MTD_DDG_2016_02
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12 Kongress aktuell<br />
diabeteszeitung · 1. Jahrgang · Nr. 2 · 22. Juni <strong>2016</strong><br />
Fahrverbot für Diabetiker:<br />
Gespräch akribisch dokumentieren!<br />
Bei uneinsichtigen Patienten einen Praxismitarbeiter als Zeugen hinzuziehen<br />
BERLIN. Diabetes und Autofahren schließen sich grundsätzlich<br />
nicht aus. Unter bestimmten Umständen aber kann eine klare<br />
Ansage des Arztes, dass das Auto stehen zu lassen ist, notwendig<br />
werden. Das Gespräch hierüber sollte der Mediziner jedoch<br />
unbedingt genauestens dokumentieren.<br />
»Aufklärung<br />
sollte regelmäßig<br />
erneuert werden«<br />
Rechtsanwalt Oliver Ebert riet<br />
beim Diabetes Kongress den<br />
Ärzten, aus Haftungsgründen<br />
genau zu dokumentieren, wenn<br />
sie gegenüber einem Patienten ein<br />
faktisches (nicht ein rechtliches)<br />
Fahrverbot aussprechen. Denn ein<br />
Patient wird möglicherweise später<br />
sagen: Ach, wenn mir der Arzt<br />
das nur erklärt hätte. Ärzte sollten<br />
„akribisch“ dokumentieren und<br />
sich die Erklärung vom Patienten<br />
unterschreiben lassen, betonte der<br />
Jurist aus Stuttgart im Symposium<br />
„Diabetes und Autofahren“. Die Sicherheitsaufklärung<br />
im Rahmen des<br />
Behandlungsvertrages umfasse alle<br />
Risiken. Eine falsche oder unzureichende<br />
Aufklärung sei deshalb ein<br />
Behandlungsfehler.<br />
Notieren, wie der Patient auf die<br />
Empfehlung reagiert hat<br />
Wichtig seien vor allem Stichpunkte<br />
zum Gespräch – wann und wie lang<br />
aufgeklärt wurde, welche Maßnahmen<br />
dem Patienten konkret empfohlen<br />
wurden, wie lange von der<br />
fehlenden Fahreignung auszugehen<br />
ist. Notiert werden sollte zudem, wie<br />
der Patient reagiert hat, etwa ob er<br />
sich einsichtig zeigte oder nicht.<br />
Auch Sprache, Hörfähigkeit und<br />
Wissen des Patienten beachten<br />
„Weigert sich der Patient, sollten<br />
alle Alarmglocken läuten. Holen Sie<br />
dann jemanden aus dem Praxisteam<br />
hinzu, der das Gespräch gegebenenfalls<br />
vor einem Richter bestätigen<br />
kann“, betonte der Jurist Die Aufklärung<br />
sei auch in regelmäßigen<br />
Abständen zu erneuern.<br />
Zudem, so Ebert, sollte bei einem<br />
Gespräch über die Fahreinschränkungen<br />
auch berücksichtigt werden,<br />
ob der Patient kognitiv in der Lage<br />
ist, das Verbot zu verstehen, ob er ein<br />
Hörgerät trägt oder ob er der deutschen<br />
Sprache ausreichend mächtig<br />
ist. Viele Praxen hätten diese Aufklärung<br />
schon als Workflow implementiert.<br />
Es würden auch nicht „reihenweise<br />
Ärzte verurteilt“, sagte Ebert,<br />
aber nur ein Patient von einhundert<br />
könne bereits richtig Probleme bereiten.<br />
Ein Zuhörer berichtete über seine<br />
eigene Praxis, wo Patienten häufig<br />
aggressiv reagierten, wenn ihnen das<br />
Autofahren untersagt werde. Er sei<br />
deshalb dazu übergegangen, dass das<br />
Praxispersonal die Dokumentation<br />
