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SEITE 03<br />
DIE LINDENHOF HOTELZEITUNG<br />
REPORTAGE<br />
Lorella hat alles im Blick – und sorgt dafür,<br />
dass Tisch 32 die Ente in drei Minuten bekommt<br />
Es ist 20.15 Uhr. Absolute Primetime. Acht Servicekräfte<br />
rennen rein (mit schmutzigem Geschirr) und raus (mit<br />
dem besten Gourmetessen), sechs Köche schwitzen und<br />
haben keine Zeit, auch nur ein Wort zu reden – und der<br />
große Zettel von Lorella ist weit über die Hälfte gefüllt.<br />
Die ersten Tische sind durchgestrichen, was bedeutet: Essen<br />
vollständig serviert. „Beim Umbau der Küche haben<br />
wir uns dieses System überlegt“, erzählt Lorella. Von der<br />
Schiebetür in die „öffentliche Welt“ führt ein langer<br />
Gang nach hinten. Nach fünf Metern kommt der Platz<br />
von Lorella, drei Meter weiter ist die Spüle. Auf der anderen<br />
Seite des Ganges führen vier Bahnen nach vorne – zu<br />
der Ablage mit den Wärmelampen. Auf Bahn 1 arbeitet<br />
der Suppenkoch, auf Bahn 2 werden die warmen Vorspeisen<br />
zubereitet. Auf Linie 3 sind die Souschefs bei der Arbeit,<br />
die sich um die Hauptspeisen kümmern. Und durch<br />
eine Wand abgetrennt hat der Patissier sein eigenes Reich.<br />
LORELLAS GANG<br />
„TISCH 18 MÖCHTE<br />
LIEBER EINE<br />
LEBERKNÖDELSUPPE“<br />
Ein Blick hinter die Kulissen: Wie der ganz normale Wahnsinn bei einem<br />
ganz normalen Abendessen am „Pass“ in der Küche funktioniert<br />
Während die Gäste in einem der drei Speiseräume im Hotel<br />
<strong>Lindenhof</strong> in aller Ruhe und Entspanntheit Wein und Essen<br />
auswählen, beginnt in der Küche der größte Stress des Tages.<br />
Nur mit einer ausgeklügelten Logistik lässt sich hier auf knapp<br />
250 Quadratmetern die Zeit zwischen 19 und 22 Uhr meistern.<br />
600 Teller für 120 Gäste gehen in weniger als drei Stunden<br />
über den sogenannten „Pass“. Und im Mittelpunkt steht<br />
die Hotelchefin.<br />
„Zwei Suppen, einen Drink für Tisch 14“, sagt Jan<br />
zu Lorella – und die Hotelchefin notiert auf einem vorbereiteten<br />
großen Blatt Papier, das an der Wand hängt, die<br />
erste Bestellung des Abends.<br />
Es ist 19.15 Uhr. Der ganz normale Wahnsinn beginnt in<br />
der knapp 250 Quadratmeter großen Küche im Hotel <strong>Lindenhof</strong>.<br />
Wie an sechs anderen Tagen in der Woche steht<br />
Lorella Lorenza Longhitano am sogenannten „Pass“, der<br />
Küche und Service verbindet. Sie ist die Einzige, die mit<br />
den sechs Köchen in den nächsten Stunden kommunizieren<br />
wird, jede Bestellung läuft über sie, jede Essensausgabe<br />
wird von ihr im „Pass“ gesteuert und kontrolliert. „Ich<br />
mag mir gar nicht vorstellen, was das für ein Zirkus wäre,<br />
wenn jeder Ober seine Bestellung direkt beim Koch ordern<br />
würde“, sagt die Frau, die am Abend wohl den anstrengendsten<br />
Job hat, auch wenn diese knapp drei Stunden<br />
von allen Beteiligten höchste Disziplin erfordern.<br />
„Tisch 18 möchte lieber eine Leberknödelsuppe – und<br />
zwei Mal Wellnessdrink“, ruft ihr Kellnerin Lea zu – und<br />
Lorella wischt noch einmal über die Teller mit den zwei<br />
Schaumsüppchen von Rosmarin und Parmesan, die seit<br />
vielleicht zehn Sekunden unter den fünf großen Wärmelampen<br />
warten. „Die zwei Suppen an Tisch 32“, sagt sie –<br />
und Lea nimmt sie sofort mit.<br />
Es ist 19.45 Uhr. Vor der Schiebetür stehen immer mehr<br />
Gäste am Salatbuffet – und im Meran-Speisesaal überlegt<br />
Der „Pass“ in der Küche: die Hotelchefin steuert den Service und die<br />
Köche – „was wäre das sonst für ein Zirkus?“<br />
Frau Glaser an Tisch 12, ob sie jetzt nach dem Wellnessdrink<br />
aus Buttermilch und Passionsfrucht als warme Vorspeise<br />
lieber die Paarlbrotpappardelle mit einem Ragout<br />
von der Spanferkelkeule und einem leichten Kümmelschaum<br />
oder den gebackenen Ziegenfrischkäseknödel auf<br />
einem Kürbischutney und frischen Feigen bestellen soll.<br />
