De:Bug 175
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text Malte Kobel & Sascha Kösch<br />
<strong>175</strong><br />
"Auch die Kunst ist revolutionäres Tun."<br />
Getreu dem Sager von Renato Guttuso<br />
prüfen DE:BUG und der Dial-Macher Peter<br />
Kersten Protestsongs jedweder Couleur auf<br />
Motivation und Wirkung. Ist doch wieder<br />
Zeit, diese Lieder zu sammeln und zu lernen.<br />
Und wenn dieses Heft gedruckt wurde,<br />
purzeln bestimmt auch die ersten NSA-<br />
Remixe durch die Beatport-Charts. Bis es<br />
soweit ist, swingen wir auf der deepen<br />
Welle von Lawrences neuem Album.<br />
Underground<br />
Resistance - Riot<br />
(Underground Resistance,<br />
1991)<br />
Das könntest du kennen, war ein Klassiker.<br />
Ich erkenne nur ein Sample von Public<br />
Enemy.<br />
Das ist Underground Resistance.<br />
Ich kenne das schon, zumindest ein bisschen.<br />
Aber das ist kein Klassiker für mich.<br />
Die Riot EP und die Fuel For The Fire waren<br />
vermutlich die beiden Platten, die dazu<br />
geführt haben, dass man UR auch als<br />
politische Formation wahrgenommen hat.<br />
<strong>De</strong>r Style, diese Militanz, das war total neu.<br />
Meine erste UR war Blake Baxter, und das<br />
war ja eher schon die hedonistische Variante.<br />
The Prince of Techno. Da war sogar ein Foto<br />
von ihm drauf. Das habe ich mir dann an die<br />
Wand gehängt. (lacht) Obwohl UR ja eigentlich<br />
gesichtslos war. Das habe ich damals<br />
noch gar nicht zusammenbringen können,<br />
Techno und Protest. Ich habe aber in den<br />
90ern auch überwiegend House gehört und<br />
mit Protest hatte das nur entfernt zu tun -<br />
außer natürlich wenn es um die Rechte von<br />
Schwulen ging. Es gab in Hamburg den "Gay<br />
Express", der lag im Front auf dem Klo aus,<br />
da wurden ganz am Rande auch mal politische<br />
Themen angerissen.<br />
Hamburg war ja auch nie die Stadt, in der<br />
es musikalisch besonders hart zu ging.<br />
Nein. Es gab natürlich das Unit oder das<br />
Opera House, aber es war eine House-<br />
Stadt. Wobei das Front sicherlich einer der<br />
Pionierclubs war. Anfangs, so um 1985, wurde<br />
dort noch alles durcheinander gespielt, Hi-<br />
NRG, Disco, früher Techno und House, aber<br />
es entwickelte sich dann in eine sehr New<br />
York fokussierte Richtung von House und<br />
damit auch Richtung Schwulenbewegung.<br />
Zunehmend driftete das aber in eine fast<br />
rein hedonistische Bewegung ab. Siehe<br />
Christopher Street Day: In Berlin bin ich<br />
einmal zufällig hineingeraten. Das war eine<br />
reine Wurstbudenveranstaltung. (lacht)<br />
John Maus -<br />
Rights For Gays<br />
(Upset! The Rhythm, 2007)<br />
Das ist ein ziemlich expliziter Protestsong.<br />
Aber auch irgendwie sehr ironisch. Es ist ja<br />
gerade wieder aktuell, für die Rechte von<br />
Homosexuellen zu kämpfen; durch die aktuellen<br />
Ereignisse in Russland hat das erneut<br />
einen extremen Schub bekommen.<br />
Aber auch in Nigeria wurden jetzt Gesetze<br />
erlassen, die zum Beispiel ein öffentliches<br />
Outing von Homosexuellen mit Haftstrafen<br />
von bis zu 14 Jahren ermöglichen. Das ist<br />
absolut verrückt.<br />
Glaubst du, es kommt noch eine schwule<br />
Politisierungswelle hinterher?<br />
Ja. Da bin ich mir ganz sicher. Ich selber<br />
wurde auch mobilisiert durch diese Gesetze.<br />
Wir hatten zuletzt eine recht apolitische<br />
Phase, in den kulturellen Bereichen zumindest.<br />
Es gab beispielsweise schon lange<br />
keine richtig ernstzunehmende Antifa-<br />
Welle. Bedarf ist natürlich permanent da<br />
und ich selbst weiß auch nicht immer genau,<br />
wie und was ich organisieren könnte.<br />
Als Techno-Musiker kann man wohl am<br />
besten bei Soliparties mit dabei sein oder<br />
anderweitig Geld beschaffen. Ich produziere<br />
ja keine politische Musik, glaube ich<br />
zumindest. Aber ich find es gut, dass sie<br />
trotzdem in politischen Zusammenhängen<br />
stattfindet.<br />
Das war ja bei dir schon immer so. <strong>De</strong>ine<br />
Musik war und ist alles andere als explizit.<br />
Wenn man politisch sein will, muss man<br />
entweder konzeptuell oder als Person explizit<br />
sein. Bei dir ist es eher die Person,<br />
die politisch ist.<br />
Klar. Aber es gab natürlich auch andere<br />
Beispiele: Carsten Josts “Make Pigs<br />
Pay“ oder die Platte, auf die wir einfach<br />
das Antifa-Logo gedruckt haben. Daraufhin<br />
wurde Dial gleich als politisches Label abgestempelt.<br />
Das fanden wir natürlich toll,<br />
auch wenn das gar nicht unser größtes Ziel<br />
