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Erziehung & Schule<br />
«Für die Mädchen<br />
ist Onanie ganz<br />
häufig noch ein<br />
richtiges<br />
Tabuthema.»<br />
Anna Schmidt, Medizinstudentin im letzten<br />
Semester und Präsidentin der Organisation<br />
«Achtung Liebe» Schweiz.<br />
>>> Solche Worte löschen die Bilder<br />
im Kopf der 13-jährigen Jungen<br />
natürlich nicht aus. Das zeigt sich,<br />
als sich Jungen und Mädchen<br />
anschliessend anonym gegenseitig<br />
Fragen stellen und beantworten dürfen.<br />
Während die Mädchen brave<br />
Fragen formulieren wie: «Worüber<br />
redet ihr eigentlich in der Umkleide?<br />
Ihr lacht immer so», wollen die Jungen<br />
wissen: «Stöhnt ihr?», «Seid ihr<br />
gerade spitz?», «Was macht euch<br />
an?». Die Antworten der Mädchen<br />
lauten «Nein!», «Quatsch!», und ein<br />
Junge solle vor allem «lieb, lustig<br />
und aufmerksam» sein. Und dann<br />
«Die meisten<br />
Jungen haben<br />
längst harte<br />
Pornos im Netz<br />
gesehen.»<br />
Frederic Thiele, Medizinstudent im 10. Semester.<br />
Er gibt seit drei Jahren Aufklärungsworkshops an<br />
Schulen für «Achtung Liebe» Schweiz.<br />
kommt auch noch der Schock hinzu,<br />
dass offenbar gar nicht alle Frauen<br />
im Winter ihre Beine rasieren.<br />
«Was?», ruft ein Junge mit angeekeltem<br />
Gesichtsausdruck, und seine<br />
Mitschülerin antwortet herablassend:<br />
«Ja, warum sollten wir denn?<br />
Sieht doch keiner.» Überhaupt fänden<br />
sie das ganze Sex-Getue der<br />
Jungs kindisch, verraten die Mädchen<br />
in der Frauenrunde. Sie selbst<br />
jedenfalls hätten noch nie Pornos<br />
gesehen und würden sich auch nicht<br />
selbst befriedigen.<br />
«Der Unterschied ist typisch für<br />
Jugendliche in dem Alter», sagt<br />
Anna Schmidt. Allerdings nehme<br />
sie den Mädchen ihre Unschuld<br />
auch nicht so ganz ab. Sie würden<br />
ihre ersten Erfahrungen wohl lieber<br />
für sich behalten. «Selbstbefriedigung<br />
ist bei den Mädchen einfach<br />
mit einem ganz anderen Tabu belegt<br />
als bei den Jungen.»<br />
Anatomisch oder ganzheitlich?<br />
«Sexuelle Gesundheit Schweiz»<br />
strebt eine ganzheitliche Sexualaufklärung<br />
an. Die Jugendlichen sollen<br />
dazu befähigt werden, ihre eigenen<br />
Wünsche und auch Grenzen zu kennen<br />
und zu respektieren – was letztendlich<br />
dazu führt, dass jeder selbst<br />
entscheidet, wie er seine Sexualität<br />
leben möchte – auch abseits der üblichen<br />
Rollenbilder. Dieses Verständnis<br />
bedeutet auch, dass Homosexualität<br />
nicht abgewertet wird. Als die<br />
Sprache im Workshop von «Achtung<br />
Liebe» allerdings auf die gleichgeschlechtliche<br />
Liebe kommt, prusten<br />
die Jungen laut los. Und die Idee,<br />
dass Homosexuelle Kinder haben<br />
könnten, stösst allgemein auf Ablehnung.<br />
«Weil die es sicher schwer<br />
haben, ihren Freunden zu erklären,<br />
warum sie zwei Mütter haben»,<br />
Sexualkunde in der Deutschschweiz<br />
Die Sexualbildung in der Deutschschweiz<br />
ist laut der Organisation «Sexuelle<br />
Gesundheit Schweiz» in drei Zyklen aufgeteilt:<br />
Im Kindergarten soll Kindern<br />
ab vier Jahren ein basales Körperwissen<br />
vermittelt werden – also zum Beispiel<br />
der Unterschied zwischen Jungen und<br />
Mädchen sowie der Umgang mit Emotionen.<br />
Ausserdem findet eine erste<br />
Gewaltprävention statt, indem man<br />
den Kindern vermittelt, dass sie selbst<br />
bestimmen, wann und wie sie angefasst<br />
werden.<br />
Im dritten bis neunten Schuljahr<br />
werden im Biologieunterricht Körper und<br />
Pubertät behandelt sowie das gesellschaftlich<br />
verschiedene Verhalten von<br />
Mann und Frau angesprochen.<br />
Ab der zehnten Klasse steht der<br />
Sexualkundeunterricht, wie ihn die<br />
meisten kennen, auf dem Lehrplan. Dieser<br />
bleibt in vielen Kantonen und Schulen<br />
auf anatomisches Wissen begrenzt. Also<br />
beispielsweise: Wie wird man schwanger?<br />
Wie funktionieren die Sexualorgane?<br />
Gesetzlich sind die Schulen zudem dazu<br />
verpflichtet, präventiv über die Themen<br />
Gewalt und Geschlechtskrankheiten zu<br />
informieren. Ein Schwerpunkt liegt auf der<br />
HIV/Aids-Prävention.<br />
Im Juli 2015 ist ein Volksbegehren von<br />
den Initianten zurückgezogen worden,<br />
das Sexualkundeunterricht unter neun<br />
Jahren verbieten und bis zu zwölf Jahren<br />
freiwillig machen wollte. Anlass für das<br />
Volksbegehren war eine «Sexbox» mit<br />
Plüsch-Vaginas und -Penissen, die an<br />
Basler Schulen für Aufregung sorgte.<br />
Während in der Deutschschweiz der Sexualkundeunterricht<br />
sehr unterschiedlich<br />
gestaltet ist, gibt es in der Romandie klare<br />
Standards und grundsätzlich Unterricht<br />
durch externe Fachpersonen der sexuellen<br />
Gesundheit.<br />
48 März <strong>2016</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi