter- oder Zusatzqualifizierung<br />

nötig. Wer aber seinen Tag bis auf<br />

die Minute genau takten muss, um<br />

den Spagat zwischen Job, Haushalt<br />

und Kindern alleine zu managen,<br />

hat für Abend- oder Wochenendkurse<br />

erst recht keine Zeit. Und so<br />

lautet das Credo vieler Alleinerziehender:<br />

Verzicht – in erster Linie bei<br />

sich selbst. Beim Nachwuchs wollen<br />

die wenigsten Alleinerziehenden<br />

sparen. Und doch sind auch die Kinder<br />

benachteiligt. Bettina Fredrich:<br />

«Die fehlenden Finanzen führen<br />

dazu, dass Kinder weniger Zugang<br />

zu früher Förderung haben, was ihre<br />

Entwicklung beeinträchtigt.» Ferien<br />

sind selten möglich, und selbst Geschenke<br />

für anstehende Kindergeburtstage<br />

zu besorgen, ist für die<br />

Mütter finanziell herausfordernd.<br />

«Das macht viele dieser Kinder zu<br />

Aussenseitern», weiss die Caritas-<br />

Mitarbeiterin.<br />

Stress, Ängste, Überforderung –<br />

die tägliche Last hinterlässt Spuren.<br />

Fakt ist, dass alleinerziehende Mütter<br />

doppelt so oft an Depressionen<br />

leiden wie verheiratete Mütter. Zeit<br />

zur Erholung fehlt zuweilen völlig.<br />

Kein Wunder, denn gemäss einer<br />

Erhebung des Bundesamtes für Statistik<br />

von 2012 leisten Alleinerziehende<br />

neben ihrer Berufstätigkeit<br />

rund 26,8 Stunden pro Woche >>><br />

Alleinerziehende Mütter<br />

leiden doppelt so oft an<br />

Depressionen wie verheiratete.<br />

SEPTEMBER <strong>2015</strong>17


Dossier<br />

Ich erzähle<br />

Simone, 47, seit sechs<br />

Jahren alleinerziehend<br />

«Ich habe immer etwas Hemmungen,<br />

wenn ich meine Situation in Relation zu<br />

anderen alleinerziehenden Müttern<br />

setze. Ich habe nämlich keinerlei<br />

Geldsorgen, das macht nicht alles, aber<br />

sehr vieles leichter. Ich selber stamme<br />

aus vermögenden Verhältnissen und<br />

mein Ex-Mann bezahlt jeden Monat<br />

mehr Unterhaltsbeiträge an uns, als<br />

manche in einem Monat verdienen. Ich<br />

habe diplomatische Beziehungen<br />

studiert und arbeitete oft im Ausland,<br />

seit ich Mutter bin aber in der Schweiz,<br />

in führender Position bei einer skandinavischen<br />

Firma. Zusammen mit dem<br />

Geld, das ich verdiene, leben wir<br />

überdurchschnittlich gut.<br />

Aber eben, was heisst das schon? Ich<br />

habe dafür andere Sorgen. Obwohl mein<br />

Sohn und ich viel reisen und ein<br />

komfortables Leben führen, frage ich<br />

mich, wie er das Aufwachsen ohne<br />

seinen Vater in dreissig Jahren einmal<br />

beschreiben wird. Hat er vielleicht<br />

eigene Kinder? Lebt er mit einer Frau<br />

zusammen oder ist er auch getrennt?<br />

Ich verkehre oft mit Müttern, die ähnlich<br />

leben wie ich. Die meisten sind ganz<br />

selbstverständlich berufstätig. Damit<br />

habe ich nie gehadert – im Gegenteil.<br />

Ich könnte mir das Leben als Hausfrau<br />

Jede sechste Einelternfamilie<br />

in der Schweiz<br />

ist von Armut betroffen.<br />

nicht vorstellen. Ich habe ein Au-pair zu<br />

Hause, seit mein Sohn klein ist. Auch<br />

wenn das für andere Eltern vielleicht<br />

kühl tönt, aber: besser ein engagiertes,<br />

liebevolles Kindermädchen als eine<br />

frustrierte Mutter. Ich hatte da immer<br />

Glück, mein Sohn kam mit all den<br />

Frauen, die bei uns arbeiteten, gut aus.<br />

Der Vater und ich haben uns scheiden<br />

lassen, kaum war der Bub ein Jahr alt.<br />

Mein Mann hat mir damals klar gesagt,<br />

dass er mich immer finanziell unterstützen<br />

werde, er aber die Welt sehen wolle<br />

und kein guter Vater sein würde. Das<br />

klang damals hart, aber ich weiss jetzt,<br />

was er gemeint hat. Und nun ist es so:<br />

Ich bin alleinerziehende Mutter, der<br />

Vater sieht das Kind zweimal im Jahr.<br />

Mein Sohn nimmt ihn mehr als Götti<br />

oder Bekannten seiner Mutter wahr<br />

denn als seinen Vater. Der Vorteil<br />

meiner Lebenssituation ist, dass ich<br />

selber entscheiden kann. Alles. Das ist<br />

für mich sehr entlastend. Als ich mich<br />

aber vor einem Jahr bei der Einschulung<br />

meines Sohnes in die internationale<br />

Schule mit Tagesstruktur den anderen<br />

Eltern vorstellen musste, war mir schon<br />

etwas mulmig. Bis ich realisiert habe,<br />

dass neben mir auch noch andere<br />

Mütter alleine da waren.»<br />

>>> Arbeit für die Betreuung<br />

ihrer Kinder. Dabei werden «Essen<br />

geben, Waschen und ins Bett bringen»<br />

mit 6 Stunden pro Woche beziffert,<br />

«Waschen und Bügeln» mit<br />

rund 2 Stunden und «Spielen und<br />

Hausaufgaben» mit rund 9,3 Stunden<br />

pro Woche. Aufgaben, die auch<br />

in einem Paarhaushalt erledigt werden<br />

müssen, doch hier können sich<br />

die Partner die Arbeit untereinander<br />

aufteilen.<br />

Nur: Gleichberechtigt geht die<br />

Aufgabenteilung auch in den meisten<br />

«Papi-Mami-Kind-Familien»<br />

nicht zu und her. Laut dem Bundesamt<br />

für Statistik arbeiten über die<br />

Hälfte der Frauen Teilzeit, bei den<br />

Männern steigt der Anteil hingegen<br />

nicht über 16 Prozent. Die Väter, die<br />

wegen Erziehung und Hausarbeit<br />

ihr Pensum reduzieren, sind in der<br />

Schweiz demnach noch immer in<br />

der Minderheit. Kein Wunder also,<br />

dass es auch nach der Trennung die<br />

Frauen sind, die sich um die Kinder<br />

kümmern. Der Vater zahlt Alimente<br />

fürs Kind oder wäre zumindest dazu<br />

verpflichtet; doch es drücken sich<br />

viele – oder sie zahlen zu wenig.<br />

Laut Caritas bezieht jede fünfte<br />

Alleinerziehende Sozialhilfe.<br />

Natürlich sind nicht alle Alleinerziehenden<br />

arm und bedauernswert.<br />

Die meisten haben ihr Leben<br />

im Griff. Sie erscheinen in keiner<br />

Armutsstatistik. In keiner Sozialhilfestudie.<br />

In keiner Alimentenbevorschussungsübersicht.<br />

«Vielen meiner<br />

Klientinnen geht es finanziell<br />

gut und sie sind zufrieden mit ihrem<br />

Leben», bestätigt eine Zürcher<br />

Scheidungsanwältin, die anonym<br />

bleiben möchte.<br />

Manche Frauen entscheiden sich<br />

sogar ganz bewusst für ein Kind –<br />

obwohl der passende Mann dazu<br />

fehlt. Letzteres ist für sie kein Grund,<br />

auf Kinderglück zu verzichten. Die<br />

erfolgreiche Juristin, die mit 38 Jahren<br />

beruflich zwar viel erreicht hat,<br />

aber gerade in keiner Beziehung<br />

lebt, ist so ein Beispiel. Und tatsächlich:<br />

Leiter grosser Samen- >>><br />

18 SEPTEMBER <strong>2015</strong>


Anna-Sophia und<br />

Mutter Aparecida<br />

lieben Kochen und<br />

gutes Essen.<br />

SEPTEMBER <strong>2015</strong>19


Dossier<br />

Inniges Verhältnis:<br />

Zoe mit ihrem Vater<br />

Marcelo. Jedes<br />

zweite Wochenende<br />

verbringt sie bei<br />

ihrer Mutter.<br />

20 SEPTEMBER <strong>2015</strong>


Dossier<br />

>>> banken in der Schweiz berichten<br />

von einer zunehmenden Nachfrage<br />

von alleinstehenden Frauen.<br />

Allerdings dürfen sie diese Klientinnengruppe<br />

zwar beraten, müssen sie<br />

aber dann an eine Klinik im Ausland<br />

verweisen. In Spanien beispielsweise<br />

ist, anders als hierzulande, die<br />

künstliche Befruchtung auch allein-<br />

Das Stigma ist weg:<br />

Alleinerziehende stehen heute<br />

mitten in der Gesellschaft.<br />

stehenden Frauen gestattet. Ist das<br />

Kind auf der Welt, unterstützen<br />

Nannys oder Au-pairs die Mutter<br />

bei der Kinderbetreuung. An finanziellen<br />

Mitteln mangelt es ihr nicht.<br />

Zugegeben: Diese Fälle sind nach<br />

wie vor die Ausnahme. Aber auch<br />

Edith Schwab, Präsidentin des European<br />

Network of Single Parent<br />

Families, bestätigt: «Alleinerziehende<br />

stehen heute grundsätzlich mitten<br />

in der Gesellschaft.» Noch in<br />

den 70er und 80er Jahren sei es eine<br />

«Schande» gewesen, als Mutter ohne<br />

Mann dazustehen.<br />

An diese Zeiten kann sich Franziska<br />

P., heute 72 Jahre, noch gut<br />

erinnern. Die Baslerin zog zwei<br />

Töchter und einen Sohn alleine auf.<br />

«Man gab mir immer zu verstehen,<br />

dass ich entweder lasterhaft<br />

lebte oder nicht in der Lage sei,<br />

einen Ehemann an mich zu binden»,<br />

erinnert sie sich. Dass ihr Mann sich<br />

Abend für Abend lieber am >>><br />

«Eltern dürfen nicht auf eine strickte Trennung bestehen»<br />

Interview: Evelin Hartmann<br />

Für Kinder ist das Hin- und<br />

Herpendeln zwischen Mama und<br />

Papa nicht immer leicht. Danielle<br />

Estermann, Geschäftsführerin<br />

des Schweizerischen Verbandes<br />

alleinerziehender Mütter und Väter,<br />

erklärt, wie Eltern ihre Kinder bei<br />

diesem Spagat unterstützen können.<br />

Frau Estermann, schaffen es Eltern, nach<br />

der Trennung einen fairen Umgang miteinander<br />

zu pflegen, ist die Entwicklung der<br />

Kinder nicht gefährdet, sagen Experten.<br />

Grundsätzlich ist es sehr wichtig, dass<br />

Eltern auf keine strikte Trennung dieser<br />

beiden Welten, die Wohnung der Mutter<br />

beziehungsweise des Vaters, bestehen.<br />

Sprich, das Kind sollte auch sein liebstes<br />

Kuscheltier mit zum Vater nehmen oder<br />

ein Bild des Vaters in seinem Zimmer<br />

bei der Mutter aufhängen dürfen. Auch<br />

wenn dieser Anblick der Mutter nicht<br />

ganz leichtfällt. Ausserdem sollte die<br />

Übergabe der Kinder wenn möglich<br />

immer gleich, also ritualisiert, ablaufen.<br />

Und, sie sollte für alle Beteiligten stimmig<br />

sein. Wenn die Kinder noch zu klein<br />

sind, um eigenständig zum Vater zu<br />

gehen oder zu fahren, könnte ein Café<br />

ein guter Treffpunkt sein, in dem man<br />

kurz zusammensitzt und so signalisiert:<br />

Wir verstehen uns als Eltern noch!<br />

Wenn ein Elternteil fehlt, besteht die<br />

Gefahr, dass Kinder die Rolle des fehlenden<br />

Vaters, der fehlenden Mutter, sprich:<br />

eine Erwachsenenrolle übernehmen.<br />

In einer Einelternfamilie kann nicht<br />

vollständig vermieden werden, dass die<br />

Kinder mit neuen Rollen konfrontiert<br />

werden, da die Elternteile auch neue<br />

Rollen übernehmen müssen. Die Kinder<br />

sind nach der Trennung mitunter die<br />

engsten Bezugspersonen. Sorgen und<br />

Nöte werden da natürlich mit den Kindern<br />

besprochen. Und diese Themen<br />

sind nicht immer kindgerecht.<br />

Was raten Sie?<br />

Eltern, die in Trennung leben, müssen<br />

ein sehr hohes Rollenbewusstsein haben,<br />

damit sie die Kinder nicht in eine<br />

Erwachsenenrolle drängen und auch die<br />

Kinder immer wieder darauf hinweisen,<br />

dass sie nicht den Platz des fehlenden<br />

Vaters, der fehlenden Mutter einnehmen<br />

müssen, sollen. Mein Rat lautet, mit den<br />

Kindern offen zu sprechen und sie regelmässig<br />

zu informieren, wie die Lebensgestaltung<br />

in der kommenden Zeit aussieht.<br />

Wenn Schwierigkeiten anstehen,<br />

darf man diese sehr wohl benennen.<br />

Dabei sollte man den Kindern auch<br />

erzählen, wie diese Schwierigkeiten<br />

gelöst werden können und welchen Teil<br />

des Lösungsplans die Kinder mittragen<br />

helfen müssen. Damit erhalten sie eine<br />

Aufgabe und müssen nicht gemäss<br />

ihrem Gefühl handeln: Mama ist traurig<br />

– ich muss sie beschützen.<br />

Wie verhindere ich, dass ich mein Kind zu<br />

einem Art Ersatzpartner mache?<br />

Ein Fehler wäre es, sich mit seinen Kindern<br />

abzuschotten. Das Elternbewusstsein,<br />

dass die Kinder älter werden und<br />

ihren eigenen Weg gehen müssen und<br />

sollen, ist entscheidend. Die Kinder<br />

gehen zum Vater, kommen wieder und<br />

umgekehrt. Das Alleinsein und Zusammensein<br />

im Wechsel wird zur Normalität,<br />

und der Schrecken, dass man eines<br />

Tages als Eltern alleine dasteht, ist plötzlich<br />

keiner mehr. Wenn Einelternfamilien<br />

sich auf diesen Lernprozess einlassen,<br />

besteht keine Gefahr, dass Kinder<br />

als Partnerersatz herhalten müssen.<br />

SEPTEMBER <strong>2015</strong>21


Dossier<br />

>>> Stammtisch betrank, als ihr<br />

zuhause mit den Kindern zu helfen,<br />

blendete ihr kleinbürgerliches<br />

Umfeld beflissen aus. «Kein guter<br />

Vater zu sein, galt zu dieser Zeit als<br />

eine Art Kavaliersdelikt», sagt sie.<br />

«Da haben es die Frauen heute leichter.»<br />

Eine dieser Frauen ist Franziskas<br />

Tochter, die mit ihren beiden Kindern<br />

ebenfalls in Trennung lebt. Sie<br />

habe viele Freunde, sei gesellschaftlich<br />

integriert und könne sich mit<br />

anderen Müttern austauschen. Franziska:<br />

«Für mich war das damals<br />

unmöglich. Ich hatte keine Freundinnen<br />

und versuchte möglichst<br />

nicht aufzufallen.»<br />

Einem gewissen Rechtfertigungsdruck<br />

sieht sich aber auch die<br />

42-jährige Tochter ausgesetzt: «Wir<br />

haben einen Mittagstisch mit ein<br />

paar Mädchen aus der Klasse meiner<br />

Tochter. Ich achte immer darauf,<br />

dass ich sehr gesund und ausgewogen<br />

koche», sagt sie. Brokkoli und<br />

Bio-Plätzli oder Dinkelteig-Pizza<br />

mit einer Schüssel Salat. «Irgendwann<br />

sagt mir eine der Mütter, dass<br />

ihre Tochter das Essen bei mir etwas<br />

‹anstrengend› fände. Ich solle doch<br />

einfach mal ‹Pommes oder so› servieren,<br />

riet sie mir. Ich fiel aus allen<br />

Wolken, weil mir klar wurde, wie<br />

angestrengt ich mich verhalte.»<br />

Alles richtig machen, den Kindern<br />

das Beste mit auf den Weg<br />

geben, nicht das Bild der überforderten<br />

Mutter abgeben – obwohl der<br />

Vater fehlt. Das ist das Mantra vieler<br />

Alleinerziehenden.<br />

Und wie steht es um die Väter?<br />

Die können sich über eine seit Jahren<br />

stetig wachsende gesellschaftliche<br />

und politische Lobby aus Vereinen<br />

und Verbänden freuen, die im<br />

vergangenen Sommer einen grossen<br />

Sieg errungen hat: Seit dem 1. Juli<br />

2014 teilen sich Eltern das gemeinsame<br />

Sorgerecht für ihre Kinder,<br />

egal ob sie verheiratet, im Konkubinat<br />

oder getrennt leben. Elternvertreter<br />

wie der Präsident des Vereins<br />

für elterliche Verantwortung VeV,<br />

Alleinerziehend zu sein,<br />

bedeutet die doppelte Arbeit,<br />

doppelt so viele Tränen,<br />

aber auch doppelt so viele<br />

Umarmungen, doppelt so viel<br />

Spass, doppelt so viel Liebe.<br />

Oliver Hunziker (Interview auf Seite<br />

26), kämpft darüber hinaus für<br />

das Modell der alternierenden<br />

Obhut, bei dem im Falle einer Trennung<br />

die Kinder zu je mindestens<br />

33 Prozent von beiden Elternteilen<br />

betreut werden. Nach Oliver Hunziker<br />

die Voraussetzung dafür, dass<br />

Väter nicht nur die Rolle des Zahl-<br />

Papis übernehmen, sondern eine<br />

Beziehung mit ihren Kindern leben<br />

können. Dies würde auch den Müttern<br />

mehr Freiraum verschaffen.<br />

Apropos Freiraum. Dass dieser<br />

bei ihnen grösser ist als bei verheirateten<br />

Müttern, davon berichten<br />

einige Alleinerziehende – wenn sie<br />

finanziell gut dastehen und die Aufteilung<br />

der elterlichen Sorge fair<br />

geregelt ist. Jedes zweite Wochenende<br />

ist man ohne Verpflichtungen,<br />

ohne Partner und ohne Kinder. Und<br />

oft auch ein bis zwei Nächte unter<br />

der Woche. Auch wenn es selten<br />

zugegeben wird, diese Zeit nutzen<br />

viele, um ihre sexuellen Bedürfnisse<br />

zu befriedigen. Auf Schweizer Kontaktplattformen<br />

wie www.singlemitkind.ch<br />

wird vom One-Night-Stand<br />

über eine Affäre bis hin zur festen<br />

Beziehung alles gesucht und alles<br />

angeboten.<br />

Würde man diese Single-Eltern<br />

fragen, ob sie sich hilflos und verlassen<br />

fühlen, würde einem wohl ein<br />

mehrheitliches «Sicher nicht!» entgegenschallen.<br />

Einelternfamilien<br />

haben viele Gesichter.<br />

>>><br />

Martina Bortolani<br />

38, ist alleinerziehende Mutter einer Tochter,<br />

11, und eines Sohnes, 9. Seit einem Jahr ist<br />

sie selbständig (theswimmingpool.ch).<br />

22 SEPTEMBER <strong>2015</strong>


Dossier<br />

Patchwork: Marcelo<br />

lebt in einer neuen<br />

Beziehung, Tochter<br />

Zoe findets cool.<br />

SEPTEMBER <strong>2015</strong>23


Dossier<br />

Tägliches Ritual:<br />

Andre Lehner<br />

kontrolliert die<br />

Hausaufgaben<br />

seines Sohnes<br />

Robin, 12.<br />

Foto: Anne Gabriel-Jürgens<br />

«Ich habe einfach funktioniert»<br />

Seine Frau war plötzlich weg, Andre Lehner auf sich gestellt. Seit zwölf Jahren lebt der Informatiker<br />

allein mit seinem Sohn. Aus dem Alltag eines alleinerziehenden Vaters, der immer<br />

noch gegen Vorurteile kämpfen muss. Text: Martina Bortolani<br />

24 SEPTEMBER <strong>2015</strong>


Robin Lehner stürmt in die Küche und wirft<br />

seinen Rucksack in die Ecke. «Häsch vill<br />

Ufzgi?», fragt sein Vater. Der 12-Jährige<br />

nickt. «Die mache ich nachher mit dir.»<br />

Andre Lehner bereitet das Abendessen vor.<br />

Später wird er die Aufgaben seines Sohnes kontrollieren,<br />

den Abwasch erledigen, Wäsche waschen, zum Trocknen<br />

aufhängen. Haushaltsdinge eben. Er macht das<br />

immer, und er macht es immer allein.<br />

Andre Lehner, 52, ist Informatiker und seit zwölf<br />

Jahren alleinerziehender Vater. Er zählt damit zu einer<br />

statistischen Minderheit in der Schweiz. Alleinerziehende<br />

Väter machen hierzulande nur rund zwölf Prozent<br />

aller Einelternhaushalte aus.<br />

Schon kurz nach Robins Geburt zeichnen sich die<br />

ersten Schwierigkeiten bei der Familie ab. Die Mutter<br />

verspürt bereits im Wochenbett Mühe, Muttergefühle<br />

zu entwickeln, erzählt der Vater. Das ist der «Babyblues»,<br />

denken alle, das legt sich irgendwann. Doch es<br />

legt sich nicht. Wenn Andre Lehner abends von der<br />

Arbeit kommt, drückt ihm seine Frau das Kind in den<br />

Arm und verlässt das Haus. Der junge Vater wickelt,<br />

schöppelt und schmust mit dem Sohn, bis er einschläft.<br />

So zieht sich das erste Lebensjahr hin. «Ich funktionierte,<br />

weil ich meine Verantwortung als Vater wahrnehmen<br />

musste», erinnert er sich. Er sei es dem Kind schuldig,<br />

dachte er. Wenn es schon die Mutter nicht konnte.<br />

Immer häufiger verbringt er die Abende und die<br />

Wochenenden allein mit dem Kind. «Ich fühlte mich,<br />

als würde ich mit 180 Stundenkilometern gegen eine<br />

Wand fahren», erinnert er sich. Dann kommt die Scheidung.<br />

Obwohl Lehner und sein Anwalt auf die gemeinsame<br />

elterliche Sorge pochen, entscheidet sich die Richterin<br />

während des Prozesses überraschend anders: «Ich<br />

fände es besser, sie würden sich alleine um das Kind<br />

kümmern.» Lehner bekommt das alleinige Sorgerecht<br />

zugesprochen.<br />

Andre Lehner ist von einem Tag auf den anderen auf<br />

sich allein gestellt. Alimente bekommt er von der Mutter<br />

nicht. Auch der Staat springt nicht ein, dafür ist das<br />

ersparte Vermögen des Mannes zu gross – und doch zu<br />

klein, um mit der neuen Situation feudal umzugehen.<br />

Er geht weiterhin Vollzeit arbeiten.<br />

Lehner hat lange gebraucht, um sich mit der neuen<br />

Rolle des alleinerziehenden Vaters zurechtzufinden.<br />

«Ich war ein Exot», sagt er. Mehrmals sucht er den<br />

Anschluss an Gruppen Alleinerziehender, doch dort<br />

trifft er mehrheitlich auf Mütter, die ihn als Mann nicht<br />

akzeptieren wollen.<br />

Und so zieht er sich zurück und kämpft sich durch<br />

den Alltag mit einem kleinen Sohn und dem hehren<br />

Anspruch, dem Kind eine solide Basis zu bieten: einkaufen,<br />

kochen, waschen, putzen, beruhigend über das<br />

Haar des Sohnes streichen, wenn sich nachts Monster<br />

in seine Träume schleichen, Kindergeburtstage, der erste<br />

Schultag. Die Doppelbelastung zwischen Beruf und<br />

Fürsorge geht mehr und mehr an seine Substanz.<br />

Doch dann klingelt eines abends eine engagierte<br />

Sozialarbeiterin aus der Gemeinde an Andre Lehners<br />

Tür: Eine Bauernfamilie hat für seinen Kleinen einen<br />

Platz bei einer Tagesfamilie anzubieten. Da ist Robin<br />

drei Jahre. Für den berufstätigen Vater ein Geschenk<br />

des Himmels. Die Bauernfamilie, die selbst vier eigene<br />

Kinder hat, nimmt den Buben mit herzlicher Wärme<br />

auf, und bis heute verbringt der Vorpubertierende die<br />

Tage unter der Woche bei der Familie, die in Velodistanz<br />

der Lehners lebt.<br />

Fürs Nachtessen kommt Robin nach Hause zum<br />

Vater. Zusammen machen sie Ufzgi, essen, reden, und<br />

jeden Abend bringt der Vater den Sohn zu Bett. «Das<br />

ist unsere heilige Zeit, und sie schweisst uns zusammen»,<br />

ist sich Andre Lehner sicher. Und nicht nur das:<br />

Manchmal bereichere ihn seine Rolle als alleinerziehender<br />

Vater sogar, sagt er: «Ich darf so viel erleben, was<br />

andere Väter nicht mitkriegen.» So fahren Vater und<br />

Sohn am Wochenende Velo oder gehen campieren. In<br />

den Ferien wird der eigens umgebaute VW-Pickup<br />

gepackt und auf gehts Richtung Korsika. Ein Männerabenteuer.<br />

Und wie geht es Robin ohne seine Mutter? «Ich ignoriere<br />

die Fragen meiner Freunde immer», sagt er entschieden.<br />

Und der Vater ergänzt: «Die Tagesmutter ist<br />

eine wichtige Bezugsperson für Robin, aber kein Mutterersatz.<br />

Er spürt jeden Tag, dass er die Intensität einer<br />

Mutterliebe nicht erfährt.»<br />

Mittlerweile treffen sich Mutter und Sohn ab und zu.<br />

Aber Robin entscheide immer öfter, wen er an seinem<br />

Leben teilhaben lassen will. Seine Mutter stehe dabei<br />

nicht an erster Stelle, sagt Lehner. Und: «Meine Aufgabe<br />

als Vater ist es auch, ihm zu erklären, dass er nicht<br />

das Urvertrauen in Frauen verlieren darf.» Vater und<br />

Sohn haben es gut miteinander, auch wenn momentan<br />

eine andere Herausforderung ansteht: Der IT-Experte<br />

ist auf Stellensuche. Aber auch das kommt schon gut,<br />

ist er sich sicher.<br />

«Ich darf als alleinerziehender<br />

Vater so viel erleben, was<br />

andere Väter nicht erleben.»<br />

SEPTEMBER <strong>2015</strong>25


Dossier<br />

«Das sind emotionale<br />

Folterspiele»<br />

Ein Gespräch mit Oliver Hunziker, Präsident des Vereins für elterliche Verantwortung VeV, über<br />

die Benachteiligung von Vätern bei Trennungen und die Arbeit von Kinderschutzbehörden<br />

