07.12.2012 Aufrufe

Seniorenrabatte - Edwin E. Braatz

Seniorenrabatte - Edwin E. Braatz

Seniorenrabatte - Edwin E. Braatz

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

� ������������� ����������������������������������<br />

Entscheidungen<br />

„Es geht so nicht weiter“, hatte<br />

Dirk gesagt und sie dabei im<br />

Spiegel, dem Bett gegenüber<br />

angesehen. Und Kathrins Herz<br />

hatte angefangen, wie wild zu<br />

klopfen, was meinte er? Wollte<br />

er Schluss machen? Aber warum<br />

gerade jetzt? Über die Antwort<br />

allerdings musste sie nicht<br />

lange nachdenken. Die Situation<br />

war unhaltbar, schon ewig,<br />

eigentlich seit sie sich kannten.<br />

Beziehungsweise, wieder getroffen<br />

hatten.<br />

Der Zeitpunkt des Wiedersehens<br />

lag jetzt drei Jahre zurück.<br />

Es war auf einem Kongress gewesen.<br />

Plötzlich hatte da dieser<br />

gut aussehende, große Mann vor<br />

ihr gestanden, er wirkte vertraut,<br />

er lächelte und fragte: „Kathrin?“<br />

Und sie hatte genickt und einen<br />

Moment gebraucht um mit der<br />

Verblüffung fertig zu werden.<br />

Damals<br />

Vor mehr als zwanzig Jahren<br />

waren sie ein Paar gewesen. Kennen<br />

gelernt hatten sie sich an der<br />

Universität, er war im ersten Semester,<br />

sie schrieb an ihrer Magisterarbeit.<br />

Er war erst nach einer<br />

Ausbildung an die Universität<br />

gekommen, der Altersunterschied<br />

betrug rund sechs Jahre. „Das war<br />

viel, damals“, lacht Kathrin. „Ich<br />

war 30, er gerade 24. Für mich<br />

klingelte die Uhr. Ich wollte Familie,<br />

ich wollte Kinder. Er war<br />

noch nicht soweit.“ Sieben Monate<br />

lang war man zusammen. „Erst<br />

war alles toll“, erinnert sie sich.<br />

„Aber dann – er zog sich zurück.<br />

Wahrscheinlich wurde es ihm zu<br />

ernst, wahrscheinlich habe ich<br />

zuviel Druck gemacht. Zum Anfang<br />

sprach er sehr schnell von<br />

zusammen ziehen, dann war da-<br />

von keine Rede mehr und ich sah<br />

ihn seltener. Und dann war er verschwunden.<br />

Plötzlich.“ Klammheimlich<br />

hatte sich Dirk aus dem<br />

Staub gemacht. Die Uni gewechselt,<br />

war umgezogen und meldete<br />

sich nicht mehr.<br />

Nicht vergessen<br />

Die Jahre vergingen. Kathrin<br />

heiratete, bekam zwei Kinder.<br />

„Ich hab ihn nie vergessen“,<br />

sagt sie. „Ich war extrem verletzt,<br />

dass er einfach so verschwand<br />

und stürzte mich dann, schneller<br />

als gut war in die Ehe. Aber ich<br />

habe Dirk nie ganz aus meinem<br />

Kopf kriegen können. Plötzlich,<br />

ohne irgendeinen Anlass, war der<br />

Gedanke an ihn wieder da. Auch<br />

die Wut. Und trotzdem das Gefühl,<br />

wissen zu wollen, wie es<br />

ihm geht. Was er tut. Und immer,<br />

wenn ich mit meinem Mann stritt,<br />

das Gefühl: Mit Dirk wäre es eine<br />

bessere Ehe gewesen.“ Sie zuckt<br />

die Schultern.<br />

Und dann der Kongress. Und<br />

da stand er vor ihr. Lächelte, auf<br />

diese spitzbübische, scheue Art,<br />

die sie schon immer geliebt hatte.<br />

Guckte ängstlich und fragte: „Wie<br />

geht es dir?“ Und ihr Herz fing an<br />

zu rasen. „Ich konnte“, sagt sie,<br />

„das alles gar nicht deuten. Da<br />

waren so viele Gefühle, die ganze<br />

alte Wut, ich wollte ihm am liebsten<br />

