Seniorenrabatte - Edwin E. Braatz
Seniorenrabatte - Edwin E. Braatz
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Entscheidungen<br />
„Es geht so nicht weiter“, hatte<br />
Dirk gesagt und sie dabei im<br />
Spiegel, dem Bett gegenüber<br />
angesehen. Und Kathrins Herz<br />
hatte angefangen, wie wild zu<br />
klopfen, was meinte er? Wollte<br />
er Schluss machen? Aber warum<br />
gerade jetzt? Über die Antwort<br />
allerdings musste sie nicht<br />
lange nachdenken. Die Situation<br />
war unhaltbar, schon ewig,<br />
eigentlich seit sie sich kannten.<br />
Beziehungsweise, wieder getroffen<br />
hatten.<br />
Der Zeitpunkt des Wiedersehens<br />
lag jetzt drei Jahre zurück.<br />
Es war auf einem Kongress gewesen.<br />
Plötzlich hatte da dieser<br />
gut aussehende, große Mann vor<br />
ihr gestanden, er wirkte vertraut,<br />
er lächelte und fragte: „Kathrin?“<br />
Und sie hatte genickt und einen<br />
Moment gebraucht um mit der<br />
Verblüffung fertig zu werden.<br />
Damals<br />
Vor mehr als zwanzig Jahren<br />
waren sie ein Paar gewesen. Kennen<br />
gelernt hatten sie sich an der<br />
Universität, er war im ersten Semester,<br />
sie schrieb an ihrer Magisterarbeit.<br />
Er war erst nach einer<br />
Ausbildung an die Universität<br />
gekommen, der Altersunterschied<br />
betrug rund sechs Jahre. „Das war<br />
viel, damals“, lacht Kathrin. „Ich<br />
war 30, er gerade 24. Für mich<br />
klingelte die Uhr. Ich wollte Familie,<br />
ich wollte Kinder. Er war<br />
noch nicht soweit.“ Sieben Monate<br />
lang war man zusammen. „Erst<br />
war alles toll“, erinnert sie sich.<br />
„Aber dann – er zog sich zurück.<br />
Wahrscheinlich wurde es ihm zu<br />
ernst, wahrscheinlich habe ich<br />
zuviel Druck gemacht. Zum Anfang<br />
sprach er sehr schnell von<br />
zusammen ziehen, dann war da-<br />
von keine Rede mehr und ich sah<br />
ihn seltener. Und dann war er verschwunden.<br />
Plötzlich.“ Klammheimlich<br />
hatte sich Dirk aus dem<br />
Staub gemacht. Die Uni gewechselt,<br />
war umgezogen und meldete<br />
sich nicht mehr.<br />
Nicht vergessen<br />
Die Jahre vergingen. Kathrin<br />
heiratete, bekam zwei Kinder.<br />
„Ich hab ihn nie vergessen“,<br />
sagt sie. „Ich war extrem verletzt,<br />
dass er einfach so verschwand<br />
und stürzte mich dann, schneller<br />
als gut war in die Ehe. Aber ich<br />
habe Dirk nie ganz aus meinem<br />
Kopf kriegen können. Plötzlich,<br />
ohne irgendeinen Anlass, war der<br />
Gedanke an ihn wieder da. Auch<br />
die Wut. Und trotzdem das Gefühl,<br />
wissen zu wollen, wie es<br />
ihm geht. Was er tut. Und immer,<br />
wenn ich mit meinem Mann stritt,<br />
das Gefühl: Mit Dirk wäre es eine<br />
bessere Ehe gewesen.“ Sie zuckt<br />
die Schultern.<br />
Und dann der Kongress. Und<br />
da stand er vor ihr. Lächelte, auf<br />
diese spitzbübische, scheue Art,<br />
die sie schon immer geliebt hatte.<br />
Guckte ängstlich und fragte: „Wie<br />
geht es dir?“ Und ihr Herz fing an<br />
zu rasen. „Ich konnte“, sagt sie,<br />
„das alles gar nicht deuten. Da<br />
waren so viele Gefühle, die ganze<br />
alte Wut, ich wollte ihm am liebsten<br />
eine runterhauen und freute<br />
mich doch, dass er wieder da war.<br />