und Scheidungsrichtern. Interview: Martina Bortolani<br />

Herr Hunziker, Ihr Verein hiess<br />

ursprünglich «Verein verantwortungsvoll<br />

erziehender Väter», nun steht das<br />

«eV» für «elterliche Verantwortung».<br />

Warum der Namenswechsel?<br />

Es stimmt, unser Verein richtete sich<br />

bei der Gründung im Jahr 1992<br />

mehrheitlich an Väter, die in Trennungs-<br />

und Scheidungssituationen<br />

mit ihren individuellen Problemen<br />

bei uns Rat suchten, dann folgte erst<br />

die Erweiterung auf «Väter und Mütter»,<br />

und nun heisst er so.<br />

Ergo sind es unter dem neuen Namen<br />

heute trotzdem immer mehr Mütter,<br />

die bei Ihnen anklopfen?<br />

Wir beraten beide Geschlechter und<br />

wir versuchen, auf jedes Problem –<br />

egal, ob Mutter oder Vater – adäquat<br />

einzugehen. Es ist aber nach wie vor<br />

so, dass wir stark sensibilisiert darauf<br />

sind, wie Väter in diesen Situationen<br />

behandelt werden. Der VeV wurde<br />

gegründet, weil mehrheitlich Väter<br />

mit Ungerechtigkeiten zu kämpfen<br />

haben, wenn es darum geht, dass die<br />

Betreuung und Finanzierung gemeinsamer<br />

Kinder nach einer Scheidung<br />

fair geregelt wird. Vor Gericht,<br />

aber generell auch innerhalb der<br />

Gesellschaft. Es herrscht in diesen<br />

Belangen immer noch sehr viel<br />

Handlungsbedarf.<br />

Bedienen Sie damit nicht ein altes<br />

Klischee?<br />

Vereinfacht würde ich sagen: Mütter<br />

haben es nach wie vor einfacher, vor<br />

Gericht die Fürsorgepflichten und<br />

-rechte für die Kinder zu kriegen.<br />

Heisst in der Konsequenz: Die Mutter<br />

kriegt die Kinder, und der Vater<br />

soll zahlen. Diese Regelung geniesst<br />

eine verblüffend hohe Akzeptanz<br />

und liegt offenbar tief verankert in<br />

der gesellschaftlichen Wahrnehmung,<br />

ungeachtet dessen, ob sie<br />

richtig oder falsch ist. Das hängt<br />

damit zusammen, wie man landläufig<br />

den Begriff der Familie definiert.<br />

Wie denn?<br />

Eine Mutter, welche sich nach einer<br />

Trennung oder Scheidung um die<br />

Kinder kümmert, wird immer noch<br />

viel selbstverständlicher als «Familie»<br />

bezeichnet. Ein Vater, der die<br />

Kinder betreut, ist in erster Linie nur<br />

«ein Vater, der sich um die Kinder<br />

kümmert». Das Prädikat Familie<br />

muss er sich an allen Fronten hart<br />

erkämpfen, und er ist mit viel grösseren<br />

Vorurteilen konfrontiert als<br />

eine Mutter.<br />

Es ist doch aber statistisch erwiesen,<br />

dass der Grossteil aller Alleinerziehenden<br />

Frauen sind und nur 12 Prozent<br />

Männer. Diese Zahl sagt doch einiges<br />

darüber aus, wie viele Fälle verlaufen.<br />

Zuerst einmal muss man den Begriff<br />

«alleinerziehend» korrekt definieren.<br />

Was bedeutet er denn in der Realität?<br />

Unter «alleinerziehend» verstehe ich<br />

persönlich vor allem die Härtefälle,<br />

die leider existieren und deren Protagonisten<br />

es erwiesenermassen<br />

schwer haben, den Alltag zu meistern.<br />

Das betrifft ihre finanzielle<br />

Situation, die psychische Verfassung<br />

der Alleinerziehenden und auch die<br />

zehrenden Mehrfachbelastungen,<br />

denen sie ausgesetzt sind. Also konkret<br />

ein Witwer oder eine Witwe, die<br />

oder der nach einem Todesfall alleine<br />

für die Kinder sorgt, aber dennoch<br />

arbeiten muss, um die Kinder<br />

zu versorgen und um das Leben<br />

irgendwie durchzubringen. Aber<br />

damit sind auch Elternteile gemeint,<br />

die ‹hocken gelassen› werden vom<br />

Partner oder von der Partnerin und<br />

sich dann wirklich ganz alleine um<br />

alles kümmern müssen. Die meisten<br />

Fallbeispiele, die ich hingegen erlebe,<br />

entsprechen nicht «typisch» alleinerziehenden<br />

Modellen.<br />

Sondern?<br />

Es sind Situationen, in denen die<br />

Elternteile zwar getrennt leben, aber<br />

engagiert auftreten. Die Mehrheit<br />

aller Fälle, mit denen wir es zu tun<br />

haben, sind Familienstrukturen, bei<br />

denen sich beide Elternteile darum<br />

bemühen, auch nach einer Trennung<br />

für die Kinder gute Eltern sein zu<br />

wollen. Dies, weil sie sich der elterlichen<br />

Verantwortung verpflichtet<br />

fühlen, da zu sein für ihre Kinder.<br />

Leider erleben wir in unserer >>><br />

«Bei Scheidungen haben es<br />

Mütter vor Gericht nach wie<br />

vor einfacher als Männer.»<br />

Foto: Anne Gabriel-Jürgens<br />

26 SEPTEMBER <strong>2015</strong>


Dossier<br />

Sind seit acht Jahren<br />

allein: Aparecida und<br />

Tochter Anna-Sophia.<br />

SEPTEMBER <strong>2015</strong>27


Dossier<br />

>>> Praxis oft, dass es mehrheitlich<br />

die Väter sind, die gerne mehr<br />

leisten möchten, aber nicht dürfen<br />

– weil man ihnen ihr Engagement<br />

rigoros abspricht oder sie brutal blockiert.<br />

Von den Müttern?<br />

Ja, oft. Die Väter werden aus Kränkung<br />

oder Eitelkeit seitens der<br />

Kindsmutter oft ausgeschlossen<br />

aus Prozessen, die wichtig wären<br />

für das Kind, nämlich insofern, als<br />

dass sich beide Elternteile damit<br />

befassen. Anstatt auf das Wohl des<br />

Kindes zu achten, bestrafen diese<br />

Mütter nach einer Trennung – für<br />

die es notabene immer zwei<br />

braucht! – lieber den Mann damit,<br />

dass er die Kinder nicht sehen darf<br />

und dass er kein Mitspracherecht<br />

kriegt. Das sind emotionale Folterspiele,<br />

die zu Lasten der Kinder<br />

ausgefochten werden.<br />

Bleiben wir bei den Fakten: Es ist doch<br />

nach wie vor Realität, dass nach einer<br />

Trennung an der Mutter viel mehr<br />

hängen bleibt als am Vater. Sie geht<br />

Teilzeit arbeiten, organisiert die<br />

Betreuung und den Alltag, während er<br />

ausschliesslich an den Wochenenden<br />

für die Kinder da ist.<br />

Genau da liegt die Krux. Denn dieses<br />

Bild ist in der Gesellschaft sehr stark<br />

verbreitet. Aber glauben Sie mir, es<br />

gibt sehr viele Väter in der Schweiz,<br />

die nicht einfach den «Zahl-Papi»<br />

mimen wollen und die sich gerne<br />

intensiver an der Kinderbetreuung<br />

beteiligen möchten. Leider wird<br />

ihnen genau das oft von der Mutter<br />

verweigert. Es ist genauso eine Realität,<br />

dass es immer noch Mütter gibt,<br />

die es darauf absehen, dass der<br />

Kindsvater in erster Linie Alimente<br />

bezahlt und sie ihn damit aus dem<br />

Alltag mit den Kindern erfolgreich<br />

entfernt haben.<br />

«Erfolgreich entfernt»? Das tönt nach<br />

Kriegsvokabular.<br />

Es ist ein harter Begriff, aber er trifft<br />

in vielen Fällen, die ich kenne, zu.<br />

Auch gewissenhaften Vätern, die<br />

sich nicht einfach aus der Verantwortung<br />

stehlen, wird unter dieser<br />

Prämisse das Leben sehr schwer<br />

gemacht. Darunter leiden viele Väter.<br />

Das führt so manchen in Depressionen<br />

und in Verlustängste, die er nur<br />

schwer bewältigen kann.<br />

Wen machen Sie dafür verantwortlich?<br />

Es sind die Behörden und die<br />

Gerichte, die nicht anerkennen, dass<br />

es sehr viele kooperative Väter gibt<br />

da draussen, die sich ihrer Aufgabe<br />

stellen und die das Feld nicht einfach<br />

der Mutter überlassen wollen. Leider<br />

würdigen viele Mütter nicht, dass es<br />

auch für ihren persönlichen Alltag<br />

ein Vorteil bedeuten kann, wenn sie<br />

einen engagierten Ex-Mann zur Seite<br />

haben. Sie priorisieren Autonomie<br />

gegenüber Entlastung. Wenn Eltern<br />

den Karren gemeinsam ziehen, ist<br />

das für alle Beteiligten eine Bereicherung.<br />

Insbesondere für die Kinder,<br />

die damit erfahren, dass Mami<br />

und Papi sich gemeinsam um ihre<br />

Anliegen kümmern. Das ist für die<br />

Entwicklung eines Kindes von grosser<br />

Bedeutung, weil es geprägt wird<br />

dadurch und sein Urvertrauen<br />

stärkt.<br />

Sie implizieren damit, dass die Gerichte<br />

und die Kinderschutzbehörden häufig<br />

falsch entscheiden und auf einem<br />

Auge blind sind, indem sie die Väter<br />

partout nicht einbeziehen wollen?<br />

Das ist leider so. Ich muss fairerweise<br />

aber auch sagen, dass sich langsam,<br />

aber stetig auch ein Paradigmenwechsel<br />

abzeichnet und dass es<br />

immer mehr Behörden gibt, die den<br />

Mut haben, ausgewogen zu entscheiden.<br />

Das ist ein Gewinn für unseren<br />

Verein und seine Anliegen.<br />

Seit Juli 2014 wird in der Schweiz die<br />

elterliche Verantwortung im Trennungsfall<br />

(ungeachtet, ob Scheidung<br />

oder Trennung) neu geregelt. Was bislang<br />

schriftlich beantragt werden<br />

musste, wird neu zum Regelfall, nämlich<br />

die gemeinsame elterliche Sorge<br />

für die gemeinsamen Kinder.<br />

Dafür haben wir hartnäckig gekämpft,<br />

und ja, es ist eine erfreuliche<br />

Entwicklung. Es stärkt die Situation<br />

der engagierten Väter. Aber der<br />

Schein soll nicht trügen, es gibt<br />

«Ich kenne viele Väter, denen<br />

nach einer Trennung<br />

verweigert wird, sich an der<br />

Kinderbetreuung zu beteiligen.»<br />

immer noch viel zu tun. Solange wir<br />

Richterinnen und Richter haben, die<br />

Väter und ihre Anliegen nicht gebührend<br />

berücksichtigen, müssen wir<br />

immer wieder intervenieren.<br />

Sind es denn in Ihrer Wahrnehmung<br />

vor allem die feministischen Richterinnen,<br />

die bei Scheidungsurteilen zu<br />

Lasten von Vätern entscheiden?<br />

Meine Antwort wird Sie vermutlich<br />

erstaunen, denn: nein. Es sind bei<br />

Weitem nicht nur die weiblichen<br />

Richterinnen, die zu Lasten von<br />

Vätern entscheiden, weil sie in erster<br />

Linie auf der Seite der Frau stehen.<br />

Viel öfters sind es konservative und<br />

verbohrte männliche Richter, die<br />

finden: Die Frau muss um jeden Preis<br />

die Kinder kriegen, der Vater kann<br />

gefälligst bezahlen. Dies hat vermutlich<br />

viel öfter mit der persönlichen<br />

Lebensrealität des jeweiligen Richters<br />

zu tun als mit derjenigen der<br />

Menschen, die vor dem Gericht stehen.<br />

Und das bedeutet für Sie?<br />

Dass wir weiterhin sehr viel Arbeit<br />

haben, denn es geht uns immer um<br />

die Sache. Bei Scheidungen geht es<br />

in erster Linie um das Wohlergehen<br />

der gemeinsamen Kinder. Gender-<br />

Gedanken oder der sogenannte<br />

«Geschlechterkampf» haben in diesen<br />

Situationen nichts verloren. Das<br />

verstehen wir unter elterlicher Verantwortung.<br />

>>><br />

28 SEPTEMBER <strong>2015</strong>


Publireportage<br />

Dossier<br />

Spannende Geschichten für Gross<br />

und Klein – die Schweizer Museen.<br />

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SEPTEMBER <strong>2015</strong>29


Dossier<br />

Essay<br />

«Ich bin den Weg des Glücks gegangen» Text: Martina Bortolani<br />

Neulich haben wir zwei Katzenbabys<br />

bekommen. Nicht sonderlich unverhofft,<br />

denn unsere Katzendame<br />

verbrachte die Tage und Nächte im<br />

Freien, und so lag es auf der Hand,<br />

dass wir uns irgendwann freuen<br />

konnten. Als die Babykatzen eines<br />

Morgens friedlich in ihrem Korb<br />

bei der Mutter lagen, sagte ich zu<br />

meinen Kindern: «Sie ist eigentlich<br />

wie ich: alleinerziehend.» Meine<br />

Tochter, 11, reagierte sehr vehement:<br />

«Überhaupt nicht! Du bist doch gar<br />

nicht alleinerziehend. Papi ist ja auch<br />

da.» Mein Sohn, 9, nickte energisch.<br />

Ich brauchte einen Moment, um<br />

zu begreifen. Meine Kinder empfinden<br />

mich ganz offenbar nicht als alleinerziehend.<br />

Ich hingegen verwendete<br />

einen Begriff, über den ich nie richtig<br />

nachgedacht hatte. Denn ich empfinde<br />

den Begriff «alleinerziehend» ebenfalls<br />

meiner Situation als nicht würdig.<br />

Mein Ex-Mann und ich haben nicht<br />

nur die gemeinsame elterliche Sorge<br />

vereinbart, sondern ich fühle mich<br />

auch nicht «allein» in meinen Verpflichtungen.<br />

Der Vater der Kinder nimmt<br />

seine Verantwortung nämlich durchaus<br />

wahr und entlastet mich in vielen<br />

Punkten. Die Kinder übernachten<br />

während der Woche mindestens ein<br />

Mal bei ihm und verbringen regelmässig<br />

auch Wochenenden bei ihm. Wir<br />

sprechen uns ab, wenn es um erzieherische<br />

Fragen geht, und zanken uns<br />

weiterhin, wenn diese ins Detail gehen.<br />

Wir denken und funktionieren als<br />

Familie, doch wir leben getrennt. Ist<br />

das so verkehrt?<br />

Ich möchte nichts beschönigen.<br />

Es ist der grosse Wunsch jedes Kindes,<br />

dass Mami und Papi zusammenbleiben.<br />

Diesen zarten Wunsch würde ich<br />

meinen Kindern nie absprechen<br />

wollen. Und ja, natürlich plagt mich<br />

deshalb immer wieder ein schlechtes<br />

Gewissen – genau darum, weil ich<br />

meinen Kindern diese romantische<br />

Familiensituation nicht bieten kann,<br />

nicht bieten konnte.<br />

30 SEPTEMBER <strong>2015</strong>


In meinem Alltag erlebe ich es so, dass<br />

meine Kinder gut mit einem Elternteil<br />

umgehen können, das seinen Weg<br />

geht. Ich bin – ohne die vielen guten<br />

Seiten des Kindsvaters ausser Acht<br />

zu lassen – in dem Moment, als<br />

wir uns getrennt haben, den Weg<br />

der Autonomie und schliesslich des<br />

subjektiven Glücksempfindens<br />

gegangen.<br />

Bin ich deswegen aber eine Egoistin,<br />

die ihre Kinder traumatisiert hat mit<br />

dieser Entscheidung? Ist es für Kinder<br />

nicht viel wichtiger, zu erfahren, dass<br />

ihr Mami oder ihr Papi in der Lage ist,<br />

den Weg des Glücks zu gehen? Anstatt<br />

jahrelang in einer unglücklichen<br />

Beziehung zu leben und nichts<br />

dagegen zu unternehmen. Und dies<br />

nur, weil doch Eltern – den Kindern<br />

zuliebe! – zusammenbleiben sollten.<br />

Wenn Eltern in der Lage sind, ihre<br />

persönlichen und emotionalen<br />

Trennungsfehden auf rücksichtsvolle<br />

Art auszutragen, leiden Kinder sicher<br />

nicht mehr darunter, als wenn sie bei<br />

Eltern aufwachsen, sie zwar zusammenbleiben,<br />

sich aber ständig streiten.<br />

Man darf als getrennt lebende Elternteile<br />

auch mal ein neues Selbstbewusstsein<br />

entwickeln. Man macht<br />

nämlich vieles auch: sehr richtig.<br />

Ein Sprichwort sagt: Perfekte Eltern<br />

machen rund hundert Fehler am Tag,<br />

nicht perfekte etwa die Hälfte davon<br />

und ganz normale ein paar pro Tag.<br />

Ja, ich bin keine perfekte Mutter. Aber<br />

ich bin authentisch. Und ich versuche<br />

meinen Kindern vorzuleben, dass<br />

Glücklichsein im Leben manchmal<br />

mehr Wert hat, als sich der Norm<br />

anzupassen.<br />

Wenn ich jeweils die Paare an den<br />

Elternabenden in der Schule erlebe,<br />

die Innigkeit vorspielen, sich aber<br />

längst nichts mehr zu sagen haben,<br />

empfinde ich meinen Weg als der<br />

geradlinigere. Und das ist nicht<br />

verbittert oder neidisch gemeint.<br />

Ich kenne gottlob auch eine<br />

Handvoll Paare mit Kindern, von deren<br />

Liebe und Ehrlichkeit ich sehr überzeugt<br />

bin. Das sind und bleiben meine<br />

Vorbilder!<br />

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Dossier<br />

Alleinerziehend – 6 Fragen, 6 Antworten Text: Sina Bauer<br />

1. Wie verläuft die Scheidungskurve?<br />

Heute wird rund jede zweite Ehe<br />

geschieden. Insgesamt ging die Scheidungsrate<br />

in den vergangenen fünf<br />

Jahren aber leicht zurück. Im Jahr 2010<br />

liessen sich 22 081 Ehepaare in der<br />

Schweiz scheiden, 2014 waren es «nur»<br />

16 737.<br />

2. Wo wird am wenigsten geschieden?<br />

In katholischen Regionen. In den Kantonen<br />

Uri, Nidwalden, Appenzell<br />

Innerrhoden und Graubünden waren<br />

es 2013 weniger als 1,5 Scheidungen<br />

auf 1000 Einwohner.<br />

3. Lassen sich Kinder von geschiedenen<br />

Eltern öfters scheiden?<br />

Ja. Studien belegen, dass das Scheidungsrisiko<br />

an die nächste Generation<br />

weitergegeben wird. Lebten die Eltern<br />

geschieden, ist die Wahrscheinlichkeit<br />

signifikant höher, dass auch die Ehe der<br />

Kinder scheitert.<br />

4. Welches Kindsalter ist psychologisch<br />

betrachtet am kritischsten für<br />

eine Scheidung?<br />

In jedem Alter kann eine Trennung<br />

Spätfolgen verursachen. Die US-Psychologin<br />

Judith Wallerstein hat 60 Ehepaare<br />

mit insgesamt 131 Kindern seit<br />

ihrer Scheidung im Jahr 1970 begleitet,<br />

kontinuierlich befragt und festgestellt:<br />

Scheidungskinder im Teenager-Alter,<br />

in dem die erste sexuelle Orientierung<br />

und Partnersuche ansteht, empfinden<br />

den Zusammenbruch der Familienstruktur<br />

als dramatischer und stärker<br />

belastend als Kleinkinder.<br />

5. Wie schaffen es Alleinerziehende,<br />

im Job Karriere zu machen?<br />

In der Schweiz arbeiten rund 60 Prozent<br />

aller alleinerziehenden Mütter und<br />

Väter Teilzeit. Oft stellen sie dabei ihre<br />

Selbstverwirklichung und Träume<br />

zurück, da sie in erster Linie Geld verdienen<br />

müssen. Vor allem Frauen wählen<br />

eine Anstellung häufig nach den<br />

Kriterien «flexible Arbeitszeiten» oder<br />

«adäquate Betreuungsmöglichkeiten»<br />

aus. In diesen Arbeitsverhältnissen<br />

macht man selten Karriere.<br />

6. Wie funktionieren Patchwork-Konstellationen<br />

am besten?<br />

Es ist ein Mythos, das Patchwork-<br />

Modelle reibungslos funktionieren.<br />

Patchwork heisst nicht, dass man etwas<br />

«zusammenflickt», sondern man vielmehr<br />

etwas Neues «kreiert». Oftmals<br />

vergessen Eltern, wie es den Kindern in<br />

einer solchen Situation ergeht. Sie sind<br />

verliebt, wollen mit dem neuen Partner<br />

ein neues Leben beginnen und können<br />

darum oft nicht verstehen, wieso ein<br />

Kind vielleicht anders denkt.<br />

Weitere Infos zum Thema<br />

finden Sie unter:<br />

www.alleinerziehend.ch<br />

www.singlemitkind.ch<br />

www.familienleben.ch<br />

Anlaufstellen im Internet<br />

für Einelternfamilien:<br />

SVAMV – Schweizerischer<br />

Verband alleinerziehender<br />

Mütter und Väter; www.svamv.ch<br />

Verein für elterliche Verantwortung;<br />

www.vev.ch<br />

Kanton Basel, Infostelle für<br />

Alleinerziehende: www.eifam.ch<br />

Kanton Zürich, Erstberatungsstelle<br />

für Einelternfamilien,<br />

www.1eltern.ch<br />

Buchtipp<br />

Margret Bürgisser:<br />

Gemeinsam Eltern<br />

bleiben – trotz Trennung<br />

oder Scheidung.<br />

Hep Verlag, 2014, Fr. 39.–<br />

Im nächsten Heft:<br />

Medienkompetenz<br />

Foto: fotolia<br />

Wie viel Computer ist gut für mein Kind? Was<br />

machen Eltern, wenn sie merken, dass ihr<br />

Kind pornografische Seiten aufruft? Auf diese<br />

und viele weitere Fragen geben wir Antwort –<br />

im Medien-Dossier in der Oktober-Ausgabe.<br />

32 SEPTEMBER <strong>2015</strong>


Dossier<br />

Damit einzigartige Begegnungen<br />

möglich sind: Wir unterstützen<br />

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SEPTEMBER <strong>2015</strong>33


Monatsinterview<br />

«Glückliche Kinder wissen,<br />

was sie können und wollen»<br />

Wie können das Glück und die Zufriedenheit von Kindern, Erwachsenen und somit<br />

der ganzen Gesellschaft gestärkt werden? Mit dieser Frage beschäftigt sich<br />

Ernst Fritz-Schubert, ehemaliger Schulleiter und systemischer Therapeut, mit<br />

seinem Team. Ein Gespräch über Selbstfindung, die Fähigkeit, eigene Stärken zu<br />

nutzen, und das Schulfach «Glück». Interview: Eveline von Arx Fotos: Michael Hudler / 13 Photo<br />

Die Wohnung von Ernst Fritz-Schubert<br />

und sein gemeinnütziges Institut<br />

zur Stärkung der Persönlichkeit und des<br />

Wohlbefindens liegen in einem über<br />

100-jährigen Haus am Philosophenweg<br />

in Heidelberg. Das Interview findet<br />

im Wohnzimmer statt. Ein gemütlicher<br />

Raum mit alten, antiken Möbeln<br />

und einem wunderbaren Ausblick auf<br />

den romantischen Garten. Wenn<br />

Ernst Fritz-Schubert spricht und<br />

erklärt, tut er dies engagiert und mit<br />

leuchtenden Augen.<br />

Sie sagen, dass Kinder, die für ihr<br />

Wohlbefinden sorgen können, besser<br />

vor psychischen Problemen geschützt<br />

seien.<br />

Ja – und dabei geht es um ein längerfristiges<br />

Wohlbefinden, also um Zufriedenheit.<br />

Drei Themen sind dabei<br />

zentral: Wie kann ich zu guten Gefühlen<br />

kommen? Wie entwickle ich<br />

Engagement? Und wie schaffe ich es,<br />

erfüllende Beziehungen zu haben?<br />

Besonders bedeutend ist dabei der<br />

Glaube an sich selbst, an die eigene<br />

Einzigartigkeit und daran, dass ich<br />

im Besitz von Stärken bin. Um diese<br />

zu erkennen, brauchen wir Men-<br />

«Um sich selber auch<br />

leiden zu können,<br />

sollte man seine<br />

Stärken kennen.»<br />

schen um uns, die uns positive Rückmeldungen<br />

geben, uns spiegeln und<br />

wertschätzen.<br />

Und was passiert mit den Kindern, die<br />

kaum erfahren, welches ihre Stärken<br />

sind, und die wenig über ihre Bedürfnisse<br />

Bescheid wissen?<br />

Das sind oft die Kinder, die sich anpassen<br />

müssen, mit dem Strom fliessen.<br />

Oder sie zeigen möglicherweise<br />

aggressives Verhalten, um sich vermeintlich<br />

stark zu fühlen, oder werden<br />

depressiv. Und weil sie ihre Stärken<br />

nicht kennen, können sie sich<br />

selber auch nicht wirklich leiden.<br />

Viele Kinder wissen mehr über ihre<br />

Schwächen als über ihre Stärken.<br />

Überall wird nach Fehlern und Pannen<br />

gesucht – und nicht nach unseren<br />

Schätzen! Wir müssen aber unse-<br />

re Schätze kennen, sie benutzen und<br />

damit umgehen lernen. Wenn ich<br />

etwas gut kann, fühle ich mich auch<br />

wohl damit.<br />

Die wichtigste Frage lautet also: Wer<br />

bin ich? Wie finde ich das heraus?<br />

Ernst Fritz-Schubert erhebt sich von<br />

seinem Sessel und holt einen Ball und<br />

einen dicken roten Faden aus seinem<br />

Arbeitszimmer. Er wirft der Journalistin<br />

den Ball zu mit der Bemerkung:<br />

Der wird in Ihren Händen nun zu<br />

einem Stärkeball! Sagen Sie also<br />

spontan, was Sie gut können, und<br />

werfen Sie mir den Ball zurück! Ernst<br />

Fritz-Schubert und die Journalistin<br />

beginnen, sich den Ball gegenseitig<br />

zuzuwerfen und nennen abwechslungsweise<br />

ihre Stärken. Nun gibt er<br />

der Journalistin den roten Faden in<br />

die Hand mit der Aufforderung: Stellen<br />

Sie sich drei Ereignisse vor, die<br />

für Sie wichtig waren in Ihrem bisherigen<br />

Leben! Überlegen Sie für ein<br />

Ereignis, mit welchen Stärken Sie aus<br />

diesem hervorgegangen sind und<br />

wie Sie es bewältigen konnten! Die<br />

Journalistin lässt sich auf die Übung<br />

ein und erzählt von sich und einem<br />

Ereignis, das für sie von besonderer<br />

34 SEPTEMBER <strong>2015</strong>


Bedeutung war. Darauf fasst Ernst<br />

Fritz-Schubert zusammen: Sie haben<br />

mit Hilfe Ihrer Erinnerung Stärken<br />

und Kräfte aktiviert, die in Ihnen<br />

stecken – und die Sie für vieles andere<br />

auch brauchen können. Diese<br />

kurzen Übungen zeigen, wie auch<br />

Kinder herausfinden, welches ihre<br />

Stärken sind, was zu ihnen gehört<br />

und was sie ausmacht. Denn wenn<br />

ich weiss, wer ich bin und welches<br />

meine Möglichkeiten sind, finde ich<br />

meinen Platz in dieser Welt. Das ist<br />

ein sehr befriedigendes Gefühl.<br />

Welche Stärke besitzen Sie denn seit<br />

Ihrer Kindheit?<br />

Ich fahre seit meiner Jugend Rennrad.<br />

Heute bin ich 67 und tue dies<br />

immer noch – und es macht mir<br />

unglaublichen Spass, den Berg herunterzufahren<br />

oder mit anderen<br />

mithalten zu können, die vielleicht<br />

jünger sind als ich. Schon als Jugendlicher<br />

fühlte ich mich sehr gut, wenn<br />

ich auf dem Rennrad trainieren<br />

konnte. Und ich habe dabei Stärken<br />

eingeübt wie Durchhaltewille und<br />

Ausdauer, die mir auch in anderen<br />

Bereichen nützlich geworden sind.<br />

Wenn wir also wissen, wie wir unsere<br />

Stärken aktivieren können, geht<br />

es uns gut. In der Schule, dem Ort,<br />

wo Kinder unzählige Stunden ihres<br />

Lebens verbringen, passiert das leider<br />

oft zu wenig.<br />

Wie meinen Sie das?<br />

Viele Kinder lernen bis zu dem Zeitpunkt,<br />

wo sie in die Schule kommen,<br />

extrem motiviert, fallen hundertmal<br />

hin und stehen wieder auf, um beispielsweise<br />

laufen zu üben. Doch<br />

dann werden sie eingeschult, und<br />

dieses intrinsisch motivierte Lernen<br />

liegt zusehends brach. Das Schönste<br />

an der Schule sind dann für viele<br />

Kinder noch die Pausen und die<br />

Ferien. Es gibt den Spruch: Der Lehrer<br />

legt eine künstliche Fährte aus,<br />

und die Schüler tun so, als nähmen<br />

sie diese auf. Kinder sind in der<br />

Schule fremdbestimmt, werden<br />

benotet, sie werden richtiggehend<br />

funktionalisiert. Sie gestalten nicht<br />

selber, der Glaube an das Eige- >>><br />

Ernst Fritz-Schubert –<br />

zufrieden auf seiner<br />

Veranda.<br />

SEPTEMBER <strong>2015</strong>35


Der Unterricht soll<br />

praxisbezogen<br />

sein. Auch im<br />

Interview mag es<br />

Fritz-Schubert<br />

anschaulich.<br />

36 SEPTEMBER <strong>2015</strong>


ne wird nicht entwickelt. In der<br />

Schule erfolgreich zu sein, heisst,<br />

aufpassen, mitschreiben, reproduzieren,<br />

nicht allzu oft dem Lehrer<br />

widersprechen – also mehr oder<br />

weniger windschnittig werden.<br />

Wie wäre das Lernen aus Ihrer Sicht<br />

denn sinnvoller?<br />

Am besten würden Kinder und<br />

Jugendliche beispielsweise lernen,<br />

indem sie auch selbst lehren, also das<br />

Gelernte an andere weitergeben.<br />

Und wenn ich das Gelernte zudem<br />

anwenden kann, treibt mich dies<br />

ebenfalls an. Der Erwerb einer<br />

Fremdsprache könnte etwa mit<br />

anderen Jugendlichen zusammen<br />

geschehen, die diese Sprache reden.<br />

Beim Lernen braucht es einen Bezug<br />

zum Alltag, zur Praxis. Und vor<br />

allem ist es auch Aufgabe der Lehrperson,<br />

mit den Kindern herauszufinden,<br />

was diese gut können. Die<br />

«Lernen kann dann<br />

glücklich machen,<br />

wenn sich Lehrer<br />

wirklich auf die<br />

Kinder einlassen.»<br />

Beziehung zum Lehrer ist dabei von<br />

zentraler Bedeutung. Wenn der Lehrer<br />

zum Beispiel sagt: Mathematik<br />

ist wichtig, ihr könnt mir vertrauen<br />

– und er diese Überzeugung auch<br />

wirklich ausstrahlt und lebt, dann<br />

identifizieren sich die Schüler mit<br />

ihm und den Inhalten, die er ihnen<br />

vermittelt, und das Lernen kann<br />

funktionieren. Der Lehrer muss den<br />

Kindern natürlich auch erklären,<br />

wozu Mathematik nützlich ist. Er<br />

überträgt seine Begeisterung auf die<br />

Schüler, und so finden Widerhall<br />

und Resonanz statt. Doch dies bedingt,<br />

dass sich der Lehrer auf diesen<br />

Entwicklungsprozess mit seinen<br />

Schülern einlässt.<br />

Wie macht er das?<br />

Indem auch der Lehrer sich in Selbstbildung<br />

übt und um seine Stärken<br />

weiss. Und es braucht eine Beziehungsbasis<br />

zwischen Lehrer und<br />

Schüler, die auf Ehrlichkeit und<br />

Offenheit beruht. So wird es dem<br />

Lehrer auch möglich, sich echt zu<br />

zeigen, vielleicht einmal morgens vor<br />

die Klasse zu stehen und zu sagen,<br />

dass es ihm heute nicht besonders<br />

gut gehe, weil er auf der Hinfahrt<br />

eine Busse kassiert hat. Er kann dies,<br />

weil er vor den Schülern nicht verbergen<br />

muss, wie er sich fühlt. Und<br />

dann lädt er die Kinder vielleicht ein,<br />

Ideen anzubringen, damit aus dem<br />

Unterricht doch noch was wird, im<br />

Sinne von: Lasst euch etwas einfallen,<br />

um meine Laune zu heben ...!<br />

All diese grundlegenden Dinge, von<br />

denen Sie sprechen, sollen Kinder im<br />

Schulfach «Glück», das Sie initiiert<br />

haben, lernen. Wie geschieht das?<br />

Die Kinder erfahren, wer sie sind<br />

und was sie können und brauchen,<br />

um ihre Stärken umzusetzen. Dieser<br />

Persönlichkeitsbildungsprozess passiert<br />

in sechs Stufen. Zuerst lernen<br />

die Schüler ihre Stärken kennen.<br />

Dann setzen wir uns damit auseinander,<br />

welche Träume die Kinder<br />

haben. Und sie lernen zu entscheiden,<br />

zu planen und umzusetzen.<br />

Und ganz wichtig ist immer auch die<br />

Reflexion – das vertiefte Nachdenken.<br />

Wer dies kann, dem nützt es für<br />

sehr viel anderes im Leben ebenfalls.<br />

Das Schulfach «Glück» wird als<br />

separate Unterrichtseinheit angeboten?<br />

Will eine Lehrperson diese grundlegenden<br />

Inhalte auch im Mathematik-<br />

oder im Sprachunterricht einbauen,<br />

umso besser! Wenn der<br />

Lehrer etwa zu seinen Schülern sagt:<br />

Wir möchten nun gemeinsam ein<br />

bestimmtes Lernziel erreichen, und<br />

wir überlegen uns jetzt, welche Stärken<br />

wir alle haben, wie wir mit diesen<br />

umgehen und so zum Ziel kommen.<br />

Dann kann er mit den Schülern<br />

den Fragen nachgehen: Woran merken<br />

wir, dass wir voranschreiten?<br />

Wie lernen wir, uns zu konzentrieren,<br />

zu motivieren? Und wenn man<br />

an Grenzen kommt: Wie über- >>><br />

SEPTEMBER <strong>2015</strong>37


Monatsinterview<br />

>>> winden wir diese? Welche Ressourcen<br />

Ernst Fritz-Schubert<br />

können wir aktivieren?<br />

Das klingt anspruchsvoll …<br />

Es bedingt vor allem eine Offenheit,<br />

sich auf diesen beziehungsorientierten<br />

im Gespräch mit<br />

Eveline von Arx vom<br />

ElternMagazin<br />

Fritz+Fränzi.<br />

Lernprozess einzulassen. Ich<br />

gebe Ihnen ein Beispiel: Ich bin<br />

sportpsychologischer Berater der<br />

Jugendförderung eines Bundesligafussballvereins.<br />

Wir hatten einmal<br />

ein intensives Gespräch mit einem<br />

Spieler aus einer Mannschaft – einem<br />

Stürmer –, und man darf sagen, dass<br />

dieser Jugendliche aus seiner Position<br />

heraus eher ichbezogen unterwegs<br />

war. Dabei stellte sich heraus,<br />

dass dieser junge Mann das Bedürfnis<br />

hatte, in der Mannschaft besser<br />

aufgenommen zu sein, also sozialer<br />

zu werden. Die anderen im Team<br />

waren zuerst skeptisch: Sollte es<br />

ihrem Kollegen tatsächlich gelingen,<br />

sich mehr auf die Gruppe einzulassen?<br />

Wir fingen an, an seinen Stärken<br />

zu arbeiten, die hilfreich sein könnten,<br />

um dieses Ziel zu erreichen. Und<br />

so kamen wir auf seinen Humor. Der<br />

junge Stürmer hatte die Fähigkeit,<br />

über sich selber zu lachen – und dies<br />

machte ihn sympathisch. Indem er<br />

sich nun vermehrt auf diese Stärke,<br />

eben seine Selbstironie, konzentrieren<br />

sollte, lernte er nicht nur sich<br />

selber besser kennen, sondern machte<br />

auch die Erfahrung, wie er seine<br />

Stärken nutzen konnte.<br />

Hat die Umsetzung also funktioniert?<br />

Ja, vier Wochen später war die Begeisterung<br />

über die eingetretene Veränderung<br />

in der gesamten Mannschaft<br />

spürbar. Der vormals eher<br />

selbstbezogene Stürmer war inzwischen<br />

viel sozialer geworden! Solche<br />

Fortschritte können nur dann geschehen,<br />

wenn eine Offenheit da ist<br />

und es auch möglich ist, eigene Bedürfnisse<br />

anzubringen, man sich also<br />

für diese nicht zu schämen braucht.<br />

Verändern sich Kinder und Jugendliche,<br />

allenfalls ganze Schulklassen, die<br />

in «Glück» unterrichtet wurden?<br />

Aussagen zur Selbsteinschätzung der<br />

Schüler, die das Schulfach «Glück»<br />

weiss jetzt genauer, was ich will und<br />

was ich nicht will.» Oder: «Ich hätte<br />

nie gedacht, dass wir so viele nette<br />

Mitschüler in unserer Klasse haben.»<br />

Zudem berichten die Lehrer über<br />

selbstbewusstere und engagiertere<br />

Schüler. Die durchgeführten Evaluationen<br />

bestätigen diese Eindrücke.<br />

Es konnte eine Zunahme der Selbstwirksamkeit,<br />

des Selbstvertrauens<br />

und ein gewachsenes und stabileres<br />

Selbstwertgefühl empirisch festgestellt<br />

werden. Das sind alles wichtige<br />

Voraussetzungen für die seelische<br />

Gesundheit und starke Persönlichkeiten.<br />

Selbsterkenntnis macht glücklich?<br />

Ja, aber das Erkennen alleine reicht<br />

noch nicht, man muss die Erkenntnisse<br />

dann auch leben, umsetzen und<br />

üben. Dazu gehört, sich selber und<br />

anderen gegenüber achtsam zu sein.<br />

Sind Sie glücklich?<br />

Glück ist für mich kein Endzustand,<br />

sondern vielmehr ein Prozess. Dauernd<br />

glücklich zu sein, wäre mit der<br />

Zeit langweilig. Ich freue mich, dass<br />

ich das Leben mit Menschen, die ich<br />

gerne mag, geniessen darf. Und ich<br />

bin bereit, mich Herausforderungen<br />

zu stellen, an denen ich wachsen<br />

besuchten, lauten zum Beispiel: «Ich kann.


