"Vorhang Auf" Elternteil
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– oder gibt es manchmal Ahnungen davon?<br />
ich möchte mich auch da auf Forschungen<br />
von Jochen bockemühl beziehen.<br />
im Wachsen einer Pflanze durchschreitet<br />
ihre blattreihe folgende bildemotive:<br />
stielen, spreiten, gliedern, spitzen –<br />
und zwar in der genannten reihenfolge.<br />
das einzelne blatt aber durchläuft genau<br />
die gegenläufige richtung: spitzen,<br />
gliedern, spreiten und stielen. diese<br />
gegenläufigkeit im Wachstum einer<br />
Pflanze hat bockemühl in dem folgenden<br />
diagramm zusammengefasst:<br />
man sieht dadurch sehr schön, wie die<br />
Pflanze ihrem ausgangspunkt wieder<br />
zuströmt.<br />
in bezug auf unsere Jahreslaufarbeit<br />
drängt es sich geradezu auf, dass wir unsere<br />
nun über zehnjährigen aufzeichnungen<br />
mit der Frage auswerten, ob es<br />
da auch solche bildemotive gibt, wie in<br />
der blattreihe und ob sich da vielleicht<br />
auch ein dem gegenläufiger Prozess entdecken<br />
lässt – aber dafür bräuchte es<br />
einfach eine gediegene finanzielle Forschungsfreistellung.<br />
Was sind Ihre Forschungsziele?<br />
in bezug auf den Jahreslaufkreis geht es<br />
uns vor allem um zweierlei: darum, den<br />
bezug zum Jahreslauf der natur nicht zu<br />
verlieren und den Jahreslauf in seiner<br />
seelisch-geistigen dimension miterfassen<br />
zu lernen.<br />
in bezug auf „anblick“: Wir<br />
betätigen/beteiligen uns in recht vielen<br />
Feldern: u.a. in landschaftswahrnehmung,<br />
sinnesanschauung, tierwelt, ornithologie,<br />
biologisch-dynamischem<br />
Weinbau, aber auch kunst und geldwirtschaft.<br />
Jedes dieser Felder hat seine<br />
je eigenen Forschungsziele. – ganz allgemein<br />
gilt: es geht uns darum, eine<br />
wirklichkeits- und geistgemäße anschauung<br />
von natur und kultur zu erarbeiten<br />
und zu erüben, in der die klassische<br />
kantsche subjekt-objekt-spaltung<br />
und der materialismus überwunden<br />
werden können.<br />
man mache sich die Folgen eine solches<br />
lebensgefühls des „abgekoppelt-seins“<br />
für die menschliche kultur deutlich: ich<br />
kann als mensch eigentlich nur eine<br />
konsternierte haltung einnehmen, ich<br />
kann keine Verantwortung übernehmen,<br />
ich kann nur noch meine – sinnlose –<br />
existenz hinnehmen ... und mich in das<br />
(un-)Vergnügen des konsums stürzen.<br />
genau da sind wir heute angelangt.<br />
Was ist die Methode?<br />
Will man schlagworte dafür geben,<br />
dann handelt es sich um goetheanismus,<br />
um Phänomenologie, um ästhetik<br />
als sinnliche erkenntnis oder auch um<br />
eine spirituelle naturanschauung in den<br />
stufen imagination, inspiration und intuition,<br />
so wie es steiner als wissenschaftliche<br />
methode ausgearbeitet hat.<br />
Zentral scheint mir, dass man sich als<br />
ausgangspunkt die konstitution unserer<br />
Wirklichkeit bewusst macht: es ist ja<br />
sinnlos, von einer Wirklichkeit zu sprechen,<br />
die ohne den wahrnehmenden<br />
menschen gegeben ist. Wie sollte die<br />
denn aussehen? es würde sie ja keiner<br />
sehen, oder besser: wahrnehmen!<br />
der Wahrnehmungsseite ist dabei keine<br />
materie unterlegt, das sinneserlebnis<br />
selbst macht die stoffseite der Wirklichkeit<br />
aus. und das, was der mensch in<br />
seinem innern angesichts einer sich ergebenden<br />
Wirklichkeit erlebt, das macht<br />
die natur der sache aus, ist also durchaus<br />
objektiv.<br />
sich dieser konstitution der Wirklichkeit<br />
in einer aktuellen situation inne zu werden,<br />
diese situation auch in diesem sinne<br />
erleben und verstehen zu lernen, das<br />
ist zugleich methode und Ziel.<br />
Das ausführliche Gespräch wird in dem Interview-<br />
Buchprojekt von Stefanie Benke und Ronald Richter<br />
„Vom Auffinden des Fadens“ (Arbeitstitel) über eine<br />
neue erkenntnisgetragene Empfindung zwischen Ich<br />
und Welt erscheinen; mit freundlicher Unterstützung<br />
der Förderstiftung der AGid.<br />
I -Hierfür bedürfte es aber entsprechender Fördergelder,<br />
mit denen wir für eine solche Publikation<br />
freigestellt werden könnten. Gleiches gilt für die Beschäftigung<br />
mit der Frage, warum die Vögel singen<br />
und v.a.m.<br />
II - s. R.Steiner: Der Jahreslauf als Atmungsvorgang<br />
(GA 223), Vortrag vom 2. April 1923.<br />
III - S. J. Bockemühl (Hrsg.): Erscheinungsformen des<br />
Ätherischen, Stuttgart 1985.<br />
IV - Aus J. Bockemühl: Bildebewegungen im Laubblattbereich<br />
höherer Pflanzen, in: W. Schad (Hrsg.):<br />
Goeth. Naturwissenschaft, Band 2, Botanik, Stuttgart<br />
1982. V - ebd.<br />
VI - S. auch H.-C. Zehnter: Zeitzeichen – Essays zum<br />
Erscheinen der Welt, Dornach 2011.<br />
Fotos: hans-christian Zehnter<br />
<strong>Vorhang</strong> auF • elternteil • heft 105 • Zeit<br />
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