Und dann fragte er, ob wir einen<br />
Kaffee trinken gehen sollten. Ich<br />
dachte, warum nicht, dann kann<br />
ich mit dieser alten Geschichte<br />
vielleicht endlich abschließen.“<br />
Minenfeld<br />
Man ging Kaffee trinken. Man<br />
plauderte. Unverbindlich, aber<br />
doch, erinnert sich Kathrin, schien<br />
jeder Satz einen doppelten Boden<br />
zu haben: „Es gab soviel Unausgesprochenes<br />
zwischen uns, wir<br />
bewegten uns mit dem Gespräch<br />
wie Spaziergänger auf einem Minenfeld.“<br />
Sie zeigte Fotos von ihren<br />
Kindern, ihr Jüngster war gerade<br />
volljährig geworden und hatte<br />
das Elternhaus verlassen, war<br />
zum Studium in eine andere Stadt<br />
gezogen. „In diese Stadt“, sagte<br />
Dirk, „bin ich damals auch zum<br />
Studium gegangen. Als ich dich<br />
verlassen hatte.“<br />
Das brach den Damm. Er erzählte,<br />
dass er Angst gehabt hatte,<br />
dass die Gefühle, die er für sie<br />
hatte, zuviel waren. Dass er wisse,<br />
dass er weggelaufen sei wie ein<br />
dummer Schuljunge. Von der Einsamkeit,<br />
die er empfunden hatte,<br />
und dass er sich nicht getraut<br />
habe, sie anzurufen: „Ich war sicher,<br />
du würdest auflegen. Und<br />
nichts mehr von mir wissen wollen.“<br />
Er erfuhr durch einen alten<br />
Freund, dass sie geheiratet hatte,<br />
lernte selbst ein anderes Mädchen<br />
kennen und heiratete ebenfalls.<br />
Und über die Jahre erging es ihm<br />
wie ihr: er dachte an sie. Manchmal.<br />
Zu oft.<br />
Hotelnächte<br />
An dem Imbiss-Stand in den<br />
Messehallen, wo der Kongress<br />
stattfand standen sie im Neonlicht,<br />
Kaffee in Plastikbechern<br />
vor sich und sahen sich an. „Und<br />
nun?“ fragte sie. Und er zuckte<br />
die Schultern.<br />
Man ging essen am Abend.<br />
Was war dabei, man kannte sich<br />
schließlich und beide waren allein<br />
in einer fremden Stadt. „Fast<br />
jeder Satz begann mit ‚Weißt du<br />
noch?’ und endete mit Gelächter.<br />
Oder einem verstehenden Blick“,<br />
erinnert sich Kathrin. Irgendwann<br />
nahm Dirk ihre Hand. Und sie<br />
folgte ihm in sein Hotel.<br />
So begann es. Und es folgten<br />
drei Jahre Heimlichkeit. Drei Jahre<br />
mit gestohlenen Augenblicken.<br />
Treffen in Hotels. Angeblichen<br />
Dienstreisen zu Tagungen, die es<br />
nie gegeben hatte. „Es gab“, erzählt<br />
Kathrin leise, „auch immer<br />
wieder Trennungen. Mal von ihm<br />
aus, mal von mir. Jeder von uns<br />
war auch in seiner Familie verhaftet,<br />
jeder sagte immer mal wieder:<br />
‚Ich kann das meiner Familie<br />
nicht antun. Beide hatten wir<br />
immer wieder das Gefühl, die-<br />
ses Geflecht von Heimlichkeiten<br />
durchbrechen zu müssen. Ehrlich<br />
sein zu müssen zu dem Partner,<br />
mit dem wir immerhin das Leben<br />
teilten. Und die wir betrogen. Wir<br />
fühlten uns beide nicht gut dabei.<br />
Und trotzdem fühlte es sich so gut<br />
an, zusammen zu sein.“<br />
Mal machte er Schluss, mal sie.<br />
Beide plagte das schlechte Gewissen.<br />
Und immer wieder fand man<br />
zueinander, kontaktierte den anderen.<br />
„Es war“, sagt Kathrin, „als<br />
hätte unsere Liebe nichts mit dem<br />
jeweils anderen zu tun, als wäre<br />