Psychologie & Gesellschaft<br />

Kinder zu Wort kommen lassen<br />

Kinder sollen behütet und beschützt und in einer kindgerechten Umgebung<br />

aufwachsen. Zugleich haben sie auch ein Recht darauf, ihre Meinung<br />

frei zu äussern und angehört zu werden. Doch wie sieht es mit dem<br />

Mitbestimmungsrecht im Alltag der Kinder wirklich aus? Text: Susan Edthofer<br />

Ich möchte ins Bett gehen, wann ich will, und<br />

essen, was mir schmeckt. Ich möchte in der Schule<br />

nur noch Dinge lernen, die mich interessieren.<br />

Ich möchte, dass es auf dem Spielplatz eine zehn<br />

Meter lange Rutschbahn hat. So etwa klingt es,<br />

wenn Kinder nach ihren Wünschen gefragt werden.<br />

«Kinder an die Macht», singt Herbert Grönemeyer in<br />

einem Lied und fordert: «Gebt den Kindern das Kommando<br />

…» und «die Welt gehört in Kinderhände».<br />

Auch wenn man es nicht so absolut betrachtet, Kinder<br />

sollen angehört werden und mitbestimmen dürfen.<br />

Es geht also darum, zu klären, wie sie einbezogen werden.<br />

Wie viel Mitbestimmung steht ihnen in der Familie<br />

zu? Wie viel in der Schule? Wie viel bei der Gestaltung<br />

von Spiel- und Pausenplätzen?<br />

Kinder als Persönlichkeit wahrnehmen<br />

Noch vor hundert Jahren wurden Kinder als Eigentum<br />

der Eltern betrachtet. Sie waren wehrlos und wurden oft<br />

missbraucht. Nur allmählich setzte sich das Bewusstsein<br />

durch, dass Kinder besonderen Schutz benötigen. Inzwischen<br />

werden ihnen eigene Rechte zugestanden, und<br />

ihr Wohl steht im Vordergrund. 1997 hat auch die<br />

Schweiz die UNO-Kinderrechtskonvention unterschrieben<br />

und sich verpflichtet, die Umsetzung zu garantieren.<br />

Eltern müssen dafür sorgen, dass es ihrem Kind gut<br />

geht, seine Bedürfnisse gedeckt sind, es gesund bleibt,<br />

sich altersentsprechend entwickelt, in die Schule gehen,<br />

lernen, spielen und mit Kindern zusammen sein kann.<br />

Das Recht der Kinder, ihre Meinung zu äussern und<br />

angehört zu werden, ist in den Kinderrechten ebenso<br />

verbrieft wie das Recht auf eine gewaltfreie Erziehung<br />

und der Schutz vor sexueller Ausbeutung. Doch die<br />

meisten Kinder kennen diese Rechte nicht. Wichtig<br />

wäre, dass sie darüber Bescheid wissen und ihnen bewusst<br />

ist, dass Erwachsene diese Rechte einhalten müssen.<br />

Wie wird Partizipation (Mitsprache) im Alltag<br />

gelebt und können Kinder und Jugendliche in der Familie,<br />

Schule oder bei der Gestaltung ihrer Freiräume wirklich<br />

mitreden? Wie viel Mitbestimmung<br />

gestehen wir Kindern in der Schweiz zu?<br />

«Kinder müssen<br />

wissen, dass die<br />

Erwachsenen die<br />

Kinderrechte<br />

einzuhalten haben.»<br />

Susan Edthofer ist<br />

Alltagsthemen unter der Lupe<br />

Redaktorin im Bereich<br />

Kommunikation<br />

«Erwachsene und Kinder haben eine unterschiedliche<br />

Auffassung davon, was Partizi-<br />

von Pro Juventute.<br />

pation heisst», schreibt die UNICEF im<br />

November 2014 in der Auswertung der Studie Partizipation<br />

von Kindern und Jugendlichen in der Schweiz.<br />

Von 2012 bis 2014 untersuchte die Studie «Von der<br />

Stimme zur Wirkung» Veränderungen der letzten zehn<br />

Jahre. Im Vergleich zu früher schätzen Kinder und<br />

Jugendliche innerhalb der Familie die Möglichkeit zur<br />

Mitbestimmung als grösser ein. Bei individuellen Fragen<br />

zu Freundschaften oder Schlafenszeiten ist sie relativ<br />

hoch, bei Themen, welche die gesamte Familie betreffen,<br />

wie Ferienziel, Haustier ja oder nein, hingegen eher klein.<br />

Und autoritär erzogene Kinder erleben sich als weniger<br />

mitbestimmend als liberaler erzogene Kinder.<br />

Aus Sicht der Kinder bleibt in der Schule wenig Spielraum<br />

zum Mitgestalten. Partizipation beschränke sich<br />

zu einseitig auf schulische Projekte. Sie finden, dass<br />

Entscheidungen mehrheitlich von Erwachsenen gefällt<br />

werden. Bei der Einbindung der Kinder besteht noch<br />

Verbesserungspotenzial. Im Zusammenhang mit Freiräumen<br />

befasst sich Pro Juventute intensiv mit dem<br />

Thema Partizipation. Vor Jahren setzte die Stiftung mit<br />

den Robinson Spielplätzen einen neuen Trend. Wie die<br />

Spielplätze ist auch das Thema nach wie vor aktuell.<br />

Pro Juventute Elternberatung<br />

Die Elternberatung ist ein Programm von Pro Juventute für alle Eltern und<br />

Bezugspersonen von Kindern und Jugendlichen. Fragen zum Familienalltag,<br />

zur Erziehung, zur Schule können jederzeit telefonisch, 058 261 61 61, oder<br />

per Mail auf www.projuventute-elternberatung.ch gestellt werden. Ausser<br />

den normalen Telefongebühren fallen keine Kosten an. In den Elternbriefen<br />

und Extrabriefen finden Eltern Informationen für den Erziehungsalltag.<br />

Mehr Infos: www.projuventute.ch<br />

SEPTEMBER <strong>2015</strong>39


Psychologie & Gesellschaft<br />

Was macht ein Kind<br />

sozial kompetent?<br />

Wie entwickeln Kinder soziale Kompetenzen in einer globalisierten<br />

Welt? Wichtig ist, dass sie ein Gleichgewicht zwischen Autonomie<br />

und sozialer Eingebundenheit finden. Text: Rafael Carvalho<br />

«Eltern müssen die<br />

Betreuungsgewohnheiten<br />

und Traditionen ihres<br />

Umfelds berücksichtigen.»<br />

Eltern wünschen sich,<br />

dass aus ihren Kindern<br />

sozial kompetente Erwachsene<br />

werden. Was<br />

sie jedoch darunter verstehen,<br />

hängt von den Normen ihres<br />

Umfelds ab. In Ländern, wo Unabhängigkeit<br />

und Selbstständigkeit<br />

wichtig sind, fördern Eltern die Kinder<br />

eher im eigenständigen Denken,<br />

in der Entscheidungskompetenz<br />

und im eigenständigen Handeln. In<br />

Ländern, wo Wert auf soziale Eingebundenheit<br />

gelegt wird, neigen<br />

Eltern dazu, die Nähe zu anderen<br />

Menschen hervorzuheben. Diese<br />

Eigenschaften schliessen sich nicht<br />

aus, aber sie äussern sich unterschiedlich<br />

im jeweiligen Umfeld.<br />

Zudem sind wir als soziale Wesen<br />

auf Bindungen angewiesen, was die<br />

Entwicklung allgemeiner sozialer<br />

Fähigkeiten zur Notwendigkeit<br />

macht. Eltern haben auch da eine<br />

Vorbildfunktion.<br />

Einige Erziehungsratgeber empfehlen<br />

Elternmodelle, welche die<br />

Prägung durch die Familie und das<br />

Umfeld vernachlässigen. Solche Ratgeber<br />

mit standardisierten Zielen<br />

können oberflächlich sein und Regeln<br />

vorschreiben, die nicht auf alle<br />

zutreffen. Die Stärkung (Empowerment)<br />

der Eltern hat zum Ziel, dass<br />

Mütter und Väter ein besseres Verständnis<br />

für eine Erziehung entwickeln,<br />

die ihren Gepflogenheiten<br />

Rechnung trägt. Das ist besonders<br />

wichtig, da viele Elternratgeber-<br />

Autoren aus der entwickelten Welt<br />

stammen, in der die Mehrheit der<br />

Studien zu diesen Themen durchgeführt<br />

wird, während die Entwicklungswelt<br />

(die sogenannten Drittweltländer)<br />

in der Forschung häufig<br />

keine Beachtung findet, obwohl dort<br />

die meisten Kinder geboren werden.<br />

Die kindliche Entwicklung wird<br />

bereits vor der Geburt durch Erwartungen<br />

und familiäre Gewohnheiten<br />

der Eltern geprägt. In weiten Teilen<br />

Dr. Rafael Carvalho ist am Psychologischen<br />

Institut der Universität Rio de Janeiro<br />

Postdoktorand des Social Interaction and<br />

Development Lab (www.desin.org).<br />

4-Bett-Zimmer<br />

mit Dusche/WC<br />

inkl. Frühstück,<br />

ab CHF 193.60<br />

pro Nacht<br />

Bergbahnen<br />

inklusive<br />

Familie Wyss<br />

Wo | Jugendherberge Davos<br />

«Warum mögt ihr die Schweizer Jugendherbergen?»<br />

Marc: «Weil unsere Ferien hier herrlich unkompliziert sind.»<br />

Bettina: «Weil wir hier auch in Top-Destinationen günstig übernachten können.»<br />

40 SEPTEMBER <strong>2015</strong><br />

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KINDER ESSEN<br />

G R A T<br />

I S<br />

Hier bin ich bei mir.


der entwickelten Welt und in wohlhabenden<br />

Teilen der sogenannten<br />

Drittweltländer messen Eltern der<br />

Bildung grosse Bedeutung bei. Sie<br />

lassen ihre Kinder an entsprechenden<br />

Aktivitäten teilnehmen, die viel<br />

Freizeit beanspruchen. Dahinter<br />

steht die Absicht, die Kinder zur<br />

Eigenständigkeit zu erziehen, damit<br />

sie sich in einem wettbewerbsorientierten<br />

Umfeld besser zurechtfinden.<br />

Da kann es passieren, dass die Eltern<br />

übersteigerten Wert auf Eigenständigkeit<br />

legen und die Beziehungsfähigkeit<br />

der Kinder vernachlässigen.<br />

Ich-Bezogenheit schadet der<br />

sozialen Entwicklung<br />

Natürlich möchte niemand, dass sein<br />

Kind ohne soziale Beziehungen und<br />

isoliert von Mitmenschen aufwächst.<br />

Werden aber Werte wie Selbständigkeit<br />

und Unabhängigkeit zu stark<br />

gefördert, kann das die soziale Entwicklung<br />

beeinträchtigen. Wenn<br />

jemand extrem wettbewerbsorientiert<br />

und ichbezogen ist, kann dies<br />

der Entwicklung der sozialen Fähigkeiten<br />

schaden.<br />

Als Entwicklungsziel mit universellem<br />

Ansatz hat die türkische Wissenschaftlerin<br />

Çiğdem Kağitçibaşi<br />

eine neue Synthese vorgeschlagen.<br />

Sie stellt fest, dass die Welt sich<br />

schnell in Richtung Modernisierung<br />

entwickelt und dies dazu führt, dass<br />

besonders in Drittweltländern die<br />

Kinder mit vorherrschend kollektivistischen<br />

Werten und jene in individualistischen<br />

Gesellschaften unterschiedlich<br />

aufwachsen.<br />

Im Zuge der Globalisierung ziehen<br />

immer mehr Menschen auf der<br />

Suche nach besseren Chancen vom<br />

Land in Ballungszentren. Somit<br />

müssen immer mehr Menschen<br />

sowohl schulisch und beruflich als<br />

auch im zwischenmenschlichen<br />

Bereich mit den Anforderungen<br />

einer wettbewerbsorientierten Gesellschaft<br />

umgehen. Das erfordert<br />

ein Gleichgewicht zwischen Autonomie<br />

und sozialer Eingebundenheit,<br />

zwischen den Fähigkeiten, die<br />

den Umgang mit Gleichaltrigen und<br />

Verwandten fördern, und jenen, die<br />

die individuelle Entwicklung begünstigen<br />

– wie etwa eigenständiges<br />

Denken, Entscheidungsfähigkeit,<br />

eigenverantwortliches Handeln.<br />

In einer Gesellschaft, die sich<br />

mehr und mehr in Richtung Wettbewerb<br />

bewegt, wäre ein Gleichgewicht<br />

zwischen Autonomie und<br />

sozialer Eingebundenheit optimal.<br />

Dies verhindert, dass Kollektivisten<br />

Schwierigkeiten haben, eigenständig<br />

zu handeln, und Individualisten sich<br />

isolieren. Damit wird die kognitivsozial-emotionale<br />

Entwicklung begünstigt.<br />

Das widerspiegelt sich in<br />

einer angepassteren Form des Individualismus,<br />

da dieses Gleichgewicht<br />

beide menschlichen Bedürfnisse<br />

berücksichtigt. So entwickeln<br />

sich Kinder gesünder: Sie können<br />

eigenständig handeln und damit den<br />

urbanen, wettbewerbsorientierten<br />

Anforderungen optimaler gerecht<br />

werden, gleichzeitig aber auch auf<br />

ihre Mitmenschen eingehen.<br />

Die zukünftigen Forschungsfelder<br />

im Bereich der Elternkompetenz<br />

und Erziehung müssen also darauf<br />

ausgerichtet sein, Kinder grosszuziehen,<br />

die – unter Berücksichtigung<br />

ihrer natürlichen menschlichen Bedürfnisse<br />

– an die globalisierte Welt<br />

angepasst sind.<br />

Jacobs Foundation<br />

Als eine der weltweit führenden gemeinnützigen<br />

Stiftungen verpflichtet sich die Jacobs Foundation seit<br />

25 Jahren der Forschungsförderung im Bereich der<br />

Kinder- und Jugendentwicklung. Die Stiftung möchte<br />

künftige Generationen durch die Verbesserung ihrer<br />

Entwicklungsmöglichkeiten nachhaltig unterstützen.<br />

Ab in die frische<br />

Alpenluft!<br />

Jeden Monat verlost ELMER Citro<br />

einen Rundflug (3 Personen) und eine<br />

Ballonfahrt (2 Personen) über die<br />

herrliche Schweizer Bergwelt. Dazu<br />

gibts jede Woche weitere attraktive<br />

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Einsendeschluss 31.10.15<br />

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Aufgeklärt<br />

HILFE!<br />

Es ist aus ...<br />

Eine Beziehung zwischen Jugendlichen hält<br />

oft nicht ewig. Irgendwann stehen also die<br />

meisten vor dem Liebes-Aus. Die folgenden<br />

Tipps helfen, beim Schlussmachen fair und<br />

respektvoll zu bleiben. Text: Eveline von Arx<br />

Eveline von Arx<br />

Dr. phil. Pädagogin<br />

Foto: Geri Born, Illustration: Adão Iturrusgarai<br />

Mit Schmetterlingen im<br />

Bauch und aufregenden<br />

Fantasien im Kopf kommt<br />

es keinem Teenager in den<br />

Sinn, dass das Verliebtsein<br />

auch einmal ein Ende haben könnte. Doch die<br />

wenigsten Beziehungen unter Jugendlichen<br />

halten für immer. Irgendwann stehen also fast<br />

alle vor der Frage: Schluss machen – aber wie?<br />

Zugegeben: Es ist nicht einfach, dem anderen<br />

zu sagen, dass es aus ist. Weil wir wissen,<br />

dass wir ihn dadurch enttäuschen und ihm<br />

wehtun. Das ist unangenehm. Zudem werden<br />

wir meist von Schuldgefühlen geplagt. Entscheiden<br />

wir uns aber dazu, den Schritt zu<br />

machen und die Beziehung zu beenden, kommen<br />

wir nicht um ein persönliches Gespräch<br />

herum. Der «französische» Abschied – also<br />

wortlos gehen, ohne sich wieder zu melden<br />

– ist keine vertretbare Variante. Ausser beide<br />

haben sich wirklich gar nichts mehr zu sagen;<br />

aber wann weiss man das schon … ?<br />

Das persönliche Gespräch suchen<br />

Es ist unfair, der Auseinandersetzung auszuweichen,<br />

indem man per SMS oder E-Mail<br />

Schluss macht. Das persönliche Gespräch ist<br />

also vorzuziehen. Vielleicht am besten irgendwo,<br />

wo man nicht die schönsten und intimsten<br />

Stunden miteinander verbracht hat.<br />

Wer Schluss machen will, sagt dies am besten<br />

direkt und klar. Vorwürfe sind fehl am<br />

Platz. Ich-Botschaften wie etwa: «Meine<br />

Gefühle für dich haben sich verändert, und<br />

ich möchte Schluss machen» kommen eher<br />

an. Vielleicht wird der andere wütend oder<br />

reagiert aggressiv, möglicherweise weiss er im<br />

Wer Schluss machen will, sagt<br />

dies am besten direkt und klar.<br />

Moment auch gar nicht, was er sagen soll. Da<br />

sich allerdings meist kein vernünftiges Gespräch<br />

ergibt, empfiehlt es sich, dieses allenfalls<br />

auf später zu vertagen. Will der Verlassene<br />

kein weiteres Treffen und zuerst einmal<br />

Abstand gewinnen, so ist dies ebenfalls zu<br />

respektieren.<br />

Sich so zu verhalten, wie man selbst in<br />

einer solchen Situation behandelt werden<br />

möchte, ist auch beim Schlussmachen ein<br />

guter Rat.<br />

42 SEPTEMBER <strong>2015</strong>


Mimo verlost<br />

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6. September <strong>2015</strong><br />

Mimos Gutenachtgeschichten<br />

Die Gutenachtgeschichten-App von Mimo ist da!<br />

Lernen Sie den knuddeligen Bär der Mobiliar kennen<br />

und erzählen Sie Ihren Kindern viele spannende Geschichten.<br />

Ein besonderes Highlight sind die integrierten Soundbuttons<br />

mit lustigen Geräuschen.<br />

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Stiftung Elternsein<br />

Der Klimawandel wird sichtbar<br />

Ellen Ringier über die Gletscherschmelze und ihre Auswirkungen.<br />

Foto: Vera Hartmann / 13 Photo<br />

Dr. Ellen Ringier präsidiert<br />

die Stiftung Elternsein.<br />

Sie ist Mutter zweier Töchter.<br />

Wie jedes Jahr verbringe ich einen Teil<br />

meiner Sommerferien im Engadin.Und<br />

freue mich auf die Fahrt vom Julier ins<br />

Tal hinunter mit der Aussicht auf den<br />

schneebedeckten Corvatschgletscher.<br />

Doch in diesem Sommer war nichts<br />

mehr zu sehen. Kein Schnee, nur Resteis,<br />

so grau wie eine Geröllhalde.<br />

Als Greenpeace vor ein paar Jahren<br />

eine Postkarte in die Haushalte verschickte, die –<br />

wenn ich mich recht erinnere – den Gletscherschwund<br />

seit 2000 am Beispiel des Morteratschgletschers<br />

mit übereinandergelegten historischen Fotos<br />

dokumentierte, fanden wir das eine super Idee. Und<br />

ja, meine Familie zeigte sich vom raschen Schmelzen<br />

des vertrauten Gletschers beeindruckt, nicht aber<br />

beunruhigt oder gar erschrocken. Hatte es nicht<br />

immer schon Wärmeperioden gegeben, die Gletscher<br />

schmelzen liessen? Genauso wie es in der Geschichte<br />

der Erde längere und kürzere Eiszeiten gegeben hat,<br />

muss man doch auch mit längeren und kürzeren<br />

Wärmeperioden rechnen – oder nicht?<br />

Ich war skeptisch: War die Erderwärmung nur ein<br />

Medienhype? So wie das Waldsterben, das einst im<br />

Sommerloch alle Zeitungen füllte? Dem Wald geht es<br />

augenscheinlich ja wieder sehr gut.<br />

Doch seit diesem Sommer mit seinen langen Hitzeperioden<br />

bin ich beunruhigt. Heute glaube ich Greenpeace<br />

aufs Wort, wenn sie auf ihrer Website schreiben:<br />

«Ob in den Alpen, im Himalaja, in Afrika oder in der<br />

Arktis. Wo sich einst mächtige Eiszungen in die Täler<br />

schoben, bedecken heute vielerorts nur noch Schutt<br />

und Geröll den Boden. Überschwemmungen verbunden<br />

mit Murenabgängen und Erdrutschen sind die<br />

unmittelbaren Folgen. Langfristig droht Wasserknappheit,<br />

denn drei Viertel aller Süsswasserreserven<br />

sind im Gletschereis gespeichert. Die unverwüstlich<br />

erscheinenden Eisriesen haben einen Feind: den vom<br />

Menschen gemachten Klimawandel. Die Gletscher<br />

können der rapide voranschreitenden Erwärmung<br />

nicht mehr trotzen.»<br />

Ein Spaziergang ins Morteratschtal, auf dem der Gletscherrückgang<br />

mit Jahresdaten auf Pfosten dokumentiert<br />

wird, zwingt zur Einsicht, dass das Eis rasant<br />

weniger wird. Es ist wohl an der Zeit, von der Vorstellung<br />

vom «ewigen Eis» Abschied zu nehmen, denn<br />

«ewiges» ist in diesem Fall endlich! Da erstaunt es<br />

auch nicht, dass weltweit immer häufiger Überreste<br />

verschollener Bergsteiger wie Skelette, Eispickel und<br />

sogar Tabakdosen in den schmelzenden Gletschern<br />

gefunden werden.<br />

Wie passend, dass die Medien anfangs August eine<br />

Studie der Universität Zürich thematisierten, deren<br />

Kernaussage wohl folgende ist: «Die Eisdicke der<br />

beobachteten Gletscher nimmt derzeit jedes Jahr zwischen<br />

einem halben und einem ganzen Meter ab, das<br />

ist zwei- bis dreimal mehr als der entsprechende<br />

Durchschnitt im 20. Jahrhundert.»<br />

Liebe Eltern, wissen Ihre Kinder und Jugendlichen,<br />

dass ein grosser Teil unseres Trinkwasser-Reservoirs,<br />

nämlich 70 Prozent, im Gletscher gespeichert ist?<br />

Haben Sie die Tatsache zur Kenntnis genommen, dass<br />

die grösste Gebirgskette Zentralasiens Länder wie<br />

Kasachstan, Kirgistan, Usbekistan und Teile Chinas<br />

mit Wasser versorgt und dass der rasante Gletscherschwund<br />

diese Trinkwasserversorgung von Millionen<br />

von Menschen bereits heute gefährdet?<br />

Es besteht kein Zweifel: Die Gletscherschmelze hat<br />

einen bedeutenden Einfluss auf das Weltklima. Sie<br />

wird die Klimaerwärmung unweigerlich beschleunigen.<br />

Reicht die Zeit noch aus, um Fragen zu stellen?<br />

Oder gilt es bereits, diese dringlich zu beantworten?<br />

Zum Beispiel zu Hause, zum Beispiel in der Schule?<br />

STIFTUNG ELTERNSEIN<br />

«Eltern werden ist nicht schwer,<br />

Eltern sein dagegen sehr.» Frei nach Wilhelm Busch<br />

Oft fühlen sich Eltern alleingelassen in ihren Unsicherheiten,<br />

Fragen, Sorgen. Hier setzt die Stiftung Elternsein an. Sie<br />

richtet sich an Eltern von schulpflichtigen Kindern und<br />

Jugendlichen. Sie fördert den Dialog zwischen Eltern,<br />

Kindern, Lehrern und die Vernetzung der eltern- und<br />

erziehungsrelevanten Organisationen in der deutschsprachigen<br />

Schweiz. Die Stiftung Elternsein gibt das Schweizer<br />

ElternMagazin Fritz+Fränzi heraus. www.elternsein.ch<br />

44 SEPTEMBER <strong>2015</strong>


Leserbriefe<br />

Gut lesbar und<br />

sozial engagiert!<br />

Danke für die Jahre mit Fritz+Fränzi<br />

Guten Tag<br />

Nachdem ich jahrelang sehr interessierte Leserin von<br />

Fritz+Fränzi gewesen bin, möchte ich das Abonnement auf<br />

2016 kündigen.<br />

Meine Kinder sind nun Teenager/Erwachsene, und bis zum<br />

nächsten Jahr wird wohl auch mein jüngster Sohn gut<br />

unterwegs sein.<br />

Ich danke für die gut lesbaren, praktischen, sozial engagierten<br />

(!, wichtig) und hilfreichen Beiträge und wünsche der<br />

Zeitschrift weitere erfolgreiche Jahre!<br />

Herzliche Grüsse<br />

Claudia Weiss, Mittelhäusern (per E-Mail)<br />

Vorsicht mit «Handicap»<br />

(«Mama, was hätt dä Ma?», Heft 5/15)<br />

Danke für den Hinweis auf euren Artikel,<br />

werden wir mal über Social Media teilen. Wir finden<br />

den Text gut. Das Wort «Möngi» kannten wir noch nicht.<br />

Bei «Handicap» sind wir zurückhaltender, bevorzugen Begriffe wie<br />

«Menschen mit Behinderung» beziehungsweise «behinderte Menschen».<br />

Lilian, leidmedien.de (per Facebook)<br />

Anmerkung der Redaktion: Leidmedien.de ist eine Organisation in Deutschland,<br />

welche die Medienberichterstattung über Menschen mit Behinderung kritisch<br />

unter die Lupe nimmt. Wir haben sie um ein Feedback zu unserem Artikel gebeten.<br />

Schreiben Sie uns!<br />

Ihre Meinung ist uns wichtig. Sie erreichen uns über:<br />

leserbriefe@fritzundfraenzi.ch oder Redaktion Fritz+Fränzi,<br />

Dufourstrasse 97, 8008 Zürich. Und natürlich auch über Facebook:<br />

www.facebook.com/fritzundfraenzi<br />

und Twitter: @fritzundfraenzi<br />

Die Leserbriefe bilden die Meinung der jeweiligen Autoren ab,<br />

nicht die der Redaktion. Kürzungen behält sich die Redaktion vor.<br />

SEPTEMBER <strong>2015</strong>45


Vive la famille<br />

Die Wahlfranzösin Annika Joeres erzählt in ihrem Buch von ihrem Familienalltag und was wir<br />

von den Franzosen übers Familienglück lernen können. Für uns gibt sie einen Einblick.<br />

