De:Bug 175
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Text Bianca Heuser<br />
bild Jessica Sedenros<br />
<strong>175</strong><br />
Seit gut einem Jahr gibt es zwischen<br />
Berlin und New York eine<br />
Achse mehr, und die geht über<br />
White Material. Das Label veröffentlicht<br />
Musik von Freunden,<br />
zwischen minimalem Techno und<br />
House mit R’n’B-Vocals. Wir haben<br />
uns mit einem seiner Gründer,<br />
Alex Field aka DJ Richard, über<br />
Melodien, die Arktis und "Working<br />
Man’s Techno“ unterhalten.<br />
Die Amerikaner DJ Richard und Young Male<br />
- oder wahlweise Alex Field und Quinn Taylor<br />
- gründeten vor gut einem Jahr ihr Label<br />
White Material am Strand von Providence,<br />
Rhode Island. Sie saßen schon lange auf<br />
einer Menge Tracks: eigenen und denen<br />
befreundeter Musiker: "Das wollten wir einfach<br />
der Öffentlichkeit zugänglich machen.<br />
Unseren Entscheidungen liegt dabei kein<br />
ausgefeiltes Konzept des Sounds zugrunde,<br />
sondern unsere Freundschaft. Wir haben<br />
alle irgendwann einmal in Providence<br />
gewohnt und kennen uns seit Jahren. Jetzt<br />
zusammen zu veröffentlichen, ist eine tolle<br />
Erweiterung unserer Freundschaft“, erzählt<br />
Alex an einem besonders heißen Tag<br />
dieses Sommers in Berlin-Charlottenburg.<br />
Trotz ihrer Unterschiedlichkeit hört man<br />
den drei bisher erschienenen Releases<br />
klar an, wie ihre Produzenten miteinander<br />
verbandelt sind: <strong>De</strong>r straighte, minimale<br />
Techno von Young Male auf "All R",<br />
DJ Richards hypnotisches "Leech 2" und<br />
Galcher Lustwerks souliger House zeigen<br />
sich weniger als Unterschiede denn<br />
als Facetten derselben Sound-Ästhetik.<br />
Quinn und Alex gefällt, dass sie als Label<br />
einen breit gefächerten Sound haben und<br />
überraschen können. Für die nahe Zukunft<br />
sind ein zweites Release von DJ Richard und<br />
<strong>De</strong>büts von Morgan Louis und Alvin Arensen<br />
geplant. DJ Richards New-Jersey-Einfluss<br />
hat mit Alvin Arensens designten Tracks in<br />
der Grauzone zwischen House und Techno<br />
genauso wenig zu tun wie mit Morgans<br />
hypnotischem, treibendem Techno. Oder<br />
eben genauso viel.<br />
Und wieder ist der Link Providence?<br />
Ja, Morgan Louis ist irgendwie unser<br />
Pate. Er hat Chris Wade (aka Galcher<br />
Lustwerk) und Alvin das Auflegen beigebracht.<br />
Chris und Alvin haben dann Quinn<br />
und mich dafür begeistert. Dass wir jetzt<br />
ihre Musik veröffentlichen, fühlt sich gut<br />
an. Es ist cool, dass wir das zu ihnen zurückführen<br />
können.<br />
zu stressig. Ich stand fünf oder sechs Tage<br />
die Woche bei Whole Foods an der Kasse<br />
oder am Intercom: "Good afternoon Whole<br />
Foods Market shoppers ..." Neben der Arbeit<br />
blieb mir kaum Zeit.<br />
Wofür nutzt du die neuen Freiheiten?<br />
Seit ich nach Berlin gezogen bin, lese<br />
ich viel mehr. Das beeinflusst natürlich auch<br />
meine Musik. Die letzten zehn Monate habe<br />
ich mit Literatur über die Arktis und europäische<br />
Amerika-Expeditionen verbracht;<br />
jene Entdecker, die im Eis stecken blieben<br />
und einen ganzen Winter darauf warteten,<br />
dass das Eis endlich brechen würde. Die<br />
Franklin-Expedition hat zwei Jahre gewartet,<br />
bevor sie die Schiffe zurückließen. Die<br />
hießen übrigens auch noch Terror<br />
und Erebus. Die Besatzung war zum<br />
Kannibalismus gezwungen.<br />
Das klingt ganz schön düster, vor allem<br />
für einen Berliner Winter. Was interessiert<br />
dich daran? Und wie spiegelt<br />
sich das in deiner Musik wieder?<br />
Vor allem fasziniert mich die Idee, im Eis<br />
gefangen zu sein: die Beschreibungen des<br />
Geräusches, wenn das Eis ein Schiff zusammendrückt.<br />
Und diese zutiefst menschliche<br />
Verzweiflung, sich und einander warm<br />
halten zu wollen; diese klar abgesteckte<br />
Wärmezelle in einer so tödlichen Umgebung.<br />
Ich habe tatsächlich in letzter Zeit auch<br />
viele Aufnahmen gesamplet, die ich vor<br />
ein paar Wintern von sich biegendem und<br />
brechendem Eis gemacht habe. <strong>De</strong>r Titel<br />
"Hands of Amortortak" kommt aus William<br />
T. Vollmanns "The Ice Shirt". Darin erzählt<br />
er eine Sage, die sich um Leif Erikssons<br />
Grönland-Expedition spinnt: Vor ungefähr<br />
1.000 Jahren war das Grönländische<br />
