Das Ende des 2.Weltkrieges in Bremerhaven
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Bei e<strong>in</strong>er Radtour nach R<strong>in</strong>gstedt, ich mußte für me<strong>in</strong>en Chef ausgelagerte Lebensmittel<br />
beim Pastor Zevenhuisen abholen, rettete mich der Straßengraben vor schießenden<br />
Tieffliegern. Buschwerk verbarg me<strong>in</strong> Rad und mich. E<strong>in</strong> Soldat <strong>in</strong> Zivil, schon<br />
auf dem Weg nach Hause, suchte ebenfalls Schutz im Graben. Angst hatten wir, und<br />
ich höre ihn noch fluchen. Die Front im Raum Bederkesa-L<strong>in</strong>tig war zu hören.<br />
ln Wulsdorf g<strong>in</strong>g es ziemlich wirr zu. Von letzter Verteidigung war die Rede. Volkssturm.<br />
Panzerfäuste sollten ausgegeben werden. Ich b<strong>in</strong> nicht mehr sicher, ob ich<br />
noch e<strong>in</strong>e solche <strong>in</strong> die Hände bekam, aber es ist möglich.<br />
Me<strong>in</strong> Chef warf se<strong>in</strong> Parteiabzeichen <strong>in</strong> den Papierkorb - ich steckte es mir ,an die<br />
Jacke. Heute noch höre ich ihn: "Sie <strong>in</strong> der Partei?" Ich: (bockig) "Ja, nun gerade!"<br />
Diese Auflehnung, aus maßloser Enttäuschung über me<strong>in</strong>en Chef entstanden, brachte<br />
mich noch <strong>in</strong> Schwierigkeiten (später beim Fragebogen).<br />
Wenn ich an Ernährung denke, fällt mir Rüböl e<strong>in</strong>. Am Güterbahnhof seien Waggons<br />
-die Nachricht g<strong>in</strong>g wie e<strong>in</strong> Lauffeuer durch Wulsdorf- und wer konnte, lief mit Gefäßen<br />
aller Art für das kostbare Gut über die Schienen. Irgendwann fiel auch <strong>in</strong> den<br />
chaotischen Tagen e<strong>in</strong> Waggon mit weichen, schwarzen Lederstücken an. Ich habe<br />
lange Zeit die daraus genähten Taschen gehabt. Westen genäht. Es fällt mir bei "Essen"<br />
auch das Schwe<strong>in</strong> netter Nachbarn e<strong>in</strong>. ln der Landbude mit Fischmehl fettgemacht,<br />
bekamen wir Speckschwarten und Wurstab-gegen genähte Puppen für die<br />
Enkelk<strong>in</strong>der. Und Schumachers Kuhgabsauf e<strong>in</strong>er kle<strong>in</strong>en Weide h<strong>in</strong>ter der Nordernfeldstraße.<br />
Auch von ihrer Milch bekamen wir so manchen "Halbenliter". Heute, die<br />
Bedeutung e<strong>in</strong>er Speckschwarte, das Glück, mit e<strong>in</strong>em Topf Milch nach Hause zu<br />
kommen, nachzuvollziehen, fällt mir schwer.<br />
Aus den Tagen gibt es <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Er<strong>in</strong>nerung auch noch die Frage e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong><strong>des</strong>:<br />
"Hanna, ist es wahr, daß <strong>in</strong> dem Schrank <strong>in</strong> Erna Thietz' Laden früher alles voller<br />
Schokolade lag?" <strong>Das</strong> K<strong>in</strong>d hatte nur e<strong>in</strong>mal vom Vater e<strong>in</strong>e Tafel aus dem Ausland<br />
mitgebracht bekommen.<br />
Aus den Tagen um den 8. Mai stammt auch noch e<strong>in</strong> schöner, alter Sessel, <strong>in</strong> dem<br />
später unsere 4 K<strong>in</strong>der "groß geworden s<strong>in</strong>d", mit dem Handwagen, aus irgende<strong>in</strong>em<br />
Fischereihafen-Büro geholt, das von freigelassenen russischen Kriegsgefangenen<br />
verwüstet wurde. Im Zusammenhang mit diesen Gefangenen fallen mir Fahrräder<br />
e<strong>in</strong>, mit denen sie sich davon machten. Ich er<strong>in</strong>nere mich nicht an Schlimmes. 8. Mai,<br />
"wir s<strong>in</strong>d noch e<strong>in</strong>mal davongekommen" (Th. Wilder). Wie wahr! Englische Panzer<br />
rückten e<strong>in</strong> über die Weserstraße, Mädchen umarmten englische Soldaten: "Unsere<br />
Befreier." Es machte mich wütend.<br />
Unsere Situation: alles verloren - alles gewonnen. Alte Ängste verloren sich, neue<br />
tauchten auf. Wir konnten wieder schlafen, doch wie würde die Freiheit aussehen?<br />
Wir bekamen sie zunächst <strong>in</strong> kle<strong>in</strong>en Dosen zugeteilt. Stundenweise. Von e<strong>in</strong>er Ausgangssperre<br />
zur anderen. Es gab Hausdurchsuchungen, zwei freundliche, amerikanische<br />