46 SEPTEMBER <strong>2015</strong>


Abgedruckt<br />

Illustration: Partner&Partner / iStockphotos<br />

Vielleicht hätte ich in<br />

einem anderen europäischen<br />

Land keine<br />

Kinder bekommen.<br />

Vielleicht hätte ich<br />

als Journalistin meiner Karriere<br />

und persönlichen Freiheit den<br />

Vorzug gegeben, wie es so viele<br />

Akademikerinnen in Deutschland<br />

und der Schweiz tun. Ich hätte<br />

Angst gehabt, mein Nachwuchs<br />

könnte mein Leben so stark verändern,<br />

bis es mir unheimlich wird<br />

und ich frustriert zu Hause sitze<br />

und Pastinakenbrei koche.<br />

Aber inzwischen lebe ich in<br />

Frankreich – und habe vor wenigen<br />

Monaten unser zweites Kind<br />

geboren, kaum, dass das erste bis<br />

drei zählen kann. Die vielen entspannten<br />

französischen Familien<br />

haben mich mit ihrer Leichtigkeit<br />

angesteckt. Sie machen Lust auf<br />

Nachwuchs. Es scheint mir heute<br />

natürlich, zwei Söhne in die Welt<br />

zu setzen, ohne mein altes Leben<br />

komplett über den Haufen zu<br />

werfen. So, wie es mir meine<br />

französischen Freundinnen und<br />

Bekannten vorgemacht haben. Ja,<br />

sie sind so entspannt, dass sie sich<br />

fast doppelt so viele Kinder zutrauen<br />

wie zum Beispiel die Deutschen.<br />

Warum französische Paare so<br />

zuversichtlich sind? Ihre Kinder<br />

laufen selbstverständlicher im<br />

Alltag mit. Sie essen beispielsweise<br />

grundsätzlich dasselbe wie die<br />

Eltern, Extrawürste gibt es nicht –<br />

dafür fragte aber mein Sohn schon<br />

mit knapp zwei Jahren nach einem<br />

Stück Camembert vor dem Dessert.<br />

So, wie er es von der Kita<br />

gewohnt war. Überhaupt sind französische<br />

Familien überzeugt, der<br />

normale Alltag in der Familie, den<br />

staatlichen Kindergruppen und<br />

später in der Ganztagsschule biete<br />

ihren Kindern alles, was sie für ein<br />

ausgefülltes Leben benötigen. Mit<br />

Pekip-Kursen, Babyschwimmen<br />

und Englischunterricht für Dreijährige<br />

sind meine Freundinnen<br />

hier nicht beschäftigt. «Warum<br />

macht ihr das alles?», fragte mich Céline, als ich ihr<br />

vom deutschen Frühfördermarathon erzählte. Ich<br />

wusste keine Antwort. Schliesslich werden französische<br />

Kinder auch ohne die aufwendigen Kurse, die<br />

den Alltag vieler Mütter bestimmen, zu sichtlich<br />

zufriedenen und talentierten Menschen.<br />

Natürlich liegt die Unbekümmertheit französischer<br />

Eltern auch an der umstandslosen Betreuung in<br />

Frankreich. Wir können hier wählen, ob wir unsere<br />

Söhne zu einer Tagesmutter geben wollen oder doch<br />

lieber in die Dorf-Kita – beide bieten an, ihn von<br />

morgens 7 bis abends um 19 Uhr zu empfangen, vor<br />

Ort gekochtes Vier-Gänge-Menü inklusive. Aber<br />

entscheidend für mein sorgloseres Elterngefühl in<br />

Frankreich ist auch die Leichtigkeit, mit der hier Kinder<br />

aufgezogen werden. Die französische Gesellschaft<br />

stellt an Mütter viel geringere Ansprüche. Eltern sind<br />

hier davon überzeugt, dass die Zeit ihrer Kinder mit<br />

Gleichaltrigen und Erzieherinnen ebenso wertvoll ist<br />

wie Tage in der Familie.<br />

Woher sie diese Überzeugung nehmen? Die meisten<br />

Franzosen und Französinnen sind als kleine Kinder<br />

selbst in die Kita gegangen – für sie ist es so alltäglich,<br />

wie es in anderen europäischen normal ist, den<br />

Kindergarten zu besuchen. Auch deshalb plagt Französinnen<br />

nur sehr selten ein schlechtes Gewissen.<br />

Wenn sie als eine der Letzten in der Kita auftauchen,<br />

finden sie das sogar prima. «Na, hast du aber ein<br />

Glück», hörte ich einmal eine Französin neben mir zu<br />

ihrer zweijährigen Amélie sagen, als wir zum Ferienende<br />

hin als letzte unsere beiden Kinder abholten. «So<br />

spät hast du die Erzieherinnen ganz für dich.»<br />

Und inzwischen bin auch ich überzeugt: Wir zahlen<br />

die rund 200 Euro im Monat für die Kita nicht<br />

nur, damit wir arbeiten und unseren Interessen nachgehen<br />

können. Wir zahlen sie auch, damit unser Sohn<br />

eine gute Zeit hat – wir könnten ihm die Märchenerzähler,<br />

den afrikanischen Trommler und all die<br />

Spiele mit Julie, Dorian, Adrién und Meryl zu Hause<br />

gar nicht bieten. Und ich möchte nicht meine Tage<br />

damit verbringen, Sandkuchen zu backen und Windeln<br />

zu wechseln, sondern bin froh, morgens von der<br />

Kita aus an den Schreibtisch zu eilen, auch mal in<br />

Ruhe lesen und mein Gemüse anbauen zu können.<br />

Dabei ist der französische Alltag auch für Männer<br />

schöner: Wenn beide Eltern ähnlich viel arbeiten und<br />

ähnlich viel Zeit mit ihren Kindern verbringen, können<br />

Väter ebenso wichtig sein wie Mütter. Dazu profitieren<br />

französische Familien von der 35-Stunden-<br />

Woche: Sie garantiert ihnen fünf Stunden mehr Zeit<br />

in der Woche für ihren Nachwuchs und eigene Interessen<br />

zu haben als die allermeisten Deutschen oder<br />

Schweizer. Kürzere Arbeitszeiten sind ein echter politischer<br />

Fortschritt für Familien und ermuntern zu<br />

mehr Nachwuchs – das hat Frankreich<br />

früh erkannt.<br />

Im Ringen um mehr Nachwuchs<br />

ist es höchste Zeit, den Druck von<br />

den Eltern – vor allem von den<br />

Müttern – zu nehmen. In Frankreich<br />

gilt das Mantra: «Glückliche<br />

Eltern haben glückliche Kinder.»<br />

Dieser Satz ist mir immer wieder<br />

begegnet. «Sie müssen glücklich<br />

sein, um ihr Kind glücklich<br />

machen zu können», sagte die<br />

Kita-Leiterin, als sie mir meine<br />

Qualen bei der Anmeldung unseres<br />

erst vier Monate alten Sohnes<br />

ansah. Und sie hatte recht. Unser<br />

Sohn hüpft seitdem jeden Morgen<br />

begeistert zu den anderen Kindern<br />

in der Kita – und genauso strahlend<br />

wirft er sich meinem Mann<br />

oder mir abends auch wieder in die<br />

Arme. Das Mantra «Glückliche<br />

Eltern haben glückliche Kinder»<br />

leben uns französische Familien<br />

täglich vor.<br />

Annika Joeres: Vive la<br />

famille. Was wir von den<br />

Franzosen übers<br />

Familienglück lernen<br />

können.<br />

Herder, <strong>2015</strong>. 223 Seiten,<br />

Fr. 23.90. E-Book Fr. 13.40<br />

Annika Joeres<br />

ist Journalistin, stammt aus dem Ruhrgebiet<br />

und wohnt seit ein paar Jahren mit ihrem<br />

deutschen Mann in Frankreich. Sie hat zwei<br />

Söhne, die 2½ Jahre und 4 Monate alt sind.<br />

SEPTEMBER <strong>2015</strong>47


Erziehung & Schule<br />

48 SEPTEMBER <strong>2015</strong>


Auf Kriegsfuss<br />

mit den Lauten<br />

Etwa fünf Prozent aller Menschen stottern im Laufe ihres Lebens. Das<br />

kann viele Ursachen haben. Im Stottercamp am Bodensee lernen<br />

jugendliche Stotterer, souverän mit ihrem Handicap umzugehen und<br />

ihr Sprechen zu verbessern. Ein Camp-Besuch.<br />

Text: Evelin Hartmann Fotos: Martin Mischkulnig / 13 Photo<br />

Die Teilnehmer<br />

erleben im<br />

Stottercamp,<br />

dass sie mit<br />

ihrem Problem<br />

nicht alleine<br />

sind.<br />

Am schlimmsten ist es,<br />

wenn alle durcheinanderreden,<br />

Unruhe<br />

herrscht, er aber noch<br />

etwas zu sagen hat.<br />

Dann gerät Silvan unter Druck. Und<br />

die Worte in seiner Kehle ins<br />

Stocken. Mit aller Kraft presst er sie<br />

nach oben über seine Zunge, hinaus<br />

ins Freie. Wa-wa-wartet doooo…ch<br />

mal. Freiwillig folgen die Worte ihm<br />

nicht. Das taten sie nie. Silvan Vögele,<br />

15, aus Brugg AG stottert seit<br />

seinem dritten Lebensjahr.<br />

«Noch vor einem Monat hat mich<br />

das so genervt, es war mir mega<br />

peinlich», sagt der Teenager langsam,<br />

bemüht deutlich, klar. Silvan<br />

sitzt auf der Wiese im Schatten eines<br />

grossen Baumes. Der Blick schweift<br />

hinab über die hügelige Landschaft.<br />

Von hier oben kann er den Bodensee<br />

sehen. Eine Woche besucht er<br />

zusammen mit elf weiteren Jugendlichen<br />

aus der Schweiz, Deutschland<br />

und Österreich das Stottercamp in<br />

Tägerwilen TG. Veranstalter sind<br />

die Interkantonale Hochschule für<br />

Heilpädagogik Zürich HfH sowie<br />

die Medizinische Akademie Freiburg<br />

im Breisgau.<br />

Hier sollen Jugendliche wie Silvan<br />

in einer geschützten, entspannten<br />

Atmosphäre einen neuen Um-<br />

gang mit dem Stottern und Techniken<br />

lernen, um ihren Sprechfluss<br />

verbessern zu können. «Heilsversprechungen<br />

machen wir keine»,<br />

betont der Logopäde und HfH-<br />

Dozent Wolfgang G. Braun, einer<br />

der Leiter des Camps.<br />

Ungefähr fünf Prozent aller Menschen<br />

stottern irgendwann im Laufe<br />

ihres Lebens, viele von ihnen nur<br />

während einer kurzen Phase in der<br />

Kindheit. Bei etwa einem Prozent<br />

der Betroffenen bleibt das Stottern<br />

bis ins Jugendalter bestehen, und sie<br />

stottern wahrscheinlich ihr Leben<br />

lang.<br />

Laut bläst Wolfgang Braun auf<br />

seiner Pfeife. Nach und nach geben<br />

die Jugendlichen ihre schattigen<br />

Sitzplätze auf und sammeln sich auf<br />

der grossen Wiese. 34 Menschen<br />

sind im Stottercamp in bunten Zirkuswagen<br />

untergebracht: Jugendliche,<br />

Betreuer, Helfer und Logopädie-Studentinnen,<br />

die Ein Platz jeweils am einem<br />

der 12 jungen Familientisch Teilnehmer bleibt als Patin<br />

zur Seite stehen. leer. Vor sieben<br />

«Guuuuten Jahren Morgen verlor …… Erich al-alallerseits»,<br />

begrüsst Gisi seine Karl Frau Schneider,<br />

und<br />

Campleiter und seine Schulleiter Kinder ihre der Medizinischen<br />

Akademie Freiburg, Mutter. die<br />

Teilnehmer und stellt alle drei an<br />

den vorangegangenen Tagen erarbeiteten<br />

Mottos noch einmal >>><br />

SEPTEMBER <strong>2015</strong>49


Erziehung & Schule<br />

Die meisten Betroffenen<br />

nehmen genau wahr,<br />

wo ihr Stottern sitzt.<br />

>>> vor. Heute ist der Vertiefungstag<br />

der Camp-Woche. Auch Karl<br />

Schneider stottert, auf eine lockere,<br />

unangestrengte Art. Aber was sich<br />

für den Zuhörer wie eine Sprechstörung<br />

anhört, ist gewollt und die<br />

Demonstration, dass hier das Stottern<br />

nicht nur okay ist, sondern –<br />

anstatt einfach beseitigt – bewusst in<br />

eine lockere Form gelenkt werden<br />

soll.<br />

Auf die Sprechtechnik kommt es an<br />

Segeln, Tauchen, Klettern, ein Baumhaus<br />

bauen, neben den klassischen<br />

sprachtherapeutischen Übungen<br />

wird den Jugendlichen viel geboten.<br />

«Doch wir sind kein Feriencamp für<br />

Stotterer», sagt Wolfgang G. Braun.<br />

Die Verknüpfung von sprachtherapeutischen<br />

Ansätzen mit Elementen<br />

der Erlebnispädagogik und der Psychomotorik<br />

ist bewusst gewählt.<br />

Wolfgang G. Braun: «An der Klet-<br />

terwand machen die Jugendlichen<br />

erst einmal alles mit Kraft und sind<br />

nach einer Stunde fix und fertig. So<br />

ähnlich geht es ihnen beim Sprechen.<br />

Beim Klettern lernen sie, dass mit<br />

der richtigen Technik alles leichter<br />

geht. Das lässt sich wunderbar aufs<br />

Sprechen übertragen.»<br />

Silvan findet das lässig. Dabei<br />

wollte er zuerst gar nicht teilnehmen.<br />

Seine Therapiekarriere war<br />

lang und frustrierend. Wöchentliche<br />

Sitzungen bei der Logopädin, heilpädagogischer<br />

Kindergarten, dann<br />

sprachheilpädagogische Schulen.<br />

Gebracht habe ihm das alles nichts,<br />

sagt er. Im Gegenteil, einmal empfiehlt<br />

ihm eine Fachperson den<br />

Gang zum Psychologen. Sie unterstellt<br />

ihm Lernverweigerung, weil er<br />

seine Hausaufgaben nicht gemacht<br />

hat. Da reicht es ihm. «Mit 14 habe<br />

ich alle Sprachtherapien abgebrochen»,<br />

sagt er. Heute geht er zur<br />

Atemtherapie – und macht grosse<br />

Fortschritte. «Es gibt Tage, da stottere<br />

ich gar nicht.» Und dann kommen<br />

wieder diese Momente, wenn<br />

er müde ist, wenn es hektisch zugeht.<br />

Dann wird der Kauf eines Billetts am<br />

Bahnschalter zur Qual, eine Veranstaltung<br />

mit lauter fremden Leuten<br />

zum Spiessrutenlauf.<br />

«Guten Tag, welche Eissorten<br />

haben Sie denn?» Silvan schaut konzentriert<br />

in die Auslage. Nachdem<br />

die Verkäuferin ihre Aufzählung<br />

beendet hat, trifft er seine Wahl und<br />

bedankt sich. Seine Patin Nina<br />

Biastoch, 28, nickt ihm anerkennend<br />

zu. Keine Blockade, langsam und<br />

bewusst gesprochen habe er. Der<br />

gemeinsame Eiskauf im Ort ist eine<br />

der lebensnahen Praxisaufgaben, die<br />

die Camp-Teilnehmer in Tägerwilen<br />

zu meistern haben.<br />

Nina Biastoch sagt, dass die meisten<br />

Betroffenen genau wahrnehmen,<br />

wo ihr Stottern sitzt, wie es sich anfühlt,<br />

wenn es sie wieder kalt erwischt.<br />

So wie Alina Simon aus dem<br />

deutschen Kaufbeuren. «Ich spüre es<br />

hinten im Hals», sagt die 16-Jährige<br />

und greift an die Stelle, die ihr das<br />

Silvan Vögele ist<br />

sein Handicap<br />

heute nicht mehr<br />

peinlich. Sein<br />

Ziel ist es aber,<br />

ganz stotterfrei<br />

zu werden.<br />

50 SEPTEMBER <strong>2015</strong>


Leben manchmal so schwer macht.<br />

Wenn die Worte mit E und O anfangen,<br />

habe sie oft Probleme, sagt sie.<br />

Dann sucht die Gymnasiastin nach<br />

anderen, leichteren, die ihr nicht im<br />

Hals stecken bleiben. Mit ihren<br />

Freunden klappt das Sprechen gut.<br />

«Wenn mir die Lehrer lange Fragen<br />

stellen, eher nicht.» Schlimm seien<br />

Referate, wenn alle Augen auf sie<br />

gerichtet sind. Der Klassiker. Auch<br />

Alinas Vater hat als Kind gestottert.<br />

Die Veranlagung zum Stottern kann<br />

vererbt werden, und so kommt Stottern<br />

in Familien meist gehäuft vor.<br />

Ist ihr Bruder auch betroffen? Alina:<br />

«Nein, er ist sogar richtig redegewandt,<br />

er redet immer schneller und<br />

schneller. Und ich komme kaum<br />

hinterher.» In Streitsituationen ziehe<br />

sie deshalb oft den Kürzeren. Das sei<br />

frustrierend, aber kein Drama.<br />

Ein Drama war für Alina der<br />

Besuch der 5. Klasse. Ihre Lehrerin<br />

hat kein Verständnis für die Sprechschwierigkeiten<br />

ihrer Schülerin.<br />

«Reiss dich zusammen!», fordert sie<br />

das Mädchen auf. Alina bricht in<br />

Tränen aus, spricht am Ende gar<br />

nicht mehr. Erst mit dem Klassenlehrerwechsel<br />

wird es besser.<br />

Jeder verfolgt seine eigene Taktik<br />

«Guten Tag, ich möchte bit-t-t-te<br />

diese Hose umtauschen, sie ist zu<br />

gross.»<br />

Gelangweilt blättert die Verkäuferin<br />

in ihren Unterlagen. «Das<br />

machen wir aus hygienischen Gründen<br />

nicht.»<br />

«Aber ich habe das Recht, meinen<br />

Einkauf 14 Tage lang ...... umzutauschen.»<br />

«Ach ja? Dann zeigen Sie mir mal<br />

Ihren Kassenbeleg ...»<br />

Alinas Patin lacht, beendet das<br />

Rollenspiel. Die beiden sitzen im<br />

Gras. «Hast du’s gemerkt? Du hast<br />

die Spannung schon etwas gelöst,<br />

obwohl ich so unfreundlich zu dir<br />

war», sagt Liszi Paschner, 27, anerkennend.<br />

«Wichtig ist, dass du noch<br />

mehr die Ruhe bewahrst, weich<br />

sprichst, bei Blockaden stoppst und<br />

mit weichem Stimmeinsatz neu<br />

beginnst.» – «Aber wenn ich wütend<br />

bin, spreche ich nicht weich.» Liszi<br />

Paschner macht Alina Mut: «Darum<br />

üben wir das, damit es dann automatischer<br />

ist und du es eher anwenden<br />

kannst.»<br />

Jeder Betroffene verfolgt seine<br />

eigene Taktik. Jannik Wienecke, 15,<br />

aus Konstanz versucht in einen<br />

anderen Sprechrhythmus zu finden.<br />

Das Schlagzeugspielen hilft ihm<br />

dabei. «Am schlimmsten ist es,<br />

wenn ich im Unterricht aufgefordert<br />

werde, mich mündlich zu beteiligen»,<br />

sagt der Gymnasiast. «Dann<br />

spüre ich diesen Druck und rutsche<br />

in eine Blockade.» Doch die meisten<br />

Lehrer nehmen Rücksicht, warten<br />

geduldig oder fragen, ob ein anderer<br />

Schüler weitermachen soll. Was<br />

hilft? Kurz Pause machen, warten,<br />

einatmen, locker weitersprechen.<br />

Das hat er im Camp gelernt.<br />

Die therapeutischen Übungen<br />

sind spielerisch aufgebaut, aber sehr<br />

intensiv. «Die Jugendlichen arbeiten<br />

hart», findet Wolfgang G. Braun.<br />

Zum zweiten Mal ertönt seine Pfeife.<br />

Mittagszeit. Bei Fischstäbchen mit<br />

Kartoffeln und Linsen tauschen sich<br />

die Teilnehmer über den Morgen<br />

aus. «Das Eiskaufen hat megagut<br />

geklappt», erzählt Silvan stolz. Mittlerweile<br />

kann er gut zu seinem Handicap<br />

stehen. Es gehört zu ihm.<br />

Trotzdem ist sein grosses Ziel, möglichst<br />

stotterfrei zu werden. «Ich<br />

fange im Herbst eine Ausbildung<br />

zum Metzger an, dann will ich noch<br />

Schlachter und Landwirt werden<br />

und auf einem eigenen Hof eine<br />

Metzgerei und Schlachterei eröffnen.<br />

Da hat man viel Kundenkontakt.»<br />

Ein hohes Ziel. Silvan ist bester<br />

Dinge, dass er es erreicht.<br />

Lesen Sie auf der nächsten Seite<br />

das Interview mit Wolfgang G. Braun<br />

Evelin Hartmann<br />

>>><br />

hat nie gestottert. Sie kennt aber Situationen,<br />

in denen auch ihr die Worte nicht leicht von der<br />

Zunge gehen, zum Beispiel vor vielen Menschen<br />

sprechen.<br />

Einatmen,<br />

ausatmen, Ruhe<br />

bewahren – die<br />

angehende<br />

Logopädin Liszi<br />

Paschner gibt<br />

Alina Tipps.<br />

SEPTEMBER <strong>2015</strong>51


Erziehung & Schule<br />

«Das Stottern wächst sich nicht aus»<br />

Stottern zeigt sich als Sprechstörung, die ab dem Jugendalter nicht mehr heilbar ist.<br />

Deshalb ändert sich im Teenageralter das Therapieziel: Die Jugendlichen sollen<br />

möglichst lernen, souverän mit dem Stottern und Sprechen umzugehen, sagt<br />

Wolfgang G. Braun von der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik Zürich.<br />

Text: Evelin Hartmann Fotos: Martin Mischkulnig / 13 Photo<br />

Das Stottern<br />

nicht vermeiden,<br />

sondern lenken.<br />

Dies ist eine<br />

Aufgabe für die<br />

Teilnehmer des<br />

Stottercamps.<br />

Herr Braun, was macht das Sprechen<br />

so schwierig?<br />

Sprechen ist ein sehr komplexer<br />

Prozess. Sagt der Mensch nur schon<br />

allein den Laut A, braucht er dafür<br />

160 Muskeln – für die Atmung, für<br />

die Stimme und für die Artikulation.<br />

160 Muskeln, die das Gehirn innerhalb<br />

von Tausendstelsekunden koordinieren<br />

muss.<br />

Was einem stotternden Menschen oft<br />

nicht gelingt. Was bedeutet Stottern<br />

aus fachlicher Sicht?<br />

Stottern ist eine vielschichtige Erscheinung,<br />

und es gibt auch nicht<br />

den typischen Stotterer. Grundsätz-<br />

lich zeigt sich Stottern als Sprechstörung,<br />

als ungewollte Unterbrechung<br />

des Redeflusses. Dabei beobachten<br />

wir im Wesentlichen drei Formen:<br />

Die Un…terbrechung, die Wi-Wi-<br />

Wi-Wiederholung von Buchstaben<br />

und Silben und die Deeeeeeehnung.<br />

Dazu können aber noch weitere<br />

Merkmale kommen, wie die Suche<br />

nach einfacheren Wörtern, der Gebrauch<br />

von Umschreibungen, der<br />

kommunikative Rückzug oder das<br />

Mitbewegen des Kopfes.<br />

Worin liegen die Ursachen?<br />

Aus der Zwillingsforschung wissen<br />

wir, dass oftmals eine Veran- >>><br />

52 SEPTEMBER <strong>2015</strong>


SEPTEMBER <strong>2015</strong>53


Erziehung & Schule<br />

>>> lagung zum Stottern vererbt<br />

wird, aber nicht das Stottern an sich.<br />

Die genetische Disposition alleine<br />

führt also noch nicht zu einem Stottern.<br />

Möglicherweise sind auch<br />

kleinste Schäden oder Veränderungen<br />

im Gehirn daran beteiligt und<br />

stören zum Beispiel die Koordination<br />

der am Sprechen beteiligten<br />

Muskeln. Unterscheiden muss man<br />

ursächliche und auslösende Faktoren.<br />

Der Wechsel in eine neue Klasse,<br />

die Geburt eines Geschwisters,<br />

ein Unfall, Schulstress oder die<br />

Scheidung der Eltern können Auslöser<br />

für das Stottern sein. Sie sind<br />

aber nicht die Ursache. Tritt das Stottern<br />

beim Kind dann auf, kann verunsicherndes<br />

Verhalten des Umfeldes<br />

das Stottern begünstigen und<br />

aufrechterhalten.<br />

Wie meinen Sie das?<br />

80 Prozent der Kinder machen zwischen<br />

dem dritten und sechsten<br />

Lebensjahr eine Phase durch, in der<br />

sie nicht flüssig sprechen. Bei einem<br />

Grossteil von ihnen geben sich diese<br />

Schwierigkeiten ganz von alleine.<br />

Fordern die Eltern ihr Kind jedoch<br />

ständig auf, langsamer und deutlich<br />

zu sprechen, machen sie es erst recht<br />

auf diese Störung aufmerksam, was<br />

dazu führen kann, dass sie sich in<br />

einem Stottern manifestiert.<br />

Wenn diese Kinder in die Pubertät<br />

kommen, haben sie es sicher nicht<br />

leicht. Man will dazugehören, bloss<br />

nicht auffallen.<br />

Das ist nicht zwangsläufig gesagt.<br />

Unter den Stotterern kenne ich sehr<br />

selbstbewusste, in sich ruhende Persönlichkeiten.<br />

Sie mussten schon<br />

früh lernen, sich mit ihrem Handicap<br />

zu behaupten. Aber es stimmt<br />

schon – Stottern ist eine Herausforderung,<br />

gerade wenn die Gruppe der<br />

Gleichaltrigen wichtiger wird.<br />

Viele Stotterer berichten, dass sie an<br />

manchen Tagen überhaupt nicht stottern,<br />

während ihnen an anderen das<br />

Sprechen sehr schwerfällt.<br />

Das ist das Heimtückische an diesem<br />

Handicap. Wir erklären uns dies an<br />

einem Küchenwaagen-Modell. Um<br />

flüssig zu sprechen, braucht es ein<br />

Gleichgewicht zwischen Anforderung<br />

und Kapazitäten des Kindes.<br />

Äussere Faktoren wie Prüfungsstress,<br />

Veränderungen oder Schlafmangel<br />

können dieses Gleichgewicht<br />

aufheben – dieses Ungleichgewicht<br />

macht ein entspanntes, lockeres<br />

Sprechen mühsamer.<br />

Welches sind die am meisten gefürchteten<br />

Alltagssituationen für jugendliche<br />

Stotterer?<br />

Das kann sehr unterschiedlich sein.<br />

Manchen fällt es schwer, zu telefonieren.<br />

Andere haben damit kein<br />

Problem, ihnen treibt vielleicht die<br />

Vorstellung, vor einer Gruppe sprechen<br />

zu müssen, die Schweissperlen<br />

auf die Stirn. Ich rate Betroffenen zu<br />

einem offenen Umgang mit dem<br />

Handicap. So kann man beispielsweise<br />

zu Beginn eines Referates darauf<br />

hinweisen, dass es eventuell<br />

etwas länger dauern wird, da man<br />

an der einen oder anderen Stelle längere<br />

Zeit für die Worte braucht. Das<br />

nimmt dem Betroffenen den Druck<br />

und verbessert nicht zuletzt den<br />

Sprechfluss.<br />

In einem geschützten Raum ist das<br />

leichter machbar. Bei der Lehrstellensuche<br />

möchten Betroffene ihr Handicap<br />

aber sicherlich nicht direkt zu<br />

Beginn preisgeben.<br />

Das mag sein. Ich rate aber auch hier<br />

grundsätzlich zur Offenheit. Und<br />

auch dazu, die Berufswahl nicht<br />

schon im Voraus aufgrund der Kommunikationsbeeinträchtigung<br />

stark<br />

einzugrenzen.<br />

Ist Stottern heilbar?<br />

Das Stottern wächst sich nicht aus.<br />

Aber in der – möglichst frühen –<br />

Therapie bekommen Kinder vom<br />

Kleinkind- bis ins Jugendalter eine<br />

gute Chance, souverän mit dem Stottern<br />

umzugehen, oder Sprechtechniken<br />

zu erlernen, die ein Stottern<br />

erst gar nicht auftreten lassen.<br />

Was heisst das?<br />

Sie sprechen so flüssig, dass ihnen<br />

kaum jemand das Stottern anmerkt.<br />

Dafür kombinieren wir in Therapie-<br />

Settings wie dem Stottercamp zwei<br />

Methoden: Der «Nicht-Vermeidungs-Ansatz»<br />

soll die Kinder dazu<br />

bringen, das Stottern nicht krampfhaft<br />

zu umgehen und die Angst davor<br />

zu verlieren. Sie erlernen einen<br />

selbstbewussten Umgang mit dem<br />

Stottern. Zum anderen vermitteln<br />

wir eine Sprechtechnik, die flüssiges<br />

Sprechen fördert.<br />

Wie reagiert man am besten auf einen<br />

Stotterer?<br />

Das Wichtigste ist, gegenüber dem<br />

Gesprächspartner ein normales<br />

Kommunikationsverhalten zu<br />

bewahren. Dazu gehören Blickkontakt<br />

und geduldiges Zuhören, so<br />

signalisiert man: «Ich habe Zeit, ich<br />

höre dir zu.» Diesen Tipp möchte ich<br />

vor allem auch Eltern betroffener<br />

Kinder und deren Lehrern mit auf<br />

den Weg geben. Ratschläge wie<br />

«Sprich langsam», «Überleg doch<br />

erst mal» verunsichern das Kind nur<br />

und verstärken letztendlich das Stottern.<br />

>>><br />

Wolfgang G. Braun<br />

Prof., ist Dozent an der Interkantonalen<br />

Hochschule für Heilpädagogik HfH Zürich.<br />

54 SEPTEMBER <strong>2015</strong>


Erziehung & Schule<br />

Ein behindertes Kind –<br />

und alles ist anders<br />

Familien mit schwer und mehrfach behinderten Kindern leisten<br />

Aussergewöhnliches: Sie tragen grosse Belastungen, erfahren aber auch<br />

Bereicherungen, die andere in dieser Art nicht kennen. Zu oft haben ihre<br />

Mitmenschen wenig Ahnung davon. Das sollte sich ändern. Text: Lars Mohr<br />

Zwölf Stunden am Tag ist Veronique Christen*<br />

mit ihrer Tochter Carla beschäftigt:<br />

an- und auskleiden, beim Essen helfen,<br />

zusammen spielen, Carla trösten, wenn die<br />

Stimmung kippt, ein Spaziergang, Körperpflege<br />

… Und nachts hat Carla Probleme durchzuschlafen.<br />

Um jeweils wieder Ruhe zu finden, braucht sie meist<br />

die Hilfe ihrer Mutter oder ihres Vaters.<br />

Nichts Ungewöhnliches, mag man denken. Jeder, der<br />

kleine Kinder hat, kennt diese Verpflichtungen. Nach<br />

einer Weile gehts vorbei. Doch für Veronique Christen<br />

geht es nicht vorbei. Carla, kein kleines Kind, sondern<br />

14 Jahre alt, lebt mit einer schweren mehrfachen Behinderung.<br />

Sie zeigt sowohl intellektuell als auch körperlich<br />

starke Einschränkungen, braucht Unterstützung bei fast<br />

allen Aktivitäten des täglichen Lebens. Abgesehen vom<br />

zeitlichen Aufwand ergeben sich daraus zunehmend<br />

physische Beschwerden bei den Eltern. Kreuzschmerzen<br />

– davon können Herr und Frau Christen ein Lied singen.<br />

«Den anderen Leuten ringsherum wurde es erst<br />

bewusst, dass ich in der Nacht gar nie durchschlafe, als<br />

ich ihnen erzählte, wie teuer mich die Privatspitex zu<br />

stehen käme. Da fiel es ihnen wie Schuppen von den<br />

Augen», gibt die Mutter ein Beispiel.<br />

Die Christens sind kein Einzelfall. Genaue Zahlen<br />

über Familien mit einem schwer und mehrfach behinderten<br />

Kind liegen allerdings kaum vor. Wie viele in der<br />

Schweiz wohnen, lässt sich nur schätzen. Zwischen 1000<br />

und 2000 dürften es sein, verglichen mit der Gesamtbevölkerung<br />

eine kleine Gruppe. Auch deswegen stehen<br />

die Betroffenen zu oft im Schatten der Gesellschaft,<br />

obwohl sie Aussergewöhnliches leisten. «Ein behindertes<br />

Kind verändert den Alltag seiner Familie radikal. Es<br />

fordert von allen Beteiligten einen grossen physischen<br />

und psychischen Einsatz», schreibt Monika Seifert in<br />

einem Fachartikel. Die Heilpädagogin kennt das Thema<br />

beruflich durch wissenschaftliche Untersuchungen, privat<br />

als Mutter eines schwer beeinträchtigten Sohnes. Sie<br />

verweist neben den zeitlichen und körperlichen Belastungen<br />

der Eltern auf deren emotionale Auseinandersetzung<br />

mit der Behinderung des Kindes. Bewegende,<br />

mitunter ambivalente Gefühle begleiten oft schon die<br />

Geburt und prägen die anschliessenden Tage und Wochen.<br />

«Ich bin jeden Abend, wenn Carla im Bett war,<br />

weinend zusammengebrochen. Ich wusste nicht, was<br />

auf mich zukam», schildert Veronique Christen ihre<br />

damalige Gemütslage. Das Wunschkind hatte sie sich<br />

anders vorgestellt, der Lebensplan schien gehörig durcheinandergebracht.<br />

Plötzlich war er neu und anders zu<br />

schmieden. Ängste und Verwirrung entstanden: Was<br />

soll aus uns und unserem Kind werden?<br />

Auch eine besondere Bereicherung<br />

Die Geschichte war damit aber nicht zu Ende. «Die meisten<br />

Mütter und Väter entwickeln nach der schwierigen<br />

Anfangsphase eine emotional befriedigende Beziehung<br />

zu ihrem schwer behinderten Kind und geben auf vielfältige<br />

Weise Impulse für seine Entwicklung», betont<br />

Monika Seifert. Denn mit der Zeit gelingt es vielen Familien,<br />

ihr Zusammenleben neu zu organisieren und auf<br />

die unerwarteten Gegebenheiten einzustellen. Trotz der<br />

Mühen des Alltags empfinden sie Zufriedenheit. Mehr<br />

noch: Nicht wenige Mütter und Väter berichten, dass<br />

sie im Umgang mit ihrem beeinträchtigten Kind eine<br />

besondere Bereicherung für sich erfahren. Sie sprechen<br />

etwa davon, einen klareren Blick auf das Wesentliche<br />

im Leben gewonnen zu haben, eine grössere Toleranz<br />

gegenüber anderen oder ein Plus an Selbstvertrauen.<br />

«Man stellt sich ja ein ganz normales Leben vor», erzählt<br />

Veronique Christen, «da mussten wir schon umdenken.<br />

Aber wir sind glücklich, dass wir Carla haben (…). Sie<br />

lebt ganz nach ihrem Instinkt, hat keine Sorgen wie wir.<br />

Sie lebt jeden Tag neu, was sich auch auf uns auswirkt.<br />

Sie zeigte uns eigentlich erst, was Leben heissen sollte.»<br />

56 SEPTEMBER <strong>2015</strong>


Etliche Familien mit einem schwer behinderten Kind<br />

sind glückliche Familien. Aber das gelingende Zusammenleben<br />

fällt nicht vom Himmel. Es ist hart erarbeitet,<br />

manchmal erkämpft – und es hängt von der Unterstützung<br />

ab, welche die Familie erhält. Am besten ist eine<br />

Mischung aus mehreren Quellen: Angehörige und<br />

Freunde, Fachpersonen und Institutionen, Invalidenversicherung.<br />

Wichtige Ressourcen sind vor allem:<br />

• Hilfe und Entlastung bei den Betreuungsaufgaben,<br />

• praktische und verständliche Beratung beziehungsweise<br />

Information zu pädagogischen oder medizinisch-pflegerischen<br />

Fragen,<br />

• Möglichkeiten des Austauschs mit nahestehenden<br />

Menschen über emotionale Themen,<br />

• finanzielle Leistungen für den Erwerb und die Wartung<br />

von Hilfsmitteln, für Pflegeartikel, für die barrierefreie<br />

Gestaltung der Wohnung.<br />

Im privaten Umfeld stärkt es die Familien merklich,<br />

wenn sie Anteilnahme und Anerkennung spüren. Schon<br />

kleine Gesten reichen, um auszudrücken: Wir denken<br />

an euch. «Eine Nachbarin hat sehr früh grossartig<br />

reagiert», erinnert sich Veronique Christen: «Sie hat am<br />

Samichlaustag, als die anderen ihre Süssigkeiten bekamen,<br />

für Carla einen Apfelbrei bereitgestellt! Ich war ihr<br />

so dankbar für diese Normalität.»<br />

Eine grosse Erleichterung ist es auch, wenn sich die<br />

Eltern nicht pausenlos mit dem «Behinderungsmanagement»<br />

befassen müssen. Sie brauchen Zeitfenster für<br />

eigene Interessen – oder auch nur zum Ausschlafen.<br />

Deshalb nutzen viele Familien professionelle Angebote,<br />

bringen ihr Kind zeitweise in ein Wohnheim, einen Hort<br />

oder ein Ferienlager. Kommt das Kind ins Schulalter,<br />

entstehen durch die Unterrichtszeiten zusätzliche Spielräume.<br />

Dann erleben viele Väter und Mütter gerade die<br />

Ferien als belastend statt als erholsam. Private Unterstützung<br />

wäre da vielerorts willkommen.<br />

* Die Familie Christen ist ein fiktives Beispiel. Alle Angaben und<br />

Zitate stammen aber von realen Eltern, die wörtlichen Zitate<br />

sind diesen wissenschaftlichen Arbeiten entnommen:<br />

Lotz, Julia (2004): «Manchmal bin ich traurig …». Zur Lebenssituation<br />

von Müttern schwerstbehinderter Kinder.<br />

Sutter, Brigitta (2009): Nächte von Müttern mit schwer behindertem<br />

Kind.<br />

Urlaub auf Familisch<br />

Mit der Nr. 1 für Familienferien<br />

Spa- & Familien-Resort Krone<br />

Familotel Allgäuer Alpen<br />

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Familotel Kitzbüheler Alpen<br />

