HEINZ Magazin Essen 09-2016
HEINZ Magazin September 2016, Ausgabe für Essen
HEINZ Magazin September 2016, Ausgabe für Essen
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« Chen Ruo Bing, Ohne Titel (1430), 2014-2015, Acryl auf Leinwand, 200 x 240 cm, © Chen Ruo Bing<br />
unten: Blick in die Ausstellung, Foto: Lutz Leitmann<br />
© Horst Hanke-Lindemann<br />
lie hineingeboren wurde und sich schon als kleiner Junge täglich stundenlang<br />
in Kalligrafie übte. Später studierte er Tuschmalerei an der Akademie<br />
in Hangzhou – und genau an diesem Punkt setzt die Ausstellung<br />
im Bochumer Museum ein, die Chens Weg zur Farbe nachzeichnet. Als<br />
Einstiegsexponat hat der Künstler eine seiner studentischen Arbeiten<br />
gewählt, das meterlange Rollbild einer Tusche-Landschaft. Solche Bilder<br />
entstehen nicht in freier Natur, sondern vor Kunstwerken der alten<br />
chinesischen Meister. Sie bilden keine Realität ab, sondern formen abstrahierend<br />
nur eine Idee von Landschaft nach. Eine Diaprojektion spielt<br />
berühmte Beispiele chinesischer Landschaftskunst ein, manche Bilder<br />
sind über tausend Jahre alt.<br />
Doch nicht nur die eigene Kultur, auch europäische Kunst, Literatur<br />
und Philosophie hatten den Studenten seit jeher fasziniert. So ergriff<br />
er 1992 die Chance, über ein Austauschprogramm der Kunstakademien<br />
von Hangzhou und Düsseldorf nach Deutschland zu kommen. Bei Professor<br />
Gotthard Graubner, weltberühmt für seine fein nuancierte Farbraummalerei,<br />
führte er seine Studien fort, entdeckte die Farbe für sich<br />
und entschied, in Düsseldorf zu bleiben.<br />
Als Auftakt, im Flurbereich vor seiner eigentlichen Präsentation, stellt<br />
Chen auch westliche Künstler vor, die ihn beeinflussten. Er zeigt ein kleines<br />
Kissenbild Graubners, Zeichnungen von Malewitsch, ein Quadratbild<br />
von Frank Stella sowie ein Beispiel aus Josef Albers’ „Homages to<br />
the Square“. Von der Josef und Anni Albers Foundation in Connecticut,<br />
USA, erhielt Chen im Jahr 2000 ein Stipendium, seither arbeitet er ausschließlich<br />
mit wasserlöslicher Acrylfarbe. Eine Werkauswahl aus den<br />
letzten zehn Jahren hat er für seine Bochumer Ausstellung zusammengestellt<br />
und luftig arrangiert.<br />
Nach dem Parcours entlang der Vorbilder öffnet der hohe, helle Oberlichtsaal<br />
den Blick auf rund 20 Bilder: Große neben kleinen Formaten,<br />
fein ausgewogen platziert mit viel Freiraum dazwischen, um die Wahrnehmung<br />
nicht zu überfordern. Eine Art Meditationsraum ist entstanden,<br />
der fast augenblicklich Konzentration und Kontemplation ermöglicht.<br />
Betrachter sollen ihr „Wissen, verbale und rationale Erklärungen<br />
außer Acht lassen und zulassen, dass sie in eine intime Beziehung mit<br />
der Leinwand eintreten“ – so wünscht es sich der Künstler. Ein kurzer<br />
Film im Kabinett zeigt ihn mitten im Malprozess. Das hier entstehende<br />
Gemälde hängt im Raum nahebei.<br />
Der einstige Schwarz-Weiß-Zeichner lässt heute in seinen Bildern zwei<br />
Farbwerte gegeneinander antreten und rekurriert auch an anderen Stellen<br />
auf seine kulturellen Wurzeln. Neben Quadratbildtafeln greift er mit<br />
zwei ganz neuen extremen Breitformaten à zwei mal fünf Meter malerisch<br />
das chinesische Rollbild wieder auf. Immer steht eine geometrische<br />
Rundform frei auf andersfarbigem Grund: mal ein Kreis, ein Ring<br />
oder Rahmen, mal ein länglich abgerundeter Block – allesamt eindeutig<br />
„handmade“ und nie ganz symmetrisch. Es geht Chen nicht um sterile<br />
Perfektion und Farbtheorie, sondern um lebendige Form. Kleine Unregelmäßigkeiten<br />
sind gewollt, hier und da blitzt an den Bildecken die<br />
rohe Leinwand durch oder zeigen sich kleine Farbspritzer, die im Auftrag<br />
der dünnflüssigen Farbe entstanden. „Das lasse ich zu“, sagt Bing,<br />
als Zeichen, das hinter jedem Bild ein Mensch steht, der sich auf „das<br />
Wesentliche“ konzentriert.<br />
Fernöstliches Gedankengut trifft hier auf westliche Farbtheorie. Philosophische<br />
Konzepte zweier Kulturräume verschmelzen in Chen Ruo<br />
Bings Werken zu einer universell verständlichen Kunstsprache, fremd<br />
und vertraut zugleich – das macht den Reiz der Ausstellung aus.<br />
Claudia Heinrich<br />
❚ DER MALER CHEN RUO BING Kunstmuseum Bochum, Kortumstr. 147; Dauer: bis 3.10., Di-So 10-17 Uhr,<br />
Mi 10-20 Uhr; www.kunstmuseumbochum.de<br />
❚ Im Rahmenprogramm drei kostenlose Vorträge, mittwochs, 19 Uhr:<br />
7.9.: „Vom Wesen chinesischer Lyrik“<br />
14.9.: „Die Entwicklung der Kunstszene Chinas ab 1979“<br />
28.9.: 25 Jahre chinesischer Garten „Qianyuan“ im Botanischen Garten der Ruhr-Uni<br />
© André Chahil<br />
EIN SOMMERNACHTSTRAUM?<br />
Die „Floating Piers“ und andere vergängliche<br />
Monumente aus der Sammlung Hanke-Lindemann<br />
Ausstellungseröffnung: Mi. 21. Sept. | 19.00 Uhr<br />
vom 21. Sept. <strong>2016</strong> bis 03. Nov. <strong>2016</strong><br />
Theater-Galerie Fletch Bizzel<br />
Humboldtstr. 45 · 44137 Dortmund