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NORDWESTSCHWEIZ<br />
FREITAG, 4. NOVEMBER 2016 20 JAHRE AARGAUER ZEITUNG 21<br />
Folge. «Obwohl gestern Dienstagabend<br />
im Restaurant Zum Schützen in Aarau<br />
verbal teilweise recht scharf geschossen<br />
wurde, waren die wahren Ziele und<br />
Absichten im rhetorischen Pulverdampf<br />
nicht immer klar auszumachen»,<br />
resümierte das AT in seiner<br />
Berichterstattung. Die Diskussion im<br />
«Schützen»-Saal wogte hin und her. Vor<br />
allem an den grossen Unterschieden<br />
bei der Unternehmensbewertung erhitzten<br />
sich die Gemüter (BT 60,5 Millionen;<br />
AT nur 20,9 Millionen). Ein ehemaliger<br />
AT-Finanzchef wunderte sich,<br />
was mit den zu seiner Zeit geäufneten<br />
stillen Reserven passiert sei. Nach und<br />
nach kristallisierten sich zwei Hauptaspekte<br />
heraus: Die wirtschaftlichen Probleme<br />
der Aargauer Tagblatt AG, die offenbar<br />
viel grösser waren, als man erahnen<br />
konnte, sowie das Umdenken in<br />
der Wirtschaftswelt bezüglich Unternehmensbewertungen,<br />
dass die (künftige)<br />
Ertragskraft viel gewichtiger ist als<br />
der Substanzwert.<br />
Finanzlage «nicht gesund»<br />
Die Versammlung im «Schützen»<br />
nahm – auf diese beiden Punkte bezogen<br />
– eine Wendung, als AT-Aktionär<br />
Werner Meyer einen von ihm privat engagierten<br />
Bücherexperten vorstellte.<br />
Werner Käser, Mitglied der Geschäftsleitung<br />
der Aarauer thv Treuhand AG,<br />
analysierte aus neutraler Warte die<br />
wirtschaftliche Situation der Aargauer<br />
Tagblatt AG. Basierend auf den offiziellen<br />
Unterlagen, kam er zum Schluss,<br />
dass die Finanzlage des Unternehmens<br />
«nicht gesund» sei. Der Anteil des Eigenkapitals<br />
sei in den letzten Jahren<br />
unter 20 Prozent gesunken und das Anlagevermögen<br />
müsse zunehmend mit<br />
kurzfristigem Fremdkapital finanziert<br />
werden. Dieses Statement und die Ankündigung<br />
von AT-Verwaltungsrat Professor<br />
Dr. Georg Müller, dass die AT-Aktionäre<br />
vor der Generalversammlung<br />
nochmals ausführlich informiert würden,<br />
beruhigte die Geister etwas und<br />
AT-Aktionär Samuel Wehrli.<br />
MICHAEL KUPFERSCHMIDT/KEYSTONE<br />
verbreitete auch unter den oppositionellen<br />
Aktionären eine gewisse Nachdenklichkeit.<br />
Der AT-Verwaltungsrat hielt Wort und<br />
informierte am 22. April 1996 die AT-<br />
Aktionäre mit einem neunseitigen Brief<br />
in bemerkenswerter Offenheit und<br />
Schonungslosigkeit über den «dringenden<br />
internen Handlungsbedarf» bei der<br />
Aargauer Tagblatt AG. Einerseits gehe<br />
es als «zentrale Aufgabe» um die Ablösung<br />
der gegenwärtigen Unternehmensleitung<br />
und andererseits um eine<br />
Sanierung des mit einer «hohen Fremdverschuldung»<br />
belasteten Unternehmens.<br />
Weiter erhielten alle AT-Aktionäre<br />
vom neuen Verwaltungsrat der künftigen<br />
«Aargauer Zeitung AG» die Garantie,<br />
ihre Aktien bis zum 31. August 1996<br />
für 2952 Franken<br />
verkaufen zu können;<br />