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Tel.: +43 5414 872 15<br />

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* Preis pro Woche für 2 Erwachsene und 1 Kind unter 16 Jahren im Familienappartement (2-Raum).<br />

CHF = Richtwert. Die Abrechnung erfolgt in Euro zum Tageskurs.<br />

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Lars Mohr<br />

Schöne-Ferien-Beratung<br />

+49 8<strong>07</strong>5 91490<br />

www.familotel.com/569<br />

Dr. phil., ist Dozent im Arbeitsbereich Pädagogik für Menschen<br />

mit geistiger Behinderung an der Interkantonalen Hochschule für<br />

Heilpädagogik in Zürich.<br />

SEPTEMBER <strong>2015</strong><br />

Familotel AG I Vorstand: Michael Albert<br />

Wasserburger Strasse 5 I D-83123 Amerang I Tel. +49 8<strong>07</strong>5 9149-0


Elterncoaching<br />

Was können Eltern tun, wenn<br />

ihr Kind keine Freunde findet?<br />

Noemi, 9, steht am Fenster und schaut in den Hof hinunter, wo die<br />

anderen Kinder aus der Nachbarschaft Gummitwist und Verstecken<br />

spielen. «Geh doch runter und frag, ob du mitmachen kannst», sagt<br />

die Mutter. Noemi zuckt zusammen: «Ich muss noch Hausaufgaben<br />

machen.» Noemis Mutter versteht die Welt nicht mehr: «Das kannst<br />

du doch später erledigen. Geh einfach zu ihnen hin und frag, ob du<br />

mitspielen darfst. Was soll denn dabei schon passieren?»<br />

Fabian Grolimund<br />

ist Psychologe und Autor («Mit<br />

Kindern lernen»). In der Rubrik<br />

«Elterncoaching» beantwortet<br />

er Fragen aus dem Familienalltag.<br />

Der 36-Jährige ist verheiratet und<br />

Vater eines Sohnes, 3, und einer<br />

Tochter, 6 Monate. Er lebt mit<br />

seiner Familie in Freiburg.<br />

www.mit-kindern-lernen.ch<br />

www.biber-blog.com<br />

Bevor Sie sich als Elternteil<br />

unnötig Sorgen<br />

machen, sollten Sie sich<br />

die Frage stellen, ob Ihr<br />

Kind unter der Situation<br />

leidet. Nicht für alle Kinder haben<br />

Freundschaften den gleichen Stellenwert.<br />

Manche Kinder blühen in<br />

der Gruppe auf, andere fühlen sich<br />

alleine oder mit ein, zwei vertrauten<br />

Freunden wohl.<br />

Introvertierte Kinder sind beispielsweise<br />

gerne in Kontakt mit<br />

anderen Kindern, benötigen jedoch<br />

mehr Zeit für sich, um sich zu regenerieren.<br />

Während extrovertierte<br />

Kinder in der Gruppe Energie auftanken,<br />

laden introvertierte Kinder<br />

ihre Batterien auf, wenn sie alleine<br />

lesen oder zusammen mit einem<br />

einzigen vertrauten Gspänli draus-<br />

Extrovertierte Eltern<br />

haben oft Mühe, das<br />

Verhalten introvertierter<br />

Kinder zu verstehen.<br />

sen sind, Lego spielen oder etwas<br />

entdecken.<br />

Die Gruppensituation ist für diese<br />

Kinder eher kräftezehrend. Und<br />

so möchten sie sich nach dem Rummel<br />

im Kindergarten oder in der<br />

Schule zuerst ein wenig zurückziehen<br />

und ihre Ruhe haben.<br />

Extrovertierte Eltern haben oft<br />

Mühe, das Verhalten introvertierter<br />

Kinder zu verstehen. Sie erscheinen<br />

ihnen verschlossen oder unzugänglich.<br />

Je mehr Sie sich auf das Wesen<br />

Ihres Kindes einlassen können, desto<br />

eher entdecken Sie die schönen<br />

Seiten des stillen Kindes. Diese Kinder<br />

sind oft sehr gut in der Lage, sich<br />

selbst zu beschäftigen, können sich<br />

ganz in eine Tätigkeit vertiefen und<br />

entwickeln zwar weniger, dafür aber<br />

oft umso schönere und stabilere<br />

Freundschaften.<br />

Verständnis ist der Schlüssel<br />

Wünscht sich Ihr Kind mehr Kontakt<br />

und Freunde, können Sie es unterstützen.<br />

Je mehr Sie sich dabei auf<br />

Ihr Kind einlassen und versuchen,<br />

seine Welt zu verstehen, desto besser<br />

58 SEPTEMBER <strong>2015</strong>


merken Sie, was es braucht und was<br />

ihm hilft.<br />

Introvertierten und schüchternen<br />

Kindern fällt insbesondere die<br />

Kontaktaufnahme schwer – die erste<br />

Phase der Freundschaft, in der es<br />

darum geht, auf andere zuzugehen,<br />

anzurufen oder Verabredungen zu<br />

treffen. Sie können Ihrem Kind diese<br />

Phase erleichtern.<br />

Wir können dazu den Wunsch<br />

des Kindes aufgreifen und fragen,<br />

was ihm schwerfällt. Noemi könnte<br />

leichter auf die Mutter reagieren,<br />

wenn diese zum Beispiel sagt: «Du<br />

würdest auch gerne mitspielen …<br />

aber es macht dir auch ein wenig<br />

Angst runterzugehen?» Vielleicht<br />

könnte Noemi darauf antworten:<br />

«Ja, was mache ich, wenn die mich<br />

nicht mitspielen lassen?» Die Mutter<br />

könnte wahrnehmen, wie schwierig<br />

es ist, zurückgewiesen zu werden –<br />

gerade dann, wenn man kaum<br />

Freunde hat, und sich gemeinsam<br />

mit der Tochter eine Strategie überlegen.<br />

Dabei ist es oft schon hilfreich,<br />

wenn man sich als Erwachsener<br />

bewusst macht, wie man sich in<br />

einer ähnlichen Situation fühlen<br />

und verhalten würde. Angenommen,<br />

Sie sind umgezogen und<br />

möchten mit den Nachbarn in<br />

Ihrem neuen Quartier in Kontakt<br />

kommen. Wie würden Sie vorgehen?<br />

Wenn Sie drei Frauen im Café<br />

um die Ecke sehen, würden Sie einfach<br />

hingehen und sagen: «Darf ich<br />

mich setzen und mitreden?»<br />

Wahrscheinlich nicht! Das wäre<br />

zu aufdringlich – und peinlich, falls<br />

die anderen Ihnen ins Gesicht sagen,<br />

dass sie das nicht möchten. Vielleicht<br />

nehmen Sie sich eine Zeitung,<br />

setzen sich an den Tisch daneben<br />

und nicken der Mutter, die Sie<br />

bereits am Spielplatz gesehen haben,<br />

zu – oder stellen sich kurz vor. Sie<br />

könnten ein wenig Zeitung lesen<br />

und sich in einer Gesprächspause<br />

dem Nachbartisch zuwenden und<br />

eine Frage stellen. Vielleicht bitten<br />

die anderen Sie zu sich an den Tisch.<br />

Falls nicht, kennen Sie die anderen<br />

nun bereits etwas besser – und können<br />

bei der nächsten Begegnung<br />

leichter in Kontakt kommen.<br />

Besprechen Sie solche Strategien<br />

mit Ihrem Kind. Zum Beispiel: «Du<br />

könntest dein eigenes Gummitwist<br />

mit runternehmen, es am Pfosten<br />

befestigen und alleine üben. Vielleicht<br />

fragen dich die anderen dann,<br />

ob du auch mitspielen willst. Vielleicht<br />

müssen sie dich auch ein paar<br />

Mal gesehen haben, bevor sie dich<br />

mitspielen lassen». Sie können mit<br />

Ihrem Kind auch besprechen, wie es<br />

Kontakt aufnehmen kann: «Was<br />

könntest du sagen? Was könntest du<br />

die anderen fragen?»<br />

Überlegen Sie sich als<br />

Erwachsene, wie Sie sich als<br />

Kind in einer ähnlichen<br />

Situation verhalten würden.<br />

Den ersten Kontakt initiieren<br />

Sie können sich Schritte überlegen, um<br />

das Kennenlernen zu vereinfachen:<br />

• Laden Sie die Nachbarin oder die<br />

Mutter einer Klassenkameradin<br />

zum Kaffee ein und geben Sie den<br />

Kindern dadurch die Möglichkeit,<br />

sich zu beschnuppern.<br />

• Lassen Sie Ihr Kind einen Freund<br />

oder eine Freundin auf Ausflüge<br />

mitnehmen. Noemi würde es<br />

wahrscheinlich leichter fallen, bei<br />

einem Nachbarskind zu klingeln,<br />

wenn sie ein konkretes Angebot<br />

machen darf: «Wir gehen am<br />

Mittwochnachmittag in den Zoo.<br />

Möchtest du mitkommen?»<br />

Auch strukturierte Freizeitangebote<br />

wie Vereine oder Kurse bieten die<br />

Möglichkeit, andere Kinder kennenzulernen.<br />

Überlegen Sie gemeinsam<br />

mit dem Kind, wie es Kinder, die es<br />

auf diese Weise kennenlernt, auch<br />

einmal zu sich nach Hause einladen<br />

könnte.<br />

Tipps für Eltern schüchterner Kinder<br />

Je mehr Druck Sie aufsetzen, desto unsicherer<br />

wird Ihr Kind.<br />

Je weniger Verständnis Sie haben, desto eher<br />

entwickelt Ihr Kind das Gefühl, es stimme<br />

etwas nicht mit ihm – das ist keine gute Basis,<br />

um auf andere zuzugehen.<br />

Ermutigen Sie Ihr Kind zu kleinen Schritten<br />

und freuen Sie sich mit ihm über Fortschritte.<br />

Besprechen Sie mit Ihrem Kind, wie es<br />

vorgegangen ist, um mit anderen in Kontakt<br />

zu kommen, und finden Sie mit ihm gemeinsam<br />

Strategien, die zu seiner Persönlichkeit passen.<br />

In der nächsten Ausgabe:<br />

Was können Eltern tun, wenn ihr Kind weinend<br />

nach Hause kommt, weil es sich mit dem besten<br />

Freund, der besten Freundin gestritten hat?<br />

SEPTEMBER <strong>2015</strong>59


Kinder, die unter ADHS leiden, gelten oft als<br />

Störenfriede, Zappelphilippe oder Träumer –<br />

so wie Michael, 16, und Laura, 13. Dabei erlebt<br />

ihre 18-jährige Schwester Monia sie ganz anders.*<br />

Michael hat in der 1. Klasse die Diagnose<br />

ADHS erhalten. Fünf Jahre<br />

lang nahm er Ritalin ein. Auf eine<br />

Therapie wurde verzichtet, da er<br />

abgesehen von schulischen<br />

Problemen nicht weiter auffällig<br />

war. Ab der 6. Klasse verweigerte<br />

Michael sowohl medikamentöse<br />

als auch psychologische Unterstützung.<br />

Er ist mittlerweile in der<br />

8. Förderklasse (Kleinklasse) und<br />

wird diesen Herbst in eine Privatschule<br />

wechseln, um doch noch<br />

einen Schulabschluss zu erreichen.<br />

60 SEPTEMBER <strong>2015</strong>


Serie<br />

«Ich fühle mich als total normaler<br />

Junge. Ich habe einen grossen Kollegenkreis,<br />

aber leider sind alle mit<br />

Schule, Hausaufgaben oder in Vereinen<br />

beschäftigt. Darum kann ich<br />

mich nur selten mit ihnen treffen.<br />

Ich habe zwei Nachmittage frei, an<br />

denen meine Kollegen in die Schule<br />

müssen. Diese Nachmittage verbringe<br />

ich meistens mit Onlinegamen.<br />

Am liebsten spiele ich im<br />

Team mit meinen Online-Freunden<br />

beispielsweise Battlefield oder<br />

auch GTA 5. Auch online habe ich<br />

mittlerweile einen grossen Freundeskreis.<br />

Ansonsten gehe ich gern<br />

schwimmen, fahre mit dem Fahrrad<br />

zu Freunden und spiele mit<br />

ihnen Fussball. Die Schule ist sehr<br />

anstrengend und frustrierend. Mir<br />

war es aber wichtig, dass ich mit<br />

meinen Kollegen aus dem Quartier<br />

in die Schule gehen konnte. Ich<br />

habe Mühe, bei den gestellten Aufgaben<br />

zu bleiben. In der Hauswirtschaft<br />

müssen wir zum Beispiel<br />

Küchengeräte oder Material teilen.<br />

Wenn ich also aufgrund meiner<br />

Aufgabe zu einem Kollegen muss,<br />

um mir das Material oder Gerät<br />

abzuholen, und wieder an den<br />

Arbeitsplatz zurückkehre, weiss ich<br />

nicht mehr, wo ich in meiner Aufgabe<br />

gerade stand. Die Lehrerin war<br />

schon öfters ziemlich verzweifelt.<br />

Sehr viel Spass macht mir<br />

Naturlehre. In diesem Fach durfte<br />

ich ein halbes Jahr lang in die progymnasiale<br />

Klasse. Ich verstehe<br />

alles, kann es aber anschliessend<br />

nicht aufs Papier bringen. Meine<br />

Eltern wollten mich in der 5. Klasse<br />

in eine Privatschule schicken.<br />

Das wollte ich nicht. Die Förderklasse<br />

ist aber nichts für mich. Da<br />

sind die Schulkollegen langsam<br />

und unkonzentriert wie ich. Mein<br />

Ziel war es, aufzusteigen und den<br />

Realabschluss zu machen. Das<br />

klappt aber in dieser Klasse nicht.<br />

Ab dem Herbst gehe ich nun doch<br />

in eine Privatschule. Dort sind<br />

ebenfalls viele Hyperaktive wie ich,<br />

aber es herrscht eine ganz andere<br />

Stimmung.<br />

Morgens komme ich schlecht<br />

aus dem Bett, weil ich abends nicht<br />

einschlafen kann, und bin deshalb<br />

öfters zu spät in der Schule. Mittlerweile<br />

kann ich die verlorene Zeit<br />

aufholen, indem ich mit dem Velo<br />

zur Schule fahre. Meine Lehrer<br />

und meine Mutter sprechen immer<br />

wieder davon, dass ich Medikamente<br />

ausprobieren oder zu einem<br />

Psychologen gehen soll. Das will<br />

ich nicht. Ich habe einige Zeit<br />

Medikamente genommen. Sie<br />

machten mich ganz langsam, was<br />

ich gar nicht mochte, und ich hatte<br />

keinen Hunger mehr. Da ich schon<br />

immer zu den Kleinsten in der<br />

Klasse gehörte, wollte ich das Medi<br />

nicht mehr nehmen, um endlich<br />

zu wachsen. Da es mir gut geht,<br />

sehe ich auch nicht ein, warum ich<br />

zum Psychologen gehen soll.»<br />

Bei Laura wurde in der 1. Klasse<br />

ADS diagnostiziert. Sie hat<br />

während mehrerer Jahre Ritalin<br />

genommen, hat sich aber<br />

gemeinsam mit ihrem Bruder dazu<br />

entschlossen, auf medikamentöse<br />

oder psychologische Unterstützung<br />

zu verzichten. Heute ist sie in der<br />

7. Realschulklasse, hat gute Noten<br />

und träumt davon, die Sekundarschule<br />

zu besuchen.<br />

«In der Schule werde ich oft von<br />

den einfachsten Sachen abgelenkt,<br />

zum Beispiel von dem, was draussen<br />

vor dem Fenster passiert oder<br />

was die Mitschüler machen, was<br />

sie schauen, was sie<br />


schreiben. Bei Prüfungen<br />

konzentriere ich mich nicht auf<br />

das Wesentliche, also darauf, die<br />

Prüfung zu schreiben, sondern<br />

darauf, was um mich herum passiert.<br />

So vergesse ich oft die Zeit –<br />

und schon muss ich die Prüfung<br />

abgeben. Das passiert mir aber<br />

nicht nur in der Schule, sondern<br />

auch mit meinen Freundinnen.<br />

Wir machen oft ab, nach der Schule<br />

an bestimmten Orten aufeinander<br />

zu warten. Doch das vergesse<br />

ich oft, dann versuche ich es mit<br />

ihnen zu klären. Manchmal verspreche<br />

ich ihnen auch, dass ich<br />

ihnen etwas kopiere. Doch auch<br />

dieser «Denkzettel» wird oft<br />

schnell aus meinem Kopf geschafft.<br />

Erst wenn es zu spät ist, merke ich<br />

das. In der Freizeit, mit meinen<br />

Freundinnen, passiert es manchmal,<br />

dass ich plötzlich einen<br />

«Energieschock» bekomme und<br />

aufstehe oder aufspringe. Ich hoffe<br />

dann, dass ich eine positive Reaktion<br />

meiner Freundinnen erhalte.<br />

Meistens reagieren sie freundlich<br />

und bitten mich, damit aufzuhören.<br />

Manchmal treibe ich es auf die<br />

Spitze und dann kriege ich Ärger.<br />

Zum Teil beabsichtige ich dieses<br />

Verhalten gar nicht, ich will keine<br />

Reaktion oder Antwort von ihnen.<br />

Dann fühle ich mich so, als ob die<br />

anderen nichts machen und als ob<br />

sie nur rumstehen. Ich habe darum<br />

immer wieder Streit mit meinen<br />

Freundinnen.<br />

Wenn wir in der Familie am<br />

Tisch sitzen und reden oder essen,<br />

fällt es mir schwer, einfach dazuhocken<br />

und nichts zu machen, den<br />

anderen zuzuhören. Doch ich<br />

konnte diese Schwäche besiegen<br />

und erreiche immer öfter, dass ich<br />

die Ruhe am Tisch, aber auch bei<br />

Freundinnen oder in der Schule<br />

bewahre. Am Anfang der 1. Klasse<br />

bis zur 4. Klasse habe ich Medikamente<br />

eingenommen, doch sie<br />

wirkten nicht immer für alles. Meine<br />

Wutausbrüche brachten mir<br />

manchen peinlichen Moment<br />

mit meinen Freundinnen ein. So<br />

hatte ich zum Beispiel an meiner<br />

Geburtstagsfeier so einen heftigen<br />

Wutausbruch und ich schrie ganz<br />

fürchterlich herum, so dass wir mit<br />

dem Spielen aufhören mussten. Ich<br />

konnte nicht mehr aufhören zu<br />

weinen und zu schreien, obwohl<br />

meine Mutter versuchte, mich zu<br />

beruhigen. Diese Wutausbrüche<br />

hatte ich noch lange Zeit. Ich<br />

konnte mich weder selbst beruhigen,<br />

noch von anderen trösten lassen.<br />

Die Freundinnen wollten<br />

dann in den folgenden Jahren<br />

kaum noch zu mir kommen. Ich<br />

fand nicht, dass das Medikament<br />

mir bei diesen Gefühlsausbrüchen<br />

helfen konnte. So wollte ich selber<br />

lernen, mich zu beherrschen.»<br />

Monia geht in die 3. Klasse des<br />

Gymnasiums. Sie wurde nie auf<br />

ADHS abgeklärt, da keine schulischen<br />

Probleme vorlagen.<br />

«Wie ich meine Geschwister wahrnehme?<br />

Nervig, laut, frech, unordentlich.<br />

Aber auch als liebenswürdige<br />

Geschwister, lustig, hart<br />

arbeitend und voller Energie. Aber<br />

um meine Wahrnehmung von<br />

meinem Bruder und meiner<br />

Schwester wirklich beschreiben zu<br />

können, muss ich wohl differenzieren.<br />

Denn beide sind wie Tag und<br />

Nacht. Total unterschiedlich – und<br />

doch teilen sie gewisse Verhaltensund<br />

Charakterzüge.<br />

Als ich kleiner war, habe ich<br />

nicht wirklich verstanden, was<br />

genau ADHS ist. Ich wusste, dass<br />

mein Bruder hyperaktiv ist. Meine<br />

Schwester habe ich nicht direkt als<br />

hyperaktiv empfunden, sondern<br />

eher als «nervig in Schüben». Die<br />

ganzen Probleme, die sie in der<br />

Schule haben, wurden mir erst mit<br />

der Zeit wirklich bewusst. Vorher<br />

dachte ich, all das Nicht-still-sitzen-Können<br />

und die Probleme mit<br />

der Konzentration wären ein Teil<br />

ihrer Persönlichkeit und keine<br />

«Störung».<br />

Mein Bruder könnte in einem<br />

Buch als Beispielfall stehen, in dem<br />

man Hyperaktivität nachschlägt.<br />

Er sitzt nie lange am Essenstisch,<br />

«hibbelt» hin und her, hat manchmal<br />

Probleme, sein Mundwerk zu<br />

kontrollieren und generell Impulse<br />

zu hinterfragen und rechtzeitig zu<br />

stoppen. Gerade dieses Mundwerk<br />

und seine ungestoppten Impulse<br />

führen unter uns Geschwistern<br />

nicht selten zu Streitereien und<br />

stark belasteten Nerven. Nicht<br />

umsonst bekam er in der Pfadi den<br />

Spitznamen JoJo. Wie ein solches<br />

Spielzeug springt er hin und her.<br />

Wenn man ihn nicht mit der richtigen<br />

Handbewegung leitet, irrt er<br />

überall hin, nur nicht ordentlich,<br />

wie man es eigentlich möchte.<br />

Meine Schwester hingegen ist<br />

schon fast wieder ruhig. Sie «hibbelt»<br />

zwar auch manchmal, aber<br />

sie kann länger am Tisch sitzen<br />

und mit uns reden. Wenn sie ein<br />

Ziel vor Augen hat, dann gibt es<br />

nichts, das sie stoppen kann. Sei es<br />

eisern für etwas zu sparen, für eine<br />

62 SEPTEMBER <strong>2015</strong>


Serie<br />

Prüfung zu lernen oder etwas für<br />

ihre Liebsten zu basteln. Allerdings<br />

tagträumt sie gerne mal und<br />

braucht mehrere Erinnerungen<br />

und Aufforderungen, etwas zu<br />

erledigen.<br />

Mein Bruder ist seinen Eltern<br />

und der Lehrerschaft gegenüber<br />

sehr höflich und sehr loyal. Er hat<br />

wenige Hobbys, aber diejenigen,<br />

die er hat, verfolgt er mit grösster<br />

Leidenschaft und lässt sich durch<br />

diese auch hoch motivieren. Gäbe<br />

es eine Schule fürs Gaming, er<br />

würde mit Top-Noten abschliessen<br />

und wirklich dafür lernen. Er ist<br />

nämlich nicht blöd oder dumm.<br />

Aber ich denke, dass er einfach an<br />

den «normalen» Schulfächern<br />

nicht interessiert ist. Und warum<br />

soll man sich für etwas anstrengen,<br />

das man nicht lernen möchte?<br />

Meine Schwester allerdings hat stetig<br />

wechselnde Interessen. Ballett,<br />

Fussball, Leichtathletik, Basketball,<br />

Reiten … Wie die Kleider wechselt<br />

sie Interessen. Am Anfang ist sie<br />

stets sehr motiviert, doch mit der<br />

Zeit verblasst das, und sie hört<br />

damit auf. Aber sie ist recht motiviert<br />

für die Schule, und auch<br />

wenn es Tage gibt, an denen das<br />

Lernen zweitrangig ist, strengt sie<br />

sich wirklich für die Schule an.<br />

Ich würde sagen, dass ich ein<br />

gutes Verhältnis zu meinen<br />

Geschwistern habe. Als eine Person,<br />

die viel Zeit alleine braucht,<br />

erscheinen mir Michael und Laura<br />

öfters «überwältigend». Aber ich<br />

nehme mir Zeit, wenn sie Probleme<br />

haben oder wenn mich das<br />

schlechte Gewissen einholt.<br />

Ich bin gespannt zu sehen, wie<br />

mein Bruder die Kurve in der<br />

Schule kriegt und wie meine<br />

Schwester sich bei der Qual der<br />

Berufswahl entscheiden wird.»


