EINER VON EINER MILLION
Liberal-02_2016
Liberal-02_2016
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Der Weg zum Freihandel muss<br />
weiter beschritten werden<br />
TTIP ist eine historische Chance. Wir dürfen sie nicht verpassen.<br />
TTIP ist global mit Abstand<br />
der wichtigste dieser Anläufe.<br />
Quantitativ betrifft<br />
TTIP fast die Hälfte der<br />
globalen Wertschöpfung<br />
und mehr als ein Drittel des<br />
globalen Handels. Wichtiger noch ist die qualitative<br />
Bedeutung: Zwei riesige hoch entwickelte<br />
Wirtschaftsregionen, die wichtigsten der<br />
Welt, räumen all jene verdeckten Handelshemmnisse<br />
aus dem Wege, die in einer modernen,<br />
hochtechnologischen Wirtschaft mit<br />
zunehmend komplexeren Gütern und Dienstleistungen<br />
immer mehr an Bedeutung gewinnen<br />
– durch gegenseitige Anerkennung von<br />
Standards sowie Genehmigungs- und Prüfungsverfahren,<br />
durch offene Ausschreibungen des<br />
Staates, durch eine gemeinsame gerichtliche<br />
Praxis des Investitionsschutzes. Genau so – und<br />
letztlich nur so – ist ein fairer Wettbewerb zu<br />
erreichen.<br />
Foto: picture alliance / Geisler-Fotop<br />
// TEXT // KARL-HEINZ PAQUÉ<br />
Genug an Freihandel, genug an Integration,<br />
genug an Globalisierung! Das war die Botschaft<br />
der meisten Demonstranten, die sich<br />
am 10. Oktober 2015 in Berlin zu einer Großkundgebung<br />
gegen TTIP zusammenfanden.<br />
Diese Botschaft ist nicht gut, wie ein Blick in<br />
die Geschichte zeigt: Zeiten der Fortschritte in<br />
Richtung mehr Freihandel waren stets auch<br />
Zeiten des Friedens, der Kooperation und der<br />
Prosperität. Es begann im Zuge der Industrialisierung:<br />
1846 ging Großbritannien zum Freihandel<br />
über, und innerhalb der nächsten Jahre<br />
schlossen die meisten anderen Nationen des<br />
heutigen Westens bilaterale Freihandelsverträge.<br />
Es folgten Jahrzehnte der erfolgreichen<br />
Wirtschaftsentwicklung Europas und Nordamerikas.<br />
Fast genau ein Jahrhundert später wurde<br />
nach dem Zweiten Weltkrieg das heutige multilaterale<br />
Handelssystem begründet – durch<br />
Abschluss des Allgemeinen Handelsabkommens<br />
(GATT), damals zunächst von 23 Ländern<br />
unter Führung der USA. Es folgten wieder<br />
Jahrzehnte des wirtschaftlichen Wachstums<br />
und der Integration, mit acht erfolgreichen<br />
Verhandlungsrunden zur Zollsenkung, bis<br />
schließlich 160 Länder der Welthandelsorganisation<br />
(WTO) angehörten, die 1995 auf den<br />
Prinzipien des GATT begründet wurde. Ein<br />
gigantischer Erfolg, nachdem in der Zwischenkriegszeit<br />
der Rückfall in den Protektionismus<br />
Verheerendes angerichtet hatte.<br />
Dieser damalige Rückfall ist eine historische<br />
Lehre ersten Ranges. Er war alles andere als<br />
ein Zufall. Er folgte einer schleichend zunehmenden<br />
Skepsis gegenüber dem Freihandel,<br />
die schon Jahrzehnte zuvor in vielen Ländern<br />
Spuren hinterlassen hatte – allen voran in<br />
Deutschland, wo der konservative Reichskanzler<br />
Bismarck sich 1878 von den Liberalen abwendete<br />
und wegen der zunehmenden Konkurrenz<br />
aus Übersee Agrarzölle durchsetzte,<br />
die dann später unter Reichskanzler von Bülow<br />
1902 weiter erhöht wurden. Diese Schutzzollpolitik<br />
war eines der destruktiven Elemente<br />
einer generellen Verschlechterung der internationalen<br />
Beziehungen, die schließlich in die<br />
Katastrophe des Ersten Weltkriegs führte.<br />
Klar ist, dass sich die Geschichte nicht wiederholt.<br />
Aber klar ist auch, dass ein protektionistischer<br />
Klimawandel – einmal in Gang gesetzt<br />
– sehr schwer rückgängig zu machen ist. Dies<br />
gilt auch für die aktuelle Lage: Seit 2001 läuft<br />
die sogenannte Doha-Runde der WTO, und sie<br />
kommt nicht wirklich voran – zu unterschiedlich<br />
sind die Interessen vor allem<br />
der Industrieländer auf<br />
der einen und der großen<br />
Schwellen- und Entwicklungsländer<br />
auf der anderen<br />
Seite. Deshalb hat es<br />
eine Reihe von Anläufen zu<br />
regionalen Freihandelsabkommen<br />
gegeben, zuletzt<br />
mit erfolgreichem Abschluss<br />
die Trans-Pacific<br />
Partnership (TPP) der USA<br />
mit den asiatischen und<br />
lateinamerikanischen Pazifikanrainern.<br />
Kommt TTIP zustande, ist dieser faire Wettbewerb<br />
zunächst transatlantisch. Aber vieles<br />
spricht dafür, dass TTIP – einmal etabliert – als<br />
eine Art offener Club weitere Länder dazu veranlasst,<br />
sich anzuschließen. Es dürfte nicht<br />
allzu lange dauern, bis TTIP und TPP sich zusammentun.<br />
So könnte Schritt für Schritt<br />
schließlich doch ein annähernd weltweites<br />
Handelsabkommen entstehen — über den Umweg<br />
zunächst regionaler Abschlüsse, die heutzutage<br />
einfacher zu erreichen sind als multilaterale<br />
Einigungen in der WTO. Die Dynamik<br />
des Weges zum globalen Freihandel bliebe<br />
erhalten und der Weg zur Prosperität durch<br />
Integration auch im 21. Jahrhundert offen.<br />
Die Gegner machen mobil: Mehr als 150.000 Teilnehmer demonstrierten<br />
im Oktober vergangenen Jahres in Berlin gegen das Freihandelsabkommen.<br />
Zugegeben, das sind große liberale Ziele. Aber<br />
sie sind wichtig. Sie sollten nicht kleinlichen<br />
Bedenken zum Opfer fallen, denen in sorgfältigen<br />
Verhandlungen Rechnung getragen werden<br />
kann. Präsident Obama und Kanzlerin<br />
Merkel haben in Kürze Gelegenheit, dies öffentlich<br />
deutlich zu machen: bei ihrer gemeinsamen<br />
Eröffnung der Hannover Messe. Sie<br />
sollten es mit dem nötigen politischen Nachdruck<br />
tun. ●<br />
liberal 2.2016<br />
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