war. Auf Antifa-<strong>De</strong>mos haben wir ohnehin<br />
auch vorher schon mitgemischt.<br />
Rebel MC -<br />
The Government Fails<br />
(Big Life, 1992)<br />
Ich kenne mich mit Gassenhauern nicht so<br />
aus, muss ich sagen. (lacht) Ist das Public<br />
Enemy?<br />
Nein, Rebel MC.<br />
Aber das ist auch so aus der Zeit, oder?<br />
Ein bisschen später?<br />
1992.<br />
1988 war ich bei Public Enemy in der<br />
Sporthalle in Hamburg. Aber das ist immer<br />
noch sehr nah dran. 1992 habe ich gar<br />
nicht mehr viel HipHop gehört.<br />
Glaubst du, dass Popmusik noch einmal<br />
eine Chance hat, politisch zu werden?<br />
Auf jeden Fall. Aber es ist total verrückt,<br />
dass es keinen richtigen Popstar gibt, der<br />
mal auf den Trichter kommt, eine politische<br />
Platte zu machen. Es gibt natürlich<br />
Radiohead, aber die spielen ja auch keine<br />
Protestsongs. Aber zum Beispiel Madonna,<br />
die hat doch auch eine Meinung, die sie öffentlich<br />
äußert.<br />
»Als Techno-Musiker<br />
kann man am<br />
besten bei Solipartys<br />
mit dabei<br />
sein oder anderweitig<br />
Geld beschaffen.<br />
Ich finde es gut,<br />
dass meine Musik<br />
in politischen Zusammenhängen<br />
stattfindet.«<br />
Heaven 17 -<br />
(We Don't Need This) Fascist<br />
Groove Thang<br />
(Virgin, 1981)<br />
Für mich haben Heaven 17 immer eine gewisse<br />
politische Konnotation. “Let Me Go“<br />
zum Beispiel. Eigentlich geht es ja nur um<br />
das Nightlife: "Everytime, Nighttime" (lacht)<br />
und trotzdem klingt es sehr Protestsongartig.<br />
Gleichzeitig war es aber der totale<br />
Popper-Sound.<br />
Es war zwar ein Popper-Sound, trotzdem<br />
haben sie diesen Lifestyle aber völlig fertig<br />
gemacht.<br />
Das ist interessant, auf jeden Fall. Damals<br />
haben Popper ABC oder Heaven 17 gehört.<br />
Mit ABC verbinde ich nur dieses "Look Of<br />
Love" und den sehnlichsten Wunsch, möglichst<br />
viel Geld zu machen. (lacht)<br />
Das Lustige an der Zeit ist ja auch, dass<br />
viel mit Ambiguität gespielt wurde. Bei<br />
"Let's All Make A Bomb" von Heaven 17<br />
wusste man zum Beispiel nicht genau, ob<br />
die einen verarschen wollen oder ob sie<br />
das eigentlich ernst meinen. Oder DAF<br />
zum Beispiel, “Tanz den Adolf Hitler“<br />
aus dem Song “Mussolini“. Worum soll<br />
es denn da bitte gehen?<br />
Stimmt, das war sogar ein richtiger Radio-<br />
Popsong. Ich fand das damals sehr schockierend.<br />
Das Album habe ich geliebt,<br />
aber das Stück, obwohl es so super ist,<br />
hat mich einfach irritiert. Natürlich habe ich<br />
die Provokation und auch das Nihilistische<br />
verstanden, es ging um diesen massenkompatiblen<br />
Groove, von dem alle mitgerissen<br />
werden. Ich war damals auf einem<br />
Front-242-Konzert. Es war die brutale Nazi-<br />
Hölle, obwohl es natürlich keine Nazis waren.<br />
Trotzdem dachte ich, ich werde dort zermalmt.<br />
Alles nur Glatzen, die wie Zombies<br />
um sich geschlagen haben. Es hatte eine<br />
krasse Wirkung, aber ich weiß gar nicht,<br />
ob das überhaupt politisch oder schlichtweg<br />
verneinend gemeint war.<br />
Es war sehr zweischneidig in der Zeit,<br />
aber man konnte es sehr gut als klar politisch<br />
verstehen.<br />
Ich glaube, so richtige Nazis haben das auch<br />
nicht gehört, oder? DAF oder auch Front 242<br />
haben ja auch viel mit Faschismen gespielt.<br />
Techno am Anfang auch ganz gern. Die<br />
Feuilletons dieser Welt hatten das sehr<br />
schnell in diese Richtung gedrängt.<br />
Verrückt. Und wirklich super Heaven-17-<br />
Stück! Bei “Let Me Go“, gibt es eine tolle<br />
303-Bassline. Das ist auch das einzige<br />
Stück, was ich kenne, wo die 303 wirklich<br />
als Bassersatz benutzt wird. (lacht) So wie<br />
sie ja eigentlich erdacht wurde.<br />
Grungerman -<br />
Fackeln im Sturm<br />
(Profan, 1997)<br />
Witzig, wie aus dieser düsteren Synthesizer-<br />
Kickdrum so ein Pop-Appeal entsteht.<br />
(Gesang setzt ein) Das ist Reinhard Voigt, oder?<br />
Wolfgang.<br />
Ah, Wolfgang. Ich bin immer so schlecht<br />
mit diesen Schlagergesängen. Wie heißt<br />
das nochmal?<br />
Fackeln im Sturm.<br />
Schwierig. Dieser Schlager-Techno, das ist ja<br />
schon eine krasse Verwurstung, Zerstörung<br />
eigentlich. Im Club ist das ein unglaublich<br />
brutales Stück, wir haben es natürlich geliebt<br />
früher. Aber diese Art von Techno stand<br />
immer ein bisschen unter Generalverdacht.<br />
Das Kölner Wappen, der Lokalpatriotismus:<br />
Die Frage war immer, wie weit kann man damit<br />
noch gehen?<br />
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