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Jetzt war die Zeit gekommen, etwas in mir aufzuwecken. Mmmh, da war doch was.<br />
Eine Leidenschaft schlummerte schon jahrelang tief in mir, ich hatte sie nur vergessen.<br />
Sie kam immer dann zum Vorschein, wenn es auf einer gemeinsamen Reise in fremde<br />
Länder ging. Ich hatte daraus immer eine Fotoexpedition machen wollen. Dieses „andere<br />
Leben“ in den unterschiedlichsten Standards und Kulturen zu dokumentieren, mit dem<br />
Wunsch, für ein gesamtweltliches Verständnis zu sorgen. Tonnen an Bildmaterial und<br />
später GB-Dateien sind lebenslange Zeugen und erinnern an tolle Momente, die bei<br />
Ausstellungen dankbar darauf warten, entdeckt zu werden. Denn immerhin<br />
waren es zwei Jahrzehnte, die ich meinen Mann in „ärmere“ Länder<br />
gezerrt hatte, in deren Schulen, auf abgelegene, nicht touristische<br />
Pfade, in die Slums und auf die Märkte der Einheimischen, um<br />
diese Orte mit einer Fotoreportage zu dokumentieren. Auch<br />
40 Grad und gefühlte 100 Prozent Luftfeuchtigkeit waren kein<br />
Problem, wenn ich die Menschen zusammen mit meiner Kamera<br />
aus ihrem begrenzten Dasein befreien und sie bereichern konnte,<br />
denn sofort war der große Spaß für jeden garantiert. Glückliche Gesichter erwarteten<br />
mich auch, wenn ich wie ein Ball von Haus zu Haus sprang. Mein Strahlen und meine<br />
Offenheit wirkten magisch anziehend. Mit leuchtenden Augen folgten diese Menschen<br />
sogleich meinem Lachen, wo immer ich mich befand.<br />
„Hello, white lady“, klingt es noch heute in meinem Ohr. In Brasilien sah ich mich,<br />
wie in einem Kindheitstraum, als Winnetou vornewegreiten. Nicht ganz so majestätisch,<br />
ich glich eher einem Clown, der mit vollem Körpereinsatz kommunizierend durch die<br />
kleinen Dörfer balancierte, schwer bepackt mit meiner Kameraausrüstung. Dorthin kam<br />
ich ein halbes Jahr später wieder zurück, um die Fotos zu übergeben und zusammen<br />
mit Paolo, einem brasilianischen Arzt, etwas aufzubauen. In einem armen Fischerdorf<br />
weit außerhalb einer größeren Stadt wollten wir eine kleine Krankenstation aus<strong>statt</strong>en<br />
und Paolo für eine bessere medizinische Versorgung sorgen. In der Nähe von Olinda<br />
bin ich damals auf Umwegen mit einem Dorf in Kontakt getreten, das mich stark<br />
geprägt hat. Die Kinder liefen barfuß umher, hatten kaum was anzuziehen, und fast<br />
jeder, der mir begegnete, sah kränklich aus. Mein damaliger Guide war der medizinisch<br />
ausgebildete Paolo. Er erklärte mir, das habe offensichtlich damit zu tun, dass sie sich<br />
am Meer angesiedelt hatten und stolze Fischer waren. Gemüse wurde verachtet. Es gab<br />
Fisch zum Frühstück, Fisch zu Mittag und wieder Fisch zum Abendessen. Das führte zu<br />
Mangelerscheinungen.<br />
Beim Besuch des Dorfes begegneten wir einem Mädchen, an das ich mich noch besonders<br />
gut erinnere. Dieses Bild wird mir wahrscheinlich ewig in Erinnerung bleiben. Mit ihren<br />
knapp sieben Jahren lief sie allein herum und ich merkte, dass mit ihr etwas nicht<br />
stimmte. Was war das auf ihrem Kopf? Nein, konnte das sein?