Soldaten wühlten <strong>in</strong> unserer Kommode nach Waffen. Me<strong>in</strong>e Mutter ließ Naziliteratur<br />
verschw<strong>in</strong>den, selbst Hermann Löns "Werwolf" fand ich zerrissen als Klo<br />
Papier. <strong>Das</strong> war bezeichnend für die neue Angst. Und es begann das Warten. Warten<br />
auf Nachricht von unseren Männern. ln me<strong>in</strong>er Er<strong>in</strong>nerung war die Zeit nach dem<br />
8. Mai voll von wärmendem Sonnensche<strong>in</strong>, und ausgefüllt mit "Besorgen". Der Fischhafen<br />
mußte das halbe Wulsdorf mit Brennholz versorgen - der gute, alte Handwagen<br />
war unentbehrlich. Wir hatten überlebt.<br />
50<br />
Grete Wulff<br />
Am Leher Markt 2<br />
Jahrgang 1906<br />
berichtet am 7. 2. 1985<br />
Ich b<strong>in</strong> geborene Wesermünder<strong>in</strong>, verbrachte<br />
alle Kriegsjahre <strong>in</strong> Wesermünde<br />
und wohnte zur Zeit der Kapitulation <strong>in</strong><br />
der Kistnerstr. ln den letzten Monaten<br />
arbeitete ich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Kolonialwarengeschäft<br />
Me<strong>in</strong>e ?jährige Tochter war damals<br />
ausquartiert und wohnte bei e<strong>in</strong>em<br />
Bauern <strong>in</strong> L<strong>in</strong>tig.<br />
ln den letzten Kriegsmonaten besuchte<br />
ich sie 2-3mal <strong>in</strong> der Woche, mußte sie<br />
bei dem Bauern lassen, obwohl sie ständig<br />
unter Heimweh litt. Ich aber kehrte<br />
wegen me<strong>in</strong>er Arbeitsverpflichtung immer<br />
wieder nach Wesermünde zurück.<br />
ln L<strong>in</strong>tig erlebte ich dann die Ereignisse um den Vormarsch der britischen Truppen.<br />
Ich kann gar nicht erzählen, wie oft wir im Zug nach Bederkesa und von Bederkesa<br />
nach Wesermünde zurück von Tieffliegern beschossen worden s<strong>in</strong>d und wie oft wir<br />
uns im Drangstedter Wald während der Angriffe versteckt haben. Merkwürdig war,<br />
daß uns <strong>in</strong> Wesermünde Fremdarbeiter vor bevorstehenden Angriffen häufig gewarnt<br />
hatten. Mir ist heute noch schleierhaft, woher sie diese Informationen hatten.<br />
ln L<strong>in</strong>tig verbreiteten die zurückflutenden deutschen Truppenteile die wil<strong>des</strong>ten Gerüchte<br />
über die heranrückenden Engländer und versetzten den ganzen Ort <strong>in</strong> Aufregung.<br />
Am Abend, bevor die Briten <strong>in</strong> L<strong>in</strong>tig e<strong>in</strong>rückten, b<strong>in</strong> ich mit dem letzten Zug<br />
noch nach Wesermünde zurückgefahren. Ich hatte zwar me<strong>in</strong>er Tochter versprochen<br />
zurückzukommen, durfte aber wegen der Ausgangssperre Wesermünde nicht mehr<br />
verlassen. Außerdem fuhren auch gar ke<strong>in</strong>e Züge mehr. Me<strong>in</strong>e Tochter wurde nach<br />
der Besetzung Wesermün<strong>des</strong> von Bekannten aus L<strong>in</strong>tig zurückgebracht.<br />
Im nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> kann ich noch berichten, daß ich auf den Wegen nach und von L<strong>in</strong>tig<br />
häufig e<strong>in</strong>en Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gsanzug anhatte, um den Ansche<strong>in</strong> zu erwecken, als sei ich e<strong>in</strong><br />
männliches Wesen. Anlaß für diese Verkleidung waren Berichte von Flüchtl<strong>in</strong>gen, die<br />
von Mißhandlung von Frauen im Osten berichteten. Me<strong>in</strong>e Mutter hatte mir aus gleicher<br />
Sorge geraten, immer e<strong>in</strong>e Tüte mit fe<strong>in</strong>em gemahlenem Pfeffer bei mir zu tragen,<br />
um ihn bei evtl. Angriffen dem Gegner <strong>in</strong> die Augen streuen zu können.<br />
ln den Tagen vor der Kapitulation herrschten <strong>in</strong> der Stadt große Unruhe und die wil<strong>des</strong>ten<br />
Gerüchte. ln der Stadt befanden sich viele Soldaten auf der Flucht vor dem<br />
herannahenden Fe<strong>in</strong>d. Sie suchten überall nach Fahrrädern, um die Stadt schneller<br />
verlassen zu können.<br />
ln diesen Tagen härten wir, daß die Stadt Oldenburg kampflos gefallen sei. Es war<br />
unser sehnlichster Wunsch, daß auch Wesermünde ohne e<strong>in</strong>en weiteren Schuß übergeben<br />
werden würde.<br />
51