Klima deutlich milder als heute. Die Sage<br />
konzentriert sich vor allem auf Erikssons<br />
Halbschwester Freídys, die einen Pakt mit<br />
dem Dämon Amortortak schließt. Dieser<br />
Pakt sichert den Erfolg der Expedition, bringt<br />
aber zugleich die Kälte über Grönland. In<br />
der Geschichte sind Amortortaks Hände<br />
tiefschwarz und töten alles, was sie berühren.<br />
<strong>De</strong>ine Musik finde ich trotz ihrer<br />
Heftigkeit aber eigentlich sehr melodiös.<br />
Ich liebe gute Melodien. Besonders<br />
simple, klare Popmelodien. Ich stand als<br />
Teenager zwar auch total auf Noise, hörte<br />
gleichzeitig aber vor allem Punk: Crass<br />
und The Germs, manchmal sogar Black<br />
Flag. Und all diese Bands haben großartige<br />
Melodien, super catchy. Daher kommt<br />
das wahrscheinlich: ich stand einfach auf<br />
all die lauten, heftigen Bands, die trotzdem<br />
von der Kraft einer simplen, eingängigen<br />
Melodie wussten. Zumal ich auch nicht<br />
glaube, dass Eingängigkeit den künstlerischen<br />
Wert eines Tracks mindert – ganz<br />
im Gegenteil.<br />
Woher kommt eigentlich dein Name<br />
"DJ Richard"?<br />
<strong>De</strong>n benutze ich eigentlich schon seit<br />
ich 18 bin. Damals hatte ich keinen eigenen<br />
Computer, auf dem ich Musik hätte<br />
machen können. Also habe ich den des<br />
Vaters eines Freundes benutzt. <strong>De</strong>ssen<br />
Name war Richard, und damit hat das<br />
Musikprogramm Garage Band alles betitelt.<br />
Ich war dann einfach zu faul, das zu<br />
ändern. Ich weiß gar nicht, wie ich meine<br />
damaligen Produktionen nennen soll.<br />
Blöd, wahrscheinlich. Blödes Zeug. <strong>De</strong>n<br />
Namen mag ich aber immer noch, weil er<br />
nichts impliziert oder ausdrückt. Keiner<br />
von uns bei White Material möchte, dass<br />
unsere Namen zu sehr vorgeben, wie man<br />
unsere Musik hört. Galcher Lustwerk hat<br />
seinen Namen von einem Captcha! Um<br />
Anonymität ging es uns dabei aber gar<br />
nicht.<br />
Das erscheint bei Quinns Live-Sets<br />
auch besonders unrealistisch.<br />
Ich liebe es, wenn Quinn live in diesen<br />
Rockstar-Modus abdriftet und sich tatsächlich<br />
manchmal das Shirt vom Leib<br />
reißt!<br />
Wie sehen deine Live-Sets eigentlich<br />
aus?<br />
Ganz anders. Ich bin nicht wirklich<br />
scharf darauf, meine Tracks live zu spielen.<br />
Das hat auch zum Teil mit meiner<br />
Produktionsweise zu tun: Meine Live-Sets<br />
sind Power Electronics, Noise, Vocals.<br />
Rohe, primitive, super laute Zehn-Minuten-<br />
Sets.<br />
Und was hat es mit dem "Working<br />
Man’s Techno" auf sich?<br />
Eigentlich ist ja schon unser Logo<br />
an das eines Werkzeugherstellers angelehnt.<br />
<strong>De</strong>r produziert sehr stilvolle<br />
Tools, in einer tollen Mid-20th-Century-/<br />
Nachkriegsästhetik. Als wir das Label<br />
gründeten, war Quinns Job, schicke<br />
Hammer und so für diese Firma zu fertigen.<br />
Daher kommt die ganze Handwerksund<br />
Maschinerie-Geschichte; er war damit<br />
einfach fünf Tage die Woche beschäftigt.<br />
Das lässt sich aber auch ganz einfach auf<br />
Techno umleiten: Schließlich nennt man<br />
bestimmte Tracks ja "Tools". "Working<br />
Man’s Techno" war dann eigentlich nur<br />
der Stempel, den Quinn auf seiner Platte<br />
wollte. <strong>De</strong>r wurde aber ganz schnell zu<br />
diesem Mantra, das Leute auf uns projizierten.<br />
Vor kurzem fragte mich sogar<br />
jemand, ob man einer physischen Arbeit<br />
nachgehen muss, um bei uns veröffentlichen<br />
zu können. Wäre das der Fall, müsste<br />
ich mir erst mal eine suchen.<br />
Du wohnst mittlerweile aber nicht<br />
einmal mehr auf der gleichen Seite<br />
des Atlantiks.<br />
Irgendwann musste ich raus aus New<br />
York. Es ist schön, dass elektronische Musik<br />
und Leute, die sie seit Jahren machen,<br />
dort jetzt mehr Aufmerksamkeit bekommen.<br />
Aber mir war irgendwann alles viel 31<br />
Hartware MedienKunstVerein<br />
Technische Universität Dortmund<br />
Urbane Künste Ruhr<br />
U2_Kulturelle Bildung<br />
Dortmunder U / Unionviertel<br />
NEW<br />
INDUSTRIES<br />
FESTIVAL<br />
14. September 2013<br />
– 02. März 2014<br />
Forschungsabteilung / Ausstellungen /<br />
Performativer Rundgang<br />
Live-Adventure-Game /<br />
Installationen / Filme<br />
Konferenz / Matinéen<br />
Gestaltung: www.laborb.de