Diplomarbeit_Silvana_Ge
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
WIE LIEST DAS AUGE?<br />
DAS AUGE – DER IMPERFEKTE SENSOR<br />
Jeder Leser verfügt über einen Sensor, die Retina, wo Wörter in Form von Lichtund<br />
Schattenflecken ankommen, die zuerst nicht als linguistische Zeichen zu<br />
entschlüsseln sind. Auf der Retina werden die von einer Textseite reflektierten<br />
Fotonen projiziert, welche jedoch nur in ihrem Zentrum, der Fovea, mit hoher<br />
Auflösung rezipiert werden. 02 Somit sehen wir nur mit der Fovea scharf – außerhalb<br />
der Fovea nimmt die Fotorezeptoren-Dichte ab. Dieser etwa 15 Grad<br />
des Sehfelds 03 abdeckende Bereich ist die einzige Zone der Retina, die für das<br />
Lesen wirklich nützlich ist. Die gesehene Fläche entspricht in etwa der Größe<br />
einer Weintraube, die sich auf Armlänge entfernt befindet.<br />
Die visuelle Wahrnehmung des Menschen ist eine Illusion von der Wirklichkeit<br />
– eine virtuelle Szene wie in dem Film Matrix, die scheinbar scharf gesehen<br />
wird, deren Kehrseite jedoch nie gesehen werden kann. 04<br />
In einer Studie an der Universität Bielefeld wurde herausgefunden, dass der<br />
Eindruck des scharfen Sehens daher rührt, dass der unscharfe Seheindruck<br />
von Objekten außerhalb der Fovea mit dem scharfen Seheindruck nach der<br />
gezielten Blickbewegung zum Objekt verknüpft wird. Sieht ein Mensch im<br />
Augenwinkel unscharf ein Objekt, vergleicht sein <strong>Ge</strong>hirn dieses aktuelle Bild<br />
mit gespeicherten präzisen Bildern von Objekten. Findet das <strong>Ge</strong>hirn ein passendes<br />
Bild, ersetzt es den unscharfen Eindruck durch ein präzises Bild aus dem<br />
<strong>Ge</strong>dächtnis. Der unscharfe Seheindruck wird also ersetzt, bevor sich die Augen<br />
tatsächlich bewegen. 05<br />
Die Tatsache, dass sich das <strong>Ge</strong>hirn die virtuelle Szene selbst zusammenbaut,<br />
lässt sich auch besonders gut beobachten, wenn ein Objekt in den blinden<br />
Fleck unseres Sichtfelds gerät: es verschwindet. An diesem Fleck befinden sich<br />
keine Fotorezeptoren, sodass man in diesem Bereich blind ist.<br />
Das <strong>Ge</strong>hirn vervollständigt das Sichtfeld – entweder durch die umliegende<br />
visuelle Information oder über eine Ergänzung durch das Sichtfeld des anderen<br />
Auges. Weiter interpretiert das <strong>Ge</strong>hirn das spiegelverkehrte Sehen des Auges:<br />
Objekte erscheinen durch Lichtbrechung spiegelverkehrt auf der Retina. 06<br />
10<br />
02 Vgl. Stanislas Dehaene, Lesen, S. 23<br />
03 Vgl. E. Bruce Goldstein, Sensation and perception, 2009, S. 51<br />
04 Vgl. Dehaene, S. 25, 26<br />
05 Vgl. http://www.wissenschaft.de/leben-umwelt/hirnforschung/-/journal_con<br />
tent/56/12054/4710295/Vorgegaukelte-Sehsch%C3%A4rfe/ [09.05.2016, 16.43 Uhr]<br />
06 Vgl. Filek, S. 17