zum gleichen<br />
Preis wie sie BT-Verleger<br />
Peter Wanner<br />
verrechnet wurden.<br />
Diese Offerte erwies<br />
sich als äusserst geschickter<br />
Schachzug,<br />
schenkten doch<br />
viele AT-Aktionäre<br />
der öffentlichen<br />
Empfehlung eines Finanzexperten<br />
Glauben, dass sie für ihre Papiere nie<br />
mehr einen solch hohen Preis erhalten<br />
würden. Der (designierte) Mehrheitsaktionär<br />
Peter Wanner konnte so seine<br />
Anteile problemlos ausbauen, ohne<br />
sich Vorwürfe gefallen lassen zu müssen,<br />
er strebe die totale Machtübernahme<br />
an. Viele AT-Aktionäre bereuten im<br />
Nachhinein zutiefst, für 2952 Franken<br />
verkauft zu haben – als der AZ-Aktienkurs<br />
zeitweilig weiter über<br />
10 000 Franken hinausschoss.<br />
Der verbesserte Minderheitenschutz<br />
und die Informationsoffensive des AT-<br />
Verwaltungsrats zeigten Wirkung. Die<br />
oppositionellen Aktionäre signalisierten<br />
am 24. April 1996 im AT Gesprächsbereitschaft<br />
(SVP-Nationalrat Christian<br />
«Die Fusion eröffnet<br />
beiden Redaktionen<br />
echte und<br />
beflügelnde Zukunftsperspektiven.»<br />
AT-Chefredaktor Franz Straub<br />
zu kritischen Aktionären<br />
Speck: «An einem Scherbenhaufen ist<br />
niemand interessiert.») Kurz vor der<br />
entscheidenden Generalversammlung<br />
am 3. Mai 1996 in der «Krone» in Lenzburg<br />
strich man die Segel ganz und verzichtete<br />
offiziell auf eine Nein-Empfehlung<br />
zur Fusion. Mitentscheidend seien<br />
vertrauensbildende Gespräche mit dem<br />
neuen Mehrheitsaktionär gewesen, begründete<br />
die Gruppe ihr Einlenken.<br />
Ohne Peter Wanner, der über die erforderlichen<br />
Sachkenntnisse und Führungseigenschaften<br />
zu verfügen scheine,<br />
müsste die unerlässliche rasche Lösung<br />
der Probleme der Aargauer Tagblatt<br />
AG als äusserst fraglich eingeschätzt<br />
werden.<br />
Damit war der Weg frei für die<br />
Aargauer Zeitungsfusion. An der denkwürdigen<br />
Generalversammlung<br />
vom<br />
3. Mai 1996 wurde<br />
zwar nochmals – im<br />
Sinne einer Seelenhygiene<br />
– etwas Vergangenheitsbewältigung<br />
betrieben, die<br />
meisten Votanten<br />
blickten jedoch mit<br />
Hoffnung und Zuversicht<br />
in die Zukunft.<br />
Dr. Franz Straub, AT-Chefredaktor und<br />
designierter erster Chefredaktor der<br />
«Aargauer Zeitung», betonte nochmals<br />
die publizistische und verlegerische<br />
Notwendigkeit und bezeichnete den<br />
Zusammenschluss auch aus redaktioneller<br />
Sicht als sinnvoll: «Die Fusion eröffnet<br />
beiden Redaktionen echte und<br />
beflügelnde Zukunftsperspektiven.»<br />
Nach vier Stunden folgten die AT-Aktionäre<br />
mit einer komfortablen Mehrheit<br />
von über vier Fünfteln den Fusionsanträgen<br />
des Verwaltungsrats. Das AT<br />
schloss seine Berichterstattung mit einem<br />
Zitat von Aktionär Beat Roggen,<br />
der einen Schlusspunkt hinter alle Diskussionen<br />
setzte: «Lieber zu 50 Prozent<br />
an einer guten Sache beteiligt sein als<br />
zu 100 Prozent an einer halbbatzigen».