Kolumne<br />

Ein Prost auf<br />

mütterliche Selbstzweifel<br />

Michèle Binswanger<br />

Die studierte Philosophin<br />

ist Journalistin und Buchautorin.<br />

Sie schreibt zu Gesellschaftsthemen,<br />

ist Mutter zweier Kinder<br />

und lebt in Basel.<br />

Es war eine laue Sommernacht in der Toskana. Die italienische<br />

Hochzeit eines Freundes wurde gefeiert, wir sassen in Zelten<br />

unter Lüstern an einer fürstlich gedeckten Tafel mit üppigen<br />

Blumengebinden und klirrendem Kristall. Während der Tischrede<br />

des Bräutigams füllten herumschwirrende Kellner die Gläser,<br />

dasjenige meiner bald vierzehnjährigen Tochter und meines Elfjährigen blieb<br />

selbstverständlich leer. Nicht ganz so selbstverständlich für sie. Als die<br />

Tischgesellschaft die Gläser hob, um anzustossen, folgten die erwartungsfrohen<br />

Blicke der Tochter dem Weg meines Glases an meine Lippen und von dort<br />

wieder auf den Tisch, worauf sie die Hand danach ausstreckte und mit<br />

einem weiteren Blick fragte: «Ich darf?» Sie durfte, und der Kleine quakte<br />

hintendrein: «Ich will auch!»<br />

Bislang hielt ich es mit Alkohol und den Kindern so, dass sie jeweils ein<br />

Schlückchen probieren durften, wenn die Erwachsenen trinken. Was ich<br />

insofern unproblematisch fand, als ich weder eine Martini- noch eine Prosecco-<br />

Mutter bin und zu Hause so gut wie gar keinen Alkohol trinke, es sei denn,<br />

ich habe Gäste. Doch in den Ferien ist meistens alles ein bisschen anders,<br />

und so auch hier. Oft gab es mittags schon Wein, und die Kinder baten jedes<br />

Mal um einen Schluck. Und hier bei der Hochzeit bedeutete der Blick meiner<br />

Tochter schon mehr als Bitten, es war eine Forderung. Der Sohn folgte<br />

ihrem Beispiel, was er mit besonderem Vergnügen dann tut, wenn ich das<br />

für eine schlechte Idee halte: Wenn sie darf, dann darf ich auch!<br />

Wieder einmal stellten sich mir all die erzieherischen Fragen, auf die es<br />

vielleicht keine eindeutige Antwort gibt. Sollten Eltern ihren Kindern Alkohol<br />

strikt verbieten in der Hoffnung, die Kinder mögen möglichst spät die<br />

Freuden des Rausches entdecken – was sie ohnehin irgendwann werden?<br />

Oder ist es besser, ihnen einen kontrollierten Zugang zu gewähren? Das Thema<br />

berührt mich besonders. Denn obschon ich mich nicht als Suchtmenschen<br />

einschätze, bin ich dem Rausch nicht abgeneigt. Und wie beim Rausch stellt<br />

sich auch in der Erziehung immer wieder die Frage: Wie viel ist genug, was<br />

ist zu viel? Und wo liegt die Grenze? Oder besser: Wie weit darf ich mich über<br />

die Grenze hinauswagen, ohne den Boden zu verlieren?<br />

Vorbild ist alles in der Erziehung, und ich mag in vielen Hinsichten<br />

unzulänglich sein. Meiner Tochter habe ich immerhin das mit auf den Weg<br />

gegeben: die Einstellung, alles mit Mass zu geniessen, immer mit dem Auge<br />

auf den Konsequenzen. Und Respekt, um nicht zu sagen Angst vor<br />

der Abhängigkeit. Aber wie viel können Eltern diesbezüglich beeinflussen?<br />

Was meine Tochter betrifft, habe ich wenig Bedenken. Doch der Sohn kommt<br />

mehr nach mir. Und ich weiss, wie oft es wohl einfach nur Glück war, dass<br />

ich nicht auf eine schiefe Bahn geriet. Als er an der Hochzeit lautstark seinen<br />

Schluck einforderte, sagte ich ihm: Nein, ich glaube heute nicht. Und nahm<br />

meinerseits einen grossen Schluck aus dem Tümpel der mütterlichen<br />

Selbstzweifel. Man weiss nie, ob man ein Kind gerade vor etwas bewahrt<br />

oder im Gegenteil etwas angestossen hat, was man verhindern wollte.<br />

Illustration: Petra Dufkova/Die Illustratoren<br />

64 SEPTEMBER <strong>2015</strong>


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Psychologie & Gesellschaft<br />

Mamis Schatten<br />

auf der Seele<br />

Wenn Mutter und Vater psychisch erkranken, schlüpfen die Kinder oft in<br />

die Rolle des Erwachsenen. So wie die 13-jährige Selma. Als ihre Mutter<br />

an Depressionen und Alkoholismus erkrankte, wurde das Mädchen zu<br />

ihrer stillen Komplizin. Eine Geschichte voller Wut, Trauer und<br />

Überforderung. Text: Silvia Aeschbach Fotos: Daniel Auf Der Mauer / 13 Photo<br />

Selma* war acht Jahre alt, als<br />

sie merkte, dass ihre Mutter<br />

ein Problem hat. «Bei<br />

einer Geburtstagsparty<br />

klappte sie einfach zusammen.<br />

Ich sah sie am Boden liegen<br />

und bin total erschrocken. Am<br />

nächsten Tag sagte sie zu mir, ich<br />

dürfe niemandem erzählen, dass sie<br />

krank sei. Das habe ich auch nie<br />

gemacht», erzählt das hochgewachsene<br />

Mädchen. Wenn Selma über<br />

ihre Vergangenheit spricht, dann<br />

ruhig und abgeklärt. Nur ihre Finger,<br />

die sie immer wieder ineinander<br />

verknotet, zeigen ihre unterschwellige<br />

Nervosität.<br />

Selma ist 13 Jahre alt. Sie liebt<br />

ihren Hund Lucky, spielt Volleyball<br />

und ist eine richtige Zeichenkünstlerin.<br />

«Das Zeichnen ist eine Form,<br />

ihre Vergangenheit zu verarbeiten»,<br />

sagt die Psychologin, zu der Selma<br />

alle 14 Tage geht. Gemeinsam sitzen<br />

wir an diesem regnerischen Mittwochnachmittag<br />

im Büro eines Kinder-<br />

und Jugendpsychiatrischen<br />

Dienstes.<br />

Selma möchte mir ihre Geschichte<br />

erzählen, «damit ich anderen Kindern<br />

helfen kann, die auch so etwas<br />

wie ich erleben». Selmas Mutter,<br />

Elena, war depressiv und alkoholkrank.<br />

Vor zwei Jahren hat sie<br />

sich unter einen Zug geworfen. «Als<br />

sie mir sagten, wie sie sich umgebracht<br />

hatte, wurde ich böse. So<br />

haben auch noch andere Leute leiden<br />

müssen», sagt Selma bestimmt.<br />

Und etwas weicher fügt sie an: «Aber<br />

s Mami war halt krank.»<br />

Selma und ihre Mutter Elena<br />

waren ein eingeschworenes Team.<br />

Die alleinerziehende Mutter, sie<br />

trennte sich von Selmas Vater, als<br />

Selma dreijährig war, und ihre Tochter<br />

machten fast alles zusammen.<br />

«Aber als sie krank wurde, musste<br />

ich auf sie aufpassen», sagt Selma<br />

mit grosser Selbstverständlichkeit.<br />

«Und auch auf mich», fügt sie an.<br />

«Ich stellte am Morgen meinen<br />

Wecker, weil Mami immer länger<br />

geschlafen hat. Und ich wollte nicht<br />

zu spät in die Schule kommen.»<br />

Wie war das, als das Mami noch<br />

gesund war? «Das war lässig.<br />

Manchmal nahm sie mich mit, wenn<br />

sie Sachen mit dem Lieferwagen<br />

auszufahren hatte, dann hatten wir<br />

es total lustig. Aber dann wurde sie<br />

immer unglücklicher. Sie erzählte<br />

mir ein bisschen über ihre Sorgen.»<br />

Unwillkürlich überkommt einen das<br />

Gefühl, dass Selma anfänglich stolz<br />

war, Freundin, Vertraute und Geheimnisträgerin<br />

ihrer Mutter zu<br />

sein. «Aber es machte mich auch<br />

traurig, dass ich ihr nicht wirklich<br />

helfen konnte.»<br />

Nach dem Vorfall am Geburtstag<br />

ringt Elena dem Mädchen ein Versprechen<br />

ab: «Du darfst niemandem<br />

sagen, dass ich krank bin. Das ist<br />

jetzt unser Geheimnis. Kannst du es<br />

für dich behalten?» Und Selma hält<br />

dicht. Und wieder schwingt dieser<br />

Stolz in ihrer Stimme mit: «Meine<br />

Lehrerin hat mir später mal gesagt,<br />

man hätte mir nicht angesehen, dass<br />

es bei mir zu Hause Probleme gebe.»<br />

Um ihrem Kind ihre Krankheit<br />

zu erklären, hatte Elena ein >>><br />

«Du darfst niemandem sagen,<br />

dass ich krank bin. Das ist jetzt<br />

unser Geheimnis.»<br />

66 SEPTEMBER <strong>2015</strong>


Nein, böse sei sie<br />

ihrer Mama nicht<br />

mehr – denn diese<br />

war nun mal krank,<br />

sagt Selma.<br />

SEPTEMBER <strong>2015</strong>67


Psychologie & Gesellschaft<br />

>>> Bilderbuch gekauft, das von<br />

einer alkoholkranken Mutter handelt.<br />

«Wir haben das Buch zusammen<br />

angeschaut, aber das war<br />

eigentlich gar nicht nötig, ich wusste<br />

ja schon lange, was dem Mami<br />

fehlt. Und dass es kein Traubensaft<br />

war, den sie sich immer einschenkte»,<br />

sagt Selma mit einem verschmitzten<br />

Lachen. Man merkt, das<br />

Mädchen hat Distanz zum Erlebten<br />

gefunden, und doch zittert ihre<br />

Stimme leicht, wenn sie erzählt, dass<br />

sie sich abends oft in den Schlaf<br />

weinte, wenn das Mami zu viel getrunken<br />

hatte. «Dann war sie immer<br />

so weit weg und ganz komisch.»<br />

Hatte Selma denn nie das Bedürfnis,<br />

mit jemandem darüber zu reden?<br />

«Doch, manchmal schon. Und<br />

dann hatte ich ein schlechtes Gewissen.<br />

Neben mir wussten nur Mamis<br />

Eltern und ihr Bruder, mein Götti,<br />

welche Probleme das Mami hat.»<br />

Elenas Sucht und ihre Depressionen<br />

wurden stärker. In den folgenden<br />

zwei Jahren war die alleinerziehende<br />

Mutter zunehmend über-<br />

Intuitiv spürte Selma, dass ihre<br />

Mutter nicht alleine sterben<br />

wollte. Sie wollte, dass Selma<br />

mit ihr stirbt.<br />

fordert. Mit ihrem Ex-Mann und<br />

ihren Eltern wollte sie keinen Kontakt<br />

mehr, Geldsorgen kamen hinzu.<br />

Und immer häufiger gab es Streit<br />

zwischen Mutter und Tochter. Warum?<br />

«Daran kann ich mich nicht<br />

mehr erinnern», sagt Selma und<br />

zwirbelt ihr langes braunes Haar.<br />

«Ich weiss nur, dass ich es ihr nie<br />

recht machen konnte. Es brauchte<br />

nicht viel und s Mami flippte aus.»<br />

Und manchmal brach Elena einfach<br />

zusammen. «An einem Abend<br />

hörte ich, wie sie in der Küche weinte.<br />

Ich ging zu ihr, sie sass auf dem<br />

Boden. Ich gab mir Mühe, nicht<br />

auch zu weinen, und versuchte sie<br />

zu trösten. Dann sagte sie: ‹Ich<br />

möchte nur noch sterben.› Da wurde<br />

ich hässig und sagte: ‹Du kannst<br />

mich doch nicht alleine lassen, was<br />

fällt dir ein?›» Doch intuitiv spürte<br />

Selma, dass ihre Mutter nicht alleine<br />

in den Tod gehen wollte. «Sie wollte,<br />

dass ich mit ihr sterbe. Jedes Mal<br />

beim Autofahren kroch ich fast in<br />

den Sitz hinein, weil ich fürchtete,<br />

sie könnte plötzlich das Steuer rumreissen.<br />

Und ich wollte nicht sterben.»<br />

Bist du Mami heute böse deswegen?<br />

Selma überlegt nicht lange:<br />

«Nein, nicht mehr. Sie wollte mich<br />

halt nicht alleine lassen. Und sie litt<br />

zunehmend darunter, dass sie mir<br />

zur Last fiel.»<br />

Selma übernimmt zunehmend<br />

Erwachsenenpflichten: «Mama hat<br />

alles mit mir besprochen. Manchmal<br />

war mir das fast zu viel Offenheit.<br />

Ich war ihre einzige Vertraute. Sie<br />

sagte immer: ‹Du bist die Einzige,<br />

die für mich da ist.›» Selma ist zu<br />

diesem Zeitpunkt 10 Jahre alt. Das<br />

Mädchen übernimmt mehr und<br />

mehr Haushaltspflichten. «Wenn<br />

Mama am Morgen länger schlafen<br />

musste, weil sie eine schlechte >>><br />

«Kinder sollen nicht die Verantwortung für ihre<br />

Eltern übernehmen müssen»<br />

Die Psychologin Irène Koch über ihre Arbeit mit Kindern von psychisch belasteten Eltern.<br />

Interview: Silvia Aeschbach<br />

Frau Koch, für Eltern mit psychischen<br />

Problemen gibt es in Winterthur neu eine<br />

therapeutische Elterngruppe. Wie ist es<br />

dazu gekommen?<br />

Im Gegensatz zu einer somatischen<br />

Erkrankung sind psychische Störungen<br />

vielfach immer noch stigmatisiert. Viele<br />

Betroffene haben darum Schuld- und<br />

Schamgefühle und machen sich grosse<br />

Sorgen um das Wohl ihrer Kinder. Sie<br />

wollen, dass sich diese trotz der momentan<br />

schwierigen Lage gut entwickeln können.<br />

Und wo setzt die Gruppentherapie ein?<br />

Wir arbeiten zunächst präventiv und<br />

helfen den Eltern, mit ihren Kindern<br />

altersgerecht über die Probleme zu reden.<br />

Bei einem kleineren Kind kann man das<br />

zum Beispiel mit einem Bilderbuch<br />

machen. Die Kinder sollen das Gefühl<br />

bekommen, dass sie nicht die Verantwortung<br />

für das Mami oder den Papi übernehmen<br />

müssen. Das kann entlasten.<br />

Welche Krankheiten haben die Eltern?<br />

Das ist sehr gemischt. Depressionen,<br />

Angst-, Zwangs- oder Persönlichkeitsstörungen,<br />

Alkoholprobleme, Borderline<br />

oder Psychosen. Es sind mehr Frauen als<br />

Männer.<br />

Wo liegen die Schwierigkeiten für die<br />

Kinder mit einem Elternteil, der psychische<br />

Probleme hat?<br />

Viele Kinder sind überfordert und müssen<br />

zum Beispiel Aufgaben übernehmen,<br />

die nicht altersgerecht sind. Oder sie<br />

wissen nicht, was sie jetzt über die Krankheit<br />

erzählen dürfen. Oft gilt in Familien<br />

auch ein unausgesprochenes Kommunikationsverbot.<br />

Viele Kinder fühlen sich<br />

68 SEPTEMBER <strong>2015</strong>


Selma möchte später<br />

Sozialpädagogin<br />

werden und anderen<br />

Menschen helfen.<br />

in einer solchen Situation unsicher, sie<br />

sind irritiert, und so kommt es zu einer<br />

Sprachlosigkeit, die zu einer Einsamkeit<br />

führen kann.<br />

Was wollen Sie als Therapeutin mit Ihrer<br />

Arbeit erreichen?<br />

Wir wollen, dass die Eltern ihre Kinder<br />

möglichst stärken und begleiten können,<br />

trotz ihrer psychischen Krankheit. Wenn<br />

wir in der Elterngruppe über das Wohl<br />

der Kinder sprechen, gibt das nicht nur<br />

ihnen neue Zukunftsmöglichkeiten, sondern<br />

auch den Eltern. Viele bekommen<br />

so eine neue Motivation und erleben,<br />

dass sie trotz Krankheit etwas bewirken<br />

können und nicht alleine sind.<br />

Wie setzt sich die Gruppe zusammen?<br />

Es sind maximal acht Erwachsene, die<br />

von einer psychischen Krankheit betroffen<br />

sind und minderjährige Kinder<br />

haben. Die Gruppe trifft sich sechs Mal<br />

und behandelt jeweils ein anderes<br />

Schwerpunktthema.<br />

Wäre es nicht sinnvoll, auch therapeutische<br />

Kindergruppen zu bilden?<br />

Mittel- bis langfristig möchten wir auch<br />

solche Kindergruppen aufbauen. Wir<br />

wollen nicht nur die betroffenen Eltern<br />

stärken, sondern auch die Widerstandsfähigkeit<br />

der Kinder fördern.<br />

Trotz aller Gespräche, einen psychisch<br />

kranken Elternteil zu haben, ist eine grosse<br />

Belastung für ein Kind.<br />

Genau. Darum ist es wichtig, dass das<br />

Kind auch eine «andere Welt» hat: Es soll<br />

rausgehen können, mit anderen sprechen,<br />

mit den Grosseltern etwas unternehmen,<br />

wenn der kranke Elternteil<br />

Mühe hat, aktiv zu sein, wie das bei<br />

Depressionen vielfach der Fall ist. Die<br />

Beziehung zwischen Eltern und Kindern<br />

ist wichtig, aber es ist ebenfalls wichtig,<br />

dass das Kind auch andere Bezugspersonen<br />

hat.<br />

Irène Koch<br />

ist stellvertretende leitende Psychologin beim<br />

Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienst im<br />

Kanton Zürich und Leiterin einer therapeutischen<br />

Elterngruppe für psychisch belastete Eltern.<br />

SEPTEMBER <strong>2015</strong>69


Psychologie & Gesellschaft<br />

>>> Nacht hatte, machte ich für<br />

mich alleine Zmorge. Ich habe mich<br />

schnell daran gewöhnt, alleine am<br />

Tisch zu sitzen und meine Schoggi<br />

zu trinken», erinnert sich Selma.<br />

Als Elena in immer stärkere<br />

Depressionen verfällt, kommt sie für<br />

drei Wochen in eine psychiatrische<br />

Klinik. In dieser Zeit wird auch Selmas<br />

Vater eingeschalten. Selma verbringt<br />

von nun an jedes zweite<br />

Wochenende bei ihm: Und es gefällt<br />

ihr dort, obwohl ihr Papa ihr anfänglich<br />

noch fremd ist. «Dort konnte<br />

ich richtig Kind sein und musste<br />

keine Verantwortung übernehmen.»<br />

Selma erlebt bei ihrem Vater einen<br />

geregelten Tagesablauf, wie sie ihn<br />

von zu Hause her nicht mehr kennt.<br />

«Wir haben viel gemeinsam unternommen,<br />

sind im Sommer ins<br />

Schwimmbad oder Velo fahren gegangen,<br />

oder auch in den Zoo», erinnert<br />

sie sich mit leuchtenden<br />

Augen. «Ich habe mich immer total<br />

auf die Zeit mit Papa gefreut, hatte<br />

aber auch ein bisschen ein schlechtes<br />

Gewissen gegenüber Mama, weil<br />

ich sie dann alleine liess.»<br />

Wenn es Elena zu viel wird, steigt<br />

sie ins Auto und fährt davon. Selma<br />

hat dann Angst, ruft einmal den<br />

Vater an, der sich danach um sie<br />

kümmert. Einmal ihren Götti, Elenas<br />

Bruder. Als Elena das erfährt, ist<br />

sie ausser sich vor Zorn. «Mama<br />

sagte, er habe sich nicht um uns<br />

gekümmert, als es ihr schlecht ging,<br />

der müsse jetzt auch nicht kommen.»<br />

Und dann kam der 8. August. Ein<br />

heisser Sommertag. Selma hatte<br />

eine leichte Grippe, wollte aber<br />

unbedingt in ihren Schwimmkurs.<br />

Elena wollte, dass das Mädchen zu<br />

Hause blieb. Es kam wieder zum<br />

Streit. Elena verliess die Wohnung,<br />

und als sie weg war, packte Selma<br />

ihre Badesachen und ging ins<br />

Schwimmbad. Dort fühlte sie sich<br />

aber nicht wohl und ging wieder<br />

nach Hause.<br />

«Daheim lag ein Zettel auf dem<br />

Tisch, wo Mami schrieb, sie schlafe,<br />

und ich solle sie nicht wecken. Ich<br />

war total sauer, denn ich wusste ja,<br />

dass sie vorher mit dem Auto weggefahren<br />

war. Aber eigentlich war es<br />

mir auch egal, wo sie war. Ich glaube<br />

heute, es war einfach zu viel für<br />

mich. Ich ass meinen Znacht und<br />

schlief auf dem Sofa ein. In der<br />

Nacht hörte ich, wie Mami reinkam,<br />

Weinflaschen klirrten. Sie kam nahe<br />

zu mir, ich roch ihren Atem, das war<br />

ganz grusig, ich stellte mich schlafend.<br />

Sie sagte: ‹Ich liebe dich und es<br />

ist gut so für uns beide.› Dann war<br />

sie weg. In dem Moment war es mir<br />

egal, aber nachher nicht mehr, und<br />

ich ging in die Tiefgarage. Das Auto<br />

war weg, da bekam ich Angst.» Nur<br />

schwer kann sie in dieser Nacht weiterschlafen:<br />

«Ich hatte ein komisches<br />

Gefühl, denn über Nacht ist Mama<br />

eigentlich nie weggeblieben.»<br />

Am nächsten Morgen wachte<br />

Selma alleine auf. Das komische<br />

Gefühl war nicht verschwunden.<br />

«Ich mochte gar nichts frühstücken,<br />

mein Magen tat ganz fest weh, weil<br />

ich Angst wegen Mama hatte. Aber<br />

weil sie mir immer sagte, es sei wichtig,<br />

dass ich regelmässig esse, habe<br />

ich mir ein Pausenbrot gemacht und<br />

ging dann zur Schule.»<br />

«In der zweiten Lektion holte<br />

mich die Lehrerin raus und sagte:<br />

Der Atem ihrer Mutter roch nach<br />

Alkohol. Sie sagte: «Ich liebe dich<br />

und es ist gut so für uns beide.»<br />

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–<br />

03.01.2016


‹Wir müssen reden.› In einem Zimmer<br />

warteten Polizisten, mein<br />

Grossvater und mein Götti auf mich.<br />

Da wusste ich: Es war vorbei. Sie<br />

sagten: ‹Mami hatte einen Unfall.›<br />

Dann, dass sie tot sei. Ich wusste<br />

sofort, dass es kein Unfall war.»<br />

Wie fühltest du dich damals?<br />

«Ich war glücklich, traurig und<br />

böse, alles zusammen.»<br />

Es wird bestimmt, dass Selma für<br />

die nächste Zeit bei ihren Grosseltern<br />

väterlicherseits leben soll.<br />

Noch am selben Tag verlässt sie die<br />

Schule. Sie wird nicht mehr zurückkehren.<br />

Die Kollegen schreiben kleine<br />

Abschiedsbriefchen, die sie Selma<br />

in den Rucksack legen. So gerührt<br />

Selma von dieser Geste ist, so<br />

schnell will sie weg aus der alten<br />

Umgebung: «Ich wollte neue Kollegen<br />

finden, denn die alten erinnerten<br />

mich daran, dass ich immer<br />

etwas verstecken musste.»<br />

An die Beerdigung kann sie sich<br />

nicht mehr richtig erinnern, nur<br />

daran, «dass ich viel vom Mami<br />

geträumt habe. Ich konnte mir nicht<br />

vorstellen, dass sie wirklich tot war.<br />

Mit der Zeit merkte ich, dass sie<br />

nicht mehr zurückkam. Ich hatte<br />

dann oft Glücksgefühle, dass alles<br />

vorbei war, dann aber hasste ich sie,<br />

dass sie mich alleine gelassen hat.»<br />

Ein halbes Jahr bleibt Selma bei<br />

den Grosseltern, seit zwei Jahren<br />

lebt sie bei ihrem Vater und seiner<br />

neuen Lebensgefährtin. «Heute geht<br />

es mir super gut», sagt sie mit einem<br />

breiten Lachen. Vermissen täte sie<br />

ihre Mutter nur manchmal. «Das<br />

hiesse ja, dass ich die Vergangenheit<br />

vermissen würde, und das tue ich<br />

nicht. Am schönsten ist, dass ich<br />

heute über alles reden darf. Und<br />

meine Mutter schaut mir von oben<br />

herab zu.»<br />

So abgeklärt Selma über ihre Vergangenheit<br />

spricht, so fragil ist das<br />

neue Gleichgewicht. Gleich nach<br />

dem Tod ihrer Mutter fühlte sie<br />

«eine grosse Leere, da habe ich mich<br />

selber verletzt», etwas, das sie heute<br />

nicht mehr tut. «Das Ritzen, das tut<br />

mir nicht gut.»<br />

Spricht sie mit Freundinnen über<br />

ihre Vergangenheit? «Nein, nur ganz<br />

selten, denn ich habe das Gefühl,<br />

dass sie mich nicht verstehen. Wie<br />

sollen sie auch? Sie haben ja nicht<br />

durchgemacht, was ich durchgemacht<br />

habe.»<br />

Die 13-Jährige ist jetzt in der ersten<br />

Oberstufe und möchte später<br />

Sozialpädagogin werden oder in<br />

einem Altersheim arbeiten. «Ich<br />

helfe gerne, weil ich weiss, wie es ist,<br />

wenn man keine Hilfe bekommt.<br />

Und, ich will nicht, dass jemand so<br />

einen Scheiss wie meine Mama<br />

macht.»<br />

Beim Abschied drückt mir Selma<br />

fest die Hand und sagt: «Es würde<br />

mich freuen, wenn mir andere Kinder<br />

schreiben würden.»<br />

>>><br />

* Namen von der Redaktion geändert<br />

Silvia Aeschbach<br />

hat über ihre Panikattacken das Buch «Leonardo DiCaprio trifft<br />

keine Schuld» (Wörtersee Verlag) geschrieben und kennt das Thema<br />

Ängste aus eigenem Erleben. Als sie die 13-jährige Selma traf, war sie<br />

erstaunt, wie gefasst und erwachsen das Mädchen mit dem Tod ihrer<br />

Mutter umgeht. Und wie lebensfroh Selma trotz ihres Schicksals ist.<br />

Wir brauchen Ihre<br />

Unterstützung.<br />

Fast jede Woche stirbt in der<br />

Schweiz ein Kind an Krebs.<br />

Unterstützen Sie die Kinderkrebsforschung<br />

für bessere<br />

Heilungschancen.<br />

Konzert für die Kinderkrebsforschung<br />

am 27.09.<strong>2015</strong> in SEPTEMBER der Tonhalle <strong>2015</strong>71<br />

St.Gallen mit dem Jugend Sinfonieorchester Zürich und Solocellist Alexander Neustroev<br />

Weitere Informationen, Spenden und Tickets: www.kinderkrebsforschung.ch


Ernährung & Gesundheit<br />

Krank über den Wolken<br />

Fliegen ist für die meisten Menschen aufregend – für<br />

Familien erst recht. Wichtig ist eine gute Vorbereitung,<br />

auch für den Fall, dass ein Kind in der Luft krank wird.<br />

Text: Petra Seeburger<br />

regelmässig Medikamente nehmen,<br />

brauchen diese natürlich auch während<br />

des Fluges. «Wir empfehlen<br />

gerade bei Kindern, die vertrauten<br />

eigenen Medikamente immer mitzuführen»,<br />

sagt Dr. Ensslin. Dazu ein<br />

Schreiben des Kinderarztes, das im<br />

Bedarfsfall bei der Sicherheitskontrolle<br />

vorgewiesen werden kann.<br />

Der Kleine schreit und<br />

weint herzzerreissend.<br />

Und zwar bereits<br />

seit gefühlten<br />

fünf Stunden. Es ist<br />

etwa morgens um vier in einer Höhe<br />

von 30 000 Fuss mitten über dem<br />

Atlantik. Der Nachtflug von Boston<br />

nach Zürich verläuft ohne Turbulenzen,<br />

und trotzdem kann keiner<br />

schlafen. Die meisten Passagiere<br />

schwanken zwischen Mitleid mit<br />

dem kleinen Kerl und übernächtigtem<br />

Ärger. Es gibt zwar immer wieder<br />

Heulpausen, aber kaum dösen<br />

die meisten wieder ein, beginnt das<br />

Geschrei von vorn. Der Vierjährige<br />

hat Ohrenschmerzen. Seine Eltern<br />

sind inzwischen ebenfalls gestresst,<br />

so haben sie sich Fliegen nicht vorgestellt.<br />

Für Familien mit Kindern ist eine<br />

Flugreise oft eine Herausforderung,<br />

besonders auf Langstrecken: Die<br />

Luft ist trocken, der Raum begrenzt<br />

und die Landung noch Meilen entfernt.<br />

Doch zur globalisierten Welt<br />

gehört Fliegen: Familienmitglieder<br />

werden besucht, neue Arbeitsstellen<br />

angetreten oder Ferien auf anderen<br />

Kontinenten gemacht. Laut Dr. med.<br />

Angela Ensslin, Leiterin des Medizinischen<br />

Dienstes der Swiss,<br />

können bereits Babys ab einem Alter<br />

von 48 Stunden mitfliegen. Sie empfiehlt<br />

eine Flugreise aber erst nach<br />

dem siebten Lebenstag: «So besteht<br />

Zeit, das Kind kennenzulernen, und<br />

die Kleinen sind stabiler und nehmen<br />

schon an Gewicht zu.» Wer mit<br />

seinem Säugling unbedingt früher<br />

fliegen will, braucht bei der Swiss ein<br />

ärztliches Zeugnis.<br />

Wichtige Medikamente gehören ins<br />

Handgepäck<br />

Hauptproblem bei flugreisenden<br />

Kindern ist der Druckausgleich. Laut<br />

Angela Ensslin haben alle Kinder<br />

mehrmals pro Jahr Infekte der<br />

oberen Atemwege. Dabei kann es zu<br />

Nasen- oder Ohrenentzündung<br />

kommen, was den Druckausgleich<br />

erschwert oder verhindert. Schlimme<br />

Ohrenschmerzen sind die Folge.<br />

Bei Säuglingen regt Stillen oder das<br />

Saugen an einer Milchflasche oder<br />

an einem Schnuller das Schlucken<br />

an, was den Druckausgleich unterstützt.<br />

Älteren Kindern nützen<br />

Lutschbonbons oder Kaugummi.<br />

Helfen kann auch ein abschwellendes<br />

Nasenspray. Bei Reisen mit Kindern<br />

lohnt es sich, dies im Handgepäck<br />

mitzuführen. Darein gehören<br />

auch ein Thermometer oder fiebersenkende<br />

Medikamente, weil Kinder<br />

plötzlich fiebern können. Kinder, die<br />

Nur gesund fliegen<br />

Kinder leiden auch eher als Erwachsene<br />

unter Reisekrankheit, was aber<br />

in einem modernen Flugzeug kaum<br />

vorkommt. Die Ärztin empfiehlt,<br />

dass Kinder vor dem Abflug etwas<br />

Leichtes essen und während des Fluges<br />

immer ausreichend trinken.<br />

An Bord der meisten Fluggesellschaften<br />

gibt es für den Notfall eine<br />

Bordapotheke mit den gängigsten<br />

Medikamenten. Die Cabin Crew ist<br />

dafür ausgebildet – auch in Erster<br />

Hilfe. Für eine Reise sollten Kinder<br />

aber gesund sein. Insbesondere Kinder<br />

mit Infektionskrankheiten sollten<br />

gemäss der Ärztin nicht reisen:<br />

«Wegen der Ansteckungsgefahr,<br />

aber auch, weil sich der Gesundheitszustand<br />

während des Fluges<br />

verschlechtern kann.» Dies gilt auch<br />

für Kinderkrankheiten wie zum Beispiel<br />

Windpocken, Masern, Mumps<br />

oder Röteln.<br />

Kinder mit chronischen Krankheiten,<br />

insbesondere Lungenerkrankungen,<br />

brauchen vor einer geplanten<br />

Flugreise ein medizinisches<br />

Attest – das SAF/MEDIF-Formular,<br />

das ihr behandelnder Arzt ausstellen<br />

muss. Der medizinische Dienst der<br />

Fluggesellschaft prüft den Fall und<br />

gibt das Einverständnis oder nicht,<br />

falls das Risiko zu gross erscheint,<br />

dass sich der Gesundheitszustand<br />

des Kindes auf dem Flug verschlech-<br />

72 SEPTEMBER <strong>2015</strong>


tern könnte. Kritisch können auch<br />

unerkannte beginnende Infekte bei<br />

Kindern mit Asthma sein oder Fieberkrämpfe<br />

sowie andere Krampfanfälle.<br />

In einem ernsten medizinischen<br />

Notfall kann es laut Ensslin auch zu<br />

einer ungeplanten Zwischenlandung<br />

kommen. Um das zu verhindern,<br />

gilt es, eine Flugreise gerade<br />

für die Kinder gut vorzubereiten.<br />

Petra Seeburger<br />

ist Intensivpflegefachfrau, Journalistin und<br />

Kommunikationsspezialistin. Sie arbeitet<br />

seit 30 Jahren im Gesundheitswesen.<br />

Tipps für Flugreisen mit Kindern<br />

Vorbereitung: Dazu gehören neben Informationen über das Reiseziel<br />

betreffend Klima und medizinischer Versorgung auch Medikamente für den<br />

Bedarfsfall und Vorbereitungen für die Flugreise.<br />

Planung: Nonstopflüge buchen, also Flüge ohne Zwischenstopp und ohne<br />

häufiges Umsteigen. Auf die Flugzeiten achten und sehr frühe oder sehr<br />

späte Abflüge vermeiden.<br />

Sitzplatz: Babys sitzen bis zum zweiten Geburtstag auf dem Schoss der<br />

Eltern. Ab dem zweiten Geburtstag benötigen Kinder einen eigenen Sitzplatz.<br />

Viele Airlines haben Kindertarife. Ideal ist ein Platz am Fenster, so kann das<br />

Kind viel sehen und nicht unbeobachtet aufstehen.<br />

Handgepäck: Gewisse Dinge gehören auf einem langen Flug mit Kindern<br />

unbedingt ins Handgepäck: eigene Kuscheldecke, Socken, Spielzeug, Lieblingssnack,<br />

Windeln und Feuchttücher, Ersatzkleider, Fläschchen und Nuggi,<br />

Kaugummi oder Bonbons und die wichtigsten Medikamente.<br />

Beschäftigung: Flugreisen sind auch für Kinder langweilig. Überlegen Sie, wie<br />

Sie Ihr Kind unterwegs beschäftigen wollen. Packen Sie Spielsachen, Bücher<br />

und Malzeug ein – aber auch das Kuscheltier zum Einschlafen.<br />

Druckausgleich: Kaugummis, Gummibärchen, Schnuller und Trinkflaschen<br />

sind hilfreich und verhindern Ohrenschmerzen. Zur Sicherheit ein Nasenspray<br />

ins Handgepäck stecken.<br />

Kamillosan ®<br />

Die Kraft der Manzana-Kamille<br />

• Kamillosan Liquidum:<br />

Entzündungshemmendes, juckreiz-milderndes,<br />

leicht desinfizierendes Mittel (Enthält 43% [V/V] Alkohol).<br />

• Kamillosan Creme und Kamillosan Salbe:<br />

Bei Schürfungen, Kratzwunden, aufgesprungener Haut.<br />

• Kamillosan Ocean Nasenspray:<br />

Zur Reinigung und Befeuchtung der Nasenhöhlen.<br />

Erhältlich in Apotheken und Drogerien.<br />

Dies sind Arzneimittel bzw. ein Medizinalprodukt. Bitte lesen Sie die Packungsbeilage oder<br />

lassen Sie sich von einer Fachperson beraten. MEDA Pharma GmbH, 8602 Wangen-Brüttisellen.