„Der Gast kann sich bei uns von Gang zu Gang entscheiden“,<br />
sagt Lorella und weiß: Für die da draußen ist das<br />
sehr angenehm, für die hier drinnen verursacht es erschwerte<br />
Bedingungen.<br />
„Zweimal Pappardelle für Tisch 12“, sagt Helmut im Vorbeigehen<br />
in Richtung Spülraum, wo er das schmutzige<br />
Geschirr abstellt. Lorella lässt Helmut noch kurz auf die<br />
nächste Servicekraft warten, damit die sieben Hauptspeisen<br />
an Tisch 44 in der Stube gleichzeitig serviert werden<br />
können. „Manchmal verstehen Gäste nicht, warum nicht<br />
immer der gleiche Kellner zu ihnen an den Tisch kommt.<br />
Aber das ist bei unserem System mit der Wahl von Gang<br />
zu Gang gar nicht anders möglich“, sagt der Service-Leiter<br />
Helmut Stieger.<br />
„Zweimal Ente und einmal Zander für Tisch 32. Aber erst<br />
in 15 Minuten“, sagt Monika – und man merkt allen an,<br />
dass sie wohl nur noch draußen in den Speiseräumen bei<br />
den Gästen die Kraft zum Lächeln haben.<br />
Es ist 20.45 Uhr. Lorella sagt, sie habe das schon im Gespür<br />
mit den zehn oder 15 Minuten Wartezeiten und<br />
streicht Tisch 5 durch, nachdem Lea das Dessert durch<br />
die Schiebetür jongliert. Seit acht Uhr heute Morgen arbeiten<br />
die Köche. Bis zur Pause um 13.30 Uhr hatten sie<br />
den Großteil des Menüs vorbereitet und eine Etage tiefer<br />
im „Magazin“ in Gefrier- und Trockenfächern gelagert.<br />
„Während der Essensausgabe sollte jeder von uns nicht<br />
mehr als zehn Handgriffe machen müssen, sonst wird’s<br />
eng“, sagt der Chefkoch Andreas Pircher. Die Pappardelle<br />
liegt portionsweise gebündelt vor dem sprudelnden Wassertopf,<br />
40 fertig gegarte Entenbrüstchen warten im 40<br />
Grad warmen Ofen auf die Erlösung, Sauce und Beilage<br />
stehen in einem ausgeklügelten System auf Bahn 2 und 3.<br />
„Wir haben unsere Erfahrungswerte, wie viele Entenbrüstchen<br />
wir brauchen werden. Und wenn die dann mal<br />
eine knappe Stunde im Wärmeofen sind, schmecken die<br />
wie komplett frisch zubereitet“, sagt Pircher.<br />
Es ist 21.30 Uhr. „Dreimal Ente für Tisch 11, einmal Zander“,<br />
sagt Jennifer – und zum ersten Mal herrscht wieder<br />
ein Lächeln zwischen der „Pass“-Frau Lorella und dem<br />
Chefkoch Andreas. Vier Mal Ente hätte nicht gereicht.<br />
„Wir hatten geglaubt, dass die Kinder wie üblich Wiener<br />
Schnitzel bestellen. Aber heute haben sie fast alle Ente gegessen“,<br />
sagt Lorella. Die braunen Augen der Italienerin,<br />
die einen sonst so feurig anschauen, blicken müde in die<br />
Runde. Langsam ist der Tag gemeistert, die ersten drei<br />
Bahnen werden geputzt, nur der Patissier Josef Martin hat<br />
noch ein paar Portionen und Handgriffe vor sich. Und<br />
Lorella sucht noch einen Ober, der das Dessert an Tisch<br />
24 bringt. „Durch den Pass ist auch diese Rivalität raus,<br />
die doch früher oft in den Küchen zwischen Service- und<br />
Kochteam herrschte“, sagt Lorella.<br />
Jan kommt und holt das letzte Dessert bei Josef Martin ab,<br />
der schon verzweifelt auf jemanden vom Service gewartet<br />
hat. „Ich könnte auch Koch sein“, sagt Jan augenzwinkernd<br />
zu Josef Martin – und der antwortet. „Zu mir hat<br />
man früher gesagt: Lern erst mal Koch, Kellner kannst<br />
du immer noch werden.“<br />
Es ist kurz nach 22 Uhr. Service und Küche melden sich<br />
wieder zurück ins Leben.<br />
Lorella Lorenza Longhitano hat ihren Partner Joachim<br />
Nischler in Corvara im Sternelokal „La stüa de Michel“ kennengelernt.<br />
Seit 22 Jahren lebt sie jetzt in Naturns und ist im<br />
<strong>Lindenhof</strong> für die Bereiche Etage, Beauty und für den „Pass“ in<br />
der Küche zuständig. Aufgewachsen ist die Italienerin in dem<br />
Quartiere Baggio, in dem auch das San Siro-Stadion von Inter<br />
Mailand beheimatet ist – und zwar in der Via Val Senales. Der<br />
Schnalstalstraße. Wenn das keine Vorbestimmung war…