eine runterhauen und freute<br />

mich doch, dass er wieder da war.<br />

Und dann fragte er, ob wir einen<br />

Kaffee trinken gehen sollten. Ich<br />

dachte, warum nicht, dann kann<br />

ich mit dieser alten Geschichte<br />

vielleicht endlich abschließen.“<br />

Minenfeld<br />

Man ging Kaffee trinken. Man<br />

plauderte. Unverbindlich, aber<br />

doch, erinnert sich Kathrin, schien<br />

jeder Satz einen doppelten Boden<br />

zu haben: „Es gab soviel Unausgesprochenes<br />

zwischen uns, wir<br />

bewegten uns mit dem Gespräch<br />

wie Spaziergänger auf einem Minenfeld.“<br />

Sie zeigte Fotos von ihren<br />

Kindern, ihr Jüngster war gerade<br />

volljährig geworden und hatte<br />

das Elternhaus verlassen, war<br />

zum Studium in eine andere Stadt<br />

gezogen. „In diese Stadt“, sagte<br />

Dirk, „bin ich damals auch zum<br />

Studium gegangen. Als ich dich<br />

verlassen hatte.“<br />

Das brach den Damm. Er erzählte,<br />

dass er Angst gehabt hatte,<br />

dass die Gefühle, die er für sie<br />

hatte, zuviel waren. Dass er wisse,<br />

dass er weggelaufen sei wie ein<br />

dummer Schuljunge. Von der Einsamkeit,<br />

die er empfunden hatte,<br />

und dass er sich nicht getraut<br />

habe, sie anzurufen: „Ich war sicher,<br />

du würdest auflegen. Und<br />

nichts mehr von mir wissen wollen.“<br />

Er erfuhr durch einen alten<br />

Freund, dass sie geheiratet hatte,<br />

lernte selbst ein anderes Mädchen<br />

kennen und heiratete ebenfalls.<br />

Und über die Jahre erging es ihm<br />

wie ihr: er dachte an sie. Manchmal.<br />

Zu oft.<br />

Hotelnächte<br />

An dem Imbiss-Stand in den<br />

Messehallen, wo der Kongress<br />

stattfand standen sie im Neonlicht,<br />

Kaffee in Plastikbechern<br />

vor sich und sahen sich an. „Und<br />

nun?“ fragte sie. Und er zuckte<br />

die Schultern.<br />

Man ging essen am Abend.<br />

Was war dabei, man kannte sich<br />

schließlich und beide waren allein<br />

in einer fremden Stadt. „Fast<br />

jeder Satz begann mit ‚Weißt du<br />

noch?’ und endete mit Gelächter.<br />

Oder einem verstehenden Blick“,<br />

erinnert sich Kathrin. Irgendwann<br />

nahm Dirk ihre Hand. Und sie<br />

folgte ihm in sein Hotel.<br />

So begann es. Und es folgten<br />

drei Jahre Heimlichkeit. Drei Jahre<br />

mit gestohlenen Augenblicken.<br />

Treffen in Hotels. Angeblichen<br />

Dienstreisen zu Tagungen, die es<br />

nie gegeben hatte. „Es gab“, erzählt<br />

Kathrin leise, „auch immer<br />

wieder Trennungen. Mal von ihm<br />

aus, mal von mir. Jeder von uns<br />

war auch in seiner Familie verhaftet,<br />

jeder sagte immer mal wieder:<br />

‚Ich kann das meiner Familie<br />

nicht antun. Beide hatten wir<br />

immer wieder das Gefühl, die-<br />

ses Geflecht von Heimlichkeiten<br />

durchbrechen zu müssen. Ehrlich<br />

sein zu müssen zu dem Partner,<br />

mit dem wir immerhin das Leben<br />

teilten. Und die wir betrogen. Wir<br />

fühlten uns beide nicht gut dabei.<br />

Und trotzdem fühlte es sich so gut<br />

an, zusammen zu sein.“<br />

Mal machte er Schluss, mal sie.<br />

Beide plagte das schlechte Gewissen.<br />

Und immer wieder fand man<br />

zueinander, kontaktierte den anderen.<br />

„Es war“, sagt Kathrin, „als<br />

hätte unsere Liebe nichts mit dem<br />

jeweils anderen zu tun, als wäre<br />

