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Zwischen Gloria Brand Malerei Helmut Dirnaichner und Jo ...

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26 <strong>Jo</strong> Enzweiler<br />

Sichtbarmachen einer »ganzen Bilderwelt«,<br />

die wir hier, meine Damen <strong>und</strong><br />

Herrn, gemeinsam an ausgewählten<br />

Beispielen aus Zeichnung, Reliefdruck<br />

<strong>und</strong> Papierschnitt eingehend betrachten<br />

<strong>und</strong> erkennend genießen können.<br />

Seinen drei Ausgangshandlungen reißen,<br />

schneiden, anordnen hat <strong>Jo</strong> Enzweiler im<br />

Prozess der bildnerischen Gestaltung eine<br />

weitere, die Ausgangshandlungen übergreifende<br />

Handlung hinzugefügt: Aus<br />

derselben Art Karton, aus dem er die<br />

Formen reißt, stellt er einen Bildträger her,<br />

den Gitter bzw. Raster mit viereckigen,<br />

quadratischen oder rechteckigen, Elementen<br />

als Einzelfelder seriell bedecken; sie<br />

dienen ihm als ‘Platzhalter’ für die<br />

Wiederholung von Aktualisierungen verschiedener<br />

Rissformen als Füllung, die an<br />

Ort <strong>und</strong> Stelle ihr eigenes Leben auch<br />

gegen rechte Winkel zu führen wissen.<br />

Sie treten untereinander als ähnlich auf,<br />

gleichen sich aber keineswegs wie ein Ei<br />

dem anderen. Sie sind, genauer gesagt,<br />

variante Aktualisierungen desselben<br />

Rissschemas bzw. desselben grafischen<br />

Schemas, z.B. dann, wenn der Künstler<br />

in seinen Zeichnungen dem gewählten<br />

Bildträger gleichsam ein Strichnetz überwirft,<br />

das die Gitterstruktur von Haus aus<br />

mitbringt. Das syntaktische Prinzip der<br />

anfangs recht strengen seriellen Gliederung<br />

hat <strong>Jo</strong> Enzweiler inzwischen teils durchgreifend<br />

variiert <strong>und</strong> in all seinen<br />

Werkgruppen dennoch gleichermaßen<br />

eindrücklich zur Geltung gebracht.<br />

Der Gr<strong>und</strong>satz ‘Einheit in der Mannigfaltigkeit’,<br />

meine Damen <strong>und</strong> Herrn, ist<br />

die bildnerische Basis für die »ganze Bilderwelt«<br />

des Künstlers. Sie geht aus von der<br />

Teil-Ganzes-Relation, für die die Präsentation<br />

der Figur-Gr<strong>und</strong>-Relation (Positiv-<br />

Negativform-Relation) immer wieder<br />

augenfällig gemacht wird <strong>und</strong> die für<br />

unsere gesamte Wahrnehmung unhintergehbar<br />

ist. Diesen Sachverhalt hervorzuheben<br />

ist <strong>Jo</strong> Enzweiler in seinen Arbeiten<br />

von Anfang an gelungen durch die einfache<br />

Handlung des Aufklebens von Einzelformen<br />

auf einen Gr<strong>und</strong>. Auf diesen, meines<br />

Wissens bisher im Werk von <strong>Jo</strong> Enzweiler<br />

nur wenig bedachten Gr<strong>und</strong>satz von der<br />

Einheit in der Mannigfaltigkeit möchte<br />

ich abschließend noch mit einigen kurzen<br />

Bemerkungen eingehen – natürlich ebenfalls<br />

aus der Produktionsperspektive.<br />

Der Gr<strong>und</strong>satz ‘Einheit in der Mannigfaltigkeit’<br />

hat im wesentlichen zwei<br />

Wurzeln, die beide für Enzweilers Werk<br />

von großer Bedeutung sind: die klassische<br />

Kunsttheorie einerseits <strong>und</strong> die der Psychologie<br />

zugehörende Gestalttheorie<br />

andererseits. In der klassischen Kunsttheorie<br />

geht es um Mannigfaltigkeit der<br />

Teile im Hinblick auf ein einheitstiftendes<br />

Ganzes, in welchem die Mannigfaltigkeit<br />

der Teile selbst eine stets klare (lat. clara),<br />

noch nicht aber deutliche (lat. distincta)<br />

sinnlich-erkennende Betrachtung ermöglicht.<br />

Die Ordnung der Teile verdankt sich<br />

dem jeweiligen Ganzen <strong>und</strong> verweist auf<br />

das Ganze, insoweit es von den Teilen vertreten<br />

wird.<br />

In der Gestalttheorie geht es ebenfalls<br />

um die Einheit in der Mannigfaltigkeit.<br />

Doch die eigenständige »Gestaltqualität«<br />

der Einheit lässt sich nicht auf die Qualitäten<br />

der einzelnen Teile der Mannigfaltigkeit<br />

reduzieren. Dem klassischen Beispiel<br />

der Gestalttheorie zufolge, das von ihrem<br />

Gründungsvater Christian von Ehrenfels<br />

stammt, sind die Töne einer Melodie durch<br />

das einheitstiftende Prinzip der Melodie<br />

organisiert, wobei sich die Melodie <strong>und</strong><br />

ihr Verlauf nicht auf die in ihr vorkommenden<br />

Töne zurückführen lässt.<br />

Was, meine Damen <strong>und</strong> Herrn, bedeutet<br />

das für die variierenden Gitter- bzw. Rasterformen<br />

in den einzelnen Werkgruppen des<br />

Künstlers <strong>Jo</strong> Enzweiler?<br />

Die einheitstiftende, organisierende Kraft<br />

des Bildes nach Größe, Format <strong>und</strong> sequenzieller<br />

Gliederung, <strong>und</strong> damit seine<br />

eigenständige »Gestaltqualität« eingeschlossen,<br />

ist unbestritten. Doch, bedenken<br />

Sie, dass, insofern diese »Gestaltqualität«<br />

des Ganzen nicht auf die Qualitäten der<br />

einzelnen Teile des Bildes zu reduzieren<br />

ist, für diese einzelnen Teile des Bildes<br />

sogar ein eigenständiger visueller Spielraum<br />

eröffnet wird, der sich den Qualitäten<br />

der einzelnen bildnerischen Aktualisierungen<br />

selber verdankt. Diese selbstständigen<br />

visuellen Qualitäten der Teile,<br />

den einzelnen Gittern <strong>und</strong> ihren variablen<br />

Füllungen geschuldet, lassen sich, synästhetisch<br />

gesprochen, wie optische Notate für<br />

visuelle Singstimmen entziffern.<br />

Dietfried Gerhardus<br />

*Der vorliegende Text ist meine Rede zur Eröffnung<br />

der Ausstellung »<strong>Jo</strong> Enzweiler, Zeichnungen, Reliefdrucke,<br />

Papierschnitte« am 16.05.2004 in Schloß<br />

Salder, Salzgitter. Der Rededuktus wurde weitgehend<br />

beibehalten.<br />

ohne Titel<br />

1999<br />

Karton-Collage<br />

35 x 35 x 5 cm<br />

ohne Titel<br />

1999<br />

Karton-Collage<br />

35 x 35 x 5 cm

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