HEINZ Magazin Essen 09-2016
HEINZ Magazin September 2016, Ausgabe für Essen
HEINZ Magazin September 2016, Ausgabe für Essen
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BÜHNE<br />
TIPP DES MONATS<br />
Wer ist eigentlich Ingolf?<br />
Vom Klangkosmos zur großen Oper. Ingolf (72), passionierter Hobbybastler und ehemaliger Leiter der Phonothek<br />
an der Humboldt-Universität, lebt in einer kleinen Bude in Berlin-Mitte, raucht Kette, tüftelt an Klängen<br />
und ist ein merkwürdiger Kauz. Gleichzeitig wird der bekennende Opernablehner zum wegweisenden Ideengeber<br />
der Musiktheater-Reihe „ingolf“ am Gelsenkirchener Musiktheater im Revier. <strong>HEINZ</strong> geht diesem ungewöhnlichen<br />
Projekt auf die Spur.<br />
G<br />
efördert vom „Fonds Experimentelles Musiktheater“ (FeXm),<br />
einer gemeinsamen Initiative vom NRW Kultursekretariat und<br />
der Kunststiftung NRW, gelangt das sechsteilige Projekt am Musiktheater<br />
Gelsenkirchen zu Beginn der Saison <strong>2016</strong>/17 bereits in seine<br />
zweite Phase. Nachdem in der letzten Spielzeit ein 70-minütiger Film<br />
mit dem Titel „ingolf#1 lebt allein“ über das Leben und die Ansichten<br />
des real existierenden Ingolf Haedicke den Startschuss markierte, geht<br />
es nun weiter auf dem experimentellen Weg eines Opernentwurfs. Die<br />
filmische Doku zum Einstieg geleitete den Pensionär und Namenspatron<br />
vom Aufstehen bis zum Abend, zeigt ihn in seiner Wohnung, auf<br />
dem Weg zur Kneipe und befragt den Sonderling, wie er sich eine Oper<br />
der Zukunft vorstellen würde. Verschiedene Klänge dominieren die Aufnahmen,<br />
Ingolf ist in seiner Einsamkeit umgeben von Geräuschen, die<br />
entweder gezielt über Frequenztüfteleien oder einfach durch sämtliche<br />
Geräusche des Alltags hervorgerufen werden. Viel spricht er nicht, zusammengefasst<br />
ergibt sich aber doch eine klare Vorstellung seiner Fiktion<br />
darüber, wie eine Oper heute sein sollte. Zunächst müsse der Orchestergraben<br />
entfallen, die Instrumente gehören auf die Bühne, greifen<br />
auf vorproduzierte Klänge zurück und bewirken einen wandelbaren<br />
Klangteppich. Kinderstimmen sollen für Textverständlichkeit sorgen,<br />
bloß kein überzüchteter Operngesang. Ingolf verweist auf die Anfänge<br />
der Oper, bei dem es den Zuschauern primär um <strong>Essen</strong>, Geselligkeit und<br />
Hurerei ging. Jeder solle aufstehen und gehen können, sich einen Kaffee<br />
holen, nicht festgenagelt sein auf seinem Sitz im beengten Zuschauerraum.<br />
Überhaupt sollte Ingolfs ideale Oper vor dem Theater stattfin-<br />
den, es muss viel Bühnenzauber passieren, Schlag auf Schlag, um das<br />
von ihm gefürchtete Element der Langeweile zu verhindern. Denn, so<br />
stellt er fest, „wenn das einmal eintritt, ist es fehl gelaufen.“ Weltverbesserungsideen<br />
seien Quatsch, es geht um packende Geschichten. Odysseus<br />
fällt ihm ein, eine optimale Geschichte, um viele spannende Episoden<br />
unter der Klammer Heimkehr zu erzählen und Klänge für die Sirenen<br />
einzuarbeiten. So weit, so Ingolf.<br />
RAHEL KESSELRING<br />
60 | <strong>HEINZ</strong> | <strong>09</strong>.<strong>2016</strong>