der Gespräche unterschreibe.<br />
Für Richter muss das Gespräch<br />
nachvollziehbar sein<br />
„Es kommt letztendlich darauf an,<br />
ob die Dokumentation plausibel ist<br />
und sie eine glaubhafte Rekonstruktion<br />
der Aufklärung zulässt“, erklärte<br />
Rechtsanwalt Ebert.<br />
kol<br />
Diabetische Kraftfahrer<br />
sollten vor Fahrtantritt<br />
ihren Blutzuckerspiegel<br />
messen.<br />
Fotos: fotolia/grafikplusfoto, thinkstock<br />
Hier trägt der Arzt das<br />
Haftungsrisiko<br />
• Patient behauptet, dass ihm<br />
krankheitsbedingte Risiken<br />
mangels Aufklärung nicht bewusst<br />
waren. Der Arzt kann die<br />
Aufklärung nicht beweisen.<br />
• Patient fährt entgegen ärztlichem<br />
Rat – bestreitet aber, vom<br />
Arzt eine entsprechende Empfehlung<br />
erhalten zu haben. Der<br />
Arzt kann die Aufklärung nicht<br />
beweisen.<br />
• Patient war fahruntüchtig, sich<br />
dessen aber nicht bewusst. Der<br />
Arzt hatte die mangelnde Fahreignung<br />
zwar erkannt, aber den<br />
Patienten hierüber nicht bzw.<br />
nicht umfassend aufgeklärt.<br />
• Patient war fahruntüchtig, sich<br />
dessen aber nicht bewusst. Der<br />
Arzt hatte die mangelnde Fahreignung<br />
nicht erkannt, obwohl<br />
er diese hätte erkennen müssen.<br />
Anders ist es, wenn der Arzt aufgeklärt<br />
hat, der Patient aber dennoch<br />
– z.B. nach Umstellung auf Insulin –<br />
fährt oder vor Fahrtantritt keine Blutzuckermessung<br />
vorgenommen hat.<br />
In diesen Fällen kann der Arzt nicht<br />
haftbar gemacht werden.<br />
Bald bekommt auch Deutschland seine Leitlinie<br />
Umfangreiche Empfehlungen zur Beratung über Risiken durch Diabetes bei Autofahrern<br />
Berlin. Eigentlich sollte die S2e-<br />
Leitlinie zu „Diabetes mellitus und<br />
Fahreignung" zum Diabetes Kongress<br />
fertig sein, doch wird es wohl eher<br />
Herbst werden. Die Inhalte werden<br />
bald zur Diskussion vorliegen.<br />
Im Ausland gibt es verschiedene Leitlinien<br />
zum Thema Diabetes mellitus<br />
und Autofahren. Deutschland<br />
hat keine. Das soll sich auf Initiative<br />
der Deutschen Diabetes Gesellschaft<br />
ändern. Neun Fachgesellschaften waren<br />
an der Erarbeitung einer ersten<br />
Fassung beteiligt – u.a. Verkehrsjuristen,<br />
Arbeitsmediziner, Ärzte und<br />
Psychologen.<br />
Leitlinienkoordinator Professor Dr.<br />
Reinhard W. Holl, Universität<br />
Ulm, stellte in der Veranstaltung<br />
„Diabetes und Autofahren“ die<br />
Grundzüge vor. Danach sollen alle<br />
Diabetes-Patienten vom Arzt über<br />
die möglichen Risiken ihrer Erkrankung<br />
und entsprechende Verhaltensmaßnahmen<br />
aufgeklärt werden. Dabei<br />
ist u.a. darauf hinzuweisen, dass<br />
die Hypoglykämiewahrnehmung<br />
nach vorausgegangenen Hypoglykämien,<br />
Therapieveränderungen,<br />
Alkoholgenuss oder bei Einnahme<br />
bestimmter Medikamente wie Beta-<br />
Blocker oder Tranquilizer herabgesetzt<br />
ist.<br />
Bei Folgeerkrankungen gezielt<br />
nach Symptomen fragen<br />
Benannt werden auch Maßnahmen,<br />
die das Hypoglykämierisiko senken,<br />