das außerhalb der normalen Begriffe<br />
von Gut und Schlecht. Natürlich<br />
hatten wir bei der Hochzeit<br />
dem Anderen Treue geschworen.<br />
Natürlich brachen wir die. Aber<br />
wir konnten nicht voneinander<br />
lassen, wir konnten einfach nicht.<br />
Beide.“<br />
Alte Liebe rostet nicht<br />
Und nun hatte Dirk also dagestanden,<br />
sie im Spiegel betrachtet<br />
und gesagt, so ginge es nicht<br />
weiter. Kathrins Herz hatte angefangen,<br />
wild zu klopfen. Wollte er<br />
Autorin Kerstin<br />
Tomiak, geboten<br />
1970 in<br />
Berlin, ist seit<br />
1992 als Redakteurin<br />
bei<br />
verschiedenen<br />
Radio- und<br />
Fernsehsendern<br />
beschäftigt. Seit 2002 ist sie<br />
freie Mitarbeiterin beim Deutschlandradio<br />
Berlin und Dramaturgin<br />
bei einem Berliner Theater. Im Zusammenhang<br />
mit ihrer Bühnenarbeit<br />
führte sie ausführliche Recherchen<br />
über höfisches Leben und<br />
das Haus Plantagenet durch, die<br />
die Grundlage ihres ersten Romans<br />
„Ginster und Schwert“ bilden.<br />
wieder Schluss machen? Diesmal<br />
endgültig – wie so viele Male zuvor?<br />
Er hatte sich umgedreht und<br />
zu ihr auf das Bett gesetzt. Ihre<br />
Hand genommen. „Ich will das<br />
nicht mehr“, sagte er leise. „Ich<br />
will die Lügen nicht mehr und<br />
nicht mehr das Verstecken müssen.<br />
Ich will mit dir leben. Ich<br />
will allen zeigen dürfen, dass du<br />
die Frau bist, die ich liebe.“ Kathrins<br />
Herz, was erst wild angefangen<br />
hatte, zu klopfen, drohte jetzt<br />
plötzlich, stehen zu bleiben. „Ich<br />
will das auch“, sagte sie leise.<br />
Einen Entschluss zu fassen, ist<br />
leichter als ihn umzusetzen. „Es<br />
war extrem schwierig“, erinnert<br />
sie sich. „Das Gespräch mit meinem<br />
Mann. Seine Fragen. Sein<br />
Schmerz. Sagen zu müssen, dass<br />
ich ihn schon lieb habe, auch weiter<br />
lieb haben werde, aber dass es<br />
einen anderen gibt. Den ich liebe.<br />
Und mit dem ich leben will. Dazu<br />
die Angst, ob Dirk wirklich tut,<br />
was er sagte. Er hatte mich schon<br />
einmal plötzlich verlassen. Das<br />
war alles nicht einfach.“ Aber sie<br />
suchte sich trotzdem eine eigene<br />
Wohnung und zog aus der ehelichen<br />
aus. „Die ersten Tage nach<br />
meinem Auszug habe ich schon<br />
überlegt, ob das richtig war. Und<br />
hatte Angst vor der eigenen Courage.<br />
Dann kam der Anruf von<br />
Dirk: er hatte eine Wohnung gefunden<br />
und ebenfalls den Möbelwagen<br />
bestellt. Rund drei Monate<br />
lebten wir mit getrennten Wohnungen,<br />
dann zog er zu mir. Das<br />
schlechte Gewissen gegenüber<br />
den Ex-Partnern blieb, aber ich<br />
bin mir sicher, dass ich richtig gehandelt<br />
habe. Sicherheit gibt es<br />
nicht im Leben. Ich lebe im Jetzt<br />
und Dirk und ich wollen glücklich<br />
sein. Und vielleicht haben wir so<br />
auch unseren Ex-Partnern die<br />
Chance gegeben, wirkliches, richtiges<br />
Glück zu finden. Auch wenn<br />
wir ihnen zunächst sicher wehgetan<br />
haben.<br />
Es war richtig, dass wir uns füreinander<br />
entschieden haben. Für<br />
richtiges Glück und für die richtige<br />
Entscheidung ist es nie zu<br />
spät.“