Ernährung & Gesundheit<br />

Süsses: So viel darf es sein<br />

Süssigkeiten essen ist weder ungesund noch eine schlechte Gewohnheit. Die Frage nach<br />

der richtigen Menge birgt allerdings familiären Zündstoff. Text: Regula Thut Borner<br />

Die Empfehlungen<br />

der Schweizerischen<br />

Gesellschaft<br />

für Ernährung SGE<br />

sind klar: Höchstens<br />

zehn Prozent der täglichen<br />

Kalorienzufuhr sollen aus Süssem,<br />

Haushaltszucker und Knabbereien<br />

stammen. Das gilt für Kinder und<br />

Jugendliche ebenso wie für Erwachsene.<br />

Für zehn- bis elfjährige<br />

Kinder sind das rund 220 Kilokalorien.<br />

Bei 13- bis 14-jährigen<br />

Jugendlichen rechnet man mit<br />

220 Kilokalorien für Mädchen<br />

und 270 für die Jungen, bei den<br />

15- bis 18-Jährigen mit 250 bis<br />

310 Kilokalorien. In der Ernährungspyramide<br />

sind Süssigkeiten<br />

und Süssgetränke an der Spitze<br />

angesiedelt. Schokolade, Kuchen<br />

und Schleckwaren haben also<br />

durchaus ihren Platz in der gesunden<br />

Ernährung, ihr Stellenwert<br />

ist aber klein und die Menge<br />

begrenzt. Problematisch wird der<br />

Süssigkeitenkonsum vor allem<br />

dann, wenn regelmässige Mahlzeiten<br />

und vollwertige Grundprodukte<br />

wie Gemüse, Obst und Milch<br />

verdrängt werden.<br />

Kinder und Jugendliche essen<br />

das am liebsten, was ihnen<br />

schmeckt. Und die Vorliebe für<br />

Süsses ist angeboren. Weshalb also<br />

sollen sie sich mit einer Reihe<br />

Schokolade begnügen, wenn sie<br />

problemlos die ganze Tafel essen<br />

können? Süsses schmeckt gut, und<br />

ein selbstauferlegter Verzicht aus<br />

Gesundheitsgründen leuchtet Kindern<br />

und Teenies nicht ein. Es gibt<br />

aber immer wieder Gelegenheiten,<br />

wo Eltern den Zuckerkonsum<br />

beziehungsweise das Essverhalten<br />

ansprechen und auf einen Konsens<br />

hinarbeiten können: wenn im<br />

Sport ein Leistungsziel erreicht<br />

werden soll, eine anstehende Prüfung<br />

viel Konzentration erfordert,<br />

es an Schlaf und Ruhe fehlt oder<br />

das Gewicht in die Problemzone<br />

gerät.<br />

Das Verhalten der Eltern und<br />

Familienregeln im Umgang mit<br />

Süssigkeiten sind wirkungsvoller<br />

als strenge Mengenbeschränkungen<br />

und Kalorienzählen. Abmachungen<br />

können beispielsweise<br />

darin bestehen, dass Kinder und<br />

Teenager fragen, ob sie sich etwas<br />

Süsses nehmen dürfen. Bei der<br />

Menge gibt es ein Mitspracherecht,<br />

aber keine Selbstbedienung.<br />

Man isst gemeinsam am Tisch<br />

statt einsam vor dem Compi.<br />

Regula<br />

Thut Borner<br />

ist dipl. Ernährungsberaterin<br />

HF und<br />

Projektleiterin<br />

Fachbereich<br />

Ernährung<br />

bei Swissmilk.<br />

ernaehrungsberatung@<br />

swissmilk.ch<br />

www.swissmilk.ch<br />

ar<br />

So geht es zum<br />

Rezept für<br />

Beeren-Granité<br />

mit Honigjoghurt:<br />

Fritz+Fränzi-App laden,<br />

starten und diese<br />

Seite scannen.<br />

Foto:Agencja Free / Alamy<br />

74 SEPTEMBER <strong>2015</strong>


© McDonald’s <strong>2015</strong><br />

Rubrik<br />

SEPTEMBER <strong>2015</strong>75


Liebe und Treue 2.0<br />

Fotos: gotinder.com<br />

Menschen kennenzulernen und zu flirten ist dank zahlreicher<br />

Onlineangebote viel leichter als früher. Die neuen Flirt-Apps sind<br />

gerade bei Jugendlichen beliebt. Das Überangebot an möglichen<br />

Partnern könnte aber auch unser Verständnis von Liebe und Treue<br />

verändern. Was wir unseren Kindern vorleben sollten. Text: Bianca Fritz<br />

76 SEPTEMBER <strong>2015</strong>


Digital & Medial<br />

Wegwischen und<br />

Firten geht<br />

heute per App.<br />

Das spricht<br />

freilich nicht nur<br />

Erwachsene an.<br />

Die App Tinder ist in<br />

weniger als einer Minute<br />

auf dem Smartphone<br />

installiert,<br />

und voilà: nur zwei,<br />

drei Klicks später werden Flirtwillige<br />

in der eigenen Altersgruppe und<br />

Umgebung präsentiert. Was nach<br />

einer zwielichtigen 0900er-Nummer<br />

aussieht, ist der neue Trend in<br />

Sachen Flirten. Die Teenager und<br />

Erwachsenen, die sich hier mit Bild<br />

und Alter präsentieren, sind echt –<br />

zumindest zu einem grossen Teil.<br />

Wie in einem Katalog klickt man<br />

sich durch die Profilbilder: Wer<br />

gefällt, bekommt ein Herz, die anderen<br />

werden weggewischt. Mehr als<br />

20 000 Nutzer hat Tinder in der<br />

Schweiz. Dabei ist Tinder nur eine<br />

von vielen Flirt-Apps, die nach ähnlichem<br />

Prinzip funktionieren (siehe<br />

nebenstehende Box). Beliebt sind<br />

diese Programme insbesondere bei<br />

jungen Menschen: keine komplexen<br />

Profile, keine fixen Kosten, keine<br />

Verpflichtungen. Dementsprechend<br />

offen ist aber auch, nach was die<br />

Menschen dort suchen.<br />

Ein kleiner Selbstversuch zeigt:<br />

Ich entscheide nahezu reflexartig.<br />

Männer oben ohne? Nope. Im Anzug?<br />

Nope. Beim Freeclimbing?<br />

Nope. Mit Bierflasche? Nope. Zu alt.<br />

Zu jung … Nope. Nope. Das macht<br />

schnell süchtig. Herzen verteile ich<br />

spärlich. Gemäss einem Singlebörsen-Vergleichsportal<br />

ist das ein<br />

typisch weibliches Verhalten. Männer<br />

herzen grosszügiger. Und irgendwann<br />

fällt mir auf: Wenn ich im<br />

analogen Leben ähnlich streng vorgegangen<br />

wäre, hätte ich meinen<br />

Partner nie kennengelernt. Und<br />

dann die erste Erfolgsmeldung auf<br />

dem Bildschirm: «Es passt! Du und<br />

Stephan stehen aufeinander!» Meist<br />

passiert gar nicht mehr – obwohl<br />

man jetzt die Möglichkeit hätte, sich<br />

zu schreiben, kennenzulernen oder<br />

zu verabreden. «Viele schauen nur,<br />

ob sie jemand attraktiv findet. Das<br />

ist ein guter Ego-Schub», sagte Tinder-Gründer<br />

Sean Rad neulich in<br />

einem Interview mit der «Süddeutschen<br />

Zeitung».<br />

Flirten im Internet ist bequemer<br />

und besser kontrollierbar als im<br />

nichtvirtuellen Raum, sagt Psychologieprofessor<br />

Guy Bodenmann von<br />

der Universität Zürich. «Man kann<br />

dann flirten, wenn man dazu Lust<br />

hat, bequem auf dem Sofa sitzend,<br />

mit den Personen, mit denen man<br />

flirten will. Häufig mit mehreren<br />

gleichzeitig. Zudem kann man die<br />

Kontakte jederzeit abbrechen, wenn<br />

man keine Lust mehr hat.»<br />

Natürlich liegt der Vorwurf nahe,<br />

dass so eine Wegwerfmentalität bedient<br />

wird. «Menschen werden zur<br />

Ware, bekommen einen Schnäppchencharakter»,<br />

sagte Paartherapeut<br />

Rüdiger Wacker kürzlich in der<br />

«Südostschweiz». Im US-Gliedstaat<br />

Rhode Island klagt gar das Gesundheitsdepartement<br />

darüber, dass sich<br />

Geschlechtskrankheiten aufgrund<br />

der Dating-Apps wieder rasant ausbreiteten.<br />

Der Tinder-Gründer Rad sieht<br />

hingegen freilich nur Positives:<br />

«Leute bleiben nicht mehr in einer<br />

Beziehung, um eine Beziehung zu<br />

haben. Wenn ich in einer schlechten<br />

Beziehung bin, muss ich nicht bleiben,<br />

weil ich sicher sein kann,<br />

jemand anderes zu finden. Leute<br />

sind glücklicher deswegen.»<br />

Treu sein und doch fremdchatten?<br />

Doch wie sieht es mit denen aus, die<br />

eine glückliche Beziehung haben?<br />

Werden sie von all den mögli- >>><br />

Häufig verwendete Flirt-Apps<br />

Die Apps sind in ihrer Grundversion kostenlos. Es<br />

kommen ständig neue hinzu. Die genannten (ausser<br />

Spontacts) sind mit dem PEGI-18-Symbol gekennzeichnet.<br />

Denn wie sexuell es wird, entscheiden die<br />

Nutzer.<br />

Tinder<br />

Der Shooting-Star unter den Flirt-Apps<br />

nutzt das Facebookprofil. Dadurch ist<br />

die Gefahr gefälschter Profile geringer<br />

als bei einfacher Anmeldung. Vorher:<br />

Sicherheitseinstellungen bei Facebook prüfen und<br />

die Sichtbarkeit von Fotos einschränken. Die Suche<br />

ist kostenlos, ebenso der Chat, wenn sich beide<br />

attraktiv finden. Vorsicht: Die Premiummitgliedschaft<br />

ist ein In-App-Kauf mit variierenden Preisen.<br />

Badoo<br />

Die Community besticht durch ihre<br />

Grösse. Es geht nicht nur ums Flirten,<br />

sondern auch darum, Leute kennenzulernen.<br />

Anmelden kann man sich<br />

problemlos mit Fantasienamen. Zudem schreibt<br />

Singlebörsen-Vergleich.ch, dass Badoo attraktive<br />

Fake-Profile anlegt, die Nutzer dazu bewegen sollen,<br />

eine Premiummitgliedschaft abzuschliessen. Diese<br />

ist mit rund 100 Franken im Monat sehr teuer.<br />

Lovoo<br />

Zur Anmeldung reichen Name,<br />

Wohnort und Alter. Laut Singlebörsen-<br />

Vergleich.ch gibt es viele Accounts,<br />

die eine Heirat oder Geldüberweisung<br />

anbieten – Spam eben. Knapp eine Million Nutzer hat<br />

Lovoo in der Schweiz. Bestimmte Aktionen kosten<br />

«Creditpoints», oder man kauft eine Mitgliedschaft<br />

für 13 Franken im Monat.<br />

Spontacts<br />

Sich schnell fürs Kino oder den Zoo zu<br />

verabreden, geht mit Spontacts. Flirten<br />

steht nicht im Vordergrund, passiert<br />

aber. Der Google-Play-Store empfiehlt<br />

die Begleitung durch einen Elternteil zu den Treffen.<br />

Gut so, da bei der Anmeldung wenig abgefragt wird.<br />

Spontacts ist kostenlos und hat 95 000 Nutzer in der<br />

Schweiz. Anmeldung ab 16.<br />

Wenn ihre Kinder C-Date, Ashley Madison oder<br />

Joyclub nutzen möchten: Hier geht es um Erotik<br />

und um Seitensprünge. Für Frauen ist das meist<br />

kostenlos, für Männer oft sehr teuer.<br />

SEPTEMBER <strong>2015</strong>77


chen Alternativen in Versuchung<br />

geführt? Guy Bodenmann<br />

berichtet, dass 26 Prozent der Scheidungen<br />

– also mehr als ein Viertel –<br />

aus Beziehungen stammen, in denen<br />

die Partnerschaftszufriedenheit<br />

hoch war. Der Grund für die Scheidung:<br />

Alternativpartner. «Ich denke,<br />

dass das Internet da eine wichtige<br />

Rolle spielt. Es ermöglicht, einfacher<br />

und rascher überhaupt Alternativen<br />

zu haben und auf diese zuzugreifen»,<br />

so Bodenmann. Tinder bestätigt:<br />

Ganze 42 Prozent jener, die ihr<br />

Profil für mögliche Flirts online stellen,<br />

sind vergeben. Und manche<br />

Flirtbörse im Internet ist gar auf<br />

Seitensprünge und Affären spezialisiert.<br />

Es gibt also viele Menschen, die<br />

mit Hilfe des Internets untreu werden<br />

wollen. Doch was heisst eigentlich<br />

Untreue? Ist die klassische Definition<br />

«Sex ausserhalb der Partnerschaft»<br />

noch zeitgemäss? Wie<br />

sieht es mit sexuellen Chats aus?<br />

Oder mit den Internetbekanntschaften,<br />

denen man emotional nahekommt?<br />

Was ist mit dem Ex und der<br />

Jugendliebe, mit denen die Partnerin<br />

in sozialen Netzwerken selbstverständlich<br />

Kontakt hält? «Neu ist<br />

die Vorstellung, dass bereits eine<br />

hohe emotionale Nähe zu einem<br />

Fremden oder der Austausch von<br />

sexuellen Fantasien als Untreue gelten<br />

könnte», sagt Bodenmann.<br />

Unter emotionaler Untreue versteht<br />

er, dass die Sorgen und die Freuden<br />

nicht mehr primär mit dem Partner<br />

geteilt werden, sondern mit einer<br />

anderen Person. «Verletzt man diese<br />

Grenze, opfert man eine der<br />

wichtigsten Qualitäten einer intimen<br />

Partnerschaft», so Bodenmann.<br />

Und die Zahl derer, die sich in<br />

diese Grauzone begeben, ist hoch:<br />

Von jenen, die sich selbst als treu<br />

bezeichnen, chatten – je nach Studie<br />

– 60 bis 80 Prozent emotional<br />

oder sexuell fremd. Hinzu kommt,<br />

dass viele Partner viel Zeit mit Internetkontakten<br />

verbringen, anstatt<br />

sich ihren Liebsten zuzuwenden.<br />

Oder sie surfen lieber auf Pornoseiten<br />

herum, als sexuelle Nähe zu<br />

suchen. Ist etwa auch das schon<br />

Untreue? Oder ist das die Freiheit,<br />

die man sich als Paar lassen sollte?<br />

Eine generell gültige Antwort auf<br />

diese Fragen gibt es nicht. Die Definition<br />

von Treue ist individueller<br />

geworden. Und das macht es nicht<br />

nur für Erwachsene komplizierter,<br />

sondern besonders für jene, die erste<br />

Erfahrungen in Sachen Liebe sammeln:<br />

die Jugendlichen.<br />

38 Prozent der Jugendlichen haben<br />

schon Fremde getroffen<br />

Das Flirtverhalten von Jugendlichen im<br />

Internet ist in der Schweiz noch nicht<br />

genauer untersucht worden. Wenn man<br />

einen Blick in die aktuelle JAMES-Studie<br />

zur Mediennutzung von Jugendlichen<br />

wirft, wird aber deutlich, dass auch<br />

sie das Internet dazu nutzen, andere<br />

kennenzulernen, sich anzunähern.<br />

Denn ganze 38 Prozent der 12- bis<br />

19-Jährigen haben bereits Menschen<br />

getroffen, die sie im Internet kennengelernt<br />

haben. Ansonsten konzentriert<br />

sich die Studie auf das Risikoverhalten<br />

im Bereich Onlineflirt: 12 Prozent der<br />

Jungen und 5 Prozent der Mädchen<br />

geben an, bereits aufreizende Bilder von<br />

sich virtuell verschickt zu haben.<br />

25 Prozent der Mädchen und 11 Prozent<br />

der Jungen sind bereits Opfer von<br />

Cybergrooming geworden. Das heisst,<br />

sie wurden von Fremden im Internet<br />

unerwünscht und mit sexuellen Absichten<br />

angesprochen.<br />

«Das Internet hat sicher einen grossen<br />

Einfluss auf das Flirtverhalten»,<br />

sagt die Psychologin Annette Bischof-<br />

Campbell vom Verein Lilli, der Jugendliche<br />

im Netz in Sachen Liebe und<br />

Schulen<br />

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Institute<br />

Sicher ist<br />

sicher…<br />

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78 SEPTEMBER <strong>2015</strong>


Digital & Medial<br />

Sexualität berät. «Aber Liebe und<br />

Treue werden so sehr wertgeschätzt<br />

wie eh und je», meint sie. Gerade<br />

weil viele Jugendliche die Erfahrung<br />

gemacht hätten, dass Eltern und<br />

Grosseltern ihre Beziehung nicht<br />

hätten erhalten können, wünschten<br />

sich viele Jugendliche, dass es in<br />

ihrer Langzeitbeziehung anders sei.<br />

Aber sie wüssten auch, dass die erste<br />

Liebe nicht die letzte sei. «Natürlich<br />

wechseln sie daher zunächst<br />

leichter die Partnerinnen und Partner<br />

– aber viele kommunizieren das,<br />

und die meisten finden das in Ordnung»,<br />

sagt Bischof-Campbell.<br />

Eltern wünschen sich in erster<br />

Linie, dass ihre Teenager bei der ersten<br />

Liebe und bei den Flirtspielchen<br />

im Netz so wenig wie möglich verletzt<br />

werden. Wie können sie ihnen<br />

dabei helfen? Zum einen sollten<br />

Eltern natürlich mit ihren Kindern<br />

über das Medium Internet und die<br />

Gefahren und Chancen sprechen,<br />

die ein Flirt im Netz bedeuten kann<br />

(siehe nebenstehende Box mit den<br />

goldenen Regeln). Das ist klassische<br />

Medienerziehung.<br />

Wenn es um Liebe und Partnerschaft<br />

geht, spielt aber auch die Werteerziehung<br />

eine grosse Rolle. Hier<br />

helfen Eltern, die selbst reflektieren,<br />

welche Regeln in ihrer Beziehung<br />

gelten sollen, und diese dann vorleben.<br />

Aber natürlich hilft es auch, mit<br />

dem Teenager darüber zu sprechen,<br />

was er sich eigentlich von seinem<br />

Internetflirt oder der ersten Liebe<br />

erhofft. Viele Ratgeber zum Thema<br />

Pubertät schreiben: Erlaubt ist, was<br />

sich für beide Seiten gut anfühlt.<br />

Doch weiss Ihr Teenager bereits,<br />

was sich für ihn gut anfühlt? Wo<br />

fängt für ihn Treue an? Und sieht<br />

das sein Gschpusi genauso?<br />

Bianca Fritz<br />

>>><br />

Fritz+Fränzi-Redaktorin, hat über das Netz<br />

schon enge Freundschaften geschlossen und<br />

findet, dass es dort besonders leicht ist,<br />

Menschen mit ähnlichen Interessen zu<br />

finden.<br />

Goldene Regeln beim Flirt im Netz<br />

von Medienpädagogin Eveline Hipeli<br />

Jugendliche sollten beim Online-Flirten darauf<br />

achten, dass …<br />

… sie nicht zu viel von sich preisgeben, besonders nicht<br />

den (Nach-)Namen, Wohnort, die Schule und schon<br />

gar nicht die Handynummer. Das gilt speziell bei bisher<br />

unbekannten Flirtpartnern.<br />

… sie auch hier eine respektvolle Sprache pflegen. Denn<br />

schriftlich kommt es leicht zu Missverständnissen.<br />

… sie auf «Safer Sexting» setzen. Nacktbilder können<br />

digital ganz schnell unkontrolliert verbreitet werden.<br />

Und ein Flirt ist spannender, wenn man ein attraktives<br />

Bild verwendet, welches nicht zu viel preisgibt. Falls<br />

dennoch Nacktbilder verschickt werden sollen, dürfen<br />

keine Rückschlüsse auf die Person möglich sein:<br />

neutralen Hintergrund wählen, kein Gesicht und keine<br />

speziellen Körpermerkmale zeigen.<br />

… sich hinter dem Profil des Flirtpartners eine ganz<br />

andere Person verbergen kann.<br />

… sie sehr vorsichtig sind beim Vereinbaren von Treffen.<br />

Sie sollten nie allein oder ohne jemandem Bescheid zu<br />

sagen, zu einem Treffen gehen. Erste Treffen sollten an<br />

öffentlichen Orten stattfinden. Je jünger das Kind ist,<br />

desto eher sollten Eltern von Treffen mit Unbekannten<br />

gänzlich abraten.<br />

Weitere FINDUS<br />

Rezepte auf<br />

www.findus.ch<br />

Mami’s Poschtizettel<br />

Dreierlei Findus Plätzli mit Spätzli<br />

an einer Gemüsesauce<br />

Zutaten Gemüsesauce<br />

1 Rüebli<br />

½ Zucchetti<br />

½ Kohlrabi<br />

2 El Tomatenpüree<br />

1 Lorbeerblatt<br />

Ein Schuss Rahm<br />

(Gemüse kann, je nach<br />

Saison oder Belieben<br />

variieren)<br />

Zutaten Spätzli<br />

mind. 500gr Mehl<br />

1 Rüebli<br />

3 Eier<br />

4 dl Milch<br />

1 El Bouillon<br />

Reibkäse<br />

(z.B. Emmentaler)<br />

Salz , Paprika, Pfeffer<br />

3 Variationen<br />

FINDUS Plätzli<br />

Frisch, schnell, gesund<br />

FINDUS Plätzli à la Sültmann – Sachsen-Anhalt trifft auf die Schweiz<br />

FINDUS Botschafterin und Kochbuchautorin Nadja Zimmermann arbeitet an ihrem dritten Kochbuch. Nach dem<br />

Erfolg der ersten zwei Bücher stellt sie nun eine internationale Schweiz und deren Küche vor. Immer im Fokus:<br />

schnelle und gesunde Gerichte, ideal für vielbeschäftigte Eltern. Unterstützt wird sie dabei von FINDUS. Neu sind<br />

zwei Familien porträtiert, die ihre liebsten FINDUS Menüs zeigen. Eine davon die Familie Sültmann aus Baden.<br />

FINDUS Plätzli und selbstgemachte Spätzli à la Sültmann – so wird’s gemacht<br />

1. Ein Rüebli ganz klein hacken<br />

2. Zusammen mit den Eiern, Milch und Gewürzen in einen Massbecher füllen und vermischen<br />

3. Den Massbecher mit Mehl soweit auffüllen und verrühren, bis der Teig langsam vom Löffel tropft<br />

4. Die Spätzli portionenweise in die kochende Bouillon geben<br />

5. Sobald die Spätzli obenauf schwimmen, mit dem Sieb rausfischen und in eine Schüssel geben<br />

6. Reibkäse darüber streuen und die nächste Portion verarbeiten<br />

7. Die drei Sorten FINDUS Plätzli beidseitig in wenig Öl goldbraun braten<br />

8. Alle Zutaten für die Gemüsesauce pürieren, mit einem Schuss Rahm verfeinern<br />

9. Alles schön anrichten und mit Schnittlauchgräsern dekorieren<br />

30 Minuten<br />

Eine kulinarische Weltreise<br />

von Nadja Zimmermann<br />

ab sofort bestellbar.