wie Therapiewechsel, häufigere<br />
Blutzuckerkontrollen oder Patientenschulung.<br />
Auch Risiken durch<br />
Diabetes-Folgeerkrankungen –<br />
Erkrankungen am Auge, Neuropathie,<br />
Schlaf-Apnoe-Syndrom (SAS),<br />
»Sicherheitsaufklärung<br />
immer beim<br />
Risiko von<br />
Hypoglykämien«<br />
»Auch Folgeerkrankungen können<br />
die Fahreignung stark beeinflussen«<br />
Depression und Herz-Kreislauf-Erkrankungen<br />
– werden im Leitlinienentwurf<br />
thematisiert.<br />
So sollten Patienten mit Verdacht<br />
auf SAS nach dem Vorliegen einer<br />
Tagesschläfrigkeit befragt werden<br />
und in diesem Zusammenhang zur<br />
Einschlafneigung nach Unfällen bzw.<br />
Beinahe-Unfällen. Gegebenenfalls<br />
sollte bis zu einer effektiven Therapie<br />
über ein erhöhtes Unfallrisiko<br />
aufgeklärt werden.<br />
Spezielle Empfehlungen sind auch<br />
für Jugendliche und Senioren vorgesehen.<br />
Empfohlen werden soll z.B.,<br />
dass diabetische Autofahrer in höherem<br />
Lebensalter vermehrt an einem<br />
Hypoglykämiewahrnehmungstraining<br />
teilnehmen. Eine Sicherheitsaufklärung<br />
durch den Arzt sollte bei<br />
Erstdiagnose Diabetes mellitus und<br />
bei Therapieumstellung stattfinden,<br />
sofern ein Hypoglykämierisiko besteht,<br />
bei vermehrter Häufung leichter<br />
und mittlerer Hypoglyk ämien<br />
sowie bei dauerhaft erheblich hyperglykämischer<br />
Stoffwechsellage.<br />
Es soll auch dazu geraten werden,<br />
Grundlage für Gutachten<br />
„Für behandelnde Ärzte und Schulungspersonal<br />
sowie zur Klärung rechtlicher<br />
Fragen ist es notwendig, evidenzbasierte<br />
Handlungsempfehlungen/Orientierungshilfen<br />
zum Thema 'Diabetes mellitus und<br />
Fahreignung' zur Verfügung zu stellen“,<br />
heißt es im Leitlinienportal bei http://<br />
www.awmf.org. Die Leitlinie (Registriernummer<br />
057-<strong>02</strong>6) soll eine Grundlage für<br />
Begutachtungen bieten.<br />
vor Fahrtantritt den Blutzuckerwert<br />
zu messen und dafür ein Blutzucker-<br />
Messgerät mitzuführen. Außerdem<br />
sollte daran erinnert werden, dass<br />
geeignete Snacks und Traubenzucker<br />
griffbereit im Auto liegen.<br />
Arzt muss aufklären,<br />
kontrollieren muss er nicht<br />
„Der Arzt muss dem Patienten klar<br />
sagen, wann er nicht mehr fahren<br />
kann, und das auch dokumentieren“,<br />
sagte Prof. Holl. Zu prüfen, dass der<br />
Patient auch wirklich nicht aus der<br />
Tiefgarage losfahre, sei nicht Aufgabe<br />
des Arztes.<br />
Der Leitlinienkoordinator geht davon<br />
aus, dass die Leitlinie bis zur<br />
<strong>DDG</strong>-Herbsttagung fertiggestellt<br />
sein könnte. Es erfolgen derzeit die<br />
Prüfung der Evidenzbasis und die<br />
erste redaktionelle Bearbeitung,<br />
danach kommt die Diskussion der<br />
Fachgesellschaften. Stimmen alle<br />
Beteiligten zu, wird die redaktionelle<br />
Endbearbeitung vorgenommen.<br />
Schließlich muss der <strong>DDG</strong>-Vorstand<br />
der Leitlinie zustimmen. Danach<br />
wird sie veröffentlicht. kol