das außerhalb der normalen Begriffe<br />

von Gut und Schlecht. Natürlich<br />

hatten wir bei der Hochzeit<br />

dem Anderen Treue geschworen.<br />

Natürlich brachen wir die. Aber<br />

wir konnten nicht voneinander<br />

lassen, wir konnten einfach nicht.<br />

Beide.“<br />

Alte Liebe rostet nicht<br />

Und nun hatte Dirk also dagestanden,<br />

sie im Spiegel betrachtet<br />

und gesagt, so ginge es nicht<br />

weiter. Kathrins Herz hatte angefangen,<br />

wild zu klopfen. Wollte er<br />

Autorin Kerstin<br />

Tomiak, geboten<br />

1970 in<br />

Berlin, ist seit<br />

1992 als Redakteurin<br />

bei<br />

verschiedenen<br />

Radio- und<br />

Fernsehsendern<br />

beschäftigt. Seit 2002 ist sie<br />

freie Mitarbeiterin beim Deutschlandradio<br />

Berlin und Dramaturgin<br />

bei einem Berliner Theater. Im Zusammenhang<br />

mit ihrer Bühnenarbeit<br />

führte sie ausführliche Recherchen<br />

über höfisches Leben und<br />

das Haus Plantagenet durch, die<br />

die Grundlage ihres ersten Romans<br />

„Ginster und Schwert“ bilden.<br />

wieder Schluss machen? Diesmal<br />

endgültig – wie so viele Male zuvor?<br />

Er hatte sich umgedreht und<br />

zu ihr auf das Bett gesetzt. Ihre<br />

Hand genommen. „Ich will das<br />

nicht mehr“, sagte er leise. „Ich<br />

will die Lügen nicht mehr und<br />

nicht mehr das Verstecken müssen.<br />

Ich will mit dir leben. Ich<br />

will allen zeigen dürfen, dass du<br />

die Frau bist, die ich liebe.“ Kathrins<br />

Herz, was erst wild angefangen<br />

hatte, zu klopfen, drohte jetzt<br />

plötzlich, stehen zu bleiben. „Ich<br />

will das auch“, sagte sie leise.<br />

Einen Entschluss zu fassen, ist<br />

leichter als ihn umzusetzen. „Es<br />

war extrem schwierig“, erinnert<br />

sie sich. „Das Gespräch mit meinem<br />

Mann. Seine Fragen. Sein<br />

Schmerz. Sagen zu müssen, dass<br />

ich ihn schon lieb habe, auch weiter<br />

lieb haben werde, aber dass es<br />

einen anderen gibt. Den ich liebe.<br />

Und mit dem ich leben will. Dazu<br />

die Angst, ob Dirk wirklich tut,<br />

was er sagte. Er hatte mich schon<br />

einmal plötzlich verlassen. Das<br />

war alles nicht einfach.“ Aber sie<br />

suchte sich trotzdem eine eigene<br />

Wohnung und zog aus der ehelichen<br />

aus. „Die ersten Tage nach<br />

meinem Auszug habe ich schon<br />

überlegt, ob das richtig war. Und<br />

hatte Angst vor der eigenen Courage.<br />

Dann kam der Anruf von<br />

Dirk: er hatte eine Wohnung gefunden<br />

und ebenfalls den Möbelwagen<br />

bestellt. Rund drei Monate<br />

lebten wir mit getrennten Wohnungen,<br />

dann zog er zu mir. Das<br />

schlechte Gewissen gegenüber<br />

den Ex-Partnern blieb, aber ich<br />

bin mir sicher, dass ich richtig gehandelt<br />

habe. Sicherheit gibt es<br />

nicht im Leben. Ich lebe im Jetzt<br />

und Dirk und ich wollen glücklich<br />

sein. Und vielleicht haben wir so<br />

auch unseren Ex-Partnern die<br />

Chance gegeben, wirkliches, richtiges<br />

Glück zu finden. Auch wenn<br />

wir ihnen zunächst sicher wehgetan<br />

haben.<br />

Es war richtig, dass wir uns füreinander<br />

entschieden haben. Für<br />

richtiges Glück und für die richtige<br />

Entscheidung ist es nie zu<br />

spät.“

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!