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Psychologische Plaudereien<br />

Jamie und Katie<br />

Katie: Also meine Freundin Laura ist total verliebt und ich weiß<br />

nicht, wie ich ihr da heraushelfen kann.<br />

Jamie: Heraushelfen? Warum denn das? Erzähl doch mal, Katie!<br />

Katie: Das ist eine Internetbekanntschaft, aber obwohl Laura ihren<br />

Bekannten erst seit rund einem Monat kennt, ihn bis jetzt noch nie<br />

persönlich getroffen hat, ist sie bis über beide Ohren verliebt.<br />

Jamie: Ich nehme an, sie haben sich schon viel geschrieben, Fotos<br />

ausgetauscht und auch miteinander telefoniert.<br />

Katie: Ja, und sie haben sehr intensive Gespräche geführt. Sie wollen<br />

miteinander leben. Er heißt Scott, ist Neuseeländer, ein wahrer<br />

Adonis und so ein richtiger Frauenversteher. Und... er ist auch schon<br />

auf dem Weg zu ihr.<br />

Jamie: Und Du willst Laura heraushelfen?<br />

Katie: Ich glaube halt all seine Geschichten nicht. Derzeit ist er in<br />

der Türkei bei einem Zwischenstopp hängengeblieben. Er sagt, sein<br />

Pass mit dem Visum wurde gestohlen und er wird in der Türkei<br />

festgehalten. Er hat jetzt Angst vor den Behörden und der Polizei. Er<br />

braucht Geld, um da heraus zu kommen und Laura hat ihm schon<br />

einen höheren Betrag überwiesen. Im letzten Telefonat sagte er ihr,<br />

dass er noch mehr Geld brauche und sie möge es ihm bitte schicken.<br />

Da geht es um einen fünfstelligen Eurobetrag. Laura ist sicher auf<br />

einen ganz üblen Schwindler hereingefallen, will es aber nicht wahrhaben.<br />

Wieso erkennt sie die Realität nicht?<br />

Jamie: Nun, Katie, sie ist verliebt. In dieser ersten Zeit des Verliebtseins<br />

ist der andere die Projektionsfläche für all die unerfüllten<br />

Wünsche, die man an einen Partner hat. Solange Scott diesen Traum<br />

nicht zerstört, ist er der absolute Idealmann, auf den Laura schon<br />

lange gewartet hat. Sollte deine Freundin wirklich einem Schwindler<br />

aufgesessen sein, dann wird er dieses falsche Spiel immer weiter<br />

treiben. Er wird sie mit vorgetäuschter Liebe und Bewunderung<br />

immer stärker an sich binden und ihre Hoffnung nach der perfekten<br />

Beziehung wird sie zu vielem bereit machen. Die Hoffnung ist<br />

eine der stärksten Antriebskräfte unserer Psyche. Sie wird um ihn<br />

kämpfen und er wird dies nützen. Die Geldsendungen wird er zu ihrem<br />

Liebesbeweis machen und mit seiner noch immer andauernden,<br />

misslichen Lage, für die er sie verantwortlich machen wird, wird er<br />

bei ihr Schuldgefühle erzeugen. Dies geht in der Regel solange, bis<br />

kein Geld mehr fließt.<br />

Katie: Also für mich ist Scott ein Betrüger! Bis jetzt habe ich mit<br />

Laura wahrscheinlich zu zaghaft gesprochen. Vor lauter Rücksichtnahme<br />

sag ich nichts und bin vielleicht Lauras Chance, nicht noch<br />

größeres Leid zu erfahren.<br />

Jamie: Ich denke, dass Laura tief in ihrem Inneren ebenfalls schon<br />

Zweifel hegt, aber Angst hat, dass all ihre Hoffnungen zerstört werden.<br />

Was wirst Du jetzt tun, Katie?<br />

Katie: Ich werde Laura ganz klar sagen, wie ich die Situation sehe<br />

und dass ihre Hoffnung auf die ideale Liebesbeziehung ihr aktuelles<br />

Urteilsvermögen sicher beeinflusst. Gemeinsam mit ihr möchte ich<br />

Möglichkeiten entwickeln, wie sie den Wahrheitsgehalt seiner Aussagen<br />

prüfen und wie seine Botschaft hier ihn unterstützen kann.<br />

Neuseeland ist ja ein moderner Rechtsstaat. Geld sollte derzeit keines<br />

mehr fließen.<br />

Jamie: Dann hast Du also einen Plan für Dich?<br />

Katie: Ja, und danke, Jamie! Ich werde Laura etwas an die Hand<br />

nehmen. Wer weiß, vielleicht liege ich ja auch falsch.<br />

Jamie: Schön, dass wir wieder einmal Zeit zum Plaudern fanden,<br />

Katie.<br />

Autor:<br />

Mag. Eugen Ferraris<br />

Wirtschaftspsychologe, Trainer, Coach<br />

Mobil: +43 676 3707751<br />

Email: eugen@c2.co.at<br />

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