Digital & Medial<br />

Wie die Eltern,<br />

so das Kind …<br />

Eltern organisieren, bewältigen und geniessen<br />

heute ihren Alltag mit digitalen Medien. Und ihre<br />

Kinder schauen ihnen dabei ganz genau zu.<br />

Text: Michael In Albon<br />

Selbst für eine Erziehungsberaterin,<br />

die weiss, wie<br />

man es besser macht, ist es<br />

eine Heraus forderung, sich<br />

vom Handy zu lösen.<br />

Kathrin Buholzer, Online-Nanny<br />

auf elternplanet.ch und Mutter zweier<br />

Töchter, nutzt ihr Smartphone als<br />

Arbeitsinstrument. Ihre 13-jährige<br />

Tochter reagiert manchmal prompt:<br />

«Leg das Handy jetzt kurz weg und<br />

hör mir zu!» In solchen Momenten<br />

hört sich Kathrin Buholzer selber.<br />

Sie fühlt sich ertappt und ist gleichzeitig<br />

stolz, dass ihre Tochter etwas<br />

Wichtiges gelernt hat: Menschen<br />

brauchen Aufmerksamkeit. «Schon<br />

Babys sehnen sich nach ungeteilter<br />

Aufmerksamkeit», sagt sie. Und das<br />

sei heute eine grössere Herausforderung<br />

denn je. Denn Kinder assoziierten<br />

die Technologie von Kindesbeinen<br />

an mit geteilter Auf -<br />

merk samkeit. Schaut man sich auf<br />

Spielplätzen einmal um, erkennt<br />

man: Oft ziehen die Kinder in diesem<br />

Kampf den Kürzeren.<br />

Kinder lernen am Modell<br />

Wie Eltern selber mit digitalen<br />

Medien umgehen, färbt ab. Gerade<br />

Klein- und Vorschulkinder orientieren<br />

sich stark an ihren Eltern und<br />

älteren Geschwistern. Ihre Richtlinien<br />

sind für Kinder die Regel – ohne<br />

Wenn und Aber. Diese folgen erst<br />

später.<br />

Eltern sind sich heute bewusst, dass<br />

Medienkompetenz wichtig ist. Deshalb<br />

fragen sie schon früh: Welche<br />

Geräte dürfen Kinder schon nutzen?<br />

Wofür? Und wie lange? Hilfreiche<br />

Ratschläge dazu finden sie schnell.<br />

Nur: Bei allen guten Regeln sollten<br />

Eltern ihre eigene Mediennutzung<br />

nicht aus den Augen verlieren. Sie<br />

sind das Modell, an dem ihr Kind<br />

lernt.<br />

Was, wie oft und wie lange?<br />

Dabei ist nicht nur entscheidend,<br />

welche Medien Eltern nutzen, sondern<br />

vor allem wie. Wie lange läuft<br />

etwa der Fernseher? Eine halbe Stunde,<br />

zwei oder gar drei? Was schaut<br />

eine Familie? Soaps, Informationssendungen<br />

oder Filme? Wie verwenden<br />

Eltern Laptop, Tablet und Smartphone?<br />

Als Arbeitsinstrumente oder<br />

zum Zeitvertreib? Damit strenge<br />

Worte, Regeln oder Sanktionen wirken,<br />

sollten sie sich an den Vorlieben<br />

und Praktiken der Eltern orientieren.<br />

Kathrin Buholzer sagt: «Wie<br />

und wofür eine Familie digitale<br />

Medien auch immer nutzt – es ist<br />

wichtig, dass sich Eltern selbst beobachten<br />

und sich bewusst sind: Das,<br />

was ich tue, hat Vorbildwirkung.»<br />

Medien gemeinsam kennenlernen<br />

Wenn ein Kind Medien nutzt, sollten,<br />

oder besser müssen, Eltern es<br />

begleiten und unterstützen – Medi-<br />

en sollte man gemeinsam kennenlernen.<br />

«Sprechen Sie mit Ihrem<br />

Kind darüber, was Sie gerade zusammen<br />

erleben und was ihm und Ihnen<br />

Spass macht. Halten Sie anschliessend<br />

kurz Rückschau: Was war gut?<br />

Was nicht? Vereinbaren Sie, was Sie<br />

wiederholen möchten und was Sie<br />

lieber ändern möchten», beschreibt<br />

Kathrin Buholzer das Begleiten genauer.<br />

Denn ein Kind, das frühzeitig<br />

lerne, über Medien erlebnisse und<br />

Lernerfahrungen zu reden, sei für<br />

die Zukunft gut gewappnet. Es lerne,<br />

bewusst wahrzunehmen und kritisch<br />

hinzuschauen. Und dies sind<br />

genau die Orientierungshilfen, die<br />

Kinder und Jugendliche brauchen,<br />

um sich in unserer medialen Gesellschaft<br />

zurechtzufinden.<br />

Michael In Albon<br />

ist Jugendmedienschutz-Beauftragter<br />

von Swisscom.<br />

Wie lange sind Sie täglich online? Und Ihre Kinder?<br />

Wagen Sie mal den Vergleich: Die App «Offtime» zeigt<br />

Ihnen, was Sie mit dem Handy tun und wie lange.<br />

Zusätzlich ermöglicht sie Ihnen, mit wenigen Klicks<br />

offline zu gehen und zu bleiben. swisscom.ch/offtime<br />

80 SEPTEMBER <strong>2015</strong>


Als Kind dachte ich, «Hier sieht’s aus, als hätte<br />

eine Bombe eingeschlagen» wäre eine normale Begrüssung<br />

beim Betreten eines Zimmers.<br />

Tweet von @wousel<br />

helfen, im Internet verschiedene digitale Masken und Identitäten<br />

auszuprobieren. Aber es kommt eben auch vor, dass man<br />

sich verheddert und vergisst, wer man wirklich ist. Und viele<br />

Jugendliche lernen nur Medienkompetenz – nicht unbedingt<br />

die wichtige Fähigkeit zur Abstinenz.<br />

Ist es das, was Eltern ihren Kindern beibringen sollten?<br />

Medienfreie Zeiträume schaffen ist hilfreich. Aber mindestens<br />

genauso wichtig ist, attraktive Alternativen zu bieten, Lust auf<br />

Analoges zu machen. Ob mit sportlichen Aktivitäten, Familienunternehmungen<br />

oder Raum, um die Freunde zu treffen.<br />

Bert te Wildt: Digital Junkies. Internetabhängigkeit und<br />

ihre Folgen für uns und unsere Kinder. Droemer, <strong>2015</strong>.<br />

384 Seiten, Fr. 28.90.<br />

Foto: ZVG<br />

«Es braucht attraktive<br />

Alternativen» Interview: Bianca Fritz<br />

Nicht jeder, der online spielt, ist süchtig. Bert te Wildt<br />

behandelt Internet- und Computerspielabhängige und hat seine<br />

Erfahrungen im Buch «Digital Junkies» beschrieben.<br />

Herr te Wildt, wie viele Menschen sind internetabhängig,<br />

und nach was sind sie süchtig?<br />

In Deutschland sprechen wir von etwa einem Prozent der<br />

Bevölkerung – das macht rund 1 Million Menschen zwischen<br />

16 und 64 Jahren – am meisten gefährdet sind Jugendliche<br />

und Kinder. Und das grösste Risiko sind Onlinegames für die<br />

Jungen und soziale Netzwerke für die Mädchen. Ausserdem ist<br />

die Abhängigkeit von Cybersex ein Thema. Onlineshopping und<br />

-glücksspiel werden noch bei den entsprechenden analogen<br />

Verhaltssüchten mitgezählt – obwohl man davon ausgeht, dass<br />

davon nicht unbedingt je dieselben Menschen betroffen sind.<br />

Was sind Warnsignale für eine Sucht?<br />

Wenn sich die Onlinezeiten immer weiter ausweiten – auch auf<br />

Essens- und Schlafenszeiten. Und wenn die Kinder aggressiv<br />

oder depressiv reagieren, wenn die Internetzeit begrenzt wird.<br />

Eine Diagnose erfolgt aber erst, wenn andere Lebensbereiche<br />

leiden – Schule, Freunde und Sozialleben zum Beispiel.<br />

Warum sind gerade die Digital Natives gefährdet, die doch<br />

den Umgang mit den Medien von klein auf lernen?<br />

Zum einen haben sie die höchste Affinität zu Internet, zum<br />

anderen stecken sie mittendrin in der Entwicklung ihrer<br />

Identität und der Beziehungsfähigkeit. Dabei kann es durchaus<br />

Anzeige<br />

Pflanzen- und<br />

Quintessenzen<br />

3000 Therapeutinnen<br />

und Naturheilpraktiker<br />

wissen Bescheid.<br />

www.naturaerzte.ch<br />

Naturärzte Vereinigung Schweiz<br />

SEPTEMBER <strong>2015</strong>81


Digital & Medial<br />

Wimmel-App<br />

«2aufReisen»<br />

Eine lange Autofahrt mit Kindern in<br />

Sicht? Oder gar eine Bahnfahrt? Die<br />

SBB haben eine witzige App programmiert,<br />

um die Zeit bis an den Zielort<br />

etwas zu verkürzen. Auf verschiedenen<br />

Wimmelbildern sollen die Kinder<br />

Pünktli und Strobo gefunden werden –<br />

was mitunter ganz schön kniffelig ist.<br />

Die Herstellerangabe «ab 4 Jahren» ist<br />

unserer Einschätzung nach zu tief.<br />

Gegen den möglichen Frust hilft allerdings,<br />

dass viele Teile des Wimmelbilds<br />

animiert sind – da saust der Skateboardfahrer<br />

durch den Zürcher Bahnhof,<br />

und wer das Pärchen am Geländer<br />

anklickt, hört sie knutschen. Eltern<br />

gefällt, dass sie Szenen aus der Schweiz<br />

wiedererkennen und es keine In-App-<br />

Käufe oder sonstigen Fallen gibt. Auch<br />

das Deutsche Jugendinstitut nennt die<br />

App «sehr empfehlenswert». Natürlich<br />

geht es den SBB vermutlich darum,<br />

eine neue Zielgruppe zu binden –<br />

einen Zug mit Logo findet man fast in<br />

jeder der Wimmelwelten. Aber die<br />

Werbung bleibt meist unaufdringlich.<br />

2aufReisen, kostenlos im iTunes<br />

oder Google Playstore<br />

Wie Familien reisen wollen...<br />

Reisevergleichsportale gibt es ja viele, aber jetzt gibt<br />

es noch eines, das sich speziell an Familien richtet.<br />

Auf mamiCheck.ch sollen Eltern Hotels und andere<br />

Unterkünfte bewerten – und dabei natürlich speziell auf<br />

die Familienfreundlichkeit eingehen. «Ich habe viel Zeit<br />

damit verbracht, geeignete Ferien für uns zu finden. Mich<br />

im Internet und in Reisekatalogen schlau gemacht, habe<br />

Freunde ausgefragt, in Foren passende Themen gesucht<br />

und so weiter. Durch mamiCheck.ch soll alles etwas<br />

einfacher werden», so Corinne Fischbacher, Gründerin<br />

der Plattform und Mami von zwei Kindern im Alter von<br />

3 und 8 Jahren. In einer ersten Phase werden nun Eltern<br />

gesucht, die ihre Erfahrungen teilen und online bewerten.<br />

Familien, die bis Ende Oktober ein Hotel, eine Ferienwohnung,<br />

einen Zeltplatz empfehlen und ihre Geheimtipps<br />

teilen, nehmen zum Dank an einer Verlosung für eine<br />

Reise in den Europapark teil. www.mamicheck.ch<br />

Hörspiel ins<br />

Lichterland<br />

Mit dem Kinderkondukteur Clà<br />

Ferrovia und der Rhätischen Bahn<br />

können Kinder tolle Fahrten und<br />

Abenteuer erleben – ins Lichterland<br />

oder Farbenland zum Beispiel. Wer<br />

keine Zeit hat, aufzuspringen, oder<br />

lieber von zu Hause aus reisen<br />

möchte, kann das jetzt auch per<br />

Hörspiel tun. Die Schweizer<br />

Produktion wurde gerade mit<br />

«s’Goldig Chrönli» als besonders<br />

empfohlen ausgezeichnet.<br />

Und tatsächlich geht es rasant und<br />

voller Spannung zur Sache, wenn<br />

die Geschwister Anouk und Ben die<br />

seltsame Dunkelheit aufhalten<br />

wollen, die das Lichterland bedroht<br />

und ihren Vater in einen tiefen<br />

Schlaf versetzt hat. Dabei reisen<br />

sie durch sogenannte Blonks und<br />

kommen so beispielsweise in null<br />

Komma nichts mitten von der<br />

Schweiz in die Wüste. Ein knisterndspannendes<br />

Hörbuch auf Schweizerdeutsch,<br />

produziert vom SRF und<br />

von Liedermacher Linard Bardill.<br />

Linard Bardill: D’Abentür vom Clà<br />

Ferrovia. D’Reis ins Liechterland.<br />

2014. Fr. 30.–<br />

Fotos: HO (2), Gabi Vogt / 13 Photo<br />

«Die Jugendlichen wollen etwas über<br />

Sex herausfinden – und finden Gewalt.»<br />

Internetsicherheitsexperte John Carr über Pornografie im Internet<br />

bei der Child Internet Safety Summit im Juli in London.<br />

82 SEPTEMBER <strong>2015</strong>


KOLLER DIRECT<br />

www.migrosmagazin.ch/gratisabo<br />

Aktuelles und<br />

Spannendes für<br />

Enkel wie Grosi:<br />

Bild: Holger Salach<br />

WWoche für Woche gut recherchiert, spannend wie lebensnah geschrieben und<br />

mit jeder Menge praxisnaher Tipps und guten Angeboten. Das Migros-Magazin ist<br />

Ihr kostenloses Exklusiv-Magazin mit allem Wissenswerten rund um Menschen,<br />

die Migros-Welt und das Leben.<br />

Ich abonniere jetzt GRATIS!<br />

So bestellen Sie Ihr kostenloses Abonnement des Migros-Magazins:<br />

Tel: 058 577 12 88 I E-Mail: gratisabo@migrosmagazin.ch<br />

Internet: www.migrosmagazin.ch/gratisabo<br />

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✁<br />

Hier abtrennen


Service<br />

Unser Wochenende …<br />

im Emmental<br />

Unteremmental<br />

Burgdorf<br />

Burgdorf<br />

Walkringen<br />

Rüttihubel<br />

Lützelflüh<br />

Affoltern<br />

Rüderswil<br />

Langnau im<br />

Emmental<br />

Röthenbach<br />

Trubschachen<br />

Schangnau<br />

Langnau<br />

Oberemmental<br />

zu werden. Höhepunkte gibt es viele, beispielsweise den<br />

Besuch der Emmentaler Schaukäserei, in der man live bei der<br />

Käseproduktion dabei sein kann.<br />

Sumiswald Alle Infos auf www.kaeseroute.ch<br />

… Ob mit rotierenden Scheiben, einem grossen Gong oder<br />

beim Duftbaum: Das Sensorium im Rüttihubelbad gilt es mit<br />

allen Sinnen zu entdecken. An 70 Erlebnisstationen erfahren<br />

Besucher, wie das Auge sieht, das Ohr hört, die Nase riecht,<br />

die Haut fühlt, die Finger ertasten. Ein grosser Spass für die<br />

ganze Familie! Eintritt: Erwachsene ab 16 Jahren: 18 Franken,<br />

Kinder ab 6 Jahren: 9 Franken. Im hauseigenen Restaurant<br />

Sensonero werden an ausgewählten Tagen die Gerichte in<br />

totaler Dunkelheit serviert und gegessen.<br />

Sensorium im Rüttihubelbad, Rüttihubel 29, Walkringen,<br />

Telefon 031 700 85 85, sensorium@ruettihubelbad.ch,<br />

www.ruettihubelbad.ch<br />

Entdecken ...<br />

… «Was war das für ein Geräusch? Emmily, hast du das auch<br />

gehört?» Das Mädchen nickt und zeigt auf die grosse<br />

Lagerhalle. Liegt in dem alten Gebäude etwa das Geheimnis<br />

um den falschen Emmentaler Käse verborgen? Die Teilnehmer<br />

des Comic-Rätselkrimi-Weges werden es herausfinden.<br />

Denn die Geschichte um Emmily und ihre vier Freunde führt<br />

durch die schönsten und traditionsreichsten Ecken Langnaus.<br />

Der Comic kostet 20 Franken und kann an verschiedenen<br />

Stellen in Langnau gekauft oder im Internet bestellt werden.<br />

Alle Infos unter www.comicerlebnis.ch<br />

… Wie viel Milch gibt eine Kuh und wie wurde vor 100 Jahren<br />

der Milchtransport bewerkstelligt? Das sind nur zwei der<br />

spannenden Fragen, die es auf der Emmentaler Käseroute<br />

zu klären gilt – und zwar auf einer App-geführten E-Bike-Tour.<br />

Los gehts in Burgdorf zur 35 Kilometer langen Tagestour. Wer<br />

möchte, kann auch zwei Tage buchen. Es lohnt sich. Denn auf<br />

beiden Strecken warten zahlreiche Stationen darauf, entdeckt<br />

Geniessen …<br />

… Vor 100 Jahren hat alles angefangen mit dem berühmten<br />

«Bretzeli». Seither wird es unverändert Tag für Tag nach<br />

Originalrezept und mit viel Liebe gebacken, heisst es in den<br />

Räumen der Firma Kambly in Trubschachen. In der Erlebniswelt<br />

des Hauses können Sie sich selbst davon ein Bild machen<br />

und über 100 Guetzlisorten probieren. Und wer mit Hilfe eines<br />

Maître Confiseur eigene Biskuit-Kreationen backen möchte,<br />

meldet sich einfach zum Kinder- oder Erwachsenen-Anlass an.<br />

Kambly Erlebnis, Mühlestrasse 8, Trubschachen,<br />

Telefon 034 495 02 22, www.kambly.ch<br />

… Einen Platz auf der Sonnenterrasse ergattern, währschafte<br />

Köstlichkeiten und den Blick auf den Hohgant, die Krone des<br />

Emmentals, geniessen: Das geht fast nirgendwo besser als im<br />

Gasthof Löwen in Schangnau. Besonders verdient ist die<br />

Einkehr nach einer ausgedehnten Wanderung, zum Beispiel<br />

auf dem Höhenweg vom Entlebuch ins Emmental …<br />

Gasthof Löwen, Dorfplatz, Schangnau, Telefon 034 493 32 01,<br />

loewen-schangnau@bluewin.ch, www.loewen-schangnau.ch<br />

84 SEPTEMBER <strong>2015</strong>


Ob in Schangnau vor<br />

dem Hohgant, im<br />

Sensorium im<br />

Rüttihubelbad oder<br />

beim Schnuppern in<br />

der Feingebäckkunst<br />

– im Emmental gibts<br />

viel zu erleben und<br />

zu geniessen.<br />

Fotos: Emmental Tourismous<br />

Schlafen …<br />

… Haben Sie schon mal daran gedacht, im Schlaraffenland zu<br />

übernachten? In Rüderswil ist das möglich. Genauer: über<br />

dem Schlaraffenland, einem Feinkostladen mit ausgewählten<br />

Köstlichkeiten. Man übernachtet in der Wohnung im ersten<br />

Stock, und der Kühlschrank ist reich bestückt mit Leckereien<br />

aus dem Schlaraffenland. Übernachtungsmöglichkeiten für<br />

vier Personen. Preise: ab 75 Franken pro Person/Nacht, Kinder<br />

bis 14 Jahre: 35 Franken.<br />

Schlaraffenland.ch, Dorfstrasse 149, Rüderswil,<br />

Telefon <strong>07</strong>9 667 36 87, bieri@schlaraffenland.ch,<br />

www.schlaraffenland.ch<br />

… Direkt neben dem schönen Bauernhaus der Familie<br />

Rüegsegger liegt das Bed & Breakfast auf dem Fischbachboden<br />

auf 920 Metern Höhe in der Nähe von Röthenbach.<br />

Drei Zimmer und nichts als Ruhe und Natur bietet die Bauern-<br />

familie. Wenn da nicht die Hühner, Kaninchen und Katzen<br />

des Hofes wären. Ein idealer Ort für Kinder und Ausgangspunkt<br />

für Wanderungen im Emmental. Preise: ab 35 Franken<br />

pro Person/Nacht, Kinder von 4 bis 14 Jahren: 25 Franken.<br />

Familie Rüegsegger, Fischbachboden, Röthenbach,<br />

Telefon 034 491 14 42, f.rueegsegger@gmx.ch,<br />

www.fischbachboden.ch<br />

Und sonst...<br />

… Sie suchen noch mehr Tipps fürs Emmental? Dann buchen<br />

Sie sich doch Ihren persönlichen Emmentaler Guide. Ob<br />

unterwegs mit dem Hobby-Fotografen, der zertifizierten<br />

Wanderleiterin oder dem ehemaligen Gemeindepräsidenten –<br />

über die Webseite www.emmental.ch können Sie den<br />

perfekten Begleiter anfragen. Preis: 50 Franken pro Stunde,<br />

250 Franken pro halben und 500 Franken für den ganzen Tag.<br />

SEPTEMBER <strong>2015</strong>85


Bonbons<br />

Attraktive Bergferien<br />

Fritz+Fränzi verlost 1 Familien-Wochenende* und 6 Gutscheine** im Wert von je 200 Franken.<br />

Fotos: Jugendherberge Gstaad Saanenland<br />

Die CSS Versicherung hat gemeinsam mit den Schweizer Jugendherbergen (SJH)<br />

die Broschüre «Wanderperlen» mit 15 Vorschlägen für Jugendherbergsferien<br />

herausgegeben. Alle «Wanderperlen» bieten Doppel-, Familien- und Mehrbettzimmer<br />

an. Sie befinden sich in Bergregionen und sind Ausgangspunkt für Wanderungen<br />

oder Biketouren. CSS-Versicherte übernachten in diesen Jugendherbergen zu<br />

SJH-Mitgliedskonditionen.<br />

Die Broschüre «Wanderperlen» kostenlos bestellen unter<br />

www.css.ch/exklusiv/youthhostel oder in einer der 118 CSS-Agenturen<br />

oder der 52 Jugendherbergen beziehen.<br />

* 3 Nächte für 2 Erwachsene und 2 Kinder im 4-Bett-Familienzimmer mit Halbpension in der<br />

Jugendherberge Gstaad Saanenland inkl. Tagesmitgliedschaften, CO 2<br />

-Kompensation, Taxen,<br />

Bettwäsche. Wert: 930 Franken.<br />

** Gültig für Übernachtungen in den Schweizer Jugendherbergen.<br />

Wettbewerbsteilnahme auf www.fritzundfraenzi.ch/bonbons<br />

Teilnahmeschluss: 11. Oktober <strong>2015</strong><br />

Teilnahme per SMS: Stichwort FF CSS an 959 senden (30 Rp./SMS)<br />

86 SEPTEMBER <strong>2015</strong>


Service<br />

Abonnieren Sie Das Schweizer<br />

ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Sichern Sie sich jetzt Ihre Abonnenten-Vorteile:<br />

Hefte im Abonnement günstiger als im Einzelverkauf!<br />

Lieferung bequem und pünktlich frei Haus!<br />

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Gratis <br />

1 Jahr (10 Ausgaben) 62 Franken<br />

2 Jahre (20 Ausgaben) 98 Franken<br />

Schnupperabo (5 Ausgaben) 20 Franken<br />

1 Ausgabe zum Kennenlernen<br />

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Parma Korpus Kunstleder, Sitz und Rücken Stoff,<br />

305/180 x 87 x 164 cm<br />

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160 x 200 cm 849.- | 180 x 200 cm 899.-<br />

1898.-<br />

ottos.ch


Service<br />

Vielen Dank der<br />

an die Partner und Sponsoren<br />

Stiftung Elternsein:<br />

Finanzpartner Hauptsponsoren Heftsponsor<br />

Dr. iur. Ellen Ringier<br />

Walter Haefner Stiftung<br />

Rozalia Stiftung<br />

Credit Suisse AG<br />

UBS AG<br />

Aon Risk Solution Schweiz AG<br />

UBS AG<br />

Impressum<br />

Inhaltspartner<br />

Stiftungspartner<br />

15. Jahrgang. Erscheint 10-mal jährlich<br />

Herausgeber<br />

Stiftung Elternsein,<br />

Seehofstrasse 6, 8008 Zürich<br />

www.elternsein.ch<br />

Institut für Familienforschung und -beratung<br />

der Universität Freiburg, www.unifr.ch/iff<br />

Schweizerische Vereinigung der Elternorganisationen,<br />

www.sveo.ch<br />

Präsidentin des Stiftungsrates:<br />

Dr. Ellen Ringier, ellen@ringier.ch,<br />

Tel. 044 400 33 11<br />

(Stiftung Elternsein)<br />

Geschäftsführer: Thomas Schlickenrieder,<br />

ts@fritzundfraenzi.ch, Tel. 044 261 01 01<br />

Verlag<br />

Fritz+Fränzi,<br />

Dufourstrasse 97, 8008 Zürich,<br />

Tel. 044 277 72 62,<br />

info@fritzundfraenzi.ch,<br />

verlag@fritzundfraenzi.ch,<br />

www.fritzundfraenzi.ch<br />

Verlagsadministration: Dominique Binder,<br />

d.binder@fritzundfraenzi.ch,<br />

Tel. 044 277 72 62<br />

Verlagsassistentin: Éva Berger,<br />

e.berger@fritzundfraenzi.ch,<br />

Tel. 044 277 72 67<br />

Redaktion<br />

redaktion@fritzundfraenzi.ch<br />

Chefredaktor: Nik Niethammer,<br />

n.niethammer@fritzundfraenzi.ch<br />

Evelin Hartmann (Stv. CR),<br />

e.hartmann@fritzundfraenzi.ch<br />

Bianca Fritz,<br />

b.fritz@fritzundfraenzi.ch<br />

Leo Truniger,<br />

l.truniger@fritzundfraenzi.ch<br />

Dr. Eveline von Arx (wissenschaftliche<br />

Beratung), e.vonarx@fritzundfraenzi.ch<br />

Onlineredaktion:<br />

Irena Ristic, i.ristic@fritzundfraenzi.ch<br />

Redaktionelle Mitarbeit<br />

Silvia Aeschbach, Nicole Althaus, Sina Bauer,<br />

Michèle Binswanger, Martina Bortolani,<br />

Kathrin Buholzer, Rafael Carvalho, Susan<br />

Edthofer, Elisabeth Eggenberger, Fabian<br />

Grolimund, Sandra Hotz, Michael In Albon,<br />

Annika Joeres, Lars Mohr, Peter Schneider,<br />

Petra Seeburger, Regula Thut Borner<br />

Art Direction/Produktion<br />

Partner & Partner, Winterthur,<br />

www.partner-partner.ch<br />

Bildredaktion<br />

13 Photo AG, Zürich, www.13photo.ch<br />

Korrektorat<br />

Brunner AG, Kriens, www.bag.ch<br />

Anzeigen<br />

Anzeigenverkauf: Brigitte Killias,<br />

b.killias@fritzundfraenzi.ch,<br />

Tel. 044 277 72 60 (vormittags erreichbar)<br />

Jacqueline Zygmont,<br />

j.zygmont@fritzundfraenzi.ch,<br />

Tel. 044 277 72 65<br />

Bettina Müller,<br />

b.mueller@fritzundfraenzi.ch,<br />

Tel. 044 577 06 88<br />

Anzeigenadministration: Dominique Binder,<br />

d.binder@fritzundfraenzi.ch,<br />

Tel. 044 277 72 62<br />

Druck<br />

Oberndorfer Druckerei, Circle Printers,<br />

www.oberndorfer-druckerei.com,<br />

www.circleprinters.eu<br />

Auflage<br />

(WEMF/SW-beglaubigt 2013)<br />

total verbreitet 103 381<br />

davon verkauft 17 206<br />

Preis<br />

Jahresabonnement Fr. 62.–<br />

Einzelausgabe Fr. 7.50<br />

iPad Fr. 3.–<br />

Abo-Service<br />

Galledia Verlag AG Berneck<br />

Karin Schwarz<br />

Tel. 0800 814 813, Fax 058 344 92 54<br />

abo.fritzundfraenzi@galledia.ch<br />

Für Spenden<br />

Stiftung Elternsein, 8008 Zürich<br />

Postkonto 87-447004-3<br />

IBAN: CH40 0900 0000 8744 7004 3<br />

Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz,<br />

www.lch.ch<br />

Verband Schulleiterinnen und Schulleiter Schweiz,<br />

www.vslch.ch<br />

Jacobs Foundation,<br />

www.jacobsfoundation.org<br />

Forum Bildung, www.forumbildung.ch<br />

Elternnotruf, www.elternnotruf.ch<br />

Pro Juventute, www.projuventute.ch<br />

Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik Zürich,<br />

www.hfh.ch<br />

Schweizerisches Institut für Kinder- und<br />

Jugendmedien, www.sikjm.ch<br />

Marie-Meierhofer-Institut für das Kind,<br />

www.mmizuerich.ch<br />

Schule und Elternhaus Schweiz,<br />

www.schule-elternhaus.ch<br />

Pädagogische Hochschule Zürich, www.phzh.ch<br />

Schweizerischer Verband alleinerziehender Mütter<br />

und Väter SVAMV, www.svamv.ch<br />

Pro Familia Schweiz, www.profamilia.ch<br />

Kinderlobby Schweiz, www.kinderlobby.ch<br />

88 SEPTEMBER <strong>2015</strong>


Buchtipps<br />

Foto: «Aus 1 mach viel» © NILPFERD im G&G Verlag, Wien <strong>2015</strong>, Renate Habinger<br />

Was ist ein Samen?<br />

Welche Pflanze<br />

produziert mehr<br />

davon: Mohn oder<br />

Tomate? Und was<br />

ist Borretsch?<br />

Antworten auf<br />

diese und weitere<br />

Fragen gibt es in<br />

«Aus 1 mach viel!».<br />

Ravi&Oli in<br />

Grünland<br />

Zwei Dosenravioli<br />

im Gemüsegarten:<br />

Was Ravi und Oli<br />

mit Karl Kohlrabi,<br />

Gunda Gurke und<br />

ihren anderen Freunden erleben,<br />

erzählen Lea Guidon und Andreas<br />

Neeser vergnüglich und mit viel Lust<br />

an der Sprache und am Essen.<br />

Orell Füssli, <strong>2015</strong>, Fr. 16.90,<br />

ab 6 Jahren<br />

Wenn es um gesundes Essen geht, erreicht man mit<br />

dem moralischen Zeigefinger nicht viel. Kinder- und<br />

Jugendbücher fordern zum Selbermachen auf,<br />

vermitteln mit farbigen Bildern Genuss und Gefühl.<br />

So lässt sich oft viel mehr bewirken.<br />

In den Garten, fertig, los!<br />

Ein liebevoll illustriertes Buch über die Freude am Gärtnern<br />

und die Lust am gesunden Essen.<br />

Die Gartensaison neigt<br />

sich dem Ende zu.<br />

Jetzt wird geerntet,<br />

was den Frühling<br />

und Sommer über<br />

Gesundes und Feines spross und<br />

gedieh. Wer sich bisher nicht auf das<br />

Abenteuer Garten eingelassen hat<br />

– und ein solcher lässt sich ja auch<br />

auf kleiner Fläche, etwa dem Balkon,<br />

realisieren –, lässt sich vielleicht<br />

mit einem Buch für das<br />

nächste Jahr inspirieren.<br />

«Aus eins mach viel! Vom Samenkorn<br />

zum Festtagsschmaus» ist<br />

ein unerschöpfliches Sammelsurium<br />

an Gärtnerwissen, Rezepten,<br />

Fakten, Bildern, Tipps und Tricks,<br />

Rätseln und Ideen, kindgerecht aufbereitet.<br />

Eine Übersicht über Bauernregeln<br />

findet sich hier genauso<br />

wie eine Pflückliste für einen bunten<br />

Sommerblütensalat. Es wird erklärt,<br />

wie ein Dörrapparat funktioniert<br />

oder wie man aus Pflanzen selbst<br />

Samen gewinnt – und vieles, vieles<br />

mehr. Renate Habinger, die schon<br />

mehrere Sachbücher für Kinder<br />

illustriert und gestaltet hat, lässt<br />

ihren bunten Stil das ganze Buch<br />

bestimmen, das frisch und fröhlich<br />

und manchmal fast etwas unübersichtlich<br />

daherkommt: wie ein wildwachsender<br />

Gemüsegarten eben.<br />

Das bunte, reich gefüllte Buch<br />

macht auch jungen Gärtnerinnen<br />

und Gärtnern Lust auf Säen und<br />

Ernten, Schmecken und Geniessen.<br />

Foto: ZVG<br />

Renate Habinger<br />

(Bild) und Christa<br />

Schmoiger: Aus<br />

eins mach viel!<br />

Nilfperd, <strong>2015</strong>,<br />

Fr. 29.90,<br />

ab 8 Jahren<br />

Entdecke, was<br />

dir schmeckt.<br />

Kinder erobern<br />

die Küche<br />

Anke Leitzgen<br />

experimentiert mit<br />

frischen Zutaten und vermittelt<br />

Wissenswertes über bekannte und<br />

weniger bekannte Gewürze.<br />

Illustriert wird das Ganze mit farbenfrohen<br />

Fotos von Lisa Rienermann:<br />

Das lädt kleine Schleckermäuler<br />

zum Geniessen ein!<br />

Beltz&Gelberg, 2012, Fr. 23.90,<br />

ab 6 Jahren<br />

Butter<br />

An Silvester wird er<br />

sich totfressen: So<br />

kündet es Butter im<br />

Internet an – dafür<br />

erhält der übergewichtige<br />

Teen in<br />

der Schule makabere Anerkennung.<br />

Ein schonungsloser, fesselnder<br />

Roman von Erin Jade Lange.<br />

Rowohlt Taschenbuch, 2014,<br />

Fr. 12.90, ab 12 Jahren<br />

Verfasst von Elisabeth Eggenberger,<br />

Mitarbeiterin des Schweizerischen<br />

Instituts für Kinder- und Jugendmedien<br />

SIKJM. Auf www.sikjm.ch<br />

sind weitere Buchempfehlungen zu<br />

finden.<br />

SEPTEMBER <strong>2015</strong>89


Eine Frage – drei Meinungen<br />

Meine Tochter, 15, hat eine Fernbeziehung. Verständlicherweise will sie<br />

ihren Freund jedes Wochenende sehen. Das heisst aber: Er wohnt jedes<br />

zweite Wochenende bei uns. Leider ist er unverschämt, besserwisserisch<br />

und hält wenig von Körperhygiene. Wie soll ich mich verhalten? Nadine, 44, Basel<br />

Nicole Althaus:<br />

Eine doppelt unangenehme<br />

Situation. Sie können dem<br />

Freund Ihrer Tochter nicht<br />

gerade viel Sympathie<br />

entgegenbringen, und dann<br />

stinkt er auch noch. Und das<br />

in Ihrer Wohnung. Das erste<br />

Problem lässt sich wohl<br />

nicht lösen. Und muss sich<br />

auch nicht lösen lassen. Ihre Tochter liebt den Mann,<br />

sie müssen es nicht tun. Aber sie dürfen verlangen,<br />

dass er duscht und sich anständig benimmt, wenn er<br />

das Weekend bei Ihnen verbringt. Fordern Sie das klar<br />

und deutlich. Vielleicht hat es ja die angenehme<br />

Nebenerscheinung, dass er fortan lieber zu Hause<br />

stinkt. Und Ihre Tochter bald auch die Nase voll hat.<br />

Kathrin Buholzer:<br />

Ehrlichkeit ist ganz wichtig.<br />

So kann Ihre Tochter Ihren<br />

Ärger, aber auch Ihre Sorgen<br />

etwas besser verstehen.<br />

Erklären Sie ihr, womit Sie<br />

nicht einverstanden sind<br />

und was Sie sich wünschen.<br />

Erzählen Sie von Ihrer ersten<br />

Liebe und an welche Eltern-<br />

Kind-Konflikte Sie sich erinnern. Geben Sie nicht<br />

einfach stur den Tarif durch, sondern beziehen Sie Ihre<br />

Tochter in die Lösungsfindung mit ein. Stellen Sie<br />

Fragen und Gegenfragen: «Hast du eine Idee? Welche<br />

Regeln und Abmachungen braucht es, damit sich alle<br />

wohlfühlen?» So merkt Ihre Tochter, dass Sie sie ernst<br />

nehmen, und hat nicht das Gefühl, dass Sie ihr das<br />

Zusammensein mit ihrem Freund einfach nur<br />

vermiesen wollen.<br />

Fotos: Anne Gabriel-Jürgens / 13 Photo, Lea Meienberg / 13 Photo<br />

Peter Schneider:<br />

Gegen Unverschämtheiten<br />

sollten sie sich höflich<br />

zurückhaltend, aber<br />

bestimmt verwahren.<br />

Besserwissereien gehören<br />

leider zur Pubertät wie<br />

Pickel. «Schnell fertig ist die<br />

Jugend mit dem Wort …<br />

Eng ist die Welt, und das<br />

Gehirn ist weit», sagt Schillers Wallenstein. Es braucht<br />

seine Zeit, bis die Kinder lernen, dass der Horizont<br />

der Welt oft doch um einiges weiter ist als die eigene<br />

Engstirnigkeit. Viele lernen es allerdings auch als<br />

Erwachsene nicht. Ansonsten Nase zu und durch.<br />

Und hoffen, dass er Ihrer Tochter irgendwann mal<br />

genauso stinkt wie Ihnen.<br />

Nicole Althaus, 47, ist Kolumnistin, Autorin<br />

und Mitglied der Chefredaktion der NZZ am<br />

Sonntag. Zuvor war sie Chefredaktorin von<br />

«wir eltern» und hat den Mamablog auf<br />

«Tagesanzeiger.ch» initiiert und geleitet.<br />

Nicole Althaus ist Mutter von zwei Kindern,<br />

15 und 11.<br />

Kathrin Buholzer, 42, ist Journalistin,<br />

Elternberaterin, Betreiberin des Elternblogs<br />

«www.elternplanet.ch» und Mutter zweier<br />

Töchter, 13 und 11.<br />

Peter Schneider, 58, ist praktizierender<br />

Psychoanalytiker. Er lehrt als Privatdozent<br />

für klinische Psychologie an der Uni<br />

Zürich und ist Professor für Entwicklungspsychologie<br />

an der Uni Bremen. Er ist Autor<br />

zahlreicher Bücher zu psychoanalytischen<br />

und gesellschaftspolitischen Themen und<br />

Mitherausgeber der Buchreihe<br />

Spheressays. Peter Schneider ist Vater<br />

eines erwachsenen Sohnes.<br />

Haben Sie auch eine Frage?<br />

Schreiben Sie eine E-Mail an:<br />

redaktion@fritzundfraenzi.ch<br />

90 SEPTEMBER <strong>2015</strong>


Wir sind die Chefs –<br />

von morgen.<br />

Lernende bei Coop<br />

Für meine Lehre. Für meine Zukunft.<br />

Mit einer Ausbildung bei Coop machen wir uns stark für eine erfolgreiche<br />

Berufs laufbahn in einem spannenden Arbeitsumfeld. Entdecke auch du die<br />

grosse Vielfalt an Zukunftsperspektiven auf www.coop.ch/grundbildung


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Das Banking-<br />

Paket für<br />

Jugendliche und<br />

Studierende<br />

Mehr Freiheit, mehr Kino, mehr Musik: Das Viva Banking Paket.<br />

Die Viva Banking Pakete ermöglichen Ihnen nicht nur finanzielle Freiheit, sondern<br />

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