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Das Ende des 2.Weltkrieges in Bremerhaven

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ersten Male seit Jahren wurde wieder gebacken. Zeugen berichten, daß ganze Stadtteile<br />

zeitweise nach Schmalzkuchen, dann nach Butterkuchen rochen, je nach Art der<br />

Sonderzuteilung. Alte Rezepte wurden ausgetauscht. Als im Schlachthof am Fließband<br />

hängende Schwe<strong>in</strong>ehälften von Schlachtern zerteilt und dann, großzügig abgewogen,<br />

verteilt wurden, verwandelten sich Küchen und Waschküchen <strong>in</strong> kle<strong>in</strong>e<br />

Fleisch- und Wurstfabriken. Manch e<strong>in</strong>er hat sich <strong>in</strong> diesen Tagen den Magen verdorben,<br />

weil er Menge und Fettgehalt der aufgenommenen Nahrung nicht mehr vertragen<br />

konnte. ln dem Gefühl, endlich e<strong>in</strong>mal wieder satt zu werden, wurden diese<br />

Qualen klaglos h<strong>in</strong>genommen. 14<br />

Erst nachdem der erste Heißhunger gesättigt war, dachte man an die Zukunft und<br />

schuf Vorräte für befürchtete noch schlechtere Zeiten. Die Bevorratung, eigentliches<br />

Ziel der Sonderrationen, geschah teilweise auf recht denkwürdige Art und Weise: Öl,<br />

<strong>in</strong> Flaschen und Demijohns abgefüllt, Konserven usw. verschwanden tief e<strong>in</strong>gegraben<br />

unter der Gartenerde oder unter Landbuden. 15<br />

Der here<strong>in</strong>brechende Lebensmittelsegen war für die meisten Menschen e<strong>in</strong> unfaßbares<br />

Ereignis nach den vielen Hungerjahren. Zugleich war man erstaunt über die<br />

Mengen, die die geöffneten Lager freigaben. Und dennoch hatten e<strong>in</strong>ige das Gefühl,<br />

als handele es sich um e<strong>in</strong>e "Henkersmahlzeit". 16<br />

E<strong>in</strong> Ereignis aus diesen Tagen ist, nach unabhängigen Aussagen zu urteilen, stadtweit<br />

bekannt geworden. Im Raum zwischen Speckenbüttel und Wremen schwamm<br />

e<strong>in</strong>es Tages Speiseöl auf dem Wasser der Weidegräben. Wie e<strong>in</strong> Lauffeuer verbreitete<br />

sich die Nachricht darüber <strong>in</strong> der Stadt. Bewaffnet mit Eimern, Dosen, Flaschen<br />

und anderen Behältern, zu Fuß und mit dem Rad, strömten die Menschen zu den<br />

Gräben. Hier angekommen, mußten sie feststellen, daß zuvor schon Bauern den Löwenanteil<br />

abgeschöpft und teilweise <strong>in</strong> Milchkannen auf Fuhrwerken abtransportiert<br />

hatten. Die Ausbeute der Stadtbevölkerung blieb h<strong>in</strong>ter den Erwartungen zurück. -<br />

Über die Ursache dieser "Öischwemme" gibt es unterschiedliche Aussagen. Sie kann<br />

daher an Hand der Aussagen nicht mit letzter Sicherheit festgestellt werden. 17 Am<br />

wahrsche<strong>in</strong>lichsten ist wohl die Erklärung, daß das Öl aus e<strong>in</strong>em von Tieffliegerbeschuß<br />

durchlöcherten Tankwagen der Reichsbahn <strong>in</strong> die Gräben floß.<br />

Gartenbesitzer hatten längst damit begonnen, ihre Grundstücke <strong>in</strong> kle<strong>in</strong>e Landwirtschaften<br />

umzufunktionieren: Kartoffeln, Erbsen, Bohnen und anderes Gemüse verdrängten<br />

die letzten Rasenflächen. Auch die Viehhaltung <strong>in</strong> der Stadt hatte stark zugenommen:<br />

Hühner, Enten, Gänse, teilweise auch Schwe<strong>in</strong>e, hauptsächlich aber,<br />

wegen der rationellen Haltungsmöglichkeit, Kan<strong>in</strong>chen. ln abenteuerlicher Weise<br />

wurden Schwarzschlachtungen vorgenommen, Fleisch und Wurst im Keller oder <strong>in</strong><br />

der Waschküche auf meist nur e<strong>in</strong>er Kochsteile verarbeitet- zu nächtlicher Stunde<br />

selbstverständlich, wegen der allseits und ständig drohenden Gefahr, denunziert zu<br />

werden. 18<br />

20. April 1945, Führers Geburtstag. ln der Nordwestdeutschen Zeitung erschienen<br />

zwei Artikel, <strong>in</strong> denen sich die Bevölkerung über die starke Persönlichkeit <strong>des</strong> Führers,<br />

über se<strong>in</strong>e Tatkraft und über den "Mann <strong>des</strong> Jahrhunderts" <strong>in</strong>formieren konntekrampfhafte<br />

Versuche offenbar, an Hand der Figur <strong>des</strong> "Führers" <strong>in</strong> den letzten Tagen<br />

der Verzweiflung letzte Hoffnungsfunken zu entfachen.<br />

ln der gleichen Ausgabe f<strong>in</strong>det sich e<strong>in</strong> denkwürdiger Artikel dümmlich billiger Durchhaltepropaganda:<br />

"Nationalsozialisten glauben an den Sieg." Dar<strong>in</strong> wandte sich der<br />

Kreisleiter Greuel an die Wesermünder Bevölkerung und drohte allen die To<strong>des</strong>strafe<br />

an, die den Widerstand gegen den Fe<strong>in</strong>d störten oder verh<strong>in</strong>derten.- "Falls an e<strong>in</strong>em<br />

Hause e<strong>in</strong>e weiße Fahne gezeigt werden sollte, so würden befehlsgemäß sämtliche<br />

männlichen Hause<strong>in</strong>wohner sofort erschossen werden."<br />

60<br />

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Nr. iltM.Ae. ~ - ...,.,.....,Jkudtt )ladlrichtm Freitag, 20. April 1945 ·<br />

Kämpferisches leben<br />

Berlip. 20. April. Reichsm<strong>in</strong>ister pr. Go e b b e ls<br />

richtete am Vorabt!nd <strong>des</strong> Führergeburtstages e<strong>in</strong>e<br />

RunC.'funkansprache an d;rs deutsche Volk, <strong>in</strong> der er<br />

die geschichtli

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